Funeral of Dreams von PenAmour (...in the Distance the Tyrant's calling) ================================================================================ Kapitel 8: Narbenherz --------------------- + I am lost, in our rainbow, Overcast, by your shadow, as our worlds move on, But in this shirt, I can be you, to be near you – for a while. (The Irrepressibles – In this shirt) + Die Tür krachte mit einem lauten Knall ins Schloss und Koushiro fuhr erschrocken von seinem Schreibtischstuhl auf. Mit seiner gezückten SIG Sauer in der Hand. „Miyako!“, erleichtert ließ er sich zurück auf den Stuhl fallen, der ein empörtes Ächzen von sich gab, und die Pistole landete klackernd auf der Tischplatte. Müde fuhr er sich über matt schimmernde Gesicht. Seine Haut war aschfahl und die Fingernägel abgekaut. „Bist du wahnsinnig?“, herrschte er sie an, als er sich gefasst und den Schrecken überwunden hatte. „Wäre ich nicht so ein miserabler Schütze, wärst du jetzt tot.“ „Bist du aber“, stellte sie spitz fest und fügte etwas leiser hinzu: „Als ob das irgendjemanden interessieren würde…“ Sie ließ sich gegen den Türrahmen fallen. Sie war es so leid, in der Dunkelheit herumzuschleichen und auf Taichi Yagamis Befehle zu warten. Gleichzeitig brannte Hikaris Handabdruck immer noch auf ihrer linken Gesichtshälfte, als hätte ihre einstmalig beste Freundin ein glühendes Eisen auf den nun geschwollenen Wangenknochen gelegt. Koushiro schwieg und legte nur die Stirn in Falten, während er sie beobachtete – mit diesen starren tintenschwarzen Augen, die auf ihrem Gesicht ruhten und jede Gefühlsregung fixierten. Genervt wandte sie sich von ihm ab und versteckte die bösen Erinnerungen, die auf ihrem Gesicht geschrieben standen, vor ihm. Vielleicht hatte sie überreagiert, sie hätte ihre Einwände sicherlich gewählter ausdrücken können, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Wozu hatten sie all die Strapazen aufgenommen, wenn sie nun zu solchen zerstörerischen Mitteln griffen? Ihre Stirn berührte die kühle Steinmauer, der grollende Wutrausch ebbte langsam ab und nur noch ein bitterer Nachgeschmack blieb. „Pass auf.“ Koushiro war an sie heran getreten und hatte vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter gelegt und drängte sie nun zu seinem Schreibtisch. „Bleib du hier und halte Wache – für den Fall das Taichi und Ken sich melden – dann kann ich meiner Trainingseinheit mit Iori nachgehen. Er wollte mir eh endlich zeigen, wie man mit einer Waffe schießt… und auch trifft!“ Obwohl er ein schiefes Grinsen auf sein Gesicht zauberte, wusste sie, wie wenig er den Kraft- und Schießübungen abgewinnen konnte. Manchmal glaubte sie, dass er ein so schlechter Schütze war, gerade weil er es verabscheute. Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte Koushiro den kleinen Raum bereits verlassen und sie blieb zurück zusammen mit dem Surren des Notstromaggregats. Der kleine quadratische Raum, der durch eine Abtrennung aus Regalen zum Heizungskeller des Hotels entstanden war, wirkte düster und modrig und doch angenehm ruhig. Gerade ruhig genug, um sich zu entspannen, aber nicht zu leise, um sich trüben Gedanken hinzugeben. Die grummelnden Laufwerke hielten sie davon ab. Ihre Finger strichen über den verdreckten Bildschirm. Sie malte krakelige Blumen in den Staub und lauschte dem Tropfen eines leckenden Rohres. Sie wünschte, sie hätte sich von Ken verabschiedet, doch das wurde ihr erst in diesem Augenblick bewusst. Nicht dass es etwas geändert hätte, aber die Vorstellung ihn nie wieder zu sehen, ließ einen dicken Kloß in ihrem Rachen heranwachsen. Sie hatte ihn schon einmal beinahe verloren – wegen seiner Unfähigkeit eine Entscheidung zu treffen – wieder einmal. Sein Hemdärmel hing in Fetzen an seinem Arm und war schmutzverschmiert und blutdurchtränkt. Er rührte sich nicht sondern starrte nur gebannt zum Firmament, wo schwarze Schwingen den Himmel verdeckten. Sie konnte Tränen an seinen Wimpern kleben sehen. Sie fegte die Blumen vom Bildschirm, kleine Staubschwaden wirbelten durch die Luft und segelten schließlich auf den papierbedeckten Schreibtisch, doch das alles konnte ihre Wut nicht verscheuchen. Sie war so wütend, dass es in ihrem Magen brannte. So wütend. Auf die Welt, auf Taichi – natürlich, auf Ken und sein Unvermögen seine