I want to be your friend... von Irrational_Agonist (or your lover?) ================================================================================ Kapitel 1: Der Neue ------------------- (Shou´s POV) Freitagmorgen, sechs Uhr dreißig. Ich stöhnte genervt auf, als mein Wecker mich unsanft aus dem Schlaf riss. Wie gerne hätte ich noch weitergeschlafen… Doch gerade als ich mich wieder in die weichen Kissen sinken gelassen hatte und die Augen noch einmal genüsslich geschlossen hatte, wurde meine Zimmertür ruckartig geöffnet und meine Mutter steckte ihren Kopf in mein Zimmer. “Kazamasa~, Schatz! Aufstehen!”, flötete sie, ich seufzte. “Mutter, muss das sein? Kann ich nicht heute zu Hause bleiben?”, murrte ich daraufhin unwillig. Sofort war meine Mutter neben mein Bett getreten und riss mir die Decke weg. “Kazamasa! Du stehst jetzt sofort auf!”, fauchte sie, ich gehorchte, jedoch nicht ohne sie mit einem giftigen Blick zu bedenken. Ich stürmte ins Bad und schnappte mir im Vorbeigehen meine Schuluniform und neue Unterwäsche. Nachdem ich mich geduscht hatte und meine Haare geföhnt hatte, war mein Zorn schon zum Teil verraucht, ich fühlte mich etwas besser. Schließlich hatte ich meine Morgentoilette beendet und ging in die Küche, um kurz noch einen Kaffee zu trinken, bevor ich zur Schule musste. Mein Vater saß am Küchentisch und las Zeitung, er bemerkte mich also gar nicht, als ich ihm einen guten Morgen wünschte und mir Kaffee einschenkte. Ich stand leicht verloren, mit der Kaffeetasse in der Hand, neben dem Küchentisch und starrte Löcher in die Luft, während ich die Tasse mit hastigen Schlucken leerte. “Bis heute Abend, Vater.”, verabschiedete ich mich, als ich die leere Tasse in die Spülmaschine gestellt hatte und aus der Küche ging. Meine Mutter trug meine Schultasche hinter mir her, während ich zur Haustür lief und gab mir einen feuchten Abschiedskuss auf die Wange, bevor ich mich umdrehte und das Haus verließ. “Bis heute Abend, Schatz! Viel Spaß in der Schule!”, säuselte sie, ich setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und erwiderte mit piepsiger Kinderstimme: “Klar, Mama! Den werde ich sicher haben!” Sofort ging die Haustür mit einem lauten Krach zu, meine Mundwinkel sanken langsam aber sicher in den Keller. Am liebsten hätte ich geweint, doch ich blinzelte die Tränen in meinen Augen weg und zwang mich dazu, zu lächeln. Was war mein Leben eigentlich wert? Ich war immer nur Kazamasa, der brave Junge, auf den man immer stolz sein konnte, der immer gute Noten nach Hause brachte, der bei allen Lehrern beliebt war… der aber kein Privatleben, keine Hobbies und auch keine Freunde hatte. Wie gerne hätte ich manchmal einen Freund gehabt, dem ich alles erzählen konnte, mit dem ich über blöde Lehrer lästern konnte, mit dem ich am Wochenende Spaß haben konnte und dem ich mit seinen Problemen helfen konnte. Versunken in diesen düsteren Gedanken lief ich zur Schule und war dementsprechend erschrocken, als mich auf dem Schulhof plötzlich jemand an der Schulter antippte. Ich fuhr herum und sah meinem lächelnden Klassenlehrer ins Gesicht. “Ah, Kohara-kun! Gut, dass ich dich treffe, denn ich hätte da eine Aufgabe für dich. Heute kommt ein neuer Schüler in deine Klasse und ich würde mich freuen, wenn du dich um ihn kümmerst und ihn in den Schulalltag hier einführst.”, erklärte er, ich nickte pflichtbewusst. “In Ordnung, ich kümmere mich darum.”, antwortete ich und setzte den Weg ins Klassenzimmer fort. Vor unserer Klassenzimmertür angekommen, zögerte ich einen Moment. Daraufhin zog ich die Tür auf, lächelte und warf ein fröhliches: “Guten Morgen!” in die Runde der Schüler, die in kleinen Grüppchen um einige Tische versammelt waren und angeregt miteinander sprachen. Doch wie schon so oft hob nicht ein einziger von ihnen den Kopf, also setzte ich mich leicht niedergeschlagen auf meinen Platz am Tisch genau vor dem Lehrerpult. Der Platz neben mir war seit Beginn des Schuljahres frei und es war auch sehr unwahrscheinlich, dass sich das bis Ende des Schuljahres noch ändern würde. Andererseits… vielleicht würde der Neue dort sitzen? Schließlich waren alle Schüler im Klassenzimmer versammelt, es läutete zum Unterricht. Nach wenigen Minuten ging die Tür auf, unser Lehrer kam in Begleitung eines blondhaarigen Jungen herein, der sich interessiert umsah. Das war also der Neue? Ich hatte ihn mir zwar anders vorgestellt, aber sein Aussehen störte mich nicht, nein, ganz im Gegenteil. “Guten Morgen allerseits. Ich habe heute jemand dabei, der ab jetzt in eurer Klasse sein wird. Bitte, stell dich vor.”, begann unser Lehrer, der blonde Junge trat selbstbewusst ans Lehrerpult und stützte sich mit einer Hand darauf ab. “Hallo, ich bin Sakamoto Takashi. Ihr könnt mich aber auch gerne Saga nennen, wenn ihr wollt. Ich freue mich, euch alle kennen zu lernen.”, sagte er dann laut und deutlich und verbeugte sich einmal. “Wer von euch ist Kohara Kazamasa? Ich soll ihn ab jetzt mit meiner Gesellschaft beglücken.”, fuhr Sakamoto fort, mein Gesicht wurde auf einmal heiß, ich spürte, wie meine Wangen eine mehr als gesunde Farbe annahmen. Mit einer schnellen Bewegung stand ich auf und sah dem Neuen fest in die Augen, dann hob ich die Hand. “Ich… bin Kohara Kazamasa. Freut mich, dich kennen zu lernen.”, antwortete ich dann leicht stockend. Sakamoto ging auf mich zu, umarmte mich kurz und ließ sich dann neben mich auf den leeren Stuhl fallen. Einige Sekunden stand ich noch wie vom Donner gerührt und mit hochrotem Kopf hinter meinem Tisch, doch als der Lehrer leicht mit dem Kopf nickte, setzte ich mich auch hin. So hatte ich mir den Neuen erst recht nicht vorgestellt… nein, auf keinen Fall. Alles, nur nicht so. “Schlagt bitte eure Bücher auf der Seite 68 auf. Sakamoto, lies bitte den ersten Absatz.”, kommandierte der Lehrer, ich schob schnell mein Buch zu dem Blonden herüber und zeigte mit dem Finger auf den gewünschten Absatz. Sakamoto begann zu lesen, ich beugte mich etwas vor, um in mein Buch zu sehen, das aufgeschlagen vor dem Blonden lag. Ich war so fixiert auf den Text, dass ich es gar nicht mitbekam, dass Sakamoto schon längst aufgehört hatte zu lesen. Erst eine Frage des Lehrers ließ mich schuldbewusst aus meiner Träumerei hochschrecken, ich beantwortete sie leicht verwirrt und war froh, als der Pausengong die Stunde schließlich beendete. Der Rest des Tages verlief relativ normal und so kam es, dass ich in der Mittagspause aufs Dach der Schule ging, um mein Bentou zu essen. Ich setzte mich an den Rand des Daches und blickte auf den Schulhof herunter, wo einige Schüler auf Bänken unter den im Hof gepflanzten Bäumen saßen und aßen. “Na, da ist ja unser kleiner Träumer. Ich hab dich schon gesucht!”, riss mich plötzlich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken, ich fuhr hoch. “Sakamoto?! Was machst du hier?”, fragte ich leicht verärgert, entschuldigte mich aber sofort wieder und meinte dann: “Möchtest du dich vielleicht neben mich setzen, dann können wir zusammen essen.” Der Blonde grinste: “Da brauchst du gar nicht erst fragen.” Und schon hatte er sich neben mir fallen gelassen und packte genüsslich seine Bentou -Box aus. Ich hingegen starrte mit hochrotem Kopf mein Bentou an und stocherte lustlos darin herum. Schließlich nahm ich mir ein Onigiri aus der Box, steckte es in den Mund, und begann zu kauen. Insgeheim war ich heilfroh darüber, dass ich jetzt keine Unterhaltung mit Sakamoto führen musste, denn im Moment war mir überhaupt nicht danach. “Weißt du was, Kohara? Ich nenne dich ab jetzt einfach Shou- Kazamasa klingt so blöd und altbacken.”, sinnierte der Blonde ebenfalls mit vollem Mund, ich spuckte vor Empörung fast mein Onigiri aus. “WAS?!”, schrie ich, er lachte nur. “Das heißt ja nicht, dass du blöd und altbacken bist. Was haben sich deine Eltern eigentlich gedacht, als sie dir den Namen gegeben haben?”, wollte der Blonde dann wissen, ich zuckte die Schultern. “Keine Ahnung… gar nichts vielleicht?”, murmelte ich und stopfte mir selbst mit einem weiteren Onigiri das Maul. “Hast du heute Abend schon was vor?”, fragte Sakamoto weiter, ich schüttelte den Kopf. “Na perfekt, dann machen wir heute was zusammen. Wie wär´ s mit Karaoke?” Ich verschluckte mich vor Schreck an meinem Onigiri und hustete mehrmals lautstark, sodass Sakamoto mir voller Besorgnis auf den Rücken klopfte. “Alles okay?”, fragte er dann behutsam, ich nickte. “Na ja… Danke vielmals für die Einladung, aber ich glaube nicht, dass ich sie annehmen kann. Nicht, dass es mir keinen Spaß machen würde, aber…”, begann ich, der Blonde sah mich verwundert an. “Hm? Was ist, Shou?”, wollte er dann wissen, ich senkte den Kopf. “Ich… ich glaube, meine Eltern erlauben mir das nicht.”, nuschelte ich beschämt, Sakamoto grinste. “Ach, komm´ schon. Sag denen doch einfach, du schläfst bei einem Freund, dann geht das klar.”, schlug er vor, mein Kopf sank inzwischen immer weiter auf meine Brust. Schließlich wisperte ich fast tonlos: “Weißt du, ich habe keine Freunde…” Mit einem Schlag war auch das Grinsen von Sakamotos Gesicht gewichen, er sah leicht erschrocken aus. “Oh… das ist schade.”, murmelte er sichtlich ratlos. Sofort lenkte ich ein: “Mach dir keine Sorgen um mich! Geh bitte zu den Anderen, die sind viel besser als ich! Glaub mir, da findest du viel bessere Freunde… ich meine, wer will schon mit so einem Außenseiter und Streber wie mir zu tun haben? Du doch ganz bestimmt nicht- ich meine, schau dich doch einmal an: Du bist hübsch, beliebt und wirst bestimmt ganz schnell zum Liebling der ganzen Schule! Mich braucht doch keiner…” Ich stand auf, packte meine Bentou -Box und leerte den restlichen Inhalt in den Mülleimer, dann wollte ich das Dach verlassen, doch Sakamoto kam mir zuvor und hielt mich fest. “Bist du bescheuert, oder was? Es gibt bestimmt auch jemanden, der dich braucht!”, rief er aus, ich schloss die Augen und senkte den Kopf. “Bitte, lass mich gehen. Ich möchte alleine sein.”, sagte ich dann leise und versuchte, mich aus dem Griff des Blonden zu befreien. “Okay, wie du möchtest. Ich wäre gerne dein Freund geworden, aber wenn du das nicht willst…”, meinte dieser und ließ meinen Arm los. Als die eben gehörte Botschaft zu meinem Gehirn durchsickerte, drehte ich mich auf halbem Wege um und rannte wie ein Verrückter auf Sakamoto zu, der mich unverwandt anblickte. “Entschuldige meine Dummheit! Das wollte ich wirklich nicht… ich wollte dich echt nicht verletzen! Ich… ich bin manchmal einfach dumm! Willst du vielleicht trotzdem mein Freund werden?”, fragte ich leicht außer Atem und streckte ihm meine Hand hin. Langsam erstrahlte ein wunderschönes Lächeln auf dem Gesicht des Blonden, er schlug ein. “Klar, Shou. Ich will immer noch dein Freund werden, auch wenn du vielleicht etwas schwer von Begriff bist. Karaoke heute Abend?” Ich lachte. “Nichts lieber als das. Ich krieg meine Eltern schon rum.”, versicherte ich dann zuversichtlich. Wir verbrachten den Rest der Pause auf dem Schuldach und als es zum Nachmittagsunterricht läutete, begaben wir uns wieder ins Klassenzimmer. Die Stunden bis zum erlösenden Gong, der das Ende des Schultages einläutete, vergingen viel zu lange und ich ertappte mich oft dabei, dass ich träumerisch aus dem Fenster blickte, wo mir das schönste Sommerwetter überhaupt entgegenstrahlte. Einmal sogar holte Sakamoto mich unsanft in die Realität zurück, indem er mir einen Blätterstapel über den Kopf briet und mich dazu veranlasste, wie ein erschrockenes Meerschweinchen zu quietschen, sehr zum Amüsement meiner Mitschüler. Zum Glück nahm unser Kunstlehrer mir das nicht allzu übel, er bedachte mich lediglich mit einem strafenden Blick und schüttelte einige Male den Kopf, bevor er mit dem Unterricht fortfuhr. Als schließlich um 15 Uhr zum letzten Mal an diesem Tag der Gong erklang, leerte sich das Klassenzimmer innerhalb von wenigen