Flatmates von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 13: Talkshow I ---------------------- Jannik schlägt härter zu als Raphael. Es ist eine schallende Backpfeife, die mich einen Schritt zurückstolpern lässt. Instinktiv greife ich mit meiner Hand an die pochende Stelle und bin mir sicher, dass meine Wange völlig gerötet ist. Für einige Sekunden nur sehe ich so etwas wie Reue in Janniks Gesicht aufkommen, seine Lippen kräuseln sich leicht und er streckt seine Hand dieses mal behutsamer nach mir aus, als würde er sich entschuldigen wollen, mich streicheln wollen, doch dann hält er inne, besinnt sich und dieser Schatten legt sich über sein Gesicht. Ebenso wie die Verwirrung. Seine Augen werden kühler, bedrohlicher und er starrt mich an. Und ich kann nichts sagen, kann die Tränen abermals nicht zurückhalten. Leise kullern sie über meine schmerzende Wange. Augenblicke der bedrückenden Stille vergehen. Janniks Anblick zerreißt mich innerlich. Ich wünschte, er würde einfach noch mal zuschlagen, verdient habe ich das schließlich. Ich, der anderen so vorbildlich von Treue predigt und andere Männer aufgrund ihrer Seitensprünge verurteilt und von „falscher Liebe“ bei solchen Fällen spricht. Ich, der solche Sprüche ablassen kann wie „Wenn Jannik mich betrügt, dann ist es sofort vorbei!“. Mein Freund sagt noch immer nichts, nimmt nicht die Augen von mir. Es ist schlimmer als all die Augenblicke der letzten zwei Wochen zusammengerechnet. Eigentlich ist es der kritischste Augenblick, den wir jemals zusammen erlebt haben. Ein wahr gewordener Albtraum. Eine Sackgasse. Ich könnte ihm so viel sagen. All die Wörter an den Kopf werfen, die ich mir während der Heimfahrt bereitgelegt habe, mich tausendfach entschuldigen, ihn auf Knien anbetteln. Doch meine Kehle ist trocken. Mein pochendes Herz betäubt mich, ich habe keine Kontrolle über meine Glieder und ich habe Angst. Ja, das ist es. Ich habe furchtbare Angst, dass ich alles was mir lieb ist zerstört habe. Und ich bereue es, dass ich Niklas und vielleicht auch noch Raphael nicht einfach mitgeschleppt habe, damit sie mit Jannik reden könnten, es erklären könnten. Jannik senkt seinen Blick und schüttelt langsam den Kopf. Wie in Zeitlupe. Als würden zahlreiche Gedanken wie ein Strom durch ihn hindurchfließen und er würde sich mit jedem einzelnen auseinandersetzen und ihn verneinen, ihn verdrängen. „Jannik…“, setze ich an und merke erst als ich spreche, wie erbärmlich sich meine zittrige Stimme anhört. Sie ist von Panik gespickt, ich klinge gar nicht wie ich selbst. „Es tut mir so leid, das war scheiße, aber es hat nichts bedeutet, das ist so passiert! Es war nur ganz kurz, vielleicht eine Sekunde, Niklas hat sich einfach zu mir umgedreht und mir seine Lippen aufgedrängt…!“, jammere ich und gehe auf ihn zu, will ihn anfassen, ihn spüren, mich an ihn drücken, doch er weicht einen Schritt zurück und dieser Blick, den er mir zuwirft lässt auch mich erstarren. Es scheint, als würde etwas Gefährliches in den dunklen Kristallen aufblitzen. Oder als würde sie ein unbekannter Schatten bedecken. Ich lese Frust und Wut in ihnen. Und ich weiß, dass ich schuld daran bin. Abermals schüttelt er seinen Kopf. Und dann spricht er mit einer Stimme, die ebenso zittrig ist wie meine: „Weißt du eigentlich, wie schwer es manchmal ist, dein Freund zu sein?