Home Outing von Serpentia (DieXKao; devoted to "Glass skin") ================================================================================ Kapitel 5: 1.5 -------------- Sie fanden seinen Vater genau so, wie Die ihn in seiner Erinnerung als abschreckendes Beispiel behalten hatte. Kurz nach 12 mittags auf dem am weitestem verstecktesten Barhocker an der Theke einer Kneipe, die kaum geöffnet hatte. Den breiten Rücken krumm nach vorne gebeugt stützten sich zwei breite Arme je auf eine Seite des Bierkruges. An den ruhigen und müden Verhalten des alten Boxers erkannte Die, dass es noch nicht zu spät war um ein einigermaßen nüchterndes Gespräch zu führen. Zumindest den Anfang eines solchen. „Was für ein Klischee“, murmelte er ärgerlich, um sich davon zu entfremden. Es war ihm peinlich, dass Kaoru das mitansehen musste, aber dann hatte es keine andere Möglichkeit gegeben, denn die alte Wohnung seines Vaters war neu bezogen und die Nachmieter hatten keine Adresse gehabt. „Irgendwo müssen die ja geboren werden“, sagte Kaoru und fühlte sich fehl am Platz, er lief einen Schritt hinter Die, fest entschlossen nicht weg zu gehen, aber nicht sicher was er wann wie machen sollte. Die Barmann erkannte Die wohl von früher und tippte den Vater an, um ihn auf den nahenden Sohn hinzuweisen. Der hob erst desinteressiert seinen Kopf, dann aber, als Die nah genug gekommen war um ohne Brille erkannt zu werden, erhellte sich das trübe, faltige Gesicht. Weder Die noch Kaoru kamen aber nicht darum hinweg die dunklen Augenringe, die dicken Adern am Hals und anderen Spuren des häufigen Alkoholkonsums. Der Vater war von breiter Statur, bei der jedoch nur der stämmige Nacken an den früheren Sportlerruhm entfernt erinnerte. Die Muskeln hatten sich in Fett verwandelt und das Fett, das unter der grauen Haut lose von den Knochen herunterhing, war durch den Alkohol aufgedünstet. Das war Kaorus erster Eindruck und er fragte sich, wie dieser Mann nun wohl für Die aussah, der nach all den Jahren immer noch eine Respektperson vor sich stehen hatte. „Mein Sohn! Was für eine Ehre!“, rief der Vater und rutschte vom Hocker, empfing Die mit offenen Armen. Als er so aufrecht ging und seinen sich sträubenden Sohn in eine Umklammerung zwang, erkannte Kaoru, dass sein Freund dessen Größe väterlicherseits geerbt hatte. Der Vater war mehr als nur einen Kopf größer als Kaoru und sah einfach über ihn hinweg, ignorierte, dass noch eine Person in die sonst leere Kneipe getreten war, bis Die sie mit Nachdruck vorstellte. Auch dann streifte ihn nur ein Blick mit einem Nicken sollte wohl zeigen, dass er zur Kenntnis genommen worden war. Der alte Mann schien sich nicht mehr auf vieles konzentrieren zu können. „Auf das unverhoffte Wiedersehen!“, rief der Vater und wandte sich sofort mit erhobenem Arm an den Barmann, „Komm, gib uns was zum Feiern.“ Die griff nach dem Arm und drückte ihn sanft nach unten. „Lass, wir trinken nichts.“ „Ach, sei doch kein Mädchen“, wurde er ausgelacht, „Das geht auch auf meinen Deckel. Ich hab dir ja wohl beigebracht zu trinken wie ein Mann, oder nicht?“ Geschockt von der Extremität der Situation starrte Kaoru auf die beiden. Es war flacher als jeder Film, aber dennoch waren sie da. Der trinkende Vater und der Sohn, der sich rechtfertigen musste. Die Kneipe war ansonsten leer, nur eine Bedienung huschte ab und zu von der Terrasse, wo einige Leute zum Mittagessen saßen, zur Theke, wo der gelangweilte Barmann in Zeitlupe Cola und Wasser auf die Tabletts stellte. Es war fast dunkel, denn es gab kaum Fenster. Die großen Leuchten an der Decke waren soweit gedimmt, dass man sich bequem verstecken konnte, wenn man denn wollte. „Wirklich, Vater“, drängte Die ihm vom Bestellen ab, „Ich möchte mit dir reden. Lass uns woanders hingehen.