Memories of a Geisha von Ratte (Das geheime Leben der Hatsumomo) ================================================================================ Kapitel 1: Die Geisha Nanami ---------------------------- Die Nitta-Okia war in ganz Gion eins der bekanntesten und angesehensten Okias und so wurde zwar nicht viel hinter dem Rücken von Yurida - die unter Großmutter bekannt war - hergezogen, sondern nur die Tatsache belächelt, dass viel Geld für eine dreijährige Dienerin ausgegeben worden war. Ein so junges Mädchen konnte keine schweren Aufgaben erfüllen und die Tatsache, dass es dies später vielleicht doch tun könnte, tröstete nicht darüber hinweg, dass es durch Arztrechnungen, Unterkunft, Kleidung und Nahrung einen sehr hohen Schuldenberg aufbauen würde und diesen, sollte es wirklich Talent für die Arbeit einer Geisha entwickeln, kaum abbezahlen können. Aber Yurida Nitta war sehr zuversichtlich und in ihrer mürrisch und garstigen Art, hatte sie mich, als ich das erste Mal die Okia betrat, am Oberarm gegriffen, so grob, dass ich später blaue Flecken davon bekam und mit tief in die Augen geblickt hatte. »Die Kleine hat Feuer. Sie kann man eine gute Geisha werden, wenn sie sich durchsetzten kann. Außerdem bekommen wir so günstig keine Dienerin mehr!« Takino war in diesem Moment froh, mich endlich loszuwerden und nahm wirklich jeden Preis an, denn Yurida nannte. Auf einmal stand ich in einer Okia, trug gerade mal ein Leinenkleidchen und fühlte mich in diesem Moment verlorener, als ein toter Vogel im Wind. Zu jener zeit lebten gerade einmal vier Geishas in der Okia. Zu einem war das Kayoko, die viele nur Mutter nannten, weil sie vor knapp zehn Jahren von Großmutter adoptiert worden war und deren Nachfolgerin sein würde, sobald die alte Yurida das zeitliche Segnen würde. Tantchen, dessen wirklichen Name ich niemals erfahren durfte, war ebenfalls adoptiert wurden, doch der Tanzunfall, der sich nach ihrer Adoption ereignet hatte, machte sie zum Krüppel. Ihre Hüfte ragte ein wenig hervor und als ich sie das erste mal gesehen hatte, glaubte ich, sie würde gleich umknicken und im rechten Winkel davon laufen, während ihr Körper immer mehr und mehr Richtung Erdboden sich bog. Die letzte der hier wohnenden Geishas war Nanami - siebe Meere - die ich damals für Wunderschön hielt. Sie stand hinter Großmutter, als diese mich in Augenschein genommen hatte und blickte mich mit kalten, abschätzenden Augen an, wie eine Löwin, die ihre Beute musterte. Ich war so fasziniert von mir, dass ich mir schon damals, im alter von drei Jahren, sie zum Vorbild auserkoren hatte, noch bevor sie nur ein Wort gesagt hatte. Nichts würde meine Bewunderung zu ihr noch erschüttern können, nicht einmal ihre Worte, die sie in Großmutters Ohr flüsterte. »Wenn du mich fragst, würde ich sie gleich ins Jorou-ya schicken!« »Aber dich fragt keiner, Nanami« Großmutter, die damals noch nicht so kränklich und einsam war, gab mir einen kräftigen Klaps auf den Rücken und nickte dann Tantchen zu, um ihr klar zu machen, mich in die Zimmer der Dienerinnen zu bringen. Mutter dagegen stand neben Nanami und schien mich noch abschätzender anzustarren, als die jüngere Geisha, denn sie sah in mir weder Konkurrenz, noch eine Freundin, sondern nur eine gute Geldanlage. Aber wie von den meisten Befürchtet, war eine Dreijährige kaum in der Lage wirkliche Dienste zu vollbringen und so wurde ich meistens nur dazu eingesetzt um Türen zu öffnen, Gäste anzukündigen und andere Besorgungen innerhalb der Okia zu tätigen. Diese durfte ich auf gar keinen Fall verlassen und nur mit Begleitung durfte ich zum Haupttor. Aber eigentlich war dies eine unnötige Regel, denn ich dachte überhaupt nicht daran zu fliehen, denn all das, was meine Mutter falsch