Robin Hood von Kittykate (Das goldene Kreuz) ================================================================================ Kapitel 2: Sherwood Forrest --------------------------- Nach vielen Tagen des Regens, kehrte die Sonne wieder über Nottingham zurück. Lange hatten die dunklen Wolken über dem Wald und der Stadt verharrt. Die Bauern sehnten sich nach besseres Wetter, aus Angst die Ernte würde verkommen. Die Menschen und Tiere hatten die warmen Strahlen der großen gelben Kugel vermisst und ihre Bitten um besseres Wetter wurden erhört. Jeden freien Augenblick, jeden Abend und besonders jede Nacht hatte Robin Zeit an sie zu denken. Das ging schon seit sieben Jahren. Er saß mit seinen Cousins am Frühstückstisch und aß schweigend vor sich hin. Wieder mal, denn das Schweigen hielt seltsamer Weise immer nur am Tisch. Er sah sehr müde aus. Wie lange er am Vorabend noch im Bett wach lag, konnte Robin nicht mehr sagen, doch er fühlte sich sehr müde. Ihre Köchin und zwei Mägde hatten bereits sehr früh morgens angefangen das Essen zuzubereiten. Seitdem Robin mit Hilfe des Königs das Schloss seiner Eltern wieder aufbauen hat lassen hatte er Angestellte. Es waren hauptsächlich die Angestellten von früher, die wieder zurückkamen als sie von der Nachricht hörten, dass die jungen Huntingtons wieder im alten Familiensitz hausten. Die einzigen neuen auf dem Hof waren zwei jungen Mägde und ein Stalljunge. Die Mägde halfen der Köchin in der Küche und waren für Winnifred und Barbara zuständig. Auch gehörte das abstauben und sauber halten des Schlosses zu ihren Aufgaben. Der Stalljunge hingegen war für die Pferde im Stall und auf der Koppel verantwortlich. Barbara stand auf. „Entschuldigt mich bitte.“ Wieder mal erdrückte sie das Schweigen. Seit sie zurückgekehrt waren redeten sie nicht mehr miteinander. Ihre Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an als sie in die Runde sah. Früher im Wald hatten sie immer miteinander geredet. Und es war so schön und lustig. Sie hatten soviel gemeinsam gelacht, doch das ging schon lange nicht mehr. Schweigend verließ sie das Zimmer. Sie hatte die Sonne gesehen und wollte an die frische Luft. Und dieses Vorhaben setzte sie um. Die Älteren sahen ihr etwas erstaunt nach, ließen sie aber gehen. Schweigend saßen sie den ganzen Morgen schon zusammen. Will und Winnifred warfen ihrem Cousin besorgte Blicke zu, doch dieser nahm die kaum wahr. Er legte das Besteck beiseite und erklärte: „Ich werde mit Weißer Donner einen Ausritt machen.“ Mit diesen Worten stand er auf, rückte seinen Stuhl zurecht und verließ ebenfalls das Zimmer. Unsicher wand sich Winnifred an ihren Bruder. „Ich mache mir sorgen. Er scheint sie von Tag zu Tag mehr zu vermissen.“ Auch Will legte sein Besteck beiseite. „Ich weiß, was du meinst.“ Seufzend blickte er auf die soeben geschlossene Tür: „Damals hat er alle Gefühle für sie verleugnet, inzwischen sperrt er sie ein.“ „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Seine Worte klangen so hasserfüllt.“ Winnifred lief es eiskalt den Rücken runter als sie an damals dachte. An den Abschied. An Marians Abschied. *************** Alle verfolgten mit blassem Gesicht wie der Kutscher die Kutsche wendete und langsam in die Ferne und im tiefen Wald verschwand. Marian saß darin und niemand konnte ihr helfen. Winnifred und Barbara schafften es sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. Beide rannten so schnell sie konnten der Kutsche nach. „Marian, bleib hier!“ Will und Much eilten ihnen nach und hielten sie zurück. „Es ist zu spät“, bemerkte Will. Barbara und Winnifred traten Tränen in die Augen und sie klammerten sich an ihren Bruder. Little John ging auf Robin zu. „Das lässt du dir gefallen? Wenn du dich nicht beeilst siehst du sie nie wieder, ist dir das klar?“ Mit seinem rechten Daumen deutete er auf die in der Ferne verschwundene Kutsche. Er verzog sein Gesicht, beinahe als wäre er enttäuscht, dass Robin anscheinend aufgab. Missmutig verschränkte er die Arme vor der Brust. „Du bist dabei sie zu verlieren, für immer!