Eine komplizierte Beziehung von Sydney (3. Platz beim Fanfiction-Wettbewerb der MACOnvention 2009) ================================================================================ Kapitel 1: One and Only ----------------------- Eine komplizierte Beziehung: Integra Fairbrook Wingates Hellsing war nichts dazu geboren, tatenlos herumzuliegen. Es widersprach ihrer Natur. Auch die schwere Verletzung, die sie sich selbst zugefügt hatte um ihr Leben zu retten, änderte daran nichts. Die Wunde war kein Grund, den Rest des Tages im Bett zu verbringen und nichts zu tun. Integra wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das Bewusstsein verloren hatte. Doch ein untrüglicher Instinkt sagte ihr, dass sie zu lange abwesend gewesen war. In diesen mehr als unruhigen Zeiten konnte sie es sich nicht leisten, in ihrer beständigen Wachsamkeit nachzulassen. Nicht einmal die Opiate und all die anderen Medikamente, die noch vor wenigen Stunden über mehrere Schläuche in ihren Blutkreislauf gelangt waren, konnten das Verlangen aufzustehen unterdrücken. Sie hatte genug Zeit in der Narkose verbracht, deren letzte Spuren sich gerade zu verflüchtigten begannen. Es kostete sie eine Menge Kraft ihren Körper in eine einigermaßen sitzende Position zu bringen. Sie hatte es schon zuvor versucht, doch zu diesem Zeitpunkt war sie noch nicht alleine gewesen und man hatte sie daran gehindert. Ein ungewohntes Gefühl. Seit so vielen Jahren hatte sich Integra nun von niemandem mehr etwas vorschreiben lassen, und nun zwang sie ihre Verfassung dazu, den Anweisungen des Arztes zu gehorchen. Wenigstens war sie nun in ihre Räume geberacht worden. Zudem war sie befreit von der permanenten Überwachung. Von der Anstrengung sich aufzurichten sichtlich mitgenommen, schloss sie für einen Moment die Augen, während ihre Finger über den dicken Verband fuhren. Die Wunde an ihrem Hals pochte etwas, die Schmerzen hielten sich jedoch in Grenzen. Es würde eine unschöne Narbe geben, aber das kümmerte sie nicht weiter. Eher sorgte sie sich um die Beschaffung eines neuen Brieföffners. Den Alten würde sie nicht mehr sehen können. „Ich denke nicht, dass der Doktor erfreut wäre, wenn er Euch sehen würde“, ertönte eine Integra wohlbekannte Stimme. Sie verfluchte ihn. Gedanklich. Denn Sprechen war momentan eine unangenehme Angelegenheit. Außerdem würde Alucard die Botschaft ohnehin mitbekommen. Selbst wenn er nicht aktiv ihre Gedanken mitverfolgte, so besaß er doch ein untrügliches Gespür für ihre Stimmung. Doch Integra bezweifelte, dass er sich gerade alleine mit dem Erfassen ihrer Gemütslage zufrieden gab. Dafür war zu viel an diesem Tag geschehen. „Wie fühlt es sich an, nicht selbst bestimmen zu können? Nicht einmal Macht über den eigenen Körper zu besitzen? So hilflos, so verletzlich?“ Wie immer war da dieser vor Spott triefende Unterton, der die Worte des Vampirs wie ein treuer Schatten begleitete. Sie verzichtete auf eine Antwort. Ein böser Blick genügte ihr vorerst. Dabei konnte sie nicht einmal sein Gesicht ausmachen. Viel zu unscharf war das Bild, das ihre Augen produzierten. Unruhig sah sie sich um, auf der Suche nach ihrer Brille. Ihre Kurzsichtigkeit hatte sich schon in frühster Kindheit gezeigt und besser war es seitdem auch nicht geworden, eher schlechter. Noch bevor Integra die Brille gefunden hatte, tauchte sie unvermittelt vor ihrer Nase auf. Mit der wenigen, ihr verbliebenen Kraft nahm sie sie entgegen. Wie sie es hasste so abhängig zu sein, abhängig von ihm! Als sie das Gestell aufgesetzt hatte, konnte sie nun auch das Grinsen sehen, dass das Gesicht des Vampires zierte. Sein ganzes Auftreten war wie immer eine einzige gezielte Provokation. Eigentlich hätte sie schon in dem Moment einschreiten müssen, als er sich in ihre Träume eingeschlichen hatte. Integra wusste sehr genau, dass es kein Zufall gewesen war, dass sich die Ereignisse der Vergangenheit vor ihrem inneren Auge wiederholt hatten. Doch für einen Augenblick war sie schwach geworden. Schwach und nostalgisch. Der Bastard hatte sicherlich die ganze Zeit über nur darauf gewartet, dass sie erwachte, damit er sie jetzt so belagern konnte. „Werdet Ihr jetzt sentimental, mein Meister? Trauert Ihr der Vergangenheit nach? So kenne ich Euch ja gar nicht…“ „Verschwinde, Alucard!