Nachtlektüre von Sitamun (OS-Sammlung zu I/S) ================================================================================ Kapitel 6: Leid --------------- Genre: Shounen-Ai, Drama, Darkfic Summeray:: Es gibt nur die eine Wahrheit; es ist etwas passiert, das ihn nie wieder anderes glauben lassen wird. Und das er jemals andere glaubte, bringt ihm zum Lachen. Über sich selbst. Und ausgelacht zu werden ist noch das Mindeste, was er verdiente. Er war so ein gottverdammter Vollidiot, unfähig, seine eigene Scheiße auszubaden. Und das würde er bitter bereuen. [Direkte und für manch einen vielleicht offensive Sprachwahl] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Sollte er darüber lachen, dass es ihn so beschäftigte? Er sollte. Es war nämlich wirklich lächerlich, jeder einzelne Klang, der einem Lachen gleich kam und sei es auch nur ein kurzes hartes Auflachen, ein einzelnes Geräusch ohne Zusammenhang, wäre berechtigt gewesen. Nicht nur berechtigt. Auch noch verständlich. Tolerierbar. Akzeptabel. Und jegliche anderen Synonyme, die beinhalteten, etwas hinzunehmen und dabei war es ihm reichlich egal, ob das auf einer positiven Art geschah oder einer völlig anderen. Hauptsache, irgendwie. Und Hauptsache, das Gelächter hatte irgendeinen Grund. So fühlte er sich nämlich. Und in diesem Augenblick reichte es nicht einmal im Ansatz an das heran, was er verdiente. Sagte er das? Nein. Er nahm einfach hin, dass auf seinem Stolz so herumgetrampelt wurde, auf seiner Würde, auch wenn er sie nicht so offen wie manch anderer vor sich rum trug, und dachte im Nachhinein darüber nach, ob es gut war, seinen Mund gehalten zu haben. Natürlich war es das nicht, aber was sollte er jetzt schon ändern, nun, da alles zu spät war? Wenn etwas zu spät war, gab es nichts mehr zu ändern. Dann nahm man einfach nur hin. Die Vergangenheit ließ sich vielleicht erklären, aber nicht ändern. Wie konnte er so etwas nicht wissen? Es war schrecklich, fürchterlich schrecklich und in allen Definitionsarten unabänderlich. Und, was noch schrecklicher war, es war vergangen. Es ließ sich also nicht mehr das Geringste daran ändern und jetzt aus dem Gegebenen das Beste machen? Ja, das war sein erster Gedanke gewesen, aber gleich danach hatte er ihn wieder verdrängt. Das Beste draus machen. Ha. Guter Witz. Genauso lachhaft wie sein Verhalten dem ganzen Mist gegenüber. Da ließ sich nirgends mehr das Beste draus machen. Da ging absolut gar nichts mehr. Tote Hose. Nada. Niete. Nothing. Zero. Absolut einfach nichts. Es war geschehen und nun stand er hier, mit dem Unausweichlichen konfrontiert und wusste nicht weiter. Wie sollte er auch? Auf so etwas konnte man nicht vorbereitet sein. Niemals. Egal, wie gut man sich irgendwann jemals auf irgendetwas Mögliche vorbereitet hatte. Man machte sich Gedanken, klar, das war bis gestern auch noch völlig verständlich und natürlich gewesen, aber heute, besonders seit diesem Augenblick war das Gedankenmachen ein Punkt geworden, dem man eindeutig weniger Aufmerksamkeit schenken sollte. Brachte ja eh nichts. Hatte sich in der letztendlich bedeutendsten Situation ja herausgestellt. Von wegen es wird alles leichter, wenn man sich vorher nur lang genug einen Kopf drum macht. Alles gelogen. Nichts war leichter geworden. Alles nur beschissener und schwieriger. Sein naiver Aberglaube wäre jedes Auslachens wert gewesen. Mindestens. Sehr lauten Auslachens, so richtig schön vor tiefem Hohn und unglaublicher Schadenfreude triefend. Allerdings wurde es keinen einzigen Augenblick lang laut, blieb totenstill und vielleicht, dachte er sich, war das noch besser als das Auslachen. Niemand machte sich überhaupt erst die Mühe, sich mit so einem Vollidioten wie ihn selbst zu beschäftigen. Warum auch? Es stand ihm doch geradezu auf die Stirn geschrieben, was für ein absoluter Versager er war. Unfähig, sich derer anzunehmen, die er am meisten bewahren wollte. Voll von der Inkompetenz seiner Fähigkeit beherrscht, seine