Eisblume von Starwings ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Langsam krochen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne über den blutroten Horizont. Sie waren stille Boten eines lichten Tages, dem sich die Kreatur dort in den Schatten ganz und gar entzogen hatte. Zu groß die Angst vor der Enthüllung, sie konnte im Licht nicht verbergen wer sie war. Vorsichtig verfolgten die Augen jener Gestalt die Schatten vor den Häuserwänden, die gierig nach der Straße griffen und immer mehr von ihr in Besitz nahmen. Dünner und dünner wurde das Band aus Licht, wurde so fein wie Seide und verschwand dann mit der Sonne, um erst in der Dämmerung des folgenden Tages wieder den Kampf gegen die Schatten aufzunehmen, die sich dann eng an die kalten Wände schmiegten und auf ihre Chance lauerten. Auf der Straße verstummten die Stimmen, die Wagenräder der Karren standen still, der Markt war verlassen, Türen wurden ins Schloss geschoben und in den Fenstern begannen die Lichter von Kerzen und Öllampen zu tanzen. Noch unsicher tasteten bleiche aber feingliedrige Finger nach dem Rahmen der Pforte und schoben das dunkle Holz, welches nur mit dünnem Papier ausgekleidet war, zur Seite. Weiterhin misstrauisch spähten die haselnussbraunen Augen hinaus. Erst als sich nichts mehr regte, nicht einmal mehr die Zweige der Kirschbäume in den japanischen Gärten der oberen Häuser, betrat das Wesen die Straße und eilte sogleich den Pfad hinunter aus der Stadt heraus. Links und rechts des Weges waren Holzplatten über die Wasserrinnen des Ortes gelegt. Alte Zweige hingen schwer über die hohen hölzernen Mauern der Gassen und lautes Gegröle drang aus den Kneipen und Gaststätten. Auf den Pfannen der Dächer spielten ein paar Katzen miteinander und glitten lautlos in die Nacht davon. In der Nacht sind alle Katzen grau, jeder Mensch verkommt zu einem Schatten, den der andere nicht kennt. Freunde werden zu Fremden. Und deshalb bot die Nacht ihr Schutz, ließ sie in ihrem schwarzen Herzen verschwinden und barg sie vor jenen, die ihr nach dem Leben trachteten. Sehnsüchtig wanderte der Blick des Wesens nach oben zu den Sternen. Schwach nur fiel ihr bleiches Licht in dieser noch mondlosen Nacht von Himmel herab und die Wolken zogen lautlos gen Westen. Yachiyo drehte sich immer wieder um und vergewisserte sich, dass ihr niemand folgte. Es wäre fatal, wenn auch nur einer dieser vielen Menschen einen Blick auf sie erhaschte. Sie musste sich verbergen, musste das Spiel welches sie seit damals spielte, immer weiter treiben. Sie konnte nicht zurück, hingen doch unlängst selbst in Städten wie diesen, Bilder von ihr an den Wänden. Ob sich die Menschen hier vorstellen konnten, wie es war, von sich selbst verfolgt zu werden? Sie verspürte unweigerlich den Drang, das Bild von der Wand zu reißen. Sie konnte es einfach nicht ertragen. Sie war nicht mehr dieses Mädchen dort... Damals hatte vielleicht noch ein Lächeln die feinen Züge ab und an überrascht, aber das geschah nun schon seit Jahren nicht mehr. Ihr war es schleierhaft, wie ihr Vater es wagen konnte, sie so darstellen zu lassen. Wahrscheinlich hatte er dies nur getan, um über sie zu spotten. Sie wandte die Augen von dem Bild ab. Ihr langer Zopf schwang in der Bewegung mit und fiel ihr nach vorne, bis er auf ihrer Brust ruhen blieb. Auch ihr brauner Hakama folgte der harschen Drehung. Allein die Tatsache, dass Yachiyo beim Training immer einen Hakama und einen Keikogi getragen hatte, wie die anderen Männer im Dojo, hatte ihren Vater