The Mirror Of The Ancients von CaroZ (Miragia-Trilogie 2) ================================================================================ Kapitel 9: Strange Discoveries ------------------------------ Vicky Rave, mit ihrem Übungsschwert in beiden Händen, begann schon beinahe zu schwitzen, während Vincents Blick geduldig auf ihr ruhte. Cloud hatte ihm gesagt, dass er sie im Auge behalten sollte, und das tat er auch, wenn auch widerwillig. Die junge Schülerin erlebte nun, wie grässlich es war, permanent von Vincents Augen beobachtet zu werden – zu wissen, dass er nur dann blinzelte, wenn sie sich keinen Millimeter rührte. Schließlich hielt sie die Hitze auf ihrem Rücken nicht mehr länger aus und floh hinter den Vorhang, wo Cloud damit beschäftigt war, weißes Band um die Klinge seines Trainerschwertes zu wickeln. Vincents wenig interessierter Blick folgte ihr noch immer. „Master Strife!“ „Was ist denn, Vicky?“ Er unterbrach seine Arbeit nicht und sah auch nicht auf. „Mit dem neuen Lehrer stimmt irgendwas nicht. Mussten Sie ihn bitten, ausgerechnet auf mich aufzupassen?! Ich habe das Gefühl, dass er mir in den Kopf gucken kann ... ich glaube sogar, er sieht uns durch diesen Vorhang durch!!“ „Sei nicht albern, Vicky. Master Valentine hat zwar gute Augen, aber durch Wände schauen kann er nicht“, log Cloud mit einem beinahe infernalischen Lächeln. Endlich hob er das Schwert – fast ebenso gigantisch und mächtig wie sein eigenes – und trat als Erster nach draußen. „Vincent, du kannst jetzt aufhören. Die Stunde ist gleich vorbei. Hey, Jungs und Mädels, räumt erst das Holz wieder weg! Vorher geht’s nicht in die Kabinen!“ Vincent seufzte. Dass Cloud sich um Jugendliche kümmerte, war bewundernswert. Er selbst konnte mit ihnen absolut nichts anfangen. Überhaupt machten die Kinder einen riesigen Bogen um ihn, als sie zu ihren Kabinen zurücktrotteten, und wichen, wenn möglich, auch seinem Blickkontakt aus. Wenig später blieb Cloud hinter Vincent stehen und beeilte sich, seine weite dunkle Jacke anzuziehen. „Okay. Ich habe mich beim Vorstand abgemeldet, wir können jetzt gehen.“ „Das Lehrermangel-Problem betrifft euch also nicht.“ „Nein, verdammt. Können wir jetzt?“ „Weswegen ziehst du dir eine Jacke an? Ich habe doch Sephiroths Substanz.“ „Deine Heizung funktioniert nicht, Vincent.“ „Richtig.“ Vincent ließ die Wand los und förderte aus einer Tasche die Transfer-Substanz zutage. „Tu mir einen Gefallen, Cloud ... bring du uns nach Nibelheim. Ich hasse das.“ „Schön, gib her.“ Hinter der nächsten Ecke stand der Junge Kaine Crawford und fuhr sich eben mit einem Handtuch über das Gesicht. Verdutzt stellte er fest, dass sein Ausbilder und dessen Bekannter fort waren, als er das Waschutensil wieder sinken ließ ... als wären sie von einer Sekunde auf die andere verschwunden, ohne auch nur ein Geräusch zu verursachen. Tifa war nicht zu Hause. Das ehemals bemalte, mittlerweile arg verblasste Porzellan-Türschild mit der Aufschrift Tifa Lockheart hatte sich links von seinem Nagel gelöst und hing senkrecht nach unten. „Sie ist arbeiten“, stellte Vincent fest und war bemüht, seine Ungeduld zu beherrschen. „Komm doch, Cloud ... wenn sie im Keller sind, dann –“ „Ich kann nicht in den Keller gehen, und das weißt du auch. Was immer ES ist, es wollte mir ... etwas antun.