Yeh Zindagi Hai. von elfogadunk (Neue Chance, neues Leben?) ================================================================================ Kapitel 18: Graue Maus mit blauen Flecken ----------------------------------------- Die folgende Woche war für Sudhir schon nicht mehr so stressig wie die erste, da nun alle Mitarbeiter eingearbeitet und mit ihren Aufgaben vertraut waren. Natürlich stand er als Leiter der Einrichtung immer noch jederzeit für Fragen bereit, doch die hielten sich nun in annehmbaren Grenzen. Mitte der Woche beschloss Sudhir, Kavita noch einmal einen kurzen Besuch abzustatten. Nach der Arbeit machte er sich sofort auf den Weg und stellte fest, dass es genau die Zeit war, wann auch Shruti Schulschluss hatte. Nach kurzem Zögern schlug er den Weg in Richtung Schule ein und erreichte sie gerade als es zum Unterrichtsschluss klingelte. Nach wenigen Augenblicken kamen bereits die Schüler aus den Klassenräumen geströmt und rannten Sudhir fast um, da er genau in der Mitte des Schultors stand. Nach ein paar Minuten und als die meisten Schüler verschwunden waren, kam auch Shruti (1) aus ihrem Klassenzimmer heraus. Zu Sudhirs Überraschung – und Enttäuschung – hatte sie zu ihrem `alten Ich´ zurückgefunden und sah wieder aus wie ein unscheinbares Mauerblümchen. „Chhoti Shruti!“, rief er und lief sicheren Schrittes auf sie zu, nachdem sie sich zum ihm umgedreht hatte. Erstaunt schaute sie ihn an. „Was machst du denn hier?!“, wollte sie wissen. „Musst du nicht arbeiten?“ Sudhir schüttelte den Kopf. „Ich hab heute ein bisschen eher Feierabend gemacht, damit ich Kavita besuchen kann. Und als ich zufällig hier vorbeikam, habe ich gesehen, dass du wohl auch gerade Schluss hast.“, erwiderte er und log bei seinem letzten Satz ein wenig. „Aber sag mal...“, fügte er hinzu. „... wieso hast du denn deine graue-Maus-Maskerade wieder ausgegraben?“ Shrutis Blick versteinerte einen Moment bei seinen letzten Worten. Sie fing sich allerdings schnell wieder und erwiderte: „Das ist einfach bequemer und geht morgens schneller...“ Diese Antwort stellte Sudhir alles andere als zufrieden, doch für den Moment wollte er es gut sein lassen und es lieber später noch einmal probieren, wenn sie mehr Zeit für ein Gespräch hatten. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, waren sie auch schon am Gasthaus angekommen. Sudhir hatte erwartet, dass Shruti weiter zu ihrem eigenen Haus gehen würde, doch sie ging mit ihm ins Gasthaus hinein. „Ist dein Mann nicht mehr da?“, rutschte es Sudhir heraus und sprach damit seinen Gedanken laut aus. Shruti schaute ihn daraufhin irritiert an. „Ähm... Ja. Atulji ist gestern wieder nach Delhi abgereist...“, antwortete sie und wandte sich dann sofort ab, um in ihr Zimmer zu verschwinden. Sudhir schaute ihr noch kurz nach und fragte sich, was mit ihr los war. Ihr Verhalten war äußerst seltsam und er konnte es sich nicht erklären. Lag es an ihm? Machte er sie mit seiner Anwesenheit nervös oder war es etwas anderes? Die Beziehung zu ihrem Mann schien auch nicht gerade die normalste zu sein. Also lag es vielleicht daran? Da er nicht das Gefühl hatte, Shruti darauf ansprechen zu können, beschloss er, Kavita danach zu fragen. Sie war schließlich die Person, die Shruti am nächsten stand. Kavita freute sich, als sie Sudhir erblickte. Sie bat ihn mit in die Küche und bot ihm auch sofort einen Tee an, den er dankend annahm. Anschließend bestand sie darauf, dass er bis zum Abendessen blieb. Sudhir nutzte diese Zeit, um die Fragen zu stellen, die ihn so brennend interessierten. Kavita zögerte erst, doch dann antwortete sie ihm und wählte dabei ihre Worte mit Bedacht: „Shrutis und Atuls Hochzeit war keine Liebeshochzeit, um ehrlich zu sein. Shrutis Eltern hatten sie arrangiert, um die Zukunft ihrer Tochter zu sichern, da Atul auf dem besten Wege war, der Beste seines Studienjahrganges zu werden und blendende Berufsaussichten hatte. Wenige Tage nach der Eheschließung verstarben meine Schwester und ihr Mann allerdings und niemand hatte mehr ein wachendes Auge auf diese noch so junge Ehe. Shruti und Atul hatten oft Meinungsverschiedenheiten wegen Shrutis Zukunft und ihrem Wunsch, Lehrerin zu werden. Außerdem wollte sie hier im Dorf bleiben, während Atul nach Delhi übersiedeln wollte. Shruti ist jedoch stur geblieben und so kam es zu dem Kompromiss, dass sie ihren Wunsch verwirklichen konnte, sie und Atul sich aber nur sehr selten sehen...“ Sudhir hörte sich alles aufmerksam an und begann langsam, alles zu verstehen. „Das heißt, die beiden sind schon seit fünf Jahren verheiratet?