Spiel nicht mit mir! von Fujouri (Denn die Liebe ist [k]ein Spiel [8059]) ================================================================================ I. Kognition ------------ Begriffserklärungen: Kognition = Erkenntnis ; Quisquilien = Kleinigkeiten, Nichtigkeiten ; Benefit = Gewinn (laut Quellen das Gegenteil von Defizit oô) ; Juudaime = Zehnter (Hayato spricht Tsuna ja immer so an) ; Ohayô gozaimasu = Guten Morgen! ; Baka = Idiot Sonst sollte eig. alles klar sein. Falls nicht, einfach googeln oder nachfragen.^^ --- Es gab gewiss so manche Quisquilien, die der fünfzehnjährige Schüler Gokudera Hayato nicht auszustehen vermochte. Dazu gehörte beispielsweise seine gesamte Klasse (mit Ausnahme von Tsuna natürlich!). Nennenswert - nein, falsch, eigentlich alles andere als das - waren vor allem die ewig giggelnden und hoffnungslos herumschwärmenden Mädchen, die meinten, ihn von vorne und hinten gleichzeitig umgarnen, ihn mit Valentinstaggeschenken übersähen und zu allem Übel auch noch bis vor seine Haustür verfolgen zu müssen. Elendige Stalkerinnen, die sich einer angemessenen Grenze definitiv nicht bewusst waren und einfach nicht verstehen wollten, dass er einen absoluten Interessemangel an dummen Gören wie ihnen hatte. Dann waren da noch die ein oder anderen Lehrkräfte - überwiegend sein Mathepauker fiel ihm negativ ins Augenmerk; immerzu klatschte er Fehler in Aufgaben, die aus seinem eigenen verkorksten Hirn entsprangen, was des Öfteren schon zu heftigen Diskussionen zwischen ihm und dem Teenager geführt hatte - Hayato war ein gottverdammter Perfektionist, wenn es um das Fach Mathematik ging, er liebte die Struktur, er liebte die Rationalität, er liebte die Logik und die vielen Zahlen, und wenn es auch nur irgendeine wandelnde Suboptimalität wagen sollte, an besagtem gottverdammtem Perfektionisten herumzumäkeln, war es mit der defensiven Antipathie vorüber. Und um den krönenden Abschluss missraten und vollkommen zugleich zu machen, existierten da noch die Sportler. Ganz genau, die Sportler, diese blamablen, hirnamputierten, überflüssigen Sportler, deren Niveau nicht einmal dem eines Affens Konkurrenz machte und die einzig und allein dazu fähig waren, sich kiloweise unnötiger Muskeln anzutrainieren, um ihre physischen Leistungen zu verbessern, während sie zugleich ihren psychischen keinerlei Beachtung schenkten - einfach nur zum Drauf herabblicken vorhergesehen. Und wenn Gokudera ganz genau über letzteres Phänomen nachdachte, beschränkte sich seine Abneigung gegenüber Sportlern auf ganz genau eine verachtungswürdige, immerzu gut gelaunte, stetig lächelnde und absolut überhaupt nichts in ihrem Umfeld als ernstzunehmend oder gar real wahrnehmende Person, deren alleinige Präsenz die Fähigkeit besaß, ihn in Rage zu versetzen: Yamamoto. Yamamoto Takeshi, um das Kind mal beim vollständigen Namen zu nennen, und den Begriff ‚Kind‘ konnte man hier wahrlich als Wortspiel durchgehen lassen - dieser verdammte Baseballfreak war zumindest geistig irgendwo in Richtung Kindesalter hängengeblieben, wie Hayato zu behaupten wagte. Nein, er konnte diesen schwarzhaarigen Sushirestaurantbewohner einfach nicht ausstehen. Allein schon angefangen bei seiner dümmlichen Art zu denken, alles, was um ihn herum geschehe, sei nur ein Spiel, das in der Regel auch noch Spaß mache. Das Leben war weiß Gott kein Spiel, nein, definitiv nicht, es war der bittere Ernst, das nackte Überleben, eine beständige Herausforderung, ein authentisches, reelles Ereignis, das den wohlverdienten Respekt aller Menschen verdiente! Doch dieser Baka stellte natürlich alles auf den Kopf und verdrehte die Tatsachen in fatale Richtungen. Bereits an dieses stetig besonnene Gesicht, das mit dem Sonnenscheinlächelbenefitsyndrom infiziert war, zu denken, bereitete Hayato ein unangenehmes Erschaudern; diese Friedfertigkeit, diese Ruhe, diese Ausgeglichenheit, die in dem Ausdruck des karamellbraunen Augenpaars lagen, passten ihm schlichtweg nicht in den Kram. Und dann war da noch ein immenser Grund, der die bereits genannten doch schon beinahe in den Schatten stellte: Yamamoto Takeshi war, wenn auch unbewusst, sein Rivale. Sein Rivale, der - ebenso wie er - um die Position der rechten Hand einer verehrten Person kämpfte, und verdammt, dieser hohle Sportjunkie hatte mit seiner primitiven Art schon so manche Pluspunkte abgesahnt! Juudaime hatte mit Sicherheit nicht so einen Idioten an seiner Seite verdient! Und ganz genau das galt es unter Beweis zu stellen - was gäbe es auch sonst für einen Beweggrund, sich einen solchen Volltrottel als Rivalen auszusuchen? Heute war mal wieder einer dieser Tage - ein Montag, um genau zu sein -, die von Grund auf verabscheut gehörten. Das Ende des Wochenendes, der Beginn eines neuen Schultages - inmitten dieser wahnwitzigen Klasse, wohlgemerkt! Und um der miesen Laune noch eins draufzusetzen, fing ihn der wohl Wahnwitzigste aller Wahnwitzigsten aus seiner wahnwitzigen Klasse bereits auf dem Weg zur Schule ab. Urplötzlich legte sich eine große Hand auf Hayatos rechte Schulter, begleitet von einem freudigen „Ohayô gozaimasu, Gokudera-kun!“, das dem Angesprochenen mehr als nur missfiel. Bei der unerwarteten Geste fuhr der Italiener erschrocken herum, und als er seinen Rivalen in persona vor sich stehen sah, packte ihn sogleich die - wie er meinte - Wut, die sich durch ein schnelles Herzklopfen und ein gänsehauthervorbringendes Erschaudern äußerte. Sofort griff er nach dem leider nicht fremden Handgelenk und ließ es von seiner Schulter verschwinden. „Verzieh‘ dich, Baseballfreak!“, knurrte er und verschränkte abweisend die Arme, doch als hinter dem Sportler auf einmal der kleinere Tsuna zum Vorschein kam, änderte sich seine Laune schlagartig. Mit einem fast schon schmierig freundlichen Lächeln bemerkte er: „J-Juudaime, ohayô!“ „Gokudera-kun“, gab der Zehnte nur erkennend Antwort, und als Hayatos Blick wieder zurück auf Mr. Sonnenschein wanderte, verkrampfte er missmutig die Augenbrauen und grummelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin, woraufhin der andere nur ein nonverbales Grinsen entgegnete, und die drei Schüler traten ihren Weg geradeaus in Richtung sechsstündige Langeweile an. Oh ja, und wie langweilig diese sechs Stunden waren - vor allem die zwei Stunden Sport, in denen Yamamoto mal wieder alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er war nun mal ein begnadeter Baseballspieler, und dass heute gerade diese Sportart thematisiert wurde, machte die Sache nicht gerade besser. Hayato hielt sich im Hintergrund und zog erst gar nicht in Erwägung, sich auf ein Match mit diesem Kerl einzulassen. Denn mit das Einzige, was Gokudera im Leben als Spiel erachtete - nämlich den Sport -, war für Yamamoto keineswegs nur ein Spaßmacher, sondern der todsichere Ernst. Und das wollte und konnte der andere nicht nachvollziehen. Sobald Takeshi einen Baseballschläger in der Hand hielt und ein Ball auf ihn zugesaust kam, verlor sein Gesicht an imaginären Sonnenstrahlen, wurde stattdessen ernst, selbstbewusst und konzentriert - als würde er erst in diesem Zustand richtig zu leben beginnen. Als sei dies sein wahres Leben. Dieser Wandel war beinahe beängstigend, doch natürlich ließ sich das Hayato nicht anmerken. Eines stand allerdings fest: Obwohl er diesen Blick mindestens genauso wenig leiden konnte wie den im Normalzustand, tat er eine gewisse Wirkung auf ihn, die er nicht effizient einzuordnen vermochte. Es fühlte sich