“ Zweifelnd starrte ihn Vincent von der Seite an. Mittlerweile stand die Mittagssonne hoch am Himmel und tauchte Nibelheim in ihr strahlend goldenes Licht, das durch keine einzige kleine Wolke getrübt wurde. Es war der sechste Januar, aber trotzdem ein wundervoller Tag. Nur Vögel sangen nicht ... kein einziger. Sie waren wohl fast alle noch im Süden zum Überwintern. „Also schön.“ Cloud wandte sich von Tifas Tür ab und schlug die andere Richtung ein, auf die Shin-Ra-Villa zu, die selbst zu einer so freundlichen Tageszeit groß und bedrohlich hinter den kleinen Häusern aufragte. „Wir sehen nach. Aber wenn ES wieder auftaucht, dann gehe ich wieder nach oben ... hoffe nur, dass ich dann noch dazu in der Lage bin.“ „Sag mir Bescheid, sobald du dich unwohl fühlst“, sagte Vincent, „oder noch besser ... nimm die Transfer-Substanz. Damit kannst du dich rechtzeitig in Sicherheit bringen.“ Er reichte Cloud die grüne Kugel mit seinen Metallklauen, die im Sonnenlicht schimmerten. „Nimm schon.“ „Danke.“ Irgendwo in Cloud machte sich das Gefühl der Sicherheit breit, ganz so als könnte ihm tatsächlich nichts geschehen. Er würde in den Keller klettern, falls wirklich Vincents ungebetene Gäste dorthin gelangt sein sollten. Vermutlich waren sie das. Der Formaldehyd-Wert war für sie nur an sämtlichen Stellen des Hauses von Bedeutung. Die Kälte, die ihnen beim Betreten der Villa entgegenschlug, war eisiger als die an der frischen Luft. Cloud war überrascht, als er sogar seinen Atem kondensieren sah. „Ich fürchte, die Heizung muss repariert werden“, murmelte Vincent vor sich hin. Den Schritten seines Freundes folgend, ließ Cloud seinen Blick durch das schwarzgraue Innere der Villa gleiten. „Ich sehe hier niemanden. Du etwa?“ „Nein. Dies lässt allerdings darauf schließen, dass meine Vermutung eventuell doch zutrifft.“ „Nicht zwangsläufig. Wäre möglich, dass die Beiden ihre Arbeit beendet haben und gegangen sind.“ „Cloud ...“ „Ja?“ „Sei mal ganz ehrlich. Glaubst du das? Ich meine, glaubst du wirklich, dass sie einfach gegangen sind und dass ihnen nichts passiert ist? Dass sie nicht angegriffen wurden oder sonst irgendwas?“ Cloud blieb mitten auf der Treppe ins erste Obergeschoss stehen und dachte kurz nach. „Nun ... nein. Eigentlich denke ich, dass sie tot sind.“ „Tot?“ „Ja. Genau das denke ich. Aber natürlich hoffe ich, dass das nicht stimmt.“ „Wie kommst du denn darauf, sie könnten tot sein?“, hakte Vincent mit wachsender Unruhe nach. Plötzlich wurden beide unterbrochen und verharrten auf der Stelle. Ein dumpfer Ton war unter ihren Füßen erklungen. Es war derselbe vibrierende Basston wie jener vom letzten Abend. „Verdammt, nicht das schon wieder.“ Cloud schluckte. Seine Zunge fühlte sich auf einmal sehr trocken an. „Komm mit.“ Vincent machte Kehrt und lief die Treppe wieder herunter. „Und ich sage dir, wir müssen doch im Keller suchen, und zwar zuallererst.“ „Aber –“, setzte Cloud an. Er wollte es nicht wagen. Was den Ton erzeugte, war ihm gleich, aber es deutete darauf hin, dass sich ES auf eine bestimmte Art sowohl selbstständig als auch bemerkbar machen konnte und wollte. Zögerlich schlich Cloud hinter Vincent her, der bereits vor der schweren Kellertür stand und diese öffnete. „Komm, Cloud. Keine Angst, du hast deine Substanz.