Sekunden, sodass nur noch Sakamoto und ich leicht verwundert nebeneinander standen und unsere Taschen packten. “Das Verschwinden können die aber sehr gut.”, stellte er fest, während er die letzten Bücher in seine Tasche schmiss und lieblos den Reißverschluss zuzog. “Aber wirklich…”, grinste ich und schulterte meine Tasche. Ich wartete, bis der Blonde ebenfalls seine Tasche über seine Schulter geworfen hatte, dann gingen wir zusammen aus dem Klassenzimmer. Wir legten den Weg bis zum Haupteingang der Schule in vollkommenem Schweigen zurück, was mir aber keineswegs unangenehm war. Erst als wir vor dem Schulgebäude standen, begann Sakamoto zu sprechen: “Weißt du was? Ich hole dich heute Abend einfach ab, wenn wir zum Karaoke gehen. Ist es okay, wenn ich so gegen 19 Uhr komme?” Ich nickte. “Geht klar. Ich versuche, meine Eltern irgendwie rumzukriegen…”, erwiderte ich und winkte dem Blonden kurz, bevor wir getrennte Wege gingen. Kapitel 2: Karaoke ------------------ “Du willst was?!”, schrie meine Mutter hysterisch, als ich ihr von meinen Plänen für den Abend erzählte. “Das kommt nicht in Frage! Du musst deine Hausaufgaben doch noch machen!”, fügte sie hinzu und raufte sich theatralisch die Haare. “Dazu habe ich noch das ganze Wochenende Zeit.”, erwiderte ich und fuhr fort: “Außerdem beteuerst du immer, wie sehr du dich freuen würdest, wenn ich endlich einmal etwas mit Freunden unternehme- zählt ein Abend in der Karaokebar nicht dazu?” Meine Mutter lief ein paar Mal in der Küche auf und ab und schien nachzudenken, bis sie sich dann schließlich neben mich stellte, mir liebevoll eine Hand auf die Schulter legte und flötete: “Doch, da hast du Recht. Ich wünsche dir viel Spaß heute Abend, aber benimm dich!” Ich seufzte gelangweilt, schenkte meiner Mutter mein schönstes Lächeln und umarmte sie kurz. “Dankeschön, Mutter. Das ist echt lieb von dir.”, bedankte ich mich, hob meine Schultasche vom Boden auf und verschwand in meinem Zimmer. Zuerst flog meine Schultasche fröhlich in die Ecke, wo sie mit einem lustigen Klatschen den Boden küsste, gleich darauf folgte meine Uniformjacke, während ich mich mit einem wohligen Seufzen nach hinten auf mein Bett fallen ließ. Ich starrte eine zeitlang Löcher in meine weiße Zimmerdecke, bis mir das zu langweilig wurde und ich meinen Blick auf meinen Schreibtisch richtete. Sofort sprang mir meine riesige, neongrüne Funkuhr ins Auge und ließ mich wie elektrisiert hochschnellen, als ich realisierte, dass es schon 18:15 Uhr war. In einer Dreiviertelstunde würde Sakamoto kommen und ich hatte mich noch nicht einmal umgezogen! Ich war mit einem Satz vor meinem Kleiderschrank, riss diesen auf und begann, hektisch darin herumzuwühlen. Was zur Hölle sollte ich bloß anziehen? Was zog man überhaupt an, wenn man mit Freunden etwas machte? Normal oder eher… normal? Leicht enttäuscht musste ich feststellen, dass mein Kleiderschrank außer langweiligen T-Shirts in mehreren verschiedenen Farben und ebenso uninteressanten Hosen nicht viel zu bieten hatte. Schließlich entschied ich mich für ein dunkelblaues Poloshirt und eine einfache Jeans, doch richtig zufrieden war ich nicht. Ich ging zu meiner Schultasche und kramte meinen Geldbeutel daraus hervor, den ich in meine Hosentasche steckte, danach warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel. Irgendetwas gefiel mir nicht… aber ich konnte beim besten Willen nicht sagen, was es war. Waren es meine Haare? Nein, die waren ordentlich gekämmt und lagen so wie immer. Mein Polohemd? Nein, das war auch sauber und der Kragen war ebenfalls richtig aufgestellt. Meine Hose? Eigentlich auch nicht, denn sie passte mir immer noch sehr gut… Konnte es vielleicht an meiner schwarzen Jacke liegen, dass ich mir nicht gefiel? Auf keinen Fall- das war doch meine erklärte Lieblingsjacke! Bevor ich weiter grübeln konnte hörte ich, wie es an der Tür klingelte und meine Mutter durch den Flur raste, um aufzuschließen. Ein paar Sekunden später erklangen Stimmen im Flur, eine konnte ich deutlich als Sakamotos Stimme erkennen, die andere war die Stimme meiner Mutter, die jetzt deutlich anschwoll und ein: “Kazamasa, dein Freund ist da!!!” die Treppe hoch schmetterte. “Komme ja!”, rief ich zurück, warf einen letzten Blick in mein Zimmer und stürmte dann die Treppe herunter. Sakamoto stand entspannt in der Diele und begrüßte mich mit einer freundschaftlichen Umarmung, die ich leicht befangen erwiderte. “Na dann wünsche ich euch einen schönen Abend! Kommt mir aber nicht zu spät nach Hause, ja?”, meinte meine Mutter an der Tür, wir nickten synchron. “Keine Sorge, Kohara-san. Das wird schon nicht passieren.”, beruhigte Sakamoto sie, bevor wir uns endgültig umdrehten und zum S-Bahnhof liefen, um in die Stadt zu fahren. Als wir uns einige Schritte von unserem Haus entfernt hatten, blieb der Blonde stehen und zog seinen langen Mantel aus, mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Er trug ein halbdurchsichtiges Oberteil und skandalös kurze Shorts sowie Beinstulpen, die seine Unterschenkel bedeckten. “Sa- Sakamoto?!”, stammelte ich mit hochrotem Kopf, der Angesprochene sah mich leicht verständnislos an. “Hm, was ist?”, wollte er dann wissen, ich hingegen schüttelte nur den Kopf und murmelte: “Ach, nichts…” Wir setzten unseren Weg zum S-Bahnhof fort und standen bald schon auf dem Gleis, wo mich die nächste Überraschung erwarten sollte. Zuerst standen wir nur stumm nebeneinander, bis Sakamoto plötzlich anfing, unruhig von einem Bein aufs andere zu springen und seine Arme an den Körper presste. “Was hast du?”, fragte ich verwirrt, der Blonde hielt kurz in seiner Tätigkeit inne und antwortete mir mit klappernden Zähnen: “Mir ist kalt… kann ich dich kuscheln?” Ich schätze, ich habe noch nie in meinem Leben so dämlich ausgesehen wie in diesem Moment, denn ich bekam im wahrsten Sinne des Wortes Stielaugen. “Äh…”, gab ich dann wenig intelligent von mir, was von dem Blonden wahrscheinlich als Zustimmung gewertet worden war, denn im nächsten Moment hatte er seine Arme um mich geschlungen und drohte mich zu erdrücken. “Mmh… schon besser.”, schnurrte er dann und vergrub seinen Kopf in meiner Halsbeuge, ich versuchte, die aufdringlichen Blicke der Umstehenden galant zu ignorieren. “Dauert nur noch zehn Minuten, bis die S-Bahn kommt.”, informierte ich den Kleineren, der sich daraufhin nur noch enger an mich schmiegte. “Wenn du mich nicht bald streichelst, bin ich bis dahin bestimmt erfroren…”, beschwerte er sich, ich rollte die Augen. “Ach, wirklich? Weißt du, im Grunde macht mir das gar nicht so viel aus.”, erwiderte ich sarkastisch, Sakamoto kicherte. Nach einer Weile schließlich tat er mir sogar Leid, also begann ich, vorsichtig, seine nackten, mit einer Gänsehaut überzogenen Arme entlang zu streichen. “Das tut gut… mach weiter so.”, murmelte Sakamoto leise, ich hielt in der Bewegung inne und wurde rot. Zum Glück kam in diesem Moment die S-Bahn, was den Blonden dazu veranlasste, mich loszulassen, um mich gleich darauf wieder am Arm zu packen und mich wie einen Sack Kartoffeln hinter sich her zu zerren. Wir ließen uns nebeneinander auf eine Bank mit Sitzen fallen und verbrachten die kurze Fahrt in absolutem Schweigen. Erst als wir an einem S-Bahnhof in der Innenstadt ausstiegen und zur nahe gelegenen Karaokebar liefen, begann Sakamoto ein Gespräch. “Bist du müde?”, wollte er von mir wissen, ich schüttelte abwesend den Kopf. “Nein, nicht wirklich. Wieso?”, erwiderte ich. “Na ja, du scheinst so, als hättest du nicht wirklich Lust darauf, jetzt zum Karaoke zu gehen.”, erläuterte der Kleinere, ich seufzte und strich mir durch die Haare. “Nein, das schon… ich denke nur nach.”, versuchte ich mich aus dem Schneider zu reden, doch der Blonde ließ nicht locker. “Was hast du dann, wenn du nicht müde bist?”, hakte er nach. “Ich sagte doch, ich denke nach.”, wiederholte ich halbherzig, Sakamoto sah enttäuscht aus. “Was? Mein Shou-chan will nicht mit mir reden?”, schmollte er dann, ich musste unwillkürlich lachen. “Du bist blöd. Ich gehöre dir doch nicht. ”, grinste ich, der Blonde zog eine beleidigte Grimasse, die sich schnell in ein verführerisches Grinsen umwandelte. “Noch nicht, Baby… noch nicht.”, säuselte er dann, ich lachte hell auf. Schließlich waren wir an der Karaokebar angelangt, eine Angestellte wies uns unsere Kabine zu, wir bestellten unsere Getränke und machten die Tür der Kabine hinter uns zu. Zugegeben, ich fühlte mich schon etwas komisch, alleine mit Sakamoto in einem Raum und das hinter geschlossener Tür. Ich zog meine Jacke aus und warf sie auf das Sofa, dann schnappte ich mir die Liste mit den Liedern. Nach einer Weile ging die Tür auf, eine Bedienung brachte unsere Getränke, wir bedankten uns höflich. Nachdem die junge Frau den Raum verlassen hatte und wir wieder alleine waren herrschte abermals unangenehme Stille. “Möchtest du anfangen, Shou?”, fragte Sakamoto plötzlich in die Stille, ich nickte: “Ja, gerne. Ich habe auch schon ein Lied.” Ich hatte mir “Weekend” von X Japan ausgesucht, denn es war ein Lied, was ich schon recht gut konnte und öfters sang. Ich wollte mich ja nicht gleich beim ersten Lied vor Sakamoto blamieren… Anfangs war meine Stimme noch recht leise und unsicher angesichts der Tatsache, dass ich nicht alleine hier war, doch kaum hatte ich mich richtig aufs Singen konzentriert, ging ich richtig in der Musik auf. Kaum hatte das Lied geendet, drehte ich mich mit vor Freude strahlendem Gesicht zu Sakamoto um, der reichlich erstaunt schien. “Na, was sagst du?”, fragte ich erwartungsvoll. Der Blonde musterte mich einen Moment lang abwägend, dann lächelte er und meinte: “Hast du dir eigentlich schon einmal überlegt, Sänger zu werden?” Ich starrte ihn erschrocken an. “W- wieso denn das? D- das ist doch unsinnig?!”, stammelte ich. “Wieso unsinnig? Es macht dir doch Spaß, oder?”, erwiderte Sakamoto ernst. “Natürlich macht es mir Spaß, aber meine Eltern haben etwas anderes für mich vorgesehen.”, entgegnete ich und nahm einen Schluck von meiner Cola. Sakamoto schüttelte verständnislos den Kopf, bevor er selbst ein Lied aussuchte und begann zu singen. Jedoch war ich viel zu aufgewühlt, um ihm richtig zuzuhören und so kam es, dass ich es nicht einmal bemerkte, wie er sein Lied beendete. Also erschrak ich erst einmal gehörig, als ich das Gesicht des Blonden wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt ausmachte. “Was soll das?!”, fuhr ich ihn ungewollt verärgert klingend an, er hingegen grinste nur vielsagend. “Wir können ja ein Lied zusammen singen, was hältst du davon?”, schlug der Kleinere vor, ich nickte leicht und stimmte zu: “Klingt gut.” Schon bald standen wir vor dem kleinen Bildschirm, Sakamoto hatte die Arme um mich gelegt und wiegte sich im Takt der Musik hin und her. Mit hochrotem Kopf versuchte ich mich auf die Musik zu konzentrieren und keinen einzigen falschen Ton in meinen Gesang einzubauen, was mir auch recht gut gelang. Nachdem das Lied vorbei war, flüchtete ich mich erleichtert auf das Sofa in der Mitte des Raumes, Sakamoto sah mir mit sichtlicher Belustigung zu. Er setzte sogar noch einen drauf, indem er versaut grinste und säuselte: “Weißt du, jetzt hätte ich richtig Lust darauf, mit dir rumzumachen…” Ich hatte gerade einen großen Schluck aus meinem Cola- Glas genommen und verschluckte mich jetzt vor Schreck daran. Nachdem ich einige Minuten lang gehustet hatte, keuchte ich empört: “Perversling! Wag´ es bloß nicht…!” Am Ende des Abends war ich mir sicher, dass ich noch nie in meinem Leben so viel Spaß gehabt hatte wie heute. Als Sakamoto und ich schließlich draußen vor der Karaokebar standen, überkam mich sogar eine gewisse Melancholie. Am liebsten hätte ich geweint in Anbetracht der Tatsache, dass ich den Blonden bis Montag wahrscheinlich nicht wiedersehen würde. Ich war ihm unheimlich dankbar, dass er mich so lange genervt