“ Immer noch rührte sich der Junge nicht. Er hatte seinen Kopf gesenkt. Niemand konnte seine Augen sehen, die den Boden anstarrten. Es spiegelte sich Wut, Enttäuschung und auch Verletzlichkeit in ihnen. Er fühlte sich mies. Sie war weg. Er konnte nichts dagegen tun. „Ich hab ja nicht erwartet, dass du so schnell aufgibst“, reizte Little John ihn zusätzlich. Doch nun fuchtelte er wütend mit seinen Armen vor dem kleineren Jungen herum: „Ich dachte du liebst sie, wie kannst du sie so einfach gehen lassen?“ Robins geballte Faust begann zu zittern. Die Knöchel traten weiß hervor. Er versuchte den Schmerz mit seiner Hand zu zerquetschen. Alle Kraft legte er in diese Hand. Little John rechnete auch dieses Mal mit keiner Reaktion, doch plötzlich ertönten Worte. Leise, nachdrücklich und sehr hart. Sie nahmen jedem die allerletzte Hoffnung auf ein gutes Ende. „Ich liebe sie nicht, Little John! Ich habe sie nie geliebt!“ Mit diesen Worten drehte sich Robin um und rannte weg. *************** „Es waren damals so harte Worte. Ich bin froh, dass Marian sie niemals gehört hat.“ Winnifred faltete ihre Hände auf dem Schoss zusammen. Sie senkte ihren Kopf und gab sich dieser Erinnerung hin. Ihr Bruder nickte zustimmend. Er konnte Robin damals nicht verstehen. Aber nun dachte Will anders. „Es war damals sein Eigenschutz. Nur so konnte er sich vor den Gefühlen verschließen.“ „Wie grausam“, schluchzte Winnifred. Will sah sie an und legte ihr sanft seine Hand auf ihre. „Die Zeit heilt alle Wunden. Das weißt du doch.“ Traurig blickte sie in Wills Augen und nickte zustimmend. Wie recht ihr Bruder doch hatte und trotzdem… Nach all den Jahren spürte sie immer noch den Schmerz in ihrem Herzen. Robin trat in den Stall und zu Weißer Donners Box. Er bemerkte nicht die Schatten im Stall, die sich hinter dem Stroh versteckten. Seine Gedanken waren bereits wieder weit entfernt. Doch vor der Box kehrte er in die reale Welt zurück. Lächelnd begrüßte er seinen Freund. Nicht nur Robin war in den letzten Jahren zu einem stattlichen Mann herangewachsen, sondern auch sein Kindheitsfreund und Bruder der Weißer Donner war zu einem ausgewachsenen Hengst geworden. Robin öffnete die Box, holte Zaumzeug und einen Sattel hervor und bereitete sein Pferd für den bevorstehenden Ausritt vor. Wenig später verließ er den Stall mit samt Hengst. Barbara lugte hervor und atmete tief aus. „Das war knapp“, grinste sie zu ihrem Begleiter. Dieser rappelte sich nun auch auf. Er war etwa einen Kopf größer als die jüngste Huntington und ein eher schmächtiger Typ. Dennoch konnte er richtig anpacken wenn es nötig war. „Robin reitet heute aber früh aus. Weißt du was er hat?“ Er setzte sich auf einen Heuballen und streckte die Füße weit von sich. Aufmerksam suchte er Barbaras Gesicht nach Antworten ab. „Nein, ich weiß es nicht. Ich erfahre gar nichts. Mir wird alles verheimlicht. Winnifred geht es seit Jahren schlecht nur sie vertraut mir ihren Kummer nicht an. Will bereitet auch etwas Sorgen, lässt aber auch nichts verlauten. Und Robin verschließt sich vor Gefühlen. Ich weiß nicht was sie haben. Sie sagen mir nichts. Sie halten mich immer noch für ein Kind. Nur ich bin kein Kind mehr!“ Betrübt und traurig ließ sich Barbara neben den Jungen nieder. „Nein, das bist du wirklich nicht.“ Gedankenverloren kam die Antwort und im nächsten Moment schämte sich der Junge diese Gedanken laut ausgesprochen zu haben. „Meinst du das wirklich?“ Erfreut über dieses Kompliment nahm Barbara etwas Farbe auf den Wangen an. „Na…natürlich“, nickte der Junge zu und drehte verlegen seinen Kopf zur Seite. Plötzlich sprang er auf, schnappte sich eine Mistgabel und ging zu Weißer Donners Box hinüber. Wenn der Herr außer Haus war, konnte er schon mal die Box ausmisten. „Ben“, zog Barbara seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Mit noch mehr Farbe im Gesicht lächelte sie: „Du bist sehr nett! Danke!