zur Weißglut getrieben und trotzdem... oder gerade deswegen, trug sie seither diese Kleidungsstücke. Obgleich der ungewöhnlichen Farbe, mochte er viel mehr verbergen, als das sie Aufsehen erregten. Die weite Jacke und die lange Ärmel hatten ihre Wunden und ihre Anspannung schon oft, vor neugierigen Blicken geheim gehalten. Sie schüttelte heftig den Kopf. Wieder glitt sie hinab in die tiefen ihres Bewusstseins und verlor sich in Kindheitserinnerungen, die sie gleichzeitig hasste und liebte. Es war fast ironisch. Wie konnte sie all die Erniedrigung und Angst ihrer Kindheit lieben? War es die Unbeschwertheit, die sie immer empfunden hatte, wenn ihre Mutter sie zärtlich in die Arme genommen hatte? Wie hatte sie so einfach sterben können und ihre einzige Tochter ihrem grausamen Vater überlassen können? Eine Träne stahl sich über ihr Gesicht. Verblüfft rieb sie sich die Wange und trocknete ihre Hand an ihrem Hakama. Wehleidig strich sie mit der Rechten über die beiden Schwerter an ihrer Seite. Das Katana an ihren Hüften schlug dabei bei jedem Schritt klirrend gegen das Wakizashi. Aus den Erinnerungen zurück in der Realität angelangt, begann sie endlich sich aus ihrer Starre zu lösen und lief durch die engen Gassen weiter Richtung Stadtgrenze.Größere Straßen mied sie und nutzte lediglich die Seitenstraßen, um sich ihrem Ziel zu nähern. Immer wieder blieb sie an den Ecken stehen und spähte umher, bis sie sicher war, dass niemand sie sehen würde. Die junge Frau achtete peinlich genau darauf, keine allzu deutlichen Spuren zu hinterlassen. Wer wusste schon, wem sie auffallen würden... Hatte sie Pech, waren es genau jene, die ihr Vater hinter ihr her gesandt hatte. Als ein Lichtstrahl an ihr vorbei fiel, duckte sich die Ronin und presste sich flach gegen die Wand. Auf der Querstraße liefen ein paar Polizisten vorbei. Doch so vertieft, wie sie in ihr Gespräch waren, bemerkten sie die junge Frau nicht und liefen einfach weiter. Flink und geschmeidig eilte sie zur gegenüberliegenden Straße und schaute kurz zu den Männern herüber, nur um zu prüfen, ob sie sich nicht doch noch entschieden sich umzudrehen. Doch nichts dergleichen geschah. So rannte Yachiyo weiter zum Tor und passierte die Stadtgrenze. Wie ein Schatten, der sich flink erst über einen niedrigen Stall stahl und dann über die Mauer hüpfte. Einen Moment verharrte sie auf den dunklen Ziegeln der Mauer und genoss den leichten Hauch des Windes, der ihr Haar nach hinten wehen ließ. Kurzzeitig konnte man im fahlen Sternenlicht ihr Gesicht sehen, bevor es wieder in den Schatten verschwand. Feine Züge, gerahmt von zwei langen Strähnen. Eine kleine Stubsnase und dann schmale und doch voll wirkende Lippen. Eine junge Frau, von eleganter und schlanker Gestalt, mit einem Herzen erfüllt von Angst und Augen, die voller Sorgen in die Zukunft blickten. Etwa zwei Tage hatte sie in der Stadt verbracht. Es gab einfach Dinge, die die Notwendigkeit eines kleinen Besuches mit sich brachten. So konnte man Medizin und frische Verbände, vorausgesetzt man legte Wert auf Qualität, nicht auf dem Land erstehen. Leichtfüßig hüpfte sie von der Mauer und rollte sich auf dem Boden ab. Augenblicklich ging ihr Blick nach rechts. Dort flackerten zwei Lichter dicht nebeneinander in der Dunkelheit und markierten die Wege der Torwachen. Nichts änderte sich an ihren Bewegungen, die sie gelegentlich ein wenig weiter hinaus führten. Sie fühlte wie die Anspannung und Angst langsam von ihr abfielen. Ihre Finger schlossen sich um die Scheide