Große Möhren, die das Herz bewegen von Benjy ================================================================================ Kapitel 2: Zweites Inning ------------------------- „Kannst du mir mal verraten, warum du so schreckhaft bist!?“, rief Abe genervt, der sein Handy in der Hand begutachtete und enttäuscht feststellen musste, dass es nass geworden war. Der Teich war zwar nicht sehr tief, aber da er der Länge nach hineingefallen war, blieb kein Zentimeter seines Körpers trocken. Er sah von seinem Handy auf, und starrte auf den begossenen Pudel vor sich, der schon seit geraumer Zeit entschuldigende Worte vor sich hinmurmelte, und dabei ängstlich hin- und herzappelte. Abe seufzte. „Hör mal, es gibt keinen Grund für dieses Verhalten. Ich bin selbst dran schuld. Hätte ja nicht versuchen müssen, dich aufzufangen...“ Abe hielt seinen Blick weiter auf Mihashi gerichtet, bei dem seine Worte langsam Wirkung zeigten. Er beobachtete, wie dieser zur Ruhe kam und sogar den Mut fand, seinen Blick zu erwidern. „Ich glaube, wir sollten schleunigst aus den nassen Klamotten raus. Es ist zwar nicht kalt, aber ich für meinen Teil mag den Geruch des warmen Teichwassers überhaupt nicht. Außerdem will ich lieber nicht wissen, was für Tierchen den Weg unter meine Klamotten geschafft haben.“, gab Abe leise zu, der sich mit einer Hand durch die Haare fuhr, um notdürftig Wasser aus ihnen herauszustreichen zu können. Er sah, dass Mihashi zustimmend nickte, sich wortlos umdrehte und in angespannter Haltung zum Haus stakte. Abe empfand das bizarre Benehmen seines Pitchers zwar als äußerst irritierend, aber er war im Grunde nichts anderes von diesem gewohnt. Ein schiefes Grinsen umspielte seine Lippen, während er Mihashi zum Eingang folgte. Mihashi holte tief Luft, als er seine Hand hob, um an die Badtür zu klopfen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er musste sich gehörig anstrengen, die trockenen Sachen auf seinem Arm nicht fallen zu lassen. Er hörte Abe von drinnen antworten, und trat einen Moment später durch die Tür. Sein Blick fiel augenblicklich auf seinen Catcher, der mit dem Rücken zu ihm stand und gerade dabei war, die Unterhose auszuziehen. Es war nicht das erste Mal, dass er Abe nackt sah, aber seine veränderten Gefühle diesem gegenüber machten dieses bisher natürliche Ereignis zu einer heiklen Angelegenheit. Er zwang sich wegzusehen, und steuerte das Regal neben dem Waschbecken an. Als er den Spiegelschrank über dem Becken passierte, konnte er für einen Moment sein Gesicht sehen, dass seiner ansteigenden inneren Temperatur um nichts nachstand. Seine Wangen und Ohren glühten. „Äh... Ich lege d-dir die Sachen hier h-hi-hin. Ich hoffe, s-sie passen dir. Die Unterhose i-ist schon getra-tr-tragen, a-also...uhm..., i-ich meine, sie ist natürlich sau-sauber. Ich ge-geh dann mal o-ben duschen...“, stammelte Mihashi verlegen, der aus dem Augenwinkel heimlich rüber zu Abe stierte, der inzwischen völlig nackt war. „Okay. Danke.“, antwortete Abe ahnungslos, der erleichtert in die Duschkabine sprang und das Wasser anstellte. Mihashi warf einen wehmütigen Blick zur Kabine, ehe er den Raum verließ, und sich auf den Weg zum Badezimmer in den ersten Stock machte. „Mihashi?“, rief Abe laut, während er suchend vom Bad über den Flur zur Küche ging. Mihashi hatte erwähnt, dass seine Mutter fort und erst spät abends zurückkommen würde. Sie waren somit also allein im Haus und Abe konnte daher, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, laut rufend durch die Räume wandern. Ein mürrisches Knurren entwich seinem Mund, da seine Suche auch in der Küche erfolglos blieb. Er lief unzufrieden zur Treppe. „Wo steckt der Kerl?! Duscht er etwa immer noch...“, grummelte Abe fragend, und machte sich auf den Weg nach oben. Mihashi legte das Handtuch zur Seite und versuchte angestrengt die zerzausten Haare zu bändigen. Er stöhnte missmutig, als seine Versuche erfolglos blieben. Er streckte seinem Ebenbild im Badspiegel genervt die Zunge heraus, und verließ gedankenverloren das Bad. Zumindest hatte er seine körperliche Erregung in den Griff bekommen, dachte er reumütig. Die Sache war schon beinah kriminell, wie er fand. Das Objekt seiner Begierde stand ahnungslos unter der Dusche auf der unteren Ebene, und er hatte nichts Besseres zu tun, als Hand anzulegen. Mihashi schämte sich für sein Verhalten, aber insgeheim musste er zugeben, dass es sich bisher noch nie so gut angefühlt hatte. Es musste daran liegen, dass Abe körperlich anwesend war – zwar nicht unmittelbar, aber eben im gleichen Gebäude. Ein verträumtes Lächeln erschien auf Mihashis Gesicht, während er zu seinem Zimmer ging, um das vergessene Sweatshirt zu holen. Er wollte so schnell wie möglich zurück zu Abe, der hoffentlich unten in der Küche auf ihn wartete. Sie würden gemeinsam etwas Essen. Er würde den Grund für Abes überraschtes Kommen erfahren. Und vielleicht würde ja das ein oder andere Wort über ihr zufälliges Treffen von heute fallen, das ihn in ein Gefühlschaos gestürzt hatte. „Tajima kann sich glücklich schätzen, dass er keine Kopfnuss abgekriegt hat...