Nachtlektüre von Sitamun (OS-Sammlung zu I/S) ================================================================================ Kapitel 1: Nachtlektüre ----------------------- Genre: Shounen-Ai, Lemon, Drama, Humor Summary: Für jede Nacht gibt es ein neues Buch zu lesen, jede Nacht ein neues bisschen Spannung, das dem Leben das gewisse Extra gibt. Eigentlich liest Senri nicht gerne, zieht es auch vor, die Nacht anderweitig zu verbringen, bis sein Zimmernachbar ihm ein Buch vorschlägt, das ihn nur zu neugierig macht. [Anm. d. V.: Der erste jämmerliche Versuch, ein wenig Humor einzubauen, das Genre, das ich für gewöhnlich am meisten meide. Deswegen ist der Schluss ziemlich gewöhnungsbedürftig >_>] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Es war falsch. Fürchterlich falsch. Dieser Moment durfte nicht sein, hätte nie sein dürfen, weil es für ihn nie hätte einen Grund geben dürfen, der seine Existenz legitimierte. Es wiederholte sich immer wieder in seinem unnatürlich auffassungsfähigen Gehirn, das zu verstehen doch nicht in der Lage war. Beinahe fühlte er sich wie ein kleines Kind, das begriff, dass seine Eltern ihm die Erfüllung des momentan doch so wichtigen Wunsches verwehrten. Nur hörte der Augenblick des Begreifens nicht auf. Für ihn kam nicht die Erkenntnis, in der das Kind dann laut zu weinen anfing. Es war ihm nicht zu verstehen gestattet, dass der Moment doch war. Dass er trotz dieser unglaublichen Falschheit die geschlossene Tür anstarrte und noch immer glaubte, den kalten Wind auf seiner Haut zu spüren, den ihr Zuknallen verursacht hatte. Er war allein. Gänsehaut überzog ihn. Da waren so viele Beweise, unleugbare, die ihm das Gegenteil dessen bewiesen, was er nicht glauben wollte. Bewegungslos verharrte sein Blick schon für Minuten auf der dunklen Tür vor ihm. Keine sonstige Reaktion von ihm (und tief in den Bereichen seines Denkens, die sich nicht mit dem scheinbar Unbegreifbaren beschäftigten, wunderte es ihn nicht wirklich. Es war noch nicht alt, in den Jahren seiner Rasse gemessen ein fast volljähriger junger Mann, doch alt genug, als dass ihm Minuten etwas ausmachen würden). Irgendwo im Haus tickte eine Uhr, bloßes Hintergrundgeräusch, und sein Herzschlag hatte sich vollkommen mit dem Takt der Sekunden synchronisiert. Die Zeit verschmolz mit ihm, während er weiterhin ohne jedes Verstehen blieb. Erst als die Zeit selbst aus ihrem ewigen Takt fiel, nicht mehr mit seinem ruhigen Herzschlag übereinstimmte, die volle und neue Stunde mit einem lauteren, leicht verzögertem Geräusch ankündigte, begann er seine Gedanken wieder zu ordnen, zu verstehen, wie diese Fehler ins Leben gerufen wurde. Wer konnte nur so schreckliches begangen haben? Ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen oder seinen Puls zu beschleunigen dachte er zurück an den Anbeginn dieser heutigen Nacht. Eine freie Nacht ohne Arbeit, weder für die Schule noch für die, die er während des elenden Tages ausführte. Wenn er gewollt hätte, hätte er sein Bett diese Nacht über nicht mehr verlassen müssen. Ihn drängten weder Tatendrang noch der Hunger und sein Bett war so verführerisch bequem. Für den Moment war er alleine in dem Zimmer, der andere war nicht hier, wenn auch definitiv in der Nähe. Er würde also auch nicht mit einem freundlichen und umsorgenden Lachen mit undefinierbaren Hintergedanken aus dem Bett geworfen werden. Wenn es ihm danach gelüstete, könnte er wieder einschlafen, die Nacht so wie den nächsten Tag verschlafen, wie er es mit dem letzten getan hatte. Doch Entscheidungen zu treffen war nie eine seiner Stärken gewesen und so blieb er bloß