Broken von abgemeldet (Satoshi (Girugamesh) x Kyotaro (ex. Black:List)) ================================================================================ Kapitel 1: The 'Reddish' ------------------------ 1: The ‚Reddish‘ Eines späten Nachmittags im Juni, als Satoshi gerade von einem Besuch bei Freunden zurückkehrte fand er einen unbeschrifteten weißen Umschlag in seinem Briefkasten. Verwundert nahm er ihn mit in seine Wohnung, öffnete die Fenster der von stickiger Sommerluft erfüllten Küche und goss sich ein Glas Wasser ein, bevor er sich am Tisch niederließ und den Brief aufmachte. „Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Sie ab dem 1. Juli offiziell in unserem Supermarkt eingestellt sind…“, las er. Dann sprang er vom Tisch auf und überflog die wenigen doch aussagekräftigen Zeilen noch einmal, da er kaum glauben konnte, was dort geschrieben stand. Erst seit einigen Monaten wohnte er in dem kleinen Vorort der Hauptstadt Sapporo, wo er studierte und regelmäßig mit seiner Band probte. Die neue Wohnung erleichterte vieles; er musste nicht mehr stundelang von seinem Heimatort nach Sapporo fahren und sparte außerdem eine Menge Spritkosten. Doch sie musste auch finanziert werden und da er seinen alten Nebenjob wegen des Umzuges nun nicht mehr ausüben konnte, stand er unter dem wachsenden Druck schnellstmöglich etwas Neues in seiner Nähe zu finden… Vor etwa zwei Monaten hatte er Bewerbungen an alle möglichen naheliegenden Firmen und Supermärkte geschickt, doch von keiner eine Rückmeldung erhalten. Seither überlegte er verzweifelt, wie er die nächste Miete bezahlen sollte… doch nun löste sich dieses Problem von einer Minute zur nächsten in Luft auf. Ein riesiger Stein fiel ihm vom Herzen, denn ab dem nächsten Monat würde er wieder arbeiten gehen! Als er jedoch einen Blick auf seinen Kalender warf und bemerkte, dass der 1. Juli bereits der morgige Tag war, fiel er aus allen Wolken und ärgerte sich, dass man ihn erst einen Tag zuvor über seine Einstellung informierte. Schließlich musste man doch Dinge erledigen, bevor man wieder anfing zu arbeiten! Er wusste nicht einmal, ob die Tankfüllung seines Wagens noch reichte, um morgen in die Stadt fahren zu können. Seufzend schnappte er seine Schlüssel und machte sich auf den Weg zur nächsten Tankstelle. Trotz der Gewissheit am folgenden Tag nicht wie geplant ausschlafen zu können, kurbelte er gut gelaunt die Fensterscheiben des Autos herunter, drehte die Musik laut auf und genoss den warmen Wind in seinen lockigen dunklen Haaren. Er parkte unmittelbar hinter einem roten, etwas missglückt in der Einfahrt geparkten Mitsubishi, schlug lässig die Autotüre zu und begann Benzin in den Tank zu füllen. Dann ging er nach drinnen, schnappte sich noch ein Päckchen Zigaretten, blätterte kurz durch die aktuelle Ausgabe der Metalhammer und bezahlte anschließend. Als er nach draußen kam tummelte sich eine Gruppe junger Männer um den Mitsubishi; sie erregten nicht nur Satoshis Aufmerksamkeit, sondern auch die anderen Besucher der Tankstelle warfen ihnen skeptische Blicke zu. Man konnte sie weder überhören noch übersehen; aus dem Auto dröhnte laute Gitarrenmusik und sie trugen zerfetzte weite Hosen, rote Hoodies und toupierte bunt gefärbte Haare. Er zögerte zu seinem Wagen zu gehen, während die Gruppe ihm den Weg versperrte… Also zündete er sich eine Zigarette an, lehnte sich an die Wand und wartete ab wann sie verschwinden würden. Satoshi erschrak, als unmittelbar neben ihm ein weiterer Anhänger der Gruppe aus dem Geschäft sprang, der vermutlich noch auf der Toilette gewesen war. Er musste so etwas wie der ‚Anführer‘ von ihnen sein, denn kaum bemerkten sie ihn wurde er zum Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Während er auf sie zu schlenderte jubelten sie ihm zu und er holte zum Dank für jeden eine Dose kühles Bier aus der Tüte, die er in der linken Hand trug. Satoshi betrachtete ihn; für einen Japaner war er ziemlich groß, vermutlich verdankte er unter anderem dieser Tatsache seine geschätzte Position innerhalb der Gruppe. Seine muskulösen Arme trugen zahlreiche Tätowierungen und wie bei den anderen durfte auch an ihm etwas Rotes nicht fehlen; er erfüllte diese Bedingung durch ein karmesinfarbenes Adidas Trikot. Die blondschwarzen Haare fielen mal lang, mal kurz in sein flegelhaft anmutendes Gesicht und über Nase und Wangen verlief ein aufgemalter Stacheldraht, der seinem Ausdruck etwas Harsches und Unwirsches gab. Genervt holte Satoshi nun bereits die zweite Zigarette aus seiner Hosentasche, denn die Gruppe schien keine Anstalten zu machen den Parkplatz zu räumen. Ganz im Gegenteil… gerade ging ein anderer Junge an ihnen vorbei, den sie scheinbar kannten, doch wenig mochten. Er musste ihnen wohl einen abschätzigen Kommentar entgegen geworfen haben, denn Satoshi konnte nun beobachten, dass sich die ausgelassene Stimmung änderte und besonders der große Kerl plötzlich schlechte Laune zu bekommen schien. Nachdem der Junge bezahlt hatte, wieder aus dem kleinen Geschäft herauskam und sie erneut im Vorbeigehen provozierte, platzte dem Boss der Kragen; er marschierte auf ihn los und schlug ihn gegen die Blechwand seines Autos. Doch zu weiteren Handgreiflichkeiten konnte es nicht kommen, da in diesem Augenblick der Besitzer der Tankstelle wetternd nach draußen kam und der Bande drohte die Polizei zu verständigen, wenn sie nicht jeden