“, murmelte Mihashi vergnügt, der es kaum abwarten konnte, zu Abe zu kommen. Er öffnete seine Zimmertür und erstarrte. Dort auf seinem Bett saß Abe, der überrascht und peinlich berührt aufsprang. Der Gegenstand, den er dabei in den Händen gehalten hatte, fiel zu Boden. „A-a-abe!?“ „Mihashi!“ „T-tut mir leid! Ich wollte dein Zimmer nicht einfach so betreten, aber ich habe dich gesucht. Und als ich dann hier auf dich warten wollte, habe ich die Fotos entdeckt, und sie mir angeschaut.“, erklärte Abe aufrichtig, der in die Knie gegangen war, um das runtergefallene Fotoalbum aufzuheben. Mihashi starrte überrascht zu Abe, der vor seinem Bett kniete und entschuldigend die Fotos einsammelte, die aus dem Album herausgefallen waren. War das zu fassen? Abe befand sich nicht nur kniend vor seinem Bett, sondern sah dabei in den geliehenen Sachen auch noch umwerfend aus. Mihashi unterdrückte den Drang, auf Abe zuzulaufen. Am liebsten würde er diesen jetzt auf sein Bett werfen, und ihn mit leidenschaftlichen Küssen übersehen. Aber er wusste, dass das nicht ging – noch nicht, wie er hoffte. Mihashi schloss für einen Moment die Augen, und rügte sich innerlich für seine unanständigen Gedanken. Dass sein Verlangen nach Abe eine unerwartet aggressive und selbstbewusste Seite in ihm wachrief, war noch immer ungewohnt für ihn. Er fragte sich jede Nacht, was wohl passieren würde, wenn er sie ausleben dürfte. In seinen Träumen tat er dies schon schamlos nach Strich und Faden, dachte Mihashi aufgeregt, aber natürlich war das meilenweit von der Realität entfernt. Mihashi glaubte nicht, dass Abe sich ihm wie in seinen Traumgebilden einfach so hingeben würde. Dennoch, sein Wunsch Abe besitzen zu wollen, nahm in letzter Zeit stetig zu und führte sogar dazu, dass er hingegen jeglicher Vernunft mit dem Gedanken spielte, Abe am kommenden Wochenende von seinen Gefühlen zu erzählen und diesen zu bitten, Verantwortung zu übernehmen. „Sch-schon okay. War wohl e-etwas zu lang unter der Dusche.“, meinte Mihashi beschwichtigen, der zu seinem Stuhl ging, um endlich das Sweatshirt anziehen zu können, für das er sein Zimmer aufgesucht hatte. „Ich wusste gar nicht, dass du so viele Fotos von unserem Team hast. Irgendwie auch auffallend viele von mir.“, sprach Abe neugierig, der sich wieder auf das Bett gesetzt hatte. Mihashi schluckte nervös und verfluchte sich dafür, dass er die Bilder nicht heute Morgen weggeräumt hatte. Aber wer konnte auch schon ahnen, dass sich am Abend ausgerechnet die Person in seinem Zimmer aufhalten würde, die diese auf keinen Fall sehen sollte. Innerlich gab er seiner Cousine Ruri einen Tritt, da diese ihn dazu genötigt hatte, ein Album für die vielen Fotos anzulegen. Obwohl Mihashi kein einziges der Bilder selbst gemacht hatte, fanden sie doch unweigerlich durch Ruri den Weg zu ihm. Diese knipste ungeniert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und ihr häufigstes Motiv war Abe. Der Grund dafür war einfach. Sie wusste über seine Gefühle für Abe Bescheid. Diese liebenswürdige Übeltäterin war schlicht der Meinung, ihm mit ihren eingefangenen Schnappschüssen eine Freude zu bereiten. Aber irgendwie wurde Mihashi das Gefühl nicht los, dass sie sich mehr über sein verliebtes Benehmen in ihrer Gegenwart amüsierte, als sich wirklich über seine durch die Fotos hervorgerufene Begeisterung zu freuen. Mihashi ging sogar davon aus, dass Ruri insgeheim darauf aus war, sein vernarrtes Benehmen mit jedem neuen Bild gnadenlos hervorzuzaubern. Seine Cousine konnte ziemlich teuflisch sein, wie er in letzter Zeit festgestellt hatte. „W-was!? Oh, a-a-also die gehören meiner Cousine. Sie hat sie hier vergessen...“, murmelte Mihashi erklärend, der überlegte, ob das jetzt eine Lüge gewesen war, oder es der Wahrheit entsprach. Immerhin hatte er Ruri nie darum gebeten, Foto zu machen, und diese ihm obendrein auch noch zu schenken. Wenn er es also objektiv betrachtete, konnte er durchaus behaupten, dass sie ihm nicht gehören. „Etwa die, die dich Ren-Ren nennt?