hatte, bis ich schließlich zugesagt hatte, mit ihm zum Karaoke zu gehen, denn ich war mir sicher, ich hätte einiges verpasst, wäre ich nicht mitgekommen. Wehmütig umarmte ich den Kleineren und verabschiedete mich von ihm, er grinste nur und meinte: “Komm gut nach Hause, Shou. Ich freu mich schon auf Montag.” Ich lächelte ebenfalls und rief: “Komm auch gut nach Hause, Saga! Danke nochmal!”, dann drehte ich mich zum Gehen um. Als ich in der S-Bahn saß, fiel mir zum ersten Mal auf, wie spät es war. Schon 24:30 Uhr! Oh mein Gott… Mutter würde sich bestimmt aufregen! Ich hatte beim Karaoke vollkommen die Zeit vergessen… Die paar hundert Meter vom S-Bahnhof bis zu unserem Haus legte ich im Dauerlauf zurück und stellte entsetzt fest, dass in der Küche noch Licht brannte. Ich klingelte an der Haustür, die sofort von meiner besorgten Mutter aufgerissen wurde. “Wo warst du so lange? Wir haben uns Sorgen gemacht!”, keifte sie und zerrte mich in den Flur. “Ich habe unheimlich viel Spaß beim Karaoke -Singen gehabt und habe dadurch vollkommen die Zeit vergessen .”, erklärte ich schuldbewusst. “Kind, wir wären fast gestorben vor Angst um dich! Ich hätte bald eine Vermisstenanzeige aufgegeben, wenn du nicht gekommen wärst! Mach das nie wieder, ja?!”, fuhr meine Mutter empört fort, ich nickte betreten. “Das kommt nicht mehr vor, versprochen.”, seufzte ich, wünschte ihr eine gute Nacht und verschwand in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett warf und kurz darauf vor Erschöpfung einschlief. Kapitel 3: Probleme und neue Bekanntschaften -------------------------------------------- Am nächsten Montagmorgen fiel mir das Aufstehen unheimlich schwer, denn ich hatte bis spät in die Nacht noch Mathematik und Chemie pauken müssen. Meine Eltern hatten mich dazu verdonnert, sozusagen als Strafe dafür, dass ich ihnen am Freitagabend fast einen Herzinfarkt beschert hätte. Missmutig schälte ich mich aus meinen weichen Kissen und schlurfte ins Bad. Auf dem Weg dorthin überlegte ich mir, ob ich Sakamoto erzählen sollte, was mich am Abend zu Hause erwartet hatte, doch ich entschied mich einstimmig dagegen. Was gingen ihn denn bitte meine lächerlichen Probleme mit meinen Eltern an? Ich wollte ihn nicht unbedingt auch noch damit belästigen… Ich hatte mich gerade geduscht und fertig angezogen, da hörte ich die Türklingel und sprang vor Schreck einmal zur Seite, was zur Folge hatte, dass ich mir am Badezimmerschrank den Kopf anschlug und fluchend aus dem Bad hinkte. Als ich schließlich die Tür öffnete und Sakamoto mich mit einem Grinsen empfing, blieb mir fast das Herz vor Schreck stehen. “Na, guten Morgen! Wie geht´ s uns heute so?”, fragte er. “Was machst du denn hier?!”, empfing ich den Blonden wenig freundlich und versuchte verzweifelt, mein offenes Hemd ordentlich zuzuknöpfen. “Ach, ich dachte, ich hole dich einfach mal ab, dann können wir zusammen zur Schule laufen.”, erläuterte er seelenruhig, während ich weiter an meinen Hemdknöpfen herumnestelte und meine zitternden Finger mich dabei vollkommen im Stich ließen. Bevor ich etwas erwidern konnte, war Sakamoto vor mich getreten und hatte angefangen, mein Hemd zuzuknöpfen. “Alleine kriegst du das ja nicht hin.”, murmelte er belustigt, ich kochte innerlich vor Wut. Als mir bewusst wurde, was der Kleinere da gerade tat, fühlte ich, wie mein Gesicht plötzlich heiß wurde. “Shou-chan, warum bist du so rot? Geht es dir nicht gut?” Sakamoto klang so unschuldig, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun und dafür hätte ich ihn jetzt am liebsten verschlagen. “Geht schon, mir ist nur etwas heiß…”, log ich dann und bereute es gleich wieder. “Oh, tatsächlich? Ich finde es eigentlich relativ kalt hier.”, meinte Sakamoto und klang ehrlich erstaunt dabei. Er hatte mein Hemd gerade fertig zugeknöpft, da kam meine Mutter an die Tür und brachte mir meine Schultasche. “Kazamasa, Schatz, du hast mir gar nicht gesagt, dass dein Freund dich abholen möchte.”, meinte sie vorwurfsvoll, ich seufzte. “Das war ja auch eine Überraschung.”, half Sakamoto mir aus dem Schneider, meine Mutter kicherte gekünstelt. “Ach, das ist so lieb von dir, dass du dich etwas um meinen Sohn kümmerst.”, säuselte sie. “Kein Problem, ich mag ihn. Sollten Sie vielleicht auch versuchen.”, erwiderte der Blonde dann ungerührt, meiner Mutter entgleisten für einen Moment alle Gesichtszüge. Sie hatte sich viel zu schnell wieder gefangen, als dass ich mich weiter an ihrem entsetzten Gesicht amüsieren konnte. “Also dann wünsche ich euch beiden einen wunderschönen Tag!”, verabschiedete sie sich von uns und knallte die Tür etwas lauter als beabsichtigt vor meiner Nase zu. Ich schulterte meine Schultasche und machte mich mit Sakamoto im Schlepptau auf den Weg zur Schule. Begeistert lachend scherzte ich: “Gott, das hat gesessen! Ich könnte dich echt knutschen dafür.” Der Blonde grinste dreckig und streckte mir sein Gesicht entgegen, mit den Worten: “Hier. Du darfst.” Ich schreckte zurück und brüllte dann: “So wörtlich habe ich das ganz bestimmt nicht gemeint!!!” Sakamoto kicherte hinterhältig, dann meinte er: “Falls du das jemals wörtlich meinst, meld dich bei mir. Ich hätte nichts dagegen.” Ich drehte mich angeekelt von dem Blonden weg und lief wütend einige Schritte voraus, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Er hatte inzwischen wieder zu mir aufgeschlossen und einen Arm um meine Schultern gelegt. “Warum bist du so sauer? Sonst bist du doch nicht einmal halb so aufbrausend… War noch irgendetwas am Freitagabend?”, plapperte der Kleinere munter drauflos, meine Stimmung sank langsam aber sicher in den Keller. “Ach, ich bin heute einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden.”, log ich und hoffte, Sakamoto würde nicht weiter nachfragen. “Das glaube ich dir nicht.” Okay, Fehlanzeige. “Na ja, du hast Recht. Meine Mutter hat sich am Freitagabend wahnsinnig aufgeregt, weil ich so spät nach Hause kam. Mein Vater hat mir dann den Samstag versaut, indem er mir zum Frühstück erst einmal eine gehörige Strafpredigt gehalten hat und am Sonntag musste ich den ganzen Tag lang lernen… als Strafe, sozusagen.” Ich war nicht wenig erstaunt über mich selber, mit welcher Leichtigkeit ich dem Blonden gerade meinen ganzen Kummer auftischte, denn normalerweise redete ich ja kaum mit jemandem darüber, wenn ich Probleme hatte. “Oh, das tut mir Leid. Das nächste Mal achte ich mehr darauf, wann du zu Hause sein sollst.”, entschuldigte Sakamoto sich, ich lächelte ihn wehmütig an. “Tut mir Leid, aber ich glaube, wir können nicht mehr zusammen weggehen. Meine Eltern hassen dich nach der Aktion am Freitag wie die Pest… das werden sie mir kein zweites Mal erlauben.”, erklärte ich und unterdrückte mit aller Macht die Tränen, die mir dabei in die Augen stiegen. “Oh… das… Das wollte ich nicht. Ich… ich werde mich persönlich bei ihnen entschuldigen.”, stotterte der Blonde, zum ersten Mal schien er tatsächlich fassungslos. “Tut mir Leid, ich habe eben bescheuerte Eltern.”, murmelte ich und senkte den Kopf. “Aber echt! Deine Eltern sind das Allerletzte! Wie kann man nur so… wie kann man nur so idiotisch sein?!”, brauste Sakamoto auf, ich sprang erschrocken einen Schritt zur Seite. “Sie tun dir doch nur weh damit, diese Arschlöcher!”, fuhr der Kleinere erbost fort, ich hielt ihn am Arm fest. “Beruhige dich… bitte, beruhige dich doch. Das ist doch nur halb so schlimm…”, flüsterte ich unablässig und strich ihm beruhigend über den Arm. Als wir an der Schule ankamen, hatte Sakamoto sich wieder beruhigt, ich hingegen war nur noch ein zitterndes Häufchen Elend. Ich hielt den Kopf während des Laufens gesenkt, sodass niemand meine Tränen sah, die mir in diesen Minuten unaufhörlich die Wangen hinunter rannen. Im Klassenzimmer ließ ich mich wortlos auf meinen Stuhl neben Sakamoto fallen und begann, hastig meine Schultasche auszupacken. Als der Lehrer kam, war ich geistig völlig abwesend und reagierte erst, als er mich fragte, ob ich nach Hause gehen wollte. Ich fuhr wie elektrisiert hoch und stammelte: “N- nein… es ist alles in Ordnung. Es wird bestimmt gleich besser.” Doch ich hatte mich geirrt: Ich konnte mich während der ganzen Stunde nicht eine Minute lang konzentrieren und das ärgerte mich ungemein. In der Mittagspause zog ich mich auf die Toilette zurück und schloss mich in einer der Kabinen ein. Wie sollte das Ganze weitergehen? Was sollte ich tun? Unzählige Fragen schwirrten mir durch den Kopf, doch ich konnte auf keine einzige von ihnen eine passende Antwort finden. Plötzlich ertönten Stimmen im Waschraum, ich rutschte auf dem Toilettendeckel zurück und zog die Beine an. “Was ist eigentlich mit Kohara los? Der ist heute total komisch.”, hörte ich eine Stimme sagen, augenblicklich wurde ich neugierig und beugte mich vor, um die Unterhaltung besser mitzubekommen. “Keine Ahnung, aber du hast Recht. Er ist wirklich seltsam… so abwesend ist er sonst nie.”, antwortete eine andere Stimme, dann vernahm ich, wie die Tür zur Jungentoilette schwungvoll geöffnet wurde. “Ah, gut, dass ich euch treffe. Habt ihr Kohara-kun irgendwo gesehen?” Das war Sakamoto gewesen, da war ich mir absolut sicher. Ich rutschte vor Schreck gleich ein ganzes Stück zurück und hielt den Atem an, als Schritte näher kamen und genau vor der Toilettenkabine Halt machten, in der ich mich befand. “Ist da jemand? Shou, bist du da drin?”, fragte Sakamoto, ich antwortete nicht. “Shou-chan, ich weiß, dass du da drin bist. Antworte mir.”, wiederholte der Blonde, ich seufzte ertappt. “Woher weißt du, dass ich hier bin?”, fragte ich dann leise und hörte ein leises Lachen. “Die beiden Jungs aus unserer Klasse haben vermutet, dass du hier bist. Kommst du mit hoch aufs Dach? Ich möchte mit dir und noch ein paar anderen Leuten essen …”, fuhr Sakamoto fort, ich schüttelte den Kopf. “Nein, keine Lust.”, entgegnete ich. “Ach, komm schon. Muss ich dich zwingen?”, drohte der Blonde lachend, ich schmollte. “Nein, ich will wirklich nicht.”, sagte ich dann fest. “Okay, du wolltest es ja nicht anders.”, murmelte Sakamoto und im nächsten Moment war er schon über die Trennwand zwischen den Kabinen geklettert und steckte den Kopf in meine Kabine. “Also, was ist?”, meinte der Kleinere erwartungsvoll, ich seufzte resigniert: “Eine andere Antwort als: “Ich bin dabei.” akzeptierst du ja sowieso nicht.” Langsam schloss ich meine Toilettenkabine auf und folgte dem Blonden ins Klassenzimmer, um dort mein Bentou zu holen, danach begaben wir uns aufs Dach, auf dem schon andere Schüler in kleinen Grüppchen versammelt saßen und ihr Mittagessen einnahmen. Sakamoto strebte auf eine Gruppe von drei Jungen zu, die ihm schon von weitem zuwinkten. Er ließ sich sofort neben ihnen auf den Boden fallen, während ich noch unschlüssig etwas abseits der Gruppe stand. “Komm, jetzt steh hier nicht so herum. Setz dich.”, forderte mich einer der Jungen auf, ich setzte mich vorsichtshalber einmal neben Sakamoto, um nicht ganz alleine zwischen Unbekannten zu sein. Dieser packte die Gelegenheit gleich beim Schopf und verpasste mir einen kräftigen Stoß in den Rücken, mit den Worten: “Stell dich vor.” Ich räusperte mich einmal nervös, bevor ich leise und stockend zu sprechen anfing: “Ich bin Kohara Kazamasa… naja, eigentlich eher Shou. Ich… ähm… ich bin in Sakamotos Klasse. Freut mich, euch kennen zu lernen.” Daraufhin stellten sich die Jungen alle nacheinander vor, sie wirkten allesamt viel selbstsicherer als ich. Der, der mich eben aufgefordert hatte, sich zu setzen, war ein großer, sportlicher Junge mit schwarzem Haar- er sagte, er hieße Tora. Neben ihm saßen zwei kleinere Jungen, einer mit einem Pony, der auf einer Seite blond gefärbt war und ein anderer, der ziemliche Hasenzähne hatte und dauernd zu schmollen schien. Der mit dem zweifarbigen Pony stellte sich mir als Nao vor, der andere als Hiroto. Während