Grandia II: Der Pfad zur Seele von Ghaldak (Eine Tragödie in 5 Akten) ================================================================================ Kapitel 8: Am Zenit in St. Heim ------------------------------- Der nächste Morgen kam und die Welt hatte sich nicht sehr verändert. Elena hatte, wie ihre Augen verrieten, doch irgendwie Schlaf finden können und ich leistete meinen Teil zu ihrer Gesundung, indem ich weder Aura noch die Ereignisse in ihrem Zimmer erwähnte. Stattdessen galt es für uns nun, voranzublicken. Aura war tot und das Böse mächtig, aber da uns das keine neuen Ideen brachte, machten wir einfach weiter wie bisher. Ich bildete mir schon ein, irgendwo jenseits der Wolken die Türme der Kathedrale von St. Heim zu sehen, doch dies sollte ein Wunschtraum bleiben. Der Tag war diesig und der Weg noch weit. In einem Laden füllte ich unsere Vorräte auf, nur um sicherzugehen, und als ich den Laden verließ, war Elena von einer Gruppe Ritter in schimmernden Eisen umgeben. Ich wollte gleich umdrehen und die Gestalten erst einmal aus der Ferne betrachten, doch sie winkte mir zu und rief nach mir. Da blieb mir keine andere Wahl. Schweren Herzens trat ich ihnen entgegen und hoffte, dass es keinen zu großen Ärger bedeutete. Elena wirkte unbesorgt, was mich wunderte, bis mir langsam aufging, dass dieser Trupp zu ihrer Mannschaft gehören musste. Ihre Schildwappen beinhalteten das Engelsrad Granas, doch noch etwas mehr. Waren das die berühmten Kardinalsritter? Ich hatte noch nie welche aus der Nähe gesehen, doch der Blick, mit denen sie mich empfingen, ließ zumindest die Gerüchte über ihre Arroganz zutreffend erscheinen. Sie machten sich nicht die Mühe, mich zu grüßen oder sonst wie auf mein Eintreffen zu reagieren. „Das ist Ryudo“, sagte Elena und versuchte, beide Gruppen zu verbinden. „Ryudo, darf ich dir die tapferen Streiter vorstellen, die dich retteten?“ Ich wollte im Boden versinken. „Danke, ihr Herren“, murmelte ich, doch sie reagierten weder auf meine Worte noch auf meine Hand. Ich wollte mir schon Elena greifen und mit ihr möglichst schnell verschwinden, als eine Stimme die Situation zerschnitt: „Wir taten es doch gerne, ja sehr gerne.“ Wie auf Kommando drehten sich acht Köpfe in eine Richtung und blickten zu einer schwarzhaarigen Frau in weißem Gewand, die bis gerade mit einer Bürgerin gesprochen hatte. „Inquisitorin Selene“, flüsterte Elena mir zu, als sie zu uns herüberkam. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr lösen. Diese Frau, die da gerade auf mich zukam, war wirklich ein Anblick für die Götter. Ihr schwarzes Haar fiel wie schwarze Seide, ihre Frisur saß perfekt, ihr weißes Gewand strahlte im Licht, ohne den kleinsten Fleck zu offenbaren, und ihr goldener Schmuck verlieh ihr den passenden Glanz. Ihre Hände waren feucht und zart, ihr Händedruck dagegen fest und bestimmt. Ich war mir sicher, die Inquisitorin wusste, was sie wollte. „Du bist also Ryudo“, begann sie und betrachtete mich von Kopf bis Fuß, während ich nicht wagte, etwas zu erwidern. „Ich dachte eigentlich, du wärest größer. Wie geht es dir?“ Was sollte ich sagen. „Ähhm, gut.“ – „Das freut mich. Das freut mich wirklich.“ Sie lächelte, dass mir ein Schauer den Rücken runter lief. „Wie ich sehe, stehst du auch kurz vor dem Aufbruch. Wohin geht es denn weiter?“ – „St. Heim“, sagte ich, ohne noch ein weiteres Wort über unsere Mission verlieren zu wollen. „Sehr schön, ein treffendes Ziel.“ Sie nickte. „Wir sind auch auf dem Weg zurück. Allerdings habe ich gerade von dem mysteriösen Tod eines kleinen Mädchens erfahren, dem ich noch gerne nachgehen möchte. Würdet ihr hier warten wollen, bis wir uns der Sache angenommen haben?“ Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Elena erbleichte und stammelte. „Nein, ähhm… danke, aber wir möchten nicht mehr Zeit verlieren.“ – „Nicht?