Pierced von Sarano (Sequel of the ´Fallen´) ================================================================================ Kapitel 2: Part II A - Return ----------------------------- Act II Return 2001 – March, 4th Part A 8:50 Uhr Zum wiederholten Male seufzte der Rothaarige tief auf, während er weiter durch die Programme zappte, nicht wirklich etwas fand, das ihn interessierte, doch er brauchte einfach etwas, das ihn ablenkte, denn ständig driftete er mit seinen Gedanken hinfort. Natürlich war es gestern noch zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Sänger und seinem Freund gekommen, kaum das Kaoru zurück gekehrt war. Zu Anfang hatte er noch versucht zu schlichten, doch irgendwann war es ihm zu viel geworden, da beide ihn mehr oder weniger ignoriert hatten. Die hatte somit beschlossen, sich zurück zu ziehen, wissend, dass es einfach nichts brachte, den Vermittler zu spielen. Er war in sein Zimmer gegangen, hatte die Stereoanlage auf volle Lautstärke gedreht, um die schreienden Stimmen auszublenden, bevor er auf seinem Bett zusammengesunken war und dennoch hatte er weiterhin fast jedes einzelne Wort verstanden, bis er zu seinen Kopfhörern griff. Die beiden machten sich gegenseitig Vorwürfe, soviel hatte er noch mitbekommen, doch er verstand einfach nicht warum… bei Gott, sie hatten doch so schon genügend Probleme, warum dann auch noch solch ein unsinniger Streit? Das gemeinsame Abendessen war ebenfalls alles andere als harmonisch abgelaufen… die Anspannung zwischen ihnen einfach nur unerträglich, was dazu geführt hatte, dass er erneut geflüchtet war und die ganze Nacht hatte der Rothaarige kaum ein Auge zu gebracht, nur ständig darüber nachgedacht und auch jetzt ließ es ihn einfach nicht los. Ständig überlegte er, was er nur tun könnte, damit sich die Beiden wieder vertrugen, doch einfallen wollte ihm nichts… er war doch sowieso nutzlos, wie schon die ganze letzte Zeit. Wieder seufzte er leise, während er den Sender wechselte, jedoch inne hielt, als das Läuten des Telefons die sonstige Ruhe in der Wohnung zerbrach. Zuerst überlegte der Gitarrist, ob er überhaupt ran gehen sollte, aber außer ihm war ja keiner da… Kaoru hatte sich in seinem Arbeitszimmer verschanzt, soviel wusste er schon und Kyo… ihn hatte er heute noch gar nicht gesehen, aber wo als im Krankenhaus, sollte dieser schon sein? Also stand er nun doch endlich auf, ging zu der Telefonstation und entnahm dieser das mobile Gerät. „Ja?“ Man antwortete nicht sofort und er hörte ein tiefes Durchatmen, wollte nochmal was sagen, aber es meldete sich nun doch jemand. „Hier ist Shinya.“ Die riss die Augen auf, schluckte schwer und musste aufpassen, dass ihm das Telefon nicht aus den Fingern glitt… Er hatte mit Jedem gerechnet nur nicht mit dem Drummer, wusste so gar nicht, wie er jetzt reagieren sollte und schwieg, bis die Stimme erneut erklang. „Die? Bist du noch dran?“ Wieder schluckte er, räusperte sich, antwortete mit zitternder Stimme. „I… ich… Ja, ich bin noch dran.“ Er hörte wie der Andere seufzte, scheinbar fiel es Shinya genauso schwer, Worte zu fassen wie ihm. Bei Gott, es war so ein seltsames Gefühl, den Jüngeren jetzt am Telefon zu haben, nach allem was war, dennoch fasste er sich ein Herz. „Wie… wie geht es dir… euch?“ „Es geht schon… Toshiya ist heute aufgewacht.“ So recht wollte er seinem Freund nicht glauben, hörte sich dieser mehr als erschöpft an, doch die Nachricht über den Bassisten erfreute ihn. „Da… das ist schön.“ Wieder ein Seufzen. „Die, kannst du mir Kaoru geben?“ Die Frage war so zaghaft gekommen, dennoch nickte er, stellte erst nach weiteren Sekunden fest, dass Shinya dies ja nicht sehen konnte. „Ich… Natürlich, bitte warte kurz.“ Mit schleichenden Schritten bewegte er sich durch die Wohnung des Leaders, kam dann vor der verschlossenen Tür des Arbeitszimmers an, klopfte zaghaft, dabei das mobile Gerät in seiner zitternden Hand umklammert und wartete, dass sein Freund ihm öffnen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit erschien Kaoru endlich und wortlos hielt Die ihm das Telefon hin, war immer noch viel zu überrascht und aufgewühlt durch Shinyas Anruf. Der Ältere nahm es stirnrunzelnd entgegen, blickte dem Rothaarigen besorgt nach, als dieser sich sofort umdrehte und in einem der anderen Räume verschwand. Dann legte er den Hörer an sein Ohr, sprach mit ruhiger Stimme. „Hallo? Hier Kaoru am Apparat!“ „Kaoru… ich bin es, Shinya.“ ~~~~~ 8:57 Uhr Geräuschvoll atmete der Gitarrist aus, als er erkannte, wen er auf der anderen Leitung hatte und augenblicklich landete der Stift, welchen er bis eben noch in der Hand gehalten hatte, auf seinem Schreibtisch, bevor er sich in dem Bürostuhl davor fallen ließ. „Shinya, warum rufst du an? Ist irgendwas passiert?“ Schweigen, bis ihm der Andere doch noch zögerlich antwortete. „Nein, es ist nichts geschehen… doch ja, aber…“ Der Jüngere brach ab, bis er nur noch ein Seufzen hörte, dann wartete und nicht vergebens, denn Shinya sprach nach einem Moment auch schon weiter. „Ich rufe eigentlich nur an, um dir mitzuteilen, dass ich das Krankenhaus heute verlassen werde.“ Kaorus Augen weiteten sich, glaubte er, sich verhört zu haben. „Du wirst was? Shinya verzeih, aber denkst du, dass dies so eine gute Idee ist?