ich mein Bentou auspackte, sprach mich plötzlich Nao von der Seite an: “Was hast du eigentlich für Hobbies, wenn ich fragen darf?” Ich schrak erst einmal in die Höhe, dann schüttelte ich über meine unglaubliche Schreckhaftigkeit den Kopf und antwortete: “Ich bin im Fußballclub der Schule, dann noch im Zeichenkurs… naja, das war´ s eigentlich. Außerhalb der Schule habe ich keine Hobbies.” Nao grinste und pustete sich einige Haarsträhnen aus der Stirn: “Na dann werden wir uns ja öfters sehen- ich bin übrigens auch im Fußball. Wird bestimmt lustig.” Während ich aß, hörte ich der ungezwungenen Unterhaltung der anderen Jungen zu und kam mir leicht verloren und langweilig vor, da ich mich kaum daran beteiligte. Sakamoto hatte das wohl bemerkt und wollte wissen: “Na, wie gefallen dir meine Kumpel?” Alle rückten ein Stück auf mich zu und machten gespielt mordlustige Gesichter, Tora knurrte: “Sag jetzt nichts Falsches…” Ich lachte zum ersten Mal an diesem Tag hell auf und meinte dann: “Eigentlich sind sie alle sehr nett.” Der Kleine mit dem Hasengebiss- Entschuldigung, ich meinte Hiroto- zog eine beleidigte Schnute und maulte: “Wieso nur eigentlich?” Ich musterte ihn belustigt und lenkte ein: “Okay, dann eben ohne “eigentlich”. Ihr seid alle sehr nett.” Im nächsten Moment klopfte mir Tora so auf den Rücken, dass ich fast zwanzig Zentimeter in den Boden schrumpfte. “Gut so.”, sagte er grinsend. Den Rest der Pause verbrachte ich mit Sagas Freunden auf dem Dach der Schule und ich war wirklich enttäuscht, als es wieder zum Unterricht läutete. Kapitel 4: Von Beziehungen ohne Zukunft und missglückten Küssen --------------------------------------------------------------- Nach dem Nachmittagsunterricht hatte ich noch Fußballtraining, während Sakamoto zum Kendo ging. Nao wartete vor der Sporthalle auf mich, kurz darauf joggten wir nebeneinander durch die Halle. “Sag mal, wie hast du Saga kennen gelernt?”, fragte ich den Kleineren, er grinste. “Ich kenne ihn schon recht lange. Wir waren zusammen auf der Grundschule, aber danach kam er in eine andere Schule als ich und dann haben wir uns etwas aus den Augen verloren.”, erzählte er mir freundlich, wir umrundeten die Halle ein weiteres Mal. “Was hältst du eigentlich von Saga?”, wollte Nao schließlich wissen und strich sich einige Strähnen seines Pony aus dem Gesicht. Ich sah den Kleineren lange an, bevor ich antwortete: ”Ich mag ihn sehr. Nur manchmal frage ich, was er eigentlich von mir will… naja, du weißt schon. Er ist manchmal recht… aufdringlich?” Nao lachte und ließ sich dann auf den Boden sinken, um Sit- Ups zu machen, ich setzte mich neben ihn. “Ich weiß was du meinst… Saga kann manchmal echt aufdringlich sein, wenn er dir seine Zuneigung demonstriert.”, sagte er zwischen zwei Sit- Ups. “He, Kohara und Murai! Hier wird nicht geschwätzt, sonst müsst ihr zur Strafe zwanzig Sit- Ups sowie Liegestützen mehr machen.”, rief der Trainer vom anderen Ende der Halle herüber, ich seufzte genervt und fuhr mit den Sit- Ups fort. Das Training verlief wie immer, nur dass Nao nicht von meiner Seite wich und ich so umso mehr Spaß bei der Sache hatte. Als ich am späten Nachmittag zu Hause ankam, wurde ich von meiner Mutter empfangen, die über beide Ohren strahlte und sich mir zur Begrüßung theatralisch an den Hals warf. “Schatz, ich bin ja so froh, dass du wieder da bist! Ich habe dich den ganzen Tag über vermisst!”, rief sie aus, ich lächelte erschöpft. “Dankeschön, das freut mich. Gibt es noch einen anderen Grund, warum du so fröhlich bist?”, wollte ich wissen, sie nickte. “Du wirst es nicht glauben- Sakamoto Takashi-kun war hier und hat sich für sein Verhalten am Freitag und heute Morgen entschuldigt. Er ist ein wundervoller junger Mann, absolut verantwortungsbewusst und höflich… ich bin sehr froh, dass du ihn zum Freund hast.”, erläuterte sie begeistert, meine Kinnlade klappte im wahrsten Sinne des Wortes herunter. Was hat die Frau bitteschön genommen?, fragte ich mich in Gedanken, ließ mir nach außen aber relativ wenig davon anmerken. “Oh, das ist schön. Schade, dass ich ihn nicht mehr getroffen habe, als ich vom Fußball kam.”, meinte ich und stellte meine Schultasche im Hausflur ab. Während ich meine Schuhe sowie meine Jacke auszog und in der Diele verstaute, schwirrte meine Mutter unaufhörlich um mich herum und lobte Sakamoto in den höchsten Tönen. Ich musste mir anhören, wie intelligent und charmant er doch sei, wie elegant gekleidet er sei und wie gut er wisse, mit Frauen umzugehen und um ehrlich zu sein, so langsam ging es mir gehörig auf den Senkel. “Möchtest du noch etwas essen, Kazamasa- Schatz? Du musst bestimmt einen riesigen Hunger haben nach dem anstrengenden Schultag und brauchst bestimmt noch Energie für die Hausaufgaben!”, flötete meine Mutter schließlich, ich nickte dankbar und folgte ihr in die Küche, wo ich mir meinen Unterkiefer auf dem kalten Fliesenboden anschlug. Auf dem Küchentisch stand in einer großen Vase ein überdimensionaler Blumenstrauß mit pinkfarbenen und weißen Rosen, der ganz bestimmt kein Geschenk meines Vaters war. “Wow, der ist ja schön…”, murmelte ich andächtig. Meine Mutter trat neben mich und jauchzte: “Ja, und wie schön er ist! Takashi-kun hat ihn mitgebracht.” Unterkiefer meets Fußboden, Folge Drei. “Ah…”, brachte ich mit einem dämlichen Grinsen hervor und ließ mich wie ein Sack Kartoffeln auf meinen Platz am Tisch fallen. Saga, du Charmeur, verfluchte ich den Blonden innerlich, konnte es mir aber nicht nehmen lassen, dabei zu schmunzeln. Meine Mutter war mir heute besonders gnädig gestimmt, denn sie packte mir so viel Essen auf den Teller, dass es locker für eine Expedition im Dschungel gereicht hätte. “So, das isst du jetzt brav auf, sonst fällst du mir bald wegen Unterernährung aus den Latschen!”, befahl sie, ich stöhnte: “Mutter, muss das sein? Das schaffe ich nie…” Trotzdem machte ich mich ohne weitere Widerworte ans Essen und als ich schließlich die ganze Portion verschlungen hatte, fühlte ich mich wie ein riesiger Luftballon. Ächzend erhob ich mich vom Tisch, bedankte mich bei meiner Mutter fürs Essen und ging in mein Zimmer, um meine Hausaufgaben zu erledigen. Während ich an meinem Schreibtisch saß und über meinen Büchern grübelte, ging mir der Blumenstrauß in der Küche nicht aus dem Kopf. Warum schleimte sich Sakamoto so bei meiner Mutter ein? Hatte er das tatsächlich nötig? Na ja, es war ja schon irgendwie nett von ihm, dass er sich entschuldigt hatte, auch wenn ich mir hundertprozentig sicher war, dass die Entschuldigung nicht ernst gemeint war, aber trotzdem… hatte er ihr unbedingt einen Blumenstrauß mitbringen müssen? Man könnte ja fast meinen, er himmele sie an… Nachdem ich meine Hausaufgaben erledigt hatte, war ich vollkommen entnervt und- ob man es nun glaubte oder nicht- eifersüchtig auf meine Mutter. Nicht, dass ich in irgendeiner Weise auf beschissene Blumensträuße stand, aber warum kriegte ich nie so viel Aufmerksamkeit? Alles, was Sakamoto für mich übrig hatte, waren bescheuerte Anmachen und zweideutige Bemerkungen… eben nichts, was mich wirklich vom Hocker riss. “Kazamasa, Abendessen!”, rief meine Mutter nach einer Weile aus der Küche, ich stand vom Schreibtisch auf und schmiedete Mordpläne gegen den Blumenstrauß. Vielleicht könnte ich einfach, so ganz aus Versehen, mit solcher Wucht gegen den Tisch laufen, dass die Vase umkippte und der verhasste Strauß einfach auf den Boden fiel? Doch mein Plan verlief anders als gewollt. Ich rannte zwar gegen den Tisch, musste aber enttäuscht feststellen, dass der Blumenstrauß nicht mehr darauf stand. Fluchend rieb ich mir meine Seite und ließ mich missmutig auf meinen Stuhl fallen. Meine Mutter sah mich besorgt an, fuhr aber mit dem Decken des Tisches fort und meinte dann beiläufig: “Ich habe den Strauß ins Wohnzimmer gestellt, hier auf dem Küchentisch behindert er mich nur.” Schließlich kam auch mein Vater in die Küche und setzte sich neben mich. “Na, wie war dein Schultag heute?”, wollte er wissen, ich seufzte gelangweilt. “Sehr interessant und lustig.”, log ich dann, mein Vater nickte zufrieden. “Ich habe heute mit einem Bekannten gesprochen, der eine Firma hat- er würde dich gerne einstellen, wenn du mit deinem Studium fertig bist. Du würdest damit eine tolle Stelle als Unternehmensberater bekommen und könntest bestimmt Karriere machen.”, erklärte er mir, ich nickte und unterdrückte ein Gähnen. In diesem Moment kam mir meine Mutter zu Hilfe, indem sie sich neben mich stellte und meinte: “Wie viel Reis möchtest du?” Ich wiegte den Kopf langsam hin und her. “Nicht allzu viel. Ich habe heute Nachmittag ja schon etwas gegessen.”, murmelte ich und streckte ihr meine Reisschale hin. Das weitere Essen verlief in vollkommener Stille, irgendwann stand ich einfach vom Tisch auf, wünschte meinen Eltern eine gute Nacht und verzog mich in mein Zimmer. Dort angekommen, warf ich mich auf mein Bett und schloss genervt seufzend die Augen. Was war nur mit mir los? Vor meinen geschlossenen Augen blitzte immerzu Sakamotos Gesicht auf, ich versuchte es mit aller Kraft zu verscheuchen. Dieser Typ war erst zwei Tage in meiner Klasse und schon ging er mir nicht mehr aus dem Kopf… war ich so leicht zu beeindrucken? Irgendwann verloren sich alle meine Gedanken im Nichts, ich schlief ein. Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen, ich knurrte unwillig, erhob mich aber trotzdem. Ich wartete die ganze Zeit, während ich im Bad war, darauf, dass es klingeln würde, doch nichts passierte. Leicht enttäuscht und besorgt verließ ich das Haus und machte mich auf den Schulweg. Auch als ich ins Klassenzimmer kam, war Sakamoto noch nicht da, ich ließ mich schwer auf meinen Platz fallen. Kurz vor Unterrichtsbeginn erschien der Blonde schließlich, er sah recht müde und verkatert aus. “Sorry, ich hab´ s nicht früher geschafft.”, seufzte er, während wir aufstanden, um den Lehrer zu begrüßen. “Schon okay.”, murmelte ich, fügte aber in Gedanken hinzu: Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht. Der Unterricht verlief relativ normal, ich war aber trotzdem froh, als wir uns in der dritten Stunde aus dem Schulgebäude in die Sporthalle begaben. In der Umkleide traf mich fast der Schlag, als ich sah, wie Sakamoto sein Hemd auszog. Er hatte einen ziemlich auffälligen Knutschfleck am Schlüsselbein und er versuchte noch nicht einmal, ihn zu verstecken. Schon bald hatte ein anderer Junge ebendiesen Knutschfleck entdeckt und fragte: “Wo hast du den denn her? Sieht ja aus, als ob die Tussi echt heiß auf dich war…” Sakamoto grinste überheblich und meinte: “Und ob sie das war… Das war einfach zu geil.” Wieder ein anderer rief: “Ach so, deswegen warst du zu spät.” Sakamoto strich sich durch seine blonden Haare und flüsterte dann geheimnisvoll: “Mag sein…” Alle lachten, während meine Laune langsam aber sicher in den Keller sank. So war das also… er nahm also alles, was ihm zwischen die Beine kam. War ich vielleicht nur der Nächste auf Sagas Liste? Bedeutete ich ihm vielleicht überhaupt nichts? Kurze Zeit später wurden wir vom Sportlehrer durch die Halle gescheucht, ich war immer noch ärgerlich und rannte so schnell, dass Sakamoto die liebe Not hatte, mit mir Schritt zu halten. “Mach doch mal langsam und warte auf deinen alten Freund…”, keuchte er, doch ich reagierte nicht. Nach dem Aufwärmen wurden Mannschaften gebildet, wir spielten Völkerball. Sakamoto wurde in die gegnerische Mannschaft gewählt, worüber ich ziemlich erleichtert war. Wenigstens musste ich dann nicht mit ihm gemeinsame Sache machen… Ich lief zu neuer Höchstform auf und versuchte immerzu, den Blonden mit dem Ball abzuwerfen, doch dieser wich mir immer geschickt aus, was mich umso mehr verärgerte. Mit einem ärgerlichen Aufschrei schmetterte ich den Ball in Sakamotos Richtung, der Kleinere hechtete ihm entgegen und berührte ihn mit der Hand, doch die Wucht des Wurfs war zu groß und der Ball entglitt seinen Händen. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht in Jubelschreie auszubrechen, während der Blonde wütend nach dem Ball trat und mich mit vernichtenden Blicken bedachte. Mein kleiner Erfolg konnte allerdings nicht mehr verhindern, dass Sakamotos Mannschaft das Spiel haushoch gewann. Ich war enttäuscht und ärgerlich, denn ich hatte mein Bestes gegeben, während der Rest der Mannschaft mehr oder weniger gelangweilt übers Feld getingelt war. In der Umkleide herrschte unter den Mitgliedern von Sakamotos Mannschaft ausgelassene Stimmung, was mir natürlich die Laune noch mehr vermieste. “Es war wirklich toll, dass du Kohara immer ausgewichen bist! Der Typ kann ja nicht einmal richtig werfen- wirft mindestens hundert Mal an dir vorbei, bis er dich dann endlich trifft! Wie blöd muss man sein?”, lästerte einer der Jungen, ich senkte den Kopf, hob ihn aber gleich wieder an, als plötzlich riesiger Aufruhr entstand. Was ich sah, erstaunte mich zutiefst: Saga hatte den lästernden Jungen am Kragen gepackt und sah aus, als wolle er ihm alle Knochen im Leib brechen. “Sag´ das noch einmal und du kannst deine Innereien vom Boden aufkratzen…”, knurrte der Blonde bedrohlich, ich stand auf und ging zielstrebig auf ihn zu. Ich packte den Kleineren an der Schulter und zerrte ihn ohne weitere Worte von dem anderen Jungen weg auf eine Bank, dann ließ ich mich neben ihn fallen. “Was sollte das eben?”, fragte ich den Blonden, er hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt und starrte an die Decke. “Tut mir Leid…”, murmelte er dann, ein kleines Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. “Schon okay. Ich wollte nur verhindern, dass du handgreiflich wirst.”, erwiderte ich und war schon im Aufstehen, als Saga mich am Arm fasste und mich noch einmal herunter auf die Bank zog. Mir wurde heiß und kalt, als unsere Gesichter sich immer näher kamen. “Ach ja, und wegen dem Knutschfleck noch einmal… Das hat sowieso keine Zukunft mit der Type. Eigentlich stehe ich ja eher auf männliche Wesen…”, hauchte der Blonde gegen meine Lippen, ich nickte wie hypnotisiert von den strahlenden Augen meines Gegenübers. Irgendwann hörte ich den monotonen Gong, der den Beginn der nächsten Stunde einläutete, und riss mich von Sakamoto los. Ich packte meine Sporttasche und raste wie ein Verrückter zurück ins Schulgebäude zum Chemieunterricht. Mist, Mist, Mist!, fuhr es mir unablässig durch den Kopf, während ich den Korridor entlang hastete. Ich riss die Tür des Chemiesaals auf und warf mich schwer atmend auf meinen Platz, Sakamoto kam kurz darauf ebenfalls herein. Er ließ sich neben mich fallen und begann sofort, seine Tasche auszupacken. Ich musterte ihn dabei und war mehr als erstaunt, als ich sah, dass seine Wangen von einem leichten Rotschimmer überzogen waren. War ihm das eben etwa peinlich gewesen? In der Mittagspause trafen wir uns wieder mit Sagas Kumpels auf dem Schuldach und nahmen unser Mittagessen zusammen ein. Wir unterhielten uns über alles Mögliche und schließlich kam die Unterhaltung auf ein Thema, was mich aufhorchen ließ. “Ich da eine Idee, die ich euch gerne vorstellen würde… na ja, um es genauer auszudrücken: Ich möchte eine Band gründen- am besten mit euch! Ich weiß ja, dass Saga Bass spielt, Tora und Hiroto Gitarre und ich selber spiele Schlagzeug, also hätten wir schon einmal die Instrumente besetzt. Was haltet ihr davon?”, wollte Nao wissen. “Gute Idee, aber was ist mit Shou?”, fragte Hiroto, Nao lächelte. “Dazu komme ich ja gerade: Saga hat mir geflüstert, dass Shou ein echtes Goldkehlchen ist… er könnte unser Sänger werden, wenn er möchte.”, erläuterte er dem Kleinen, ich begann zu strahlen. “Also ich wäre sofort dabei!”, rief ich aus, Saga echote: “Ich auch.” Tora und Hiroto schlossen sich ebenfalls an, doch Tora äußerte leichte Bedenken: “Wo proben wir? Und was ist mit unseren Eltern?” Ich warf dem großen Schwarzhaarigen einen giftigen Blick zu, musste mir jedoch eingestehen, dass er mehr als Recht hatte. “Das wollte ich ja auch noch sagen… nur Geduld! Wir können bei mir im Keller proben, da haben wir auch unsere Ruhe. Das mit den Eltern ist natürlich auch so ´ne Sache. Ich denke, wir sollten es vielleicht erst einmal geheim halten, wir können es ihnen ja später immer noch sagen…”, fuhr Nao fort, ich seufzte: “Na ja, in Ordnung… aber meine Eltern bringen mich um, wenn sie herausfinden, dass ich sie angelogen habe.” Saga grinste verschwörerisch und meinte: “Bevor sie das tun, schenke ich deiner Mutter einen Diamantring, dann ist sie bestimmt besänftigt.” Ich konnte nicht anders, als laut loszulachen, alle anderen stimmten in mein Gelächter ein. “Na dann, nachdem das geklärt ist- wie sollen wir uns nennen? Irgendwelche Vorschläge?”, fragte Nao, wir alle riefen irgendwelche Fantasienamen in die Runde. “Alice in Wonderland?”, schlug Hiroto nach einer Weile vor, Tora schüttelte den Kopf: “Zu mädchenhaft.” Ich verteidigte Hiroto jedoch: “Also, ich finde “Alice” als Namenbestandteil schon einmal cool.” Die anderen stimmten mir zu und schließlich war Tora überstimmt und “Alice” stand fest. “Alice on Hell´s Gate?”, fragte Saga, ich zuckte die Schultern und murmelte: “Ich weiß nicht… das klingt gleich so… böse? Mir ist eben “Alice Nine” eingefallen- was haltet ihr davon?” Sofort waren alle ganz Ohr. “Alice Nine klingt super! Das ist der perfekte Name für uns!”, rief Nao aus, alle stimmten ihm zu, während ich verlegen auf dem Boden herumrutschte. “Na ja, so toll ist das auch wieder nicht… ich dachte einfach, das könnte vielleicht passen.”, nuschelte ich, doch keiner nahm meinen Einwand wirklich ernst. “Alice Nine” wurde als Bandname festgelegt und so verblieben wir, als der Gong die Pause beendete und ich mit Nao zum Fußball ging, denn dienstags war kein Nachmittagsunterricht. Nach dem Training trafen wir uns mit den anderen und gingen zusammen nach Hause. Saga bestand darauf, mich bis vor die Haustür zu begleiten, obwohl mein Haus gar nicht auf seinem Heimweg lag und er wegen mir einen riesigen Umweg machen musste. Den ganzen Weg über redeten wir begeistert über die Band und schmiedeten Pläne für die erste Bandbesprechung, die von Nao für Freitagabend angesetzt worden war. “… und am Samstag färben wir dir dann die Haare.”, schloss Saga, ich schrak hoch. “Du glaubst doch nie im Leben, dass meine Eltern mir das erlauben! Das gibt Riesenärger, ich warne dich!”, meinte ich zweifelnd. “Keine Sorge, Shou. Ich kümmere mich darum, dass alles gut geht, okay?”, beruhigte der Blonde mich, doch ich konnte meine Zweifel beim besten Willen nicht abstellen. “Na ja, ich vertraue dir einfach.”, murmelte ich schließlich etwas resigniert und umarmte den Kleineren zum Abschied, er grinste. “Ist gut, Baby.”, säuselte er noch, dann war er auch schon um die nächste Straßenecke verschwunden. Kapitel 5: Metamorphose ----------------------- Am Freitagnachmittag gingen wir schließlich alle zu Nao, um einige wichtige Dinge bezüglich der Band zu besprechen. Wir saßen bei heißer Schokolade- und das im Sommer! - und Keksen in seinem Zimmer und diskutierten angeregt, als plötzlich seine Mutter den Kopf zur Tür hereinsteckte. “Na, was habt ihr da so Geheimes zu besprechen? Wollt ihr dazu nicht in den Garten gehen, dann kann ich euch Cola und Eis bringen, wenn ihr möchtet.”, schlug sie vor. “Och, wir besprechen nichts Bestimmtes…”, schwindelte Nao und nahm einen weiteren Schluck von seiner heißen Schokolade. “Ach so, na dann. Dann wünsche ich euch noch viel Spaß.”, schmunzelte seine Mutter und schloss die Tür wieder. “Du willst Shou wirklich die Haare färben?”, wollte Tora ungläubig von Saga wissen, dieser nickte nur und zog eine Strähne meines noch pechschwarzen Haares hoch. “Japp. Ihm würde irgendein rötliches Blond oder Braun viel besser stehen als das hier.”, erklärte er dem Schwarzhaarigen, dieser schüttelte verständnislos den Kopf. “Ich verstehe dich nicht… was findest du nur an gefärbten Haaren? Das ist so viel Arbeit, da wird man doch verrückt…”, entgegnete er. “Warte nur, Tigerchen… irgendwann sind deine Haare auch nicht mehr schwarz.”, schnurrte Saga, alle kicherten. “Wehe dir, Sakamoto, wenn du das wagst! Dann können wir uns einen neuen Bassisten suchen…”, knurrte Tora bedrohlich, sein blondes Gegenüber hingegen lachte nur: “Keine Sorge, ich werde dir schon eine nette Friseuse suchen…” - “Untersteh dich, Sakamoto! Sonst wirst du die grausamsten Qualen erleiden…”, kam es bösartig zurück, Saga zeigte sich in keiner Weise beeindruckt. Irgendwann sah ich auf die Uhr und stellte erschrocken fest, dass es schon kurz vor 21 Uhr war. Hektisch griff ich nach meinem Handy und rief meine Mutter an, die sofort abnahm. “Hallo, Kazamasa- Schatz, was gibt´ s?” Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und meinte: “Mutter, ich wollte dich fragen, ob ich bei Nao-kun übernachten darf. Ich bin natürlich nicht alleine, Takashi und noch ein paar andere Freunde sind auch hier und übernachten ebenfalls.” Meine Mutter überlegte einen Moment lang, dann stimmte sie zu, ich überschüttete sie mit Dank, bis sie mir noch einen schönen Abend wünschte und auflegte. “Ich freu mich schon so auf heute Nacht- das wird so geil mit euch allen!”, jubilierte Nao, während wir unser Lager für die Nacht aufbauten. Saga legte seine Iso-Matte neben meine und ließ sich mit einem genüsslichen Aufseufzen darauf fallen. “Na, Shou, hast du dir schon überlegt, was für eine Haarfarbe du ungefähr haben möchtest morgen?”, wollte er von mir wissen, ich seufzte und zwirbelte eine Haarsträhne zwischen meinen Fingern. “Keine Ahnung… du weißt glaube ich am besten, was mir steht. Ich vertraue dir einfach.”, murmelte ich leicht angestrengt und unterdrückte ein Gähnen. Der Blonde kicherte leise, konnte sein eigenes Gähnen aber nicht mehr zurückhalten. “Na, da ist ja jemand müde. Willst du ´nen Gute-Nacht-Kuss?”, scherzte er, ich murrte nur unwillig in mein Kissen. Nao und Hiroto waren ebenfalls recht erschöpft, nur Tora schien noch voller Energie, er hatte sich auf ein dickes Buch gestürzt und las hingebungsvoll. “Sollen wir uns bettfertig machen?”, fragte Nao in die Runde und fügte ein leises: “Ich bin echt müde.” hinzu. Alle, inklusive Tora stimmten ihm zu, ein letztes Mal wurde es unruhig im Zimmer. Wir zogen uns aus, ich tauschte meine Schuluniform gegen ein überdimensionales T-Shirt sowie Schlafshorts, meine anderen Freunde zogen sich bis auf die Unterwäsche aus und legten sich dann auf ihre Iso-Matten. Nao löschte von seinem Bett aus das Licht und wünschte uns allen eine gute Nacht, schon bald wurde es ruhig im Raum. Ich schloss meine Augen und versuchte einzuschlafen, doch die Müdigkeit, die mich vor einigen Minuten befallen hatte, war nun vollkommen von mir gewichen. Ich horchte den ruhigen Atemzügen meiner Freunde bis ich nach einer Weile endlich auch eingeschlafen war. Vor meinen geschlossenen Augen tanzten wilde Traumbilder, ich hatte Mühe, ihnen zu folgen. Plötzlich befand ich mich auf einer Bühne, trug ein glitzerndes, buntes Kostüm und hielt ein Mikrofon in der Hand. Meine Freunde waren um mich herum aufgestellt, sie trugen ebenfalls verspielte Kostüme und hatten alle ein riesiges Grinsen auf dem Gesicht, während sie ihre Instrumente spielten und sich im Takt der Musik bewegten. Dann flog mein Blick in die Menge der begeisterten Fans, die sich vor der Bühne befanden und ebenfalls tanzten. Ein Gesicht unter den vielen Gesichtern kam mir unheimlich bekannt vor, ich trat einen Schritt näher an den Bühnenrand, um es besser zu erkennen. In Sekundenschnelle hatten sich zwei Hände um meine Fußknöchel gelegt und jemand begann, mich von der Bühne zu ziehen. Ich wehrte mich verzweifelt, doch es nützte alles nichts, ich wurde weiter nach unten gezogen und schließlich wurde alles schwarz um