Liebsten zu bewahren. Oder viel mehr seinen Liebsten. Gerade den hatte es am meisten getroffen. Und gerade dadurch traf es ihn selbst am meisten. Eine fürchterliche Ironie, die er genauso verdiente wie das Gelächter und das Schweigen. Eine Ironie des Schicksals, das genauso unabänderlich war wie die Vergangenheit selbst. Die Zukunft war vorgegeben und das bereits Geschehe war nicht länger von Interesse. Es half beim Verstehen des Vergangenen, ließ sich aber nicht im Geringsten umändern. Und die Gegenwart, determiniert durch das Schicksal und in feste Bahnen gefahren durch Geschichte, ließ keinerlei Handlungsfreiheit. Zu glauben, man könnte seinen Weg selber wählen, war fast genauso lächerlich wie er selber. Der Gedanke ließ ihn verzweifeln und an seiner Verzweiflung verbittern. Er hätte nie wirklich etwas ändern können. Hatte nie etwas ändern können. Egal, wie sehr er wen auch immer zu beschützen versuchte. Das tat weh. Fast schon unerträglich. Doch statt sich dem Schmerz hinzugeben, verdrängte er ihn und blickte hinunter auf den, der in dem Bett vor ihm lag. Den, der hatte nicht beschützen können. An sich ging es ihm jetzt nach seinem Versagen nicht schlecht, eigentlich geradezu fast schon bestens durch den Kräftewuchs, den der Wandel mit sich brachte, aber an sich war er einfach nicht er selbst, so dass ihm das Neue nicht das kleinste bisschen an Vorteil für ihn mitbrachte. Also was soll’s. Er sah weiter hinunter. Woran lag das, dass er nichts hatte tun können? An seiner oft als Treue missverstandenen Unterlegenheit seiner Familie gegenüber? Missverstanden, ja, war genau das richtige Wort. Hätte er auch nur für einen Augenblick die Kraft und die Macht dazu gehabt, hätte er sich längst aus dieser Misere befreit und jedem kräftig in den Arsch getreten, der er erstens verdiente, der sich zweitens in seinem Weg befand und von dem ihm drittens die Nase nicht gefiel, die Krawatte schief saß, was auch immer. Er hätte jeden einzelnen eiskalt abgemurkst und dann darüber gelacht, dass er von dieser kranken Familie frei war, wenn das ihm die Möglichkeit versprochen hätte, seinen Liebsten zu beschützen. Doch das war ihm nie bestimmt gewesen. Und so musste er nicht nur seine Treue zur Familie hinnehmen, sondern auch die damit immer wieder gerne fälschlicherweise verbundene Treue zum Vampirsenat, was die Sache noch um einiges schlimmer machte. Den konnte er noch weniger leiden als seine Familie. Und wie auch zuvor, wenn es um die Ironien des Schicksals ging, waren und blieben sie einfach wie erfroren an ihrem Platz stehen, der immer dort zu sein schien, wenn man sie sich am meisten fortwünschte, um auch nur die minimalste Veränderung hervorzurufen. Doch wie sollte er den Senat noch grausamer und sadistischer umbringen können, einen nach dem anderen, wenn es ihm noch nicht mal gestattet war, Hand gegen seine Familie zu erheben? Ja, Ironie des Schicksals. Wie er bereits sagte. Und jetzt stand er hier, gefesselt durch eben jene und durch Schicksal und Geschichte zugleich, blickte auf den herunter, den er zu schützen versagt hatte und verzweifelte. Hasste sich dafür und zugleich doch wieder nicht. Immerhin hatte er nichts getan, was er nicht hatte verhindern können. Was die Sache aber nicht angenehmer machte. Eigentlich eher nur beschissener. Und Scheiße war noch nicht mal ein adäquates Wort für seine Lage. Eine maßlose Untertreibung, die er nicht mehr steigern konnte. Am liebsten würde er sich wünschen, er hätte überhaupt nicht mehr hierher zurückkehren müssen, dann hätte er sich nichts von all dem mehr antun müssen, was geschehen würde, hätte nicht unter dem Anblick leiden müssen, der sich ihm noch bieten würde. Die weichen Hände, das leblose Gesicht, die unergründlichen Augen, sie würden nicht mehr die gleichen sein. Nicht mehr wie vorher und nicht mehr das, was er so geschätzt und geliebt hatte. Nicht mehr. So schnell nicht wieder. Vielleicht sogar nie wieder. … jaa, Scheiße war