“, presst er hervor und ich muss mir bei diesem Satz auf die Zunge beißen, um weitere Tränen zurückzuhalten. „Ständig muss ich deine Launen ertragen. Du bist manchmal wie so ne Tussi, die ihre Dauertage hat. In einer Sekunde findest du etwas total toll und dann bist du plötzlich so dermaßen schlecht gelaunt, dass ich alles stehen und liegen lassen muss, um mich um dich zu kümmern“, redet er weiter und seine Stimme versagt. Er schluckt und sieht mich wieder an. „Du bist manchmal wie so ein Kleinkind, Roman. Ich… Ich gebe dir alles, was ich habe, und es reicht dir trotzdem nicht!“ „Das… Das stimmt doch nicht…“, stammle ich und kann mich noch immer nicht bewegen. Jannik schnaubt und geht noch einen Schritt zurück. „Weißt du eigentlich, wie fertig ich manchmal bin, wenn du irgendetwas hast und dann nicht sagen willst, was überhaupt los ist und ich dich manchmal stundenlang betüdeln und bearbeiten muss, damit du endlich mit der Sache rausrückst?!“, schreit er nun. „Weißt du, wie oft ich eigentlich Angst habe, dass ich etwas falsch gemacht habe?!“ Ich schlucke und merke, wie kalt mir jetzt ist. Ich zittere. Jannik fährt sich mit der Hand über sein Gesicht und lässt sich auf das Sofa plumpsen. Er starrt den Boden an und atmet laut ein- und aus. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, was ich sagen kann. Ob eine Äußerung die gesamte Situation nicht einfach verschlimmern würde. „Aber das ist mir alles egal…“, sagt er nun ruhiger, mit brüchiger Stimme. „Weil ich mir immerzu gesagt habe, dass ich dich liebe und alles deswegen in Kauf genommen habe.“ Stille legt sich erneut und ich würde am liebsten die Zeit zurückdrehen und so vieles rückgängig machen. „Ich weiß, dass es sehr schlimm für dich in den letzten zwei Wochen war“, fährt er plötzlich lauter fort und ich kann genau beobachten, wie er anfängt leicht zu zittern und wie seine Finger sich in den dunklen Haaren verfangen und etwas versteifen. Er scheint eine Menge Wut zu unterdrücken. Doch das schafft er nicht. Er schreit den nächsten Satz. Nein, er brüllt. „Weißt du eigentlich wie weh mir diese ganze Scheiße tut?! Hast du eigentlich nachgedacht, wie es mir wirklich geht?!“ Mit festen Schritten gehe ich auf ihn zu, will ihn umarmen, ihn halten, ihn streicheln, doch er springt einfach auf und starrt mich völlig aufgebracht an. „Nein“, zischt er und schüttelt schon wieder den Kopf, während er an das andere Ende des Zimmers geht und seine Tasche aus dem Schrank holt. „Fass mich jetzt bitte nicht an“, fügt er leise hinzu. „Jannik, was… Wohin…?“, setze ich an, doch er bringt mich mit einem erneuten kalten Blick zum Schweigen. „Ich hätte echt nie gedacht, dass du zu so etwas fähig bist“, sagt er abschließend und dann knallt er die Tür zu. Ich kann seine lauten, überschwänglichen Schritte im Flur deutlich wahrnehmen. Dieses Mal bleibe ich nicht im Zimmer stehen. Ich reiße die Tür auf und laufe ihm hinterher, erwische ihn bei der Wohnungstür. Ich greife nach seinem Arm, rufe: „Bitte geh jetzt nicht!“ Doch er schlägt meine Hand energisch weg und sagt wieder nichts. Ich erstarre, als ich seine geröteten Augen sehe, diese feuchten Augen. Und dann fliegt die Tür mir regelrecht vor der Nase zu. „Roman?