Gefühle zu äußern, auf sich selbst, und das war am schlimmsten… Die Wut kam in unregelmäßigen Schüben und beherrschte ihre Gedanken, ihre Gefühle und ihren Körper. Im Nachhinein bereute sie vieles und ertappte sich manches Mal dabei, sich zu wünschen, ebenso gefühlsstumpf und abgebrüht zu sein, wie Taichi, Yamato, Hikari… Doch je mehr die anderen sich ihren logischen Plänen hingaben, desto mehr schien sie zu fühlen. Sie reckte ihren Kopf zum Himmel empor, während die Menschen um sie herum in einen sprachlosen Schockzustand verfielen. Sie rührten sich nicht. Und er lag dort nur am Boden und weinte lautlos. Und dann geriet die Welt ins Wanken und der Boden unter ihnen brodelte bedrohlich. Mit dem Cursor der Maus zauberte sie flimmernde Rechtecke auf den Bildschirm, als wollte sie die Erinnerungen fort schieben, in die hintersten Winkel ihres Verstandes, wo Trauer und Angst ihnen Gesellschaft leisteten. Stunden waren vergangen, seit Taichi und Ken durch das Tor in die Digiwelt gereist waren. Stunden ohne Gewissheit. Wusste Ken, was sie für ihn empfand? Hatte sie es ihm jemals deutlich gesagt? Das Herzklopfen und die Schamesröte, fühlte er ebenso hinter seiner Maske aus zaghafter Unentschlossenheit? Die rostroten Stahlträger des Tokyo Towers krachte in sich zusammen, als Scharen von blutäugigen Monstern ihre Pranken in die Erde schlugen, und die Wucht der Attacken sie von ihren Beinen riss. Schützend beugte sie sich über ihn, während Asche aus sie niederprasselte. Vorsichtig strich sie ihm eine pechschwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Lippen waren aufgesprungen und rotes Blut perlte von ihnen ab. „Bitte Ken, bitte, bitte, bitte steh auf“, hauchte sie und erstickte beinahe an ihren Tränen. Der Computer piepte und sie zuckte nervös zusammen. Doch es war nur eine weitere Stunde verstrichen, die Ken nicht hier war, bei ihr, sondern auf der anderen Seite des Netzes Taichis wahnsinnigen Plan unterstützte, die Menschenwelt komplett auszulöschen, um das lästige Problem zu beseitigen. Lodernde Flammen griffen die Häuser an. Die Feuer krochen über Odaiba und hinterließen Chaos und ausgebrannte Dachgiebel. Ein Ruck ging durch die Menschenmasse und eine vertraute Stimme, gefüllt mit Kraft und Mut hallte über sie hinweg. „Rennt!“ Und die Menschen stoben auseinander, panisch, hastig – nur er lag dort am Boden und flüsterte: „Was hab ich getan… washabichgetan, washabichgetan...“ „Bitte, Ken. Wir müssen. Wormon wartet schon“, flehte sie und riss an seinem Arm, der kraftlos in der Luft hing. Eine feine Blutlinie zog sich über die schneeweiße Haut und endete in der Lebenslinie seiner Handfläche. Sie schreckte auf, als eine ohrenbetäubende Explosion grollend über sie hinweg donnerte und ein Wolkenkratzer in der Luft zerbarst. „Washabichgetan…“ „Hör auf zu denken, Miyako“, seufzte sie und rieb sich über das müde Gesicht. „Hör auf zu denken…“ Die Metallmasten ächzten, Stahlträgerfetzen segelten wie Blitzgeschosse durch die brennende Luft und sie fühlte einen stechenden Schmerz, der sich wie ein Brand über ihrem Gesicht verteilte. Lange Blutfäden hingen an ihren Wimpern und verdeckten ihre Sicht, während sie ein scharfes Metallstück in ihrer Wange fühlte, bevor eine rettende Gestalt sich über sie beugte. Es war nicht Ken, sondern die kräftige, mutige Stimme, die zu ihr sprach: „Reiß dich zusammen Miyako!“ Und zwei starke Arme hoben sie vom brodelnden Boden auf, während ihre Augenlider immer schwerer wurden. Die Welt um sie herum drehte sich, während aus der Ferne ein Schnarren zu vernehmen war. Ein Schnarren, das aus Albträumen gewebt war und sich in ihrem Herzen festbiss. „Bewohner dieses Planeten, ihr untersteht nun meiner Herrschaft. Ich, MaloMyotismon bin euer Kaiser und ihr werdet mir entweder rechtmäßig dienen oder qualvoll sterben…“ Und dann wurde alles um sie herum schwarz und verebbte in Nichtigkeiten. Ihre Finger strichen sanft über die Narbe unterhalb des linken Auges. Die Unebenheit in der Haut war nach wie vor deutlich zu spüren und zog sich über ihre linke Gesichtshälfte. Daneben wirkte Hikaris Schlag wie das Flügelstreifen eine Schmetterlings… Daisuke sagte immer, es ließe sie wie eine Amazone wirken, doch für sie selbst blieb es einfach nur die sichtbare Erinnerung an den schrecklichsten Tag ihres Lebens, die sie immer mit sich herumtragen musste. „Es macht die nicht hässlich, Miyako“, hatte er einmal geflüstert, während sie Wache gehalten hatten. „Es zeigt nur, wie sehr du kämpft und wie sagenhaft mutig und stark du bist.