stechend, direkt ins Schwarze treffend, verwirrend und... irgendwie schmerzend an. Was auch immer es war - es war lästig! Ein langwidriger Schultag hatte endlich sein Ende gefunden, das zu allem Übel auch noch in bittere Immensität herausgezögert worden war, weil Gokudera seine Wut mal wieder nicht im Zaum gehalten und einen Lehrer ‚etwas‘ zu offensiv darauf hingewiesen hatte, dass Juudaime kein wandelnder Mathematikfail war, sondern schlicht und einfach einen schlechten Tag erwischt hatte, weswegen Hayato zu zweistündigem Nachsitzen abgedonnert worden war. Um seinen Zorn darüber minimal zu zügeln, schob er all das Unheil einfach auf die Tatsache, dass heute Montag war - dieser Tag hatte noch nie irgendetwas Gutes beschert, und ganz genau diese Aussage würde sich nun ein weiteres Mal bestätigen... Entnervt schleppte sich Gokudera aus dem Schulgebäude, schlenderte anschließend aus selbigem Gelände heraus und setzte - die Zigarette im Mund, die Hände in den Hosentaschen, die Nerven am Ende - zum Heimweg an, der allerdings eine schlagartige Wendung nahm, als ein gewisses Subjekt wie aus dem Nichts auf ihn zugelaufen kam. „Yo, Gokudera-kun! Wie war das Nachsitzen?“ Verwirrt starrte Hayato seinen - und er hasste es jetzt schon - Begleiter an und fragte mit einem Hauch Erzürnung: „Was willst du hier? Solltest du nicht schon längst zu Hause sein, Baseballnuss?!“ Ein für ihn nur allzu typisches Lächeln umspielte Yamamotos Lippen. „Ja, schon, aber ich hab‘ auf dich gewartet.“ W-was? Hatte er sich etwa verhört, oder war dieser Schwachkopf nun völlig übergeschnappt? Er? Auf ihn gewartet? Warum zur Hölle das denn? Um ihn mit seinem blödsinnigen Grinsen auch noch nach der Schule zu penetrieren? Nein, heute war definitiv ein Montag, daran bestanden spätestens jetzt keinerlei Zweifel mehr! „Aha. Wie schön, dann kannst du ja jetzt Leine ziehen!“, raunte Gokudera deutlich genervt, statt die auf der Zunge brennende Frage „Warum?“ zu äußern, die ihm trotz Barschheit beantwortet wurde: „Ach quatsch, ich kann dich doch noch ein bisschen begleiten, oder? Ich hab‘ mir vorhin gedacht, dass es bestimmt langweilig für dich ist, alleine nach Hause gehen zu müssen, deshalb bin ich noch ein wenig geblieben.“ Natürlich wurde dieser absolut widerwärtige Satz noch mit einem dämlichen Sonnenscheinlächeln unterstrichen, und wieder begann Hayatos Herz wild gegen seine Brust zu hämmern, als er Takeshi flüchtig ins nussbraune Augenpaar sah - Hass, Wut, Verachtung, Zorn, Abneigung, ja verdammt, einzig und allein daran lag das natürlich! Mit einem unverständlichen Knurren setzte er seinen Weg fort, und während der andere neben ihm herlief, machte sich ein drückendes Schweigen breit. Innerhalb der zehn Minuten, die vergingen, hätte Gokudera am liebsten vier- oder gar fünfmal seinen Kopf gegen den Mast einer armen Straßenlaterne geschlagen, um seine wirren Gedanken ein für allemal zu vertreiben. Er hasste es, dass diese undefinierbaren Gefühle, die er bisher aus reiner Verzweiflung mit aufkommender Mordlust assoziiert hatte, langsam aber sicher Gang und Gebe wurden - zumindest, wenn Yamamoto Takeshi in seiner Nähe war. Dieses ekelhafte Kribbeln in der Magengegend, das keinesfalls mit den Bauchschmerzen, die ihm seine Schwester des Öfteren bereicherte, zu vergleichen war, das unrhythmische Herzschlagen, die immer stärker schwitzenden Hände, die wirren Blitze, die sich durch seine Gehirnzellen bahnten und dort einen Haufen Chaos hinterließen, das die Misere mit Sicherheit nicht zum Guten (oder zumindest Annehmbaren) wendete. Und als er bemerkte, dass die vergangene Zeit wie im Fluge vergangen war und sie urplötzlich direkt vor seiner Haustür standen, wurde alles nur noch schlimmer. „Du hättest mir nicht auch noch bis vor die Haustür hinterherstalken müssen, Baseballfreak...“ „Ach was, war doch lustig!“ Lustig... Lustig, ja, für diesen Vollpfosten war aber auch wirklich alles lustig, verdammt! Mit großer Wahrscheinlichkeit auch das, was gerade in Hayato vorging. Mit einem abwertenden „Tche...“ zog Gokudera noch ein letztes kräftiges Mal an seiner Zigarette, bis er sie schließlich zu Boden warf, austrat, den Schlüsselbund ungeschickt aus der Hosentasche fummelte und mit keinem weiteren Wort der Beachtung oder gar des Abschieds die Haustür öffnete. Doch noch bevor er diese hinter sich hatte schließen können, vernahm er ein herzliches „Dann bis morgen, Gokudera-kun!“, was er mit einem beständigen Schweigen beantwortete und die Tür abschließend zuschlug. Eine trostlose Nacht war hereingebrochen und in den Familienhäusern erloschen allmählich die letzten Lichter - es war Zeit, schlafen zu gehen. Im dunklen Zimmer verbarrikadiert, lag Hayato auf seinem Bett, hatte den Arm abwesend über das Gesicht gelegt und dem winzigen Stapel an Hausaufgaben, die sich auf seinem ordentlich gehaltenen Schreibtisch befanden, bisher keinerlei Beachtung geschenkt. Gut, hierbei war zu bemerken, dass er besagtem Stapel in der Regel nie irgendeine Form von Beachtung schenkte, doch lag dies grundlegend an Protest, Unterforderung oder Faulheit, was heute allerdings nicht der Fall war. Schon seit er zu Hause war, tat er nichts anderes als in einem Meer von Gedanken zu schwimmen, das ihn von Zeit zu Zeit immer weiter in einen Abgrund zu ziehen, gar zu überfluten drohte, doch fand er einfach keinen Ausweg aus diesem unvertrauten Wahnsinn, der ihn wie ein hungriges Raubtier verschlang. Nicht eine Sekunde war vergangen, in der er nicht das Gesicht vor Augen hatte, das für seinen komplexen Zustand verantwortlich war. Das Gesicht mit diesem herzhaften, freundlichen Lächeln, das selbst der Wärme der Sonne Konkurrenz zu machen schien, und eigentlich, ja, eigentlich vermochte er es bis auf den Tod nicht auszustehen. Hayato wusste nicht, wie ihm war, weshalb er war, wieso es war... und warum es währte und währte und einfach kein Ende nehmen wollte. Diese mentale Grausamkeit, die ihn von innen regelrecht zerfraß, alles überschwappen ließ und in Form einer Erkenntnis bombenähnlich auf sein Gemüt einschlug. Eine Erkenntnis, die er sich nie im Leben hätte erträumen lassen, die absurd, banal, abwegig und einfach vollkommen unerdenklich war - und nichts desto trotz bestand sie. Das griesgrämige Matheass Gokudera Hayato... war verliebt in den Baseballfreak Yamamoto Takeshi. Heute war ein Montag. Natürlich war es das. --- Ich präsentiere voller Stolz meine erste Reborn-FF! :D Es gibt eindeutig zu wenige zu diesem Pair und da dachte ich, ich ergreife schleunigst die Initiative, um was daran zu ändern... 