liegen, die Augen weiterhin geschlossen und nichts denkend, sich der Entscheidung auf seine persönliche Weise entziehend. Diese heutige Nacht bot ihm keinerlei Schätze, keine süßen Träume, die er allesamt im wachen Zustand erleben durfte. Ein Traum weniger – was war das schon? Nichts, was er in einer anderen freien Nacht wie der heutigen nicht auch erleben konnte. Er hörte die Schritte des anderen, der in diesem Zimmer wohnte und dessen Bett sicherlich schon vor Anbruch der Nacht leer gewesen war. Das kam öfters vor und es verwunderte ihn schon längst nicht mehr. Es gefiel ihm nicht, alleine aufzuwachen, obwohl er das in seinem eigenen Bett genau genommen Nacht für Nacht tat, aber er hatte gelernt, es hinzunehmen. Sich darüber aufzuregen hieß nur Ärger, den er sich eigentlich auch sparen konnte. Für so etwas banales Energie oder gar Emotionen zu verschwenden wurde dem alten Sprichwort, Perlen vor die Säue zu werfen, ziemlich gerecht. Die Schritte kamen näher, so anders als all die anderen, die er im Haus zu hören vermochte, ein besonderer Rhythmus, ein besonderer Klang, den er nicht in Worte fassen konnte, egal, wie lange er nach den richtigen suchte. (Er hatte das einmal in mehreren Wochen der langweiligen Unterrichtsstunden getan und war jede Nacht aufs Neue gescheitert, hatte es letzten Endes also dabei belassen und so hingenommen, dass die Besonderheit des anderen für ihn nicht in Worte fassbar war.) Aber das machte auch nichts. Worte brauchte man nur, um mit anderen zu kommunizieren. Für sich selbst waren Bilder und Gefühle gut genug und für wen als ihn selbst war diese Überlegung überhaupt gedacht? Die Schritte erstarben für einen Moment, als die Person vor der Tür stehen blieb, warum auch immer mit dem Eintreten zögerte. Doch dann hörte er das Rascheln von Papier. Eine Seite wurde umgeblättert, das Magazin aber nicht zugeschlagen. Er nahm an, dass der andere wohl zu sehr in den Worten vertieft war, als dass er auch nur einen weiteren Strang seiner Gedanken von ihnen losreißen wollte, der nötig war, um ohne aufzublicken die Tür zu öffnen. Wortlos, wenn auch mit einem hauchzarten Seufzen betrat er das nach wie vor abgedunkelte Zimmer, obwohl draußen die Nacht bereits längst herein getreten war. Bis hierhin war er sich sicher: Da war nichts Falsches. Das war alles normal, so wie es sein sollte. Nichts ungewöhnliches, was diese arbeitsfreie Nacht doch zu einer so stressreichen machen konnte. Er hatte die Augen nicht geöffnet, geschlossen gehalten als schliefe er wahrhaftig noch, aber der andere erkannte problemlos, dass er nicht mehr am Schlafen war. „Willst du nicht mal langsam aufstehen, Shiki? Wir haben schon fast Mitternacht.“ „ … keine gute Zeit zum Aufstehen …“ „Warum nicht?“ „Einfach so.“ Wenn er einfach liegen blieb, weder einschlief noch aufstand, löste sich das Problem, was er tun sollte, von ganz allein. Was er tun wollte, stand von vorneherein nie zur Debatte. „Willst du die ganze Nacht im Bett liegen bleiben?“ Da war kein Vorwurf in seiner Stimme, weder direkte noch indirekte Missbilligung, nur eine ehrlich gemeinte Frage. Das war richtig, völlig fehlerlos. So war der andere eben. „Warum sollte ich das wollen?“ Die Nacht so wie den vorangegangen Tag im Bett zu verbringen war kein Verlangen von ihm. „Du tust es doch.“ „Tue ich das?“ „Shiki.