“, vernehme ich Klaras Stimme aus Richtung der Küche, doch ich will sie jetzt nicht ansehen. Ich stürme zurück ins Zimmer und schlage die Tür zu. In meinem Magen dreht sich alles. Mir ist schlecht, mir ist kalt, mir ist heiß, mir ist schwindelig und mein Herz trommelt noch immer wild in meiner Brust. Außerdem ist da dieses Ziehen in meinem Hals, das Stechen in meinen Augen. ICH BIN SO EIN IDIOT, hallt es unentwegt durch meinen Kopf. Sinnlos laufe ich im Zimmer auf- und ab. Nach fünf Minuten versuche ich Jannik auf dem Handy zu erreichen. Ich weiß nicht, was ich eigentlich sagen will aber das ist auch egal, denn er geht nicht ran. Nach dem vierten Versuch schaltet sich auch nur noch die Mailbox an. Sein Handy ist aus. Er will nicht mit mir reden. Panisch rufe ich Raphael und Hauke an, erzähle ihnen, was vorgefallen ist, ernte Seufzen und sanftes Zureden, was ich jetzt wirklich nicht gebrauchen kann. Die beiden versprechen mir mitzuteilen, sollte Jannik bei ihnen auftauchen. Ich rufe Schorsch an, dasselbe Theater. Ich rufe meine Ex-Mitbewohner an. Ich rufe eigentlich fast jeden an, der mit uns zu tun hat und frage nach Jannik. Ich kann und will nicht akzeptieren, dass es vorbei sein könnte. Nicht nach so einer langen Zeit! Das darf nicht sein! Ich schalte Musik ein, drehe die Lautstärke auf, damit mein Schluchzen darin untergeht. Julias und Klaras Aufmerksamkeit oder gar Zuwendung möchte ich jetzt nicht erfahren. Das würde alles nur schlimmer machen. Irgendwann verwandelt sich mein „Oh Nein“-Gemurmel ins reine Fluchen. Es ist bereits spät geworden und es wird dunkel und Jannik ist noch immer nicht heimgekommen. In meinem Kopf spielen sich Szenen der letzten drei Jahre ab. Schöne Szene. Traute Zweisamkeit. Kinobesuche. Lange Spaziergänge. Gemeinsames Lachen. Filmabende. Das… Das kann es doch nicht gewesen sein. Das kann doch nicht einfach so vorbei sein! Oder? Ich weiß nicht wie lange ich irgendwann einfach so auf dem Sofa hocke, meine eigenen Beine umschlungen, die kalte Wand an meinem Rücken. Die Musik ist schon lange verstummt, die Stadt in die Finsternis getaucht. Aus dem Rest der Wohnung dringen überhaupt gar keine Geräusche zu mir. Wie spät ist es? Zwei Uhr morgens. Und wo ist Jannik? Keine Ahnung. Dunkle Gefühle machen sich breit. Düstere Vorstellungen spielen sich vor meinem inneren Auge ab. Was wenn… Was wenn Jannik jetzt einfach irgendwohin loszieht und sich (vielleicht im betrunkenen Kopf) einen Mann schnappt und… Nur um mir eins auszuwischen? NEIN! Nein, das würde Jannik nie tun… Aber… Hatte er nicht dasselbe von mir gedacht? Dass ich niemals fähig wäre, einen fremden Mann zu küssen? Ich verspüre einen kalten Schauer meinen Rücken entlang wandern, als ich an Janniks zitternden Körper und seine eisige Stimme denke. Als ich an seine schmerzende Backpfeife denke… Heute hat er mich das erste Mal so richtig angebrüllt. Ich habe noch immer weiche Knie, wenn ich daran denke. Ich wünsche, ich hätte mich einfach zusammenreißen können und hätte diese vier Wochen leise gelitten. Ich wünsche, ich könnte diese dämliche Zeit zurückdrehen. Ich wünsche, all das wäre nie passiert. Ich hätte auch auf diese Stimme im Hinterkopf hören sollen, die Zweifel bezüglich der Ostsee äußerte! Und ich wünschte, ich könnte auf jemanden anderes sauer sein, als auf mich selbst. Die Erkenntnis eines eigenen, fatalen Fehlers schmerzt am meisten. Hilflosigkeit macht sich breit. 