Was wäre wenn... von Zion2nd ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Kapitel 6 Am frühen Abend des selben Tages lag ich auf meiner Pritsche, die Arme hinter meinem Kopf überkreuzt, und starrte Löcher in die Zeltdecke. Erst jetzt erschloss sich mit die Ironie der ganzen Angelegenheit, die ich jetzt am Hals hatte. Ich meine, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Millionen von Verdammten, die im See herumdümpelten, einer der wenigen Vampire oder Vampyre zum Fischen ausgewählt worden war, und dann noch ausgerechnet derjenige, der als mein prophezeiter Erzfeind und Untergang der Welt gelebt hatte. Den ich umgebracht hatte. Der mich umgebracht hatte. Eine der bösesten Kreaturen, die es überhaupt auf der Erde gab, neben Mr. Tiny natürlich. Und dann auch noch zur selben Zeit, oder zumindest fast, denn ich war ja schon ein paar Monate hier. Es war nicht zum Aushalten! Zufall konnte das fast schon nicht mehr sein, eher hatte das Schicksal seine Hände im Spiel, wortwörtlich. Reichte es denn nicht, dass dieser verdammte Kerl mich schon in meinem ersten Leben herumgeschubst hatte? Eigentlich überraschte es mich nicht, dass ausgerechnet er ausgewählt worden war. Er war im richtigen Alter. Er war gut gebaut, muskulös, aber keine übertriebenen Muskelpakete. Wenige Narben, die von Kampferfahrung zeugten, ansonsten schöne, gut gebräunte Haut. Alles Merkmale, die meinen ähnlich waren. Wir fielen in dieselbe Kategorie. Natürlich waren wir beide älter, als wir aussahen, aber wir alterten ja auch langsamer. Überhaupt sah Steve gut aus, auch wenn ich mir bis jetzt noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. In unserer Kindheit waren wir uns auch sonst ähnlich gewesen. Neugierig bis zum Abwinken, Tod aller Eltern und Lehrer, Hyperaktiv. Fröhlich. Steve und ich hatten unsere kleine Gruppe oft in Schwierigkeiten gebracht. Nie war mir aufgefallen, was er für Probleme mit sich herumtrug, bis zu der Nacht, in der ich ihn und Mr. Crepsley von dem kleinen Balkon aus belauscht hatte. Das war das eine Mal, dass ich ihn so zu sehen bekam. Dann hörte ich die Prophezeiung vom Lord der Vampyre, dem Ende der Welt wir ich sie kannte und er wurde zu meinem Feind, auch wenn ich es zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste. Bei unserer nächsten Begegnung war Steve Erwachsen und ich noch ein Teenager, trotz des gleichen Alters. Ich hatte zwar die Prüfungen bestanden, hatte oft gekämpft und viele Probleme gehabt, aber alleine war ich nie, auch wenn es mir manchmal so vorkam. Steve dagegen war, nachdem ich mein menschliches Leben für ihn aufgegeben hatte, allein gewesen und geblieben, egal was er tat. Gannen Harst war immer mehr sein Beschützer und Aufpasser als sein Freund, und alle anderen waren seine Untertanen oder Gegner, die vernichtet werden mussten. Als er dann meinen Mentor in die Pfähle stürzen und verbrennen lies, wurde mein ehemals bester Freund für mich ungewollt zu einem Feind. Zu jedem früheren Zeitpunkt hätte ich fast alles dafür gegeben, ihn wieder meinen Freund nennen zu können und ihn bei mir zu wissen, in alter Vertrautheit. Danach zerstörte er mein Bild von ihm so gründlich, dass ich ihn nicht mehr wiedererkannte. Er wurde der Lord der Vampyre. Und jetzt war er hier. Mit einem lauten Seufzen drehte ich mich auf die Seite und rollte mich zusammen. Jetzt konnte ich es sowieso nicht mehr ändern. Steve war hier, im Lager. Ich fand es immer noch erstaunlich, wie sehr die Wahrnehmung von den Gefühlen beeinflusst wird. In dem Moment, als ich Steve erkannt hatte, spürte ich die Mittagshitze und meine Müdigkeit nicht mehr; es war eher, als hätte sich alles ins Gegenteil umgekehrt. *Flashback* „Steve!