“ Ihr Blick durchwühlte mich noch einmal und schien auf eine Antwort zu warten, die ich ihr nicht gab. „Schade. Es hätte mich gefreut, etwas Gesellschaft zu haben, aber ich sehe auch, dass ihr die Strecke auch ohne meinen Schutz bewältigen könnt.“ Sie schüttelte meine Hand. „Reise mit Granas, Ryudo. Ich hoffe, wir sehen uns in St. Heim wieder.“ Erst als Elena wieder bei mir stand, wurde mir klar, dass die Truppe verschwunden war. Unwillig drängte sie zum Aufbruch und verbreitete eine schlechte Laune, die ich mir gar nicht erklären konnte. Erst auf dem Weg verstand ich: Selene musste für sie ein großes Idol sein, doch sie hatte sie gar nicht beachtet. Vor der Kathedrale zu warten war das Schlimmste. Das Gebäude war gigantisch, ein Koloss ewig hoch aufgetürmter Stein, der bis zu den Wolken reichte, und ich stand hier, darunter, klein. Irgendwo dort drin, im Herz der Kirche des Granas, trieb es Elena herum, hastig auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich die unerwünschte Seele Millenias aus ihrem Leib zu schneiden und sicher waren es für sie endlose Momente der Frustration, des Hoffens, Irrens und Wartens. Es schmerzte mich fast, dass ich nicht bei ihr war. Ich stand hier, ein kleiner Mensch vor hohen Türmen, und wartete darauf, dass dieser Stein mein Mädchen wieder ausspucken würde. Ich war so allein. Ein Stein fand den Weg zu meinem Blick, dann zu meinen Händen. Ich hob ihn auf, ließ ihn durch meine Finger und Hände gleiten, spürte seine Glätte und sein Gewicht, eheich ihn davon warf. Ich beobachtete Blätter, die der Wind am Rande der Türme entlang nach oben zog und sie dann wieder fallen ließ, ich sah sie wieder stürzen und verlor sie aus dem Blick. Ich zählte Stufen und Menschen auf ihrem Weg irgendwohin. Ich fragte mich, wo Skye war und versuchte auf tausend anderen Wegen, möglichst nicht an Elena zu denken. St. Heim. Ein letzter Name auf der Liste unserer Reiseziele. Er bedeutete Abschied von Millenia, von jener fremden Frau, die ich nie wirklich kennen lernen konnte. Sie war heiß, das konnte man nicht anders sagen, doch sie war ein fremder Acker. Ich hatte mich entschieden. Ich zählte Reihen von Steinen, ehe ich sie nicht mehr auseinander halten konnte, und fragte mich, wie viele Glocken wohl in den einzelnen Türmen hingen. Ich beobachtete die Wachen, die mich mit scharfen Blicken vom Eingang abhielten und versuchte, mir die einzelnen Elemente ihrer Kleidung bewusst zu machen. Warten war schlimm. Vögel hoben sich durch die Lüfte, Tauben waren wenige darunter, dazu lag die Kathedrale zu weit weg von der Stadt. Ich konnte einen Adler kreisen sehen, der weit über fernen Wäldern nach Beute suchte, oder war es ein Falke? Zwitscherte es wirklich in der Ferne? Verstreute weiße Wolken zogen über den Himmel. Ich beobachtete, wie sie vorbeizogen und wurde mir bewusst, dass es kälter wurde. Der Abend brach heran. Ameisen und kleine Käfer wuselten zu meinen Füßen. Unkraut spross zwischen den Fugen der Steine. Mein Schwertknauf ruhte schwer in den Händen, die Finger umspielten bekanntes Holz und Metall. Gesang drang aus dem Inneren, leise zu hörende Predigten, gelegentlich zogen auch Menschen an mir vorbei, nur abwertende Blicke auf mich werfend. Drang ein Geruch von Weihrauch aus dem Inneren oder irrte ich mich? Langsam wurde es kalt. Die Straßen leerten sich. Immer mehr Menschen verließen die Kathedrale und ich fragte mich, ob es im fernen Ort unter den Augen der Priester auch Schankstuben gäbe. Der Gedanke, jetzt im Warmen eines Wirtshauses bei einem Bier oder einer warmen Mahlzeit zu sitzen, war verlockend. Ich überlegte, ob ich den Kopf auf meinen Rucksack betten sollte. Wachen wechselten, dieselben bösen Blicke werfend, und als ich schon kurz davor stand, das Warten auf morgen zu verschieben, trat ein blondes Chormädchen durch die Portale. Ich hatte gewartet, doch sie war am Ende. Alles, jede Zelle ihres Körpers und jede Sekunde ihres gesenkten Blicks verrieten sie, ihr Gang war taumelnd und unsicher. Ich wollte aufspringen, doch ich merkte, dass sie Ruhe brauchte, also wartete ich ab, bis sie sich neben mich auf die Treppe setzte. "Sie können mir nicht helfen", sagte sie dann. "Weder Liturgie noch Zauberei kann sie vertreiben. Die ganze Macht der Kirche reicht nicht aus. Und sie wissen auch nicht weiter.