2.30 Uhr. Ich möchte weinen, doch ich habe keine Tränen mehr übrig. 2.45 Uhr. Ich meine etwas an der Tür gehört zu haben und springe auf, lausche. Doch da ist nichts. 3.00 Uhr. Müdigkeit macht sich breit, doch dieses Gefühl der Verzweiflung ist immer noch stärker. 3.20 Uhr. Erneut versuche ich Jannik zu erreichen. Abermals erwische ich nur die Mailbox. 3.40 Uhr. Ich habe Jannik mittlerweile sechs Nachrichten hinterlassen und immer wieder beteuert, wie sehr er mir fehlt und was er mir bedeutet und dass ich der größte Idiot der Welt bin. 4.12 Uhr. Das ist das letzte Mal, dass ich auf den Wecker sehe. Meine Augen fallen zu und ich schlafe in meinen Klamotten auf dem Sofa ein. Ich erwache mit einem Schrecken. Es ist 11 Uhr. Ich springe vom Sofa und schaue mich um. Janniks Bett sieht aus, als wäre er gar nicht nach Hause gekommen. Ich schlucke, kämpfe gegen dieses ungute Gefühl, welches sich in meinem Magen breit macht, an. Eilig öffne ich die Tür und renne durch die Wohnung. Niemand außer mir ist da. Als ich mein Handy klingeln höre, rutsche ich beinahe auf dem Parkett aus, als ich nach dem Gerät greife. Es ist nicht Jannik. „Wo bleibst du, in ner halben Stunde geht die Präsentation wegen der Klausur los!“, ertönt Torbens Stimme. „Scheiße, bin sofort da, haltet mir nen Platz frei, ja?“. Entgegne ich und stopfe das Mobiltelefon auch schon in meine Unitasche. So ein Mist! Die Extrapräsentation habe ich total vergessen, obwohl sie in jedem möglichen Kalender mit rot angestrichen ist. In hektischer Manier würfel ich irgendein Outfit zusammen, zum Duschen bleibt einfach keine Zeit. Und Jannik ist immer noch nicht da. Erneut wähle ich seine Nummer. Abermals hinterlasse ich eine Nachricht. Ich sage ihm, dass ich mir Sorgen um ihn mache, dass er mir einfach nur über den Ort seines Verbleibs mitteilen soll. Doch das tut er nicht. Ich bin genau 24 Minuten zu spät, der Dozent am Pult wirft mir einen vielsagenden Blick zu, eine Miene, mit der Mann töten könnte, doch er fährt mit seinem Text unbeirrt fort und ich schleppe mich, von vielen Studenten beobachtet, ganz nach hinten, wo Jens und Torben auf mich warten. Die folgenden drei Stunden sind die Hölle für mich. Ich strenge mich an, versuche zuzuhören. Eine Seite Notizen gelingt mir sogar. Doch dies ist zugleich mein Limit. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab und ich kann das alles nicht einfach vergessen oder beiseite legen. „Mann, alles klar?“, fragt Jens mich von der Seite und ich sehe ihn seit langer Zeit mal wieder besorgt. Torben starrt mich ebenfalls an. „Sorry, dass ich das jetzt sage, aber du siehst echt scheiße aus“, fügt Jens hinzu. Ich zucke mit den Schultern, starre auf meinen Block, spiele mit meinem Stift und die Worte des Dozenten dringen nicht zu mir. Diese Klausur werde ich wohl in den Sand setzen. Wie soll ich denn in meiner Verfassung lernen?! Ich erzähle ihnen, was vorgefallen ist, die Kurzversion und sie nicken nachdenklich, drücken ihr Beileid aus und dann müssen wir auch schon die Klappe halten, da der Typ im Anzug da vorn uns schräg ansieht und sich einige Male viel zu laut räuspert. Was für ein herrlicher Tag das ist. Immerzu luge ich auf das Display meines Handys, welches mir einfach nur die Uhrzeit mitteilt. „Kommst du noch mit was essen?