Grandia II: Der Pfad zur Seele von Ghaldak (Eine Tragödie in 5 Akten) ================================================================================ Kapitel 18: Der purpurrote Schwertturm (2) ------------------------------------------ Selten einmal hatte ich in meinem Leben so wenig eine Wahl gehabt als in dem Moment, in dem wir den Schwertturm betraten. Es fühlte sich an, als würden wir in ein offenes Messer laufen und hätten keine Wahl. Erinnerungen an den letzten Turm waren in mir viel zu lebendig. Diesmal sollte sich doch alles zum Besseren wenden. Du Luft war kalt und staubig, als wir die Gänge betraten und Selenes Wachen hinter uns zurückließen. Nun gab es nur noch Tio, die schweigsame Elena und mich. Ich zog zur Sicherheit mein Schwert. Dunkle Gänge lachten uns entgegen, Fackeln brachten Licht. Gehauene Wände aus dunklem Stein ließen sich erkennen und auch der Boden war noch intakt. Nur der Sand, der an einigen Stellen eingedrungen war, verriet das gigantische Alter dieses Bauwerks. Es schien seit Ewigkeiten verlassen. Es war still. Tio bewegte sich fast ohne Laut und auch Elena schien der Wunsch erfasst zu haben, möglichst unsichtbar zu sein. So blieben meine Schritte, meine brennende Fackel und manchmal auch etwas anderes. Ich hörte etwas brummen, doch keiner meiner Kameraden wollte es bestätigen. Es war erdrückend. Ganz plötzlich brach Tio die Stille. „Angriff“, rief sie und kam sofort in Bewegung, während ich mich zur Seite warf, um nur so haarscharf einer Feuerkugel zu entgehen. Das Brummen war schrecklich laut geworden, doch ich konnte seine Richtung nicht bestimmen. Was sollte ich tun? Ich war allein. Tio hatte sich in die Schatten geworfen und von Elena war nichts zu erwarten, also blieb alles an mir hängen. Ich stürmte voran, hin zu dem Feind, und plötzlich war ich ganz nah. Es war ein riesiges Viech in rotem Pelz und seine Hörner waren länger als mein Schwert. Ich erkannte auch das Brummen. Es war sein schnaufendes Atmen. Viel Zeit blieb mir nicht. Feuer verfehlte mich nur knapp, als plötzlich Tio an meiner Seite erschien. Da griff sie an, ihre Reife gezogen stürmte sie auf das Biest zu – ich konnte ihr gar nicht so schnell mit meinen Blicken folgen – und sprang, während sie mit ihren Klingen um sich wirbelte und hoffte, die Kehle des Monsters zu erreichen. Es gelang ihr nicht. Trotzdem schlug sie hässliche Wunden, die das Vieh erst einmal verdauen musste. Ich nutzte die Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, ehe mir eine Idee kam. Ich musste dasselbe versuchen wie Tio. Ich war bereit und Tio gab mir ohne ein Wort die nötige Ablenkung. Sie warf schnell eine ihrer Scheiben, die wie ein Diskus die Luft zerschnitt und die rechte Pranke der Bestie traf. Der Schrei war markerschütternd, denn die Waffe glitt einfach durch und riss Blut und Fleisch in einem Bogen mit sich. Wut, Schmerz und Angst mischten sich in der Bestie und Tio hatte erreicht, was sie wollte. Sie nahm mich gar nicht mehr wahr. Ich war am Ziel. Mein Körper prallte gegen vermoderten Pelz und ich riss meine Klinge nach oben. Ich traf und drückte immer höher, ignorierte den Gestank und das dunkle, heiße Blut, das auf mich herabregnete, sondern umklammerte mein Schwert und hoffte, nicht meinen letzten Fehler begangen zu haben. Ich