“ Es war der Versuch zu schreien, doch es blieb ein heiseres Krächzen, dass sich in dem großen Raum verlor, als wäre es niemals da gewesen. „Verzeihung, was sagtet Ihr? Ich habe Euch nicht verstanden…“ Ein höhnisches Lachen folgte Alucards Worten. Doch dann schien er sich eines Besseren zu besinnen und verstummte schlagartig. „Ist es wirklich das, was mein Meister wünscht?“ Einen Moment lang viel die spöttische Maske von ihm ab. „Ich wünsche mir noch ganz andere Dinge, Alucard.“ Sie hustete, eine Reaktion, die sich als äußerst unpraktisch in der momentanen Situation herausstellte. „Und die beinhalten alle gesegnetes Silber… das sich in deinen Körper bohrt.“ Erneut waren ihre Worte leise, sogar noch leiser als zuvor. Doch sie wusste nur zu gut, dass die Sinne des Vampirs es erlaubten, noch wesentlich leisere Geräusche wahrzunehmen. „Dann ist es ja ein Segen, dass Ihr Euch zurzeit nicht in Reichweite einer Eurer Waffe befindet.“ Es überraschte Integra nicht, welche Wendung dieses Gespräch genommen hatte. Sie machte sich auch nicht die Mühe unter ihr Kopfkissen zu fassen, an die Stelle, an der normalerweise eine ihrer Pistolen lag. Eigentlich waren sie schon lange über den Punkt hinaus, an dem sie ihm etwas in den Kopf jagen musste. Früher war dies häufiger passiert. „Warum bist du gekommen? Wenn es dein einziges Ziel ist, deinen Unsinn mit mir zu treiben, dann geh!“ Alucard antwortete nicht, machte aber auch keine Anstalten zu verschwinden. Ein leiser Verdacht befiel Integra. Es hatte einige wenige Gelegenheiten gegeben, an denen sein Verhalten dem geglichen hatte, das er jetzt zeigte. Mit einem Mal war sie sich ziemlich sicher, was ihn dazu trieb, sich so zu verhalten. Der Vampir benahm sich wie ein kleiner Hund, der etwas getan hatte, was sein Herr zwar noch nicht bemerkt hatte, aber sicherlich mit einer Strafe ahnden würde, wenn er es schließlich doch herausfand. Dafür sprach auch sein Auftreten. Er trug weder seinen Hut, noch die Sonnenbrille, die sie ganz und gar nicht mochte. Manch einem wäre es seltsam erschienen, aber sie sah ihm lieber direkt in die Augen. Die rote Farbe hatte Integra noch nie abgeschreckt, genauso wenig wie der Wahnsinn, der die meiste Zeit in ihnen lag. Viel mehr beunruhigte es sie, ihn durch die verspiegelten Gläser anzustarren, nicht wissend was sich hinter ihnen verbarg. Das Heben einer Augenbraue genügte um ihm ihre Skepsis spüren zu lassen. Zwar war wieder etwas mehr Leben in ihren Körper zurückgekehrt, doch wenn sie sich auch auf diese Weise mitteilen konnte zog Integra es vor, den subtilen Weg zu wählen. Gott, wie sie es hasste ans Bett gefesselt zu sein, schwach wie ein Krüppel! „Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang? Etwas frische Nachtluft würde Euch gut tun.“ Jetzt hatte sie den Beweis. Er las definitiv ihre Gedanken. „Alucard…!“ „Ich gedenke keineswegs Euch auf den Arm zu nehmen, Meister“, verteidigte er sich und deutete auf einen Rollstuhl, der auf der anderen Seite des Bettes stand. Walter musste ihn, wohlwissentlich, dass sie das Bett so schnell wie möglich verlassen wollen würde, bereitgestellt haben. Der alte Butler dachte immer an alles. Manchmal war er so perfektionistisch veranlagte, dass sogar sie, die ihn seit ihrer frühesten Kindheit kannte, daran zweifelte, dass er ein Mensch war. Doch das Silberbesteck, das er vor jeder Mahlzeit polierte, bestätigte seine unveränderte Sterblichkeit. Sie nickte kurz, zum Zeichen, dass sie einverstanden war. „Verschwinde, damit ich mich anziehen kann.