“, fragte Torben mich, als wir uns mit dem Rest der Menschen aus dem Raum drücken. „Nein. Ich muss nach Hause“, erkläre ich sofort und schaue erneut auf mein Handy. Nichts. „Hier“, sagt Jens und drückt mir seine Notizen in die Hand. „Kopier das, dann fällst du nicht durch.“ „Danke…“, sage ich und versuche zu lächeln. Es gelingt mir nicht. Es ist kurz nach drei, als ich die Wohnungstür aufschließe. Es ist ganz ruhig. Ich luge in die verlassene Küche, schaue in das leere Wohnzimmer, horche kurz an der Zimmertür von Julia und Klara und wage mich erst dann, die Tür zu unserem Zimmer zu öffnen. Er ist da. Die Vorhänge sind zugezogen und tauchen das Zimmer in leichte Dunkelheit. Ich sehe seine Klamotten vom Vortag auf der Lehne des Schreibtischstuhles hängen. Jannik schläft. Er ist beinahe gänzlich in die Decke gehüllt, ich kann nur seine schwarzen, völlig verwuschelten Haare sehen. Er atmet gleichmäßig. Wahrscheinlich schläft er. Ich hoffe er schläft, denn selbst wenn ich gerade glücklich bin, dass er hier ist, weiß ich absolut nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Und so hocke ich mich aufs Sofa und beobachte ihn. Ich schaue ihn einfach nur an und versuche dieses Stechen in meiner Brust unter Kontrolle zu bringen. Ich kann vernehmen, wie Klara und Julia nach Hause kommen. Sie reden miteinander, schalten irgendwo das Radio ein und kochen sich vielleicht etwas. Ab und an höre ich sie den Flur entlanggehen, ins Badezimmer treten, in ihren Raum verschwinden und Jannik schläft noch immer. Ich denke an seine Worte. Er hat recht. Ich bin nicht leicht. Ich bin wahrscheinlich alles andere als leicht. Vor allem bin ich das in den letzten Tagen gewesen. Aber… Es ist nun mal auch nicht leicht das ganze auszuhalten und verleugnet zu werden! Und eine richtige Erklärung hat Jannik mir auch noch nie gegeben! Dieser Gedankenwirrwarr ist zum Verrücktwerden. Ich verstehe momentan einfach rein gar nichts. Nichts außer der Tatsache, dass ich extrem Angst habe, von Jannik verlassen zu werden. Angst, dass es durch meine hirnlose Aktion jetzt vorbei ist. Und das würde mich zerstören. Ich weiß nicht, wie viel Zeit genau vergangen ist, als ich mich plötzlich beobachtet fühle. Ich sehe auf und blicke in Janniks Augen. Er sitzt auf der Matratze. Seinen Blick kann ich nicht lesen, zu sehr nimmt das Klopfen meines Herzens meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Sekunden der Stille vergehen, wird er etwas zu mir sagen? Sollte ich die Initiative ergreifen? „Wo warst du?“, bekomme ich nur hinaus und glaube es kaum, dass ich so ein armer Vollpfosten bin, der noch nicht einmal eine Konversation mit seinem eigenen Freund auf die Reihe bekommt. Und Janniks Miene verfinstert sich. Und ich hasse es. Er steht auf, ohne mich dabei anzusehen und schnappt sich seine Sachen. Er antwortet mir nicht, verlässt das Zimmer und ich bleibe zurück. Ich kann die Badezimmertür hören. Ich kann hören, wie er kurz einige Sätze mit einer seiner Schwestern wechselt. Ich schlucke. Hat er…? Er war die gesamte Nacht weg. Wer weiß, wann er nach Hause gekommen ist? Wer weiß, mit wem er sich rumgetrieben hat?! Wer…?! Es klopft an der halb angelehnten Tür. „Roman?