“ Sämtliche Fischer in der Nähe drehten sich zu mir um. Erst jetzt merkte ich, dass ich laut gerufen und unwillkürlich einen Schritt zurück gemacht hatte. „Kennst du ihn?“, stellte jemand die Frage. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer es war. Zu sehr war ich damit beschäftigt, mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Alles in mir wollte sich jetzt umdrehen und so viel Abstand wie möglich zwischen mich und diesen nackten Mann dort auf dem Boden zu bringen. Es kostete mich Mühe, auch nur den Kopf zu schütteln, und somit unsere gemeinsame Vergangenheit zu verneinen. Für meinen Ausruf hätte ich mich in den Hintern beißen können. Ich brauchte eine Ausrede für meine Reaktion. Und zwar schnell! Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Es musste etwas naheliegendes sein. Etwas plausibles und etwas, was andere vom Fragen abhalten würde. „Er sieht jemandem ähnlich... Sehr ähnlich...“, sagte ich schließlich. Etwas besseres fiel mir nicht ein. Angestrengt verzog ich mein Gesicht wieder zu einem Lächeln. Auch meine Körperhaltung war noch zu steif. Ich musste normal wirken. Nach einer kleinen Weile, es konnten nicht mehr als einige Sekunden gewesen sein, wandten die Anderen sich wieder ihrer Arbeit zu. Ich drehte mich um und ging wieder zu meinem Platz am Seeufer. Ein letzter Blick auf Steve sagte mir, dass er nun doch noch bewusstlos geworden war; seine Augen waren geschlossen... *Flashback Ende* Die ganze Szene wiederholte sich immer wieder in meinem Kopf. In diesem Moment lag Steve vermutlich auf der Krankenstation, wie jeder andere frisch Gefischte auch. Man wurde herausgefischt, dann dorthin gebracht. Die Erholungszeit war normalerweise eine bis zwei Wochen lang. Dann wurde man einem Partner zugewiesen. Die Trainingszeit folgte, das waren nochmal drei bis vier Monate. Und dann kam die Berufswahl. Bei mir waren es nur fünf Tage auf der Krankenstation und zwei Monate Training. Steve würde auch nicht viel länger brauchen, wenn überhaupt. Er würde seine Kräfte nicht hinterm Berg halten und verbergen, was er alles konnte. Er würde auffallen. Das hieß, wenn er das alles überhaupt mitmachte. Schließlich war er das böse Superhirn, dass und jahrelang an der Nase herumgeführt hatte; er hatte solche Sachen nicht nötig. Ich hatte ihn umgebracht. Er würde mich jagen. Rache üben, für alles, was ich ihm angetan hatte, seiner Meinung nach. Ich hatte ihn verlassen, als wir noch Kinder waren, und hatte ihm seinen Traum gestohlen. Dann hatte ich ihm um seinen Platz als Weltherrscher gebracht. Sicher war das Grund genug, mich auseinander zu nehmen. Ich war in Gefahr. Noch nicht, aber sobald Steve wieder bei Kräften war, stand ihm nichts mehr im Weg, mich büßen zu lassen. Ich wusste, dass die Leute, die mit dem Lager und den Regeln und Abläufen hier nicht zurecht kamen, gehen durften, ohne aufgehalten zu werden. Einsperren konnte man sie ja auch schlecht. Es war eine Regelung, die bis zu einem gewissen Grad auch den Frieden im Lager garantierte, denn das hieß, dass niemand in seiner Freiheit eingeschränkt war. Wen wollte konnte gehen. In diesem Moment überlegte ich mir zum ersten Mal, ob ich vielleicht diese Option wählen und einfach gehen sollte. Ich wäre auf jeden Fall sicherer, wenn ich nicht ein paar Zelte neben meinem Todesengel schlafen und arbeiten würde. Sobald ich mir sicher war, dass Steve verschwunden und nicht mehr in der Gegend war, könnte ich zurück kommen. Gleichzeitig hieß das auch, dass ich jeden hier seiner Willkür überließ. Steve saß hier inmitten vieler Menschen, die keine Ahnung hatten, was er war und