“ Mihashi sah geplagt zu Abe, der ihn breit angrinste. Dieser wusste genau, dass er es nicht mochte, so genannt zu werden. Ein zweites Mal versetzte er seiner Cousine einen imaginären Tritt. „Ja, genau die.“, erwiderte er seufzend, während er zum Bett ging und nach dem Album langte. Abe gab es ihm bereitwillig, konnte es sich aber nicht verkneifen, Mihashi ein weiteres Mal zu ärgern. „Sind wirklich nette Fotos von Ren-Ren dabei!“ „ABE!“, rief Mihashi leidig, der das Album auf einen der vielen Stapel auf seinen voll gepackten Schreibtisch legte. Dabei lösten sich unerwartet zwei Bücher, die den gesamten Stapel aus dem Gleichgewicht brachten. Dieser drohte nun auf den Fußboden zu fallen. „Mi-mist...“, fluchte Mihashi laut, der alle Hände voll damit zu tun hatte, den Turm aus Büchern, Zeitschriften, CDs und Heften festzuhalten, und ihn wieder in die Balance zu schieben. Er konnte hören, wie Abe hinter ihm amüsiert lachte. „Räumst du eigentlich auch mal auf? Als wir das letzte Mal alle hier waren, sah es wesentlich besser aus.“, stellte Abe vergnügt fest. Mihashi, dessen Anspannung mit jeder weiteren Sekunde hier in seinem Zimmer wuchs, mahnte sich zur Ruhe. Die Tatsache, dass Abe auf seinem Bett saß, war beinah zu viel für ihn. Würde Abe noch immer so gelassen dort sitzen und ihn ärgern können, wenn dieser wüsste, dass er sich dort schon unzählige Mal selbstbefriedigt und dabei an ihn gedacht hatte? Mihashi blickte fragend zu Abe, der noch immer lachte. Was würde dieser tun, wenn er jetzt auf ihn zugehen und ihn einfach küssen würde? Er verdrängte diesen kühnen Gedanken, als sein Blick neben Abe auf das Bett fiel. Dort lag ein vergessenes Foto. Ein neuer mutiger Gedanke kam ihm in den Sinn. Es wird schon nicht schaden, wenn ich es ihm ein klein wenig auf andere Weise heimzahle...schoss es Mihashi leichtsinnig durch den Kopf, als er entschlossen auf Abe zuging und direkt vor diesem stehen blieb. Er beugte sich herab, so dass sich ihre Nasen beinah berührten. Abes Lachen verstummte augenblicklich und Mihashi konnte sehen, dass dieser irritiert den Mund öffnete, um etwas zu sagen. „Mi-hashi?!“ Abes dunkle Augen bohrten sich fragend in Mihashis, der sich krampfhaft bemühte, die geringe Distanz zwischen ihnen aufrecht zu erhalten. Abes Lippen waren so nah. Dessen warmer Atem auf seiner Gesichtshaut sandte ihm einen wolligen Schauer über den Rücken. Er unterdrückte ein Aufstöhnen, und griff unglücklich mit seiner Hand nach dem Foto, das als Entschuldigung für sein Verhalten herhalten sollte. „Foto.“, war alles, was Mihashi hervorbrachte, als er sich mit dem Foto wieder aufrichtete und hinab auf Abe sah, der noch immer einen verunsicherten Gesichtsausdruck trug. „Das ist lecker!“, rief Abe, der hungrig den Löffel ein weiteres Mal in das Curry steckte. „Aber sag mal, deine Mutter nimmt dich ziemlich wörtlich, wenn ich mir so die Möhrenstücke ansehe?!“ Schmunzelnd betrachtete Abe die Möhre auf seinem Löffel, von der durchaus behauptet werden konnte, dass sie im Ganzen mitgekocht wurde. Er blickte fragend zu Mihashi, der ihm am Tisch gegenüber saß und kurz davor war, seinen Teller bereits zum ersten Mal zu leeren. „Ahh-hm, ja, ich mag gr-große Möhren!“, entgegnete Mihashi glücklich, der anschließend aufstand, um sich eine zweite Portion zu holen. Abe starrte ihm nach, und musterte besorgt dessen schmale Figur. Mihashi verlor definitiv zu schnell und zu viel Gewicht und Kraft bei ihren Spielen und Abe fragte sich, ob es weitere Möglichkeiten gab, dem positiv entgegenzuwirken. Leichtes Kraft- und Ausdauertraining waren an dieser Stelle nicht verkehrt, und wurde auch schon fleißig von Mihashi ausgeübt – sogar mit sichtbarem Erfolg, wenn Abe an den nackten Körper seines Pitchers dachte. Nach ihrem letzten Training war ihm in der Dusche aufgefallen, dass Mihashi athletischer geworden war. Wo vorher nur Haut und Knochen zu sehen waren, bestimmten nun feine Muskelpartien das Bild. Abes Blick fiel fasziniert auf Mihashis Wurfarm, auf dem das Muskelspiel besonders deutlich zu sehen war. Seine Augen wanderten anschließend hoch zu dessen Nacken, der sonnengebräunt aus dem weit ausgeschnittenen Sweatshirt emporragte. Die Grenze zur hellen, weniger sonnenverwöhnten Haut stach deutlich hervor und er fand gefallen an dem Anblick. Irgendwie sexy… ÄH? SEXY? Mihashi!? Abe schüttelte entgeistert den Kopf und riss sich von dem Anblick los. Er zwang sich auf seinen Teller zu starren, und seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, aber