8059 ist doch so trollig. D: Eure Meinung? :D Liebe Grüße II. Kollision ------------- Begriffserklärung: Kollision: Zusammenstoß monopolisieren = (in dem Fall) etwas zu seinem Eigen/ Besitz machen; Eigenmacht auf etwas ausüben -> eigentlich hat es ‘ne differenzierte Bedeutung bezüglich Marktwirtschaft oder Physik, jedoch kann man es oberflächlich auch so wie ich übersetzen... Sowas nennt man künstlerische Freiheit xD --- Es war Freitag - eigentlich ein guter Tag, denn schließlich kam mit ihm das Ende fünf langwidriger Schultage und somit der Beginn des ersehnten Wochenendes. Das Wort ‚eigentlich‘ war hier nun allerdings deutlich hervorzuheben, denn für solch belanglose Dinge hatte Gokudera Hayato momentan wirklich keinen Kopf. In diesem drehte sich nämlich seit dem verhassten Montag alles um eine ganz bestimmte Sache, die sogar die Macht besaß, die Bedeutung des Freitages vollkommen unschmackhaft zu gestalten, doch war Hayato einfach nicht dazu imstande, bei seinem Gefühlschaos einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen und die Erkenntnis, die sein Gehirn zu nichts weiter als Matsch werden ließ, schlichtweg zu verdrängen. Er, Gokudera Hayato, war in den Vollpfosten Yamamoto Takeshi verliebt. Doch besagter Vollpfosten war - wie der Spitzname schon vermuten ließ - absolut nicht im Geringsten dazu fähig, einigermaßen angemessen mit dieser Tatsache umzugehen - zumindest war dies Hayatos These, von der er, ohne nach einer plausiblen Begründung zu suchen, in allerlei Hinsicht überzeugt war. Der Schultag fand mit zwei todlangweiligen Stunden Algebra ein Ende, und todlangweilig war das Ganze eigentlich auch nur, weil Gokudera den Unterrichtsstoff bereits im Schlaf konnte und seine Anwesenheit somit einem stupiden Zeitabsitzen gleichkam. Bereits seit Dienstag hatte Hayato seinem ungewollten Schwarm während der tagtäglichen sechs Schulstunden, die er auch heute mehr oder minder erfolgreich (oder zumindest lebendig) hinter sich gebracht hatte, keinerlei Beachtung geschenkt. Ja, er war sogar so weit gegangen, den Weg zur Schule fünfzehn Minuten früher anzutreten, um auch bloß zu vermeiden, dass der Baseballfreak auf ihn treffen und ihm Gesellschaft leisten würde. Selbst auf das übliche „Guten Morgen, Gokudera-kun!“ hatte er bisher nur mit dem Zeigen einer kalten Schulter Antwort gegeben, und obwohl er es eigentlich gewohnt war, den anderen abweisend oder gar herabschätzend zu behandeln, fiel es ihm die letzten Tage seltsamer Weise schwerer als sonst. Schlimm war vor allem der insgeheime Wunsch, offensiv auf Takeshi zuzugehen, ihn am Kragen zu packen, an eine Wand zu drängen und ihm all seine chaosreichen Gefühle mit einem Atemzug ins Gesicht zu schreien, ihn danach zu küssen, ihm gleich darauf eine reinzuhauen und sich selbst abschließend die nicht vorhandene Kugel zu geben... Doch was an diesem Wunsch nun tatsächlich geistreich war, stand definitiv in Frage. Natürlich tat er keine der genannten Dinge, zog stattdessen bis zum bitteren Ende seine ignorante Masche durch, die jedoch nicht an besagtes bitteres Ende gelangen konnte, was einzig und allein Yamamotos Verschulden war. „Yo, Gokudera-kun!“ Dezent lächelnd hielt er den Oktopuskopf auf, indem er - wie sonst auch - die Hand auf seine Schulter legte, ehe der andere den Klassenraum verlassen konnte. Erschrocken fuhr Hayato um sich, und als er Takeshis dämliche, herzallerliebste Visage zu Gesicht bekam, wich er augenblicklich einen Schritt zurück und spürte glühende Hitze in seine Wangen steigen. „Was ist?!“, raunte er sein Gegenüber erzürnt an, formulierte die Frage viel eher als Ausruf, dass der andere gefälligst verschwinden und ihn in Ruhe lassen solle, doch Yamamoto behielt sein Standartlächeln bei und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Naja, also... Ich hab‘ gerade in Mathe überhaupt nichts verstanden, und weil wir ja am Montag die Klausur schreiben, wollt‘ ich fragen, ob du... mir vielleicht etwas helfen könntest.“ Na ganz toll, das hatte ihm ja gerade noch gefehlt! Jetzt sollte er diesem hirnlosen Schwachmaten zu allem Übel auch noch Nachhilfe geben, nur weil Genannter selbst zu blöd war, sich diesen drittklassigen Schulstoff anzueignen?! Als ob er nicht schon genug Probleme hätte! „Brings dir doch selbst bei, ich hab‘ nämlich weder Zeit noch Bock drauf, Babysitter zu spielen!“, antwortete er darauf nur und stampfte wütend aus dem Klassenraum. Yamamoto gab allerdings nicht nach und folgte Gokudera, bis er schon bald neben ihm herlief und in Runde Zwei überging: „Ach was, du hast bestimmt Zeit; du bist so gut in Mathe, dass du es nicht mal nötig hast, dafür zu lernen! Also, hilfst du mir nun oder nicht?“ Und wieder dieses strahlende Lächeln, das Takeshis Lippen jedes Mal aufs Neue zierte. Nur ein Unmensch könnte dazu jetzt noch ‚nein‘ sagen... Nur ein Unmensch, wie Gokudera Hayato es anscheinend war. „Ich sagte ‚nein‘! Geht das nicht in deine hohle Birne, Baseballkopf?!“ „Tsuna hilfst du doch auch immer.“ „Juudaime ist es das auch allemal wert, im Gegensatz zu dir!" „Aber wenn ich die Klausur versaue, muss ich die Klasse vielleicht wiederholen.“ „Umso besser, dann muss ich nicht dreißig Schulstunden in der Woche damit verschwenden, mir deine dämliche Visage anzusehen!“ Langsam aber sicher sollte Yamamoto es doch endlich kapiert haben... Wie viel Abweisung musste Gokudera ihm denn noch an den Kopf knallen, bis er endlich verstand? Doch statt die Diskussion fortzuführen, fragte Takeshi: „Warum bist du seit Dienstag eigentlich so schlecht gelaunt? Ist irgendwas passiert?“ Ha, und ob etwas passiert war. Das - Yamamoto Takeshi, der sich wie ein elender Mistkerl in sein Herz geschlichen hatte und es von innen heraus regelrecht zu monopolisieren begann -, einzig und allein das war passiert! Und einzig und allein das reichte eigentlich aus, um Hayatos leicht maßlosen Wutausbrüche zu begründen. Doch das konnte oder - besser gesagt - wollte er Takeshi natürlich nicht sagen. Und weil zu allem Übel die Unproduktivität von ihm Besitz ergriff und ihm keine auch nur halbwegs gescheite Lüge als Antwort einfiel, seufzte er entnervt auf und gab sich geschlagen. „Ja okay, meinet wegen helf‘ ich dir, aber auch nur, wenn du jetzt endlich dein Maul hältst!“ Yamamoto lachte herzhaft auf. „Danke, Gokudera-kun.“ „...“ Der Lauf des Tages hatte eine entscheidende Wendung genommen, wobei hierbei zu bemerken war, dass man ‚entscheidende‘ genauso gut mit dem netten Wort ‚beschissene‘ austauschen konnte, was die Authentizität von Hayatos Gefühlslage sogar um ein Vielfaches bekräftigen würde. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, dem Baseballfreak so gut wie nur eben möglich aus dem Weg zu gehen, am besten sogar unbedeutende verbale Kommunikation wie das altbekannte „Guten Morgen, Gokudera-kun!“ - „Schnauze, Baseballfreak!“ zu vermeiden, doch nun war alles so gekommen, wie es von Hayato am allerwenigsten toleriert werden konnte - er und Takeshi würden den Nachmittag (und wenn er Pech hatte, vielleicht auch noch den Abend) gemeinsam verbringen! Auch wenn es bei diesem Arrangement einzig und allein ums völlig sachliche und überhaupt nicht auf Freundschaft oder sonstigen Mist aufbauende Lernen ging, war es Gokudera einfach nur zuwider, die wertvolle Zeit an Yamamoto und somit seine vollkommen unbrauchbaren Gefühle zu vergeuden. Doch nun gab es kein Zurück mehr... und daran schuld war kein anderer als er selbst. Auf dem Heimweg herrschte das übliche Schweigen zwischen den beiden Jugendlichen, doch aus irgendeinem Grund empfand Hayato eben dieses Schweigen nicht als erholsam, sondern als... lästig, drückend... schmerzend? Er hasste sein immer schneller schlagendes Herz, er hasste seine schweißnassen Hände, die er aus Angst, er könne sie ansonsten nicht still halten, in den Hosentaschen vergrub, er hasste seine Knie, die mit jedem getanen Schritt weicher wurden, und er hasste, dass die Zeit einfach nicht vergehen wollte. Doch was er von all den genannten Dingen am allermeisten hasste, war die Tatsache, dass das Ganze nur auf diesen vollidiotischen Baseballfreak und die verdrängungswürdigen Gefühle, die er für ihn hegte, zurückzuführen war. Er hasste seine Gefühle. Er hasste es, zu lieben. Und vor allem hasste er es, Yamamoto Takeshi zu lieben! „Ähm, du musst schon deinen Schlüssel rausholen und aufschließen; die Haustür öffnet sich nicht von selbst, Gokudera-kun.