hatte Glück. Das Monster brach zusammen und schlug auf den Boden auf. Ich hatte sein Hirn durchbohrt. Ich keuchte, als ich mich endlich davon löste, suchte Tios Blick und lächelte. Wir hatten es geschafft. Der Wächter war überwunden und der Weg zum Schwert lag frei. Der Preis war unser. Hinter einer Vitrine funkelte uns eine mattschwarze Klinge an und alles, was wir zu tun hatten, war ein Glas zu brechen. Ich wechselte Blicke mit Tio, als plötzlich Elena wieder hinter uns erschien und erstarrte. Das war das Ziel unserer Reise. Tio löste sich als erster aus dem Bann. Langsam näherte sie sich der Beute. Sie setzte an, die Scheibe zu zerschlagen, als eine unglaubliche Panik mich erfasste und mich aufschreien ließ. Ich wollte zu ihr vorstürmen und sie wegreißen, doch mein Körper gehorchte nicht mehr meinem Willen. Ich war hilflos. Als Tio die Klinge berührte, wurde sie von einer Kraft durchgerüttelt, bis von einem schrecklich qualvollen Krachen begleitet durch den Raum geschleudert wurde. Ihre Arme waren zerborsten und wurden durch dunkles, waberndes Fleisch ersetzt, welches Klauen bildete. Ihre bronzenen Augen beschlugen und färbten sich giftgrün. Zutiefst verwirrt und hilflos starrte sie mich damit an. Ich hatte es verstanden. Das Schwert war eine Falle gewesen und ein Teil Valmars hatte gerade ein neues Nest gefunden. Tios Stimme klang fremd, als sie sagte: „Bleib zurück. Elena ist Valmar. Ich will nur sie.“ Endlich gehorchte mir mein Körper wieder, doch nun musste ich handeln, ohne zu überlegen. Wie in Trance ergriff ich mein Schwert und sprang dazwischen. Metall traf gehärtetes, dunkles Fleisch und warf Tio wieder von meinem Mädchen weg. Elena musste in Sicherheit bleiben. „Was soll das, Tio?“, schrie ich, „Warum kämpfst du nicht dagegen an? Das hier ist doch dein großer Feind. Du kannst ihn doch besiegen.“ Ihre Augen riefen um Hilfe, als sie sich erneut in den Kampf stürzte. So schnell wie sie mir vertraut hatte, war sie nun bereit, mich zu töten. Etwas Warmes floss meine Stirn herab und ich wusste nicht, ob es Blut oder Schweiß war. Hatte sie mich schon getroffen? Tio ließ mir keine Pause. Ihr Körper huschte um mich herum und ihre Schritte waren so elegant und präzise, wie ich sie im Zelt schon erlebt hatte, während ihre Angriffe erschreckend unbeholfen wirkten. Sie hatte nie gelernt, mit Valmars Klauen zu kämpfen, und nur das hielt mich am Leben. Ich hatte eine Chance. „Elena, renn“, schrie ich, weil mir nichts anderes einfiel und ich eine Sorge weniger haben wollte. Mein Gegner war stark, er war gut genug, seine Klingen kamen mir zu nah und trafen mich. Und ich? Wollte ich sie eigentlich töten? Ja, verdammt, beantwortete ich mir meine Frage, sie war kurz davor, mich auszuknipsen, da konnte ich keine Rücksicht nehmen. Mit einem Schrei trat ich ihr in den Bauch und ließ sie nach hinten taumeln. Auch ihre Verteidigung funktionierte mit neuen Waffen nicht mehr. Dann ließ ich meine Klinge schwingen. Ich traf sie und ließ ihren Körper splittern, doch hinter mürbem Porzellan kam nur frisches dunkles Fleisch zum Vorschein, also schlug ich wieder und wieder drauf auf den wehrlosen Feind. Ich musste sie besiegen. Tio ging zu Boden. Ihre Frisur war längst hinüber, ihr Gesicht hatte Sprünge und als sie mich anblickte, nahm ich