ohne Erfolg. Mihashi blieb schlichtweg der Mittelpunkt, denn nun kam Abe erneut die merkwürdige Situation in dessen Zimmer in den Sinn, was dazu führte, dass sein Herz laut zu klopfen anfing. Seine Finger verkrampften sich um den Löffel. Der Moment, als Mihashi sich zu ihm runtergebeugt und ganz dicht vor seinem Gesicht aufgetaucht war, erschien ihm völlig surreal. Er konnte noch immer dessen warmen Atem auf seinen Lippen spüren, was ihm auch jetzt noch einen elektrisierenden Schauer über den Rücken schickte. Innerlich stöhnte er auf, nicht wissend, ob es wegen des erschreckend angenehmen Gefühls war, was er empfand, oder ob es aufgrund von Bestürzung über jenes Gefühl war. Abe hatte keine Ahnung, was sich Mihashi dabei gedacht hatte. Schließlich hätte er zum Aufheben des Fotos beileibe nicht so nah kommen müssen. Dieses Verhalten passte ganz und gar nicht zu seinem Pitcher – es war auf eine bestimmte Art viel zu herausfordernd und extrem selbstbewusst gewesen, also Eigenschaften, die bei Mihashi bisher vergeblich zu suchen waren. „A-Abe, wenn du möchtest, es i-ist noch ein bisschen im Topf.“ Unerwartet aus den Gedanken gerissen sah Abe auf, und traf auf Mihashis helle Augen, die ihn auffordernd ansahen. Mihashi konnte seinem Blick aber nur wenige Sekunden standhalten, ehe dieser mit leicht erröteten Wangen den Kopf senkte. Abe zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe und kam nicht umhin sich zu fragen, ob die Röte auf Mihashis Wangen eine tiefere Bedeutung hatte – vor allem in Hinblick auf seine eigenen Gedanken eben. Zumindest stand für Abe fest, dass der Mihashi, der ihm hier gegenüber saß, definitiv nicht die Person war, die er vor wenigen Minuten oben im Zimmer erlebt hatte. Ein schiefes Grinsen erschien auf Abes Lippen. Er schob all die irritierenden Gedanken und Gefühle beiseite, und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. „Von Möhren allein wirst du dein Gewicht wohl kaum halten können, Mihashi, geschweige denn es zu erhöhen.“, meinte Abe streng, der sah, dass Mihashi bei seinen Worten zusammenzuckte. „A-A-Aber ich esse d-doch nicht nur Möhren!“, rief Mihashi erstarrt, dem die gerade liebevoll aufgelesene Möhre wieder vom Löffel rutschte. Dieser Anblick brachte Abe zum Lachen. „Ja ja, schon gut. War ja nicht ernst gemeint. Du kannst deiner Möhrenlust ruhig weiter ungetrübt frönen!“, antwortete er spöttisch und beobachtete Mihashi dabei, wie dieser zitternd mit dem Löffel nach der gefallenen Möhre suchte. Abe lehnte sich gesättigt zurück und stützte sich lässig auf seine Arme. Er blickte zweifelnd zu Mihashi rüber, der sich entschieden hatte, die letzten Reste aus dem Topf zu löffeln. Abe sah, wie dieser scheinbar alles um sich herum vergessend genüsslich einen Löffel nach dem anderen in den Mund schob, und dabei äußerst glücklich aussah. Er musste grinsen. Es war schon erstaunlich, wie viel Mihashi essen konnte, ohne davon dick zu werden. Dennoch wünschte sich Abe manchmal, dass sein Pitcher das ein oder andere Kilo zunehmen würde. „Warum ist Tajima eigentlich nicht hier? Ich dachte, der riecht das Curry deiner Mutter 10 Meilen gegen den Wind?“ „Oh, er wollte ja, aber seine Mutter hat darauf bestanden, dass wir bei ihnen essen.“ Abe starrte Mihashi entgeistert an. „Heißt das, du hast schon etwas gegessen? Und das hier ist jetzt deine zweite warme Mahlzeit?“ „Eigentlich ist es sogar schon meine dritte…“, antwortete Mihashi, der kein einziges Mal aufsah. Abe neigte sich erstaunt nach vorn und betrachtete Mihashi genauer. „W- was?“, stotterte Mihashi verlegen, der den unerwartet intensiven Blick seines Catchers nicht einordnen konnte. „Aha.“ „Was i- ist d- denn, A- Abe?“ „Hm. Eben hast du auf meine Frage ohne zu stottern antworten können. Ich war etwas überrascht. Ich glaube, du warst eben eins mit dem Curry! Vielleicht solltest du zur Abwechslung mal eins mit mir sein, um in zusammenhän-“ Abe hatte keine Chance zu Ende zu sprechen, da Mihashi den Löffel Reis, den dieser sich gerade noch in den Mund gesteckt hatte, ohne Vorwarnung spuckend über dem Tisch verteilte. Aber nicht nur der Tisch bekam etwas ab, sondern er selbst fühlte das ein oder andere Reiskorn im Gesicht. „Mi- Mihashiiiiii?!?“, brüllte Abe angewidert, der ein Satz nach hinten machte. „Was machst du denn!?!“ „Tu- tut mir leid. Ich ha- be mich verschluckt.“ Mihashi sprang auf, rannte eine Entschuldigung murmelnd aus dem Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit einem feuchten Waschlappen zurück, den er Abe hinhielt. „Hier.