gemacht hatte, wollte ich richtig machen. Eine Geisha werden, das war mein größter Traum und ich würde nicht so dumm sein und einfach fliehen, um meinem Glück zu entkommen. Selbst in der Nitta-Okia, drei Jahre nach ihrem Tod, wurde noch über sie hergezogen, als wäre sie selbst Schuld an ihrem Tod gewesen und wahrscheinlich war es auch die Wahrheit, was sie sagten. Ich wollte nicht so enden, im Alkoholsuff und als verarmte Geisha, herausgeworfen, aus der eigenen Okia. Als dreijähriges Mädchen hatte ich noch Träume und Wünsche, aber ich sollte bald merken, dass diese Träume und Wünsche wie feine, bunte Seifenblasen zerplatzen können. Dennoch wurde ich in der Okia gut behandelt, solange ich nicht in der Nähe von Großmutter, Mutter oder Nanami war. Tantchen kümmerte sich um mich und versuchte mir so viel Arbeit abzunehmen, wie sie es mit ihrer kaputten Hüfte konnte. Wahrscheinlich würde sie das für jedes Mädchen machen, welches in der Okia aufgenommen wurde. Sie war damals, trotz ihrer Verletzung, noch eine sehr hübsche Frau, wenn auch mit einfältigen Gesicht, dennoch war sie von den anderen Geishas abgeschrieben und fristete ein Dasein als Dienerin, die niemals mehr erreichen würde, als sie jetzt erreicht hatte. Ein erbärmliches Leben, wie ich fand, aber dennoch war ich in manchen Situationen sehr dankbar. So war ich nur wenige Wochen nach meinem eintreten in die Okia vor Mutter gerufen worden, damit ich Nanami einen neuen Haarschmuck bringen konnte, der ihr von ihrem danna geschenkt worden war. Ich hatte das in altes Papier gewickelte Schmuckstück in meinen kleinen Händen und wagte nicht, mich zu berühren. »Wenn du es kaputt machst, kannst du dich auch gleich begraben lassen« zischte Mutter, während sie in ihren Kontobüchern schrieb und dabei ihre Pfeife paffte. Auch Großmutter war im Raum, aber ich wollte sie nicht anschauen. Ihre verfärbte, vergilbte Haut machte mir Angst und ich ekelte mich vor den kleinen Blasen, die sie im Gesicht und am Hals hatte, welche vom falschen Make-up stammten. »Das dumme Gör wird es kaputt machen, glaub mir« höhnte die Alte vom Fenster aus, von wo sie die Menschen auf der Straße beobachtete. »Dann wird sie es halt bezahlen.« »Nanami wird im Dreieck springen, sobald sie die Kleine sieht.« Ich blickte von einer zur anderen, immer den Blick gesenkt und demütig lauschend, was sie redeten, obwohl ich mich sehr schlecht fühlte, als ich bemerkte, dass Großmutters Abfälligkeit auf tatsächliches Misstrauen rührte. Bis vor wenigen Minuten hatte ich mich gefühlt, als wäre ich die einzige Person auf der ganzen Welt, der man solch einen großen Schatz anvertrauen konnte, doch nun begriff ich, dass ich die letzte war, der man glaubte eine solche Aufgabe erfüllen zu können und dass man es nur tat, weil kein anderer gerade Zeit hatte. Es begann sich in mir ein mulmiges Gefühl auszubreiten, fast so, als würde man eine ganz heiße Suppe auf einmal hinunter schütten und gleich danach ein Eis essen. Ich fühlte mich erschlagen und gleichzeitig sehr bedrückt, fast wütend, wenn man das schon als kleines Mädchen fühlen konnte. Ich blickte hinab auf das eine Packet in meiner Hand, während sich die beiden alten Frauen noch darüber stritten, ob sie mir das wirklich anvertrauen sollten. »Was machst du noch hier? Los geh schon und bring das Päckchen zu Nanami« Ich erzitterte wie ein aufgeschreckter Hase, als ich auf einmal von Mutter angeblafft wurde. Ich sprang sofort auf, verbeugte mich kurz und eilte dann hinaus aus der Tür. Ich rannte den Flur entlang und die schmale Treppe nach oben, um schnell von den beiden alten Hexen wegzukommen und das teure, wertvolle Schmuckstück Nanami zu überbringen. Sie bewohnte das obere Zimmer. Ein sehr geräumiges, schattiges Gemach, dass