“ Abermals erklang ein Seufzen durch den Hörer, ehe sich der Gleichgroße um eine Antwort bemühte. „Kaoru, ich kann nicht anders. Hier werde ich noch verrückt! Ich muss es einfach tun und in meine Wohnung zurück. Außerdem komme ich mir so nutzlos vor.“ Es war sehr selten, dass der Jüngere so offen über seine Empfindungen sprach und Kaoru erkannte, wie schlecht es diesem doch gehen musste und wie ernst es ihm war. Ihm war bewusst, er würde den Drummer nicht davon überzeugen können, doch dort zu bleiben. „Also gut, es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als deine Entscheidung zu akzeptieren, auch wenn ich nicht glücklich damit bin.“ „Ich danke dir.“ „Das musst du nicht, weil du eigentlich weißt, dass ich dagegen bin.“ Schweigen am anderen Ende und so glaubte er fast schon, das stumme Nicken seines Freundes zu sehen, wartete dennoch weiter ab, bis dieser etwas sagen würde, da er glaubte, das Gespräch wäre nun sowieso beendet. „Kao, es ist… Etwas passiert!“ Die Stirn des Leaders runzelte sich besorgt und er wartete darauf, das Shinya weitersprechen würde, was dieser nicht tat, weshalb er dann nachhakte. „Was ist passiert?“ „Toshiya…Er ist aufgewacht.“ Sofort schwand die Sorge auf dem Gesicht des Älteren, wich einem erleichterten Ausdruck. „Das ist schön, endlich eine gute Neuigkeit.“ „Nein.“ Dieses einzelne Wort ließ die Falten auf der Stirn Kaorus beinahe sofort wieder kehren. „Wie?“ Mehr brachte er gar nicht heraus, denn die Reaktion seines Gesprächspartners hatte ihn doch umgehauen. „Es… ja. Gott, ich war so froh, als er mich angeblinzelt hat… Aber alles danach…“ Geduldig wartete der Gitarrist wieder, bis der Jüngere weiter reden würde, ließ ihm Zeit, denn an dessen Stimme, hatte er nur allzu deutlich gehört, wie schwer es diesem fiel, überhaupt davon zu erzählen. Hoffentlich war es nichts allzu Ernstes. „Er hat mich angesehen und sein Blick wirkte so fragend… Ich habe ihm von den Geschehnissen berichtet, war ja so dumm und habe gar nicht darüber nachgedacht… Kao… Er hatte keinerlei Erinnerung an Schottland, London, die Tour und was auch immer. Warum nur habe ich ihm davon erzählt? Ich hätte es doch besser wissen sollen…“ „Shhht, Shin. Beruhige dich!“ Er bemerkte, wie sich sein Freund nur noch selber fertig machte, weswegen er wirklich alles daran setzte, dass dieser runter kam und mit seinen Selbstvorwürfen aufhörte. „Das kann ich nicht, verdammt… Er hat, wegen mir, eine Panikattacke bekommen und ich… stand nur hilflos daneben, konnte nichts tun! Sein Herz, es hat aufgehört zu schlagen und ehe ich mich versah, waren da nur noch Ärzte, bevor ich mich draußen auf dem Flur wieder fand. Wie soll ich mich da beruhigen? Was wenn…“ „Hör auf!“ Kaoru wusste genau, was der Drummer hatte sagen wollen, doch schnitt er ihm dass Wort ab, bevor dieser seine Gedanken auch nur laut aussprechen konnte, er wollte so etwas nicht hören. Er war ehrlich geschockt, von dem was passiert war, doch er musste einen kühlen Kopf bewahren, den Jüngeren beruhigen. Er wusste, auch ohne ihn zu sehen, wie fertig dieser war. „Shinya hör einfach auf! Es geht ihm gut, da bin ich mir sicher. Sonst hätte sich doch längst jemand aus dem Krankenhaus gemeldet.“ Natürlich würde er sich davon noch selbst überzeugen und gleich nach dem Telefonat ins Krankenhaus fahren, denn er war sich sicher, dass Shinya gar nicht mehr in der Lage dazu war, nach dem Bassisten zu sehen, weswegen er auch nicht fragte, warum dieser nicht einfach mit einem der Ärzte gesprochen hatte. Er erkannte spielerisch auch so die Gründe dafür. Der Andere war noch immer still, weshalb er glaubte, dass dieser ausnahmsweise auf ihn hörte. Doch beschäftigte den Gitarristen noch eine andere Frage, die er auch sogleich stellte. „Shinya, weiß Kyo davon?“ „Nein!“ Es hatte eine Weile gedauert, bis die, für ihn, negative Antwort kam und noch bevor er darauf reagieren konnte, würgte der Drummer ihr Gespräch ab, hörte der Leader nach wenigen Sekunden nur noch das gleichmäßige Tuten aus dem Hörer. Wütend und frustriert schmiss er das Telefon von sich… Er hatte es doch gewusst, der Zierlichere hatte das Telefonat beendet, noch bevor er diesen hätte überzeugen können, mit ihrem Vocal zu sprechen und er kannte die Beweggründe für dieses Handeln genau. Shinya wusste, sobald der Sänger von den Ereignissen erfahren und ihn in demselben Gefühlschaos wie Kaoru erlebte… dieser würde an ihm bleiben, wie ein Magnet und ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Und genau das wollte der Jüngere vermeiden. Kaoru spürte dies regelrecht, wusste, dass Shinya ihren Vocal garantiert davon überzeugen konnte, dass er allein klar kam. Er seufzte tief… Er sollte wohl noch heute mit dem Sänger sprechen und diesen informieren, denn sie konnten den Jüngsten in seinem derzeitigen Zustand nicht alleine lassen und er glaubte kaum, dass er Die zu Shinya schicken konnte. Die. Darum musste er sich auch noch kümmern, der Zweitgitarrist war vorhin so schnell verschwunden und unweigerlich machte er sich Sorgen. Seine Schultern sanken von Minute zu Minute weiter nach unten, je länger er sich das Ausmaß dieses Dramas vor Augen hielt. Er fasste in einem klaren Moment den Entschluss, ins Krankenhaus zu fahren und nach Toshiya zu sehen. ~~~~~~ 9:48 Uhr Es war still während sie fuhren, Kyo hatte das Radio nicht eingeschaltet und Shinya war froh über die Ruhe, er