“ „W-was?!“, reagierte der Angesprochene aufgeschreckt und realisierte erst jetzt, dass sie in der Zeit, in der er sich über nichts und wieder nichts den Kopf zerbrochen hatte, sein Haus erreicht hatten. „...Idiot, das weiß ich auch selbst!“, fügte er, um nicht ein noch dümmeres Bild als ohnehin schon abzugeben, hinzu, kramte nach den Schlüsselbund und schloss auf. Nachdem sie das kleine Haus betreten hatten, stampfte Gokudera, dicht gefolgt von seinem Begleiter, die Treppen hoch, und als sie im Zimmer ankamen, feuerte er seine Schultasche aufseufzend in die nächstbeste Ecke. „So, und was genau verstehst du in Mathe nicht?“ Wieder machte sich ein verlegenes Lächeln bemerkbar. „Hm... so ziemlich alles, glaube ich.“ „Na, das sind ja mal tolle Voraussetzungen“, kommentierte Gokudera nur ironisch, rollte mit den Augen und ließ sich vor den Couchtisch plumpsen, der in der Mitte des Raumes stand. Takeshi tat es ihm gleich, holte seine Lernutensilien hervor und die darauffolgenden Stunden kämpfte sich Hayato sowohl durch seinen Konzentrationsmangel als auch durch das - zumindest bezüglich Mathe - ausgeweidete Hirn seines Gegenübers. „Du bist einfach nur hohl im Kopf, wie kann man sowas Einfaches denn nicht verstehen?!“ „Ich versteh‘ nicht, wie man sowas verstehen kann...“ „Indem man sich einfach mal ein bisschen mehr mit dem Fach auseinandersetzt, statt vierundzwanzig Stunden am Tag Baseball zu spielen, Baseballfreak!“ „Hm, vielleicht hast du Recht... Mathe kann bestimmt auch ganz lustig sein.“ „Lustig?! Mathe ist doch nicht lustig, es ist logisch... Hörst du, l-o-g-i-s-c-h!“ „Okay, hab’ verstanden! Kannst du mir das mit den Zahlen, die man für x einsetzt, nochmal erklären?” „...Gar nichts hast du verstanden...“ Sage und schreibe sieben wertvolle Stunden hatte sich Hayato nun mit der Unfähigkeit des Baseballfreaks herum geprügelt, zwischenzeitlich irgendeinen nicht nahrhaften Fertigfraß in die Mikrowelle geschoben und beim Essen die belanglose Frage in den Raum geworfen, warum Yamamoto denn nicht einmal kochen könne, obwohl er doch schon von klein auf in einem Restaurant lebe, was ihm allerdings nur mit einem Lachen und einem darauffolgenden „Mein Dad hat es mir halt nie beigebracht.“ beantwortet worden war. Allmählich verabschiedete sich die Sonne vom Himmel und tauchte hinter dem Horizont unter, was die Befürchtung, die ganze Misere würde sich bis in den Abend ziehen, mehr als deutlich bestätigte. „Du machst mich echt noch wahnsinnig, wie oft soll ich dir den Scheiß denn noch erklären?!“ Gokuderas Nerven lagen kaum übersehbar blank. Mittlerweile stellte er sich sogar die Frage, wie er es die sieben vergangenen Stunden überhaupt ausgehalten hatte, ohne sich an einem Strick zu erhängen oder wagemutig aus dem Fenster zu stürzen, um seiner Qual, die ihm in Form eines fünfzehnjährigen, dümmlich grinsenden Schwachmaten direkt gegenübersaß, ein Ende zu bereiten. „Tut mir leid, dass ich dich so viel Zeit und Nerven koste... Wir können ja mal ‘ne Pause machen!“ Ob eine Pause wirklich sinnvoll war? Diese bedeutete doch lediglich, dass er Yamamoto noch später als vorhergesehen loswürde, und das hieß definitiv nichts Gutes! Doch wenn er den Wahnsinn bis zum bitteren Ende durchzöge, stünde ihm der bald eintretende Kreislaufkollaps schneller denn je bevor. Mit einem bestätigenden Seufzen gab er also auf den Vorschlag Antwort und lehnte sich an sein Bett, das sich direkt hinter ihm befand. Und erst jetzt fiel ihm auf, welch lästiges Kopfdröhnen der andere ihm eingebrockt hatte. Das letzte Mal, als er beim ‚Nachhilfegeben‘ derartig an seine Grenzen getrieben worden war, war... gestern. Gestern, als er Tsuna genau denselben Stuss hatte erklären müssen, und als er begann, intensiv darüber nachzudenken, musste er sich widerwillig eingestehen, dass sich sein hoch verehrter Juudaime noch dümmer und unfähiger angestellt hatte als Takeshi. Und das musste schon etwas heißen! Trotz alledem bestand keinerlei Zweifel daran, dass der Baseballfreak schlussendlich nicht für das Fach Mathematik geboren worden war (oder für irgendetwas anderes außer Baseball), und allein diese Tatsache sollte ihm einen persönlichen Hayato-Antipathiepunkt bescheren - wer kein Interesse für Mathe hegte, der konnte einfach nicht in Ordnung sein (außer Juudaime natürlich!). Genervt starrte der Oktopuskopf an die Decke und ließ seinen sinnarmen Gedanken freien Lauf, doch wurde er von Yamamoto durch eine unerwartete Frage mit einem Mal zurück in die Realität geholt: „Uhm, Gokudera-kun? Willst du mir vielleicht jetzt sagen, warum du die Woche über so schlecht gelaunt warst?“ Verwirrt und kurz darüber nachdenkend, auf was sich der andere bezog, hob er skeptisch eine Augenbraue und ließ seinen Blick auf das ausnahmsweise mal nicht lächelnde oder grinsende Gesicht wandern. „Ich bin immer schlecht gelaunt - vor allem morgens!“, gab er nur barsch zurück, obwohl ihm bewusst war, dass er sich - trotz des Wahrheitsgehaltes seiner Aussage - heute auf andere Art und Weise mies gelaunt verhalten hatte, ja, es vielleicht sogar noch immer tat. „Du musst nicht drüber reden, ich wollt‘ einfach nur mal nachhaken... Nicht, dass irgendwas- “ „Ja, ist gut, jetzt halt‘ die Klappe! Willst du nun für Mathe lernen oder ‘ne Pyjamaparty mit mir veranstalten?!“ Noch bevor Yamamoto antworten konnte - und bei ihm war wahrlich zu befürchten, dass er sich bei der Frage für letztere Option entschieden hätte -, stieß sich Gokudera vom Bettrand ab und schlug grummelnd das Mathebuch auf, in dem er hektisch nach irgendwelchen Aufgaben zum Thema suchte - verdammt, warum war er auf einmal so nervös? Lag es an der dummen Frage, die Yamamoto ihm gestellt hatte? Unmöglich, seit wann brachte ihn bitteschön sowas Bescheuertes außer Fassung? Die verzweifelten Versuche, Takeshi noch irgendetwas Tragendes beizubringen, scheiterten aufgrund von Konzentrationsmangel, Müdigkeit und dieser gottverdammten Nervosität, die irgendwie im Widerspruch zu besagter Müdigkeit stand, doch entscheidend war, dass diese drei Dinge früher oder später zu einem Nervenzusammenbruch beitragen würden, wenn er es nicht endlich bei dem, was sie heute erarbeitet hatten, beließe. Immerhin hatte der Baseballfreak das Grundprinzip verstanden und war imstande, einfache Aufgaben zu lösen, sodass er in der Klausur zumindest die Chance auf eine befriedigende Leistung hatte. Ein flüchtiger Blick auf die Digitaluhr auf dem Nachtschrank verriet Hayato, wie viel Selbstbeherrschung tatsächlich in ihm zu stecken schien - es war 23 Uhr. Unfassbar. Hatten sie etwa ganze zehn Stunden nichts anderes gemacht, als für diese dämliche Arbeit zu lernen? So viel Aufwand, den die beiden heute in nur ein Fach investiert hatten, hatte Gokudera in seinem ganzen Leben noch nicht in alle Fächer dieser Welt gesteckt (woran seine Faulheit vielleicht nicht ganz unschuldig war...), und wenn er mal so darüber nachdachte, war Lernen pure Zeitverschwendung - Takeshis ‚Lernerfolge‘ waren der beste Beweis dafür! Vollkommen ausgelaugt und mit dem Gedanken, heute Nacht ausschließlich von allen Zahlen und Formeln, die das Mathematikuniversum zu bieten hatte, zu träumen, stand Hayato auf, setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und lehnte sich gegen die kühle Wand. „Ich kann nicht mehr. Mach‘ einfach noch ein paar von den Aufgaben, die ich dir gezeigt hab‘. Das sollte reichen, um die Klausur nicht vollends zu verkacken.