“, fragte er, woraufhin Kavita bestätigend nickte. „... und... ist Shruti glücklich...?“, wollte er vorsichtig wissen, doch noch bevor er eine Antwort bekam, betrat die Person, über die sie gerade so angeregt sprachen, den Raum und schaute die beiden mit einem seltsam durchdringenden Blick an. Gespannt warteten beide auf irgendeine Reaktion von Shruti, denn beide waren sich sicher, dass sie ihr Gespräch mit angehört haben musste. Anstatt etwas zu sagen, ging sie jedoch nur an ihnen vorbei und holte sich ein Glas Wasser. Anschließend verließ sie ohne auch nur ein einziges Wort gesagt zu haben die Küche wieder. Ratlos schauten sich Sudhir und Kavita an und wussten nicht, wie sie Shrutis Verhalten nun einordnen sollten. War sie sauer, weil sie hinter ihrem Rücken über sie gesprochen haben oder hatte sie tatsächlich nichts von ihrer Unterhaltung mitbekommen? Weder Sudhir noch Kavita konnte auf diese Frage eine definitive Antwort geben. Während des Abendessens herrschte denn auch eine gespannte Stimmung, auch wenn Kavita durch eine ungezwungene Unterhaltung erfolglos versuchte, die Situation ein wenig aufzulockern. Sudhir half nach dem Essen noch beim Abwasch, während Shruti sich in ihr Zimmer zurückzog. Anschließend verabschiedetet er sich auch schon und machte sich auf den Heimweg. Bevor er das Gasthaus verließ, warf er noch einmal einen kurzen Blick auf Shrutis Zimmertür und überlegte, ob er sich von ihr verabschieden sollte. Er entschied sich jedoch dagegen und ging. Kaum hatte er die Eingangstür hinter sich geschlossen und war ein paar Schritte gegangen, als er eine bekannte Stimme hinter sich sagen hörte: „Verabschiedest du dich nicht einmal mehr von mir...?“ Überrascht drehte er sich um und sah Shruti im Türrahmen stehen. Langsam kam sie auf ihn zu, nahm ihn an der Hand und setzte sich mit ihm zusammen auf die Bank, die vor dem Gasthaus stand. Erwartungsvoll beobachtete Sudhir Shruti und war gespannt darauf, was als nächstes kommen würde. „... Wenn du etwas über mich wissen willst, wieso fragst du mich dann nicht selbst?“, wollte sie wissen und schaute ihn fragend an. Sie hatte das Gespräch also doch gehört. „Würdest du mir denn ehrliche Antworten geben?“, antwortete er mit einer Gegenfrage. Shruti wandte ihren Blick ab. „... Das kommt auf deine Fragen an...“, gab sie zurück. „Das dachte ich mir...“, meinte er und konnte sich ein teils belustigtes teils enttäuschtes Lächeln nicht verkneifen. „Also gut. Dann sag mir... ob du glücklich bist...“, forderte er und sah sie dabei absichtlich nicht an, damit sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlte. Es dauerte eine Weile bis sie antwortete. „Ich... bin zufrieden...“ Ihrer zögerlichen Stimme konnte Sudhir entnehmen, dass sie log. „Mein Leben sieht anders aus, als ich es mir als Kind erträumt habe, das gebe ich zu, aber sag mir bitte, wem es nicht so geht...“, meinte sie erklärend. „Ich habe mich damit arrangiert und mache das Beste daraus...“ Sie schaute auf und blickte ihm unverwandt in die Augen. „Reicht dir das als Antwort?“ Sudhir musterte forschend jeden Millimeter ihres Gesichtes. Er wollte ihr gerade antworten, als sein Blick jedoch zufällig auf ihren Hals fiel, wo er im schwachen Licht der Straßenlaterne und halb von ihrem Dupatta bedeckt einen blauen Fleck entdeckte. Shruti sah seinen Blick und schob erschrocken den Stoff etwas höher. „Yeh kya hai?“, wollte Sudhir wissen und rückte näher an Shruti heran. „Kuch... kuch nahin...“, stammelte sie und wurde sichtlich nervös. „Shruti, aus welchem Grund hast du blaue Flecken am Hals?!“, hakte er noch einmal mit Nachdruck nach. „Das ist wirklich nichts, worüber du dir Gedanken machen musst...“, entgegnete sie und wollte aufstehen, doch Sudhir griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. „Sag mir nicht, dass das Atul war...“, presste er hervor und er spürte, wie plötzliche Wut in ihm aufstieg. Shruti drehte daraufhin ihren Kopf weg und schwieg. Diese Reaktion reichte Sudhir als Antwort völlig. Entschlossen stand er auf und schloss Shruti in seine Arme. Seine plötzliche Nähe ließ etwas in ihr zerbrechen und sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie klammerte sich fest an ihn und schluchzte hemmungslos. Als ihre Beine drohten nachzugeben, setzte Sudhir sich wieder mit ihr auf die Bank. Er hielt sie fest im Arm und hoffte, ihr so etwas Trost und Geborgenheit zu geben. Er konnte einfach nicht glauben, wie jemand so grausam sein und einer so wunderbaren Person absichtlich Schaden zufügen konnte. (1) http://i47.tinypic.com/21115bs.jpg Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)