konzentrierte sich auf die Fahrgeräusche, die Art, wie die Reifen auf dem Untergrund lagen, wie der Wagen sich auf diesem bewegte. Seine Hände lagen ordentlich gefaltet in seinem Schoss, Kyo hatte ihm seine dicke Jacke gegeben, saß nun selber im Pullover da, die Heizung lief nur minimal, weil der Sänger wusste, dass ihm die trockene Luft Übelkeit bescheren würde und Shinya wusste, dass der Blonde das nur für ihn tat und dennoch konnte er seinen Dank nicht ausdrücken. Die Stärke, die er im Krankenhausflur hatte greifen können, um seine Entscheidung durchzusetzen, war verschwunden. Nun war er abermals hilflos, trieb dahin und wusste nicht wohin mit sich selbst, seinen Gedanken, seinen Gefühlen. An einer Ampel, strichen Kyos Finger sanft über die Seinen, umschlossen sie am Ende zärtlich, sodass er den Kopf drehte und zu dem kleineren Mann sah. „Möchtest du, dass jemand bei dir bleibt, jetzt und heute Nacht?“ Shinya sah seinen Freund einen langen Moment an und obwohl es einen Teil in ihm gab – der Teil, der ein kleiner Junge war und sich nichts sehnlicher wünschte, sich auf dem Schoss des Blonden zusammen zu rollen und zu weinen – der Kyo schon mit einer verzweifelten Sehnsucht in der Nähe haben wollte, schüttelte er den Kopf. „Nein.“ „Shinya...“ Wieder schüttelte er nur den Kopf, hob dann aus einem Impuls heraus die Hand, um sie an Kyos Wange zu legen... die Haut war so heiß unter seinen Fingern und machte ihm bewusst, wie verdammt kalt seine eigene war. „Du hast genug für mich getan. Fahr nach Hause und schlaf. Du brauchst es.“ Der Kleinere seufzte tief, nickte dann aber. „Lass mich dich wenigstens zur Tür bringen.“ Nun nickte der Drummer und Kyo sah wieder nach vorn, das Licht der Ampel hatte sich geändert und hinter ihm hupten die ersten Fahrer bereits. Der Rest ihrer Fahrt verlief ruhig, sie war zu schnell vorbei und als der kleine schwarze Wagen vor dem Block hielt, in dem sich sein Apartment befand, war sich der Drummer nicht einmal sicher, ob er die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf schaffen würde. Kyo nahm seine Tasche von der Rückbank, während er sich abschnallte und sich selbst anherrschte, endlich auszusteigen. Sein Blick noch immer auf das große gepflegte Gebäude gerichtet, welches so amüsiert auf ihn hinab zu starren schien, so als wollte es ihn fragen: 'Bist du dir sicher?' Nein, er war es nicht, definitiv nicht, aber er hatte dies hier verlangt und es war zu spät, sich heraus zu winden... auch wenn das Betteln, das Kyo ihn doch mitnahm, direkt auf der Spitze seiner Zunge lag, als sich die kleinen Finger des Sängers um seine eigenen Schmalen schlossen. Gemeinsam betraten sie den Komplex, er lebte Parterre, aus mehreren, sehr offensichtlichen Gründen, aber nun wünschte er, dass es höher gelegen sein würde, damit die Zeit, welche der Blonde an seiner Seite war, länger andauerte. Dieser stellte die Tasche leise ab, als sie vor seiner Tür standen – bei den Göttern, viel zu schnell! – drückte sanft seine Finger, während er sorgenvoll zu ihm hinauf sah, wohl zu entscheiden versuchte, wie verantwortungslos es war, ihn tatsächlich allein zu lassen. „Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du mich brauchst. Egal wann.“ Shinya nickte langsam, antwortete aber nicht – ihm war jetzt schon schlecht und er hatte nicht einmal die Schlüssel heraus gesucht. Die Stirn des Kleineren runzelte sich und dieser drückte seine Hand ein wenig fester, sah ihn dann durchdringend an. „Versprich es mir!“ Es geschah selten dass der Sänger etwas verlangte, gerade jetzt, und dass er es tat, zeigte nur zu deutlich, wie aufgewühlt dieser war, so dass Shinya abermals nickte und dieses Mal in der Lage war, etwas zu sagen. „Ich verspreche es.“ Sein Freund nickte, ernst und ganz kontrolliert. Dann schloss er ihn in die Arme, so sanft und zärtlich wie alles andere, das Kyo mit ihm tat und als er sich löste, sah Shinya die Tränen in den Augen, die der Sänger nicht bereit war fallen zu lassen. „Ich komme morgen früh und sehe nach dir.“ Ein allerletztes Zögern, so als würde Kyo hoffen, dass er seine Meinung noch änderte, aber Shinya konnte nicht zurückweichen, er war schwach, zu schwach und das hier sollte ihm irgendwie beweisen, dass er erwachsen und reif genug war, sich selbst in den Griff zu bekommen und endlich aufzuhören, die um ihn herum mit dem Gewicht seiner Unzulänglichkeit zu erdrücken. Also nickte er nur, hasste sich selbst dafür, dass er nicht mehr tun konnte und beobachtete, wie der Sänger ging, sich nicht noch einmal zu ihm umdrehte, aber er sah die bebenden Finger, als sie sich an der Ecke am Ende des Ganges gegen die Wand legten Shinya beobachtete es, tat nichts und hasste sich in diesem Moment noch sehr viel mehr. Es brauchte ein paar lange Sekunden bis er sich endlich regte, abermals musste er sich dafür ermahnen und dann schlossen sich seine Finger um das kühle Metall der Schlüssel, der Bund, an dem sie befestigt waren, so verdammt schwer und Shinya musste mental langsam bis zehn und wieder zurück zählen, bis er in der Lage war , den entsprechenden Schlüssel heraus zu suchen und ihn tatsächlich in das Schloss zu führen. Jeder Klick, mit dem das Metall tiefer sank, löste einen Schauer aus und dann drehte er den Schlüssel herum, entriegelte so die Tür und blieb dann einfach regungslos