“ Nur in Trance nahm Hayato ein bestätigendes „Okay... Danke, Gokudera-kun.“ wahr, da er den fatalen Fehler machte, die Augen zu schließen - oh, und was für ein fataler Fehler das war! Bald schon konnte er Müdigkeit von Nervosität nicht mehr unterscheiden, entschloss sich, beide Dinge schlichtweg zu ignorieren und sich stattdessen einer Mischung daraus hinzugeben - ein kurzes, absolut nicht erholsames Einnicken... „Gokudera-kun?“ Diese widerwärtig freundliche Stimme... „Oi, Gokudera...“ ...Oder klang sie viel eher besorgt? Doch eigentlich war das völlig irrelevant. Fest stand jedenfalls, dass sie nur zu einer ganz bestimmten Person zuzuordnen war. Und diese ganz bestimmte Person hatte es nicht nur dabei belassen, seinen Namen auszusprechen, sondern sich hinzukommend unerwartet über ihn gebeugt, die warme Hand auf seine Wange gelegt und ihn aus großen, fragenden Augen heraus - das Gesicht dabei ungewohnt nahe - angesehen. Gleich nachdem Hayato mit einem schlaftrunkenen „Mmh...“ zu sich gekommen war, riss er die Lider erschrocken auf, rückte sofort einige Zentimeter von Takeshi weg, um dessen Nähe zu entkommen, und zog daraufhin erst gar nicht in Erwägung, sein Entsetzen im Zaum zu halten. „W-was zur Hölle sollte das?! Und überhaupt, geh‘ gefälligst von meinem Bett runter!“, schnauzte er sein Gegenüber, das zunächst verdutzt dreinblickte, an, und mit einem Mal überkam ihn die Erkenntnis, dass sein Herz noch nie so schnell und brutal wie jetzt gegen seine Brust gehämmert hatte. „Sorry, aber du bist eingeschlafen“, rechtfertigte sich Yamamoto sofort und sah Gokudera dabei entschuldigend an. Nach dieser Aussage warf der Angesprochene einen Blick auf die Uhr und durfte dabei mit Freuden feststellen, dass es bereits nach Zwölf war. Gleich darauf wandte er sich wieder dem Baseballfreak zu und beschwichtigte genervt: „Du hättest auch einfach wortlos verschwinden können, statt diese hirnrissige Weckaktion zu starten!“ „Ja, hatte ich eigentlich auch vorgehabt, aber...“ Yamamoto brach den Satz ab und hielt für einen Moment inne. War es vielleicht keine ganz so gute Idee, den anderen davon wissen zu lassen? So, wie er seinen Freund kannte, würde er, wenn er das zu hören bekäme, im Boden versinken oder ausrasten und Takeshi auf ewig hassen... oder beides. Doch wollte er sein Handeln auch nicht unbegründet lassen, also entschloss er sich, das Risiko trotz allerlei Vorahnungen einzugehen: „...Naja, du hast meinen Namen im Schlaf gemurmelt. Mehrmals. Da fand ich, es wäre besser, dich zu wecken.“ Nachdenklich kratzte sich Yamamoto am Hinterkopf, während Gokuderas Gesicht begann, blanke Fassungslosigkeit widerzuspiegeln. Hatte er sich etwa verhört? Warum, zur Hölle, sollte er im Schlaf den Namen dieses elendigen Baseballfreaks vor sich hinbrabbeln?! Das war doch völlig absurd! ...Und in Anbetracht der Tatsache, dass schon seit knapp einer Woche nichts anderes mehr als dieser gottverdammte Name in seinem Kopf herumschwirrte, ebenso nachvollziehbar. Hatte er sich damit etwa selbst verraten? Oder hatte er den Namen in seinen Träumen schlichtweg mit diversen Mordplänen Querstrich -umsetzungen in Verbindung gebracht? „Tche... Toller Grund“, bemerkte Hayato verständnislos, und als er erneut in das warme, karamellbraune Augenpaar blickte, wandte er sich sofort ab, dabei das Gefühl von kochendem Blut in seinen Wangen verspürend. „Du verhältst dich in letzter Zeit irgendwie so komisch, deshalb dachte ich, ich frag‘ dich, was mit di- “ „Das kann dir völlig egal sein, okay? Warum fragst du überhaupt die ganze Zeit, hast du vielleicht nur die geringste Ahnung, wie sehr mich das ankotzt?!“ Über diese Frage brauchte Yamamoto nicht lange nachzudenken. „Weil ich mir Sorgen um dich mache.“ Und einzig und allein dieser banale, prägnante Satz besaß doch tatsächlich die Macht, Gokudera für einen Moment verstummen zu lassen. Sorgen? Dieser Idiot machte sich Sorgen? Und dann auch noch um ihn?! Wo sollte da bitteschön etwas Wahres dran sein? „...Dass ich nicht lache! Seit wann kannst du dir um irgendetwas Sorgen machen? Bis auf dein scheiß Baseball ist für dich doch sowieso alles nur ein Spiel! Mathe ist lustig, die ganze scheiß Schule ist lustig, dein Leben ist lustig, deine Freunde sind lustig, deren Gefühle...“ Hayato stockte bei der Aufzählung. War es richtig gewesen, seine Gefühle in der Äußerung anzuschneiden? Hatte er sich jetzt vielleicht endgültig verraten? Doch was hatte er dann noch zu verlieren? Allein durch seine Betroffenheit hatte er sich ohnehin schon viel zu tief in die selbst zuzuschreibende Scheiße geritten; was konnte da ein wenig Direktheit noch großartig schlimmer machen? „Du machst dir Sorgen? Ja, wunderbar, wenn ich dir sage, weshalb ich so scheiße drauf bin, hast du erst recht ‘nen Grund, dir Sorgen zu machen, Baseballfreak!“ Yamamotos sonniges Lächeln war schon seit Längerem verschwunden. Ersetzt worden war es durch eine leicht ernste, aber dennoch geduldig abwartende Miene, die er aufgesetzt hatte. Dass er - laut Hayato - alles und jeden als Spiel ansah, war ihm nun wirklich nicht mehr anzusehen. Und noch bevor er bestätigen konnte, dass er es dennoch wissen wolle, platzte Gokudera unerwartet mit der durchbrechenden Wahrheit heraus: „Warum ich so scheiße drauf bin, willst du wissen? Ganz einfach, weil ich dich liebe, du verdammter scheiß Baseballfreak! Und jetzt verpiss‘ dich, ich kann deine Fresse einfach nicht mehr sehen!“ Trotz dieser herniederschlagenden Worte veränderte sich an Takeshis Mimik nichts - als hätte er etwas Ähnliches bereits befürchtet. Ein drückendes Schweigen machte sich im kleinen Zimmer breit und Hayato starrte - eingeschüchtert von seinen eigenen Worten - entsetzt, betroffen, beschämt und wütend zugleich zur Seite, wagte es nicht, dem anderen, dessen Blick direkt auf ihn gerichtet war, auch nur einmal in die Augen zu sehen. Yamamoto hingegen ergriff zur minimalen Erleichterung des anderen die Initiative und ging der erhaltenen Aufforderung, er solle ‚sich verpissen‘, nach, kramte zügig seine Schulsachen zusammen und verschwand, ohne zu zögern oder sich gar noch ein letztes Mal umzudrehen, aus dem Raum, aus dem Flur, aus dem Haus, aus allem, nur nicht aus Hayatos Herz. Eigentlich hatte er sich seit der Erkenntnis seiner ungewollten Gefühle damit zufrieden gegeben, Yamamoto schlichtweg zu hassen. Zu hassen, weil dieser in ihm ein solches Chaos verursachte. Zu hassen, weil er ihm den Verstand raubte und wie ein Platzregen unaufhörlich auf ihn eindrosch. Zu hassen, weil Gokudera mit alledem nicht klarkam. Zu hassen, dass er ihn liebte. Ihn, Yamamoto, diesen hirnlosen, baseballsüchtigen, bekloppten, widerlich grinsenden Idioten. Doch jetzt wurde ihm klar, dass der Hass, den er für Takeshi empfand, gar nichts im Vergleich zu dem war, den er gerade jetzt, in diesem Moment, auf sich selbst projizierte. Er hasste sich. Sich und seine dämlichen Gefühle. Seine dämlichen Gefühle, die er nicht einmal für sich hatte behalten können. Heute war ein Freitag. Es hätte ebenso ein Montag sein können... --- Dass Hayatos Liebesgeständnis an und für sich OoC ist, weiß ich. Dennoch ist es gerechtfertigt, weil wir als Mangaleser nicht wissen, wie er mit der Situation, auf einmal in Takeshi verliebt zu sein, umgehen würde... Außerdem spricht seine impulsive Reaktion wiederum für IC, finde ich. xD *mich rechtfertigen muss* Liebe Grüße III. Konglomerat ---------------- Hier das letzte Kapitel. Achtet mal auf die