“ Abe nahm diesen mit einem skeptischen Blick entgegen. „D- der ist sauber!“ „Was? Ach so! Nein, das meinte ich nicht.“, entgegnete Abe lachend auf Mihashi betroffene Mine hin. „Ich habe mich nur gefragt, warum du… Schon gut. Danke für den Lappen.“ Während Abe sich das Gesicht säuberte, stellte Mihashi das Geschirr zusammen, um es in die Küche zu bringen. „Ma- magst du noch e- etwas trinken? Tee?“ Abe seufzte leise, ehe er antwortete. „Was muss ich denn noch tun, damit du entspannt in meiner Gegenwart sprechen kannst? Würde es helfen, wenn ich wie eine schmackhafte Möhre aussehen würde?“, witzelte er und erntete damit Mihashis ungläubigen Blick, dem etwas Unergründliches anhaftete. „Wenn ich dich dann auch anknabbern darf…“, flüsterte Mihashi kaum hörbar. „Was hast du gesagt?“ „Ahh…also, mö- möchtest du…Tee?“ Mihashis Erwiderung ging mit einem hochroten Kopf einher, der Abe noch mehr irritierte. „Alles in Ordnung? Und ja, Tee ist okay.“ „A- alles Bestens.“, quiekte Mihashi, die Stimme kaum unter Kontrolle, und stakte mit den Tellern in die Küche – verfolgt von Abes neugierigen Augen. Dieser wandte kopfschüttelnd den Blick ab, und sah zum zurückgelassenen Topf auf dem Tisch. Er beschloss, diesen Mihashi hinterher zu tragen und dabei gleichzeitig nach einem Handtuch Ausschau zu halten. Der feuchte Waschlappen für sein Gesicht war natürlich sehr aufmerksam gewesen, aber ein Tuch zum Abtrocknen hätte die ganze Sache perfekt gemacht. „Wie kann er das nur so einfach sagen? Eins mit ihm werden… Sofort, wenn du mich direkt fragen würdest, Abe. Sofort…“ „Sofort… was?“ Mihashi zuckte betroffen zusammen, als Abes Stimme unerwartet hinter ihm laut wurde. „Ich habe das Gefühl, du nuschelst heute mehr als sonst vor dich hin. Nicht, dass mir das nicht vertraut wäre, aber es ist leider gerade niemand da, der mir übersetzen könnte.“, meinte Abe spaßend. „Hier. Der Topf. Wo finde ich ein Handtuch für mein Gesicht?“ Abe wartete darauf, dass sich Mihashi zu ihm umdrehte, aber vergeblich. Dieser zeigte ihm stumm mit dem Zeigefinger, wo sich das gewünschte Ding befand. „Danke.“, entgegnete Abe mürrisch, der den Topf auf die Anrichte stellte und sich das Handtuch holen ging. „Was habt ihr zwei eigentlich heute gemacht, also du und Tajima?“ „Wa- waren einkaufen.“ Abe spürte den altbekannten Ärger in sich aufsteigen. Mihashis Genuschel, die kurzen Antworten und dessen ausweichende Blicke hatten jetzt eindeutig seine Schmerzgrenze überschritten. „Mihashi! Ist es denn so schwer, eine normale Unterhaltung mit mir zu führen?!“, brüllte Abe unbeherrscht. Innerlich schlug er sich die Hand vor den Mund. Das war eben genau der Grund, warum sich sein Pitcher in seiner Gegenwart häufig wie eine zum Bersten gespannte Seite verhielt, die bei der kleinsten Erschütterung zerriss. Abe holte tief Luft, um die Ruhe wiederzufinden. „Also, was ich eigentlich sagen will… Ach, egal.“ Resigniert starrte er auf Mihashis Rücken. Noch immer schweigsam goss dieser gerade das Teewasser auf. „Was habt ihr denn gekauft? Ich nehme mal an, Tajima hat sich nicht zufällig diese ominöse Zeitschrift ge-“ „Ne- nein!“, rief Mihashi, der sich auf einmal Abe mit glühenden Ohren zuwandte. „Sp- Sportzeitschriften.“ „Ach so.“, antwortete Abe übertrieben zweifelnd, dessen Augen frech blitzten. „Warum verwundert mich das jetzt? Von Tajima hatte ich das irgendwie erwartet, aber vielleicht hat er sich deinetwegen ja zurückgehalten. Obwohl, neeeeee…der hält sich eigentlich nie zurück.“ „Was so- soll das jetzt heißen?“, schoss Mihashi fieberhaft zurück, was Abe überraschte. „D- da dass ich mir solche Zeitungen etwa ni- nicht angucke? Zu d- deiner Information, ich bin ei- ein gesunder Oberschül-“ „Ja, ja, schon gut. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Aber ob du ein gesunder Oberschüler bist, weiß ich nicht. Vielleicht eher ein hibbeliger, nervöser, hm, vor allem aber zappeliger Oberschüler, der es regelmäßig schafft, mich zur Weißglut zu treiben.“, neckte Abe, der Mihashis daraufhin rasch wechselnde Gefühlsregungen an dessen Gesicht ablesen konnte, und sich daran erfreute. „Oh, ich habe vergessen zu erwähnen, dass du natürlich ein überaus fähiger Pitcher bist, der genau das tut, was ich ihm sage. Was will ein Catcher mehr?“ „ABE!?!“, rief Mihashi ungläubig, der sich nicht entscheiden konnte, ob er jetzt sauer sein oder sich über die Worte freuen sollte. „Danke.