“ Ein schwacher Vorwurf, aber auch dieser war normal. Er stellte manchmal halt solche völlig unbedeutenden Gegenfragen, was in den meisten Fällen jedoch ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass er nicht zuhörte und einfach nur monoton die Worte des Gesprächspartners als Frage formulierte. Dafür brauchte man nicht bewusst zuhören. Doch bei ihm, dessen Blick er nun auf sich spüren konnte, ohne es zu sehen, tat er dies eigentlich nie. Das gerade eben war zwar genauso unbewusst gewesen, doch er hatte jedem einzelnen Wort genau zugehört und das wusste der andere auch. Ein bisschen ärgern, fast mit neckischen Absichten. Er gehörte zu den allnächtlichen Unterhaltungen, die sie wann und wo auch immer führten. Mindestens ein Wort pro Nacht, das diesem Schema entsprach und gab es nur dieses eine, dann war es geschwängert von den tiefen Emotionen der Freundschaft, die die neckenden Bemerkungen erst erlaubte. „Noch mal: Willst du die ganze Nacht über im Bett bleiben?“ Der andere wiederholte die Frage ohne eine Spur der Ungeduld, nahm es einfach hin. „Ich weiß nicht, was ich will.“ Darauf folgte Schweigen – hatte er eine andere Antwort erwartet? Oder war sie ihm genauso gleich wie die vorherige? Hätte er den anderen sehen können, nur einen kurzen Blick in seine grünen Augen werfen können, dann hätte er gewusst, was in ihm vorging, doch seine eigenen Augen blieben geschlossen. Nur Dunkelheit. „Rima wartet unten auf dich.“ Guter Versuch. „Tut sie nicht.“ „Woher willst du das wissen?“ „Ich kann sie nirgends im Haus hören und außerdem kann ich deiner Stimme anhören, wenn du lügst …“ Er sprach leise, als wäre er wahrhaftig noch verschlafen und hätte es bitternötig, noch im Bett zu weilen. Rima, eine gute Freundin, mitunter auch seine beste, wenn er solchen Begriffen wie „gute“ oder gar „beste Freunde“ irgendeine größere Bedeutung zumessen würde, wartete wirklich nicht auf ihn. Arbeitsfrei hieß für gewöhnlich, sie die Nacht über, wenn überhaupt, nur zufällig zu sehen. Das störte weder sie noch ihn. Und selbst wenn sie gewartet hätte, dann nicht bis Mitternacht; so viel Geduld konnte sie nicht einmal für ihn aufbringen. „An meiner Stimme? Willst du etwa sagen, dass du mich so oft hast lügen hören?“ Jeder von ihnen, der er in diesem Haus lebte und diese Schule besuchte, log mit seiner bloßen Anwesenheit. Lügen gehörte zum Alltag. Oder Allnacht. „Ich hab dich so oft die Wahrheit sprechen hören.“ Aber diese Aussage schloss die andere nicht aus. „Und wie klingt meine Stimme, wenn ich lüge?“ Doch es war dasselbe Prinzip, mit dem er die Schritte des anderen von allen anderen unterschied. Dieser Klang war nicht in Worte fassbar. Er zögerte mit der Antwort, suchte in wenigen Minuten nach den Worten, die er in Wochen nicht hatte finden können. „Ich kann es dir nicht sagen.“ „Warum nicht?“ „Es gibt nicht die richtigen Worte.“ Die Antwort war knapp, von seiner persönlichen Scham durchzogen und er zog die Decke bis an seine Nase. Der andere kicherte nur, als er dieses Verhalten beobachtete, sagte nichts weiter als ein belustigtes „Verstehe“. Auch das war noch alles in Ordnung, nichts falsches. Der andere hatte diese Äußerung der besonderen Aufmerksamkeit, die er ihm schenkte, mit einem Lächeln hingenommen. Es war gut so. Das Schweigen, das folgte, war ebenfalls nichts Ungewohntes. Keinen von ihnen beiden verlangte es danach, jeden ruhigen Augenblick mit sinnlosem Gebrabbel zu füllen. So etwas war überflüssig. Während er mit geschlossenen Augen einfach weiter da lag, blätterte der andere weiterhin in seinem Magazin, las, sah sich die entsprechenden Bilder zu dem Artikel an. Natürlich könnte er fragen, was der andere las, aber es interessierte ihn nicht wirklich – für seinen Geschmack las der andere bei Weitem zu viel und sich die Namen all der Bücher und Texte zu merken war viel zu viel Arbeit. „Aber …“, fing er nach einiger Zeit an, „wird das nicht langweilig? Einfach nur liegen zu bleiben?