Kapitelnamen, die sind ganz lustig und spiegeln den Prozess der Handlung wider. :0 Wer weiß, was 'Konglomerat' bedeutet, kann sich auch einiges dazureimen. xD Ansonsten gibt's im Nachwort die Worterklärung. Have fun! --- Es war Montag - ein schlechter Tag. Und in diesem Fall sogar auf zweischichtiger Ebene. Gokudera Hayato war seit Freitagnacht mit den Nerven im absoluten Tief angelangt und hatte sogar Juudaime abgelehnt, noch ein letztes Mal für die Matheklausur, die heute stattfand, zu lernen. Stattdessen hatte er sich das gesamte Wochenende in seinem Zimmer verbarrikadiert, war nur aus lebensnotwendigen Gründen hin und wieder herausgekommen und wurde sich dabei immer mehr im Klaren, dass er nichts und niemanden sehen wollte. Nun kam allerdings der Montag ins Spiel - dieser vermaledeite Wochenendkiller -, wegen dem er sein Vorhaben, alles und jeden zu meiden, gerade so über den Haufen schmeißen konnte. Schule. Ganz richtig, die gute oder vielmehr schlechte alte Schule, die eigentlich nicht einmal alt war - bei der Namimori Middle handelte es sich um einen Neubau -, doch spielte das ja wohl mal die geringste Rolle bei Hayatos Problem. Das bestand nämlich darin, sich in seinen dämlichen Klassenraum zu hocken und all die nervigen Gesichtsbaracken, vor denen er einzig und allein am Wochenende seine Ruhe fand, wiederzusehen, und das war in seinem momentanen Zustand nun wirklich das letzte, was er wollte. Denn unter all den nervigen Gesichtsbaracken, mit denen seine Klasse bespickt war, befand sich eine ganz besonders nervige, umgehend zu vermeidende Obergesichtsbaracke, die Gokuderas Stimmungslage binnen weniger Sekunden von null - ja, sie lag bereits auf null - auf minus hundert(vierundzwanzigtausendirgendwas) senken würde. Yamamoto Takeshi. Natürlich. In letzter Zeit gab es aber auch wirklich keinen einzigen Gedankengang, der nicht auf diesen dämlichen Baseballfreak hinauslaufen würde - Hayato befürchtete, unter einer Paranoia der übelsten Sorte zu leiden. Mit einem Knurren schälte er sich aus dem Bett, riss dabei mit einem kräftigen Ruck die Decke vom Leib und machte sich mehr oder minder schultauglich. Schultauglich hieß bei Gokudera Hayato schlicht und ergreifend, eine zehnminütige kalte Dusche - irgendwie musste er ja wach werden - zu nehmen, sich die Haare mit seiner verfranzten Bürste, die schon seit Monaten durch eine neue ersetzt werden sollte, durchzukämmen, sich in seine beschissene Schuluniform zu zwingen, wobei er dabei die Krawatte ganz bewusst wegließ, einen Glimmstängel anzuzünden, die Tasche über die Schultern zu schwingen und sich auf den Weg in Richtung Verderben zu machen. Diese eigentlich nur fünfundzwanzig Minuten beanspruchende Prozedur brachte der Italiener heute allerdings in knapp über einer Stunde zustande, was ihn selbst ein wenig stutzig machte - für was, zum Teufel, war die restliche Zeit bitteschön draufgegangen?! Nun ja... vielleicht hätte er bei seinen morgendlichen Ritualen nicht so sehr trödeln und sich von seinen überflüssigen Gedanken aufhalten lassen sollen... Seit seiner grausigen Erkenntnis am letzten Montag zog es Hayato vor, fünfzehn Minuten früher das Haus zu verlassen, um das mögliche Aufeinandertreffen mit einer ganz bestimmten Person zu vermeiden. Das war heute allerdings nicht notwendig, da er bereits eine halbe Stunde zu spät dran war. Und eigentlich wäre ihm das vollkommen egal, wenn da nicht diese blöde Matheklausur wäre. Hayato hasste es, Klausuren zu verpassen, denn diese stellten für ihn die einzige Chance dar, sein Können zu beweisen, ohne dabei seinen Zeigefinger in ungewollte Höhen strecken zu müssen. Wenn dieser Tag vorüber war, würde er sowieso eine ganze Weile schwänzen; so viel stand fest. Mürrisch zertrat Gokudera seine erste Zigarette am Morgen, um gleich darauf die zweite anzuzünden und dabei wieder einmal festzustellen, dass er seit Freitagnacht mehr rauchte als sonst - als ob er nicht schon genug rauchen würde -, und diese Tatsache bereitete ihm nur noch mehr Kopfzerbrechen als nötig. Langsam und mit erzwungener Gelassenheit lief er, an der Namimori Middle angekommen, über das Schulgelände, betrat das Gebäude und schlenderte in Richtung Klassenraum, auf zu den hoffnungslosen Gesichtsbaracken. Vor der Tür blieb er dann aber abrupt stehen, starrte auf den metallischen Griff, wagte jedoch nicht, seine Hand auf diesen zu legen - Nervosität. Nervosität, Gott, verdammt, und wie gewaltig! Wie ein tausend Volt geladener Blitz, der sich seiner Nervenbahnen bemächtigte, jede noch so winzige Zelle abpassierte und ihm einen widerlich kalten Schauer über den Rücken jagte - und dann dieses Herzklopfen. Einfach unerträglich; dem musste er ein Ende bereiten - hier und jetzt. Statt sich noch tiefer in seinen Gedanken zu verlieren, riss Hayato die Tür des Klassenraumes schlagartig auf, starrte mit gleichgültiger Miene in die vor Schock geweiteten Augen seines Paukers und ignorierte dabei die restlichen Blicke, die auf ihn gerichtet waren. „G-Gokudera, Sie sind dreißig Minuten zu spät!“, beschwichtige ihn der Lehrer, um irgendeine Art von Autorität bemüht, „Nehmen Sie sich das Klausurenblatt und setzen Sie sich, die Arbeit hat schon längst begonnen.“ Der Brillenträger wollte ihm ein Blatt reichen, doch Gokudera entriss es ihm wortlos aus der Hand, würdigte keine seiner Mitschüler auch nur eines Blickes und setzte sich an seinen Platz, der sich direkt vorm Lehrerpult befand. Desinteressiert wanderten seine Irden über die ganzen dämlichen Aufgaben, die dem Wort ‚Herausforderung‘ wohl am entferntesten lagen. Den Kopf mit der flachen Hand abgestützt, zückte Hayato mit der anderen einen Kuli und machte sich an die Arbeit. Doch als er den Stift auf dem Blatt ansetzte, packte ihn das unwohle Gefühl erneut, und während er spürte, dass sich ein viel zu bekanntes Augenpaar regelrecht durch seine Schädeldecke bohrte, hätte er sich nur zu gerne umgedreht und diesem Mistkerl von Übeltäter irgendeinen harten Gegenstand - wahrscheinlich den Kuli - an den Kopf geschmissen, um dem Wahnsinn, der sich in ihm anbahnte, ein Ende zu bereiten. Aber er tat nichts dergleichen. Leise seufzend passierte er noch einmal die erste Frage ab. 1.) Fassen Sie zusammen und vereinfachen Sie die Terme. Also wirklich. Das waren ja wohl mal geschenkte Punkte. Vereinfachen? Da gab es überhaupt nichts zu vereinfachen; viel eher waren das mit die banalsten Aufgaben, die er in seinem algebraischen Lebenslauf je zu Gesicht bekommen hatte! Diese Anspruchslosigkeiten müsste doch sogar dieser hirnimpotente Baseballfreak, der hinter ihm saß, bewältigen können! Schließlich hatte er doch genau das mit ihm gelernt... am Freitagabend... als... Verdammt. Er hatte keine Zeit, sich mit Nichtigkeiten wie diesem Idioten herumzuprügeln; jetzt musste er Punkte einkassieren! Darum bemüht, einen klaren Kopf zu bewahren, machte Hayato die erste Aufgabe, und nach jeder noch so einfachen Rechnung fiel ihm auf, dass ihm irgendein dummer Fehler unterlaufen war. Radieren und nochmal rechnen war also das Motto der nächsten eineinhalb Stunden und das bei beinahe jeder Aufgabe - der Mathecrack in ihm vegetierte gerade vor sich hin, das spürte er mehr als deutlich. Er wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, nur um gleich darauf die nächsten zu produzieren. Widerlich, diese Aufregung. Wie hielten das eigentlich die ganzen Fail-Kreaturen aus, die beinahe jede Klausur in den Sand setzten? War der Kerl hinter ihm nicht auch einer besagter Fails? War er etwa auch immer so aufgeregt bei Klausuren? Vielleicht auch genau jetzt, in diesem Moment? Oder war er, wie sonst auch, die Ruhe selbst und nahm das Abkacken genauso locker hin wie etwa das fragwürdige Geständnis von Mister X?! Hatte sich dieses bescheuerte ‚Mister X‘ gerade nur in sein Hirn geprügelt, weil er diesen Scheiß um keinen Preis mit sich selbst in Verbindung bringen wollte? Mein Gott, wer war denn hier ‚Mister X‘?! ...Rhetorische Frage. Die Uhrzeiger drehten in Sturmeseile ihre Runde, wieder und wieder, und dann waren zwanzig Minuten vergangen und Hayato lenkte seine ohnehin nicht vorhandene Aufmerksamkeit auf die zweite Frage. 