Augenblick von seinem Grundstück verschwinden würden. Der Anführer ließ sein Opfer los, das sofort reis aus nahm, und die Gruppe stieg missmutig in den Wagen ein. Das Fahrzeug gehörte offensichtlich ihm, schlussfolgerte Satoshi, als er sich hinters Lenkrad setzte, ein paar mal verärgert den Motor schnarren ließ und mit seinem johlenden Gefolge davonfuhr… Satoshi schnaufte erleichtert, trat den glühenden Rest seiner Zigarette aus, stieg endlich selbst ins Auto und machte sich auf den Rückweg nachhause um seinen letzten entspannten Abend vor Arbeitsbeginn zu genießen… Kapitel 2: The Insurgent ------------------------ Der nächste Morgen kam schnell und rücksichtslos. Nur 5 Stunden konnte Satoshi schlafen bis sein Wecker ihn schrill und unbarmherzig aus den Träumen weckte. Er hatte es zwar versucht, aber nicht geschafft vor Mitternacht ins Bett zu gehen und nun fühlte er sich ausgelaugt und kaum in der Lage den neuen Herausforderungen entgegenzutreten. Müde taumelte er ins Badezimmer, duschte und kochte sich einen starken Kaffee, der ihn halbwegs erfolgreich durch den Tag bringen sollte. Zum Frühstücken blieb keine Zeit mehr, also tappte er mit knurrendem Magen durch den halbdunklen Treppenflur hinunter zum Parkplatz. Als er den Motor anmachte blendeten ihn die ersten hellen Sonnenstrahlen des beginnenden Tages und er fühlte sich zum ersten Mal unwohl und unsicher im Anbetracht der Tatsache, dass er nun tatsächlich zu seiner neuen Arbeitsstelle unterwegs war. Die üblichen Ängste etwas falsch zu machen, vielleicht keinen freundlichen Chef oder Mitarbeiter zu haben kehrten zurück und dass er nach gerade Mal der Hälfte der Fahrzeit auf der Autobahn in einen Stau geriet beunruhigte ihn nicht minder. Eine halbe Stunde verspätet erreichte er den Supermarkt, erhaschte den letzten Mitarbeiterparkplatz und stieg hastig aus. Dass neben ihm ein roter, schäbig aussehender Mitsubishi parkte nahm er nur beiläufig wahr, bevor er zum Eingang des Geschäftes eilte und sich unbeholfen nach Angestellten umsah. Endlich fand er eine ältere Frau, die eine weiße Schürze mit der Aufschrift des Firmennamens trug und fragte Sie nach dem Büro des Chefs. Sie wies ihm mürrisch den Weg und er folgte ihrer Erklärung. Das Büro befand sich hinter einer der für Einkäufer verschlossenen Türen in der Nähe der Kühlregale. Zögernd wartete Satoshi eine Weile davor; auf was, wusste er selbst nicht genau, denn dass der Chef vor die Tür trat, um ihn nach drinnen zu bitten war wohl recht unwahrscheinlich. Mit einem ungeduldigen Blick auf die Uhr beschloss er schließlich anzuklopfen und sich vorzustellen. Anstatt des Chefes befand sich jedoch nur seine Sekretärin im Zimmer. Sie blätterte in einem Ordner mit Unterlagen und bestellte Satoshi schließlich eine Mitarbeiterin, die ihm seine Arbeitskleidung aushändigen und ihn einweisen sollte. Das Mädchen befand sich ungefähr in seinem Alter, hatte ein hübsches Gesicht und ein strahlendes Lächeln. Ihre langen braunen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und auch sie trug eine weiße Schürze. „Ich heiße Nanami.“, verbeugte sie sich freundlich. „Satoshi.“, erwiderte er höflich und wickelte sich die Schürze um die Hüfte, die ihm das Mädchen soeben in die Hand gedrückt hatte. Er kam sich etwas lächerlich vor, aber da alle Arbeiter so etwas tragen mussten, konnte er damit leben. Er folgte Nanami, die ihn nach und nach in jede Abteilung des Supermarktes einwies und konnte verstehen warum man sie damit beauftragte Neulinge anzulernen; sie konnte ununterbrochen und sehr schnell reden. Satoshi bemühte sich soviel wie möglich von dem zu behalten, was sie sagte, doch ihre hohe beinahe schrille Stimme und die enorme Menge an ungefilterten Informationen brachte sein Gehirn innerhalb kürzester Zeit zum Abschalten, sodass er am Ende ihrer Einführung noch genauso viel wusste wie zuvor, was sich natürlich nicht gerade als hilfreich erwies, als er anschließend vor seinem ersten Regal stand und nicht die leiseste Ahnung hatte, wie man es einräumte. Es handelte sich um ein Soßenregal mit zig unterschiedlichen Sorten Ketchup und Mayonnaise, die er ordnen sollte… Rätselnd betrachtete er eine nach der anderen Mayonnaisetuben und begann also den Schrank einzuräumen. Hin und wieder huschte Nanami an ihm vorbei, um sich zu erkundigen, ob alles „klappte“, doch Satoshi glaubte, dass sie vielmehr deswegen vorbeischaute, weil sie Gefallen an ihm fand… so lugte auch er ab und zu durchs Regal zu ihr hinüber und beobachtete sie heimlich. Das lenkte ihn so von seiner eigentlichen Aufgabe ab, dass er eine der Mayoflaschen schief ins Regal stellte; sie kippte um und löste eine Kettenreaktion aus, die den gesamten ‚Turm‘ innerhalb von wenigen Sekunden zum Einstürzen bringen sollte. Satoshi kniff die Augen zusammen und wartete auf den lauten Krach, den die herunterfallenden Behälter auf dem Boden verursachen würden. Er rechnete mit dem Schlimmsten als er die Augen wieder aufmachte. Doch statt einem chaotischen Berg kaputter und verstreuter Lebensmittel sah er nur einen über und über mit Mayonnaise bekleckerten jungen Mann vor sich, der den Unfall wohl blitzschnell bemerkt und einen Großteil der herunterfallenden Flaschen aufgefangen hatte. Satoshi erkannte ihn sofort; seine Erscheinung war zu einprägsam, als dass man sie vergessen konnte. Zwar zierte diesmal kein aufgemalter Stacheldraht sein Gesicht, auch seine Haare fielen ungestylt und glatt in die Stirn, doch es handelte sich zweifellos um den Kerl von der Tankstelle, den Anführer der ‚roten‘ Clique. „Kannst du mir… vielleicht ein paar abnehmen?