ihres Katana. Entschlossen spannte sie die Muskeln in ihren Beinen an und rannte los. Mit der Zeit waren die Lichter der Stadt hinter ihr immer mehr verblasst. Sie stand auf einem kleinen Hügel und starrte hinunter auf die kleinen leuchtenden Punkte. Vor ihr lag nun ein dichter Bambuswald, durch den ein frischer Wind wehte. Das Hokkaido Hochland hatte ihr lange genug Schutz geboten vor den Häschern ihres Vaters, doch selbst bis hier hin verfolgte sie mittlerweile sein Schatten. Konnte ihr Vater es nicht endlich auf sich beruhen lassen und sie freigeben? Waren ihm Tradition und Stolz wirklich wichtiger als seine eigene Tochter? Die junge Frau musste unwillkürlich lächeln, während ihre Augen sich mit Tränen füllten. Natürlich waren sie ihm das. „Ach Vater...“, hauchte sie leise in die Nacht hinein und hing noch eine Weile ihren Gedanken nach. Sie schauderte in der Kälte und ihr war es, als könnte sie den eiskalten Griff ihres Vaters spüren, wie seine dünnen Finger, nach ihrem inneren Licht griffen und langsam alles zu verschlingen drohten. Abermals schüttelte sich die Ronin, erholte sich jedoch von dem Gefühl und ging weiter in den Bambuswald hinein. Das Rauschen der langen filigranen Blätter erfüllte die Natur. Vereinzelt konnte sie kleine Vögel entdecken, die im Gehölz nisteten und die Köpfe im Schlaf in ihr Gefieder vergraben hatten. Es war so friedlich hier, auch wenn der Boden unter ihren Füßen aufgewühlt war von schweren Rädern. Breite Fahrrinnen hatten die Pferde der Landwirte in den Boden getrieben und markierten unweigerlich eine Straße, die so gar nicht an einen Ort wie diesen passen mochte. Seitlich des Weges und auch über ihm, gab es nichts als die grünen Zweige des Bambus. Mit einem Mal war die junge Frau ergriffen von einem seltsamen Gefühl und der Wind frischte kurz auf. Unweigerlich wanderte ihr Blick nach oben und sie sah, wie eine undurchdringliche Schwärze den Sternenhimmel Stück für Stück verschlang. Es wurde kälter und erst vereinzelt, dann immer dichter fiel der Regen hernieder auf den weichen Boden des Waldes, bedeckt von dichtem, totem Laub. Den Kopf gesenkt lief Yachiyo den Weg hinunter und spürte bereits feine Rinnsäle aus Wasser ihr Gesicht hinunter laufen. Ihre Sachen waren durchtränkt und klebten unangenehm an dem schlanken und hageren Körper. Ihre Rundungen waren nun deutlicher zu erkennen und die junge Frau fühlte sich unangenehm entblößt. Das leise Rauschen des Flusses neben ihr in der niedrigen Schlucht, war zu einem lauten Tosen angewachsen durch das viele Wasser, welches die glatten Felswände hinunter floss. Feiner Dunst steig hinauf und schlug sich an den Wänden nieder. Die Farne in den Felsspalten nickten emsig im Takt des Regens und hielten sich tapfer auf dem nackten Gestein. Auch der Bambus wurde schwerer und ließ die langen Blätter hängen. Auf dem Boden bildeten sich große Pfützen, deren Oberfläche aufgewühlt zitterte. Und dennoch genoss die Ronin ein Stück weit das Gefühl von Regen auf ihrer Haut und die Kälte, die langsam aber unaufhörlich in ihr hoch kroch. Es war ein angenehmes Gefühl, nach all der langen Zeit in den stickigen Häusern der Stadt, mit ihren rauchschwangeren Tavernen und Gaststätten und dem Parfüm der Geishas. Dieses Wetter hatte etwas reines und reinigendes. Sie fühlte sich wieder frei von all den beklemmenden Eindrücken der letzten beiden Tage. Plötzlich war da ein Geräusch, weit ab von dem monotonen Rhythmus des fallenden Wassers. Es verriet sich durch sein jähes Enden, als wäre jenem, der