délimitées von Pan_ ================================================================================ Kapitel 1: Wir sehen doch den gleichen Himmel wie ihr! ------------------------------------------------------ Das regennasse Pflaster reflektierte das Licht der Straßenlampen, um welche unzählige von Mücken schwirrten, angezogen vom einzigen Licht, dass sich ihnen in dieser schwarzen Umgebung bot. Keine Menschenseele war um diese Zeit noch draußen, außer Lucy. Verachtet von den Menschen, weil sie anders war, weil sie absolut tödlich war. Lange noch hatte sie bei diesem Menschenjungen gelebt, doch irgendwann war schließlich auch für sie die Zeit gekommen, ihnen ihren Frieden zu lassen. Lucy blickte zu den Sternen hoch, die geheimnisvoll am schwarzen Horizont leuchteten, ging dann weiter ihres unbestimmten Weges in die Dunkelheit. Ein Junge saß auf einer verlassenen Parkbank, die noch tropfnass vom Regen war. Er hatte seinen Kopf gesenkt, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, aber was interessierte sie das Gesicht eines umherstreunenden Jungen, der auch zu der Rasse gehörte, die die Diclonius hasste. Sie wollte weiter gehen, doch ein Drängen, tief verborgen in ihrem Innere hielt sie zurück, auch nur einen Schritt mehr zu machen. So blieb Lucy neben dem Jungen stehen. „Was machst du hier?“, fragte sie. Der Junge, noch immer mit gesenktem Kopf, antwortete: „Du bist ein Diclonius.“, sagte er, als ob es etwas ganz Gewöhnliches wäre. „und?“, sagte Lucy mit schneidendem Tonfall, ihre Vektoren bereits nach ihm ausgestreckt. Andere unsichtbare Hände, berührten die ihren, strichen über ihre Arme. Der Junge. „Was zum Teufel…?“ Erst jetzt konnte Lucy die Hörner erkennen, die aus seinem dunklen, nachtschwarzen Haaren hervorlugten. Der Junge hob nun endlich seinen Kopf, sodass sie in sein Gesicht sehen konnte und in diese großen laubgrünen Augen, die den Frühling in sich zu tragen schienen, so kam es Lucy vor. Solche Augen waren selten. Unergründliche Augen. Augen die eine uralte Traurigkeit in sich trugen. Augen, welche vor Leben von innen heraus strahlten und doch tot waren. „Ja.“, lachte er bitter. „Wir sind vom gleichen Schlag. Es ist übrigens kein Zufall, dass wir uns treffen.“ „Hast du nach mir gesucht?“ „Du kommst nicht von hier.“, stellte er fest. Lucy zögerte erst noch, sich neben ihn zu setzen, doch als sie vor der Parkbank stand, sagte der Junge nichts, also setzte sie sich, einen gewissen Abstand aufrechterhaltend. Sie hatte Zeit. Unermesslich Zeit. „Ich wusste, dass du hier herkommst und war neugierig.“ „Woher?“ „Ich habe dich schon vorher durch die Stadt streifen sehen.“ Sie nickte. „Ich werde sie bald wieder verlassen. Es gibt hier nichts, was mich noch hält.“ „Ich bin Darius.“ „Mein Name ist Lucy.“ Darius blickte zu den Sternen empor, zu denen auch Lucy zuvor noch hinaufgesehen hatte. Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen, sprach ihn langsam aus, als wäre er etwas Besonderes. „Warst du eines der Kinder, die man nicht von zu Hause fortgenommen hatte?“ „Ich hatte kein zuhause.“ Darius Blick verfinsterte sich. „Haben sie dich festgehalten?“ „Ja.“, antwortete Lucy, darum bemüht, die Bilder aufzuhalten, die sie wie ein Strom durchfluteten. „Und ich habe viele Menschen getötet. So viele, wie du dir gar nicht vorstellen kannst.“, sprach sie. Darius verschränkte seine Arme, als wäre im kalt, obwohl die Luft noch vom Gewitter aufgeheizt war. „Ich habe auch getötet.