“, brachte er unsicher lächelnd hervor, allmählich unter dem Gewicht der Literflaschen in die Knie gehend. Satoshi schrak aus seinen Gedanken. „Äh… klar!“ Peinlich berührt nahm er die Hälfte der Last entgegen und sie räumten die Mayonnaise gemeinsam wieder ins Regal ein. „Wenn du darauf achtest, dass die Vorderseite nicht zur Seite gedreht ist fallen sie nicht so schnell um.“, riet ihm der junge Mann als er die letzte Mayonnaisetube zurück ins Fach stellte. „Okay.“, antwortete Satoshi, während er bereits darüber spekulierte, warum der andere statt der vorgeschriebenen Kleidung ein kurzärmliges rotes Hemd trug, obwohl er offensichtlich ebenfalls in diesem Supermarkt arbeitete. Womöglich besaß er eine besondere Position, was sich Satoshi allerdings bei einem ‚Rowdy‘ wie ihm schwerlich vorstellen konnte. Doch eben dieser ‚Rowdy‘ und nicht etwa die hübsche Nanami, hatte ihm gerade aus der Patsche geholfen und er überlegte ob er sein vorgefertigtes Bild vielleicht noch einmal überdenken sollte… „Ich bin Kyotaro.“, stellte er sich ihm schließlich vor. „Wenn du Fragen hast, wende dich an mich. Ich beantworte sie dir gerne.“ Sein offenes Lächeln machte es Satoshi tatsächlich schwer an dem negativen Eindruck des Vortages festzuhalten und er war selbst überrascht, dass er sein Lächeln erwiderte und antwortete: „Danke, das mache ich bestimmt.“ Im Laufe des Tages ergaben sich immer wieder ähnliche Situationen, in denen er und Kyotaro sich begegneten. Kyotaro schien ein wachsames Auge auf Satoshi gerichtet zu haben, denn er bemerkte sofort, wenn Satoshi nicht weiterkam und Hilfe brauchte. Mit seiner freundlichen, rauen Stimme erklärte er Satoshi was er falsch machte und wie er es verbessern konnte und im Gegenzug hörte Satoshi interessiert zu und lernte schnell von ihm. Bald wandte sich Satoshi auch von sich aus an Kyotaro und Nanami bemerkte beleidigt, dass er lieber zu Kyotaro ging als zu ihr. Wenn ihnen der Chef nicht gerade über die Schultern schaute scherzten sie sogar miteinander und als es zur Mittagspause läutete machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Aufenthaltsraum der Mitarbeiter. Kyotaro ließ sich auf eine der Bänke fallen, holte sein Obento heraus, nahm einen großen Bissen davon und kaute zufrieden. Satoshi setzte sich ihm gegenüber und beobachtete ihn beim Essen. „Hast du nichts dabei?“, fragte Kyotaro mit vollen Backen. „Nein.“, gab Satoshi beschämt zu. „Ich habe heute morgen verschlafen und keine Zeit mehr gehabt etwas einzupacken…“ Daraufhin reichte Kyotaro ihm sein zweites Obento. „Hier, du kannst etwas von mir haben.“, meinte er lächelnd. Satoshi betrachtete das in Frischhaltefolie eingewickelte Reisbällchen unschlüssig. „Es geht schon… ich habe wahrscheinlich nicht soviel Hunger wie du.“, antwortete er zurückhaltend. Kyotaros Lippen formten sich in gespielter Trotzigkeit zu einer Schnute und er schob das kleine Reisbällchen näher zu Satoshis Arm. „Satoshi, Satoshi!“, piepste er mit verstellter Stimme und bewegte das Reisbällchen als sei es ein kleines Tierchen, das seinen Arm anstupste. „Ich mag dich, du musst mich behalten! Bitte behalte mich!“ Satoshi lachte aus vollem Herzen. „Na schön, überredet.“, ergab er sich, nahm das Obento entgegen und beide kauten zufrieden ihren Pausensnack. Warmes, mittägliches Licht fiel durch das gegenüberliegende Fenster auf Kyotaros Arme, die weichen blonden Härchen schimmerten und lenkten Satoshi davon ab seine Augen in Nanamis Richtung schweifen zu lassen. Allmählich beschäftigte ihn dieser ‚Kyotaro‘… Was mochte das für ein Mensch sein, der sich so bedrohlich innerhalb seiner ‚Bande‘ gab, doch nun solche kindischen und beinahe liebenswerten Charakterzüge offenbarte…? Während er Kyotaro vorsichtig aus dem Augenwinkel betrachtete, bemerkte er dass noch Mayonnaiseflecken auf seinem Shirt zurückgeblieben waren. „Tut mir leid, dass ich dein Hemd bekleckert habe.“, entschuldigte er sich. „Ach, ich habe zig solche Hemden! Und außerdem sind die Flaschen Schuld, nicht du.“, zwinkerte Kyotaro. „Wieso trägst du eigentlich keine Schürze?“ „Weil ich das albern finde.“, gab Kyotaro offenkundig zu. „Du findest das ‚albern‘?“, fragte Satoshi irritiert. „Ich sehe damit aus wie eine Putzfrau.“, lachte Kyotaro. „Natürlich ist es albern!“ „Also ich finde es auch albern… aber geht das denn so einfach… sich zu weigern?“, fragte Satoshi ungläubig. „Sich zu weigern ist nie ‚einfach‘. Aber wer sagt, dass der leichteste Weg immer der beste ist? Und wie du siehst haben sie mich nicht rausgeworfen.“, lächelte er. Seine Worte brachten Satoshi zum Nachdenken. Er spürte, dass viel Wahrheit darin lag. Über das Leben, doch auch über Kyotaro selbst. Zum ersten Mal begriff Satoshi, dass es wohl nicht einfach sein musste ‚Kyotaro‘ zu sein… In diesem Moment läutete es zum Ende der Pause. Abwesend räumte Satoshi seine Sachen zusammen und ärgerte sich, dass sie gerade an dieser Stelle unterbrochen wurden, er hätte sich gerne noch länger mit Kyotaro unterhalten. Auch Kyotaro wirkte etwas missmutig bei dem Gedanken zurück an die Arbeit gehen zu müssen. Der restliche Nachmittag verging wie in Zeitlupe, da man Kyotaro für Lagerarbeiten im Getränkekeller einspannte und Satoshi nun alleine die restlichen Produkte sortieren musste. Erst gegen Feierabend begegneten sie sich wieder. Satoshi rechnete eigentlich nicht damit Kyotaro noch einmal zu treffen, da er eine halbe Stunde länger geblieben war, um die Verspätung vom Morgen auszugleichen und alle anderen sich schon längst auf den Heimweg gemacht hatten. Umso mehr überraschte es ihn, dass er als einziger noch im Aufenthaltsraum saß und eine Zigarette rauchte. Als er Satoshi sah, drückte er sie aus und stand von seinem Stuhl auf. „Na, hast du deinen ersten Arbeitstag gut überstanden?