zu war er fähig war. Ich war vermutlich der Einzige hier, der annähernd so stark war wie er. Und irgendwann würde er Blut brauchen... Weglaufen schloss ich hiermit aus. Ich wollte mit meiner Vergangenheit abschließen, aber nicht auf Kosten von den Leuten, um deren Überleben ich mein ganzes erstes Leben ich gekämpft hatte und für das ich gestorben war. Auch wenn sie es am Ende geschafft hatten, sich selbst an den Rand der Untergangs zu bringen. Draußen war es inzwischen dunkel. Ich lag immer noch auf der Pritsche und konnte meine Gedanken nicht abstellen. Heute hatte ich mich länger und intensiver mit meiner Vergangenheit, vor allem mit Steve, befasst als in sonst einer Nacht zuvor hier im Lager. Heute war vermutlich auch die letzte Nacht für eine ganze Weile, in der ich ungestört würde schlafen können. In ein paar Tagen wäre Steve wieder stark genug, um aufstehen zu können, und ab da würde ich auf der Hut sein müssen, zu jeder Tagszeit. Also sollte ich die Nacht besser nutzen und mich richtig ausruhen, vielleicht noch ein wenig Blut auf Vorrat trinken, bevor ich vielleicht nicht mehr so schnell die Gelegenheit dazu hätte. Mit einem erneuten lauten Seufzen schloss ich endgültig meine Augen und entspannte mich, so gut es ging. *** In den folgenden Tagen wurde ich zunehmend wachsamer was meine Umgebung betraf. Ich wusste, ich würde Steve bald in der Mensa begegnen, wenn er sich tatsächlich an alle Abläufe hielt, die es gab, und nicht sofort den Rat der Ältesten zerlegte. Oder ich würde ihm einfach so irgendwo im Lager über den Weg laufen, auf einer Führung mit seinem Partner, oder schlimmer, alleine. Auf den Übungsplatz ging ich nur noch selten, zu Zeiten von denen ich wusste, dass wenige dort waren und noch weniger Neue. Was hieß, eigentlich fast nie. Was tat man nicht alles für die eigene Sicherheit. Am wohlsten fühlte ich mich inzwischen wirklich am Seeufer. Hierher wurde keiner der Neuen gebracht, erst am Ende ihrer Ausbildung oder wenn ihnen erklärt wurde, warum es diese Lager überhaupt gab. Also war es hier am sichersten. Früher war ich es gewohnt gewesen, Nacht immer nur leicht zu schlafen und bei jedem ungewohnten Geräusch sofort wach zu sein und immer ein Messer in der Hand zu haben. Hier war es nie notwendig gewesen, deshalb hatte ich langsam damit begonnen, diese Gewohnheit abzulegen. Eigentlich war ich froh gewesen, das hinter mit zu haben. Umso enttäuschter war ich, als ich jetzt wieder damit anfangen musste. Steves Ankunft war mein ganzes Leben über den Haufen. Auch die Anderen merkten, dass ich mich anders verhielt. Ich hielt mich öfter in ihrer Gesellschaft auf, beteiligte mich mehr an ihren Gesprächen und an ihren Aktivitäten, den Übungsplatz ausgenommen. Nicht, dass sie diese Veränderung schlecht aufnahmen. Eher wunderten sie sich und schlossen mich ohne groß zu fragen mehr ein als zuvor. Das war ein gutes an den neuen Umständen, das musste ich zugeben. Trotzdem wog es die Nachteile nicht unbedingt auf. Je mehr die Zeit voranschritt und nichts passierte, außer dass ich durch meine langen Wachzeiten ein wenig übermüdet wurde, desto unruhiger wurde ich. Warum tat Steve nichts? Es sah ihm nicht ähnlich, einfach nichts zu tun. Oder plante er schon die ganze Zeit etwas und wartete nur auf den richtigen Zeitpunkt? So wie ich ihm bis jetzt die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war, so beobachtete ich ihn jetzt, wo ich es konnte. Ich setzte mich bei den Mahlzeiten mit dem Gesicht zu ihm, lief ihm und seinem Partner hinterher, wenn sie das Essenszelt verließen, fand heraus, in welchem Zelt sie schliefen, und zum Schluss ging ich sogar dann wieder auf den