“ „Und wird es nicht langweilig, Abend auf Abend ein Buch zu lesen?“ So spannendes bot das Leben nicht und wenn doch, er besaß noch genug an Lebensjahren vor sich, um Versäumtes aufzuholen. Die Zeit war kein Feind des Vampirs. „Wenn es immer nur dasselbe Buch wäre, würde es wirklich schnell langweilig werden“, antwortete er zustimmend, das Lächeln in seiner Stimme deutlich hörbar. Die Aussage erschien im einleuchtend, dennoch wollte er nicht weiter darüber nachdenken. Er langweilte sich nicht, selbst wenn er wirklich nur liegen bleiben würde. Er nahm es so hin, brummte ein „Mmh“ und drehte sich auf den Bauch. Der andere kicherte erneut, wohl wissend, dass diese Diskussion ein Sieg für ihn war, sagte aber nichts weiter dazu. Wieder übernahm das Schweigen den Raum und entgegen seiner Entscheidung fühlte er sich wieder ein wenig müde, döste fast ein, während er im Hintergrund weiterhin das Blättern von Papier hören konnte. Dieses Mal aber währte es nicht lange und schon bald erstarben die Geräusche – hatte er das Magazin bereits ausgelesen? Mehr unterbewusst als alles andere, verborgen unter der Schicht unwirklicher Schwärze, dachte er an die Möglichkeiten dessen, was jetzt geschehen könnte, welch anderen Geräusche er jetzt hören könnte. Schritte? Ein Stift, der trotz ordentlicher Führung über das Papier kratzte? Ein Lachen? Das Öffnen des Fensters? Nichts? Alles war möglich. Doch als es dann geschah, beinahe lautlose Schritte erklangen, war es ihm bereits egal, die irreale Finsternis vor seinen Augen lullte ihn immer mehr ein, war noch eine Spur dunkler geworden. Die Schritte wurden minimal lauter, als sie ihm näher kamen, vor seinem Bett stehen blieben. Die Gewichtsverlagerung auf der Matratze kümmerte ihn nicht, blieb einfach weiter in diesem Zustand unnatürlicher Dunkelheit. Schlaf war so etwas wunderbar Angenehmes … Erst die Stimme vermochte ihn aus seinem seichten Schlaf herausholen: „Ist es für dich wirklich nicht langweilig, stundenlang einfach nichts zu tun?“ „Was ist daran so ungewöhnlich?“ Er öffnete den Mund zum Sprechen kaum und seine Worte waren vom Kissen gedämpft. „Keine vernünftige Person hält so etwas lange aus. Die Zeit verstreicht dann so fürchterlich langsam.“ Ja, das hatte er schon mal gehört; andere hatten sich bereits ebenfalls über seine Angewohnheit, nichts tuend die Zeit zu verbringen, beschwert. Welch Verschwendung, sagten sie dann immer. „Ich merke nicht, wie die Zeit verstreicht.“ „Wie viel Uhr ist es denn gerade?“ Woher sollte er das wissen? „Viertel nach zwölf?“ Das was geraten. „Es ist bereits halb eins.“ Der andere kicherte: „Du scheinst die Zeit wirklich nicht zu bemerken.“ Nein. Auch bis hierher war nichts falsch. Das Gesprächsthema war neu, hatte der andere seine Gewohnheiten doch bisher noch nie hinterfragt, aber das war in Ordnung. Die Atmosphäre zwischen ihnen war angenehm, die Nähe nicht selten. Alles, was den anderen zur Flucht getrieben hatte, war erst danach geschehen, in der halben Stunde, die den Stand seiner Erinnerung von der wirklichen Zeit trennte. Er spürte eine Hand auf seinem Gesicht, wie sie die Haare von seiner Wange in seinen Nacken strich. Die schwache Berührung kalter Finger auf seiner gewärmten Haut ließ ihn erschaudern, doch seine Augen blieben geschlossen. „Ichijou-san …“ Genüsslich, fast einem Schnurren gleich murmelte er den Namen des anderen Vampirs, dessen kühle Finger noch immer durch sein Haar strichen. Doch Ichijou antwortete nicht, fuhr mit seiner Bewegung fort als wäre sie völlig selbstverständlich. Erneut veränderte sich der Druck auf der