“, fragte er schmunzelnd. Satoshi schulterte seinen Rucksack und nickte. „War gar nicht so schlimm.“ Eine seltsame Vorahnung beschlich ihn, dass Kyotaro sich nicht zufällig noch hier befand, sondern vielleicht wegen etwas auf ihn gewartet hatte… „Hey sag mal… hättest du Lust dich mal außerhalb der Arbeit mit mir zu treffen? … Nachmittags oder so…“, brachte er sein Anliegen schließlich hervor und bestätigte damit Satoshis Vermutung. Es schmeichelte ihm, dass Kyotaro nur um ihn so was Banales zu fragen noch nicht Nachhause gefahren war und er willigte ohne Zögern ein. „Wie wär‘s mit ‘ner Runde Basketball Freitag Abend?“, schlug Kyotaro erfreut vor. Satoshi erklärte sich einverstanden und sie machten sich allmählich auf den Weg zu ihren Autos. „Also bis morgen!“, rief Kyotaro ihm zum Abschied durch seine heruntergekurbelte Scheibe zu und brauste in dem klapprigen Mitsubishi davon. „Bis morgen!“ Satoshi schüttelte lächelnd den Kopf und als er zur Ausfahrt des Supermarktes hinaus auf die Autobahn abbog fühlte er ein merkwürdiges Kribbeln in seiner Brust. Vielleicht war es das Gefühl von Freiheit, das durch die Gewissheit des Feierabends und die 150 km/h, die sein Tacho gerade anzeigte, in ihm aufkam… doch er spürte es nicht im Magen, sondern eher in seinem Herzen… so ein Flattern wie von Schmetterlingen... Kapitel 3: Blackmoon -------------------- Am Mittwoch fuhr Satoshi nach der Arbeit direkt zur Bandprobe. Mit dem Auto brauchte er gerade mal zehn Minuten bis er die leerstehende alte Schule erreichte, in deren Keller sich ihr Proberaum befand. Seit den sechziger Jahren konnte man die ursprünglich im 18. Jahrhundert erbaute und nun renovierungsbedürftige Villa nicht mehr als Schulgebäude verwenden, da die Erneuerungskosten dafür wohl das Budget der Stadtverwaltung überschritten, also vermietete man die schalldichten Kellerräume an lokale Bands. Gerade erreichte Satoshi den Parkplatz im Schatten der hochgewachsenen Kirschbäume. An diesem Tag freute er sich besonders auf die bevorstehende Probe. Die neue Cure lag seit heute in den Läden, die die Chartplatzierungen für Juli enthielt. Seine Band hoffte mir ihrer Single einen guten Platz in den Oricon Charts erreicht zu haben und wartete bereits seit Wochen gespannt auf das Ergebnis. Bestimmt wussten sie bereits Bescheid und Satoshi konnte es kaum erwarten die Neuigkeiten zu erfahren. Außerdem wollte er den anderen seinen neuen Songtext vorstellen… Beim Eintreten in das kühle alte Haus hörte er die Instrumente seiner Freunde bereits aus dem Untergrund hinaufschallen. Ungeduldig schritt er die breiten Betontreppen zu den dunklen, niedrigen Mauern des Kellers hinab. Er fand den Keller schon immer etwas unheimlich… Jedes Mal, wenn er alleine den schmalen finsteren Gang zum Proberaum entlang lief vernahm er das Tropfen der verrosteten Wasserhähne aus den ehemaligen Waschräumen. Obwohl sie nur wenige Zimmer entfernt von ihrem Proberaum lagen, hatte er es nie gewagt einen Blick in die schäbigen Bäder zu werfen. Es war ihm als ginge etwas Unheilvolles von ihnen aus… Als er den Proberaum betrat sprang sofort Naru, der quirlige Drummer, auf ihn zu. „Satoshi! Endlich bist du da! Wir haben schon auf dich gewartet!“, rief er und forderte ihn sogleich auf sich auf eines der in der Ecke aufgestellten Sofas zu setzen, die sie benutzten, um Pausen zu machen oder Dinge zu besprechen. Auch die anderen Bandmitglieder legten augenblicklich ihre Instrumente nieder und versammelten sich aufgeregt um den Tisch, wo bereits die aktuelle Ausgabe der Cure lag, die jedoch bisher noch niemand gewagt hatte anzurühren. Gebannt richteten sich ihre Augen auf den dunkelblonden Lead-Gitarristen Satsushi. „Soll ich?“, fragte er mit ernsten Augen und legte Zeigefinger und Daumen zwischen das Deckblatt und die erste Seite der Zeitschrift. Die anderen nickten ihm auffordern zu. „Okay…“, sagte er tief durchatmend, ergriff die Zeitschrift schließlich mit beiden Händen und blätterte entschlossen bis zur Seite mit den Chartplatzierungen. Er warf einen letzten ernsten Blick in die Runde und betrachtete sich schließlich die verheißungsvollen Tabellen… Einen Augenblick herrschte höchste Anspannung, alle hielten den Atem an - bis Satsushi die Cure wütend zurück auf den Tisch pfefferte und von seinem Platz auffuhr. „Sie haben uns wieder geschlagen.“, zischte er. „Diese Idioten von Öeight!“ Ein allgemeines Stöhnen ging durch die Gruppe. „Wir sind nur auf Platz Zwei!“, ärgerte sich Satsushi, der begann aufgewühlt im Raum auf und ab zu laufen. „Stimmt schon, wir hätten besser sein können, aber ein knapper zweiter Platz ist ja auch nicht schlecht.“, meinte Ken schulterzuckend und widmete sich wieder seiner Gitarre. „‚Nicht schlecht‘?!“, fauchte Satsushi ihn mit funkelnden Augen an. „Ich finde einen zweiten Platz hinter Öeight nicht nur ‚schlecht‘ sondern ‚miserabel‘!