“ Und schon stob sie aus dem Stall hinaus. Ihre Gesichtsfarbe war nichts zu der des Stalljungen. Robin ritt nach Nottingham, doch kurz vor der Stadt entschied er sich um und lenkte sein Pferd zum Sherwood Forrest. Lange war er nicht mehr in diesem Wald gewesen und er fand es war an der Zeit nach dem Rechten zu sehen. Die Regentage hatten geendet und endlich schien die Sonne wieder über Sherwood Forrest. Bald schon hatte er die ersten Bäume passiert. Alte Erinnerungen wurden wach an seine Kindheit. Unfreiwillig waren sie damals in diesen Wald geflohen, nachdem Lord Alwine und seine Soldaten das Huntington Anwesen zerstört hatten. Die ersten Tage waren sehr anstrengend gewesen, doch sie hatten auch etwas Gutes an sich. Er lernte Marian kennen. Sie freundeten sich an und er half ihr oft in gefährlichen Situationen. Doch recht schnell bemerkte er, dass sie ihren eigenen Willen hatte und sehr stur sein konnte. Außerdem war sie sehr klug für ihr Alter. Der Weg führte ihn durch den Wald und viele dieser Pfade hatten sie damals zu Fuß passiert. Sein Ziel war der Wasserfall, ihr altes Versteck. Weißer Donner schien den Weg zu kennen, denn er schlug ihn fast von alleine an. Robin hingegen verfiel wieder ins Grübeln. Seit Marian auf ihr Schloss zurückgekehrt war fehlte etwas im Sherwood Forrest und besonders in ihm. Er war damals dankbar über die Möglichkeit sie wieder zu sehen. Ihm war sehr wohl die Gefahr bewusst gewesen in die er sich begab. Gilbert hatte aber Recht, denn Robin würde für Marian sterben. *************** Gilbert und Robin hatten eine Tasche mit ihren Masken dabei und begaben sich auf den langen Ritt zum Schloss Lancaster. Sie ritten damals durch den Sherwood Forrest, über hügelige Landschaften und durch kleine Dörfer. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Nacht hereinbrach erreichten sie das Schloss. Bevor sie es betraten setzten sie ihre Masken auf. Es konnte losgehen. An der Burgwache zeigten sie die Einladungskarten. Misstrauisch beäugten die Soldaten die Fremden, doch ließen sie schließlich passieren. In diesem Moment war Robin das Herz in die Hose gerutscht auch wenn er das vor Gilbert nie zugegeben hätte. Beide ritten sie durch das große Tor. Im Hof wartete bereits ein Stallbursche um die Pferde zu versorgen. Die beiden jungen Männer sprangen ab und blickten vor sich auf das große erhellte Schloss. Ritter Gilbert nickte Robin aufmunternd zu und sie begaben sich gemeinsam auf den Weg zum Festsaal. Je näher sie dem Saal kamen, desto schneller begann Robins Herz zu schlagen. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seinem Wiedersehen mit Marian. Sie betraten das Schloss und hörten die Musik spielen. Je näher sie der großen Tür zum Saal kamen, desto lauter wurde die Musik. Gilbert betrachtete noch einmal Robin und nickte ihm aufmunternd zu. Dieser atmete tief durch, ehe der Ritter den letzten entscheidenden Schritt tat und die Dienerschaft das große Doppeltor öffnete. Vor ihnen bot sich ein atemberaubender Anblick. Der ganze Saal war mit Kerzen hell erleuchtet. Auf einer Empore musizierten die Musiker. Gegenüber von Gilbert und Robin standen die Thronsessel von Lord und Lady Lancaster. Zwischen ihnen und dem Saal lagen wenige Treppenstufen nach unten. Schritt für Schritt folgte Robin seinem Freund, doch als er Lord Lancaster erblickte bekam er kalte Hände. Er betete zu Gott, dass dieser Mann ihn nicht erkannte. Kaum hatten sie den Boden berührt standen sie auf der Tanzfläche. Um nicht im Weg zu sein gesellten sie sich an den Rand, nahe der Treppe. Von diesem Standpunkt aus hatten sie alles im Blick. Erst jetzt wurde Robin wirklich bewusst wie viele Soldaten um ihn herum standen und auch im Saal verteilt waren. „Ich habe sie noch nicht gesehen“, raunte Gilbert seinem Freund zu. Robin schüttelte seinen Kopf. Er hatte sie auch noch nicht gesehen, aber ihn hatten auch die