Matratze, war jetzt auf beiden Seiten seines Körpers zu spüren; er sah nicht nach, was genau Ichijou tat. Er war nicht mehr müde, würde nicht mehr einschlafen können. Geduldig wartete er auf das, was geschehen würde. Die kalten Finger auf seiner Wange wurden von viel wärmeren, nahezu heißen Atem ersetzt. Gänsehaut überzog ihn und er öffnete die Augen, sah blondes Haar in den Augenwinkeln – warum war Ichijou ihm plötzlich so nah? Er bewegte sich nicht. „Shiki …“ Noch mehr heißer Atem auf seinem Gesicht und seine Haut begann zu brennen. Der andere kam näher, strich mit seiner Nase über die Haut, die zuvor schon sein Atem berührte. „Denkst du nicht, du könntest Spannendes in einer Nacht wie dieser erleben? Vielleicht stößt du in dem Buch dieser Nacht auf unglaubliche Mysterien, unmögliche Wunder, grausame Verbrechen, süßeste Liebe oder …“ Er unterbrach sich für einen Augenblick, berührte mit den Lippen sein Ohr, strich zärtlich darüber, bevor er mit seiner Zunge die Bewegung wiederholte. Erschrocken holte Senri Luft, sein Mund stand offen und sein Herz überschlug sich. Aber er tat nichts dagegen. „Oder“, fuhr er fort“, „auf knisternde Erotik.“ Mit einem geschickten Handgriff zog er die Decke von dem Körper unter sich, so dass der nackte Rücken nun völlig frei lag. „Wäre es nicht fürchterlich spannend, so etwas zu erleben? Zu spüren, wie die Worte sich in deinen Gedanken beflügeln und dein Herz zum Rasen bringen?“ Sein Mund wanderte von seinem Ohr über seinen Kiefer zu seinem Nacken, seine rechte Hand suchte nach der seinen, verschränkte die Finger mit ihr und drückte sie neben seinem Gesicht in eines der Kissen. Senri sah, wie seine eigene Hand zitterte. Vor Aufregung. Vor Neugier auf das, was noch mit ihm passieren würde. Vor Erwartung, weil er bereits Bilder in seinem Kopf sah, deren Erfüllung er herbeisehnte. Welches Buch hatte Ichijou ihm da nur in die Hand gedrückt? „Würdest du das der stetigen Langeweile nicht vorziehen?“ Er spürte jede einzelne Bewegung der Lippen auf seiner Haut, konnte jedes einzelne Wort ausmachen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, eine weitere Gänsehaut überzog seinen Körper und sein Herz schlug schneller als er es von sich gewöhnt war. Erotik war für ihn kein Fremdwort, Erregung verspürte ein Vampir ein jedes Mal beim Akt des Blutsaugens und Sex war dagegen nur ein Vergnügen, dessen Grenzen leicht zu erreichen waren. Das hier aber war nichts davon. Der Mund küsste seinen Nacken weiter, biss hinein ohne die Haut zu verletzen, zog feuchte Spuren mit seiner Zunge. „Sag schon, Shiki.“ Die Liebkosungen hörten auf und statt ihrer spürte der nun den gesamten Körper des anderen auf ihm liegen; das Gewicht machte ihm nicht das Geringste. Erneut streifte der heiße Atem sein Gesicht. Er zögerte nicht lange mit seiner Antwort: „Wenn du mir diese Geschichten vorliest, höre ich sie mir gerne an.“ Innerhalb einer Sekunde hatte er den anderen Körper ein wenig hoch gedrückt um sich unter ihm drehen zu können und zog ihn danach wieder an sich heran. „Senri …“ Der Atem vermischte sich mit dem seinen, ward eins, ebenso wie ihr Blick. „Lies weiter, Takuma.“ Der andere lachte leise. „Aber gerne doch.