vor ihr stehen, die Hand noch immer fest um den Bund gelegt. Er knabberte auf seiner Unterlippe herum, ein nervöse Geste, die er erst im letzten Jahr entwickelt hatte, es nun schon unbewusst tat und erst als er ein Stück der empfindlichen Haut brach, spürte er es und konzentrierte sich, um es zu unterlassen. Dann stieß er die Tür auf. Die Stille seines Apartment begrüßte ihn, so vertraut und doch fremd – er fühlte sich, als sei er ein Eindringling in seinen eigenen vier Wänden und dennoch trat er in das Innere, stellte sanft seine Tasche ab, auch wenn er nicht nachvollziehen konnte, wann er sie überhaupt genommen hatte. Hinter sich schloss er die Tür, drehte den Schlüssel abermals herum, dieses Mal von Innen, dann schaltete er das Licht ein, zog den Schlüssel ab und hing ihn auf.. Sein kleiner Flur wurde dämmrig erhellt, nichts hatte sich verändert... außer der fehlenden Präsenz von Leben, doch das verdrängte Shinya harsch, er konnte jetzt nicht an Miyu denken, das würde er nicht ertragen und er schützte sich vor einem Zusammenbruch, indem er sich immer wieder sagte, dass sein kleines Juwel bei seiner Familie war, dass es ihr gut ging. Er belog sich und für eine kleine Weile würde es helfen. Das hatte es früher auch getan. Langsam tat er einen Schritt, genau ihm gegenüber befand sich die Küche, nach rechts konnte man dann in das kleine Wohnzimmer gelangen, doch nun gerade konnte Shinya nur auf die Photographien starren, die an den Wänden des Eingangsbereiches hingen – diese waren zu schmal für Möbel gewesen und damals waren alle von seiner Idee begeistert gewesen, inklusive ihm selbst, aber gerade nun bereute er bitter. Er kam einfach nicht an ihnen vorbei, musste sie anschauen und studieren, sie sahen alle so zufrieden aus... er und Die lachten miteinander über irgendeinen dummen Scherz, den Toshiya kurz vor der Aufnahme gebracht hatte, einfach damit sie sich einmal gehen ließen. Es waren Bilder von Kyô, wie dieser entspannt auf seinem Balkon rauchte, Kaoru, der auf seiner Couch schlief, auf dem Bauch ein Stapel an Akten und Toshiyas Hintern, weil dieser sich eben in diesem Moment auch hatte hinsetzen wollen. Shinya fühlte das Lächeln und er fühlte die Tränen, weswegen er sich abwandte, eine Hand vor dem Mund, suchend sich wieder zu beruhigen und als es ihm gelang, trat er in die Küche, holte sich dort ein Glas, welches er mit kühlem Wasser füllte. Er trank es in kleinen Zügen aus, es half ihm, sich zu fokussieren und dann streifte er Kyos Jacke von seinen Schultern, hängte sie über den Stuhl und sah sich dann um, nur um vor der Tür des Wohnzimmers erneut zu zögern. Shinya musste in diesen Raum gehen, wenn er sein Schlafzimmer erreichen wollte, aber hier drinnen würde ihn sein Drumset erwarten und er wusste nicht, wie er auf sein Instrument reagieren würde. Am Ende tat er es doch... er hatte schnell an den schönen Trommeln vorbei huschen wollen, aber wie immer verlangte es mit stummer, zärtlich fordernder Präsenz nach ihm, sodass Shinya zumindest über die einzelnen Teile streicheln musste. Sie waren so glatt und schön unter seinen bebenden Fingerspitzen, leise klirrten die High-Hat als seine Hand von diesen fiel – Shinya weinte, stumm unbewegt im Angesicht seines Sets, dass so lange auf ihn gewartet hatte und nun konnte er es noch nicht einmal benutzen, weil er zu schwach dazu war. Er fühlte sich, als hätte er es betrogen... sicher für andere mochte es nur ein Haufen an Membranen und Metall sein, aber er liebte sein Schlagzeug wie eine Geliebte. „Bitte verzeih mir.“ Seine Stimme war erstickt durch seine Tränen und er lehnte sich vor um die Stirn gegen die Basstrommel zu legen, dann floh er regelrecht in den benachbarten Raum, schloss die Tür hinter sich und sank dann an dieser herunter. Dort vergrub er die Hände in dem Haar und brach jämmerlich zusammen, bebte, weinte und schrie all seinen Kummer heraus, all seine Angst, seine Verzweiflung... so lange bis er heiser war, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Auf allen Vieren kroch er zu seinem Bett, schaltete dort die kleine Lampe ein, blinzelte selbst ob des schwachen Lichtes, dann zog er sich irgendwie auf sein Bett hoch, rollte sich da zusammen, unbekümmert dass er in Schuhen und Sachen war. Kraftlos zupfte er an der Decke, zog sie halb über sich und dann sackte er einfach weg, so plötzlich, dass es fast einer Ohnmacht gleich kam. ~~~~~ 9:55 Uhr Ein unfeiner Laut perlte von den Lippen des Violetthaarigen, bestimmt schon der Zehnte, seit er aufgebrochen war. Warum auch musste man einfach rücksichtslos auf die Straße rennen? Wofür gab es denn diese verdammten Fußgängerampeln, wenn sich keiner daran hielt? Kaoru seufzte, suchte sich wieder zu beruhigen, schließlich brachte es ja auch wenig, sich über unachtsame Fußgänger aufzuregen, ändern konnte er ja doch nichts. Nach dem Telefonat mit Shinya war der Leader in sein Schlafzimmer gegangen, wollte zu seinem Geliebten, hatte dieser doch sehr aufgelöst gewirkt, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Doch kaum hatte der Gitarrist die Tür geöffnet, wurde ihm schnell klar, dass Die nicht mehr da war, konnte er seinen Freund nirgendwo entdecken und die Wahrscheinlichkeit, der Rothaarige vielleicht nur auf der Toilette sein, stand bei Null… Er wusste einfach, dass dieser die Wohnung