Soldaten etwas abgelenkt. Immer wieder blickten sie sich im Saal um, doch weder bei den Herrschaften in Konversation, noch bei den tanzenden Paaren konnten sie Marian entdecken. Robin beobachtete aus den Augenwinkeln das Herrscherpaar. Etwas tat sich, dass konnte er an Lord Lancasters Gesichtausdruck erkennen. Im selben Moment spürte er Gilberts Ellbogen. „Sie kommt“, zischte er ihm zu. Robin verzog das Gesicht und rieb sich unauffällig die getroffene Stelle während sein Blick die Treppe hinauf glitt und stockte. Er hielt in seiner Bewegung inne, ja, sogar sein Atem stockte für einen Moment und er hatte das Gefühl sein Herz blieb stehen. Soeben betrat sie den Saal. Ihre Haare waren in den letzten drei Jahren wieder gewachsen und so schön wie früher als er sie zum ersten Mal traf. Ihr zartrosa Kleid übertraf jedes andere in diesem Saal. Es saß an ihr wie eine zweite Haut und schmeichelte ihrer Figur. Ab der Taille fiel es weit aus. Robin schluckte. Sie war eine Frau geworden. Und was für eine. Ihre Figur war zierlich und schlank, ihr Gesicht war noch schöner als er es in Erinnerung hatte. Ihre Maske schmeichelte ihren Gesichtszügen und ihre blonde wallende Mähne trug sie offen. In ihrem Haar rundete ein Diadem das Erscheinungsbild ab. Anmutig und stolz schritt sie die Treppe hinab. Ihr Blick glitt durch den Saal als suche sie jemanden, dennoch lächelte sie so zärtlich, dass Robin sofort Herzrasen bekam. Erst suchte sie den rechten Teil des Saals ab, glitt über die Mitte bis hin zur linken Seite. Ihre Augen fixierten für einen Moment Robin und Gilbert als sie schon auf den Boden trat. Sie richtete ihren Blick nach vorne, die tanzende Gesellschaft hatte ihren Tanz unterbrochen um die Prinzessin würdig zu empfangen. Robin hielt erneut seinen Atem an. Sie stand nur eine Armlänge vor ihm. Er musste nur seinen Arm strecken um ihre Schulter zu berühren. Alle in diesem Saal verneigten sich vor der Prinzessin, selbst Robin als er von Gilbert einen erneuten unauffälligen Stoß bekommen hatte. Marian schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Sie schritt auf ihre Eltern zu um sie standesgemäß zu begrüßen. Danach setzte die Musik ein und die Paare schwebten über den Boden. Kaum dass die ersten Takte erklangen, war Marian umgeben von männlichen Anwärtern. Von einem wurde sie auf die Tanzfläche geführt. Robin sah ihr einfach nur zu. Er nahm nichts mehr von seiner Umgebung wahr. Er sah sie und war hin und weg. Unaufhaltsam pochte sein Herz laut gegen seine Brust und er hoffte inständig, dass es niemand hörte. Gilbert grinste ihn verschämt an. „Bitte sie doch um den nächsten Tanz!“ „Wie?“, erschrocken wie Gilbert nur auf so eine Idee kam, blieb Robin das Herz stehen. „Das geht nicht.“ „Natürlich geht das“, grinste Gilbert und lächelte ihn wissend an. Robin beschlich das Gefühl, dass sein Freund etwas ausheckte. Doch als Marian an ihm vorbeischwebte, hafteten seine Augen und seine ganze Aufmerksamkeit nur noch auf ihr. Nach vielen Tänzen schaffte es Marian eine kleine Pause zu erlangen. Sie trat auf den großen angrenzenden Balkon, atmete tief die frische Nachtluft ein und genoss den Augenblick der Ruhe. Ihre blauen Augen blickten traurig in die weite Landschaft, denn wieder mal musste sie an ihren alten Freund denken. Durch die Aufwartung der vielen adligen Herren begannen ihre Gedanken um ihn zu kreisen und es stimmte sie traurig. Wenn sie ihn doch nur noch einmal sehen könnte, das war ihr sehnlichster Wunsch in dieser Nacht. Wie töricht, schalt sie sich selbst und kehrte in den Saal zurück. Robin und Gilbert hatten ihr aufgelauert und sich in der Nähe des Balkons positioniert. Sobald sie zurückkam, würde Robin sie um einen Tanz bitten. Sie trat ein und ging an Robin vorbei. Er tat nichts um sie in ein Gespräch zu verwickeln oder gar mit ihr zu tanzen. Gilbert konnte es nicht fassen, hing es denn wieder mal von ihm ab. Er trat ihr in den Weg. Die Prinzessin beachtete ihn gar nicht und wollte schon an ihm vorbei gehen, als seine Stimme sie zurück hielt. „Es freut mich euch wieder zu sehen, Marian.