2.) Lösen Sie die Klammern auf und vereinfachen Sie. Und schon wieder so eine kackeinfache Aufgabe. So eine verdammt kackeinfache Aufgabe, die trotz allem viel mehr Zeit beanspruchte, als es Gokudera lieb war. Und dabei blieb es natürlich nicht. Auch Aufgabe 3.) und 4.) und 5.) stellten sich als kleine miese Bastarde heraus, die seinen Verstand in den Wahnsinn trieben, genauso wie der etwas größere miese Bastard unmittelbar hinter ihm, der wahrscheinlich der eigentliche Verursacher besagten Wahnsinns war, doch Hayato gab nicht auf, kämpfte sich durch seinen Blackout und bekam, so meinte er, doch noch irgendetwas halbwegs Vorzeigbares zustande. Und als er endlich am Ende von Aufgabe 4.) angelangt war, geschah etwas, das er sich nie, nie in seinem ganzen gottverdammten Leben hätte erträumen lassen: Der Baseballfreak stand auf, lief an ihm vorbei zum Lehrerpult und gab die Klausur ab. Als erster der Klasse. Und mit einem Gesichtsausdruck, der sich gewaschen hatte. Kein baseballverseuchtes Grinsen, nicht einmal der Hauch eines Lächelns, nein, da war nur diese gleichgültige Miene, die Hayato sonst immer nach jeder Klausur aufgesetzt hatte, wenn er sich seiner hundert Prozent sicher war. Ohne Gokudera anzusehen, lief er zurück an seinen Platz, kramte seine Sachen zusammen und verließ den Klassenraum. Dabei starrten ihm nicht nur Hayato, sondern auch der Rest seiner Klassenkameraden perplexer denn je nach. Gokudera schluckte. Was zur Hölle war das bitteschön für ein Auftritt?! Tat dieser Idiot nun etwa so, als hätte er die Klausur mit Bravour gemeistert? Pah, unmöglich, der Kerl konnte nie im Leben über siebzig Prozent erreicht haben! So weit reichte sein baseballüberladenes Gehirn mit Sicherheit nicht. Und trotzdem... die absolute Sperre. Jetzt ging einfach gar nichts mehr, Aufgabe 5.) würde auf ewig unberührt bleiben, daran konnte er nichts ändern. Schlechten Gewissens, die erste Matheklausur seines ganzen vermaledeiten Schullebenslaufes verschissen zu haben, schnappte er ungeschickt nach den Blättern und klatschte sie lieblos aufs Lehrerpult, warf seinem Pauker einen seiner berühmten ‚Wenn Blicke töten könnten‘-Blick zu, schwang seine Tasche über die Schultern, stampfte in Richtung Tür und riss sie genauso brutal auf, wie er sie hinter sich zuschlug. Gokudera Hayato hasste Montage. Und den heutigen hasste er ganz besonders. .:.:.:.:.:.:.:. „Ich hasse dich, bilde dir bloß nichts ein!“ Nein, das war es nicht. „Ich liebe dich nicht, ich hab‘ dich nur verarscht. Du checkst aber auch gar nichts.“ Nein... das auch nicht. „Vergiss‘, was am Freitag passiert ist. Oder, nein. Es ist nichts passiert, okay?!“ Ach, das war doch alles gequirlte Scheiße. Dem Rande der Verzweiflung nahe, murmelte Hayato alle ihm bestehenden Möglichkeiten, die ihm gerade durch den Kopf surrten, vor sich hin, fand keine einzige davon auch nur ansatzweise annehmbar, doch er hatte noch ein wenig Zeit, sich etwas Anständiges zu überlegen. Seine Klasse hatte noch vier Stunden Unterricht, den er natürlich schwänzte, um schon mal für die nächsten Tage, die er sich auf eigene Faust freinehmen würde, zu üben. Der Zigarettenqualm stieg in einer dichten grauen Wolke empor, stieg höher und höher, bis sie sich mit der Luft vereinte und vom Blau des Himmels verschluckt wurde. Rauchen war gut, das brauchte Gokudera jetzt. Langsam aber sicher neigte sich seine Stimmung wieder von minus hundert(vierundzwanzigtausendirgendwas) in Richtung ausgeglichener Null, während er an einen Baum gelehnt stand und eine Kippe nach der nächsten paffte. Dabei starrte er auf die Fenster seines Klassenraumes, konnte allerdings nicht viel dahinter erkennen. Er seufzte. Eigentlich könnte er jetzt nach Hause gehen, doch ihm war danach, noch eine Weile hier zu bleiben. Hier zu bleiben mit dem Gedanken, Yamamoto nach dem Unterricht abzufangen, ihm irgendetwas verdammt Kluges in seine dämliche Fresse zu brüllen, alle Unannehmlichkeiten mit möglichst ein, zwei prägnanten Sätzen zu beseitigen und sich dann wieder zu Hause in seinem Zimmer zu verbarrikadieren, bis sein Verstand seine Gefühle endgültig dominiert hatte. Das war der Plan und der Plan war gut, verdammt gut sogar, doch... ...so gut dann auch wieder nicht. Gut wäre er nämlich erst dann, wenn ihm diese dämlich-schlauen Worte einfielen, die irgendetwas in die angestrebte Richtung bewirken würden. Und die gab es nicht. Und die würde es niemals geben. Was auch immer Gokudera sagen würde, er könnte damit niemals das, was ihm am Freitag mehr oder minder ungewollt herausgerutscht war, entkräften oder gar rückgängig machen. Das waren diese Unmöglichkeiten, die unmöglich möglich gemacht werden können, die geradezu unmöglich möglichen Unmöglichkeiten. Oder doch möglich unmögliche Möglichkeiten? Was war daran überhaupt möglich? Kann eine Unmöglichkeit möglich sein? Oder war die Möglichkeit unmöglich? Möglich unmöglich? Oder vielleicht... „Gokudera.“ Hayato schreckte aus seinem Gedankenkauderwelsch auf und wandte sich abrupt um; dabei wäre ihm die Kippe beinahe aus dem Mund gefallen. Wen er nun, viel zu unerwartet und unvorbereitet, als sein Gegenüber bezeichnen konnte, war kein anderer als der baseballvernarrte Mistkerl, der sein Leben langsam aber sicher auf den Kopf zu stellen drohte. Dieser kleine hirnamputierte Bastard, für den sich jeden Tag ein neues, perfekt auf ihn zutreffendes Schimpfwort fand, doch heute war es anders. Keine der Unfreundlichkeiten, die Hayato in den Sinn kamen, konnte man passend zuschneiden; es funktionierte einfach nicht, so sehr er es sich auch wünschte. Heute war Yamamoto einfach Yamamoto. Vielleicht ein bisschen mehr, aber zumindest nicht weniger. Verquer. „Was willst du?!“ Wieder ein Raunen, bittere Erzürnung, vielleicht ein wenig aufgespielt, aber der ‚Wenn Blicke töten könnten‘-Blick hatte soeben ein neues Stadium erreicht. Yamamoto schien das allerdings kalt zu lassen, was sein leerer Ausdruck buchstäblich bestätigte. „Naja, ich...“ Er stockte. Richtige Worte in einer verzwickten Situation zu finden, waren das A und O verzwickter Situationen. Das A war da und nach längerem Zögern folgte das O: „...ich wollte mich nur nochmal bedanken. Wenn du am Freitag nicht mit mir gelernt hättest, hätte ich die Klausur heute ganz schön verbockt.“ Auf kein Lächeln erfolgte keine Antwort. Hayato zog auffällig lang an seiner Zigarette, tippte die Asche zu Boden und stieß eine große Rauchwolke aus, die gleich darauf ihrer Wege ging. Erst dann sagte er: „Und deshalb schwänzt du jetzt oder was?“ „Naja, warum schwänzt du denn?“ Dumme Frage, warum wohl? War das etwa der verzweifelte Versuch einer konternden Gegenfrage? Aber irgendwie... war sie, so banal sie auch klang, tatsächlich in irgendeiner Weise konternd. Die Antwort lag zwar auf der Hand, doch sie auszusprechen, war eine andere Geschichte. Gokudera wandte sich ab. „Weil ich keinen Bock auf Schule hab‘, ist doch logisch! Warum sollte man auch sonst schwänzen?!