Übungsplatz, wenn sie dort waren. Die ganze Zeit passte ich auf, was er tat und wie er es tat. Zuerst bestätigte sich mir nur, was ich schon vermutet hatte. Er ließ sich auf das Training ein. Es waren jetzt fast drei Wochen vergangen, also hatte er inzwischen seine ganzen Kräfte wieder hergestellt und benutzte sie auch bei den Kämpfen ohne sie zu verstecken. Hier fielen mit zwei Dinge auf: Er war zwar stark, aber alle seine Bewegungen, die er in den Übungen machte, waren seltsam ungeschliffen, manchmal fast schon eckig, wie die eines Anfängers und er achtete wirklich darauf, seinen jeweiligen Übungspartner nicht zu verletzen. Das war etwas, was ich bei dem älteren Steve nie gesehen hatte, in keinem unserer Kämpfe damals. Und er benutzte den Bogen, was vielleicht die größte aller Überraschungen war. Er verstieß gegen den Kodex der Vampyre, wenn auch mit einem leidigen Gesichtsausdruck. Nach und nach wurden mir auch andere Dinge bewusst, die sich eindeutig vom früheren zum jetzigen Steve unterschieden. Dinge, die ich schon lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Genau genommen, seit wir Kinder gewesen waren. Wenn er beim Essen saß und sich fröhlich so gut es ging an den Unterhaltungen beteiligte (auch er musste die neue Sprache erst lernen), dabei offen lachte und sich offensichtlich gut mit seinem Partner und seinen Freunden verstand, oder wenn er sich tatsächlich entschuldigte und mit großen Augen lächelte, wenn er einen Fehler gemacht hatte; alles in allem war der alte Steve nicht wiederzuerkennen. Keine bissigen Kommentare, kein wichtigtuerisches Gehabe, keine Gnadenlosigkeit und Grausamkeit mehr in seinem Blick. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Je länger ich ihn beobachtete, desto verwirrter wurde ich. Langsam begann ich zu denken, dass er wirklich eine andere, mir unbekannte Person war, jemand beliebiges, der aus dem See gezogen worden war, und nicht Steve selbst, auch wenn jeder ihn Steve rief. Aber ich konnte ja schlecht zu ihm gehen und einfach fragen, ob er wirklich einmal der böse Halbvampyr gewesen war, der mir nach dem Leben getrachtet hatte. Es musste eine Falle sein, die er mit seinem Verhalten stellte. Es gab nur eine Möglichkeit, mit Sicherheit herauszufinden, ob er es wirklich war. Ich hatte das Glück, nur kleine Mengen an Blut zu brauchen, um für längere Zeit über die Runden zu kommen. Er hingegen würde einen Menschen töten müssen, um seinen Durst befriedigen zu können... Und darauf wartete ich, auch wenn es noch eine Weile dauern würde, bis es tatsächlich soweit war, und er das Blut brauchen würde. Mittlerweile kreiste der Großteil meiner Gedanken kontinuierlich und die ganze Zeit um Steve. Wenn ich die Möglichkeit hatte, beobachtete ich ihn. Das ging soweit, dass mir meine Freunde schon belustigte Blicke zuwarfen, wenn sich mich sahen, wie ich ihm nachlief. Aber man muss ja auch zugeben, dass mein Verhalten für Außenstehende zweideutig sein musste, auch wenn das absolut nicht der Fall war, sondern eher das Gegenteil. Auch Steve hatte mich inzwischen bemerkt. Wann immer er mich sah, lächelte er mir zu, fast schon ein wenig schüchtern, und beeilte sich dann, entweder so schnell wie möglich an mir vorbeizulaufen oder seiner jeweiligen Tätigkeit mit neuem Eifer nachzukommen. Wenn er bei seinen Freunden saß und sich mit ihnen unterhielt, wurde er augenblicklich nervös, sobald sich unsere Blicke trafen, und seine Freunde grinsten breit und zwinkerten. Aber er sprach mich nie an und machte auch sonst nie eine Bewegung auf mich zu. Ich verstand nicht, warum er das tat. Gehörte das zu seiner Täuschung oder warum verhielt er sich wie ein