“ Er sagte es leblos. Er sagte es seelenlos. Er konnte die Wunden noch so sehr verbergen, sich noch so sehr verschließen, Lucy sah es. Im Gegensatz zu ihr, schienen sie ihn heute noch zu verfolgen. Diejenigen die auf seinem Gewissen lastete. Manchmal kam es auch bei Lucy vor, dass die Bilder, die Schreie, wieder auflebten, doch es war zu einer Seltenheit geworden. „Man könnte sagen, es begann bereits bei meiner Geburt, dass ich einem Unschuldigen das Leben entriss. Ich war der Todbringer meiner Mutter und sollte eigentlich ihr Licht sein. Ihr Sonnenschein, wie die Menschen es gerne nannten. Damals war ich noch ein Mensch. Nur die Morde verwandelten mich über die Zeit hinweg zu einer Bestie, wenn es auch später anfing, als es in unserer Art üblich ist…“ Schon damals wusste ich, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war, dass ich anders als alle anderen Schüler war und von diesen auch als etwas Anderes angesehen wurde, als ein Insekt, ein Schädling ihrer Ruhe, welches man entweder missachten, oder beseitigen musste. Am größten jedoch war immer noch die Verachtung, die mir entgegengebracht wurde. Offensiv zeigte es niemand, zeigte niemand seine Abneigungen mir gegenüber. Fühlten sie, die Anderen, sich einmal unbeobachtet, konnte ich doch genau hören, wie sie sich ihre Mäuler über mich zerrissen. Die Typen benutzten oft die Wörter „abartig“, oder „Freak.“ Die Mädchen allerdings fanden mich unheimlich, unzugänglich und in einer gewissen Art und Weiße auch gefährlich, aber daran war ich gewöhnt. Daran, dass der Selbsterhaltungstrieb bei den Mädchen ausgeprägter war, als bei den Jungen. Aber ich konnte aus ihren Stimmen auch eine gewisse Sympathie dem Unbekannten gegenüber heraushorchen. Und das war ich ja auch. Ein Unbekannter. Ein Fremder. Sie fanden mich äußerlich schön. Ich bemerkte ihre Blicke, wie sie mich anstierten, wie sie sich irgendetwas in ihren Köpfen vorstellten, was niemals Realität werden konnte, oder vielleicht doch? Eigentlich sollte ich diesen törichten Gedanken sofort aus meinem Kopf verbannen, aber die Phase der Selbsterkenntnis, hatte ich doch im Grundschulalter bereits überschritten. Die Phase der Erkenntnis ein Diclonius zu sein. Erst hatte ich nur ein paar Geschichten darüber gelesen, wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie mit mir in Verbindungen zu bringen. So weit dachte ich zu dieser Zeit noch nicht, aber mit heranwachsendem Alter wurden einige Dinge klarer. Fragen wie, „Wer war ich?“, brauchte ich mir selbst gar nicht mehr stellen. Ich wusste wer ich war. Die Hörner, die neun unsichtbaren Vektorenarme, welche ich besaß. All das passte zu den Geschichten. Die Lehrer wussten schon eher über mich bescheid, auch einige Schüler wussten so ziemlich genau, wer oder was ich war. Die Sache mit den Diclonius war schon zu sehr in die Öffentlichkeit durchgesickert. Es war ab nun nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Alarmglocken läuteten, bis sie begriffen, dass ich eine Bedrohung für ihr aller Leben war. Ich ging an einer Gruppe Mädchen vorbei und ignorierte das Getuschel, indem es sich, wie für gewöhnlich, wohl um mich drehte. Man könnte erwarten, dass die Neugierde nach zwei Jahren endlich mal versiegen musste, doch wer das dachte, hatte sich mit dem falschen Messer geschnitten. Die Neugierde würde erst versiegen, wenn sie mehr über mich wussten und ich nicht mehr interessant für sie war. Könnte ich, würde ich auf sie zugehen, würde ihnen Dinge über mich erzählen, wie zum Beispiel, dass ich unheimlich gerne las, oder ein Astronomiefan war. Astronomie begeisterte mich vor allem darum, weil es etwas war was uns alle verband. Wir alle lebten auf einem kleinen Punkt, mitten in der Unendlichkeit. Wir sahen den gleichen Himmel, die rötliche Färbung die der Horizont annahm, nachdem nur noch vereinzelte Strahlen der Sonne zu sehen waren, bevor sie unterging. Die Schulglocke riss mich aus meiner Melancholie, die mich in letzter Zeit etwas öfter