es verursacht hatte bewusst geworden, dass er sich soeben preis gegeben hatte. Yachiyos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, dennoch schritt sie einfach weiter voran. Es war das beste den Gegner nicht spüren zu lassen, dass man ihn entdeckt hatte. Genau horchte sie in die Dunkelheit der Nacht, doch konnte sie kein zweites Mal den verräterischen Klang vernehmen und war somit außer Stande die Situation richtig zu beurteilen. Sie musste nun darauf hoffen, dass der Gegner einen anderen Fehler machte, ansonsten war sie chancenlos und ein allzu leichtes Ziel. Doch noch immer ermahnte sie sich dazu ruhig zu bleiben und sich keine Blöße zu geben. Ihre Schritte wurden dennoch vorsichtiger. Ihre Augen begannen hin und her zu huschen, doch der Bambus schwieg, beugte sich nicht, knackte nicht, blieb stumm. Ein einzelner Blitz durchzuckte den Himmel und erleuchtete für Sekundenbruchteile die Umgebung. Mit einem Mal, schien alles seltsam grell und die weichen Konturen wurden scharf und rau, flimmerten für einen Augenblick und verschwommen dann wieder. Just in dem Moment, in dem das Donnergrollen erklang, drang das Sirren eines Pfeils an die Ohren der Ronin, jedoch erst so spät, dass es ihr nur knapp gelang dem Geschoss auszuweichen. Selbst in der Dunkelheit, war Yachiyo in der Lage, die Kranichfedern am Schaft des Pfeils zu erkennen und damit stand fest, dass sie es hier nicht mit irgendwelchen daher gelaufenen Söldnern zu tun hatte, dafür waren solche Federn viel zu kostbar. Sie atmete tief ein und aus und zog ihr Katana aus der Scheide. Langsam führte sie den rechte Fuß nach vorne und positionierte die Klinge so neben ihrem Kopf, dass sie eine Linie mit ihren Augen bildete. Es durfte keinen Fehler machen. Ein falscher Schritt und sie war tot! Wieder Pfeile, mehrere, kurz hintereinander abgeschossen. Dem ersten wich sie aus, mit einem kurzen Schritt nach rechts, der zweite verfehlte sie daraufhin und den dritten spaltete sie sauber in der Mitte, sodass beide Hälften auf der anderen Seite des Flusses in einem Bambusstamm stecken blieben. Doch der Schütze war mit Sicherheit nicht allein. Er musste einen Partner haben, der im Hinterhalt lauerte. Aber wie konnte die junge Frau ihn hervor locken, ohne einem von beiden ihre Deckung preis zugeben? Sie musste äußerst bedacht handeln. Die Pfeile waren von vorne rechts gekommen. Aber es war wahrscheinlich, dass der Bogenschütze bereits seine Position geändert hatte. Ihn ausfindig machen zu wollen anhand der Flugbahn der Pfeile, war also sinnlos. Wieder ein Angriff mit einem Geschoss, und wie erwartet aus einer anderen Richtung, jedoch nicht so weit von der vorigen Position entfernt, wie Yachiyo vorausberechnet hatte. Sie führte ihr Katana an die Seite ihres Körpers und hastete in den Wald hinein, wobei sie im zick-zack um den Bambus lief. Sie musste diesen Kerl auf Trab halten. Plötzlich huschte etwas an ihr vorbei. Eine andere Klinge raste aus dem Gebüsch auf die Ronin zu und zwang sie zu einer Parade, um ihre Beine zu schützen. Mit leisen und langsamen Schritten kam ein hagerer Mann auf sie zu. Er war ebenso gekleidet wie sie, nur das seine Ärmel kürzer waren und ihm so erlaubten lederne Armschienen zu tragen. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, bis ein neuerlicher Blitz hernieder fuhr. Seine Züge waren sehr kantig und seine eisblauen Augen starrten sie geradezu diabolisch an. Das Stirnband welches er trug, war an den Enden nicht gekürt und somit wehten hinter seinem Körper lange weiße Bänder hervor. Seine Haare selbst hingen ihm wild ins Blickfeld und schienen in alle Richtungen abzustehen. Es war ein seltsamer Anblick der sich hier der jungen Frau bot. Er brachte sich für einen Angriff in Stellung und brachtte die Klinge wie beim Kendo vertikal vor sich. Was wollte er damit bezwecken? Ein einfacher Stoß von Oben oder unten konnte sie leicht abblocken und bei seinem hageren Körperbau machte er auch nicht den Eindruck, als hätte er sonderlich viel Kraft. Was also hatte er vor? „Komm schon, greif mich an!“, schrie er ihr entgegen, mit einer rauen und schrill klingenden Stimme, die den Wahnsinn in seinen Augen widerspiegelte. „Du kamst um mich zu fällen, nicht anders herum. Ich habe keine Intention darin dich zu töten“, entgegnete Yachiyo kühl und beherrscht. Keine weiteren Pfeile, der Schütze wartete also noch. Eine Weile standen sich beide unbewegt gegenüber. Dann jäh, ohne ein besonderes Zeichen, griff der Schwertkämpfer an und seine Kraft war überwältigend. Trotz seines Erscheinungsbilds hatte er eine unglaubliche Stärke. Die Parade der Ronin wurde hinweggefegt, sodass ihr das Katana beinahe aus den Fingern glitt. Sie taumelte nach hinten und schlug gegen einen Bambusstamm. Nun gut, jetzt wusste sie um seine Fähigkeiten. Also.... Weiter kam sie nicht. Etwas umschlang sie von hinten und drückte sie immer fester gegen das Gehölz. Gleichzeitig spürte sie etwas spitzes an ihrer Seite. Woher war dieser kleine Mann so schnell gekommen? Sie hatte ihn nicht gehört, nicht einmal seine Gegenwart gespürt. Wie hatte er sich so geschickt anschleichen können? So sehr sie sich auch wand, sie vermochte den Griff nicht zu lockern. Vor ihr stand nun der Schwertkämpfer und hielt ihr seine Hand unter das Kinn. Fast schien es, als würde er sie küssen wollen, so nah führte er sein Gesicht an das ihre. Er stank widerlich aus dem Mund. Als er auch noch lächelte, hätte sich Yachiyo am liebsten an Ort und Stelle übergeben. Der Geruch wurde immer schlimmer und ihr wurden ein paar Zahnstummel präsentiert. „Verdammt... ich muss irgendwas tun. Ich komme fast an mein Tanto heran. Wenn ich nur noch ein bisschen mehr Freiheit in den Händen hätte.“ „Jetzt wind dich doch nicht so, Kleine. Ich werd auch ganz sanft zu dir sein“, spottete dieser widerliche Kerl über sie. Nur noch ein Stückchen, dann hatte sie das Messer. „Halt sie fester, Saburo.“ „Ist ja gut, Boss.“ Ihr Körper bäumte sich auf, als ein stechender Schmerz durch ihre Schulter zuckte. Wollte dieser Idiot ihr den Arm auskugeln? Jetzt hatte sie jedoch keine Chance mehr an das Messer zu kommen. Was sollte sie denn jetzt machen? War das ihr Ende? Wenn ja, was sollte dann aus der Freiheit werden, die sie sich so sehr wünschte? Sie biss sich auf die Lippen. Der Kerl hatte sich schon wieder zu weit von ihr entfernt, ansonsten hätte sie ihn getreten. Sie beobachtete ihn, wie er nachdenklich sein Schwert beobachtete. Das Katana hatte viele Scharten. Er musste schon unzählige Kämpfe hinter sich haben. Fieberhaft überlegte die junge Frau, wie sie sich aus dieser Situation heraus winden konnte... Moment mal, sie hatte die Beine ja noch frei und außerdem war der Boden aufgeweicht und glitschig. Vielleicht... „Na los! Bring mich endlich um!