“ „Das beruhigt mich aber nicht“, antwortete Cloud monoton. Die Tür war offen. Vincent stieg die erste Stufe hinunter, blieb dann aber stehen, drehte sich um und streckte Cloud die Hand hin. „Wir haben keine Taschenlampen. Halt dich an mir fest, wenn du nicht verloren gehen willst.“ Mit einem tiefen Seufzer packte Cloud Vincents Hand, die jeweils bis zu den Fingerknochen in einem Lederhandschuh steckte und sich im Gegensatz zu seiner eigenen warm anfühlten. Dies wirkte durchaus ein wenig beruhigend. Cloud klammerte sich fest, um ja nicht losgelassen zu werden, und Vincent beschwerte sich nicht. In Kalm schien keinesfalls die Sonne. Bereits kurz nach Clouds Aufbruch hatte es zu schneien begonnen, in dicken weißen Flocken, unter welchen die kleine Stadt nun halb verschwand. Aeris öffnete alle Fenster, um die frische Luft hereinzulassen. Das kleine Haus war wunderschön, bunt und hell und gemütlich. Auf dem Sofa räkelte sich Nox und schnurrte, und die Blumen vor dem Fenster reckten sich in Richtung der blassen Sonne – ja, tatsächlich. In Aeris’ Garten gab es auch im tiefsten Winter blühende Blumen. Einige Minuten später landete ein kleiner schneeweißer Vogel draußen auf dem Küchensims. Bei näherer Betrachtung handelte es sich um eine kleine Taube mit hellblauen Augen, und ihr Schnabel schimmerte silbern – wenn man genau hinsah. Augenscheinlich waren diese weißen, blauäugigen Täubchen nicht in den Süden geflogen, denn schon gesellte sich ein zweites dazu, und dann noch eines. Sie plusterten sich in der kalten Luft auf und gurrten ihr leises „Ruuukukuruuu“ in die Gardinen. Die ganze kleine Schar saß nun vor dem Fenster, als Aeris die Küche betrat. Sobald sie die Tiere erblickte, strahlte sie. „Wartet einen Augenblick!“ Sie schüttete einige hundert Gramm einer Saatkornmischung in eine Schale und stellte sie den Tauben auf das Fensterbrett. Diese versammelten sich einheitlich und ohne jegliche Auseinandersetzung im Kreis rund um das Gefäß und pickten laut gurrend die Körner heraus. Ein einzelner Taubenhahn jedoch trat zunächst zutraulich an Aeris heran und rieb sein Köpfchen an ihrer Hand. Der runde Kellerschacht reflektierte bunte Lichtspiele der flackernden Beleuchtung, geradezu befand sich die abstrakt anmutende Maschine mit ihren komplizierten Apparaturen an der Außenhülle. Cloud fühlte sich immer noch wohl. Er hielt Vincents Hand fest und erinnerte sich daran, dass das scheußliche Gefühl sich immer dann zurückgezogen hatte, wenn er in Kontakt mit einem der anderen gekommen war ... also würde nichts passieren, solange er sich nur an Vincents Hand klammerte. Nunmehr bekam auch Cloud die Gelegenheit, das Gerät aus der Nähe zu betrachten ... es bot einen gigantischen Anblick. Es sah aus wie ein großer, mehr oder weniger runder Hohlkörper. An der Vorderseite glänzte das weiße Metall in Form einer Träne, die sich zur Hälfte ringförmig um einen ebenfalls runden Druckknopf wölbte. Auf der linken Seite befanden sich zahlreiche unterschiedliche Hebel und rechts dann so etwas wie ... ein Griff. „Vincent“, murmelte Cloud, seine beiden klammen Hände schraubstockartig um die seines Freundes geschlossen. „Sollen wir – mal hineinsehen?“ „Du meinst in die Maschine?