“ „Was regst du dich denn so auf? Natürlich ist es bedauerlich… Aber wir haben unser bestes gegeben und es hat eben dieses Mal nicht ganz gereicht…“, versuchte Satoshi den aufgebrachten Gitaristen zu besänftigen, doch Satsushi wollte sich nicht beruhigen. Mit wütenden blitzenden Augen trat er auf Satoshi zu. „Sie haben meinen Cousin krankenhausreif geschlagen!“, flüsterte Satsushi mit durchdringender Stimme. „Er kann seit einer Woche nicht mehr laufen wegen diesen Mistkerlen…“ „Was…?!“, wiederholte Satoshi entgeistert. Entsetzt widmeten auch die anderen Mitglieder ihre Aufmerksamkeit Satsushis Worten… „Du hättest ihn sehen sollen, nachdem er operiert wurde… manche der Narben werden ewig bleiben…“, erzählte Satsushi mit gesenktem Kopf. „Dabei wollte er sich nur ein Päckchen Zigaretten an der Tankstelle holen und… dann hat der Sänger von Öeight auf ihn eingeprügelt…“ Der wachsende Klos in Satsushis Kehle machte es ihm schwer zu sprechen. „Wenn ich diesen Wichser jemals in die Finger kriege wird er seines Lebens nicht mehr froh, das schwöre ich…“, schluchzte er. Satoshi legte mitleidig eine Hand auf seine Schulter. „Ich wette er wusste, dass Kaito mein Cousin ist…“, spekulierte Satsushi, als er sich etwas beruhigt hatte. „Sie haben ihn verprügelt um uns eins auszuwischen…!“ „Du meinst… um uns als Konkurrenz in der Szene endlich loszuwerden?“, fragte Ken, dem Satsushis Annahme gar nicht so abwegig vorkam. „Vielleicht…“, antwortete Satsushi gedankenversunken und hüllte nun auch die anderen in grüblerisches Schweigen. Der sonst eher zurückhaltende Bassist Makoto ergriff zuerst wieder das Wort: „Jungs… was bringt es uns denn jetzt Trübsal zu blasen und tatenlos herumzusitzen…?“ „Mako hat Recht…“, seufzte Naru deprimiert. „Lasst uns wenigstens noch den neuen Song proben…“ Obwohl sich keiner der Jungs danach fühlte erschien es ihnen am sinnvollsten Makotos Rat zu befolgen und wenigstens noch ein Bisschen Musik zu machen, damit sich das Treffen gelohnt hatte. Pflichtbewusst stellte sich Satoshi hinter den Mikrofonständer und holte den neuen Text heraus, auf den er sich nun gar nicht mehr so richtig freuen konnte. Er empfand Mitleid für Satsushi und seinen Cousin und verstand nicht, wieso Menschen anderen manchmal solche Dinge antaten… Hin und wieder warf er besorgte Blicke in Satsushis Richtung und hoffte, dass er sich bald wieder besser fühlen und auf die Probe konzentrieren konnte. Wenigstens der neue Text sorgte für einen Aufschwung der niedergeschlagenen Stimmung. Als Satoshi ihn zum ersten Mal vorsang huschte ein Grinsen über die Gesichter seiner Bandmitglieder und nachdem er fertig war lugte Ken über seine Schultern um die Zeilen noch einmal amüsiert zu überfliegen. „Was gibt‘s denn da so komisch zu grinsen?!“, meckerte Satoshi Ken an, während sich die Band das Lachen verkniff. „Ist euch der Text nicht gut genug?! Dann nehmen wir ihn eben nicht…!“, meinte Satoshi beleidigt und wollte das Blatt schon vom Notenständer nehmen, doch Ken hielt ihn auf. „Nein, nein, er ist ziemlich gut! Doch gestatte mir eine Frage…“, sagte er und zog die rechte Augenbraue nach oben. „Hast du jemanden kennen gelernt?“ „Jemanden… kennen gelernt?!“, wiederholte Satoshi verdattert. „Äh… du meinst… ein Mädchen…?“ Die anderen nickten energisch. Satoshi überlegte angestrengt. „Nicht dass ich wüsste…“ „Bist du dir da ganz sicher…?“, hakte Ken hartnäckig nach. Wieder zermarterte Satoshi seinen Kopf und schließlich fiel ihm doch jemand ein… „Vielleicht diese Nanami aus dem Supermarkt…? Aber sie ist nicht ganz auf meiner Wellenlänge…“, erklärte Satoshi und plötzlich fiel ihm auf: „Wieso fragst du mich so etwas überhaupt…?!“ „Aha! ‚Nicht so ganz auf deiner Wellenlänge‘?!“, grinste Ken, nahm den Text vom Notenständer und begann vorzulesen: „ ‚Ich will bei dir sein, nur du allein könntest genügen all meine Träume zu erfüllen.‘ Da sagt der Text aber etwas ganz anderes!“ „Gib das her!“ Errötend riss Satoshi den Text wieder an sich. „Ich habe das über niemand Bestimmtes geschrieben! Ich bin gestern Abend einfach inspiriert gewesen, das ist alles!“ Seine Freunde glaubten ihm natürlich kein Wort und Satoshi überlegte auf einmal selbst wann und wie er eigentlich auf den Text gekommen war… Vermutlich während des Mittagessens, als er sich mit Kyotaro über Freundinnen und solche Dinge unterhalten hatte… „Wollten wir nicht noch besprechen welche Demo-CD wir an Universal schicken?“, erinnerte Satoshi die Band, um die allgemeine Aufmerksamkeit von seinem Privatleben abzulenken. „Gut, dass du das ansprichst! Naru, holst du sie aus dem Safe?“, bat Satsushi den Drummer und warf ihm die Schlüssel zu. Er fing sie auf und machte sich auf den Weg zum ‚Bandsafe‘, der natürlich kein echter Tresor war, sondern nur von der Band so genannt wurde, da sie dort wertvolle Dinge einschlossen. Der blecherne kleine Schrank befand sich in einer der Abstellkammern gegenüber und eigentlich brauchte man keine Minute um vom Proberaum dorthin und zurück zu gelangen, deswegen wirkte es umso verdächtiger, dass Haru für diesen kurzen Weg heute eine halbe Ewigkeit brauchte. Als er endlich zurückkam war er leichenblass. „Sie… sind weg…“, stammelte er. „Dann such sie eben, wahrscheinlich liegen sie wieder in der hintersten Ecke…“, antwortete Ken an seinen Saiten herumschraubend. „Nein… ihr versteht nicht…! Sie wurden gestohlen!