einen bronzenen Schimmer in ihren Augen wahr. Bildete ich mir ein, dass sie etwas flüsterte? Für sie war zu spät. Mit voller Wucht prallte mein Schwert auf ihren Kopf, das Bersten von Ton hallte durch den Raum und ich sah, dass es aus war. Ihre schwarzen Arme waren verschwunden und zurück blieb eine zerbrochene Puppe, die auf dem Boden lag und immer noch zu mir aufzublicken schien. Das war zuviel. Ich sank auf die Knie, ergriff ihren Leib und ich weinte. Die Tränen flossen, während mich ihr geschundener Kopf immer noch anzusehen schien. Sie lächelte nicht und sie litt nicht. Es floss kein Tropfen Blut. Trotzdem hatte ich sie getötet. Ich hatte es nicht gewollt, aber ich konnte es nicht verhindern, doch nun war die Frau Tiodora nichts anderes mehr als ein geschundenes Häufchen Ton. Was konnte ich anderes tun? Ich konnte nicht mehr, ich ließ mich über sie sinken und brach zusammen. In meinem Kopf nagte eine Stimme immerzu und sagte mir: „Eines Tages wird es Millenia sein.“ Irgendwann wurde es dunkel um mich, denn neben der Erschöpfung gaben mir meine Wunden den Rest. Ich war kein strahlender Sieger gewesen. Plötzlich fand ich mich im Gras liegend wieder. Die Sterne funkelnden, während das Land nach Heimat roch, und ich hoffte, dass ich nun eben aus einem Alptraum erwacht war. Dann trat Millenia in mein Blickfeld trat. Sie wirkte traurig. Ich lächelte sie an, als ich sie sah. „Was ist los? Bin ich tot?“ Kurz dachte ich, sie würde sie sich zu mir setzen, doch sie blieb und thronte weiter über mir. „Nein“, sagte sie und versuchte, sorglos zu lächeln. Dann gab sie es auf. „Doch“. „Dann war Tio also zuviel für mich? Ich hätte doch mehr trainieren sollen.“ Mein Versuch, unbesorgt zu wirken, misslang mir gründlich. Millenia schüttelte nur den Kopf: „Das ist es nicht. Es ist nur… Valmar ist wieder eins. Die Klauen ermöglichten die Vollendung. Ich trage nun seine ganze Macht in ihr und werde bald in die Erde fahren. Das Land wird es nicht verhindern können.“ Das klang mir alles zu hoch, aber ich sah ihre Sorge. „Du meinst“, fragte ich, „das Ende der Welt ist nahe?“ Jetzt setzte sie sich zu mir ins Gras. „Ja, genau das.“ – „Dann hatte Skye also Recht.“ – „Hatte er. Ich war nur weiter, als er dachte.“ Wir saßen beisammen, bis sie schließlich erzählte: „Die Augen von Valmar in Mirmau, das Horn von Melfice und die Klauen von Tio. Die Zunge ließ ich von Mareg in Liligau erlegen, die Flügel besitze ich selbst. Der Körper schafft den Geist und der Geist den Körper. Das konnte Skye nicht wissen.“ – „Und nun?“ – „Die Energien vereinen sich in mir und werden mich auflösen. Dann wird die neue Kraft die Erde verwandeln. Bald wird es kein Leben mehr geben. Die nächsten Tage werden ein Alptraum sein.“ Das war mir zuviel auf einmal, um es jetzt völlig zu begreifen: „Bin ich deshalb hier?“ – „Du bist in mir“, sagte sie und lächelte schüchtern. „In meinem Verstand. Ich wollte dich bei mir haben, jetzt…“ Es donnerte und die Erde bebte, während Blitze die Nacht durchzuckte. Sie sprach nicht weiter. „Westschlesien, ein schöner Ort“, sagte ich, als ich das Land um mich herum erkannte, „Hier trafen wir uns zum ersten Mal, nicht wahr?“ Sie nickte. „Ja, hier hast du mich geformt aus Traum und Wunsch. Ich muss sagen, mir gefällt dein Werk.“ – „Ich habe was?