“ Das Wort leise aussprechend beobachtete er, dass Abe verblüfft die Augen aufriss und ihn anstarrte. Dieser Anblick machte Mihashi glücklich, denn es zeigte ihm, dass ihn sein Catcher noch immer nicht völlig lesen konnte – vor allem in Hinblick auf seine tieferen Gefühle war das eine Erleichterung. Dennoch, genau diese Momente liebte Mihashi so sehr. Abes Verunsicherung mitzuerleben, sogar selbst der Auslöser dafür zu sein. Häufig ergaben sich solche Augenblicke nicht, umso mehr genoss Mihashi dies jetzt in den eigenen vier Wänden, wo er Abe ganz für sich allein hatte und keiner dazwischenfunken konnte. „Wo- wofür bedankst du dich?“ „W- w- weiß auch nicht.“ „Mi-ha-shi?!?“, rief Abe genervt, der spürte, dass sein Ärger wieder hochzukochen drohte. Mihashi hingegen stellte, Abe ignorierend, den Tee und die Tassen auf das Tablett und trug es nervös zurück zum Esszimmertisch, wo er sich sogleich hinkniete und eifrig die Tassen befüllte. „Dir ist aber klar, dass du mich am Wochenende nicht einfach so stehen lassen kannst, oder?! Selbst ich habe so etwas wie Gefühle und komme mir ziemlich blöd vor, wenn du dich so verhältst. Zumal ich noch nicht einmal weiß, warum du das machst…“ Abe setzte sich seufzend wieder an den Tisch und starrte Mihashi fragend an, der mit roten Ohren die Augen nicht von seiner Teetasse nahm. „Weißt du, ich dachte immer Motoki sei anstrengend, aber seit ich dich kennengelernt habe, muss ich diesbezüglich umdenken.“, erklärte Abe aufrichtig, der mit Erschrecken beobachten musste, dass Mihashi plötzlich kreidebleich wurde. „Bist du wirklich okay? Deine Gesichtsfarbe wechselt meines Erachtens gerade viel zu oft. Vielleicht war der Sturz in den Teich doch nicht so harm-“ „Willst du zurück zu Haruna?“, platzte es aus Mihashi heraus. „WAS?“ Völlig perplex starrte Abe Mihashi an, der seinen Blick unerwartet fest erwiderte. Nicht nur dessen Frage hatte ihn überrascht, sondern auch die Tatsache, dass Mihashi einen an ihn gerichteten ganzen Satz ohne Stammeln formulieren konnte. „Wie meinst du das mit Haruna? Ich kann dir nicht folgen. Ich wette, Tajima wüsste etwas damit anzufangen, oder?“, knurrte Abe. „Schon, aber… S- seit wir euch in dem Laden begegnet sind, muss ich die ganze Zeit daran denken, d- dass Haruna der bessere von uns beiden ist, und du es vielleicht bereust, mit mir ein Team bilden zu müssen. Ich war überrascht, euch zu- zusammen zu sehen. Na ja, du schimpfst zwar immer so über ihn, aber du respektierst ihn. Ich dachte, du willst vielleicht die Schule wechseln, um erneut...“ Mihashi ließ seine hastige Erklärung mit kaum hörbarer Stimme und zunehmend einsinkender Körperhaltung unvollendet, die Abe noch mehr auf die Palme brachte. „Dummkopf!“ Abe versetzte Mihashi zusätzlich eine sanfte Kopfnuss. „Schule wechseln? Mitten im Jahr? Das Team verlassen? Wie kommst du bloß auf so einen Unfug? Hat dich die Begegnung mit dem Idioten Motoki etwa so sehr aus der Bahn geworfen?!“ „Hm.“, stimmte Mihashi scheu kopfnickend zu. „Habe ich dir nicht schon versprochen, dass ich drei Jahre lang deine Bälle fangen werde?“ „Hm.“ „Ich alles tue, damit ich mich nicht verletze?“ „Hm.“ „Mihashi, könntest du das bitte-“ Abes restliche Worte ging in seinem eigenen Lachen unter, während Mihashi ihn dabei verständnislos anblickte. „Wirklich. Manchmal bist du echt zuviel…“ Nachdem Abe sich wieder beruhigt hatte, griff er nachdenklich nach seinem Tee. So wirr wie Mihashi konnte wirklich keiner schauen – zumindest war ihm noch niemand dergleichen begegnet. Er musste zugeben, dass sein Pitcher nicht nur über alle Maßen dümmlich aussehen konnte, sondern dabei gleichzeitig auf der Liebenswürdigkeitsskala immens in die Höhe schoss. Liebenswürdig?!? Abe schob diesen Gedanken irritiert zur Seite, während sich erneut ein belustigtes Lächeln auf seinen Lippen breitmachte, als er erneut sprach. „Motoki mag zwar den schnelleren Ball werfen, aber dafür hat er noch nicht mal ansatzweise deine Kontrolle! Natürlich hat es Spaß gemacht, diese schnellen Bälle zu fangen. Habe ja auch lange für gebraucht. Aber wenn ich jetzt wählen müsste, würde ich ganz klar dich wählen, Mihashi. Und das sage ich nicht einfach nur so.“ „Ich auch!“, rief Mihashi hingerissen mit funkelnden Augen. „Was ‚ich auch’?“ „I- ich würde dich auch wählen!“ „Wenn du zwischen Hatake und mir wählen müsstest?“, fragte Abe zweifelnd. „Ja.“ „Mihashi. Dass du das überhaupt als Wahl ansiehst! Ist doch klar, dass du dich für mich entscheidest.“, entgegnete Abe arrogant und verpasste Mihashi entrüstet eine zweite liebevolle Kopfnuss. „Ich bin definitiv der bessere! Oder hast du etwa etwas dagegen einzuwenden?!“ Abe setzte spielerisch eine drohende Miene auf. „Ich mag dich lieber.