“ Kaoru sah, dass sein Freund in Bedrängnis war. Wie schwer es ihm fiel sich durchzusetzen, bei so einer Kleinigkeit, wo er doch sonst so schnell einen Kompromiss zur Hand hatte. „Da bist du so weit gekommen, nur um mit mir zu reden“, lachte der Vater hämisch, „Und dann hast du nicht mal Zeit um mit deinem Alten ein Bier zu trinken. Ihr in Tokyo habt wohl vergessen, wie man sich benimmt.“ Die drehte genervt seinen Kopf weg, er wollte das hier schnell hinter sich bringen, obwohl er gleichzeitig wusste, dass es niemals schnell gehen würde, konnte. Seine Beteuerungsversuche waren bedeutungslos, denn sein Vater bestellte und benutzte Kaoru als Druckmittel um beide Männer zum Hinsetzen zu bewegen. Kaoru ließ sich mit einem fragenden Blick zu Die auf den Hocker drängen, allein schon um der Alkoholfahne zu entkommen, die dem alten Mann bei jedem Atemzug entfuhr. Seufzend setzte sich Die zwischen sie. Sein Vater hatte sich nicht verändert, natürlich nicht. Das hier war Mie, Dinge veränderten sich hier nur sehr langsam und je älter die Menschen, desto weniger ließen sie sich beugen. Die gekrümmte Gestalt, die sie in der Kneipe mit ihrem Anblick empfangen hatte, war aus dem alten Boxer verschwunden. Wohl weil er wusste, dass er nicht mehr allein war, streckte er seinen Rücken, sprach er mit lauter, kräftiger Stimme, die noch die gleiche Autorität beinhielt, die Die als Kind gleichermaßen gefürchtet und bewundert hatte. „Wo wohnst du jetzt?“, fragte er als erstes, weil es das naheliegenste Thema war. „Direkt hier oben“, antwortete sein Vater und zeigte mit seinem Finger nach oben gerade auf die Decke zu, „Yuumi und die kleine sind gerade nicht da. Sind beim Kinderarzt. Unsere Süße ist andauernd krank, immer diese Wehwehchen mit den Frauen. Das ist dir nicht passiert, du warst schon immer ein starker Mann. Selbst als du noch in Windeln gekackt hast.“ Das Lachen seines Vaters war tief und kehlig, doch so laut und herzhaft es auch war, endete es trotzdem in einem schrecklichen Hustanfall. Fast wäre Die aufgestanden um seine Hand auf die Schulter zu legen, aber dann hielt ihn Ekel zurück, diesen Körper wollte er nicht berühren. Was bewegte die jüngere Freundin seines Vaters nur dazu mit so einem Menschen zusammen zu sein? Es war nicht das wenige Geld, das der alte Boxer und Schullehrer Stück für Stück in Flüssigkeit umtauschte, oder? „Was ist? Trinkt ihr nicht?“, fragte der Vater fordernd und zeigte auf die Bierkrüge, die vor den beiden jungen Männern standen, dann nutzte er seinen um herunter zu spülen was auch immer gerade durch den Husten in seinen Hals gerutscht war. „Nein.“ An der bewusst kontrollierten Atmung erkannte Kaoru, wie schwer es Die fiel dieses Wort des Widerspruchs auszusprechen. „Warum zeigst du uns nicht deine neue Wohnung?“, fragte er dann hoffend, dass er dort das Gespräch führen könnte, wegen dem er eigentlich hier war. Er musste es hinter sich bringen, das war er Kaoru und vor allem sich selbst schuldig. Auf keinen Fall würde er wieder gehen, unverrichteter Dinge, nur um seinen Vater in dessen Elend ertrinken gesehen zu haben. „Die ist recht klein für drei von uns“, kam die gegrummelte Antwort. „Ich denke, ihr lebt da zu dritt“, entgegnete Die und schob das Bier angewidert von sich. Es war nicht das Bier selbst, das er sonst gerne mochte, sondern die Situation, die den Ekel konstant hielt. Dieser Ekel aber half um etwas Abstand zu gewinnen, Abstand, der dringend nötig war um das kleine Stück Selbstbewusstsein aufrecht zu halten. Er durfte sich das alles nicht so nahe kommen lassen. „Was willst du so dringend mit mir bereden, hä?“, machte der Vater und drehte sich mit sauerem Gesicht weg, „Haust ab und kommst wieder wie es dir gefällt und jetzt hast du mir was zu sagen.