“, ertönt Klaras Stimme. „Kann ich kurz mit dir reden?“ Ich schlucke erneute, streiche meine Haare nach hinten, ziehe mein Shirt gerade räuspere mich und antworte ihr dann. „Ja, komm rein.“ Was soll ich auch anderes machen? Vorsichtig öffnet sie die Tür ganz und tritt herein. Ein sanftes Lächeln umspielt ihre Lippen. Sie trägt einen schwarzen Trainingsanzug von Adidas, den sie des Öfteren nach dem Praktikum trägt. Sie setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl und sieht mir in die Augen. „Hattest du Streit mit Jannik…?“, fragt sie dann mit zarter Stimme und ich nicke, beiße in meine Unterlippe, um nicht auf der Stelle los zu heulen. „War das… War das weil du uns gesagt hast, dass du… schwul bist?“ Ich sage nichts. Was soll ich denn sagen?! Die Wahrheit? Dann kann ich doch gleich meine Koffer packen! Oder nicht?! „Mein Bruder denkt wahrscheinlich, dass wir ein… Problem damit haben. Unsere Eltern können mit dem Thema nicht so gut umgehen, weißt du“, fährt sie ruhig fort. „Julia hat ihn gefragt, warum er uns das verschwiegen hat. Sie meinte, sie sei da in eine peinliche Situation mit dir geraten, die nicht passiert wäre, hätte sie die Wahrheit gewusst. Naja…“ Sie meint wahrscheinlich diese schreckliche Klubnacht. „Jedenfalls wollte ich dir sagen, dass ich gerne mit Jannik sprechen kann. Ich will nicht, dass ihr euch wegen uns streitet, ich denke wir haben euch schon genug Aufwand mit ins Haus gebracht.“ Wenn Klara nur zu fünf Prozent wüsste, wie recht sie mit dieser Aussage hat… Und dann frage ich sie. „Was ist denn das Problem deiner Eltern?“ Sie zuckt mit den Schultern und grinst. „Die sind manchmal echt konservativ, weißt du. Ich denke das ist so diese Einstellung des ganzen Dorfes. Kenn ich nicht – ist scheiße, geht nicht.“ „Aha.“ Diese Erklärung bringt mich auch nicht weiter. Ich seufze. „Ich hab ein bisschen was gekocht, willst du nicht gleich mit uns essen?“, fragt sie. In dem Augenblick merke ich, wie hungrig ich eigentlich bin. „OK. Danke“, sage ich und sie lächelt. „Julia und ich warten in der Küche.“ Und wer noch in der Küche wartet, hätte mir eigentlich klar sein müssen. Jannik sitzt schweigend am Küchentisch und löffelt die köstlich riechende Tomatensuppe. Er sieht mich nicht an, als ich mich dazu setze. Er blickt mich während des ganzen Essens nicht ein Mal an. Julia und Klara erzählen Nichtigkeiten über ihr Praktikum, tauschen irgendwelchen Smalltalk über irgendwelche Mädchen aus, die sie beide kennen. Jannik und ich schweigen. „Mann, ey!“, ruft Julia plötzlich aus und schlägt spielerisch mit ihrer Faust auf den Tisch. „Jannik, was soll denn das?“, fährt sie dann ihren Bruder an. „Mein Gott, sehen wir so aus, als hätten wir ein Problem damit, dass Roman schwul ist? Du brauchst echt nicht mehr wütend auf ihn zu sein, mein Gott!“ Jannik schaut mich noch immer nicht an, räuspert sich nur, fährt sich durch sein Haar, gähnt. „Los, vertragt euch. Sofort!“, fordert sie uns grinsend auf. Klara wirft ihr einen ermahnenden Blick zu und ich bin vollkommen ratlos. „Los!