Yeh Zindagi Hai. von elfogadunk (Neue Chance, neues Leben?) ================================================================================ Kapitel 4: Vorurteile --------------------- „Das duftet ja köstlich, Kavitaji.“, meinte Sudhir als er seinen Kopf zur Küchentür hinein steckte. Kavita drehte sich um und lächelte ihm zu. „Vielen Dank, junger Mann. Könnten Sie mir einen Gefallen tun und Shruti holen, damit sie den Tisch deckt? Sie kehrt gerade draußen vor...“ „Nein, nein. Ich werde den Tisch decken. Shrutiji kann ich danach immer noch holen gehen.“, unterbrach Sudhir sie und holte das Geschirr und Besteck aus dem Küchenschrank. Der Tisch war schnell gedeckt und so machte sich Sudhir auf den Weg, um Shruti zu holen. Wie Kavita gesagt hatte, war sie gerade dabei, die Straße vor der Eingangstür zu kehren. Für einen kurzen Moment beobachtete er sie stumm. Wieder trug sie ihre Brille, einen weiten Salwar und ihr Haar hatte sie nur lose am Hinterkopf zusammen gesteckt. Einzelne Strähnen fielen ihr ins Gesicht, sodass sie sie ein ums andere Mal zur Seite pusten musste. „Shrutiji?! Das Abendessen ist fertig...“, meinte er schließlich, woraufhin sie sich umdrehte, ihn anschaute und dabei kurz mit dem Handrücken über ihre Stirn wischte. „Mhm...“, gab sie nur knapp als Antwort und drängte sich an ihm vorbei ins Haus. Sudhir blieb noch einen Augenblick stehen und ballte seine Hände zu Fäusten. Was war denn nur mit dieser Frau los? Hatte er ihr unwissentlich irgendetwas getan? Sie reizte ihn und er hatte keine Ahnung, warum. Nichtsdestotrotz schluckte er seine Wut herunter und ging zurück in die Küche, wo Kavita gerade dabei war, das Essen auf die Teller zu verteilen. Shruti hatte bereits Platz genommen und würdigte ihm keines Blickes. „Morgen ist Samstag. Da werden Sie doch sicher nicht arbeiten müssen oder Sudhirji?“, wollte Kavita schließlich wissen, nachdem sie mit dem Essen begonnen hatten. „Ähm... Eigentlich nicht, denke ich...“, erwiderte Sudhir unsicher, denn eigentlich hatte er momentan sowieso keine festen Arbeitszeiten. „Wenn Sie wollen, kann Shruti Ihnen morgen das Dorf zeigen, damit Sie wissen, wo Sie hier alles finden können. Das wird hier ja schließlich Ihre neue Heimat, hai na?“, bot sie ihm an. Bei ihren Worten wanderte Sudhirs Blick zu Shruti, die ihre Augen verdrehte, aber nichts weiter dazu sagte. Der Vorschlag überraschte ihn, doch in Anbetracht dessen, dass er Shrutis Problem mit ihm herausbekommen wollte und es tatsächlich hilfreich sein würde, das Dorf zu kennen, willigte er ein. „Thik hai. Außerdem ist morgen Putztag. Da kann ich keine Gäste hier gebrauchen.“, gestand Kavita noch lachend ein und widmete sich dann dem Rest ihres Essens. Nach dem Abendbrot verabschiedete Sudhir sich wieder in sein Zimmer. Da es noch nicht sehr spät war und er nicht wusste, wie er sich sonst die Zeit vertreiben sollte, setzte er sich wieder an seinen Papierkram. Gemacht werden musste er schließlich so oder so. Als er sich schließlich gegen 22 Uhr dafür entschied, ins Bett zu gehen, beschloss er, sich vorher noch ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Auf seinem Rückweg fiel ihm auf, dass im Badezimmer noch Licht brannte. Eigentlich hätte ihn das nicht weiter gekümmert, doch in diesem Moment wurde das Licht auch schon gelöscht und die Tür wurde geöffnet. Das Erste, was er dann zu sehen bekam, war langes glänzend schwarzes Haar, das das Mondlicht – welches durch den offenen Innenhof ins Haus fiel – reflektierte. Als die Person sich dann umdrehte, kam ihm das schwach beleuchtete Gesicht bekannt vor, doch er konnte es nicht zuordnen. Sie blieb einen Augenblick stehen und schaute ihn an. Als sie schließlich näher kam, erkannte er, um wen es sich handelte. Shruti. Doch sie war vollkommen verändert. Sie hatte keine Brille auf, trug ihr hüftlanges leicht lockiges Haar offen und trug einen weißen Schlafsalwar. Ohne ein Wort zu ihm, lief sie an Sudhir vorbei und ließ ihn stumm vor Erstaunen alleine im fahlen Mondlicht stehen. Ein lautes Klopfen an seiner Zimmertür weckte Sudhir am nächsten Morgen. „Sudhirji, das Frühstück ist fertig.