“ Sie schrak zurück und blickte auf. Erst jetzt erkannte sie die hohe Statur, die dunklen roten Haare und seine braunen Augen, die unter der Maske zu sehen war. „Ritter Gilbert“, hauchte sie zurück. Also hatte er ihre Einladung erhalten und sich auf den weiten Weg gemacht. Sie hatte so viele Fragen und sie erhoffte sich, dass sie ungestört mit einander reden konnten. „Lasst uns ein wenig an die frische Luft gehen.“ Er bot ihr seinen Arm und führte sie an Robin vorbei hinaus. Dieser beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Was hatte Gilbert nur vor? Marian sah sich um, konnte aber nur zwei Wachen ausmachen und die standen in einiger Entfernung. Wenn sie leise sprachen sollten ihre Worte unter ihnen bleiben. „Ihr seid wunderschön“, gestand Gilbert und wurde traurig, nicht dieselben Gefühle in ihr hervorzurufen wie sie es bei ihm tat. „Vielen Dank für euer Kompliment“, antwortete Marian, konnte es aber nicht verhindern leicht rot zu werden. „Wie ist eure Reise?“ „Sehr anstrengend, aber ich habe für ein paar Tage frei. Diese Zeit verbringe ich in Nottingham.“ Marian stutzte. Wollte er ihr damit etwas sagen? Unsicher sah sie zu ihm auf. „Alte Freunde leben dort. Wenn ich nur wüsste wie es ihnen geht.“ „Soweit ich das beurteilen kann geht es ihnen gut. Nur einer von ihnen hat Sehnsucht.“ Gilbert überkam ein Grinsen. Marian errötete. Konnte er Robin meinen? Hatte er von Robin gesprochen? Ihr Herz klopfte schnell und laut gegen ihren Brustkorb. Aus Angst sie könnte ihn falsch verstanden haben, hakte sie nochmals nach. „Einer von ihnen hat Sehnsucht, sagtet ihr. Sehnt er sich nach den Wäldern?“ „Das auch“, schmunzelte Gilbert. Konnte es sein? Marian nahm sich zusammen. Sie durfte nicht euphorisch werden. „Entschuldigt mich, bitte, ich bin gleich wieder da“, bat der Ritter und verbeugte sich tief vor der Prinzessin. Er drehte sich um und ging zurück in den Saal. Marian sah ihm nach und versuchte ihr rasendes Herz wieder zur Ruhe zu bringen. Langsam drehte sie sich um und blickte wieder in die Ferne. Gilbert ging an Robin vorbei ohne ihn anzusehen. „Sie wartet“, raunte er und schritt weiter voran. Erst als der Ritter in der Menge verschwunden war, nahm Robin all seinen Mut zusammen und trat zögernd auf den Balkon hinaus. Marian hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihr Blick weilte in den Sternen. Ihr Haar schimmerte silbern im Mondlicht und sie raubte Robin den Atem. Zaghaft räusperte er sich. Freudig über Gilberts Rückkehr drehte sie sich um und strahlte übers ganze Gesicht, bis sie erkannte, dass es nicht der Ritter war. Ihr Lächeln verschwand. Ihre Augen blickten fast enttäuscht auf ihr Gegenüber. „MyLady“, Robin verbeugte sich tief vor ihr. Als er sich wieder aufrichtete sah er direkt in ihre wundervollen blauen Augen. Sie strahlten durch ihre Maske hindurch und er spürte tausende von Schmetterlingen in seinem Bauch aufflattern. „Entschuldigt, ich habe jemand anderen erwartet. Ich wollte nicht unhöflich sein“, sie lächelte ihn an und betrachtete ihn genauer. „Ich habe euch hier alleine stehen sehen und wollte euch ein wenig Gesellschaft leisten.“ Diese Stimme… Marian hielt inne, doch dann lächelte sie erneut. Ein junger Mann, etwa einen Kopf größer als sie. Er trug ein hellblaues Hemd und eine weiße Hose. Ein Adliger, vermutete sie. „Das ist sehr nett von euch“, sie ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Er trat näher an sie ran. Von der Seite blickte er auf sie herab. „Verzeiht mir meine Offenheit, aber ihr seht nicht glücklich aus.“ Marian betrachtete sein Profil. Er hatte Ähnlichkeit mit ihm. Sie drehte sich um und blickte wieder in die weiten des Schlossgartens. Sehnsüchtig verloren sich ihre Augen in der Ferne. „Das täuscht.