überfiel. Schweigend machte ich mich auf den Weg zu meinem Spinnt, um mir die Bücher, die ich für die nächste Unterrichtsstunden benötigte, zu holen. Wieder einmal überkam mich eine gelangweilte Müdigkeit, als Mrs Seifert begann, über Aristoteles zu erzählen. Meistens brauchte man nur bei einem Satz, den die Frau mit Hornbrille sagte, aufzupassen, schon wusste man den gesamten Stoff der Unterrichtsstunde, da sie immer wieder das Gleiche sagte, nur eben in einer anderen Satzkonstruktion. Ich konnte mir einfach nicht erklären, wie diese Frau es geschafft hatte, Lehrerin zu werden. Schon lange hatte ich es aufgegeben mich am Unterricht aktiv zu beteiligen. Ich hatte gemerkt, dass es keinen Sinn machte, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war, die Hand zu heben, wenn man für sie alle als ein Störenfried angesehen wurde. Über die Jahre hatte ich gelernt Fehler zu vermeiden und so fanden sie alle auch keinerlei Kritik über mein Verhalten. Immer war ich Klassenbester, was allerdings nie erwähnt wurde. Seltsamerweise mieden sie es, meinen Namen auszusprechen. Nach der Schule ging ich wie üblich über den Pausenhof, zu den waldgrün bestrichenen Schulbänken, auf denen ich meine Hausaufgaben erledigte, damit ich, wenn ich zu Hause bei meinen Pflegeeltern war, nicht mehr so viel zu tun hatte. So konnte ich ihnen in ihren Blumenladen aushelfen. „Du bist Darius, oder?“, hörte ich eine Stimme meinen Namen sagen. Das traf mich so überraschend, dass ich erst glaubte zu halluzinieren. Irgendwann musste schließlich einmal das Wunschdenken einsetzen. Ein Mädchen hatte es gewagt mich beim Namen zu nennen. Wäre es jetzt klug diese Schutzmauer zu errichten, um abzublocken? So würde ich sie vielleicht vor mir selbst in Sicherheit wiegen. Meine Wünsche siegten dieses eine Mal, über die Vernunft, die ich mir die Jahre antrainiert hatte. „Ja.“, sagte ich nur. Sie war klein und zierlich, trug einen dunkelblauen Faltenrock und eine Ärmelloses weiße Bluse. „Ich wollte nur fragen, ob es dir etwas ausmacht, wenn ich mich zu dir setze?“ „Mach ruhig.“ Interessiert musterte ich das Mädchen. Ihre kurzen, in alle Richtungen stehenden Haare bildeten einen stechenden Kontrast zu ihren Klamotten, denn sie leuchteten in einem hellen satten Orange. Aber am meisten faszinierten mich ihre Augen. Sie strotzten nur so vor Energie und Leben, hatten noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich wollte auch nicht der Este sein, der ihr in irgendeiner Weiße, eine unangenehme Erfahrung bescherte. „Ich bin übrigens Rayne. Ich hasse meinen Namen. Meine Schwester heißt Cloudy und meine andere Schwester, die Älteste heißt Sunshine. Unsere Mutter hat so einen Wettertick. Sie ist aber schon immer irgendwie etwas eigen und verrückt, muss ich sagen. Schlimm war es, als wir drei noch auf ein und die gleiche Schule gingen. Wir wurden immer Wetterblumen genannt, lustig nicht? Oh…“ Plötzlich hörte das Mädchen auf, mich mit ihren Worten regelrecht zu überfluten. Hatte ich irgendetwas Falsches gemacht? Aber egal wie lange ich darüber nachgrübelte, mir fiel nichts ein. Die ganze Zeit über hatte ich sie nur, mit großen Augen angestarrt und sofort ein schlechtes Gewissen bekommen. Mit diesem „Begaffe“ setzte ich mich jeden Tag auseinander, weshalb ich nicht auch so sein wollte, wie diese Gaffer. „Was ist los?“ „Ich rede wieder zu viel.“ Das Mädchen richtete ihren Blick stur auf den Boden. „Es stört mich nicht.“, beruhigte ich sie. Es störte mich wirklich nicht, schließlich hatte sie mehr in zehn Sekunden zu mir gesagt, als es andere in einem Jahr gemacht hatten. Zumindest andere, die nichts mit meinen Pflegeeltern am Hut hatten. Freudig strahlte sie mich an. „Wirklich nicht?