größer war, als all die Dienstbotenräume zusammen. Ich selbst traute mich kaum hinein, denn noch immer bewunderte ich die schöne Geisha. Wie konnte ich, ein kleines Mädchen, eine Dienerin, es auch nur wagen, diese Heiligtümer betreten? Ich stand einige Minuten vor der Tür und konnte vor Anspannung mich kaum rühren. Mein kleines Herz klopfte schneller, als der Schwanz eines freudigen Welpen wedeln konnte und meine Glieder waren schwer wie Bleib. So stand ich einige Minuten mit dem kleinen Päckchen in den kleinen Händen und wartete darauf, dass ich mich wieder bewegen konnte. Ich atmete einmal tief ein, dann einmal aus und schloss die Augen, bevor ich die eine Hand hob, um anzuklopfen. »Was machst du hier?« hörte ich auf einmal die sehr hohe Stimme von Nanami hinter mir. Ich erschrak fürchterlich und drehte mich zitternd um, während sie mit verschränkten Armen und eiskalten Blick auf mich hinunter schaute. Nanami war eine adlige Geisha, wie man sie auch ab und an nannte. Ihr Vater war ein Lord gewesen, ihre Mutter eine bekannte Geisha, welche - nicht so wie meine - vom Lord auch nach der Geburt ihres Kindes gut unterhalten wurde. Nanami wurde verwöhnt von ihrem Vater und brachte dadurch der Okia eine Menge Geld ein, genauso wie ihr danna, der sehr viel für sie bezahlte. Eigentlich war sie eine sehr herzliche Person und unter Männern, sowie Geishas sehr beliebt. Sie war auch gar nicht bösartig zu mir, wie sich nach ihren ersten Worte vor Monaten erwarten lies, ignorierte mich aber vollends und beschwor Mutter, mich nicht in ihre Nähe zu lassen. Aus einem mir unverständlichen Grund verspürte sie eine gewisse Abneigung gegen mich, stärker, als gegen all die anderen Dienerinnen und Dienstboten. »Ich… ich… so …soll..« »Stottere gefällst nicht so vor mir herum, wenn du mit mir sprichst!« »Ich soll ihnen das hier bringen.« »Entschuldige dich!« Ich blickte sie verwirrt an, während sie kälter als je auf mich nieder starrte. Sie hatte eine merkwürdige, aristokratische Wirkung auf mich, die wohl auch ein Adler auf einen Spatz hätte. Ich schluckte ein wenig, wahrscheinlich meinen ersten Anflug an Stolz, und neigte dann entschuldigend den Kopf. Ich würde wieder stottern, sobald ich meinen Mund öffnen würde, doch ich atmete einmal tief ein, dann flüsterte ich leise Entschuldigung und hielt ihr dann, den Blick gesenkt, ihr Päckchen hin. Sie nahm es ab, höchst darauf bedacht, mich auf keinen Fall zu berühren, dann beäugte sie es genauer. »Lord Takaio hat es mir gebracht?« »Ich glaube schon, Herrin« antwortete ich auf ihre Worte, während ich noch demütiger vor ihr stand, das kleine Mädchen vor der großen Löwin. Diese jedoch hatte gerade ihre Beute und packte es schnell aus, um den wunderschönen Haarschmuck zu begutachten. Sie blickte es erst überrascht, dann abschätzend und dann höchsterfreut an. Kurz danach packte sie es wieder in das vergilbte Papier und drückte es fast zärtlich an ihre Brust, bevor sie sich hinunter zu mir beugte. Während sie den Schmuck begutachtet hatte, schien sie mich vergessen zu haben, doch nun sah sie mir genau in die Augen, verzog die Lippen zu einem schmalen Gesicht und legte den Kopf schief. »Du bist ein sehr süßes Mädchen, Mami!« Hauchte sie mir zu. Ihre Worte klangen lieblich und süß, als würde sie mir gleich einen Keks geben wollen, bevor sie sich wieder aufrichtete und verächtlich zu mir schaute. »Aber ich kannte deine Mutter und ich kenne dich sehr gut. Keiner weis es. Du weist es nicht und alle anderen wissen es auch nicht, aber du wirst einmal eine arrogante, ignorante und intrigante Wildkatze sein. Es steht in den Sternen, es ist dein Schicksal. Was glaubst du, wie ich dir da vertrauen kann?