“ Sie blickte ihn kurz von der Seite an. Auch er erwiderte ihren Blick. Langsam drehten sie sich einander zu, wobei er noch einen Schritt auf sie zu ging. Sie konnte ihm in die Augen sehen. Sie waren so blau wie der Ozean. Sie spendeten ihr Kraft und ließen sie nicht den Mut verlieren. Der entschlossene Blick, die braunen Haare, die schlanke Figur. Wie sein Vater, kam ihr plötzlich in den Sinn. „Bist du es wirklich?“, hauchte sie. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch starteten auf einmal. Ihr Herz begann zu rasen. Zittrig führte sie ihre Finger zu seiner linken Wange. Kaum dass ihre Hand seine Haut berührte folgte seine Hand und schloss ihre Finger fest ein. „Marian“, hauchte er zurück. Er blickte in ihre wundervollen blauen Augen und verlor sich in ihnen. Er hatte das Gefühl in ihnen zu ertrinken. Glücklich strahlten ihre Augen unter ihrer Maske hervor. Beide genossen diesen Moment. Lange hatten sie ihn sich herbeigesehnt, doch niemals erhofft, dass ihre Träume Wirklichkeit wurden. Seit ihrer plötzlichen Abreise waren drei Jahre ins Land gezogen. Sie gab die Hoffnung nicht auf, lebte in ihrer Gedankenwelt, doch an ein Wiedersehen glaubte sie nicht. Sie spürte ihre Hand in seiner. Die Wärme, die von seiner Hand ausging, und seine Finger hinterließen ein wohliges Kribbeln auf ihrer Haut. Sie sah ihn einfach nur an, betete dass diese Begegnung kein Traum war und wünschte sich ihn für immer ansehen zu können. Robin verfing sich in ihren Augen. Schon damals bewunderte er dieses ausdrucksstarke Blau. Er hatte immer das Gefühl verstanden zu werden, wenn er in diese Augen blickte. Sie waren sein Rettungsanker. Selbst wenn er an seinen Taten zweifelte, Marian gab ihm den Halt und die Unterstützung allein durch ihre Augen. Er spürte ihre zarten Finger an seiner Wange, das wohlige kribbeln, welches diese Berührung auf seiner Haut hinterließ und die ausbreitende Wärme in seinem Körper. Ihr Abschied hatte ihn sehr getroffen. Zu hoffen hatte er nicht gewagt, aber dank Big und diesem Maskenball konnte Robin sie wieder ansehen. Sie stand vor ihm und war noch schöner als er sie in Erinnerung hatte. Sie verloren sich in den Augen des anderen, doch plötzlich weiteten sich ihre aus Angst. Sie entriss ihm ihre Hand, legte sich diese an ihre Brust und wich zurück. „Du darfst nicht hier sein“, raunte sie. Immer wieder warf sie einen flüchtigen Blick um sich. Er setzte ihr einen Schritt nach und ergriff ihre freie linke Hand. Mit beiden Händen verdeckte er ihre komplett und spendete Marian in diesem Moment soviel Wärme, dass sie nur noch einen einzigen Wunsch verspürte. Sie wollte in seine Arme. Sie wollte in diese starken Arme. Wünschte sich, dass er seine Arme um ihren Körper legte, ihr Geborgenheit und Liebe schenkte. Traurig senkte sie ihren Blick und betrachtete den Steinboden. Es war ein Wunsch, der sich niemals erfüllen würde. „Bitte, schenkst du mir einen Tanz?“ Mit diesem Satz entriss er sie aus ihren Gedanken. Unsicher blickte sie auf. Sein Gesicht war markanter geworden. Bartstoppeln zeigten sich um sein Kinn. Die Haare trug er etwas kürzer als früher, dennoch hatte er seinen Wuschelkopf behalten. Vereinzelte Strähnen fielen ihm über die Stirn ins Gesicht und seine blauen Augen stachen unter der Maske hervor. Immer noch beunruhigt und besorgt starrten ihre Augen in die seinen. Aber dann legte sich doch ein Lächeln auf ihre Lippen. „Gerne!“ Robin führte seine Marian in den Saal und begab sich mit ihr auf die Tanzfläche. Zum Takt der Musik bewegten sie sich wie eine Einheit. Keiner von ihnen konnte den Blick abwenden. Sie schwebten in ihrer Welt und nur sie alleine zählten in diesem Moment. *************** Robin hatte den Wasserfall erreicht und blickte ihn nun hinauf. Hier war ihr ehemaliges Versteck. Er sprang vom Rücken seines Pferdes und trat ans Ufer. Damals konnten sie hier noch glücklich zusammen sein. Sie hatten vieles erlebt, viel für ihr Leben gelernt und sie waren gezwungen ihre Kindheit schnell hinter sich zu lassen und erwachsen zu werden. Einzig und allein Barbara durfte ein Kind sein. Will, Winnifred und Robin taten alles dafür um der jüngsten ihre Kindheit zu lassen. Sie zu schützen und sie nicht zu beunruhigen. Seine Augen verengten sich. Sie hatte sich verändert. Robin wusste, dass er Barbara immer noch als Kind ansah. Sie war seine kleine Cousine, fast wie eine Schwester und er wollte sie nur beschützen. Er konnte sie nicht mit seinen Problemen belasten. Es war zu ihrem Besten. „Weißer Donner, warte hier.