“ Dieses Mal tat er wie befohlen. Es war eine Lektion gewesen, die beide hart erarbeitet hatten. Schon wenige Tage nachdem sie ihn als Mädchen aus dem Kerker des Anwesens befreit hatte, hatte er angefangen zu den unmöglichsten Zeiten in ihren Räumen aufzutauchen. Es waren die Monate gewesen, in denen er noch viel mehr als in der Gegenwart versucht hatte, auszutesten, wie weit er bei seiner Herrin gehen konnte. Nur wenige Wochen hatte es gedauert, bis sie zumindest dieses Verhalten ein für alle Mal abgestellt hatte. Integra hatte damals das getan, was ihr am naheliegendsten erschienen war. Nach zehn Tagen, die er permanent in seiner Hundegestalt verbracht hatte und auf Nulldiät gesetzt, hatte Alucard nie wieder Anstalten gemacht einfach so in ihrem Badezimmer aufzutauchen. Mit dem Wissen, dass ihr Arzt nicht erfreut sein würde, wenn er von ihrem Ausflug erfuhr, und der damit verbundenen Befriedigung, ließ sie sich wenig später von dem Vampir in den Rollstuhl helfen. Sie wusste, dass dies eine infantile Trotzreaktion war, doch sie gab sich nicht gerne geschlagen. Eine kurze Schwindelwelle ließ sie für kurze Zeit die Augen schließen, doch ihr Körper gewöhnte sich schnell an die veränderte Position. Es dauerte nicht lange, bis sie an ihrem Ziel angekommen war. Alucard hatte sie auf den großen Balkon geführt, von dem man das ganze Anwesen überblicken konnte. Der Mond hob sich deutlich vom Nachthimmel ab und tauchte das Areal in sein Licht, so dass auch ein Mensch in der Lage war, selbst kleinere Details der Landschaft wahrzunehmen. Beide schwiegen und ließen die Aussicht auf sich wirken. „Also, was willst du mir sagen, Alucard?“, durchbrach Integra schließlich die Stille. Er sah sie an. Ohne Spott und mit erstaunlich ernsthaftem Gesichtsausdruck. „Das was sich ereignet hat, habe ich zu verantworten.“ Sie erwiderte nichts. Es hätte keinen Sinn gehabt. „Ich übernehme die volle Verantwortung“, fuhr er in ihren Gedanken fort. „Ich war abgelenkt. Etwas Dunkles bahnt sich seinen Weg hierher. Doch das ist keine Entschuldigung für mein Versagen. Es ist unentschuldbar. Ich erwarte meine Strafe…“ Ehrlichkeit lag in seinen blutroten Augen. Dann verbeugte er sich vor ihr. „Steh auf! Entgegen deiner Ansicht, bin ich kein hilfloses kleines Mädchen! Ich sollte in der Lage sein, mich selbst zu verteidigen. Dies ist erst durch unser aller Unaufmerksamkeit ermöglicht worden“, erwiderte sie, nicht wollend, dass er sie als vollkommen unselbstständig ansah. Er schien zufrieden, dass Integra ihn angehört hatte. Eine Weile herrschte Schweigen. Sie wussten beide, dass sie ohne den jeweils anderen ein Nichts waren. Sie brauchten einander, obwohl sie jeden Tag aufs Neue einen Kampf ausfochten. Einen Wettstreit, der keinen Sieger kannte, ein Eifern um die Stärke, das Durchhaltevermögen des Geistes. Niemals würde Integra den Ausdruck vergessen, der auf seinen Zügen getreten war, als sie ihm das erste Mal die Stirn geboten hatte, das Funkeln in seinen Augen, als er diese Herausforderung angenommen hatte. Das Cromwellsiegel band ihn, aber es sorgte nicht dafür, dass er wie eine willenlose Marionette den Menschen gehorchte. Nur wer die notwendige Stärke besaß, konnte ihm befehlen, wie Integra es vermochte. „Das eben war eine einmalige Ausnahme. Es wird nicht wieder vorkommen“, stellte er schließlich schlicht fest und durchbrach damit die Stille. Integra war nicht verwundert. Es kam normalerweise nicht vor, dass er seinen Stolz beiseite schob. „Das weiß ich, Alucard. Ich wäre enttäuscht, wenn du nach all den Jahren zahm werden würdest.“ Sie sahen sich an. „Ebenso wäre ich enttäuscht, wenn Ihr nachgiebig geworden wärt, mein Meister“, antwortete er und deutete eine Verbeugung an. Wieder hörte sie seine Stimme in ihren Gedanken. Noch bevor sie protestieren konnte, dass er schon wieder in ihren Geist eindrang oder zumindest nachfragen, warum er nun wieder diese Art der Kommunikation wählte, sprach der Vampir weiter. „Und übrigens, das Polizeimädchen ist gerade zurückgekehrt und steht hinter uns. Ich bin nicht der Meinung, dass sie unsere Konversation mitverfolgen muss. Auch wenn sie gerade die falschen Schlüsse über unsere Beziehung“, er betonte das letzte Wort, „zieht.“ Integras Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Doch es wäre etwas zu viel des Guten gewesen, diese Regung als ein Lächeln zu bezeichnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)