“, wiederholt sie. „Darum ging es gar nicht“, murmle ich und versuche Julia zu verstehen zu geben, sie solle von dieser Thematik ablassen. Zeitgleich steht Jannik auf, packt sein Geschirr in die Spülmaschine und geht ohne ein Wort zu sagen aus der Küche. Klara seufzt und lächelt mir aufmunternd zu, als ich sie ansehe. „Jannik war noch nie ein Mann der großen Worte“, sagt sie und ich grinse bitter. „Ich weiß“, sage ich. „Ich weiß.“ Julia schaut mich etwas verlegen an. „Sorry, ich dachte nur…“, bringt sie heraus, doch ich winke es lächelnd ab. „Schon OK“, sage ich und helfe den Mädchen abzuräumen. „Habt ihr vielleicht eine Idee, wo Jannik heute Nacht war?“, kann ich es mir dann doch nicht verkneifen. Doch natürlich zucken die beiden mit den Schultern und schütteln etwas traurig den Kopf. „Schon OK“, wiederhole ich und bleibe schließlich unentschlossen vor unserer Zimmertür stehen. Ich hasse diese Situation. Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie! Was ist, wenn er mich tatsächlich betrogen hat? Was, wenn das über das Küssen hinausgegangen ist…? Scheiße. Ganz vorsichtig öffne ich die Tür und trete in unser Zimmer. Er sitzt auf dem Sofa. Die Ellenbogen auf seinen Knien gestützt, das Gesicht in seinen Händen vergraben. Ich schlucke. „Jannik…“, sage ich schwach und gehe wie in Zeitlupe auf ihn zu. Fürchterliche Unsicherheit überkommt mich, als er mich noch immer nicht ansieht. „Ich…“, stammle ich und meine Stimme versagt. „Ja, ich weiß, dass es dir leid tut, Roman!“, kommt es schließlich gequält von ihm. „Das hilft mir jetzt aber auch nicht weiter!“ Janniks Stimme ist so neu, so fürchterlich gequält hört sie sich an, er bringt jedes Wort zittrig heraus. Ich zögere, weiß nicht, ob es ratsam wäre auf ihn zuzugehen, oder doch lieber die Distanz zu wahren. „Ich war bei Mareike“, kommt es dann plötzlich von ihm. Mareike. Eine Kommilitonin. Sie war schon einige Male hier. Ich kenne sie. „Brauchst dir also keine Sorgen zu machen“, fügt er sarkastisch hinzu und schnaubt. Ein Teil von mir atmet auf. Der andere zuckt bei dem Ton dieser Aussage zusammen. „Ich…“, sage ich, doch er schneidet mir das Wort ab. „Bitte, Roman… Nicht jetzt. Ich… Will nicht mit dir reden, OK?“ Er steht auf und greift nach seinem Laptop. „Ich gehe jetzt auf den Balkon.“ Er erwartet keine Reaktion von mir. Er ist schon weg. Und ich bin erneut allein. Und immer noch verwirrt. Und traurig. Und… Was weiß ich! Zwar bleibt er diese Nacht hier. Aber wir schlafen nicht in einem Bett. Wir teilen uns noch nicht einmal dasselbe Zimmer. Jannik schläft auf dem Sofa und ich heule mich alleine in den Schlaf. In dem Raum, das einst unser Schlafzimmer war. In dem wir so wundervolle Stunden verbracht haben. In dem wir uns gesagt haben, dass wir uns lieben… Momentan bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Jannik noch so empfindet. Und das ist das schlimmste Gefühl aller, die ich gerade in einer Achterbahnfahrt genießen darf. Scheinbar habe ich eine Dauerkarte erstanden. Julia und Klara gehen ihrem Bruder in den nächsten Tagen aus dem Weg. Er wiederum geht mir aus dem Weg. Und ich habe nicht den Mut ihn zu konfrontieren und die Angelegenheit zu klären. Weil ich Angst vor dem Schlussstrich habe. Weil ich fürchte, dass er mir ins Gesicht sagen könnte, er liebe mich nicht mehr. Ja, davor habe ich Angst. Mühsam schleppe ich mich zur Uni und versuche an meiner Hausarbeit in der Bibliothek zu