“, hörte er Kavita rufen und kurz darauf ihre sich entfernenden Schritte. Er streckte sich ordentlich, blieb aber noch eine Weile liegen und starrte an die Zimmerdecke. Er war verwirrt. War die Begegnung letzte Nacht tatsächlich passiert? War diese schöne Frau wirklich Shruti gewesen? Es erschien ihm alles wie ein weit entfernter Traum. War es tatsächlich möglich, dass ein Mensch so unterschiedlich aussehen und wirken konnte? Er bekam ihr Bild einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ihre wunderschöne, im Mondlicht beinahe geisterhafte Gestalt hatte sich in sein Gehirn eingebrannt und er war beinahe unfähig, an etwas anderes zu denken. Mühsam quälte er sich schließlich doch aus dem Bett, zog sich an, wusch sich im Badezimmer kurz das Gesicht und setzte sich anschließend an den bereits gedeckten Frühstückstisch. „... Shruti kahan hai, Kavitaji?“, wollte er wissen, nachdem er sich erfolglos nach ihr umgeschaut hatte. „Sie hat noch etwas in der Schule zu erledigen.“, antwortete Kavita, während sie Sudhir gegenüber Platz nahm. „Ich habe gesagt, dass ihr euch in einer halben Stunde am Schulgebäude trefft. Ich hoffe, das ist in Ordnung?“ „Ja, natürlich. Danke.“, erwiderte Sudhir sofort. Er konnte er kaum noch erwarten, Shruti zu sehen. Vielleicht hatte sie die letzten Tage nur eine schlechte Zeit gehabt und deswegen nicht besonders auf sich geachtet. Er sah schon von Weitem, dass er eines Besseren belehrt wurde. Wie sonst auch trug Shruti eine Brille und die Haare lose am Hinterkopf zusammengesteckt. Nur ihr Salwar sah etwas modischer aus als sonst. Er war hellgelb mit einfachen Stickereien am Saum. „Hey...“, rief er ihr als Begrüßung zu, doch sie reagierte nur mit einem kurzen Kopfnicken. „Also wenn Sie den restlichen Tag genauso viel mit mir reden, dann können wir uns diese kleine Dorfführung auch gleich sparen.“, meinte er angesäuert und steckte die Hände in seine Hosentaschen. „Kavita Aunty möchte, dass ich Ihnen das Dorf zeige, als werde ich das auch tun. Aber erwarten sie nicht, dass ich Ihnen darüber hinaus irgendwelche Aufmerksamkeit schenken werde...“, erwiderte sie kühl und setzte sich langsam in Bewegung. Irritiert schaute Sudhir ihr kurz hinterher und holte sie dann mit wenigen großen Schritten wieder ein. „Würden Sie mir verraten, was ich Ihnen eigentlich getan habe? Ich...“, wollte er wissen, doch Shruti fiel ihm ins Wort. „Oh, ich bitte Sie! Ich habe gesehen, wie lange Sie mit abwertendem Blick vor unserem Gasthaus gestanden und überlegt haben, ob sie nun hereingehen oder nicht. Stadtmenschen sind im Endeffekt doch alle gleich. Arrogant, überheblich und voller überzogener Ansprüche. Sie kommen her und denken, hier alles verändern zu müssen, nur weil es hier nicht so ist, wie Sie es sich vorstellen. Es...“ „Hey, Moment mal! Wovon reden Sie denn da? Sie kennen mich doch überhaupt nicht! Wie können Sie so eine festgefahrene Meinung haben über Menschen, die...“, wandte Sudhir verwundert über diese Vorurteile ein. „Ich denke nicht, dass es einen Sinn hat, mit Ihnen darüber zu diskutieren.“, brach Shruti ihr Gespräch so plötzlich ab, wie sie es begonnen hatte. Schweigend liefen sie einige Augenblicke nebeneinander her. Sudhir beschäftigte jedoch weiterhin Shrutis nächtliche Erscheinung und so beschloss er zu handeln. „Thik hai. Dann lassen Sie uns über etwas anderes reden...“, meinte er und stellte sich direkt vor sie, sodass sie stehen bleiben musste und einen kleinen Schritt zurückwich. Noch ehe sie reagieren konnte, nahm er ihr die Brille ab und löste die Spange aus ihrem Haar, so dass es in weichen Locken über ihre Schultern fiel. Völlig irritiert schaute sie ihn an. „Was soll das?!“, wollte sie voller Unverständnis wissen. Doch Sudhir war vollkommen fasziniert von ihr. Er brauchte einige Augenblicke bis er ihr antwortete. „Was das soll? Das könnte ich auch Sie fragen... Wieso `verkleiden´ Sie sich als unscheinbares Mauerblümchen, wenn Sie doch eigentlich eine solche... Schönheit sind?!“, wollte er wissen und betrachtete die feinen Züge ihres Gesichtes. „Unscheinbares Mauer...?“, erwiderte sie aufgebracht, doch die Röte, die in ihre Wangen stieg, war unübersehbar. „Ich denke nicht, dass es Sie irgendetwas angeht, wie ich mich anziehe oder gebe! Und jetzt geben Sie das wieder her!“ Mit diesen Worten riss sie ihm ihre Brille und die Haarspange aus der Hand und ging festen Schrittes an ihm vorbei. Sudhir konnte nicht anders, als über ihr Verhalten zu grinsen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)