schon längst verlassen hatte. Mit hängenden Schultern verließ er den Raum wieder, wenn Die sich wenigstens dazu herabgelassen hätte, ihm eine Nachricht zu hinterlassen, doch nichts. Warum sollte es auch anders sein, als in den letzten Wochen? So langsam sollte sich der Ältere doch daran gewöhnt haben, dass Die von einem Moment auf den anderen einfach verschwand und sich für Stunden nicht blicken ließ. Überhaupt sollte er die ganze Angelegenheit nüchtern betrachten, denn schließlich war der Andere immer wieder gekommen, nach seinen nächtlichen Streifzügen, also hatte er doch auch keinen Grund zur Sorge! Der Leader wusste, dass er sich eigentlich nur etwas vormachte und war, so schnell wie möglich, von seiner Wohnung geflüchtet und fand sich in seinem Auto vor einer Ampel wieder. Eine der wenigen, vor welcher er gehalten hatte. Er hatte bereits mehrmals schlicht das Signal übersehen und war einfach über die Kreuzung gefahren, zu sehr in seine Gedanken vertieft, er wollte einfach vergessen. Bei Gott, er hätte gerne eine Ablenkung zu den Sorgen, die er sich um seinen Geliebten und die Anderen machte, gefunden, doch gleichgültig was er tat, nichts hatte sich bisher als hilfreich erwiesen. Allein, wenn er schon an ihren Bassisten dachte, schnürte sich seine Brust zu… Er hoffte nur, mit Toshiya war alles in Ordnung. Ein lautes Hupen ließ Kaoru leicht aufschrecken und er bemerkte, dass die Ampel schon längst auf Grün umgeschaltet hatte, fuhr dann auch sogleich los, nahm sich jedoch vor, ab jetzt etwas aufmerksamer und vorsichtiger zu fahren, denn er wollte das Krankenhaus als Besucher, nicht als Patient erreichen. Seine Schritte führten ihn durch die sterilen Gänge und er hörte jeden Schritt laut in seinen Ohren hallen, während ihm wieder dieser beißende Geruch nach Infektionsmitteln in die Nase stieg und eigentlich sollte man meinen, dass er sich mittlerweile daran gewöhnt haben musste, so oft wie er in der letzten Zeit hier war, doch Kaoru wusste, dass würde er nie können. Zielstrebig ging er in das Treppenhaus, welches ihn in das zweite Stockwerk führte, denn nachdem er sich an der Rezeption erkundigt hatte, wusste er, dass sein Freund noch immer in demselben Raum war, kannte den Weg also schon auswendig. Ob dies eine gute oder eine schlechte Nachricht war, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht einschätzen, aber zu seiner Erleichterung würde er den Jüngeren nicht auf der Intensivstation wieder finden. Er war schon froh darüber, dass der Bassist überhaupt noch auf der Krankenliste geführt wurde… denn wenn er ehrlich zu sich selbst war, Shinyas Worte hatten ihn mehr als erschreckt. Oben angekommen ging es nach links, kurz geradeaus, dann wieder rechts, bis er auch schon vor dem letzten Zimmer, der Nummer 504, stehen blieb. Für einen kurzen Moment zögerte der Leader Dir en greys die Tür zu öffnen. Was würde ihn im Innern erwarten? Er rief sich das letzte Bild, welches er von dem Schwarzhaarigen hatte, vor Augen, die reglose Gestalt, welche sichtlich abgenommen hatte, zwar nicht mehr so schrecklich blass war, wie noch zwei Wochen zuvor und auch nicht mehr an so vielen Instrumenten gehangen hatte, dennoch kein bisschen an den lebensfrohen Menschen erinnerte, den er eigentlich kannte. Kaoru gestand sich ein, dass er eigentlich Angst hatte, dort hinein zu gehen, besonders nach den, von Shinya geschilderten, Geschehnissen, dennoch fasste er sich langsam, atmete noch einmal tief durch, versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass es sicherlich nicht so schlimm, sondern nur besser sein würde. Immerhin war der Bassist endlich aufgewacht. Noch bevor er es weiter hinauszögern konnte, lag seine Hand auch schon auf dem Griff und der Violetthaarige trat sich mental in den Hintern… verdammt nochmal, er stellte sich doch sonst auch nicht so an, war immer gefasst und ließ nie eine Emotion nach außen dringen, also sollte er sich nun wirklich langsam zusammen reißen und ehe er sich versah, fand er sich auch schon im Innern des Zimmers wieder. Es war nicht sehr hell, durch die Vorhänge leicht abgedunkelt, aber der Gitarrist konnte alles erkennen, so auch das einzelne Bett, welches in mitten des Raumes stand, sowie die Person, die mit dem Rücken zu ihm lag. Mit lautlosen Schritten ging er näher heran, bewegte sich auf die andere Seite, um so in das Gesicht des Bassisten blicken zu können, nur um dann in seiner gesamten Bewegung zu verharren. Die Augen seines Freundes waren geöffnet, doch irgendwie… sie waren so trüb, schienen ihn gar nicht wahrzunehmen, sondern blickten starr gerade aus, auch dann noch, als er sich endlich fasste und einen Schritt näher kam, sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen ließ… Toshiya reagierte nicht. Die Stirn des Leaders runzelte sich, sein Gegenüber war doch wach, oder etwa nicht? „Toshiya?