wirklich eine maßlose Untertreibung. Nähme man mal an, es hätte sich überhaupt die Möglichkeit für ihn geboten, nicht wieder zurückzukehren, dann wäre es ihm erspart geblieben, es sich jede Sekunde aufs Neue mit ansehen zu müssen. Vielleicht hätte er vergessen können, sich vor dem Schmerz retten können. Und dann hätte er sich selbst ausgelacht. Noch so ein schamlos guter Witz. Wie hätte er jemals so jemanden wie den anderen vergessen können? Gar nicht! Das war nicht möglich. Das war nicht sein Schicksal. Ihre Lebensfäden waren unweigerlich miteinander verbunden, mehr noch als mit jedem anderen, den er kannte – wie sollte er dann sein Schicksal, sein eigenes, vergessen können? Es war ihm vorbestimmt zu leiden, egal, was er tat. Ausweichen war nicht möglich. Und es fing bereits an. Er litt bereits in diesen Augenblick, starb tausend Tode von Höllenqualen, obwohl er sich nicht im einmal im Ansatz sicher sein konnte, dass sein Schmerz überhaupt eine ausreichende Äquivalenz besaß, um mit tausend Toden verglichen zu werden. Von den Höllenqualen wollte er gar nicht reden. Die passten. Als einziges. Immerhin etwas. Zogen die Sache aber nur noch mehr in den Dreck. Was brachte es ihn zu wissen, dass er sich zwar vorkam, als würde er ihm heißesten Feuer verkokeln, aber letzten Endes doch nie starb? Kein einziges Mal? Nicht zu sterben war das Schrecklichste an der ganzen Sache. Tod hätte Erleichterung bedeutet. Tod hätte Erlösung bedeutet. Wenn auch nur für ihn und nicht für den anderen, wegen dem er sich doch von vorneherein nur den Kopf zerbrach. Welch Ironie … Die Ironie des Schicksals zu sein ist wohl das gemeine Schicksal der Ironien … Ein einzelner Satz von Wahrheit mit ungeahnten Ausmaßen und für einen Augenblick lechzte er sich an ihm, nahm jeden einzelnen Tropfen des unendlichen Meeres in sich auf, bevor er sich an ihm verschluckte und es aufgab. Was wollte er mit der Wahrheit? Er wusste, dass es sie nicht gab. Das alles vorgegeben war und sich nicht umändern ließ. Wollte er mehr wissen? Oder vielleicht war die viel wichtigere Frage, ob er mehr zu wissen brauchte. Und darauf kannte er die Antwort schon längst. Fast schon resignierend wandte er den Kopf nicht ab, verscheute viel eher seine Gedanken und erinnerte sich an seine Aufgabe. Ja, wenn er doch könnte. Wenn …. Natürlich ließ er den Gedanken, den einen, alles andere als geheimen Wunsch unvollendet. Ihn jetzt zu enden wäre unangebracht. Brachte doch so oder so nichts. Es ändere sich nichts. Nicht das geringste. „Hey. Wach auf.“ Er weckte ihn mit einer Stimme, mit einer Klangfarbe, mit einer Intention wie nie zuvor, lag aber auch daran, dass das hier keinem einzigen Augenblick zuvor entsprach. Etwas völlig neues. Etwas völlig dummes. Etwas völlig beschissenes. Keine Reaktion. Wär ja auch zu schön gewesen. „Shiki …“ Der Name zerging auf seiner Zunge wie heiße Butter, hinterließ dort den angenehmen Geschmack von süßestem Blut. Ja, der Junge hatte es an und in sich, hatte die unglaublichste Wirkung auf ihn, aber wie konnte er nicht, wenn sie so eng miteinander verbunden waren, dass selbst ihre Schicksalsfäden, also ihr gegenseitiges Wohlbefinden, von einander abhing? Am liebsten hätte er einmal so richtig kräftig ausgeholt und irgendetwas zerschlagen, nur um einmal seine Verzweiflung über diesen größten Mist an irgendetwas auszulassen. Langsam wurde es echt zu heftig. Der Junge, mit dem er sein Schicksal verbunden sah, war nicht länger mehr der Junge, wusste es sicherlich nicht mal bewusst, oder wenn doch, konnte nichts daran ändern, wie an allem anderen auch nicht, und musste damit genauso leben wie er. Verdammt dazu, dem jeweils anderen beim Sterben zuzusehen. Irgendwann. Hörten diese Ironien eigentlich irgendwann mal auf? Wieder verspürte er das dringende Bedürfnis, sein eigenes Leben einmal gründlich auszulachen. Das … oder sich einfach mal so richtig ordentlich selbst zu verdroschen ohne Rücksicht auf Verluste. Was brachte es