« Ich schaute sie verwirrt an. Wie sollte ein kleines Mädchen das verstehen? Wie konnte ein dummes, naives Kind all das in die zarte Seele aufnehmen? Es war wie ein Schlag ins Gesicht für mich, als sie mir das sagte, denn eigentlich wollte ich doch nur eine bekannte Geisha werden, eine wunderschöne Frau, der geheime Traum der Männer. Ich starrte ihr nach, unfähig diese Reaktion zurück zu halten, während sie zu ihrer Tür ging und diese aufschob. Sie schien mich wieder zu ignorieren, ganz so, als hätte das kurze Gespräch gar nicht stattgefunden und noch in dem Moment, als sie die Tür wieder hinter sich zuschieben wollte, ballte ich die kleinen Hände zu Fäusten und schrie, wie ich es hätte eigentlich nicht tun dürfen. »Das bin ich nicht!« Sie blieb abrupt stehen, begann zu lachen, wie eine Schlange, die jetzt die Maus verspeisen wollte. Sie lachte, ohne sich umzudrehen, lacht laut und schallend, bevor sie zu sprechen begann, ohne daran zu denken, mich anzuschauen. »Nein? Das bist du nicht? Wer bist du dann?« »Ich bin Mami!« »Das wirst du aber nicht bleiben. Keine Geisha bleibt das, was sie einmal war. Das wirst auch du lernen müssen und das wirst du auch lernen, glaube mir!« Und dann schob sie die Tür gänzlich zu und lies mich alleine im Flur stehen, zornig, verloren und dem Weg beraubt, denn ich eigentlich hatte gehen wollen. Zurück konnte ich nicht, ich war doch erst drei, doch vorwärts schien es auf einmal auch nicht mehr zu gehen. Die Wut lies zwar nach und nach in meiner kleinen Brust nach, doch ich konnte mich kaum einen vernünftigen Gedanken besinnen. Sie verhöhnte mich. Nanami, die große, gütige Geisha, verhöhnte mich aufs groteske. Natürlich vergötterte ich sie noch immer, ich war von ihr fasziniert, von ihrer Art, sicher Schönheit, ihrer Stimme und ihrem Charakters. Ich war so fasziniert von ihr, dass mein kleines Kinderherz vor Kummer zerbrach, als ich langsam begriff, dass sie mich immer verachten würde. Sie würde mich ignorieren und missachten. Aber es gab noch eine einzige Hoffnung. Ich musste ihr beweisen, dass ich nicht so war, wie sie glaubte. Ich musste ihr beweisen, dass ich eine gute Geisha werden könnte und dass ich würdig für ihre Gesellschaft sein konnte und dafür musste ich eins schaffen. Ich musste schaffen, dass sie meine große Schwester wurde. Sicherlich, als dieses kleine Mädchen, dass da gerade vor der Tür stand und starr vor entsetzten, waren mir diese weiten Gedanken nicht gekommen, sondern erst viel später, als ich mir fünf Jahren an einem Brunnen saß und kleine Steinchen hinfallen lies, um zu sehen, wie sie langsam in der Tiefe versanken. Dabei bemerkte ich, wie dieser kleiner Stein große Ringe nach sich zog und ich verstand, dass Nanami dieser Stein sein könnte, der in meinem Leben große Kreise nach sich ziehen würde, mein Leben richten könnte und mir helfen könnte, im großen Wasser meinen Platz zu finden. Doch im Alter von drei Jahren verstand ich noch rein gar nichts von ihren Worten. Sie waren keine Schranke, die mir ein Weg versperrten, sondern eine Abzweigung, um mich auf die richtige Richtung zu bringen. Ich musste diesen neuen Weg nur noch bestreiten. Und das wollte ich machen. Ich wollten diesen Weg bestreiten. Ich wollte ihn entlang rennen und den Wind in meinen langen, schwarzen Haaren spüren. Ich wollte die Steine unter meinen Füßen fühlen und ich wollte über jede Hürde mit Leichtigkeit springen. Als kleines Mädchen liebte ich die Zeit, in der die Früchte an Bäumen und Sträuchern ihre volle Reife erreichten, denn dann hieß es: Ernten! Einige Mädchen, die Töchter von Dienerinnen waren, begannen sich daraus einen Spaß zu machen, zu wetten, wer die meisten Früchte ernten konnte. Natürlich spielte ich jedes Mal mit und ab und an gewann ich auch. Besonders, wenn es um Kirschen ging, deren Blühten so wunderschön waren, dass ich sie jedes Jahr in einem der alten Bücher heimlich presste. Einmal war der Spaß jedoch kein Spaß mehr, als eins der Mädchen - ihr Name war, so glaube ich, Mamoko - auf eins der Dächer kletterte, um besser an die höher liegenden Früchte zu kommen. Ich hatte ihr davon abgeraten, kletterte jedoch nach, als sie meinen Worten keine Aufmerksamkeit schenkte. »Ach komm schon, Mami. Macht dir keine Sorgen. Ich bin schon tausendmal hinauf geklettert.