“ Auch darauf folgte keinerlei Reaktion, blinzelte der Bassist nicht einmal und Kaoru wusste nicht, wie er dessen Verhalten zu deuten hatte, dennoch blieb er äußerlich ruhig, sprach seinen Gegenüber erneut an. „Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst oder mich überhaupt wahrnimmst, aber… vielleicht spürst du meine Anwesenheit? Eigentlich hätte ich mir gewünscht, endlich wieder mit dir reden zu können, aber so…“ Kaoru seufzte, hatte es überhaupt einen Sinn, weiter zu reden? Sein Freund schien ja doch nichts mitzubekommen und dabei hatte er sich so erhofft, das es wenigstens einem von ihnen endlich besser ergehen würde, doch was er jetzt sah, konnte nicht enttäuschender sein… was war nur mit dem Jüngeren? Warum reagierte dieser denn nicht? Er war doch aus dem Koma erwacht? Soviel Fragen hämmerten durch seinen Kopf und noch bevor er sich diese vielleicht auch nur in irgendeiner Form hätte beantworten können, wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als sich plötzlich die Zimmertür öffnete. Sofort war der Kopf des Gitarristen zu jener Stelle geschnellt, erkannte er, wie ein in die mittleren Jahre gekommener Mann das Zimmer betrat, sich dann ihrer beider Augen traf, ehe sich der Ältere räusperte. „Nikura-san, guten Tag. Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind.“ „Dr. Nagoya, guten Tag… nun ja, ich habe mich auch nicht wirklich bei Ihnen angemeldet, bin also direkt hier hergekommen, als ich… Von den Geschehnissen erfahren habe.“ „Ich verstehe, Terachi-san hat Ihnen sicherlich von dem Vorkommnissen erzählt, nicht wahr?“ Der Violetthaarige nickte, hielt weitere Worte nicht von Nöten. „Nun gut, ich denke dass wir uns dringend unterhalten sollten, doch zuallererst möchte ich Herrn Hara untersuchen. Sie verstehen sicherlich. Wenn ich Sie bitten darf, für diesen Moment den Raum zu verlassen.“ „Natürlich.“ Entgegen seiner Worte, war der Leader keineswegs davon angetan, Toshiya mit dem anderen Mann alleine zu lassen, zumal er wissen wollte, was mit dem Jüngeren war, doch er übte sich in Geduld. Kaoru musste nicht allzu lange warten, da öffnete sich die Zimmertür wieder und er stand dem Arzt erwartungsvoll gegenüber, doch dieser schüttelte den Kopf. „Lassen Sie uns das nicht hier besprechen. Ich hoffe, Sie haben etwas Zeit mitgebracht?“ Nachdem er genickt hatte, redete der Arzt auch schon weiter, er wolle alles weitere gerne in seinem Büro bereden, zumal sich auch dort die gesamten Krankenakten jener Patienten befanden, die dieser betreute. Nach etwa fünf Minuten, blieb der Andere stehen, zog einen Schlüsselbund aus einer der Taschen seines Kittels und öffnete die Tür, vor welcher sie standen. Sie befanden sich nun in einem ganz anderen Bereich als zuvor, waren, vorbei an dem Schwesternzimmer, durch einen Flur, welcher nur für Angestellte zugänglich war, hier her gekommen. Der Ältere bat ihn, vor ihm einzutreten, was er auch tat, dann wartete , bis auch dieser herein kam, dabei die Tür wieder schloss und hinter seinem Schreibtisch Platz nahm, ehe er sich selbst Gegenüber von diesem in einen der Stühle sinken ließ. „Nikura-san, bevor ich anfange, wollen Sie vielleicht etwas trinken? Ein Wasser oder Kaffee, dann könnte ich einer der Schwestern Bescheid sagen.“ Der Violetthaarige schüttelte leicht den Kopf, seufzte dann leise, ehe er selbst zu sprechen begann. „Verzeihen Sie Dr. Nagoya, wenn ich etwas direkt sein sollte, aber ich bin nicht mit Ihnen gegangen, um ein Kaffekränzchen zu halten, sondern um zu erfahren, was mit meinen Freund ist, der mir genauso viel bedeutet, als wäre er mein eigener Bruder!“ „Das hatte ich auch nicht erwartet und vielleicht haben Sie meine Frage auch falsch aufgefasst, doch gleichgültig wie dem auch sei, ich möchte Sie nicht länger hinhalten und sicher verstehen Sie, wenn ich darum bitte, dass alles, was ich nun mit Ihnen bereden möchte, unter uns bleibt. Denn wie Sie vielleicht wissen, dürfte ich eigentlich keinerlei Informationen an Sie abgeben. Sie sind kein Familienmitglied des Patienten, doch ich konnte die Eltern Hara-sans nicht erreichen, sie wissen also noch nicht, dass ihr Sohn aus dem Koma erwacht ist. Allerdings halte ich dies für kein schlechtes Zeichen. Sie können sich selbst vorstellen, wie besorgt Familienmitglieder sein können, was nicht heißen soll, dass Sie selbst sich nicht dieselben Sorgen machen… doch Freunde gehen anders an die ganzen Probleme heran. Ein Grund, warum ich sie nun einweihen werde. Ein weiterer Grund ist, dass ich mir durch unser Gespräch ein paar Antworten erhoffe.“ Wieder nickte der Leader nur, während sich sein Gegenüber leise räusperte, dann kurz einen seiner Schränke öffnete und diesem eine Akte entnahm, darin blätterte, ehe sich ihre Blicke abermals kreuzten. „Nun gut, wo soll ich beginnen? Dass Herr Hara aus dem Koma erwacht ist, wissen Sie bereits und auch, dass er auf Ansprechen nicht reagiert. Wir konnten bis jetzt nicht die genaue Ursache für dieses Verhalten feststellen, doch vermuten wir einen schweren Schock. Sie müssen wissen, dass wir die Veränderung an dem Zustand Ihres Freundes nicht sofort bemerkt haben, sondern erst, als der Alarm im Schwesternzimmer ausgelöst wurde, da Herrn Haras Herzschläge sich rapide beschleunigt hatten und Grund zur Besorgnis auslösten…“ „Dann stimmt es, was Shinya gesagt hatte!“ „Wie?“ Kaoru war nicht bewusst, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte, doch sah auf, als er den fragenden Ton des Arztes vernahm. „Terachi-san,… Er sagte mir, das Toshiya, einen Herzstillstand erlitten hat.