Eisfeuer von Ur (Oneshots | Seto x Joey) ================================================================================ Kapitel 4: Stolz überwinden --------------------------- Es war ungewohnt. Sehr ungewohnt. Zwei Jahre lang hatte er in einer mehr oder weniger festen Beziehung gelebt und jetzt war er plötzlich wieder Single. Natürlich hatte er diesen Umstand seiner eigenen Entscheidung zu verdanken und alles in allem war es nicht so schlimm, wie er gedacht hatte. Zwei Jahre Hin und Her, zwei Jahre Beleidigungen, Belastung, Achterbahnfahrt… Und nicht ein einziges Mal hatte er etwas in der Richtung gehört wie »Ich mag dich« oder gar »Du bist mir wichtig«. Natürlich nicht. Wenn man mit Seto Kaiba liiert war, dann durfte man solche Unmöglichkeiten nicht erwarten. Joey schob sich seinen Kugelschreiber zwischen die Lippen und runzelte die Stirn, während er einige Sätze seines Protokolls durchstrich. Das Studentendasein war angenehm, auch wenn ihm die Klausuren und das Lernen dafür gehörig auf den Wecker gingen. Aber immerhin hatte er die Aufnahmeprüfung bestanden – nicht zuletzt mit Setos Hilfe – und studierte nun im dritten Semester Tiermedizin. Er machte ein paar Notizen und fragte sich dunkel, wieso er damals überhaupt angefangen hatte, mit Kaiba anzubandeln. Irgendwann hatten sie sich nach einem heftigen Streit geküsst. Und dann hatten sie sich zwei Wochen gar nicht mehr gesehen, bis Seto vor seiner Tür aufgetaucht war und ihn erneut so heftig geknutscht hatte, dass Joey beinahe die Luft weggeblieben war. Seto war immer öfter gekommen. Und dann hatte Joey irgendwann gesagt, dass er auf dieses schweigende Knutschen keine Lust mehr hatte und Seto sich ausmehren sollte, ob er eine Beziehung versuchen wollte, oder nicht. Er lachte schnaubend auf, als er sich daran erinnerte, wie Seto ihm daraufhin einen Vertrag auf den Tisch geknallt hatte. Typisch für den millionenschweren Geschäftsmann hatte der Vertrag Dinge enthalten wie »Keinen übermäßigen Kontakt in der Öffentlichkeit…«. Joey hatte nicht unterschrieben und wundersamer Weise waren sie trotzdem ein Paar geworden. Er hatte sich nichtsdestotrotz an die meisten Punkte im Vertrag gehalten. Vielleicht aus Angst, Seto zu verlieren. Er war sich nicht sicher. Genervt legte er den Kugelschreiber beiseite und stand auf. Wieso machte er sich immer noch solche Gedanken über Seto? Er selbst hatte entschieden, dass er nicht mehr mit dem Anderen zusammen sein wollte, jetzt war er Single und trauerte ihrer gemeinsamen Zeit nach? Sicher nicht! Eine Beziehung mit einem gefühlsunfähigen Menschen zu führen, war schwierig. Oder besser mit einem Menschen, der seine Gefühle nicht zeigen konnte. Denn Joey hatte gelernt, dass Seto durchaus fühlte. Nur verbarg er diese Tatsache hinter seinem arroganten Gesicht und seinem distanzierten Auftreten. Joey heftete das halbfertige Protokoll in seinen Ordner und verstaute diesen in seinem überladenen Regal neben dem Schreibtisch. Seufzend fuhr er sich durch die blonden Haare, die ihm wie immer widerspenstig ins Gesicht fielen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er in einer Stunde bei seinem Praktikantenjob sein musste. Und Dr. Bader schätzte es nicht, wenn sein Praktikant zu spät kam. Also packte Joey seine Tasche und schlüpfte in seine Turnschuhe, ehe er sich zu Fuß auf den Weg zur Tierarztpraxis machte, in der er seit wenigen Monaten arbeitete. Er hätte auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Aber er hatte das Gefühl, dass er seinen Kopf