« Ich hatte fürchterliche Angst, denn der Weg - über zwei Kisten, auf den Fensterrahmen, hochgezogen an eine Pflanzenranke - schien mir mehr als nur unsicher und ich glaubte nicht, dass Mamoko mir nur ein paar Schrammen davon käme, wenn sie stürzten würde. »Mamo« rief ich sie zur Vernunft, doch sie kletterte immer höher, bis sie auf dem Dachvorsprung kniete und ihren Arm ausstreckte, um an die saftigen Früchte zu kommen. Ich konnte nicht hinschauen. Ich kletterte ihr nach und tastete mich immer weiter und weiter vor, bis ich dicht hinter ihr war und meine Hand nach ihr ausstreckte. Vorsichtig hielt ich sie am Gürtel ihres Kleides fest, damit sie nicht den Halt verlor. »Lass uns wieder runter gehen… komm schon, Mamo« Doch sie hörte nicht auf mich. Sie zupfte bloß weiter die Kirschen von den Ästen und lachte dabei freudig, als hätte sie eine Menge Spaß. Meine Angst um sie - und nun auch um mich - ignorierte sie vollends. »MAMO!« schrie ich sie an, doch ich konnte noch nicht einmal ausschreien, denn auf einmal hatte ich drei Kirschen im Mund, die mir von Mamoko einfach hinein gesteckt worden waren. Ich kaute darauf herum, doch der besorgt-zornige Blick blieb auf meiner jungen Freundin haften. Aber bald wandelte sich dieser Blick in ein seliges, traumverzerrtes Gesicht, denn diese Kirschen waren einfach fabelhaft. »Das sind die besten überhaupt« lachte Mamoko freudig, während sie sich selber ein paar Kirschen in den Mund stopfte. Ich kaute selig weiter darauf herum und kicherte erfreut. »Weißt du, die Sonne kommt hier gut an die Früchte. Sie werden zwar schnell schlecht, aber wenn man sich beeilt, dann haben sie genau die richtige Reife. Sie sind wie Menschen. Wir sind die Knospen. Mit fünfzehn kommen wir in die Blühte und die Frucht sind wir mit zwanzig… die verbotene Frucht für die Männer« Wir lachten über diese Anspielung, denn immerhin lebten wir zwischen Geishas und schon als kleine Kinder waren wir in diesen Dingen aufgeklärter, als andere Mädchen mit zwanzig. Was jedoch an diesem Tag mir am meisten im Gedächtnis blieb, war nur die Tatsache, dass Menschen diesen Früchten wirklich zu ähneln schienen. Besonders mein eigenes Leben konnte man wirklich gut damit zusammen fassen. Glich ich doch im Moment einer kaum sichtbaren Knospe, würde ich bald eine wunderschöne Blume sein, dann eine saftige, verführerische Frucht, doch diese Frucht - so würden viele sagen - hatte einen fauligen Kern und würde von innen her langsam verschimmeln. Ich sage dagegen, dass ich einfach eine ziemlich scharfe Frucht war, die man nur mit Vorsicht genießen durfte. Aber in diesem Moment, als ich mit Mamoko auf dem Dach saß und Kirschen aß, war ich noch unschuldig und rein, bedacht, mein junges Leben zu genießen. Ich saugte jedes Fruchtfleisch von den Kernen und spuckte sie dann vom Dach. Sie landeten dann mit einem leisen ‘plopp’ im kleinen Teich des Okiagartens. Das war der Beginn eines Kirschkernweitspuckwettbewerbes zwischen uns beiden. Auf dem Dach der Okia wurde es zwar immer wärmer, aber dachten gar nicht daran, wieder hinunter zu gehen und sogar ich hatte meine Angst und mein Bedenken über die Höhe gänzlich verloren. Wir saßen so sicher und geborgen, dass uns nur ein Erdbeben von dort herunter geholt hätte, oder der