“, rief Naru aus und mit einem Mal richteten sich alle Augen bestürzt auf den Drummer. „Sie wurden WAS?!“, wiederholte die Band wie aus einem Munde und stürmte augenblicklich ins Nebenzimmer, um sich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Tatsächlich lag das Schloss des Schränkchens aufgebrochen am Boden und das Fach wo sie die Aufnahmen normalerweise versteckten war leer geräumt. Nur eines schien der Dieb ihnen hinterlassen zu haben… einen kleinen bekritzelten Zettel… „ ‚Rache ist süß; schöne Grüße, Öeight…‘“, las Makoto schluckend vor. Sofort wandte sich Satoshi an Satsushi und legte mildernd den Arm um seine Schulter, da er mit einem Mal aschfahl wurde. „Sie wollen uns aus dem Weg räumen…“, sagte Satsushi geistesabwesend und niemand wagte es etwas zu sagen, so unheimlich wirkte er in diesem Moment… „Beruhige dich…“, flüsterte Satoshi sachte in sein Ohr und streichelte über seine Schulter. „Beruhigen…“, wiederholte Satsushi mit tonloser Stimme, dann riss er sich von Satoshi los und keifte: „Beruhigen soll ich mich? Diese Wichser zerstören gerade meine Zukunft als Musiker! Und - mal am Rande bemerkt- auch eure! Ist euch klar, was sie für eine Macht haben mit diesen Aufnahmen? Unser gesamtes Material befindet sich auf diesen Cds! Sie werden unsere Ideen klauen und als ihre Songs verkaufen!“ Hilflos betrachteten die Jungs den aufgelösten Gitarristen und mussten sich eingestehen, dass er Recht hatte. „Was… sollen wir jetzt machen…?“, brachte Makoto hervor. „Wir müssen die Cds unter allen Umständen zurückbekommen!“, antwortete Satsushi ohne Zögern und alle stimmten zu, dass dies die einzige Lösung darstellte ihre Band zu schützen. Ans Proben war nach diesem weiteren Vorfall nicht mehr zu denken; sie beschlossen erstmal nachhause zu gehen und diesen Schicksalsschlag zu verarbeiten, während sich jeder bis zu ihrem nächsten Treffen einen Plan überlegen sollte, wie sie das gestohlene Material schnellstmöglich wiederbekommen konnten. Zum Glück blieb ihnen ein ganzer Monat Zeit die Sache in Angriff zu nehmen, denn viel würden Öeight vor der nächsten Chartausschreibung nicht mit ihren Aufnahmen anfangen können… Während sich die anderen Mitglieder von Blackmoon bereits auf den Heimweg gemacht hatten, lehnten Satoshi und Satsushi noch eine Weile gemeinsam an der Hauswand der Villa und teilten sich Satoshis letzte Zigarette. „Was deinem Cousin passiert ist tut mir leid…“, begann Satoshi vorsichtig und betrachtete Satsushis trauriges Gesicht im Schein der Abendröte. „Wie geht es ihm denn momentan…?“ „Vielleicht wird er in ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen.“, antwortete er und es klang wenig optimistisch. „Was sind das nur für ärmliche Kerle, diese Leute von Öeight, …dass sie zu solch primitiven Mitteln greifen müssen …?“, meinte Satoshi kopfschüttelnd. „Keine Ahnung… ich habe sie selber noch nicht einmal gesehen... Mein Cousin sagte, der Sänger sähe aus wie ein Sträfling und mache auf ziemlich dicke Eier…“ „Wenn ich diesem Widerling jemals begegnen sollte werde ich es ihm mal so richtig besorgen und sein verdammtes Ego in den Boden treten...“ , zischte Satoshi finster und erschrak im selben Moment über seine Worte. Satsushi betrachtete ihn perplex und beinahe ehrfürchtig, da man von dem eigentlich eher friedlichen Sänger solche Drohungen gar nicht gewöhnt war. Satoshi bereute es bereits sie so leichtfertig ausgesprochen zu haben, doch bemerkte, dass Satsushi ihn dafür zu respektieren schien und nahm sie somit nicht zurück, obwohl er sich unangenehm dabei fühlte… Daraufhin sagte keiner mehr ein Wort, beide blickten der Abendröte schweigend und gedankenversunken entgegen. Auf dem Heimweg rekapitulierte Satoshi noch einmal die Ereignisse des Tages und bemerkte dabei eine Kleinigkeit, die wohl in dem ganzen Trubel unbewusst unter den Tisch gefallen war… Hatte nicht „Rache ist süß“ auf dem Zettel gestanden…? Doch wieso Rache? Bevor man sich an jemandem rächen konnte musste man doch etwas Negatives durch den anderen erfahren haben… ? Was sollten Blackmoon Öeight denn getan haben...? Es kam ihm nichts in den Sinn... Es sei denn es betraf etwas von dem er nichts wusste... Auf einmal wurde Satoshi misstrauisch. Irgendetwas stimmte hier nicht… Kapitel 4: Cigarette Traces --------------------------- Die restliche Woche verging zügig und bald stand Freitagabend vor der Tür, an dem Satoshi und Kyotaro sich treffen wollten. Seit der turbulenten Probe hatte Satoshi nicht mehr all zu viele Gedanken an die Komplikationen mit der Band verschwendet, denn wann immer Kyotaro sich in seiner Nähe befand lösten sich all seine Probleme wie durch Zauberhand in Luft auf. Manchmal strahlte er eine solch optimistische Leichtigkeit aus, dass er es schaffte Satoshi durch seine bloße Anwesenheit aufzuheitern. Gerade mal eine Woche kannte er ihn nun und es kam ihm vor, als seien er und Kyotaro seit dem Kindergarten befreundet… Selten lernte er Menschen kennen mit denen er sich auf Anhieb so gut verstand und er nahm sich vor diese Freundschaft besser zu pflegen als seine bisherigen, die oft schnell wieder im Sand verlaufen waren. Satoshi erreichte den vereinbarten Treffpunkt etwas verspätet, da er noch nie zuvor dort gewesen war und sich ein paar Mal im komplizierten Straßennetz Sapporos verfangen hatte. Der große Sportplatz lag am Fuß der Berge; rings um das Spielfeld