bei einem Spaziergang besser wieder frei bekommen würde, als in einem überfüllten Bus. Fünf Stunden später roch er durchdringend nach Desinfektionsmittel und hatte sich seines weißen Kittels entledigt, den er in der Praxis trug. Er sollte sich dringend eine weiße Hose und ein weißes Shirt anschaffen. In diesem Kittel sah er nämlich ausgesprochen bescheuert aus. Er verabschiedete sich von Alice, der Arzthelferin und vom Doc persönlich, ehe er seine Tasche über die Schulter warf. Er mochte den Job, er mochte Alice und den Doktor. Für den Rückweg nahm er den Bus, bereute es aber schon nach der ersten Station, weil zwei nervige, lärmende Kinder ihn belagerten. Er stieg drei Stationen zu früh aus und ging den Rest zu Fuß. Es war bereits dunkel, als er seine Tür aufschloss und seine Tasche in eine Ecke pfefferte. Eine Woche war es her, dass er seine Beziehung zu Seto beendet hatte. Und egal wie befreit er sich nun fühlte, er konnte es nicht leugnen, dass ihm etwas fehlte. Jemand. Aber, das hoffte er zumindest, dieser Umstand würde sich schnell verflüchtigen. * »Mr. Kaiba, hier sind die Verkaufsstatistiken, die Sie angefordert haben.« »Legen Sie sie hier hin«, sagte er gereizt und sah nicht von seinem Laptop auf, als seine Sekretärin eine Mappe auf seinem Schreibtisch ablegte und sich eilends wieder entfernte. Er war schlecht gelaunt. Schon seit einer Woche. Der Grund dafür waren natürlich lediglich die sinkenden Aktienkurse und die gescheiterten Verhandlungen mit einer größeren Firma aus Europa… und nicht etwa dieser elende Köter, der es gewagt hatte, ihn, Seto Kaiba, abzuservieren. Auch wenn er es vorzugsweise als das ‚Auslaufen eines Vertrages’ bezeichnete – auch wenn Wheeler diesen Vertrag nie unterschrieben hatte – so war es doch letztendlich nichts Anderes, als sitzen gelassen werden. Und was für lächerliche Gründe Wheeler angegeben hatte! Zu viele Streits. Zu wenige Emotionen von seiner Seite. Keine Unternehmungen. Was für ein ausgemachter Schwachsinn! Er griff nach der Mappe, die seine Sekretärin ihm gebracht hatte und schlug sie auf. Keine der Zahlen und Diagramme hinterließen irgendeinen Sinn in seinen Gedanken. Verärgert legte er die Mappe wieder zur Seite und massierte sich mit der linken Hand die Schläfe. Er konnte so nicht arbeiten. Das war wirklich die Höhe! Als würde er die Gewissheit brauchen, dass Wheeler wie ein Hund auf ihn wartete. Er brauchte Niemanden, außer vielleicht seinen kleinen Bruder. Aber sicherlich nicht Wheeler. Wütend riss er eine seiner Schreibtischschubladen auf und zog ein mitgenommen aussehendes Papier daraus hervor. »Hey Seto! Heute war es stressig in der Uni, ich hab mich mit einem der Professoren angelegt und dann gab’s später Stress beim Tutorium. Ich bin froh, wenn die Woche rum ist. Wochenende! Du sitzt wahrscheinlich grad in deinem Büro und arbeitest dich mal wieder zu Tode. Ich dachte, ich schreib dir kurz, weil ich an dich gedacht hab. Lass uns nachher irgendwas Geiles essen! Ich freu mich, Joey« Er schnaubte und knüllte den Brief zusammen. Dann beförderte er ein zweites Stück Papier aus der Schublade. »Hey Seto! Blöd, dass wir uns gestern nicht mehr gesehen haben. Aber ich musste echt dringend für diesen Test lernen, hatte eigentlich keine Lust drauf. Vielleicht können wir uns morgen sehen? Würd mich freuen, Joey« Nach und nach zog er insgesamt fünfundvierzig Briefchen aus der Schreibtischschublade, schlug sie zu und knüllte jedes Papier einzeln zusammen. Eine Weile lang starrte er mit grimmiger