“ Er begab sich auf den Weg hinauf. Der Eingang lag hinter dem Wasserfall und nach vielen Jahren kehrte er an den Ort seiner Kindheit zurück. *************** Plötzlich unterbrach die Musik und Robin war innerhalb weniger Augenblicke umkreist von Wachen. Entsetzt starrte Marian ihr Gefolge an. Die anderen Gäste wichen überrascht zurück. Gilbert hielt sich in der Menge versteckt, doch er überlegte tatkräftig wie er Robin helfen konnte. Robin baute sich schützend vor seiner Freundin auf. Lord Lancaster erhob sich. Langsam, aber entschlossenen Schrittes trat er auf seine Tochter und ihren Tanzpartner zu. „Robert Huntington.“ Marian riss entsetzt ihre Augen auf. Hatte doch jemand gelauscht und sie hatte es nicht mitbekommen? Ängstlich kauerte sie sich hinter Robins Rücken. Sie wusste nicht was jetzt passieren würde. Sie hatte Angst um ihren Freund. Ihm durfte nichts geschehen. Robin lächelte ergeben und nahm sich die Maske vom Gesicht. „Lord Lancaster, ich bin beeindruckt. Wie haben Sie mich erkannt?“ Der junge Huntington hatte nichts zu verbergen. „Robin, nicht, bitte!“ Marians Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ihr seid ein Freund König Richards. Dieser sagte ab und schickte eine Vertretung. Welch bessere Gelegenheit bietet sich schon für einen jungen Mann um seine alte Freundin wieder zu sehen? Ein Maskenball ist die beste Möglichkeit ungesehen ins Schloss zu kommen. So musste ich nur noch abwarten.“ Der Lord war beeindruckt von Robins Mut, trotz der hohen auferlegten Strafe, sich im Schloss einzuschleichen. „Trotz allem, du weißt was dir blüht.“ Entschlossen stellte sich Robin gegen den Lord. Er hatte keine Angst und wenn er sterben musste, dann war es für Marian. Die Soldaten zogen ihre Waffen. „Werft ihn in den Kerker. Bei Sonnenaufgang wird er hängen.“ Ritter Gilbert stand in der Menge. Mit zusammengekniffenen Augen und einem rasenden Herz war er einsatzbereit. Finster beobachtete er seinen Freund umkreist von den Soldaten des Schlosses Lancaster. Er wollte ihm helfen, aber taktischer war es abzuwarten. Die Wachen rührten sich und traten einen Schritt auf Robin zu. Sie würden den Befehl ausführen, den jungen Mann einkerkern und beim nächsten Sonnenaufgang hängen. Plötzlich gebot ihnen eine helle, liebliche Stimme Einhalt. Niemand hatte mit Marian gerechnet. Sie stellte sich neben Robin, drückte ihren Körper eng an den seinen und ergriff mit ihren Händen seine linke Hand und seinen Unterarm. Fest verschlossen sich ihre Finger mit den seinen. „Nein, Lord, bitte nicht! Lasst Gnade walten!“ Lord Lancaster betrachtete seine Tochter wütend. „Robin hat nichts Böses getan. Er wollte mich nach all den Jahren besuchen. Ihn trifft keine Schuld. Er ist mein engster Vertrauter, Lord! Tut mir das nicht an! Ich bitte euch!“ Der braunhaarige Junge betrachtete Marian bewundernd von der Seite. Sie setzte sich für ihn und sein Leben ein. Zumal spürte er ihren Körper und ihre Hand auf seinem Arm, doch das unbeschreiblichste Gefühl war der Knoten ihrer beider Hände. Genau so sollte es sich anfühlen. Es war das wovon er so lange geträumt hatte. So nah war er ihr noch nie zuvor gewesen. „Marian“, bemerkte Robin leise, doch diese beachtete ihn nicht, sondern hielt dem Blick ihres Vaters stand. „Gnade! Ich flehe euch an! Gnade!“ Sie ließ Robin los und warf sich dafür auf ihre Knie. Lord Lancaster blieb die Luft weg. Seine Tochter bettelte um das Leben dieses Verbrechers. Er konnte das nicht dulden. Er durfte das nicht dulden. „Nein!