“ – „Verdammt.“ – „Millenias Mord war mehr als nur ein Trick. Jeder kraftvolle Versuch hätte mich getötet. Ich habe sie lange diskutieren hören, ob das notwendig wäre, doch schließlich haben sie sich entschieden…“ Ihre Stimme setzte aus, bis sie Kraft zusammengekratzt hatte, die sie eigentlich nicht mehr besaß „… mich gehen zu lassen.“ Das war wichtig, aber ich konnte ihr nicht folgen. „Wohin gehen?“ – „Wohin ich will, nur weg, aus ihren Augen.“ Sie schüttelte sich, als würde sie gleich zu weinen anfangen, doch dann explodierte sie. „Verdammt, Ryudo, begreifst du es nicht? Ich bin aus der Kirche ausgeschlossen, meine Seele wurde als unrettbar abgetan. Du widerliches Schwein, hättest du mich nur letzte Nacht getötet, ich wäre als Chormädchen gegangen, doch jetzt…“ Sie schlug in meine Richtung, ehe sie zusammenbrach. „… habe ich nichts mehr.“ „Du hast mich.“ Ich wollte sie trösten, doch sie schüttelte meinen Arm ab. „Mach dich nicht lächerlich“, sagte sie, „und gehe dich lieber auszahlen lassen. Vorher kannst du mich ja noch beenden.“ – „Nein, verdammt, nein. Du hast mir noch ein Eis versprochen, und darauf bestehe ich.“ Sie lachte, verletzt und zynisch. „Und bis dahin? Möchtest du mich wieder ins Bett schicken?“ Ich sah sie an und grinste breit: „Nein, wir feiern deine neu gewonnene Freiheit und werden uns richtig besaufen.“ Sie wagte keine Widerworte. Der Abend wurde lang und besonders meine Idee, auf jeden Toten einzeln zu trinken, bescherte mir und besonders Elena am nächsten Tag einen dicken Kopf und trugen nicht zu unserer Gesprächigkeit bei, als wir in einem Eishaus in St. Heim-Stadt die nächsten Schritte überlegten. „Ich glaube, es ist nicht schlimm, dass wir hier wegmüssen“, überlegte ich, "Wenn wir hier keine Hilfe finden, dann wird es wohl in ganz Schlesien keine für uns geben. Nichts hier kann stark sein, ohne das es der Kathedrale auffällt und von ihr übernommen wird. Und außerdem, wenn jemand hier Valmar vernichten könnte, hätte man wohl kaum diese Siegel gebaut.“ Ich blickte in Elenas Richtung und sie nickte, ohne aber recht überzeugt zu sein. „Aber Schlesien ist ja nicht die Welt. Es gibt auch im Osten Land, in dem man von mächtiger, wilderer Magie spricht. Ich kann mir vorstellen, dass sie besser wirkt als simple Liturgie.“ Ich wusste nicht, ob Elena mir zuhörte, lag doch momentan ihre Aufmerksamkeit bei ihrem Eisbecher, in dem sie lustlos herumstocherte. „Lass uns auf die Reise gehen“, sagte ich, „ans Ende der Welt, zu Gott oder zu etwas ganz Verrücktem.“ Ich konnte nicht anders, als breit zu grinsen. Es war so eine reizvolle Idee. Elena schien ich damit nur zu nerven. „Ryudo“, begann sie. „Was denkst du, wie meine Chancen stehen?“ – „Wenn Millenia nicht plötzlich aus dir rauswuchert… eins zu fünf? Eins zu zehn?“ – „Nur mit Granas Hilfe und der hat mich, wie du weißt, verlassen.“ Ich seufzte. Mit ihrer resignierenden Art ging sie mir langsam auf die Nerven. „Vielleicht stehen wir gerade nicht gut da“, musste ich zugeben, „doch noch lebst du. Du bist gesund und noch klar bei Verstand und das solltest du als Geschenk sehen. Siehe es als Chance. Wir werden schon einen Weg finden, auch wenn du ihn nicht siehst.“ Mein Blick ruhte auf ihn und ich hoffte, sie würde lächeln und „Los geht’s“ rufen, doch stattdessen wandte sie sich einfach wieder ihrem Eisbecher zu und gab mir eine Antwort: „Deine Entscheidung“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)