arbeiten. Hier bin ich weit weg von ihm, weit weg von unserer Wohnung, die so viele Erinnerungen birgt. Trotzdem könnte ich unentwegt heulen. Raphael macht die Sache mit seinen täglichen Anrufen auch nicht besser. Am Anfang hat er sich ja nur für die übertriebene Ohrfeige entschuldigt. Doch jetzt versucht er mich zur Aussprache mit Jannik zu zwingen. Ich weiß, dass er Recht hat. Aber wann immer ich in Janniks dunkle, müde, von Schmerz geprägte Augen blicke, verlässt mich all mein Mut. Es ist Donnerstag. Mein freier Tag. Und ich gehe dennoch zur Uni. Wie immer hocke ich in der Bibliothek. Ich gehe in die Mensa. Das Essen schmeckt nicht. Und irgendwann steige ich völlig genervt in den Bus, verärgert durch die Tatsache, dass ich eigentlich nichts Sinnvolles erbracht habe und die Situation mit Jannik noch immer unglaublich scheiße ist. Momentan hasse ich es in unsere Wohnung zu gehen. Noch mehr, als am Anfang unseres fatalen Besuches. Ich werfe meine Sneaker in die Ecke und hänge meine Strickjacke auf, die mir in der unterkühlten Bibliothek wirklich das Leben gerettet hat. Ich verspüre keine Lust, in unser Zimmer zu gehen. Und so lasse ich mich aufs Sofa nieder und knipse den Fernseher an. Boulevardsendungen. Perfekt. Bloß nicht nachdenken, einfach nur beschallen lassen. Doch das klappt nicht, denn mein Herz bleibt beinahe stehen, als mein Blick das Regal streift und ich tatsächlich dieses Bild entdecke. Unser erstes, gemeinsames Bild. Das, welches wir kurz nachdem wir zusammengekommen sind in so einem billigen Fotoautomaten am Bahnhof aufgenommen haben! Ich entdecke immer mehr Bilder von uns! Ich reiße die Schubladen auf und da liegen sie. Die DVDs, die Magazine, die Bilderbände. Ich renne ins Bad. Da ist es wieder. An der Tür. Das schwarz-weiße Poster der zwei gutaussehenden, sich küssenden Männer. (Und halbnackt sind sie auch!) In der Küche hängt der Kalender mit den ebenso hübschen Jungs. Den haben uns Hauke und Raphael geschenkt. Ich stolpere beinahe, als ich die Tür zu Julia und Klaras Zimmer aufreiße, froh darüber, dass sie nicht da sind, denn das Anklopfen habe ich wirklich vergessen. Ich erstarre. Unser Arbeitszimmer ist wieder unser Arbeitszimmer. Nur noch dieses Sofa steht da in der Ecke, die sonst frei ist. Auf ihm liegen all die Sachen, die Janniks Schwestern mitgebracht haben. Mein Laptop steht an seinem Platz. Die beiden Schreibtische stehen sich wieder gegenüber. Unsere Arbeitsplätze sind wiederhergestellt worden. Ich schlucke und laufe direkt zu unserem… Schlafzimmer. Dort steht es, das Doppelbett. Auch die normalen Schränke sind wieder aufgebaut. Das wohlbekannte Blau begrüßt mich. Ich höre die Schritte im Flur nur am Rande. Als ich mich umdrehe, erblicke ich Jannik, der mich vorsichtig anlächelt. Hinter ihm stehen Raphael und Hauke. „So, wir gehen dann mal“, verkündet Raphael und nur Augenblicke später höre ich die Wohnungstür zuschlagen. „Jannik…“, bringe ich heraus, doch er bedeutet mir zu schweigen. Er kommt auf mich zu und… küsst mich. „Wir müssen reden“, sagt er dann. - - - An dieser Stelle erneut ein HERZLICHES DANKESCHÖN an alle Reviewer und Leser :) Und ich schreibe auch schon ganz schnell weiter, versprochen ^^ *Kekse fürs WE dalass* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)