“, gab er unnachgiebig von sich, doch Lady Lancaster trat auf ihn zu und legte ihm beruhigend eine Hand auf seinen Arm. „Lass ihn am Leben. Gib ihm noch eine Chance!“ Robin starrte Marian an. Eine Prinzessin durfte niemals auf die Knie fallen und um Gnade betteln. Doch sie tat es. Für ihn. Für sein Leben. „Robert Huntington!“ Robin blickte erschrocken auf. Der Ton in dieser Stimme ließ nichts Gutes verlauten. „Dies ist meine letzte Warnung. Solltest du noch einmal in die Nähe meines Schlosses kommen wirst du hängen! Und nun geh! Verlasse diesen Hof!“ Robin rührte sich nicht. Seine Augen glitten zu Marian, die nach wie vor kniete. „Noch einmal werde ich dich nicht auffordern, Robert Huntington!“ Diese Drohung wirkte. Robin setzte sich in Bewegung. Er drehte sich um und trat an den anderen Gästen vorbei. Sein Weg führte über die Treppe hinauf und hinaus auf den Gang. Gilbert blickte Robin nach, wie er den Saal verließ. Seine Augen wichen zu Marian, die nach wie vor auf dem Boden kniete mit gesenktem Haupt. Er ballte seine rechte Hand zur Faust, kniff seine Augen zusammen und wand sich ab. Auch er verließ den Saal. Marian indessen kniete am Boden und rührte sich nicht. Ihren Kopf hielt sie gesenkt. Niemand sollte die Tränen in ihren Augen sehen. Sie hatte Robin das Leben gerettet, doch sie würde ihn niemals wieder sehen. Sie konnte nicht aufstehen und ihn ansehen, denn sie wusste, dass sie dann diese Trennung nicht mehr überlebt hätte. *************** Gilbert war ihm an diesem Abend vor sieben Jahren auf den Innenhof gefolgt. Beide stiegen auf ihre Rösser und kehrten nach Nottingham zurück. Schweigend. Im Schloss Huntington erzählten sie alles Will und Winnifred und natürlich sorgte sich seine Cousine sofort um ihn. Sie hatte Angst ihn zu verlieren. Sie konnten ohne ihn nicht leben. Er war immer für sie da gewesen. Inständig bat sie ihn auf sich aufzupassen. Ein Schmunzeln trat auf seine Lippen. Wann war Winnifred wie seine Mutter geworden? Robin hatte den Unterschlupf fast erreicht. Das kleine Gartentor konnte er schon erkennen. Es wurde langsam marode, doch funktionierte es noch, als Robin es öffnete. Nun stand er hier. Zu seiner linken befand sich ihr selbst gebautes Haus. Es kam ihm gar nicht mehr sehr groß vor wie früher. Vor ihm lag ein Holztrümmerhaufen. Erschrocken musterte er ihn genauer. Es war der ursprüngliche Aussichtsturm gewesen. Er musste vor vielen Jahren zusammengebrochen sein. Er trat näher und blickte auf die kleine Sitzgruppe aus Baumstämmen. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie sie früher gemeinsam gegessen hatten. Es waren schöne Augenblicke der anstrengenden und gefährlichen Tage gewesen. Er hob seinen Blick und hielt die Luft an. Die Aussicht war atemberaubend schön. Sherwood Forrest breitete sich vor ihm aus und es war noch lange kein Ende des Waldes in Sicht. Dies war er. Der große Wald, seine alte Heimat und sein Schlupfloch. In diesem Wald hatte er sich zu Hause gefühlt, nachdem Lord Alwine das Anwesen seiner Eltern zerstört hatte. Dieser Wald barg viele Gefahren, dennoch war es ein Wunder der Natur. Es gab soviel zu entdecken und Robin war sich sicher, dass er einige der Geheimnisse des Waldes kannte, aber noch lange nicht alle. Er beschloss einmal wieder herzukommen. Er wollte Barbara mitnehmen. Es war an der Zeit auch sie als Erwachsene anzusehen und sie dennoch an den Ort ihrer Kindheit zurückzubringen. Mit diesem Gedanken kehrte Robin um und verließ den Unterschlupf. Weißer Donner schabte bereits mit seinem Huf und prustete durch die Nüstern. Er wollte wieder zurück. Als Robin wieder näher trat, warf er nochmals einen Blick auf ihr ehemaliges Versteck hoch oben beim Wasserfall. Langsam sattelte er auf und drehte sein Pferd zur Rückkehr. Langsam ritt er durch den Sherwood Forrest zurück zum Anwesen der Huntingtons. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)