“, flüsterte Mihashi. „Was magst du lieber? Kannst du vielleicht mal so sprechen, dass ich dich gleich beim ersten Mal komplett verstehen kann?!“ „Ich mag dich lieber.“, wiederholte Mihashi etwas lauter und blickte Abe für einen Moment nachdrücklich an. Innerlich jubelte er, dass er es tatsächlich geschafft hatte, solche Worte an seinen Catcher zu richten. Gleichzeitig hoffte er aber, dass dieser es nicht so verstand, wie er es sich insgeheim wünschte. Mihashi hatte keine Ahnung, wie Abe über Homosexualität dachte und würde es daher nicht riskieren, dass dieser ihm womöglich wegen eine unüberlegten Liebeserklärung aus dem Weg gehen würde. Als Folge dessen könnte er nämlich seine Position als Pitcher an den Nagel hängen, denn ohne Abe wäre er verloren. Er brauchte ihn. Ahhh…ich muss das ganz ganz schnell aufklären… Während Mihashi panisch nach einer geeigneten Lösung suchte, sah er versessen zu Abe, dessen Miene Verunsicherung zeigte. Aber nicht nur die konnte er in dem Gesicht erkennen, sondern einen weiteren seltsamen Ausdruck, den er nicht einordnen konnte. Abe starrte verwirrt zu Mihashi, da er nicht wusste, wie dieser das meinte. „Du magst mich…lieber?!“ Er sah, dass Mihashi einen feuerroten Kopf bekam. Er meint das jetzt doch nicht wörtlich, oder… Abe suchte den Blick seines Pitchers, aber dieser vermied es, ihn anzusehen. Mihashis Verhalten ließ sein Herz augenblicklich schneller schlagen. Er musste sich zusammenreißen und überlegen, wie er diese Aussage entkräftet oder gar bestätigt bekam, aber Abe hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Mihashi kam ihm unerwartet zur Hilfe. „D- di- dich und Taji- ma, Sakaeguchi, Ha- Hamada-“, sprudelte es stockend aus Mihashi heraus. „Schon klar, alles verstanden.“, entgegnete Abe gelassen, der bemerkte, dass ihn Mihashis relativierende Antwort enttäuschte und er daher innerlich aufstöhnte. Heute war definitiv nicht sein Tag. Die gemeinsamen Stunden mit Motoki hatten ihn schon angestrengt, aber das hier war deutlich schlimmer. Er wusste nur noch nicht zu sagen, warum er es so empfand. Seine Reaktionen auf Mihashis Verhalten waren nicht neu, aber da schien sich etwas noch Namenloses in ihm zu entwickeln, was ihn im höchsten Maße irritierte und für seine seltsamen Gefühlsregungen Mihashi gegenüber verantwortlich war. Wenn Abe aber ehrlich zu sich selbst war, konnte er sehr wohl sagen, was da mit ihm geschah. Dieser Zustand war ihm nicht unbekannt, glauben wollte er es dennoch nicht. Nicht, wenn es sich dabei um Mihashi drehte. Das war einfach zu grotesk, um wahr zu sein. Und doch, Mihashi spielte nicht mehr nur als Pitcher eine große Rolle für ihn, sondern zunehmend auch als Freund oder besser, als denkbarer Liebhaber. Liebhaber?! Jetzt bin ich also schon so weit… Abe schüttelte den Kopf und betrachtete Mihashi genauer. Dieser war aufgestanden und durchsuchte murmelnd einen Zeitschriftenstapel. Eigentlich hatte er sich geschworen, niemals mehr etwas mit einem Teamkollegen anzufangen – schon gar nicht mit dem Pitcher. Dass das nur Probleme mit sich brachte, sah er wunderbar an Motoki. Obwohl sie beide nicht mehr zusammen in einem Team spielten, trafen sie sich hin und wieder, um über Baseball zu quatschen und dann letztlich zum Schluss im Bett zu landen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn Motoki nicht seit neuestem ein besitzergreifendes Verhalten an den Tag legen würde, dass ihn unheimlich nervte und ihren entspannenden Umgang miteinander gefährdete. Abe seufzte lautlos und konzentrierte sich auf Mihashi, der sich wieder an den Tisch gesetzt hatte und ihm eine aufgeschlagene Zeitschrift zuschob. „Da!“ „Was meinst du?“ Abe sah sich die Doppelseite genauer an und zog interessiert die Augenbrauen in die Höhe. Es war eine Reportage über den Ort, den sie am Wochenende besuchen würden. Am Samstag fand dort ein kleines Fest statt, welches neben den üblichen Dingen wie Feuerwerk, Imbissbuden und Spielen für die ganze Familie auch einen kleinen Wettbewerb im dortigen Batting Center anbot. Abe überflog die näheren Informationen dazu und blickte anschließend zu Mihashi, der ihm zwar noch nicht wieder direkt in die Augen sehen konnte, dafür aber wieder eine normale Gesichtsfarbe zur Schau trug. „Bedeutet das, du willst, dass wir da mitmachen?“ „I- ich nicht! Aber Tajima, du und Hanai könntet doch?