“ Ich mochte dieses Strahlen, war es nicht gewöhnt, da mich andere immer stets mit ihren Blicken zu erdolchen versuchten. Grinsend schüttelte ich den Kopf und sie holte tief Luft, um wieder zum Sprechen anzusetzen, was sie anscheinend am Besten konnte. „Du bist wirklich einer der Wenigsten, die mich nach ein paar Sekunden nicht wegschieben. Den meisten rede ich zu viel. Damit kommen sie nicht klar, aber hab ich erst einmal angefangen, geht es einfach nicht anders und ich muss weitermachen. Also sollte es dir auf die Nerven gehen, würde es mich auch nicht stören, wenn du mich wegschickst. Gewohnt bin ich es ja.“, lachte sie, aber in ihrem Lachen lag etwas Bitteres. Was mir auch auffiel war, dass sie mich ganz anders wahrnahm, als alle anderen Mädchen. Sie hatte nicht diese Bewunderung in ihren Augen, dafür waren sie warm, in einem rotbraun, das nach außen hin heller wurde. Nachdem ich mit meiner Augenanalyse fertig war, richtete ich zur Abwechslung auch mal das Wort an sie: „Warum hab ich dich noch nie hier gesehen? So jemand wie du fällt doch auf.“ „Das hat meine frühere Freundin Clover auch immer zu mir gesagt. Frühere Freundin, weil ich von zu Hause weg, hierher gezogen bin.“ Ah, dachte ich mir. Kein Wunder, dass sie noch keine Angstgefühle mir gegenüber entwickelt hatte. „Was ist los?“, fuhr sie fort. „Du hast gerade für einen Moment danach ausgesehen, als würde dich etwas bedrücken.“ Verwundert starrte ich sie an. Mit jedem Wort das sie sagte, brachte sie mich mehr aus der Fassung. Dabei hatte ich meine Gesichtsausdrücke weitgehend unter Kontrolle. Was sie betraf, wurde es etwas schwieriger eine vollkommene Maskerade der Gelassenheit zu bewahren. „Es ist alles in Ordnung.“ „Weiß du.“, begann Rayne. „Als ich dich da sitzen sah, haben vor allem deine Augen Bände gesprochen. Sie waren nicht traurig, aber sie waren sehr verschlossen und dein Blick war so leer. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, dich glücklich zu machen.“ Eine seltsame Wärme quoll durch alle Poren meines Körpers und das nur, weil sie den Mund in meiner Gegenwart nicht hielt, wie alle anderen. Vermutlich würde ich durchdrehen, würde sie sich entschließen die Klappe zu halten. „Sag mal. Bist du immer so direkt?“ „Ich sage nur, was ich denke.“, gab Rayne seufzend zu, als wäre es etwas Schlechtes das zu machen. Natürlich sah ich auch die Schattenseiten darin, in Schlammassel zu geraten, wenn man einmal was Unüberlegtes sagte. Das Mädchen verlor sich im Anblick der vorbeischwebenden Wolken und sie sah genau die gleichen, vorbeischwebenden, weißen Wolken, wie ich sie sah und ihr schien das auch bewusst zu sein. „Bist du öfter hier, Darius?“ „Ja.“ „Darf ich morgen wiederkommen?“ „Ja.“ „Darf ich auch übermorgen wiederkommen?“ „Ja“„Nerv ich dich?“ Ich lachte amüsiert in mich hinein. „Nein.“ Rayne sprang von der Bank auf und trällerte vergnügt: „Dann also bis morgen.“ „Bis morgen.“, gab ich zurück. Lachend winkte sie mir noch, ehe sie hinter der Mauer, die sich um das ganze Schulgelände zog, verschwand. Das war mit Abstand die seltsamste Begegnung gewesen, die ich je gehabt hatte. Vielleicht waren auch alle anderen seltsam und sie war normal. Auf dem Nachhauseweg wog ich die ganze Zeit die Risiken ab, wenn Rayne jetzt morgen wieder zu der waldgrün bestrichenen Schulbank kam. War es unverantwortungslos von mir gewesen, dem zuzustimmen? Hätte ich „nein“, gesagt, wäre sie vermutlich trotzdem gekommen. Ich hatte mich unter Kontrolle, das wusste ich. Es war müßig über „Gut“ und „Böse“, „Richtig“, oder „Falsch“, nachzudenken da eigentlich alles nur Ansichtssachen waren. Vermutlich war es das Beste den Dingen vorerst seinen Lauf zu lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)