“ Vincent betrachtete die Vorderseite des Objekts kritisch. „Ich glaube nicht. Das sollten wir nicht wagen. Wir wissen nicht, wer sie gebaut hat und zu welchem Zweck sie vorgesehen ist.“ „Glaubst du, Hojo hat hier eine Folterkammer gebaut?“ „Nein. Hojo auf jeden Fall nicht. Ich tippe auf jemand anderen, wenn auch auf niemand Bestimmten. Komm jetzt weiter, wir sollten nach den beiden Männern suchen.“ Cloud folgte ihm ein Stück weit und zwang sich, seinen Blick von der Maschine loszureißen – als etwas anderes in sein Sichtfeld geriet. „Warte!“ „Was ist?“ Durch Clouds Gegenzug zum Stehenbleiben gezwungen, drehte sich Vincent widerwillig um. „Sie sind dort, geradezu ... dort.“ Cloud zeigte mit der freien Hand auf etwas, das in einiger Entfernung auf dem strahlend weißen Fußboden lag. Erst bei näherer und genauerer Betrachtung war zu erkennen, dass es sich um zwei Menschenkörper handelte. „Das ... ist nicht gut.“ „Gehen wir hin?“ „Natürlich, wir müssen ja nachsehen, ob sie noch am Leben sind.“ Beide traten an die leblos am Boden liegenden Gestalten heran. Die Männer lagen zum Teil sehr verrenkt, ihre Augen waren offen, und aus ihren Ohren und Nasen rannen kleine Flüsse von Blut. Jedoch war das nicht das einzig Auffällige; viel interessanter war der Anblick, denn ihre Körper boten. Cloud schluckte. Er konnte nicht aufhören, hinzusehen. „Jemand –“, er korrigierte sich, „etwas hat ihnen die ... Bäuche aufgeschlitzt ...?“ „Hm.“ Vincent schob mit seiner Klauenhand die Kleidungsreste des ersten Mannes beiseite und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht aufgeschlitzt. Sicherlich nicht. Viel mehr schien in ihren Körpern etwas den Weg nach draußen durchgefressen zu haben ... weil die Wundränder nicht glatt sind, sondern ziemlich, nun, ausgefranst. Aber Tatsache ist, dass sie tot sind. Sie sind tot und du hast es gewusst.“ Er sah Cloud in die Augen, wenn auch nicht vorwurfsvoll. Cloud war gezwungen, den Blick abzuwenden. „Das war nur so ein Gefühl, wie eine Vorahnung. Ich wusste nicht, dass es wirklich eintreten würde. Es ... macht mir Angst.“ „Das sollte es auch.“ Um eine der Leichen auf den Rücken zu drehen, ließ Vincent Clouds Hand los, deren Griff sich in der Ablenkung etwas gelockert hatte. „Vielleicht ist auf der anderen Seite dasselbe passiert ...“ Cloud wurde kalt. Er hatte den Körperkontakt verloren, was darauf schließen ließ, dass sich im nächsten Augenblick das unsichtbare Wesen mit einer schier unglaublichen Heftigkeit auf ihn stürzen würde, weil er sich so nahe an der Maschine befand wie noch nie zuvor. Rasch krümmte er sich zusammen und kroch nach rückwärts. Nox sprang behände auf die Fensterbank zu den friedlich versammelten Tauben, die dort ihre Körner pickten. Zu seiner Freude hatte Aeris die Küche verlassen, sodass er sich nun mehr auf die weiß leuchtenden Leckerbissen würde stürzen können. Folglich war er entsetzt, als die Vögel auf dem Sims nicht aufflogen, als er mitten zwischen sie sprang. Sie wichen lediglich zur Seite, starrten den verdutzten Kater mit ihren hellblauen Augen an und lösten sich dann in Luft auf – verschwanden, als seien sie niemals da gewesen. Völlig irritiert marschierte Nox von einem Ende des Fensterbords zum anderen. So sehr er auch Ausschau hielt, seine kleinen gefiederten Zwischenmahlzeiten waren nirgends mehr aufzufinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)