Mädchen? Es war einfach merkwürdig. Ich beschloss, nicht darauf zu reagieren. So verging die Zeit, seit Steve hier war. Ich wartete ständig darauf, dass etwas passierte, was mir zeigte, was er plante, oder zumindest ein Zeichen seines alten Charakters. Aber nichts passierte. Nichts. Alles ging seinen gewohnten Gang. *** Seit drei Wochen hatte ich jetzt ein Auge auf meinen alten ‚Freund’. Ich weigerte mich, mich der Illusion hinzugeben, dass er keine Gefahr war. Gerade war er auf dem Übungsplatz und trainierte mit seinem Partner mit dem Schwert. Auch ich hatte mich in einen Kampf verwickeln lassen, auch wenn es für mich keine Herausforderung war und ich noch genug Konzentration übrig hatte, um ihn wie immer im Blick zu haben. Steve brauchte nur ein paar wenige Minuten, um Arson, seinen Partner, völlig außer Atem zu bringen und ihn schließlich zu entwaffnen. Fast er wartete ich, dass er ihn jetzt mit einer leichten Bewegung des Übungsschwertes töten würde, aber stattdessen ließ er die Waffe zu Boden gleiten und streckte dem älteren Mann mit lachend die Hand hin. Die meisten anderen wussten schon, dass es kaum noch jemanden gab, der ihn besiegen konnte, und wenn, dann nur noch mit Mühe. Ich hatte bis jetzt immer den Großteil meiner nicht-menschlichen Kräfte verborgen und verlor bisweilen absichtlich einen Kampf. Trotzdem wurde ich als guter Kämpfer geachtet und immer wieder herausgefordert. Mit einer kleinen Drehung meines Handgelenks schlug ich meinem Gegner das Übungsschwert aus der Hand. Es landete auf dem Boden und rutschte noch ein Stück, bis es in der Nähe von Steve zum liegen kam. Außer Atem und verschwitzt richtete sich mein Herausforderer auf und bedankte sich für den Kampf. Ich nickte nur geistesabwesend. Viel mehr beschäftigte mich ein gewisses blondes Wesen, welches jetzt das gefallene Schwert aufhob und sich uns zuwandte. Sofort wurde ich wachsam. Mit zusammen gekniffenen Augen fixierte ich ihn, während Steve näher kam und meinem vorigen Gegner freundlich das Schwert reichte. Dieser bedankte sich abermals und ging dann von dem runden Platz, um sich einen neuen Partner zu suchen. Nun wandte sich Steve mir zu. Das war das erste Mal, dass wir uns so nahe waren, seit unserer letzten wirklichen Begegnung unten am See und zuvor in der ‚Entscheidungsschlacht’. Auch wenn ich immer noch nicht wusste, was danach aus dem Krieg der Narben geworden war. Er benahm sich wie immer; mit einem schüchternen Lächeln stand er vor mir, den Blick ein wenig gesenkt. Zögerlich öffnete er den Mund und schien ein wenig um die richtigen Worte zu ringen. Die Zeit schien mal wieder auf die Bremse gedrückt zu haben, denn die paar Sekunden, die er brauchte, um sich zum sprechen zu überwinden, kamen mir unangemessen lang vor. „Würdest... würdest du auch mit mir kämpfen?“, fragte er schließlich ganz leise. Schnell setzte er hinzu: „Natürlich nur, wenn du willst, ich meine, vielleicht... na ja... Ich würde gerne mal...“ Erwartungsvoll sah er mich an. Bei mir zeigte sich einmal mehr das Phänomen der rasenden Gedanken. Zwei unterschiedliche Meinungen stritten um die Vorherrschaft. Einerseits schien dies eine normale Herausforderung zu sein, wie sie von jedem hätte kommen können, das mädchenhaft Verhalten einmal ausgenommen, aber andererseits könnte dies auch die Gelegenheit sein, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte, nämlich mich zu zerlegen. Und das auch noch in einem Rahmen, in dem er es als Unfall tarnen konnte. Nur, welches der beiden Möglichkeiten war es. Mit seinem verhalten hatte er mich inzwischen soweit, dass ich nicht mehr mit Überzeugung wusste, ob es jetzt ein Schauspiel oder