schon, die Schäden zu minimieren oder überhaupt nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wenn er an den entstehenden Verletzungen eh nicht sterben würde? Einfache Verletzungen waren nicht notwendig, wenn sie ihn nicht in den Tod führten und das taten weder die psychischen durch das Auslachen entstandene noch die physischen. Und eben deswegen war es ihm nicht gestattet. Weder das eine noch das andere. Das war doch die reinste Verarsche. Doch dann wachte der andere auf … die Stimme war dieselbe wie vorher, ihr Klang, die Mimik, der verschlafene Ausdruck in den Augen – alles einfach wie vorher. Und seine ganze Weltansicht bröckelte auf einmal frisch fröhlich vor sich hin. Das konnte doch nicht wahr sein! Das hier war wirklich Shiki, nicht der von einem bescheuerten und zudem noch völlig überflüssigen Reinblüter besessene Körper seines Liebsten. Das sah er ihm an – wie könnte er nicht? So eng, wie sie miteinander verbunden waren?! Gab es das Schicksal also doch nicht? Hatte er sich die ganze Zeit nur Mist eingeredet, um seine eigene Unfähigkeit herunterzuspielen? Die Schuld bei jemand anders zu suchen, als sich selbst, weil er einfach nicht damit fertig wurde, es nicht akzeptieren konnte, dass der andere wegen ihm so leiden musste? Es wäre nur verständlich, fand er. Eine typische Reaktion des Unterbewusstseins, um den bewusst denkenden und handelnden Part, das aktive Denken zu schützen. Nichts Ungewöhnliches. Fast schlich sich ein erleichterndes Lächeln über sein Gesicht und am liebsten hätte er wieder gelacht, dieses Mal aber vor Erleichterung. Ein zittriges Lachen, um die Angst abzuschütteln, die immer noch in seinen Gliedern saß. Ja, das hätte er am liebsten gemacht. Stattdessen machte er einen Ausfallschritt nach vorne und griff mit seiner Hand nach der Schulter, rüttelte, schüttelte – sanft, natürlich. Doch dann griff eine Hand mit langen, schlanken Fingern nach seinem Handgelenk, ihr Griff so vertraut, dass er in diesem Augenblick nahezu widerwärtig auf ihn wirkte, ihn anekelte, weil er genau wusste, dass nur die Hülle, des Äußere, vertraut war. Die Handlung dahinter war’s nicht. Er erfror auf der Stelle. „Shiki, Shiki“, sagte die ach so vertraute Stimme und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sein zuvor ach so wahres Weltbild, das der eiskalte Reinblüter so gewitzt so zerstören gewusst hatte, richtete sich wieder auf und schlug dann zu. Hart und fest, genauso wie er es haben wollte. Von sich selbst aus. Es schlug zu, verprügelte und verdrosch ihn nach allen Gesetzmäßigkeiten der Gnadenlosigkeit, ließ keinen einzigen Augenblick Erbarmen gelten. Es gibt keine andere Wahrheit außer der einen! Es ist nichts änderbar! Du bist zum Leiden bestimmt! Du wirst niemals in der Lage sein, irgendetwas zu verändern! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Und egal, wie oft sich der letzte Satz wiederholen würde, er würde es nicht verstehen. „Es nervt, Takuma.“ Da lag keinerlei Respekt mehr in der Stimme, nicht einmal ein Hauch von Freundschaft. Er war der Herr und er selbst der Diener, der unnützige, der, der zum Sterben verdammt war, wenn es das Schicksal so wollte. Und das war jetzt kein Schlagen mehr. Die letzten Worte waren ein kaltes, unberührtes und völlig lebloses Abstechen mit einem Messer aus der Stimme Shikis, geschliffen mit seinen Gefühlen für ihn. Vielleicht war das die angemessene Strafe für sein naives und abergläubisches Verhalten … Ihm war nicht mehr nach Lachen zumute. Wie um alles in der Welt hatte er es auch nur wagen können die eine, die einzige Wahrheit anzuzweifeln, die es niemals anzuzweifeln galt? Würde er es jemals lernen? Verdammte Scheiße. Shiki war da nirgends mehr und er, der er nicht mehr in der Lage war, die eine Wirklichkeit zu erkennen, fiel tief. Hatte ihn nicht retten können, hätte niemals gekonnt, nie … Nein. Nein. Nein. Nein, nein, nein nein nein nein nein … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)