“ Diese Nähe, diese Blicke, diese Berührungen waren nicht mehr normal, waren völlig neu. So etwas hatte es vorher zwischen ihnen noch nicht gegeben. Es hatte sich für ihn so angefühlt, als hätte die Luft um sie angefangen zu brennen, in ihnen selbst ein unnatürlich heißes Feuer gepflanzt. Sie beide hatten es mit Freuden aufgenommen, es weiter angestachelt, auf dass es noch heißer brennen würde. Es war neu, ja, aber nicht falsch. Die Berührungen dieser Nacht waren lediglich das Resultat ihrer vorherigen Nähe. Aber sie waren nicht falsch. Es fühlte sich alles so bezaubernd an. Und erst die Küsse – oh, was waren sie göttlich. Nach seinen Worten ließ Takuma ihnen auch gleich Taten folgen, griff erneut zu dem Buch und las weiter von der knisternden Erotik mit aufreizenden Berührungen, brennend heißen Zungenspielen und gierigen Liebkosungen der Körperteile, die den Augen sonst verwehrt blieben. Ständig und ohne Zurückhaltung berührten sie sich, taten, was sie nie zuvor miteinander getan hatten und es war ein vorzüglicher Mitternachtsschmaus. Doch dann, als sie einander in die Augen starrten, ein kleiner Moment der Pause um zu realisieren, welch göttlicher Akt hier geschah, sich nur mit ihren Blicken gegenseitig verschlangen, voller Unverständnis darüber, dass sie dieses Buch noch nicht zuvor zu lesen angefangen hatten, war das Feuer plötzlich nur noch Eis. Takumas Augen, deren betörendes Grün ihn gerade noch mühelos in Ketten legte, wandten sich ab, die angenehme Wärme des anderen Körpers verschwand und präsentierte seine schwitzende Haut der Nacht. Er fühlte sich, als wäre er gnadenlos gegen eine Wand gelaufen. Fünf Mal hintereinander. Sein Kopf brauchte fürchterlich lange um zu verstehen, was geschah, warum der andere sich plötzlich wieder anzog, nur um zu dem Schluss zu gelangen, dass er nicht verstehen konnte. Mühsam rappelte er sich auf, wäre der Nase nach auf den Boden gefallen, wenn der andere ihn nicht aufgefangen und aufgerichtet hätte, ihn danach aber sofort wieder losließ. „Takuma, was …?!“, fing er an, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Takuma antwortete ihm weder noch sah er ihn an. „Takuma!“ Wieder keine Reaktion … Deshalb las er nicht gerne. Er blieb stehen, versuchte nicht mehr, die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu ziehen, beobachtete ihn stillschweigend, als sein Puls fiel, sich auf das dramatische Ende dieses Buches vorbereitend. Dabei war der Anfang so viel versprechend gewesen … der Schluss hingegen war grauenhaft; er wollte ihn nicht lesen. Sich davon zu distanzieren hieß dem Schmerz zu entkommen. Kein letztes Wort, als die Tür geöffnet und zugeschlagen wurde. Doch selbst wenn das Ende schrecklich war – wie war es dazu gekommen? Warum? Er verstand einfach nicht, was auf einmal falsch gewesen war, was den anderen vertrieben hatte. Er hörte dessen eilende Schritte, wie sie mit jedem einzelnen leiser wurden und schließlich vollends erstarben. Wo war er hin? Und wieso? Kein einziges Wort über seinen Verleib. War der Akt an sich falsch? Aber er hatte doch angefangen. Egal, wie sehr er darüber nachte, er verstand es nicht und mit jeder Sekunde, die verstrich, holte die Zeit seinen Herzschlag wieder ein. Der Schweiß glitzerte im schwachen Licht noch auf seiner Haut, doch es wirkte für ihn, als schliefe er ihm Stehen. Die Nacht war bereits vorbei, schon längst, die Sonne schien ins Zimmer durch die offenen Vorhänger, aber Senri schlief nicht. Die Lust darauf war ihm gehörig vergangen – er wollte nicht einmal mehr in seinem immer noch unordentlichen Bett liegen. Nichts tuend saß er einfach nur am Fenster und sah hinaus; seine Augen schmerzten wegen des grellen Lichts. Es war bereits später Mittag, als die Tür sich öffnete und wieder schloss. Vorsichtig, nahezu sanft, ein völliger Gegensatz zu dem schnellen Öffnen und Schließen Stunden zuvor. „Du bist ja noch wach, Senri.“ Senri? Also war das Ereignis der Nacht nicht völlig bedeutungslos gewesen. „Ich kann nicht schlafen.“ Der andere schmunzelte: „Seltsam – wo du doch die ganze Nacht und den heutigen Tag hattest durchschlafen wollen.