“, forderte die Ronin und blickte ihrem Gegenüber wütend in die Augen. Doch dieser hatte diesen Anstoß nicht mehr gebraucht und führte einen gewaltigen, diagonalen Hieb aus. Im letzten Augenblick ruckte die junge Frau zur Seite und bekam sich fast komplett aus der Angriffslinie. Saburo hatte auf dem glitschigen Untergrund nicht genug halt gefunden um sich dagegen zu stemmen und war ein Stück weit mitgezogen worden. Er kniete nun im Matsch und war etwas verdutzt, als die Klinge seines Kumpanen nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt in den Matsch fuhr. Blitzschnell hatte die junge Frau wieder ihr Schwert bereit und zog auch ihr Wakizashi aus der Scheide. Mit zwei Waffen würde sie mit diesen Gegnern besser zurecht kommen. „Steh auf du Idiot“, brüllte der Schwertkämpfer und sein kleiner Freund wirkte wie ein aufgeschrecktes Wildschwein. „I... ist gut, Takeru-sama“, winselte der kleine Mann und holte eine Feuerwaffe hinter seinem Rücken hervor. Das verkomplizierte die Angelegenheit. Er durfte auf keinen Fall zum Schuss kommen. Doch viel Zeit zu reagieren blieb Yachiyo nicht. Die Klinge des Schwertkämpfers fuhr herunter und Funken schlugen in die Luft, als die Waffen aufeinander prallten. Sie musste es einfach riskieren. Sie stürzte zu dem kleinen Mann und schlug ihn mit roher Gewalt nieder. Es war ein leises Knacken zu hören, als ihr Knie gegen seinen Schädel donnerte. Eigentlich hatte sie ihn mit dem Katana treffen wollen. Doch im letzten Moment hatte sie es nach hinten über ihre Schulter führen müssen, sodass Takerus Stoß nur durch ihre Schulter drang und nicht durch ihr Herz. Mit Respekt schielte der Mann auf die Spitze des Schwertes, das nur Millimeter vor seinem Augen gestoppt hatte. Die Ronin verzog das Gesicht vor Schmerz und hustete ein wenig Blut hoch. Der Stoß hatte die Lunge gestreift, aber die Wunde war nicht tödlich. Glück gehabt. Sie sprang nach vorne und ließ die Klinge somit selbst aus ihrem Körper dringen, bevor der Schwertkämpfer eine Chance dazu gehabt hatte, sie von dort aus abwärts oder aufwärts aufzuschlitzen. Yachiyo wirbelte herum und wischte sich mit der rechten Hand das Blut von den Lippen. Unter ihr stöhnte Saburo und versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch er sank einfach bewusstlos zusammen. „Das wirst du bereuen!“, schrie Takeru und preschte auf die junge Frau zu. Dieses Mal parierte sie sauber und stieß gleichzeitig mit ihrem Wakizashi zu Der direkte Stoß fuhr in die Faust des Mannes und der Knauf seines Katanas kam mit beängstigender Schnelligkeit auf sie zu. Sie zog die Klinge wieder aus der Hand heraus und lenkte den Knauf nach oben mit ihrem Katana ab. Doch der Kämpfer vor ihr ließ ihr keine Pause und schickte sie mit einem Fausthieb gegen die Magengrube zu Boden. Würgend und zitternd versuchte sie sich aufzurichten, doch ein weiterer Tritt gegen ihren Oberkörper schleuderte sie gegen den nächsten Baum. Nur verschwommen sah sie ihn auf sich zukommen. Ihre Hände klammerte sich um ihre Waffen, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie nahm wahr, wie das Katana des Mannes von oben auf sie zukam, doch dieses Mal streifte es sie nur, als sie unvermittelt zur Seite rollte und ihr Wakizashi von unten in sein Bein bohrte. Doch zu langsam kam sie wieder auf die Beine, als dass sie diesen Treffer zu ihrem Vorteil hätte ausnutzen können. Takeru fluchte und tobte und traktierte in immer kürzeren Abständen ihren Körper mit Schlägen und Hieben. Viele konnte sie blocken, aber lange nicht alle. Sie spürte wie ihr Blut ihren Körper hinabrann und sich mit dem Regen auf ihrer Haut vermischte. Arm und Hüfte brannten und die Schulter war bereits fast taub. Schwer atmend standen sich nun beide gegenüber. Yachiyo spürte eine innere Wut in ihr hoch kochen. Wie hatte sie heute nur so versagen können? Wenn es hier und jetzt enden musste, dann wollte sie ihren Traum nicht verraten, sondern wie eine richtige Samurai sterben, mit der Schwert in der Hand, ohne etwas zu bereuen. „Das reicht ihr beiden“, schaltete sich aus dem Hintergrund eine weitere Stimme ein, „Ihr wart furchtbar anzusehen. Ich kann nicht glauben, dass ihr so versagt habt.