“ Der Bierkrug wurde von der großen Hand hochgehoben und geneigt, das goldene Wasser strömte in den hässlichen Mund bis der Glasboden mit Gewalt auf die Theke geknallt wurde. „Also gut, gehen wir.“ Der Vater stand auf und ging zur Tür, wobei Die einen Moment brauchte um zu realisieren, dass sein Drängen diesmal Erfolg gehabt hatte. Vorsichtig stand er vom Hocker auf, um zu folgen, doch vorher hielt ihn Kaoru am Handgelenk fest. „Ich warte hier“, sagte er mit dieser ruhigen Stimme, von der Die wusste, dass sie aufgesetzt war, und sich trotzdem davon einlullen ließ. „Halt dein Handy bereit, damit du anrufen kannst, wenn du musst. Ich bin ganz schnell da.“ Während er sprach rutschte seine Hand langsam hinunter zu Dies und er drückte diese fest. Sie hatten dieses Szenario durchgesprochen und geplant. Die wollte nicht, dass Kaoru dabei war. Etwas, auch wenn es nur dieses bisschen war, wollte er alleine schaffen. Darum nickte er und streichte Kaoru am Hals entlang. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass sein Vater schon außer Sichtweite war, dann beugte er sich vor und küsste Kaoru, sanft und kurz. „Bis gleich“, lächelte er um sich selbst aufzumuntern und sein Freund erwiderte mit einem sorgenvollem: „Pass auf dich auf.“ Die neue Wohnung seines Vaters war noch kleiner als die alte Zwei-Zimmerkammer, die er davor mit seiner Mutter bewohnt hatte. Dies Mutter war jetzt in Tokyo und genoss ihr neues Leben nur einige Häuserblöcke von ihm selbst entfernt, der Vater aber steckte in dieser Bude mit einer jüngeren, aber nicht mehr ganz jungen Frau und einem Baby. Es gab nur ein Zimmer, das in Küche und Schlafraum aufgeteilt war, mit einem separatem Badezimmer und Toilette. Dafür waren die Fenster an einer Wand entlang sehr breit und ließen viel Licht herein, weswegen es gerade zur Mittagszeit fast freundlich aussah, auch wenn es ein wenig roch in diesem Chaos. Beim Bett stand der gleiche, breite Fernseher auf dem Die seinen ersten Horrorfilm gesehen hatte. „Das ist alles was die Rentenkasse einem Schulveteranen anbietet“, schimpfte der Vater und schob die Schuld von sich weg, „Ohne Unterstützung verreckt man heute als Alter. Aus ist es mit dem Respekt.“ Die brummte monoton, sodass er antwortete ohne sich für Zustimmung oder Widerstand entscheiden zu müssen. Es war hart gewesen „Nein“ zu einem Bier zu sagen unten in der Kneipe mit Kaoru hinter sich, aber hier in der Privatsphäre, im Reich seines Vaters fühlte er sich schwach. Während des Schimpfens hatten die Augen des Boxers wieder geblitzt, die hatten nichts an Drohung oder Kraft verloren. Sie waren so einschüchternd wie eh und je, machten Die wieder zu dem kleinen Jungen, der sich vor allem fürchtete: Vor der Autorität und Kraft in Stimme, Blick und Arm. Ihn vollkommend ignorierend schaltete der Vater den Fernseher an und sofort schrie ein Sportreporter durch das unordentliche Zimmer. Die befand ihn wieder einmal für einen Egoisten. Nur jemand, der zu tief in seiner eigenen Welt lebte konnte sich benehmen, als wäre sein Sohn nicht da, als wäre er hierher gekommen, weil er vom Bett aus Boxen live sehen wollte, nicht auf das Drängen und Bitten von jemanden. Die sah den Fleischklotz von Rücken vor der flimmernden Scheibe. Man solle den Rücken guter Männer folgen. So sagte man doch, oder nicht? Wie lange war er diesem Rücken gefolgt, der dort auf dem Bett saß, hatte ihn bewundert und alles getan um es ihm Recht zu machen? Es hatte lange gedauert bis er es geschafft hatte vor sich einzugestehen, dass sein Vater nicht immer im Recht war, denn es hatte bedeutet, alle Fehler einzugestehen, die er übernommen hatte. Die Figur seines Vaters vor dem Fernseher, eine Bierflasche daneben. Dieses Bild war auf seiner Netzhaut eingebrannt. Warum hatte er es so lange mitangesehen? Es so lange mit gemacht und war dann nur feige nach Tokyo geflohen, statt es ordentlich zu erledigen, zu klären; was