mich… Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, saß ich kerzengerade auf meiner Iso-Matte und war schweißgebadet. Ich atmete einmal tief ein und aus, um meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, dann sah ich mich im dunklen Zimmer um. “Alles okay?”, erklang Sagas Flüstern in der Dunkelheit, ich ließ mich mit einem Seufzen wieder in die weichen Kissen sinken. “Ja, schon… ich habe nur schlecht geträumt.”, beruhigte ich ihn. “Ach so. Ich habe mir schon Sorgen gemacht…”, erwiderte der Blonde sichtlich erleichtert, im nächsten Moment hatte er seine Iso-Matte ganz an meine geschoben und einen Arm um mich gelegt. “So schläfst du bestimmt besser.”, wisperte er, ich musste trotz meiner Müdigkeit lächeln. “Danke, ich versuch´ s.”, erwiderte ich leise und schloss abermals die Augen. Diesmal klappte es, ich schlief tief und fest, bis am Morgen die Sonne durch die Schlitze im Rollladen ins Zimmer schien. Ich richtete mich langsam auf und erntete ein unwilliges Murren von Saga, der sich noch einmal auf die andere Seite drehte, um weiterzuschlafen. Lächelnd stützte ich mich auf meine Ellenbogen und betrachtete den Blonden, wie er sein Gesicht in sein Kissen vergrub und seine Decke noch ein Stück hochzog. Irgendwie süß… Ich schlug mir diese Gedanken schnell wieder aus dem Kopf und sah mich dann weiter im Zimmer um. Hiroto, Tora sowie Nao schliefen ebenfalls noch tief und fest und machten keine Anstalten, bald aufstehen zu wollen. Leicht enttäuscht seufzte ich auf und ließ meinen Blick durch Naos Zimmer schweifen. An den Wänden hingen Poster von verschiedenen Bands und Fotos von Nao mit Freunden, ich musste abermals lächeln. Irgendwann gegen 11:30 begann es im Zimmer unruhig zu werden, ich hörte, wie Tora und Nao sich flüsternd unterhielten. “Ich bin auch wach.”, flüsterte ich zurück, die beiden wünschten mir einen guten Morgen und ich beteiligte mich ebenfalls an ihrer Unterhaltung, bis schließlich auch Saga und Hiroto aufwachten. Saga rieb sich die Augen und strich sich einige zerzauste Haarsträhnen aus dem Gesicht. “Himmel, ich habe Rückenschmerzen…”, seufzte er gequält, kollektives Kichern ertönte. “Na, Sakamoto- wirst du schon alt oder was?”, scherzte Tora, sein blondes Gegenüber warf ihm sehr freundlich das Kissen ins Gesicht. “Halt´ den Mund.”, knurrte er dann und wandte sich anschließend an mich: “Okay, Shou… wir wollten ja deine Haare machen. Wir können ja gleich nach dem Frühstück von hier verschwinden und dann zu mir gehen, was meinst du?” Ich nickte und bejahte: “In Ordnung, geht klar.” Daraufhin begann ich, mein Nachtlager zusammenzuräumen und es in meiner Tasche zu verstauen. Kurz darauf klopfte es an der Tür, Nao rief: “Herein!” Seine Mutter kam herein und wünschte uns allen einen guten Morgen. “Na, habt ihr alle gut geschlafen?”, wollte sie wissen, wir nickten: “Klar, sehr gut.” - “Möchtet ihr vielleicht jetzt nach unten in die Küche kommen, ich habe gerade das Frühstück fertig.”, bot sie uns an, wir nickten abermals und folgten der freundlichen Frau mittleren Alters in die Küche, in der schon der Tisch fertig gedeckt war. Nach dem ausgiebigen Frühstück bedankten Saga und ich uns bei Nao und seiner Mutter für ihre Gastfreundschaft, dann verließen wir das Haus und machten uns auf den Weg zu Saga. “Kennst du dich aus mit dem Haare färben?”, hakte ich sicherheitshalber noch einmal nach, obwohl ich genau wusste, dass meine Zweifel unberechtigt waren. “Natürlich tue ich das. Mir ist noch nie etwas schief gegangen… okay, einmal schon. Da waren meine Haare anstatt blond dann weißlich-grau, aber ich habe es am nächsten Tag umgefärbt und dann war es wieder normal.”, erzählte Saga, ich schüttelte mich. “Weiße Haare? Oh Gott, hoffentlich passiert das bei mir nicht!”, rief ich erschrocken aus, der Blonde lachte: “Keine Sorge, ich passe auf. Du musst dir jetzt ja keine Horror-Szenarien ausmalen nur weil es ein einziges Mal schief gegangen ist.” Ich lief lange gedankenverloren neben ihm her, dann wollte ich wissen: “Seit wann färbst du dir die Haare eigentlich schon so?” Saga kratzte sich verlegen am Kopf und schien schwer zu überlegen, bevor er mir antwortete: “So genau weiß ich es auch wieder nicht, aber ich denke, seit ich 14 bin…” Ich nickte nachdenklich und kickte einen mitten auf dem Weg liegenden Kieselstein fort, während ich meinte: “Das ist aber schon recht lange. Sagen deine Eltern da nichts?” Der Kleinere seufzte: “Meine Eltern? Nicht wirklich… Meine Eltern sind geschieden, ich lebe bei meiner Mutter, aber die interessiert es sowieso nicht, wie ich aussehe. Zu meinem Vater habe ich eher selten Kontakt.” Ich glaubte, einen leicht verletzten Ausdruck auf seinem Gesicht ausmachen zu können, also wechselte ich schnell das Thema. “Na ja, wieder zum Haare färben. Begleitest du mich nachher vielleicht nach Hause? Ich habe Angst, dass meine Mutter mich an der Tür umbringt, wenn ich alleine bin…”, scherzte ich, konnte einen besorgten Unterton in meiner Stimme aber nicht vermeiden. “Klar, kann ich machen. Ich werde mir auch was überlegen, wie wir ihr deine neue Haarfarbe gut verkaufen können… ah, wir sind da.” Saga stoppte vor einem Hauseingang und zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. “Wir wohnen im vierten Stock.”, klärte er mich auf, während er aufschloss und mir dann die Tür aufhielt. “Komm, wir nehmen den Aufzug.”, forderte mich der Kleinere auf, ich stimmte seinem Vorschlag dankend zu: “Vielen Dank. Ich habe jetzt echt keine Lust, mich groß sportlich zu betätigen…” Saga lachte. “Ich auch nicht.” Wir stiegen im vierten Stock aus, der Blonde ging mir voraus und schloss die Tür zur Wohnung auf. Ich stand leicht zögernd neben ihm, doch er schob mich mit einer schnellen Bewegung in den Flur und meinte: “Komm, mach´ s dir gemütlich. Ich richte schon alles im Bad, du kannst währenddessen in mein Zimmer gehen- ist die zweite Tür links im Flur.” Ich ließ meine Schuhe und meine Jacke in der Diele, dann folgte ich Sagas Wegbeschreibung und landete zum Glück ohne weitere Probleme in seinem Zimmer, wo ich erst einmal sprachlos stehen blieb und wie gebannt um mich starrte. An einer Wand stand ein einfaches Bett mit verschnörkeltem Metallgerüst, darüber hing ein rötlicher Netzvorhang. Von der Decke hing ein schwarzer Kronleuchter, von dessen Armen verschiedene Anhänger herunterbaumelten. Der Schreibtisch, der am Fenster stand, war relativ einfach gehalten, auf ihm lagen verschiedene Zeitschriften wild verstreut. In wieder einer anderen Ecke stand ein Gitarrenständer und darauf eine mahagonifarbene Bassgitarre, die im Licht glänzte. Ich bestaunte sie gerade, als Saga ins Zimmer kam. “So, ich wäre dann soweit fertig. Wenn du dann auch mal ins Bad kommst, können wir anfangen.”, schreckte er mich aus meinen Gedanken hoch. “Oh… okay. Ich komme sofort.”, erwiderte ich leicht perplex und folgte dem Blonden wie gewünscht ins Bad. “Setz dich einfach auf den Hocker vors Waschbecken.”, forderte dieser mich auf, ich ließ mich auf besagten Hocker fallen, während Saga in einem größeren Kosmetikbeutel kramte und mir dann einige Packungen mit Haarfärbemittel unter die Nase hielt. “So, jetzt kannst du dir eine Farbe aussuchen.”, meinte er lächelnd, ich musterte die Packungen argwöhnisch, was Saga zum Lachen reizte. “Jetzt schau nicht so verängstigt, die tun dir nicht weh.”, frotzelte er, ich zuckte nur die Schultern und grummelte: “Weiß ich doch nicht.” Der Blonde grinste abermals, bevor er fragte: “Und, hast du dich schon für eine dieser bösen, menschenfressenden Haarfärbemittelpackungen entschieden?” Diesmal reichte es mir, ich warf ihm sehr freundlich das nächstbeste Handtuch an den Kopf. “Halt´ s Maul!”, fauchte ich dann, während mein blondes Gegenüber einen Lachanfall der Extraklasse erlitt. “Oh, komm schon, jetzt sei nicht so beleidigt… Das habe ich doch nicht böse gemeint.”, wehrte Saga sich zwischen zwei Lachsalven, ich schmollte: “Jaa, immer doch… und das mit der Tussi war ja auch nur zum Spaß.” Der Blonde zuckte die Schultern, dann schlich sich ein dreckiges Grinsen auf seine Züge. “Natürlich, was denkst du denn?”, schnurrte er. “Perversling!”, rief ich etwas lauter als beabsichtigt, im nächsten Moment steckte eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters ihren Kopf zur Tür hinein. “Takashi, also wirklich… du musst deinen Besuch ja nicht gleich vergraulen.”, tadelte sie liebevoll, der Angesprochene machte ein betont unschuldiges Gesicht. “Wir diskutieren gerade nur die Zweideutigkeiten beim Haare färben.”, erklärte er, die Frau kicherte. “Ja, ja… dann viel Spaß noch.”, meinte sie abschließend und schloss die Tür wieder. “Na ja, soviel dazu. Nochmal zu meiner Frage von eben: Hast du dich entschieden?”, fuhr Saga ungerührt fort, ich lächelte und hielt ihm eine Packung unter die Nase. “Die hier. Ich denke, ein helles Braunblond würde mir vielleicht stehen, was meinst du?” Der Blonde musterte die Packung mit dem Färbemittel argwöhnisch, dann nickte er zustimmend: “Ja, das könnte hinkommen. Dann fangen wir mal an…” Zugegeben, ich hatte schon etwas Bammel davor, dass beim Färben irgendetwas daneben ging, aber ich beschloss, Saga zu vertrauen, denn immerhin hatte er schon einige Erfahrung damit- im Gegensatz zu mir. Der Kleinere ließ mir immerhin noch die Freiheit, meine Haare selbst zu befeuchten, dann reichte er mir ein Handtuch. Ich trocknete meine Haare leicht ab, woraufhin er begann, die Farbe gleichmäßig in meinem Haar zu verteilen. Als Saga damit fertig war, stemmte er die Hände in die Hüften und betrachtete sein Werk, ich musste grinsen. “Na ja, so viel sieht man jetzt nicht wirklich davon…”, murmelte ich belustigt, der Blonde nickte. “Muss ja auch erst ´ne ganze Weile einwirken… was meinst du, sollen wir hier bleiben oder zu mir ins Zimmer gehen?”, wollte er wissen, ich zuckte die Schultern. “Und was, wenn das Zeug tropft?”, fragte ich ebenfalls und betrachtete meine Haare misstrauisch. “Okay, dann bleiben wir eben hier.”, resignierte Saga und ließ sich auf den Badewannenrand sinken. Es war für eine Weile still, dann brach ich das Schweigen: “Tut mir Leid, dass ich so aufdringlich bin, aber darf ich fragen, ob du eine Freundin hast?” Saga, der eben noch verträumt Löcher in die Luft gestarrt hatte, fuhr hoch. “Was?!”, fragte er perplex, ich wurde rot. “Na ja, ich fragte, ob du eine Freundin hast…”, wiederholte ich, der Blonde sah mich an als sei ich ein grünes Marsmännchen. “Wieso willst du das wissen?”, hakte er nach, ich zuckte abermals die Schultern. “Könnte ja sein… ich glaube ja nicht, dass du dir deine Knutschflecken selber machst.”, nuschelte ich, der Angesprochene grinste: “Nein, das nicht. So viel Aufmerksamkeit brauche ich dann doch nicht…” Dann herrschte wieder Schweigen zwischen uns. Irgendwann meinte Saga: “Ich habe auch keine Freundin, um deine Frage von eben zu beantworten. Den Knutschfleck… das ist eine lange Geschichte, aber ich denke, ich kann sie dir erzählen. Jedenfalls, am Dienstagabend war ich mit einigen Bekannten in der Disco und habe mich ordentlich volllaufen lassen. Die Freundin eines meiner Bekannten war ebenfalls ziemlich betrunken und wir haben miteinander rumgemacht. Als ihr Freund das gemerkt hat, hat er noch auf der Stelle mit ihr Schluss gemacht… ihr war das jedenfalls recht egal und sie hat mich zu sich mit nach Hause genommen. Den Rest kannst du dir ja vorstellen, oder?” Ich sog scharf die Luft ein. “Uh, Scheiße… das ist ja echt dumm gelaufen.”, sagte ich leise, der Blonde nickte. “Allerdings. Mein Bekannter will nichts mehr von mir wissen und seine Ex-Freundin behauptet felsenfest, ich hätte sie flachgelegt.”, erklärte er verbittert, ich seufzte: “Autsch… das ist mies.” “Na ja, lassen wir das.”, würgte Saga mich abrupt ab und stand auf, er wirkte verletzt. “Okay, tut mir Leid.”, entschuldigte ich mich, sofort grinste er wieder