laute Ruf der Herrinnen. Mamoko war es, die gerufen wurde und wir kletterten langsam wieder hinunter. Den Korb, denn Mamoko vorhin noch leer nach oben tragen konnte, war nun ein wirkliches Hindernis und wir brauchen fast doppelt so lange hinunter, als hinauf. Auf den letzten paar Metern jedoch, verlor ich den Halt auf dem Fenstersims und wäre beinahe in die Tiefe gestürzt, wenn mich Mamoko nicht aufgefangen hätte. Stattdessen landete der Korb krachend auf dem Boden und zerschellte. Die saftigen, leckeren Kirschen, verstreuten sich auf dem ganzen Boden und rollten bis unter die Terrasse. Wenn dass Tantchen sah, dachte ich erschrocken. Wir kletterten so schnell es ging hinunter und begutachteten den Schaden. »Was machen wir jetzt. Wenn ich keine Kirschen mitbringe, werde ich bestraft« Seufzte Mamoko, während ich schon damit beschäftigt war, die noch guten Früchte aufzulesen und in einen kleinen Teller zu legen. Mamoko seufzte und schluchzte weiter, denn sie fürchtete Schläge und als ich sie so weinen hörte, musste ich kurz die Augen verleiern. Sie würde nun zu ihrer Mutter gehen, ihr eine Lüge erzählen, ein paar kurze Schläge bekommen und dann morgen alles vergessen haben, doch sobald Tantchen, oder - noch schlimmer - gar Mutter diese Schweinerei sehen würde, wäre ich wohl viel schlimmeren ausgesetzt. Dennoch weinte ich nicht. Nein, ganz anders. Ich lief schnell in das kleine Nebenhaus und holte einen neuen Korb, um ihn Mamoko zu übergeben. »Hier!« sagte ich mit einer erwachsenen Ruhe in mir, drückte ihr den Korb in den Arm und schob sie aus der Tür der Okia. »Aber Mami« »Kein Aber« ermahnte ich sie, und blickte noch einmal besorgt zur Okia. »Geh jetzt, schnell!« »Das werde ich dir nie vergessen, Mami« Ich lachte erfreut und schloss dann die Tür, denn eigentlich durfte ich ohne Begleitung gar nicht mehr hier sein. Dann lief ich schnell zurück zum Garten und sammelte im Eiltempo die Kirschen auf, um sie auf den Teller zu legen und sie dann im kleinen Bach abzuspülen, der durch den Garten floss. Ich beeilte mich und dennoch brauchte ich fast eine Stunde, um alle Kirschen aufzuklauben, oder wegzukehren, damit kein weiterer Schaden angerichtet werden konnte. Als ich damit fertig war, und Erleichterung sich in mir breit machte, setzte ich mich im Licht der untergehenden Sonne auf die Terrasse und aß ein paar von den im Bach gewaschenen Kirschen. Nanami war schon längst unterwegs zu den Teehäusern, von denen sie heute gebucht worden war, doch so in Sicherheit, wie ich geglaubt hatte, war ich nicht. Tantchen rief nach mir, noch bevor ich alle Kirschen aufgegessen hatte. Sie rief mich zu Mutter und Großmutter, die beide im Gästeempfangszimmer saßen und auf mich warteten. Sie blickten auf, als sie mich sahen und in ihren Augen war Wut zu sehen. »Schau dir das an, du dummes Ding!« schrie gleich Großmutter mich an, noch bevor ich ganz verstand, was sie meinte. Vor ihr war ein Kimono ausgebreitet, dessen Saum mit roten Flecken gesäumt waren. Kirschflecken! »Weißt du, wie viel die Reinigung kostet?« Ich stand wie erstarrt da und blickte erschrocken auf den Kimono. Es war ein solch schönes Kleidungsstück, in Weiß mit roten und schwarzen Kranichen darauf, die an einem Weiher standen, oder gerade wegflogen. Ich fand, dass die Flecken gar nicht schadeten, aber so was durfte ich natürlich nicht sagen. Ich konnte nur eins. Ich begann eine Verbeugung, so tief ich nur mit meinem jungen Körper konnte und versuchte mich zu entschuldigen. »Ach bitte, du dummes Ding!