“ Und seine rauen Fingerspitzen hatten sacht die lange Narbe berührt. Es hatte sich angefühlt, als würde die Narbe erneut aufbrechen, die Berührungen stachen und brannten und sie hatte ihm auf die Finger geschlagen, bevor sie die Tränen auf ihrem Gesicht hätten ertasten können. Seitdem hatte Daisuke es nie wieder versucht und sie zeigte ihm wenn möglich die Seite ihres Gesichts, die nicht zeigte, dass sie gekämpft hatte. Und verloren… Jyou hatte sein Bestes gegeben, um ihre Verletzung zu versorgen, das wusste sie, es änderte jedoch nichts. Ein Rascheln drang aus der Ecke des kleinen Raumes in der das Notstromaggregat brummte. Ein Katze sprang grazil über den Boden mit einer toten Ratte in der Schnauze. Sie ließ das Tier fallen. Die giftgrünen Augen musterten sie eindringlich, während sie den pelzigen Kopf schief legte und sich ihrem Schreibtisch näherte. Das schwarze Fell schimmerte vom Jod, das Sora auf die Wunde aufgetragen hatte, die über ihren Bauch verlief. Langsam trippelte die Katze auf sie zu. Taichi hatte sie gerettet, wie er sie damals gerettet hatte. Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem Tier aus und strich ihm durch das samtene Fell. Die Katze schnurrte und umkreiste tröstend ihre Beine. Die Wärme des kleinen Körpers breitete sich auch in ihr aus, während die Katze ein aufmunterungsvolles Miauen von sich gab und anschließend die tote Ratte vom Boden aufhob und in der Dunkelheit des Korridors verschwand. Schritte hallten auf dem Steinboden wider und Igelstachel streckten sich durch den Türrahmen, gefolgt von einem runden Gesicht und nussbraunen Augen. „Hey“, murmelte Daisuke leise und lehnte sich unschlüssig an die Wand, nicht sicher, ob sie immer noch wütend auf ihn war. „Hey“, antwortete sie. Sie konnte ihm nie besonders lange böse sein. Und er hatte es eigentlich auch nicht verdient, ein Feigling genannt zu werden – sie war einfach nur so wütend gewesen. Wie sooft. Doch Daisuke schien zu wissen, was in ihr vorging, er rückte einen klapprigen Holzstuhl an den Schreibtisch und setzte sich zu ihr. „Ihm geht’s sicherlich gut“, flüsterte er. Dankbar kuschelte sie sich an seine Schulter und er legte einen Arm um sie. Er trug seinen grauen Pulli, der besonders weich war und sich kuschelig an ihre Wange schmiegte und die Narbe verdeckte. „Taichi ist ja bei ihm…“ Just if you don`t see a future And your dreams are falling down If pain enters new dimensions And you feel like you would drown Take your broken bird and fly Without a certain destination Open up your blinded eyes (Ephemere – Hopelessly) ____________ Author’s Note: Lange Zeit wusste ich nicht, wo ich mit Miyako hinwollte. Sie bietet einfach sehr viele Möglichkeiten, um eine Kapitelhandlung aufzubauen. Letztendlich habe ich mich dafür entschieden, euch FoD-Miyakos Innerstes zu geben und einige kleine Momente der Vergangenheit und des unmittelbaren Weltkollapses. Um genau zu sein, ist das der Moment, in dem die Welt gerade vom neuen Kaiser erobert wird… Ich muss sagen, dass ich Miyako erst richtig gerne mag, seit ich mit ihr schreibe und dadurch die kleinen Charakterfeinheiten entdecke, die der Serie oft ein wenig am Hintern vorbeigegangen sind… Hier habe ich die Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit bewusst ruckartig gesetzt. Ich hoffe das Feeling von brodelnden Erinnerungen, die an die Oberfläche dringen, konnte umgesetzt werden. Ihr wisst ja, die Details machen alles aus. Miyako und Misere gegenüberzustellen hat was tröstendes aber auch symbolisches. Wer, glaubt ihr, hat Miyako in ihren Erinnerungen gerettet? Außerdem wollte ich Miyakos Narbe, die Daisuke schon angesprochen hat, näher erläutern. Ach ja Daisuke. Daisuke, Miyako und Ken – das ist ne interessante Kiste. Viel, viel Freundschaft und ganz große Gefühle… Also genau die Zutaten für Dramen und Abenteuer und das Leben sowieso, nicht wahr?! Und so sind wir auch schon auf der Zielgeraden – für das erste Arc natürlich. FoD ist noch lange nicht vorbei.^^ Bis dahin PenAmour Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)