wuchsen Pflanzen, die in allen Farben des Hochsommers blühten und warmer Wind raschelte in den dichten Kronen der Laubbäume, durch deren Wipfel vereinzelt Sonnenstahlen auf die Rasenflächen des Spielfeldes fielen… Kyotaro, im blauen Adidas Trainingsanzug, saß auf einer Bank im Schatten und wartete bereits auf ihn. Als er Satoshi wahrnahm zog er seine Kopfhörer ab, schüttelte ihm begrüßend die Hand und sie betraten gemeinsam den Platz, auf dem außer ihnen noch ein paar Jugendliche Fußball spielten. Sie warfen ihre Rucksäcke ins Gras, Kyotaro packte seinen Basketball aus und begann ihn vor sich her zu dribbeln, während Satoshi sich noch ein wenig von der nervenaufreibenden Autofahrt ausruhte und ein paar Schlücke aus seiner Wasserflasche trank. Aus dem Augenwinkel beobachtete er wie geschickt und flink sich Kyotaro bewegte; es schien ihm ein Leichtes zu sein den Ball präzise ins Netz zu befördern. Doch Satoshi war selbst auch nicht der schlechteste im Basketball. Er stand auf, krempelte sich die Ärmel hoch und lächelte Kyotaro angriffslustig an. „Willst du mich herausfordern?“, fragte Kyotaro grinsend, als er Satoshis provokative Haltung bemerkte. Noch ehe sich Kyotaro versehen konnte rannte er blitzschnell auf ihn zu, nahm ihm den Ball ab und warf ihn ins Netz. „Eins zu Null.“, sagte Satoshi neckend. „Dir werd‘ ich‘s zeigen!“, raunte Kyotaro angestachelt, stürzte sich auf den Ball und schleuderte ihn ebenfalls ins Ziel. „Was sagst du jetzt?“ „Angeber!“, grinste Satoshi, schubste Kyotaro spielerisch zur Seite und dribbelte den Basketball davon, während Kyotaro ihm hinterher sprintete um ihn zurück zu ergattern. Immer wieder nahm der eine dem anderen den Ball ab und verlor ihn wieder; sobald Kyotaro einen Treffer erzielte legte Satoshi einen nach. Das Basketball wurde zu einer Art Kräftemessen zwischen diesen beiden fast gleich starken Angreifern, von denen keiner verlieren wollte. Kyotaro erreichte schließlich mit einem knappen Vorsprung als erster die Höchstpunktzahl und Satoshi musste sich vorerst geschlagen geben. „Wer ist jetzt der Angeber?“, sagte Kyotaro und grinste erhaben. „Na warte… du!“ Satoshi stürzte sich auf ihn, sie fielen zu Boden und begannen miteinander zu ringen. Kyotaro versuchte lachend den Quälgeist abzuschütteln, doch er gab sich nur halbherzig Mühe, denn es machte zuviel Spaß von Satoshi bekämpft zu werden. Ohne sich wirklich etwas dabei zu denken schlug Satoshi seine Arme schließlich auf den Boden um ihn unter sich festzunageln, doch Kyotaro entkam dabei ein schmerzerfüllter Aufschrei. Satoshi bemerkte, dass wohl etwas nicht stimmte und lockerte besorgt seine Hände um Kyotaros Handgelenke. „Hab ich dir wehgetan…?“, fragte er. Kyotaro richtete sich auf und hielt sich den linken Arm, an dem er ein dunkelblaues Schweißband trug. „Ist schon okay… Ich hab mich nur vor Kurzem an diesem Arm verletzt…“ „Warum hast du das nicht früher gesagt? Dann hätte ich besser aufgepasst…“, meinte Satoshi und bekam ein schlechtes Gewissen. „Vielleicht gibt es in der Sporthalle Toiletten wo du die Wunde ausspülen kannst… Sollen wir mal nachsehen?“ Kyotaro überlegte unentschlossen, dann willigte er dem Vorschlag ein und machte sich mit Satoshi auf den Weg zum wenige Meter entfernt liegenden Gebäude... Nachdem sie eine Weile durch die beengenden Gänge der stickigen Turnhalle irrten, fanden sie die Umkleideräume, in denen die Toiletten befanden. Kyotaro stellte sich an eines der Waschbecken und löste zögerlich das Schweißband um seinen Unterarm. Die Wunde darunter sah tatsächlich gar nicht gut aus; sie hatte erneut zu bluten begonnen und das Blut sich mit den Wollfasern des Schweißbandes vermischt. Er wagte es kaum seinen Arm unter das brennende, doch kühle Nass zu halten und zuckte unter dem Schmerz zusammen, als das Wasser endlich die verwundete Stelle berührte. Satoshi betrachtete wie die rote Flüssigkeit davon abgespült wurde und merkwürdige, kreisförmige Schwellungen zum Vorschein kamen. Erschrocken begriff er dass es Brandspuren einer Zigarette sein mussten… „Kyotaro… wer… wer hat das…?“, stammelte er, Kyotaro schien bereits damit gerechnet zu haben früher oder später diese Frage beantworten zu müssen und wisperte mit gesenktem Kopf: „Ich selbst…“ Satoshi starrte ihn an. „Aber… wieso…?“ , fragte er erschüttert. „Weißt du Satoshi… Manchmal sagen die Leute zu mir ‚Wie machst du das; du bist immer fröhlich und bringst die anderen zum Lachen’ “, begann Kyotaro während er das Plätschern des kühlen Wassers verfolgte. „Mein kleiner Bruder sieht zu mir auf und sagt ‚Wenn ich groß bin möchte ich genauso cool und stark werden wie du’... Es stimmt nicht... ich bin weder ‚fröhlich’ noch ‚cool’... Im Gegenteil... Aber ich will niemanden damit belasten, wenn es mir nicht gut geht... Es würde mir wehtun sie mit den Schattenseiten zu konfrontieren, sie sollen nur die Sonnenseite sehen, ich trage meine Probleme alleine aus...“ ,erklärte Kyotaro, drehte den Wasserhahn wieder zu und nahm ein Papiertuch von dem neben dem Waschbecken bereitliegenden Stapel um seine Wunde zu trocknen. „Wie lange geht das denn schon so...? ...“, fragte Satoshi vorsichtig. Daraufhin zog Kyotaro den Ärmel seines Shirts zur Seite und entblößte einen Teil seiner mit dünnen Einschnitten übersäten Brust. Satoshi blickte die geröteten Verkrustungen entrüstet an und entnahm dem Anblick, dass er es wohl schon eine ganze Weile so sein musste... „Hoffentlich hältst du mich jetzt nicht für einen Freak oder so…“, sagte Kyotaro verunsichert. „Ist schon gut... Ich hätte gar nicht erwartet, dass du mir solche Dinge anvertraust...