« rief Großmutter aus. »Von deinen Entschuldigungen kann ich mir auch nichts kaufen. Du wirst Jahre brauchen, um diese Schulden wieder abzuarbeiten« »Es tut mir leid« schluchzte ich, während Tränen auf die Tatamimatten fielen. »Es tut dir leid« höhnte Mutter zornig, während sie Tantchen dazu veranlasste, den Kimono wieder davon zu tragen. »Was soll ich mir dir machen, du dummes Ding? Was? Ich sollte dich windelweich Prügeln, dich an deinen Füßen aufhängen, dich ewig einsperren dich…« Sie konnte nicht aussprechen, zu meinem Glück, denn in diesem Moment wurde die Tür erneuert aufgeschoben und Nanami in einem roten Kimono trat ein. Ihr weißes Gesicht schien fast wie der erlösende Mond in einem Monat voller heißer Tage. Sie lächelte verzückt, als sie hinein kam, dann kniete sie sich neben mich und blickte Mutter ernst an. »Mütterchen« sagte sie in ihrer gütigsten Stimme. »Ich sollte euch was sagen, bevor ihr hier weiter macht« »Was willst du, Nanami. Was hast du schon wieder angestellt?« Nanami lächelte weiter geheimnisvoll, bevor sie ihre Hand, als wäre es ihr peinlich, vor ihr Gesicht hielt und dann zögerlich weiter sprach. »Ich trug heute den weißen Kranichkimono und wurde von einem Heern zum Spaziergang eingeladen. Ich glaube, dabei sind wir durch Kirschen gelaufen. Ich befürchte, es könnten Flecken nun auf dem Stoff sein.« Mutter blickte sehr ungläubig zu Nanami, dann zu mir, bevor sie wütend paffend an ihrer Pfeife zog. »Was soll das. Glaubst du, ich nehme dir diese Geschichte ab?« »Oh, Mutter. Glaubst du mir etwa nicht? Schau dir meine Okobos an. Sie sind voller Kirschspuren. Sie sind ruiniert, aber der Herr versprach mir neue zu besorgen« Mutter grunzte etwas und ihre Augen wurden zu schlitzen, bevor sie die Asche aus ihrer Pfeife klopfte und zu Großmutter schaute, die kurz nickte. »Also gut. Mami… du hattest Glück, doch achte darauf, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Nanami, du bleibst noch. Mami geh!« Ich war ganz geschockt von der Situation, die sich gerade abspielte. Ich wollte mich verbeugen und mich bedanken, doch Mutter und auch Nanami blickten mich an, als würde sie kein Wort von mir dulden und so verbeugte ich mich nur und verlies den Raum sofort. Natürlich versuchte ich zu lauschen, doch Tantchen verhinderte dies, indem sie mich davon schickte, damit ich den Dienerinnen half, die Futons auszurollen. Ich tat natürlich sofort, was mir gesagt wurde, doch dabei dachte ich sehr lange über Nanami nach. Sie hatte gelogen. Sie hatte gelogen, um mir zu helfen und eine Bestrafung zu verhindern, die ich sehr wohl verdient hätte. Ich glaubte das nicht, ich konnte und wollte das nicht glauben und dennoch war ich unglaublich dankbar über die unerwartete Hilfe. Als ich dann Nanami draußen im Garten sah, wie sie dort zur Strafe Kniete, lief ich zu ihr und verbeugte mich tief. »Das kannst du ja schon mal gut. Dich verbeugen und entschuldigen. Männer lieben es, wenn sie Demut sehen, aber zu oft macht dich zu nahbar und sie werden deiner überdrüssig.« Ich schaute auf und sah eine kalte Miene, doch ihre Augen strahlten nicht mehr die gewohnte Abneigung. »Danke« sagte ich leise, während ich schüchtern vor ihr stand. »Für was?« »Eure… ihr habt für mich gelogen, Herrin« »Ach? Habe ich das? Ich kann mich nicht erinnern? Nur noch an diesen Spaziergang!« »Warum?« fragte ich nur noch schüchterner. »Weil es der Herr so wollte!« Sie lachte, doch ich verstand, dass ich keine richtige Antwort mehr bekommen würde. Ich seufzte ein wenig, wie frischer Wind und wollte gehen, doch Nanami sprach auf einmal, als würde sie eine liebende Mutter sein, die ihrem Kind eine Geschichte erzählte. »Mami. Ich habe dich wohl falsch eingeschätzt. Ich habe Mamoko getroffen. Du solltest morgen zu ihr und den Korb abholen, bevor Mutter merkt, dass ihr einer fehlt.« Verdutzt blickte ich sie an, bevor ich breit zu lächeln begann, mich verbeugte und dankend davon machte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)