“ – „Nachdem ich im Carmina-Turm aus dem Siegel gebrochen wurde, hast du in dieser Nacht geträumt. Erinnerst du dich?“ Es war seltsam, doch ich tat es. „Ich habe dich aus dem Boden ausgegraben und vom Schmutz befreit, nicht wahr?“ Sie nickte. „Ich brauchte eine Form und Elenas Geist war so trostlos. Sie brauchte mich nicht, hatte mich nicht gerufen und wollte nur meine Vernichtung. Darauf kann man kein Leben gründen. Dann fand ich dich daneben schlafend und deine Träume von Liebe und Schönheit…“ Sie legte den Arm um meine Schulter und kuschelte sich an mich. „Daraus wurde dann ein Leben.“ Ihre Bewegungen ließen etwas klirren und ich erkannte, was es war. Mein Schwert. Ich hatte es bei mir. Millenia folgte meinem Blick, doch als ich sie anblickte, wich sie mir aus. „Mir gefällt es hier.“, wiederholte ich noch einmal. Stille lag zwischen uns, bis sie sie durchbrach. „Ich weiß nicht, warum es so endet. Eins führte zum anderen, als plötzlich…“ Sie brach ab, als die Tränen kamen, und fügte dann hinzu: „Ich habe dich benutzt. Vergib mir. Bitte vergib mir.“ Es störte mich nicht. Valmars Teile fanden zusammen, hatte sie gesagt? Es passierte auch mit den Menschen. Ich hatte mich in sie verliebt, ich hatte mit ihr geschlafen, ich hatte mich für sie entschieden. Ich musste ihr nichts verzeihen. Es war keine Magie. „Mach dir nichts draus“, sagte ich. „Elena hat mich benutzt, Skye ebenfalls, ebenso Selene. Ich bin es gewohnt, benutzt zu werden, als Geronshund sowieso. Ich möchte dir nur sagen, was du auch getan hast, es war eine schöne Zeit. Es ist schade, wenn sie nun endet.“ Sie lachte mit Tränen in den Augen. „Du bist so dumm“, sagte sie. „So unendlich dumm.“ Ich nahm sie in die Arme und hielt sie fest, als die Erde erneut erbebte. Die Teile finden zusammen, dachte ich und musste lachen, als ich ihren Busen gegen meine Brust drücken spürte. Wie gerne würde ich noch einmal… Da erkannte ich es. Es gab einen dritten Weg. Sie hatte ihn mir gewiesen, jetzt musste ich ihn ergreifen. „Skye“, sagte ich leise. „Ich brauche dich. Zum letzten Mal, mein Freund.“ Dann schloss ich die Augen und dachte, was zu tun war. Skye erschien. Als ich die Augen öffnete, sah ich ihn über uns schweben. Er blickte mich an, das majestätische Wesen, dann löste er sich auf zu einem Pfeil blauen Lichts, das in Millenia einfuhr. Irgendwas tief in mir begann schrecklich zu schmerzen. Ich fühlte mich, als würde ich von einem Moment auf den nächsten lebendig gekocht oder als würde eine Unzahl von kleinen Händen gleichzeitig an meinem ganzen Körper ziehen. Ich glaubte, zusammenbrechen zu müssen, doch dann war alles vorbei. Die Erde rumpelte nicht mehr. Ihr ging es alles zu schnell. Sie starrte mich an, während ich keuchte und selbst gegen die Tränen kämpfte. Selten hatte ich ihr etwas erklären müssen:. „Die Teile finden nicht zusammen. Ich bin Melfice, das Horn Valmars. Solange ich lebe, wird dieser Teil der Kraft nicht dein sein.“ Sie starrte mich an, als ob ich nun ganz verrückt geworden sei, doch die Welt schien mir zuzustimmen. Schließlich sank Millenia zusammen und weinte gegen meine Brust. Ich hatte den dritten Weg gefunden. Was es bedeutete, das würde sich zeigen, doch für heute hatte Valmar die Welt nicht bekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)