“ „Aber Meister...“, wimmerte der Schwertkämpfer plötzlich und humpelte einige Schritte zurück. „Nichts... ich will Nichts mehr hören. Ihr habt mich bitter enttäuscht. Geht mir aus den Augen.“ „Wie ihr wollt...“, grummelte Takeru und schleifte seinen Kumpanen hinter sich her. Yachiyo sah den Mann in den Schatten erschrocken an. Eine furchtbare Ahnung übermannte sie und verbannte ihre Entschlossenheit wieder in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie diesem neuen Gegner nicht gewachsen war... oder vielmehr, dass sie erst gar nicht gegen ihn anzutreten vermochte. Sie kehrte dem Szenario den Rücken zu und rannte einfach davon. Vielleicht konnte sie auch einfach nicht anders. Vor ihrem Vater war sie damals auch geflohen. Sie hörte die Schritte ihres Verfolgers nicht einmal. Erst am Rand der kleinen Schlucht kam sie zum stehen und starrte wie hypnotisiert auf die unruhigen schwarzen Fluten. Immer wieder hob und senkte sich der dunkle Boden unter ihr. Sollte sie springen? „Du enttäuschst mich, Yachiyo... oder sollte ich sagen... große Schwester?“ Ruckartig drehte die junge Frau sich um und starrte den jungen Mann an. Das war es also gewesen, was sie gespürt hatte. Auch wenn sie seine Gestalt nicht erkannt hatte, so doch die vertraute Seele aus ihrer Kindheit. „Yoshio?“, stammelt sie und konnte nicht glauben, wer dort vor ihr stand. „Es tut mir Leid, Yachiyo... aber Vater hat es mir befohlen.“ Tatsächlich schwang in seiner Stimme so etwas wie Bedauern mit. So glaubte sie seinen Worten ein Stück weit. Ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Brust und sie steckte ihre Schwerter wieder zurück in die Scheide. Wenn sie sterben musste, dann konnte sie es verkraften wenn er es tat. Sie würde ihn nicht dafür hassen. Yachiyo konnte sehen, wie etwas in den Augen ihres Bruders zu glänzen begann, ob es Tränen waren, mochte sie nicht zu urteilen. Langsam kam er näher auf sie zu und umarmte sie, während er sein Katana hervorzog. Es ähnelte dem seiner Schwester sehr. Dieselbe Form und Farbe hatte es. Nur das Tsuba war anders gestaltet. Seines trug als Verzierung keine weißen Kraniche, so wie sein Vater es zuerst für ihn vorgesehen hatte, sondern zwei Tiger, der eine dunkel, der andere hell. Die beiden Tiere schienen in einem endlosen Kampf gefangen zu sein und umkreisten einander, wie die beiden Hälften von Yin und Yang. „Vergib mir Schwester“, hauchte er ihr ins Ohr und stieß zu. Das Katana drang durch ihren Unterleib und brach auf ihrem Rücken wieder hervor. Mit einem Ruck glitt es wieder hinaus und Tropfen um Tropfen, perlte ihr Blut von der Klinge ihres Bruders. Kraftlos fiel sie nach hinten in die Schlucht. „Warum... Yoshio?...“, formten ihre Lippen lautlos. Die Welt wurde finster und eisig. Dunkelheit griff nach ihrem Körper und endloser Schmerz. Noch immer umklammerten ihre Finger die Waffen, die sie damals ihrem Vater entwendet hatte. Jene Waffen, die für ihren Bruder Yoshio gedacht waren. Keine Hand reckte sich ihr entgegen und das letzte, welches Yachiyo sah, war ihr Bruder, wie er den Blick von ihr abwandte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)