Genugtuung auf den Berg zerknitterten Papiers. Dann stand er abrupt auf und schritt hindurch, als könnte er seine Wut damit irgendwie lindern. Diese affigen Briefe, die Joey ihm immer geschrieben hatte und die er, Seto, dann im Briefkasten seiner Villa gefunden hatte. Oder die ihm von seiner Sekretärin mit einem verhaltenen Lächeln direkt ins Büro gereicht worden waren. Solche Sentimentalitäten lagen ihm nun einmal nicht… »Ich verlange ja keine Kerzen und Liebesschwüre«, hallte Joeys Stimme durch seine Gedanken, während er durch die Gänge seiner Firma schritt, ohne einen der vorbeihastenden Angestellten zu grüßen, »aber ich dachte, dass du dich nach zwei beschissenen Jahren wenigstens einmal dazu hinreißen lassen könntest, mir zu sagen, dass du mich magst…« Er knurrte, was einen vorbeieilenden Postboten erschrocken zusammen zucken ließ, doch Seto störte sich nicht daran. »Mittlerweile denk ich mir, dass das alles sowieso ne Scheißidee war. Ich mein, du und ich… Ich frag mich echt, wie wir dazu gekommen sind. Du hast doch nie aufgehört mich zu verachten, weil ich keinen IQ von 200 und ein paar Millionen in der Tasche hab. Wahrscheinlich war ich sowieso nur zum Ficken gut und das muss ich mir echt nicht mehr geben…« Mitten im Gang blieb er stehen. Das war doch alles unerhört. Ihm so etwas zu unterstellen! Er sollte Wheeler verklagen! Einen Moment lang war er versucht, seinen Anwalt anzurufen und Joey wegen Rufmords anzuklagen… aber er war zu realistisch, um sich selbst einreden zu können, dass das irgendwie helfen würde. Mürrisch und widerwillig musste er es sich eingestehen: Er hatte sich an Joey gewöhnt. An seine Anwesenheit, sein Lachen, seine blöden Briefchen und daran, dass sie zusammen waren. Und dass er es nicht wirklich ertragen konnte, all das nicht mehr zu haben. Es störte ihn, dass nicht alles nach seinem Plan lief. Er war immerhin Seto Kaiba und alles hatte so zu sein, wie er es haben wollte! Und mit einem finsteren Blick und geballten Fäusten wurde ihm sehr deutlich bewusst, was oder besser wen er haben wollte. * Joey saß mit einem Teller auf seinem ziemlich zerschlissenen Sofa und hatte den Fernseher an. Gerade schaute er eine Actionkomödie und lachte leise zwischen zwei Gabeln, als es an der Tür klingelte. Er schluckte seine Nudeln hinunter und stellte den Teller auf seinem zerkratzten Couchtisch ab, ehe er zur Tür ging und öffnete. Immer noch leise über den Film glucksend wartete er darauf, wer ihn jetzt noch besuchte. Das Glucksen blieb ihm im Halse stecken, als er Seto sah, der immer zwei Stufen auf einmal nahm, ihn einen Moment lang grimmig anschaute und dann in den Flur drängte. Joey war so überrascht, dass er sich nicht rührte und erst den Mund öffnete, als Seto mit einem Tritt seine Tür in die Angeln zurückbeförderte. »Was…«, begann er, doch da hatte der Brünette ihn schon auf den Mund geküsst. Er küsste ihn so heftig, dass Joey kaum Luft bekam. Setos Finger schlossen sich um seine Handgelenke und er drückte Joeys Arme über seinem Kopf an die Wand. Einen Moment lang konnte Joey nicht denken, weil der Kuss, den er seit einer Woche vermisste, ihm das Gehirn vernebelte. Doch dann gab er ein wütendes Grollen von sich und stieß Seto von sich. »Atmen wird ja so überbewertet!«, fauchte er wütend. Der Größere funkelte ihn aus seinen blauen Augen einen Moment lang schweigend an. »Wheeler, das ist absolut nicht akzeptabel!«, sagte er. Joey runzelte die Stirn. »Was?«, fragte er verwirrt. »Das alles natürlich!