sein Charakter war, der hier vor mir stand. Aber ich war mindestens genauso stark wie er. Wir waren gleichschnell und gleichstark. Wenn er mich wirklich herausfordern wollte, dann würde ich annehmen. Ich konnte mich selbst verteidigen. Mit einem knappen Nicken nahm ich seine Aufforderung an. Scheinbar aufrichtig erfreut machte Steve ein paar Schritte zurück und nahm eine Kampfpose ein. Ich stellte mich ebenfalls auf, die Beine leicht gespreizt um einen besseren Stand zu haben. Jetzt würde ich herausfinden, was Sache war! Schon schwang er das Holzschwert. Noch ein wenig schüchtern zwar, aber das gab sich schnell. Ich machte eine Ausfallschritt und ließ den Hieb ins Leere gehen. Sofort zog er das Tempo an. Ohne zu zögern stieß er erneut hervor. Mich der Geschwindigkeit anpassend blockte ich ab und griff jetzt selber an. Er parierte und brachte wieder ein wenig Abstand zwischen uns. Kurz standen wir beide still da, die Schwerter erhoben, und warteten auf die nächste Reaktion des jeweils anderen. Ich ahnte den nächsten Angriff eher, als dass ich ihn sah. Fast gleichzeitig stürzten wir wieder aufeinander los. Er versuchte meine Grenzen zu finden und ließ einen Schlag sofort auf den anderen folgen, attackierte mich ohne Pause und versuchte mich in die Defensive zu drängen. Wir wurden immer schneller. Ich genoss es, mich seit langer Zeit mal wieder nicht zurückhalten zu müssen. Keiner von uns beiden konnte wirklich die Oberhand gewinnen, auch wenn jeder immer wieder einen Streich einstecken musste. Atemlos nutzte ich meine ganze Kampferfahrung, die ich über die Jahre gesammelt hatte, der Schweiß rann mir über den Körper. Aber alle Regungen, die ich in seinem Gesicht finden konnte, waren Spaß an der Herausforderung und angestrengte Konzentration. Kein Hass oder andere negative Emotionen. Die Minuten vergingen und ich merkte, wie Steves Konzentration immer mehr nachließ. Und er wurde langsamer. Jetzt zahlte es sich aus, kontinuierlich meine Ausdauer wieder aufzubauen. Steve begann Fehler zu machen. Immer angestrengter versuchte er, mich zurückzudrängen, ohne etwas zu erreichen. Ich Finte später lag sein Schwert auf dem Boden und ich hatte mein Stück Holz an seinem Hals. Ohne uns zu rühren starrten wir uns an, bis Steve sich schließlich mit einem lauten Seufzen auf den Boden fallen ließ. „Du bis genauso stark wie ich!“, rief er mit Erstaunen in der Stimme aus. Ich ließ mein Übungsschwert sinken. Mich überraschte eher, dass er nicht versucht hatte, mich umzubringen, und dass ich während des ganzen Kampfes an nichts gedacht hatte, was mit eben damit zu tun hatte. Drei Wochen lang hatte ich mich fast vierundzwanzig Stunden am Tag damit beschäftigt, wie und wann er mich wohl töten wollte und jetzt ließ er diese absolut geeignete Gelegenheit verstreichen?! Konnte es wirklich sein, dass er nicht schauspielerte, so abwegig es auch klang? Ich antwortete nicht, sondern suchte in seinen Zügen die Wahrheit, die dort doch irgendwo verborgen sein musste, ohne sie zu finden. So verwirrt war ich selten gewesen. Steve konnte gut täuschen, das hatte er mir oft bewiesen, aber das hier war einfach... zu gut und gespielt zu sein. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Wenn das sein Ziel gewesen war, so hatte er es hiermit erreicht. Er schien mir meine Verwirrung anzusehen, denn er stand wieder auf und sah mich besorgt an. „Geht es dir gut?“, fragte er mit gerunzelter Stirn. Einen Schritt zurück machend wandte ich meinen Blick von ihm ab. „Ja... es ist nichts. Danke für den Kampf.“ Dann ging ich schnellen Schrittes vom Platz und ergriff die Flucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)