“ Nein, gewollt hatte er das nicht. Was er wollte, hatte nie wirklich zur Debatte gestanden. Es ging einzig und allein um das Sollen. „Ich war abgelenkt“, antwortete Senri darauf nur knapp und spielte in Gedanken damit, es dabei zu belassen, nicht nachzufragen. Doch die Erinnerung an den Moment eisiger Kälte ließ ihn diesen Plan wieder über den Haufen werfen. Er wollte eine Antwort haben, nicht umsonst in der Sonne gewartet haben. „Wo warst du, Takuma?“ Er wandte den Blick vom Fenster ab – welch Erlösung – und blickte mit schmerzenden Augen zu dem Vampir mit der Büchervorliebe. „Warum bist du gegangen?“ „Warum bist du geblieben?“ „Ich war nackt.“ „Und das hat dich aufgehalten?“ Er kicherte. „Ach Senri, mein Lieber …“ Er kam näher, küsste zärtlich seinen Mund. Das war nicht das gierige Verlangen der Nacht. Das war eine Entschuldigung. Für eine Sekunde lang überlegte er, sich dieser ach so zarten Berührung zu entziehen, ihm deutlich zu machen, wie wenig er von seinem Abgang hielt. Die Sekunde verstrich und noch immer hingen seine Lippen an den anderen. „Wo warst du, Takuma?“, wiederholte er seine Frage in Momenten, in denen sein Mund frei war, nicht nach der Berührung des anderen suchte, und als Takuma den Kuss nicht mehr erwiderte, scheinbar antworten wollte, verwöhnte er den Hals des anderen mit ebenso sanften Küssen wie Stunden zuvor. Sein Geruch stieg ihm in die Nase, weckte die Erregung, die so plötzlich abgeklungen war als wäre nie etwas gewesen, was nicht hätte sein dürfen. „Du hast mich abgelenkt“, sagte er schließlich zögernd. „Wovon?“ Ein weiterer Kuss. „Von meiner eigentlichen Aufgabe.“ „Und die wäre?“ Ein zarter Biss. „Kaname zu helfen.“ „Du hast Kaname-sama vergessen?“ Der die Haut durchstach. Blut lief über die weiße Haut. Wie hypnotisiert hing Senris Blick an dem Tropfen, wie er über den Hals hinunterlief, das Schlüsselbein erreichte. Als er unter dem offenen Hemdkragen völlig zu verschwinden drohte, leckte er ihn auf, verfolgte seine Spur zurück bis zur Austrittswunde, die er mit einem hauchzarten Kuss bedeckte, obwohl sie bereits längst verheilt war. Er sah auf, blickte in das Gesicht, dessen Wangen angerötet war und dessen Blick dem seinen auswich. Mehrere Sekunden lang verharrten sie so in dieser Position und Senri konnte die Scham des anderen nahezu aus der Luft ergreifen. Er spürte die Hitze, die der andere ausstrahlte, an seinem ganzen Körper. Und dann, nachdem die Sekunden vergangen waren, lachte er los. Laut und völlig unpassend, so wie er nie tat. Dieser Augenblick erschien ihm unwirklicher als jeder zuvor. „Hör auf zu lachen, Senri!“ Doch es schien, als lachte er nur mehr und es erstarb nur für einen kurzen Augenblick, in dem der andere seine Würde wieder herzustellen versuchte und seinen Mund mit einem Kuss blockierte. „Hatte ich dich nicht auch abgelenkt?“, flüsterte Takuma, seine Stimme tief und rau und allein der Klang jagte Senri einen Schauer über den Rücken. Dennoch konnte er sich das Grinsen nicht verkneifen: „Ja, vom Schlafen. Aber ob das zählt …“ Takuma wirkte ein wenig genervt, doch nur für einen Augenblick. Als Senri ihn ebenso zärtlich küsste wie er ihn vorhin, die Entschuldigung damit wortlos und doch so wirkungsvoll aussprach, war seine negative Stimmung dahin, ließ sich in dem Kuss ertrinken. Genoss das Gefühl, das er viel zu lange nicht mehr hatte spüren können. „Takuma …“ Ein Kuss. „Mmh?“ Ein ach so zarter. „Liest du weiter?“ Der andere kicherte erneut, küsste ihn erneut. Verlangender. „Gerne doch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)