“ Die Augen des Arztes weiteten sich. „Grundgütiger, aber Nein. (!) Natürlich haben wir Terachi-san in dem Zimmer vorgefunden, nachdem der Alarm ausgelöst worden war, doch mit keiner Minute hat das Herz ihres Freundes aufgehört zu schlagen. Wie bereits erwähnt, hatte er eine Panikattacke, aber nichts weiter Gravierendes. Terachi-san scheint sich dies eingebildet zu haben… ein typisches Zeichen von Schlafmangel und ich bin überzeugt davon, dass er darunter leidet, aber darauf komme ich später zu sprechen. Was Hara-san betrifft, haben wir keinerlei Anhaltspunkte, was dessen derartige Reaktion hervor gerufen haben könnte, doch sind wir sicher, dass es an Terachi-san lag, doch ist es uns nicht möglich, dies zu beweisen, hat man uns jegliche Möglichkeit genommen, diesen zu befragen. Meine Frage an Sie ist, ob Sie uns vielleicht weiterhelfen können…um den Grund für den Zustand ihres Freundes zu finden!“ „Ich habe mit Shinya telefoniert, das muss nach dem Vorfall gewesen sein, doch bevor ich Ihnen davon erzähle, würde ich gerne wissen, wie Sie darauf kommen, dass er der Auslöser für Toshiyas Panikattacke war!“ Der Arzt nickte, schob die Brillengläser auf seiner Nase zurecht und faltete die Hände, ehe er seinen Kopf auf diese bettete. „Also gut Nikura-san, ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Das, was Ihren Freunden widerfahren ist, bezeichnen wir als schwere psychische Traumata. Was die beiden zusammen durchgemacht haben, war nicht einfach zu ertragen, deswegen haben wir sie getrennt behandelt, versucht jeglichen Kontakt zu vermeiden, da die Erinnerungen an das Erlebte immer wieder zu Schockreaktionen führen können. Es war nur zum Besten der Patienten gedacht, doch leider hat sich Terachi-san immer wieder unseren Anordnungen widersetzt, etwas, dass seinen eigenen Zustand nicht wirklich gebessert hat.“ „Ich verstehe, doch was hat das nun mit Toshiya zu tun?“ „Eine ganze Menge, Nikura-san. Wie Sie wissen haben wir Hara-san aus gutem Grund ins künstliche Koma versetzt, da er sehr schwer verletzt war, als er hier eingeliefert wurde. Glücklicherweise war unsere Maßnahme nicht umsonst und die Verletzung ist gut verheilt. Allerdings konnten wir, in Sachen Traumata, noch nicht das Geringste unternehmen, eben da wir noch warten wollten. Er sollte im Beisein der Ärzte erwachen, um seinen Zustand zu untersuchen und zu überwachen, doch dies ist nicht geschehen und erschwert uns nun zusehends die weitere Behandlung. Dazu sollten Sie vielleicht auch wissen, dass es durchaus vorkommen kann, dass ein Patient einen Teil seiner Erinnerung verliert, da das künstliche Koma eben diese beeinträchtigt. Andererseits kann auch alles in Ordnung sein. Unser Problem besteht darin, dass wir es nicht wissen und Hara-san nicht auf uns reagiert! Terachi-san war der einzig Anwesende, als ihr Freund erwacht ist und nur ein falsches Wort oder eine falsche Handlung, könnte Hara-sans Zustand ausgelöst haben, deswegen vermuten wir, dass Ihr Freund Shinya für das Verhalten des Patienten verantwortlich ist!“ Karou nickte nur, versuchte das eben Gehörte zu verarbeiten, ehe er leicht müde aufseufzte… Gott, stand es nicht schon so schlimm genug um sie alle? Musste das nun auch noch passieren? Sicher, der Arzt hatte auch Entwarnung gegeben, es stand nicht so schlecht um Toshiya wie zuvor vermutet, dennoch machte er sich Sorgen um ihn und auch um Shinya. Er beschloss, Dr. Nagoya von dem Telefonat mit dem Drummer zu erzählen, war sich sicher, dass dies weiter helfen könnte. Ihr Gespräch dauerte an, doch das war dem Leader egal, er wollte alles wissen und wenn es noch Stunden dauern würde und während der ausführlichen Unterhaltung, wurde ihm mehrmals angeraten, die Beiden psychologisch behandeln zu lassen, etwas dass Dr. Nagoya bei Toshiya wohl nach weiteren Untersuchungen auch gleich umsetzten würde, doch was war mit ihrem Drummer? Natürlich erfuhr er auch, dass der Jüngere, bisher jegliche Hilfe dieser Art abgelehnt hatte und wieder seufzte der Leader auf. Er kannte den „kleinen“ Sturkopf, wusste nur zu gut, dass, wenn sich dieser etwas in den Kopf gesetzt hatte, es dabei bleiben würde, aber wenn es doch nur zu dessen besten war? Nach einer gefühlten Ewigkeit, verabschiedeten sich dann voneinander und bevor er das Krankenhaus verlassen würde, wollte er noch einmal nach Toshiya sehen. Wie zu erwarten, reagierte der Bassist noch immer nicht auf ihn, also beschloss der Violetthaarige, nach zwei weiteren Stunden, das Krankenhaus zu verlassen. Mit hängenden Schultern ließ er das Gebäude hinter sich, dachte an die Unterhaltung mit dem Doktor zurück. Er musste dringend mit Kyo reden, wenn einer Shinya zur Vernunft bringen konnte, dann war es der Sänger. Ob dieser wohl wusste, wie schlecht es eigentlich wirklich um den Zierlichen stand? ~~~~~~ 12:33 Uhr Kyo schaltete den Motor aus, schnallte sich dann ab und ließ sich einfach nach vorne sinken, die Stirn gegen das Lenkrad gelehnt. Wie er hier sicher angekommen war, war ihm ein Rätsel, seine Gedanken, sein innerer Blick, zur Hölle, er selbst war ohnehin die gesamte Zeit über bei Shinya gewesen. Dessen Augen... Sie hatten ihn angeschrien zu bleiben, aber alles andere an dem Drummer hatte es verweigert und er war weggeschickt worden. Kyo hatte sich niemals zuvor miserabler gefühlt, als in diesem Augenblick. Seine Schultern bebten, ihm war nach weinen, aber seine Augen blieben trocken... er wusste nicht mehr, was er tun sollte. Erst war er machtlos gewesen, als die beiden Jüngeren so weit weg gewesen waren, dann war er zwar jeden