«, entgegnete Seto wütend, offenbar ungehalten darüber, dass Joey nicht begriff, was er mit seinen kryptischen Aussagen meinte. »Wenn du nicht sofort mit der Sprache rausrückst, dann kannst du wieder gehen!«, schnauzte Joey und fuhr sich mit dem Handrücken verärgert über den Mund, da seine Lippen verlangend kribbelten. »Du kannst nicht einfach den Vertrag beenden!« Joey hob die Brauen. Natürlich sollte das in etwa heißen »Du kannst nicht einfach Schluss machen«, aber der große Seto Kaiba konnte seinen Stolz selbstverständlich nicht über den Haufen werfen. Nicht einmal für ihn. »Ich habe diesen Vertrag nie unterschrieben, Kaiba«, sagte er kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. Er legte besondere Betonung auf das letzte Wort und sah mit einiger Genugtuung, dass es Seto irritierte, so von ihm genannt zu werden. »Das tut überhaupt nichts zur Sache«, sagte der Brünette schließlich und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. Joey schnaubte und schüttelte den Kopf. Er hatte es ja geahnt. »Du kannst es einfach nicht, oder? Deinen Stolz für zwei beschissene Sekunden über Bord schmeißen? Der große Seto Kaiba kann alles, nur über Gefühle reden, das kann er nicht«, sagte er nüchtern und wandte sich um. Seto schwieg, als Joey zurück ins Wohnzimmer ging, sich auf sein Sofa setzte und seinen Teller Nudeln wieder in die Hand nahm, um weiter zu essen. »Ich habe jeden deiner beknackten Briefe in meinem Firmenschreibtisch aufgehoben, die ganze letzte Woche konnte ich wegen dir nicht arbeiten, Wheeler, weil ich alle fünf Minuten einen dieser bescheuerten Zettel hervorgekramt habe und das ist alles deine Schuld! Und jetzt unterstellst du mir auch noch…was?« Joey hatte sich heftig verschluckt und hustete, während er den Teller hastig abstellte und sich mit der Faust auf die Brust klopfte, bis er wieder Luft bekam. »Du hast sie aufgehoben?«, fragte er völlig verdattert. Seto schnaubte und wandte den Blick ab. Joey erhob sich und ging um sein Sofa herum, starrte den Firmenchef an und legte den Kopf schief. »Hast du etwa Liebeskummer?«, stichelte er. Seto funkelte ihn wütend an. »Und wovon träumst du nachts, Wheeler?« »Na wieso bist du sonst hier, Kaiba?« Eine Stille folgte, in der sie sich anstarrten. Joey würde nicht nachgeben. Auch wenn er zugeben musste, dass sein Herz wie verrückt hämmerte. Seto hatte die Briefe aufgehoben… »Weil…« Seto brach ab. Offensichtlich brachte er es nicht über die Lippen, was auch immer er sagen wollte. Joey verdrehte die Augen. »Herrgott, geh doch einfach nach Hause und lass mich endlich in Frieden. Ich hab keine Lust mehr auf diese Spielchen.« »Ich spiele nie, Wheeler«, raunzte Seto ihn an und Joey schüttelte den Kopf. »Das ist ein netter Versuch, mir zu sagen, dass du mich nicht verarscht hast. Aber ehrlich gesagt bin ich es Leid, jeden deiner Sätze zu interpretieren, um mir einbilden zu können, dass du mal was Nettes gesagt hast!« Er wandte sich erneut ab. »Mach die Tür zu, wenn du…« »Wheeler, ich will dich zurück.« Joey drehte sich zu Seto um. Der Brünette starrte aus dem Fenster. Joey starrte wiederum ihn an. »Weil…?«, bohrte er nach. Ganz langsam wandte Seto ihm das Gesicht wieder zu. »Weil ich mich an dich gewöhnt hab, Wheeler. Weil ich nicht arbeiten kann, wenn ich nicht weiß, ob du auf mich wartest und weil deine nervige Existenz sich nicht mehr von meiner trennen lässt!« »Ohne das ‚nervig’ wäre es gar nicht so schlecht gewesen…« »Joey…!« »War nur n Witz!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)