und warf mir einen Handkuss zu. “Baby, dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Dafür kannst du ja nichts.”, säuselte er, ich lachte: “Jetzt geht´ s dir wieder besser, was?” - “Aber hallo. Es ist doch immer nett, wenn man ´nen Mülleimer hat, dem man alles erzählen kann.”, scherzte der Blonde, ich schlug gespielt verärgert nach seinem Gesicht, er duckte sich. “Baby, jetzt sei doch nicht immer gleich so gewalttätig.”, tadelte er grinsend. ”Wer hat dir eigentlich erlaubt, mich “Baby” zu nennen?”, fragte ich gespielt empört, der Kleinere zuckte die Schultern. “Keine Ahnung… dachte, du magst das vielleicht.”, sagte er leise, ich kicherte: “Von dir doch immer, Hasi.” Jetzt war es Saga, der ein verärgertes Gesicht mimte. “Oh bitte. Zwing mich nicht dazu, dich im Waschbecken zu ertränken.”, drohte er mir scheinbar böse, fing aber in der selben Minute noch an zu lachen. Nach einer guten halben Stunde und etlichen weiteren Kabbeleien war das Färbemittel endlich in meine Haare eingezogen und war nun soweit, dass es ausgespült werden konnte. Eine kurze Zeit später saß ich mit fertig geföhnten Haaren stolz wie ein Schneekönig in Sagas Zimmer vor dem Spiegel und begutachtete meine neue Haarfarbe. “Und, wie gefällt´ s dir?”, wollte Saga wissen, der sich hinter mich gestellt hatte. “Absolut toll. Vielen Dank, echt! Das ist dir toll gelungen!” Ich kam aus den Lobeshymnen nicht mehr heraus, der Blonde wurde sichtlich verlegen und meinte schließlich: “Komm, ich bringe dich nach Hause.” Ich nickte und murmelte sarkastisch: “Auf in die Höhle des Löwen.” Kapitel 6: Träumen erlaubt? --------------------------- Hätte ich gewusst, welche Reaktion mich zu Hause erwartete, hätte ich mir das mit dem Haare färben vielleicht doch noch einmal überlegt. Mit sichtlichem Unwillen klingelte ich an der Tür, meine Mutter machte auf. Einen Moment lang musterte sie mich durchdringend, dann bemerkte sie Saga, der hinter mir stand und nun einen Schritt zur Seite getreten war, sofort erhellte sich ihr Gesicht. “Oh, hallo! Das ist aber nett, dass du kommst. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dich nicht zum Kaffee einlade, aber ich habe noch einiges zu tun und Kazamasa sollte eigentlich noch sein Zimmer aufräumen sowie Hausaufgaben machen.”, säuselte sie, mir lief es währenddessen kalt den Rücken herunter. Ich verabschiedete mich schnell von Saga, dann zog meine Mutter mich nach drinnen und schloss mit einem zuckersüßen Lächeln die Tür. Drinnen im Flur baute sie sich vor mir auf und schrie: “WAS ZUR HÖLLE FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN?!” Ich zuckte vor Schreck zusammen und hielt meine Hände schützend vor mein Gesicht, denn im nächsten Moment bekam ich die saftigste Ohrfeige meines Lebens verpasst. Tränen des Schmerzes stiegen mir in die Augen, ich unterdrückte sie jedoch mit aller Macht. “Mutter, es tut mir Leid… so etwas wird nicht mehr vorkommen.”, flüsterte ich mit gesenktem Kopf, fuhr aber hoch, als ich zum zweiten Mal geschlagen wurde. Diesmal gelang es mir nicht mehr, meine Tränen zurückzuhalten und so kam es, dass ich hinter vorgehaltener Hand zu weinen begann. “Kazamasa, weißt du überhaupt, wie viel wir in dich investiert haben? In deine Zukunft?! Wir haben alles versucht, damit du ein anständiger Junge wirst und immer schien es so, als würdest du das auch sein… aber jetzt?! Du hängst irgendwelchen falschen Träumen nach, die dein ganzes Leben zerstören werden!!! Siehst du nicht, dass wir, deine Eltern, auch darunter leiden?!”, rief meine Mutter und raufte sich dabei theatralisch die Haare. “Ist es denn nicht erlaubt, zu träumen?”, fragte ich leise. “Träume sind nicht immer zum Scheitern verurteilt. Durch Träume beginnt man, für das zu kämpfen, was man wirklich will… und in meinem Fall ist das, was mir vorschwebt, eine Karriere als Sänger- und nicht irgendeine langweilige Stelle als Unternehmensberater.”, fügte ich etwas selbstsicherer hinzu, meiner Mutter entgleisten alle Gesichtszüge. “Wie kannst du nur so etwas sagen?! Dein Vater… er hat sich bemüht, damit deine Zukunft gesichert ist! Er hat sich angestrengt, damit sein Bekannter dich einstellt, wenn du mit dem Studium fertig bist und du- du schlägst sein Angebot einfach in den Wind?! Verstehst du nicht, dass wir dich lieben und nicht wollen, dass du später um Geld betteln musst, weil du beruflich nicht auf eigenen Beinen stehen kannst?!”, kreischte sie hysterisch, ich lachte bitter auf und erwiderte: “Wenn ihr mich lieben würdet, würdet ihr mir nicht alle meine Freiheiten nehmen.” Zugegeben, als meine Mutter begann, zu weinen, tat sie mir schon etwas Leid, jedoch fuhr ich ungerührt fort: “Mir reicht es. Ich will nicht mehr eingekerkert sein und beim kleinsten Versuch, aus diesem Leistungszwang auszubrechen, bestraft werden. Ich gehe. Ihr braucht mich erst gar nicht zu suchen oder die Polizei schicken. Ich will nichts mehr von euch wissen.” Meine Mutter schluchzte theatralisch auf und rief dann: “Warum tust du mir das an?! Womit habe ich das verdient? Womit habe ich verdient, dass mein einziger Sohn mich so im Stich lässt?! WOMIT?!” Ich ging wortlos an ihr vorbei in mein Zimmer, um meine Sachen zu packen. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, hörte ich, wie meine Mutter vollkommen verstört im Flur auf und ab rannte und immerzu meinen Namen rief. Doch das löste kein Gefühl der Reue in mir aus, nein, ganz im Gegenteil. Mein Hass, der sich über die Jahre angesammelt hatte, verstärkte sich nur noch. Was für eine Erleichterung machte sich in mir breit, während ich die wichtigsten Habseligkeiten in meine Reisetasche stopfte und schließlich den Reißverschluss zog. Endlich raus hier… endlich raus aus diesem Gefängnis! Ich öffnete die Tür meines Zimmers wieder und strebte auf die Tür zu, als meine Mutter sich mir tränenüberströmt und völlig aufgelöst in den Weg stellte. “Du darfst nicht gehen… bitte nicht!”, wimmerte sie kaum hörbar, ich schob sie jedoch mit sanfter Gewalt zur Seite. “Lass mich.” Ungerührt von ihrem Schluchzen und Rufen schloss ich die Tür auf, trat heraus auf die Straße und knallte die Haustür ein letztes Mal zu. Meinen Hausschlüssel warf ich in den Briefkasten, dann ging ich die Straße herunter zum nahe gelegenen S-Bahnhof. Als ich dort angekommen war, traute ich meinen Augen kaum. Saga saß auf der Treppe vor dem Bahnhof und schien auf jemanden zu warten. Plötzlich hob er den Kopf, unsere Blicke trafen sich. “Saga? Was machst du hier?”, fragte ich erstaunt. “Das Gleiche frage ich dich!”, erwiderte der Blonde ebenso erstaunt und kam auf mich zu, um mich zu begrüßen. Im nächsten Moment erblickte er meine Reisetasche und nickte verständig. “Alles okay bei dir?” Ich versuchte mit aller Macht, die Tränen aus meinen Augenwinkeln zu verdrängen, doch es gelang mir nicht. “Kann ich… zu dir?”, schniefte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Dabei fasste ich aus Versehen an meine Wange, die noch immer von den Ohrfeigen meiner Mutter brannte und sog scharf die Luft ein. “Alles okay, Shou? Hat sie dich geschlagen?”, wiederholte Saga, ich nickte, unfähig zu antworten. Wütend trat der Blonde gegen einen nahe stehenden Mülleimer, der daraufhin scheppernd umfiel, dann nahm er mich in den Arm. Ich schmiegte mich fest an ihn, das erste Schluchzen erschütterte meinen Körper. “Shh, alles wird gut…… Alles wird gut… du musst nicht weinen.”, beruhigte der Kleinere mich, doch ich konnte meine Gefühle, die in diesem Moment einfach zu stark waren, nicht mehr zurückhalten. Ich bettete meinen Kopf auf Sagas Brust und weinte hemmungslos, während er mich immer fester an sich presste und mir beruhigend durch die Haare strich. Nach einer Weile hatte ich mich wieder beruhigt und löste mich von dem Blonden, um meine Reisetasche vom Boden aufzuheben. “Hast du auf mich gewartet?”, wollte ich von Saga wissen, der Angesprochene nickte und erklärte: “Ja, ich wusste, dass da etwas nicht stimmt und dann dachte ich mir, vielleicht kommst du ja vorbei.” Ich versuchte ein Lächeln und legte meine Arme um den Blonden. “Danke.”, seufzte ich und schloss erleichtert die Augen. “Ich wüsste nicht, was ich ohne dich…” Die letzten Worte blieben mir im Hals stecken, als Saga mich küsste. Seine Lippen ruhten für einen Bruchteil einer Sekunde auf den meinen, dann löste er den Kuss auch schon wieder und drehte sich beschämt um. “Tut mir Leid… ich hoffe, du bist nicht sauer.”, wisperte er. Ich kämpfte währenddessen verzweifelt um Fassung und versuchte, meine Sprache wiederzuerlangen, was mir nach einigen Minuten auch gelang. “A- ach was… mach dir nichts draus.”, stammelte ich schließlich und setzte ein schiefes Lächeln auf, bei dem meine Mundwinkel unentwegt zuckten. “Gehen wir?”, brach Saga schließlich das unangenehme Schweigen zwischen uns, ich nickte befangen. “Okay, gehen wir.”, stimmte ich schließlich zu und folgte dem Blonden zum S-Bahngleis. “Tut mir wirklich Leid, dass du wegen mir so viel Ärger am Hals hast. Du musst wirklich sauer auf mich sein.”, murmelte dieser schließlich, als wir nebeneinander in der S-Bahn saßen. Ich schüttelte verärgert den Kopf und entgegnete: “Ach was, mach dir deswegen keinen Kopf. Warum sollte ich sauer auf dich sein? Immerhin hast du mir gezeigt, was Freiheit ist… oder du hast mir meine Freiheit wiedergegeben. Das ist mir viel wert… Also wäre es doch lächerlich, wenn ich jetzt auf dich sauer wäre, oder findest du nicht?” Lange war der Blonde still, dann meinte er: “Aber dieser Ärger hätte nicht sein müssen. Das hätte dir auch einiges erspart.” - “Ach, red nicht so einen Mist. Früher oder später wäre es doch so gekommen… man kann das nicht ewig ertragen.” Der Rest der Fahrt verlief in Stille, auf einmal fühlte ich mich unheimlich müde, mein Kopf sank auf Sagas Schulter. Zuerst verspannte der Blonde sich, dann begann er, mir vorsichtig durch die Haare zu streichen. Kurz darauf stiegen wir aus der S-Bahn und machten uns auf den Weg zu Sagas Wohnung. Als wir das Bahnhofsgebäude verlassen hatten, stellte der Kleinere mir die Frage, die ich befürchtet hatte: “Wie soll es weitergehen?” Ich seufzte schwer, dann antwortete ich: “Keine Ahnung. Fürs Erste kann ich doch hoffentlich bei dir bleiben… aber ich habe schon vor, mit meinen Eltern zu reden, wenn sie sich wieder beruhigt haben.” Der Blonde gluckste amüsiert. “Ich hatte jetzt eher gedacht, dass du fragst, ob meine Mutter dich adoptieren kann.”, flachste er. “Gar keine so schlechte Idee…”, murmelte ich nachdenklich und grinste dabei. “Na ja, Spaß beiseite. Willst du meiner Mutter vielleicht erzählen, was passiert ist?”, fragte Saga schließlich, ich schüttelte heftig den Kopf und rief: “Ach wo! Ich will sie nicht auch noch mit meinen Probleme nerven…” Saga grinste und knuffte mich freundschaftlich in die Seite. “Willst du damit etwa sagen, sie hätte mit mir schon genug Probleme am Hals?!”, fauchte er gespielt empört. “So habe ich das auch wieder nicht gemeint…”, verteidigte ich mich, doch der Blonde ließ nicht locker. “Du lügst, Shou-chan~”, säuselte er und zog meinen Namen lächerlich in die Länge, woraufhin ich meine Tasche auf den Boden fallen ließ, die Arme in die Hüften stemmte und vorgab, zu schmollen. “Na und? Ist doch so.”, flüsterte ich und hoffte inständig, Saga habe es nicht gehört. Doch dem war leider nicht so, denn im nächsten Moment musste ich einen Blitzstart hinlegen um dem Blonden zu entkommen, der mich anscheinend auf offener Straße durchkitzeln wollte. Ich flüchtete in einen Hauseingang, in der nächsten Sekunde stand Saga vor mir und versperrte mir den Ausgang. “Hab ich dich…”, schnurrte er, legte einen Arm um meine Hüfte und zog mich an sich. Unsere Gesichter kamen sich immer näher, ich war wie hypnotisiert von den Augen meines Gegenübers, die mich unentwegt fixierten. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren konnten, ging die Haustür hinter uns auf, wir fuhren auseinander. “Oh, Entschuldigung…”, flötete Saga mit seinem süßesten Lächeln, als eine ältere Frau an uns vorbeiging und uns missbilligend musterte. Eine kurze Zeit später saßen wir auf Sagas Bett, ich blätterte in einer Zeitschrift, während der Blonde sichtlich konzentriert Bass spielte. Als ich ihn so beobachtete, wie er vollkommen versunken in der Musik war, musste ich leicht lächeln, legte meine Zeitschrift beiseite und begann, eine einfache Melodie zu summen. Plötzlich bildete sich ganz von alleine in meinem Kopf ein vollkommenes Konzept für ein Lied, ich stutzte und sah Saga an. “Ich habe gerade eine Idee für ein Lied gehabt!”, rief ich erstaunt aus, der Blonde lächelte. “Na dann- schreib die Idee auf.”, forderte er mich auf und reichte mir ein Blatt Papier sowie einen Stift. Anfangs zögerte ich noch, doch irgendwann schrieb ich automatisch, ohne zu denken, Noten und Text auf das Papier. Innerhalb von wenigen Minuten hatte ich mein erstes “richtiges” Lied geschrieben und ab diesem Moment quoll mein Kopf nur noch so über von Ideen. So kam es, dass ich den ganzen Nachmittag damit verbrachte, Lieder zu komponieren und darüber völlig vergaß, meine Hausaufgaben zu machen. Erst spät am Abend fiel mir siedend heiß ein, dass ich meine Hausaufgaben in meiner Begeisterung vollkommen unterschlagen hatte. Unsicher sah ich zu Saga herüber, der sich auf seinem Bett ausgebreitet hatte und einen ziemlich entspannten Eindruck machte. “Sag mal, hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?”, wollte ich nach einem kurzen Zögern wissen. “Nein, wieso?”, kam es zurück, ich grinste. “Ich auch noch nicht. Wollen wir sie zusammen machen?”, bot ich dem Blonden an, er nickte enthusiastisch. “Klar doch.” Ich stand vom Bett auf, holte meine Schulsachen und ließ mich auf den Boden vor dem Bett fallen, wo ich mich ordentlich im Schneidersitz positionierte und mein Hausaufgabenheft aufschlug. In Anbetracht der vor mir liegenden Arbeitsmenge stöhnte ich einmal genervt auf, fügte mich dann aber und machte mich pflichtbewusst an die Arbeit. Saga tat es mir nach, jedoch beschwerte der Blonde sich viel öfter als ich es tat. “Das nervt… wer braucht schon diese bescheuerten Flächenextreme?”, regte er sich auf, als er das Mathematikbuch aufschlug, ich musste schadenfroh grinsen. “Hab ich schon gemacht.”, zog ich ihn auf, er seufzte. “Streber…”, murmelte der Kleinere resigniert, machte sich dann aber trotzdem an die Arbeit. Es verging eine ganze Weile, bis wir die Arbeit beendet hatten und unsere Schulsachen erschöpft seufzend in die dafür vorgesehenen Taschen packten. “Kommst du zu mir ins Bett, Shou? Ich möchte etwas kuscheln…”, nuschelte Saga in sein Kissen, ich schnaubte gespielt empört. “Ach, kuschel´ doch mit dir selbst. Ich bin jetzt faul.”, erwiderte ich, der Blonde sah hob den Kopf und sah mich mit einem entwaffnenden Hundeblick an. “Ach, komm schon. Bitte~”, wiederholte er, ich lenkte ein: “In Ordnung, du hast gewonnen.” Ächzend erhob ich mich vom Boden und kletterte zu dem Kleineren ins Bett, der sofort wieder hellwach schien. “So, hier bin ich jetzt.”, stellte ich leicht gelangweilt fest, Saga kicherte. “Allerdings. Kuscheln? Jetzt sofort?”, verlangte er dann, ich schlug mir die Hand vor die Stirn. “Mein Gott, jetzt sei doch nicht so ungeduldig.”, maulte ich und fuhr fort: “Ich muss es mir hier doch erst einmal gemütlich machen. Hat ja nicht jeder so ein schmales Bett wie du.” Der Blonde neben mir grinste dreckig und zwirbelte eine meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. “Das hat ja auch so seine Vorteile.”, schnurrte er, ich stöhnte geschlagen auf: “Kannst du nicht ein einziges Mal an was anderes denken?” Saga trieb es sogar noch ein bisschen weiter, als er sich zu mir vorbeugte und mir lasziv ins Ohr säuselte: “Wenn du neben mir liegst, ist das völlig unmöglich…” Daraufhin rutschte ich etwas zurück, vergaß aber, dass ich schon ziemlich nahe am Bettrand lag und küsste mit einem lauten Krach den Boden, während Saga sich auf die Zunge beißen musste, um nicht laut loszulachen. Schließlich konnte er sein Lachen nicht mehr zurückhalten und prustete los. Der Blonde lachte einige Minuten ohne Unterbrechung, bevor er einmal tief Luft holte und dann seinen Kopf im Kissen vergrub, um weiterzulachen. Irgendwann hörte man nur noch ein ersticktes Kichern, dann tauchte sein Kopf wieder aus dem Kissen auf. “Sorry… hast du dir wehgetan?”, wollte der Kleinere schuldbewusst wissen, ich lächelte schief. “Nein, nicht wirklich…”, entgegnete ich und stand auf. “Kann ich mich wieder zu dir legen, ich möchte nämlich nicht die ganze Nacht auf dem Boden kampieren.”, erläuterte ich dann. “Klar kannst du… ich zieh mich nur noch um.”, bejahte Saga und schwang die Beine über die Bettkante. Ich kramte in meiner Tasche nach meinen Schlafshorts und meinem Schlafshirt, während der Kleinere sich ebenfalls seiner Kleidung entledigte und in ein riesiges T-Shirt schlüpfte. Als er damit fertig war, drehte er sich zu mir um und meinte mit einer gehörigen Prise Selbstironie: “Sexy, oder?” Ich nickte und hielt einen Daumen hoch: “Absolut sexy. Heißer geht´ s nicht.” Saga ließ mich freundlicherweise zuerst ins Bett schlüpfen, da er der Meinung war, ich solle bei meinem Talent, aus dem Bett zu fallen, lieber auf der Wandseite schlafen. Als der Blonde selbst im Bett war, legte er einen Arm um mich, löschte das Licht und wenige Minuten später konnte ich seinen gleichmäßigen Atem hören. Der schläft aber schnell ein, dachte ich amüsiert und schloss selbst die Augen. Kapitel 7: Lass dich nicht unterkriegen! ---------------------------------------- Die nächste Woche verlief recht ruhig und so kam es, dass wir uns am Freitag alle bei Nao einfanden, um die verschiedenen vorgelegten Entwürfe für Lieder durchzudiskutieren und zu perfektionieren, was allerdings ein großes Chaos heraufbeschwor. Ich seufzte leise, während Saga und Tora sich gerade über einen Gitarren-Part in die Haare kriegten und sich lautstark beschimpften. “Nein, das geht nicht so! Das hört sich sonst vollkommen idiotisch an!? So einen Mist kannst auch nur du schreiben, Sakamoto!”, motzte Tora, Saga funkelte ihn erbost an. “Ach ja?! Schau dir doch mal deine Parts an- das hört sich ja alles an wie Katzenjammer!”, schlug er zurück. Nao, Hiroto und ich saßen einige Minuten lang etwas verwundert neben den Streitenden auf dem Boden und sahen einander verwirrt an. Als Nao auch noch begann, mit den Ohren zu wackeln konnte ich mich nicht mehr beherrschen und lachte laut drauflos. Verdutzt sahen Saga und Tora von ihrer Streiterei auf, Nao kicherte und begann abermals, mit den Ohren zu zucken, was uns allen bald hysterische Lachanfälle bescherte. “Oh Gott, Nao… hör… bitte auf…!”, keuchte Saga völlig atemlos und vergrub gleich darauf wieder sein Gesicht in seinen Händen, um weiterzulachen. Irgendwann hatten wir uns alle wieder beruhigt und konnten mit unserer Arbeit fortfahren. Nach einer weiteren Stunde hitziger Diskussionen stand endlich unser erstes Lied fest und ich fühlte mich, als würde meine Brust vor Stolz zerspringen. Danach ging die Arbeit viel schneller voran und als wir uns um 22 Uhr von Nao verabschiedeten hatten wir schon fünf Lieder zusammen geschrieben. Zu Hause bei Saga fiel ich todmüde ins Bett und war sofort eingeschlafen, also erschrak ich mich fürchterlich, als irgendwann gegen Mitternacht mein Handy klingelte. Der Blonde schlief schon, also tastete ich im Dunkeln nach meinem Handy und nahm ab. “Ja, Kohara Kazamasa hier.”, meldete ich mich flüsternd. “Kazamasa- Schatz? Wie geht es dir?”, hörte ich die Stimme meiner Mutter am anderen Ende der Leitung und wollte gerade auflegen, als sie weiter sprach: “Bitte leg nicht auf! Ich will wirklich mit dir reden!” Ich seufzte, kletterte über den schlafenden Saga hinweg und stellte mich ans Fenster. “Mutter, das ist eine echt schlechte Zeit, um mich anzurufen. Ich bin müde.”, erklärte ich und unterdrückte ein Gähnen. “Kazamasa, es tut mir so Leid, wie ich dich behandelt habe. Du fehlst mir so!”, jammerte meine Mutter theatralisch, ich seufzte abermals. “Dankeschön… aber ich fürchte, falls ich zurückkommen sollte, wird es nicht besser als vorher. Ich bin jetzt nämlich in einer Band.”, erwiderte ich, es war einige Sekunden lang still, bevor meine Mutter sich wieder vom ersten Schrecken erholt hatte. “Oh… das… ich wünsche euch viel Erfolg. Ich hoffe, dass wir uns vielleicht irgendwann doch sehen können. Gute Nacht.”, beendete sie das Gespräch schließlich, ich verabschiedete mich ebenfalls und legte auf. Ich ließ mein Handy auf den Boden fallen und setzte mich auf Sagas Schreibtischstuhl. “Scheiße!”, fluchte ich halblaut, gleich darauf ertönte ein unwilliges Knurren aus Sagas Richtung. “Was´ n jetzt los?”, nuschelte der Blonde ins Kissen, als er jedoch bemerkte, dass ich nicht mehr neben ihm lag, stand er auf. “Alles in Ordnung, Shou?”, fragte er dann in die Dunkelheit hinein, ich seufzte leise: “Na ja…” “Klingst ja sehr begeistert.”, stellte Saga ironisch fest, ich lachte bitter. “Also bitte. Zwing mich nicht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen wenn gerade meine Mutter angerufen hat.”, erwiderte ich leicht gereizt. “Oh, tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verärgern.”, rechtfertigte der Blonde sich, ich seufzte abermals. “Schon in Ordnung. Ich weiß, dass du das nicht böse gemeint hast.”, lenkte ich ein und schlug dann vor: “Lass uns wieder ins Bett gehen, ja?” Unglücklicherweise konnte ich es nicht vermeiden, dass meine Stimme zum Satzende hin immer leiser wurde und mein Blick sich gen Boden richtete. “Nicht jetzt. Du könntest sowieso nicht schlafen, also erzähl mir jetzt lieber, warum du auf einmal so unsicher bist, ob du das hier überhaupt willst.”, bat Saga mich, ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, der sich innerhalb der letzten Minuten gebildet haben musste. “Ich weiß es einfach nicht… ich habe keine Ahnung mehr, was das Richtige für mich ist. Klar, ich will Sänger werden und meine eigene Meinung haben, aber irgendwie habe ich mir das Ganze einfacher vorgestellt.”, antwortete ich, der Blonde lachte bitter auf: “Also bitte… es ist nie einfach, sein eigenes Ding durchzuziehen. Das habe ich auch schon bemerken müssen.” “Kann einem das scheiß Leben nicht einmal entgegenkommen?”, brauste ich auf und schlug mir im nächsten Moment die Hände vors Gesicht, da mir die Tränen kamen. “Hey Shou, nicht weinen. Alles, was dich nicht zum Aufgeben bringt, macht dich nur stärker. Du wirst deine Träume schon noch erfüllen können.”, beruhigte Saga mich, ich sah ihn erstaunt an. “Glaubst du, ich kann das?”, fragte ich ihn, der Blonde nickte: “Ich glaube an dich.” Leicht verwirrt zuckte ich mit den Schultern und meinte dann: “Na ja, wie du meinst. Ich weiß zwar nicht, warum du ausgerechnet an mein Können glaubst, aber bitte, wenn du dir so sicher bist.” Mein Gegenüber zuckte ebenfalls die Schultern, sah mich dann aber ernst und eindringlich an. “Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass du selber daran glaubst, was du kannst. Solange du selbst nicht davon überzeugt bist, wird es bestimmt nicht klappen, kapiert?”, sagte er daraufhin in bestimmtem Ton und ich konnte nicht anders, mir den hübschen Blonden als Lehrer vorzustellen. Innerlich lachend behielt ich diese Vorstellung für mich und nickte aufrichtig. “Ich glaube, ich habe verstanden, was du meinst. Ab jetzt werde ich mich nicht mehr von solchen Lappalien runterziehen lassen.”, schloss ich, Saga wirkte zufrieden, denn er kroch wieder ins Bett, ich folgte ihm. “Na dann, schlaf gut und genieße dein neues Selbstvertrauen.”, murmelte er, doch ich war schon halb im Schlaf, also erwiderte ich nur: “Nacht…” und war auch gleich darauf eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)