Tag im Krankenhaus gewesen, hatte dort alles getan, was nötig war, aber es war niemals genügend gewesen – Toshiya erwachte nicht und Shinya... Shinya entglitt ihm mehr und mehr. Und je weiter sich die atemberaubende Persönlichkeit des Mannes, dem er hoffnungslos verfallen war, entfernte, desto größer wurden seine Schuldgefühle, seine Hilflosigkeit. Hier stand er nun... Shinya sagte ihm immer wieder, dass er ohne ihn nicht durchgehalten hätte, verrückt geworden wäre und doch waren diese Worte so leer und hohl. Oh er glaubte sie, sog sie regelrecht auf, aber statt Stolz und Freude die sie ihm bringen sollten, bohrten sie sich nur in dieses klaffende Loch in ihm. Es reichte einfach nicht. Das was er tat, alles was er tat... es reichte nicht. Seine Hände waren nutzlos und seine Stimme auch. Mit einem schweren Seufzen zog er den Schlüssel ab, steckte ihn irgendwie in die Tasche, als er die Tür öffnete und dem Wagen entstieg, ob er abschloss oder nicht, wusste er schon nicht mehr, als er sich mit schleppenden Schritten in Richtung des Wohnblocks auf der gegenüberliegenden Straßenseite bewegte. Ein paar Fahrer hupten äußerst erbost, als er ohne sich umzusehen über die Straße lief, doch er hob ihnen nur den Mittelfinger entgegen – sollten sie ihn doch platt walzen, wenn es ihnen danach besser ging. Er grinste bitter. Das würde eine schöne Schlagzeile geben und Kaoru würde den Herzinfarkt bekommen, der eigentlich schon längst überfällig war. Seine Schlüssel warf er auf den Küchentisch, als er in der Wohnung angekommen war... niemand außer ihm selbst war hier, was ihm gerade ganz Recht war, so musste er zumindest nicht erklären, warum er sich am frühen Nachmittag mit einer Flasche Whisky auf den nächsten Sessel im Wohnzimmer warf. Kyo machte sich nicht einmal die Mühe, ein Glas mitzunehmen, setzte gleich die Flasche an die Lippen – neben sich hatte er auch noch einen Wodka geparkt, falls die Wirkung der ersten Sorte nicht stark genug war. Doch, er hatte vor, sich bewusstlos zu trinken – vielleicht würden die verdammten Gefühle dann endlich aufhören zu bluten. Nach dem ersten brennenden Schluck überlegte er, ob er die Gardinen zuziehen sollte, es würde seiner Stimmung sehr viel besser entsprechen, doch am Ende war er schlicht zu träge, setzte lieber die Flasche noch einmal an. Der Whisky brannte auf seinen wunden Lippen, seiner Kehle, seinem ganzen Leib und er hieß das Brennen willkommen, denn es war ein anderes, gutes Gefühl, eines, das er endlich einschätzen konnte, weil es bekannt war. Er trank und er kannte die Konsequenzen. Er wusste, dass er die ganze Nacht kotzend über der Toilette hängen würde, wenn er denn überhaupt soweit kam, sonst würde es auch der Blumenkübel von Kaorus Palme tun. Sein Leader würde ihm die Leviten lesen und ihm vielleicht ordentlich eine knallen – je nachdem, wann ihn der Andere fand, aber es war ihm egal. Abermals trank er einen Schluck, hustete dann, weil es zu viel gewesen war, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und biss sich dann harsch auf die Lippen, um das Schluchzen gefangen zu halten. Verdammt, er hätte nicht gedacht, dass es schon so früh passieren würde, er konnte noch viel zu gut denken. Sein Blick fiel auf einen Zettel... Kaoru hatte diese kleinen, weißen Dinger wirklich überall und nun kamen sie ihm zugute, er griff sich einfach den ganzen Block und einen Bleistift, der ebenso akkurat angespitzt war, wie er es von Kaoru kannte. An dem Tag, an dem der Andere zuließ, dass etwas nicht in perfekter Ordnung war, würde eine riesige Hand vom Himmel danieder fahren und Kyo unter sich erschlagen – oder er würde einen solchen Tag schlicht rot im Kalender markieren. Wieder floss ein Schluck der braunen Flüssigkeit seine Kehle hinab und Kyo verzog zufrieden das Gesicht. Alles in seinem Kopf begann sich zu verwischen, wurde verschwommener und das Denken schwerer... sehr gut. Der Stift bewegte sich über den Zettel, er schrieb auf, was ihm in den Sinn kam, zeichnete... unter seinen morbiden, nicht mehr zu greifenden Emotionen kam eine Hand hervor, die wie zur Hilfe ausgestreckt war... aber ihre Finger fehlten und so war sie nutzlos. Eine schwere Kette legte sich um den wunden Rumpf, an ihr winzige bösartige Trolle, die mit spitzen Zähnen und glühenden Augen, Herzen in den kleinen, hässlichen Händen hielten. Vor Kyos Blick begannen sie zum Leben zu erwachen, huschten mit schaurigem Lachen von Papier zu Papier, rissen an Worten wie 'Hoffnung'; zerfetzen sie und zeigten ihm eine gänzlich andere Welt... sie zeigten ihm Shinya, seinen wundervollen Shinya, eingesperrt und so allein. Gefangen hinter dicken Streben aus Stahl und gleichgültig, wie sehr er sich auch bemühte, sich streckte, er konnte nicht durch sie hindurch reichen. Er schrie, tobte, rüttelte an den Gittern, bis er keine Kraft mehr hatte und keuchend auf die Knie sank, immer wieder Shinya rief, doch der Jüngere reagierte nicht, starrte in die Dunkelheit hinter ihm, ließ sich mehr und mehr von ihr umschlingen. Er schien nicht zu fühlen, dass er zu bluten begann, wo ihn die Schwärze berührte, die ihre Krallen in die helle Haut schlug und das Fleisch von den Knochen schälte. Er saß einfach da und verging. Und es gab nichts, dass Kyo dagegen tun konnte. End Part A Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)