“, antwortete Satoshi und streifte den Ärmel vorsichtig wieder über Kyotaros Arm. „Danke...“, flüsterte er. Sein Blick traf in Kyotaros plötzlich von Wärme erfüllte, braune Augen und sein Herz begann schneller zu schlagen. Er spürte wie die Distanz zwischen ihnen sich wie automatisch verringerte und Kyotaro sich an ihn lehnte, sein Atem strich bereits über Satoshis Nacken und verursachte dort einen angenehmen Schauer... Doch dann entzog er sich der Situation, wandte sich irritiert dem Waschbecken zu und wusch sich die Hände, während Kyotaro sich damit beschäftigte den merkwürdigen Moment zu überspielen. Wenig später beschlossen sie zurück nach Draußen zu gehen, um noch eine wenig weiterzuspielen, doch als es schließlich dämmerte, wurde es Zeit sich auf dem Heimweg zu machen. Kyotaro wohnte nur einen Fußmarsch von einer Viertelstunde entfernt, deswegen beschloss Satoshi ihn zu begleiten. „Wenn ich ehrlich bin… habe ich dich schon mal gesehen, bevor ich im Supermarkt anfing.“, offenbarte Satoshi dem verwunderten Kyotaro, während sie den erwärmten Bürgersteig entlang schlenderten. „Es war abends an der Tankstelle… du bist mit einer Gruppe Jungs dort gewesen und hättest dich beinahe mit einem Vorübergehenden geprügelt…“, beschrieb er und Kyotaro wusste sofort um was es ging. „An diesen Abend erinnere ich mich nur all zu gut… Wir wollten zu einem Konzert in die Stadt fahren, aber ich hatte nicht mehr genug Sprit, also haben wir uns zuvor noch mal auf den Weg zur Tanke gemacht.“, erzählte er. „Da ist uns ausgerechnet dieser alte Schulkamerad von meinem Freund Nachi über den Weg gelaufen... Er hat ihn während der Schulzeit ziemlich fertig gemacht und Nachi hat sich bis heute nicht ganz davon erholt… Jedes Mal wenn er uns begegnet fällt Nachi wieder in ein Loch… Es ist hart für ihn… und wenn dieser Mistkerl dann so dreist an uns vorbeiläuft und ihn beleidigt verliere ich schon mal die Beherrschung…“ „Also bist du wegen deinem Freund ausgerastet…?“ ,sagte Satoshi und verstand plötzlich. „Ja… Ich habe diese Geschichte damals so unmittelbar miterlebt, dass ich selbst ein Teil davon geworden bin… Wenn jemand Nachi verletzt fühle ich mich auch angegriffen.“, antwortete Kyotaro. „Ich glaube ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich so für andere aufopfert wie du…“, überlegte er. „Ist doch selbstverständlich... für dich werde ich mich in Zukunft auch ‚aufopfern’... wenn du nichts dagegen hast, dass ich dich nun zu meinen ‚Freunden’ zähle...“, meinte Kyotaro verlegen lächelnd. „Solange ich kein Rot tragen muss...“, scherzte Satoshi und Kyotaro musste lachen. „Ich würde dich nicht dazu zwingen, denn ich finde Schwarz steht dir ganz gut…“, gab er beiläufig zu und Satoshi genoss das scheue Kompliment. „Wieso tragt ihr eigentlich alle Rot?“ „Wir wollten der Außenwelt zu erkennen geben, dass wir als Gruppe zusammengehören also haben wir uns diesen Dressingcode überlegt. Es musste etwas sein, das man nicht so leicht übersehen kann und Rot ist als Warnfarbe wohl am besten dafür geeignet… Rot verkörpert Gefahr…“, erklärte Kyotaro nachdenklich. In diesem Moment erreichten sie Kyotaros Wohnblock und wieder bereute Satoshi es ihm nicht länger zuhören zu können... „Also dann…!“, sagte Kyotaro und trat ein paar Schritte vor Satoshi zurück. Satoshi nickte und tat es ihm gleich, doch er drehte sich nicht um und ging ebenso wenig davon. Kyotaro zögerte genauso und begann angespannt auf seiner Lippe zu beißen. Beide schienen noch auf etwas zu warten, das bisher weder der eine noch der andere zu geben wagte. Satoshi versuchte seinen wiederholt beschleunigten Herzschlag zu ignorieren und die damit verbundenen Erwartungen abzuschalten… Doch schließlich konnte er nicht anders als auf Kyotaro zuzugehen und dem inneren Drang ihn zu umarmen nachzugeben. Beinahe erleichtert sank der größere in seine Arme und drückte ihn innig an sich, dabei stellte Satoshi überrascht fest, dass sein Herz nicht weniger intensiv gegen seine Brust pochte als Satoshis und für einen Moment versank er in dieser ungewohnten Nähe… Als sie sich voneinander lösten betrachtete Kyotaro ihn mit merkwürdig glitzernden Augen… „Hey Satoshi… ‚Kyotaro‘ ist eigentlich nur ein ‚Nickname‘… wenn du willst, nenn mich Taro, okay?“, flüsterte er und hauchte einen sanften Kuss auf Satoshis Wange, der diesem durch Mark und Bein fuhr. „O…kay.“, presste er hervor und blickte Kyotaro hinterher, als er schließlich im Treppenhaus verschwand und Satoshi alleine in der noch jungen Nacht zurückließ… Benommen machte sich Satoshi auf den Rückweg und konnte die Gänsehaut in Erinnerung an diesen Kuss nicht abschütteln. Ebenso wenig wie er diesen seltsamen Moment in der Sporthalle vergessen konnte. Es verwirrte ihn, dass er so reagierte. Natürlich war nichts dabei, wenn Kyotaro ihn flüchtig auf die Wange küsste. Wie er ja heute erfahren hatte verhielt er sich gegenüber all seinen Freunden sehr herzlich und ein solche Geste musste für ihn absolut normal sein. Er musste sich einfach daran gewöhnen. Dennoch fühlte er sich aus der Fassung gebracht und brauchte den ganzen Abend um sich wieder zu fangen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)