auch immer das gewesen wäre. Zumindest hätte er seine Mutter direkt mitnehmen sollen statt sie weiter dem Zusammenleben mit diesem cholerischen Mann auszusetzen. Wie hatte er das eigentlich mit einem so guten Gewissen gekonnt? Einfach so, das war wohl die Antwort. Weil er nichts anderes gekannt hatte. Dass Väter Kinder nicht schlagen durften, dass Ehefrauen nicht immer unter ihren Männern leiden mussten, hatte er rein theoretisch gewusst, aber das hatte nie für seine Familie gegalten. Seine Mutter hatte schon immer den Kopf gebeugt und sich in den Schlaf geweint, sein Vater war schon immer der Stärkste gewesen. Das war ganz normal. Darum hatte er auch nie daran gedacht, dass er zurückschlagen könnte, wie Takeo damals. Selbst als er selber Sportler wurde, Bester seines Clubs und der ganze Stolz der Mannschaft, hatte er nicht zurückschlagen können. Seine Stärke hatte ihm gegen den Vater nichts genützt, denn sie war ja nur da um von gerade dem beurteilt zu werden, vom Sportlehrer der einzigen Oberschule im Umkreis. Um den Stolz und die Männlichkeit seines Vaters auch nur annähernd zu erreichen. Er würde sich davon befreien, indem er jeden Stolz und jede Männlichkeit, die ihm hier angemessen werden konnte, aufgab. Er tat es nicht nur für Kaoru oder für die volle Anerkennung ihrer Beziehung, sondern er benutzte es gerade als Grund um sich mit seinem Vater zu brechen, ihm zu präsentieren, dass er nicht war, wie er erzogen worden war. Jahre hatte er seine Homosexualität mit sich herumgetragen, quer durch die Welt offen damit gelebt, nur nicht hier in Mie. Mie war der Grund gewesen, warum da doch ein bisschen Scham geblieben war, warum er sich hin und wieder fragte, ob es falsch war. Richtig war es auf keinen Fall, dessen war er sich sicher, aber das Gewissen, das ihm sein Vater eingeprügelt hatte, sprach von menschlichem Defekt, Unvollkommenheit. „Was hälst du von Kaoru?“, sprach er in den Raum hinein, brachte aber keine Reaktion von seinem Vater hervor. Der Fernseher brüllte lauter als er, aber Die traute sich nicht zu nah an den sitzendem Mann heran zu gehen, um die Lautstärke zu verringern, darum wiederholte er seine Frage lauter. Diesmal zuckte der Vater zumindest mit den Schultern. „Hat einen guten Blick, der Junge. Starken Blick.“ Das Kommentar kam mit so einer festen Überzeugung als hätte er tatsächlich Ahnung wie Kaorus Augen aussahen, aber Die hatte sich geschworen keine Aussage von ihm mehr als wahr aufzufassen. Zu tief lag die Enttäuschung der letzten Jahre. „Er arbeitet mit mir zusammen“, presste Die heraus, die Luft war dick und es stank, das Atmen war schwer. Darum hatte er auch nicht das sagen können, was er sagen wollte. Sollte er überhaupt noch? Ja, er musste. Aber war es das wert? Seinen Seelenfrieden hin oder her, war der den Ausbruch wert, der kommen würde? Die Verachtung, die Enttäuschung. Was für einen Unterschied machte es für den alten Mann hier, ob er es wusste oder nicht? Es konnte ihm nur schaden und so sehr sich Die Rache wünschte für alles, was er in seiner Jugend erfahren hatte, so hinter seinem Vater zu stehen und zu wissen, dass er mit einem Geständnis jede Erachtung verlieren konnte, machte ihm Angst. Im Grunde hatte Kaoru mit seinem Vater und anders herum nichts zu tun, er tat das hier also wirklich nur für seine eigene Befriedigung. Wollte er nicht auf die verzichten und hinunter zu Kaoru gehen, den sonnigen Wintertag genießen. Er holte tief Luft. Je weniger Gedanken er sich um einen Rückzieher machte, desto eher kam er hier raus. Wille, wenn er eins hatte, dann war es sein blanker Wille seine Sache durchzuziehen und den nahm er nun zusammen. Ihm war heißkalt, das Atmen war schwer vor Aufregung als er es endlich aussprach. „Kaoru und ich sind zusammen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)