“ Noch ein kräftiger Zug. Yamamoto kam einen Schritt näher. Festigte seinen Blick. „Zum Beispiel wegen mir.“ Hayato sah auf. Bemerkte, dass dieses Gespräch von Satz zu Satz eine immer ungewolltere Richtung anstrebte. Der nächste Herzschlag - eine Explosion. Und gleich darauf noch eine. Und noch eine. Und noch eine. „...Fühlst dich wohl ganz schön wichtig, hm?!“ ...und noch eine. „Nein, tu‘ ich nicht. Ich hatte nur so eine Vermutung gehabt. Ich dachte, wir sollten vielleicht reden.“ „Aha, und über was? Als ob man mit dir vernünftig reden könnte, als ob du irgendetwas ernst nehmen könntest! Findest das alles, was passiert ist, wohl verdammt komisch, was?“ „Das stimmt ni-“ „Tch, natürlich stimmt es!“, fiel Hayato ihm ins Wort, „Weißt du, Yamamoto, nur weil Baseball dein Leben ist, heißt das nicht, dass dein Leben ein bescheuertes Spiel ist! Du bist einfach zu dumm, um sowas zu trennen, deine Dummheit macht dich so unsensibel, dass du es nicht mal merkst! Ich kann einfach nicht fassen, wie jemand so dumm sein kann!“ Tränen vor Wut und Hass und Verzweiflung traten in Gokuderas Augen, doch er sah gar nicht ein, sie entweichen zu lassen - als ob er sich mit seinem Gerede nicht schon genug Blöße ausgesetzt hätte... Takeshi kam noch einige Schritte näher, bis ihn nur noch wenige Augenblicke von Hayato trennten. Darum bemüht, nicht selbst die Beherrschung zu verlieren, versuchte Gokudera aus Yamamoto schlau zu werden, doch viel aus seinem Ausdruck herauslesen konnte er nicht. Sein Blick war starr und kühl auf ihn gerichtet, doch darin lag keine Gleichgültigkeit oder Abwertung. Ein Funken Betroffenheit vielleicht... gerade so viel, dass man es nur spekulieren konnte. Hayato hasste es, jemanden nicht richtig einschätzen zu können. Und vor allem hasste er es, wenn dieser Jemand eine Person war, von der er zuvor immer geglaubt hatte, sie richtig eingeschätzt zu haben - dumm und primitiv und nervig und liebevoll -, doch nun war diese Schublade einfach verschwunden. Nicht mal ersetzt worden war sie. Und übrig geblieben war Yamamoto. Nicht Baseballfreak oder elender Mistkerl oder strohdummer Bastard, sondern einfach nur Yamamoto. Und dann... ...noch eine Explosion. Vergangen war ein Wimpernschlag. Für Hayato war es eine Ewigkeit. In dieser Ewigkeit hatte Yamamoto einen letzten Schritt nach vorn getan, Gokudera an den Schultern gepackt, gegen den Baumstamm gedrückt und ihn geküsst. In dieser Ewigkeit geschahen noch weitere Explosionen, doch sie taten nicht weh, sondern glichen eher einem Feuerwerk - laut und bunt und unübersehbar -, das aufstieg und einen schwarzen Nachthimmel mit den verschiedensten Farben erfüllte. In dieser Ewigkeit riss Hayato die Augen auf, ließ die Zigarette aus seiner Hand zu Boden fallen, spürte warmes Wasser über seine Wangen rinnen und einen ebenso warmen Körper, der sich an den seinen drängte. Dann wieder eine Explosion, und am Ende der Ewigkeit fühlte er die rauen Lippen und die feuchte Zunge und noch ganz viele andere Dinge, die ihn allesamt auf einmal überfielen, und dann verging die Ewigkeit und all die verschiedenen Dinge, die seinen Verstand dominiert hatten, zerplatzten wie tausende von Seifenblasen. Und dann war es vorbei. Takeshis Hände lagen noch immer auf Hayatos Schultern, doch seine Lippen hatte er sachte gelöst und war einen Schritt zurückgetreten. Seine Augen waren fest auf die Gokuderas gerichtet, welchem nichts anderes übrig blieb, als den Blick zu erwidern - so gern er auch weggesehen, sich losgerissen und davongerannt wäre, er tat nichts dergleichen. Er konnte einfach nicht. Wollte es vielleicht auch gar nicht. Und dann brach Yamamoto das peinliche Schweigen: „Denkst du immer noch, dass ich nicht ernst nehme, was du mir am Freitag gesagt hast?“ Hayato konnte nicht antworten. Er öffnete den Mund, doch er brachte kein Wort zustande. Noch immer rannen ihm Tränen über die Wangen, doch das nahm er nicht bewusst wahr. Er atmete ein und aus, erst schnell und unregelmäßig, dann immer langsamer, bis es ihm wieder möglich war, einen klaren Gedanken zu fassen. Erst jetzt fielen ihm die Tränen auf. Er wollte sie wegwischen, doch Yamamoto umgriff sein Handgelenk und strich mit seinem Daumen über die leicht geröteten Wangen. Gokudera ließ es schweigend zu, und selbst wenn er sich hätte wehren wollen, hätte ihm die nötige Kraft dazu gefehlt. Hayato rang nach Luft und setzte sich endlich zu den wohl unpassend passendsten Worten durch, die man in verzwickten Situationen wie dieser nur sagen konnte: „Du Idiot... wegen dir hab‘ ich Mathe verkackt!“ Yamamoto lächelte. Sein üblich dümmliches, herzliches Lächeln, und Hayato hasste es. Hasste es so sehr, es jetzt zu lieben, doch daran führte nichts vorbei. „Tut mir leid... aber ich glaub‘, ich hab‘ ganz gut geschrieben. Die Aufgaben waren echt einfach gewesen.“ „Ja, schön für dich!“ Er verschränkte die Arme, stieß sich vom Baum ab und lief in Richtung Ausgang des Schulgeländes. Auch er lächelte jetzt, doch das konnte Yamamoto nicht sehen. Nach kurzem Zögern folgte Yamamoto Gokudera und fragte: „Wärst du sauer, wenn ich ‘ne bessere Note als du geschrieben hätte?“ „Tch, werd‘ bloß nicht überheblich, Baseballfreak!“, wehrte Hayato sofort ab, „Als ob das überhaupt möglich wäre.“ Yamamoto lachte über den Kommentar, sagte nur noch, dass Gokudera damit wohl recht habe, und dann schien alles wieder beim Alten zu sein. Eine Woche später würden die beiden ihre Klausur zurückbekommen und Hayato würde mit seinen unwürdigen achtzig Prozent entsetzt feststellen, dass er mit seiner Aussage im Unrecht gelegen hatte. Takeshi würde es tatsächlich zu sechsundachtzig Prozent und somit zur besten Note der Klasse bringen, worüber Hayato sich voller Drang und Eifer aufregen und einen riesen Aufstand machen würde. Dann würde Yamamoto ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund drücken, ihm durch das silberne Haar streichen und aufmunternd sagen, dass das nur ein Ausrutscher gewesen sei und es das nächste Mal anders aussehe. Gokudera würde sich missmutig losreißen, ein selbstverständliches „Natürlich wird es das!“ entgegnen, das Klausurenblatt zerreißen und wegwerfen. Doch das wussten die beiden jetzt noch nicht. Sie wussten nur, was jetzt war und vor allem dass es war, und allein das reichte aus, um sich im Klaren darüber zu sein, wie viel Spaß jede noch so ernste Ernsthaftigkeit doch machen konnte, ohne dabei in ein Spiel abzudriften. ‚Spielen ist was für Baseballfreaks‘, war Hayatos Devise gewesen. ‚Das richtige Leben sieht anders aus.‘ Jetzt wusste er es besser. ‚Spielen ist was für jeden, solange er weiß, was und mit wem und warum und wie er damit umgeht, wenn es auf einmal ernst wird. Das wissen sogar Baseballfreaks.‘ Heute war ein Montag. Unfassbar. [ T H E. E N D. ] --- ‚Konglomerat‘ heißt ‚Zusammenballung/ Gemisch verschiedenartiger Dinge‘... sollte sich von selbst erklären, denke ich. ;D Das war nun meine kleine FF zu den beiden Schnuffis; ich hoffe, sie hat euch gefallen. :D Liebe Grüße, P.S.: Wenn ihr wollt, könnt ihr auch gerne mal in meine beiden One-Shots „Downpour“ und "Smokin'-NOT-Bomb", die Fanfiction "Diario del Futuro" oder meine Drabblesammlung "Weltentrümmerwunderland" zu dem Pairing gucken. :D *Werbung* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)