“, meinte Mihashi rasch, der erneut aufgestanden war, um anschließend mit einer Schale Nüsse zum Tisch zurückkehren zu können. Abe sah, dass sich sein Pitcher auch sofort über sie hermachte. Er musste lächeln. „Hm… Spannend klingt es allemal, aber ich weiß nicht. Wir wollten uns dort doch eigentlich ein wenig Ruhe gönnen? Hast du den anderen schon davon erzählt?“ „Nei- nein. Ich habe au- auch erst heute Morgen von Shu-chan davon erfahren und ve- vergessen, es Tajima zu erzählen.“ „Shu-chan?!“, fragte Abe neugierig, der nicht wusste, wen Mihashi damit meinte. „Kanou Shuugo.“ „Ah. Der Pitcher von Mihoshi. Aber Shu-chan!?! Das findet er gut? Darf er dich im Gegenzug Ren-Ren nennen?“ Abe sah, wie Mihashi das Gesicht verzog. „Ren-chan klingt meiner Meinung nach viel niedlicher! Aber eigentlich ist Ren am Besten…“, neckte Abe, der sich gehörig am Riemen reißen musste, um nicht etwas noch viel Unpassenderes zu sagen. „Ta- Taka- Takaya.“, stammelte Mihashi. „Ja, so ist mein Vorname. Willst du etwas Bestimmtes damit sagen?“ „Ha- Haruna.“ „Hm. Das ist der Nachname von Motoki. Kannst du mir vielleicht erklären, was du sagen willst?“, entgegnete Abe unbesonnen. „Ach halt, vielleicht spielst du darauf an, dass mich Motoki beim Vornamen anspricht?!“ Abe sah, wie Mihashi mit dem Kopf nickte. „So? Macht dir das etwa etwas aus?“ Aus Mihashis Kopfnicken wurde ein heftiges Kopfschütteln gepaart mit einem bestürzten Gesichtsausdruck, was Abe zum Lachen brachte und das Bedürfnis weckte, seinen Pitcher noch mehr zu ärgern. „Wie wär’s, willst du mich nicht auch Takaya nennen?“ Abe sah, wie sich Mihashis Augen für einen Moment vor Überraschung weiteten, ehe diese nervös den Blick abwandten. „D- das ge- geht do- doch nicht…“, stotterte Mihashi verlegen, dessen Gesicht erneut glühte. „Hast recht. Bei Abe hast du nicht so viele Möglichkeiten, ihn mit deinem Stammeln zu zerstückeln. Bei Takaya sieht das schon ganz anders aus! Es wäre definitiv zeitraubender darauf zu warten, bis du meinen Vornamen komplett ausgesprochen hast!“, erwiderte Abe leichtfertig, dem nicht entging, dass sich Mihashis Augen für einen Moment enttäuscht trübten. „Es ist aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen, hörst du?!“, fügte Abe schnell hinzu, dem ein wenig das schlechte Gewissen plagte. Er ließ sich einfach zu schnell dazu verführen, Mihashi aufzuziehen. Es fiel ihm aber auch zu schwer, dem zu widerstehen. Denn würde er seinen Pitcher nicht ärgern, würde er sich stattdessen wohl auf ihn werfen und auf andere Weise seinen Spaß mit ihm haben. So gesehen war sein widersprüchliches Verhalten eine Art Selbstschutz, vor allem aber ein Schutz für Mihashi, den er mit seinen wahren Wünschen nicht ängstigen wollte. Abe blickte besorgt auf die Wanduhr. Es war inzwischen spät geworden und er müsste sich ziemlich beeilen, um die letzte Bahn noch zu erwischen. Vielleicht war jetzt auch der beste Zeitpunkt um zu gehen, denn länger würde er seine Fassade nicht mehr aufrecht halten können – nicht, wenn Mihashi weiterhin so liebenswürdig aus der Wäsche guckte. „Es ist schon spät. Ich sollte besser gehen. Tut mir leid, dass wir nicht weiter über den Wettbewerb reden können, aber vielleicht ist das auch besser am Freitag, wenn wir alle zusammen sind.“, meinte Abe, der aufstand und skeptisch an sich hinab sah. „Du hast nichts dagegen, wenn ich mit deinen Sachen nach Hause gehe, oder?“ Mihashi stand ebenfalls auf und schenkte ihm ein zustimmendes Nicken. „Gut. Dann nehme ich die nassen Sachen in einem Plastikbeu-“ „D- die kannst du hi- hierlassen. Ich we- werde mich darum kümmern, dass sie gewaschen werden. Schli- schließlich bin ich schuld, d- das sie dreckig ge- geworden sind.“, rief Mihashi hastig dazwischen, der von einem Fuß auf den anderen zappelte und Abe fragend ansah. „Okay, soll mir recht sein. Dann kannst du sie ja am Freitag mitbringen? Oder soll ich sie vorher lieber abholen?“ „Freitag.“, antwortete Mihashi kurz angebunden. „Ja, dann mal vielen Dank für das leckere Essen. Kannst deiner Mutter meinen besten Dank ausrichten! Wir sehen uns dann also spätestens am Freitag früh.“ „O- okay.“ Mihashi folgte Abe in den Flur, wo dieser in die durchnässten Schuhe schlüpfte und nach seinem Rucksack griff. Er schulterte diesen und blickte anschließend zu Mihashi, der mit unbeständiger Miene vor ihm stand. Abe meinte unter anderem Enttäuschung in dessen Gesicht lesen zu können, aber er wollte sich nicht in Spekulationen verlieren. Wenn Mihashi wirklich etwas für ihn empfand, was jenseits reiner Freundschaft anzusiedeln war, dann würde er einfach abwarten und schauen, was noch passierte. „Bis dann!“ „Ja, bis dann.“ Abe schmiss sich erleichtert auf sein Bett und betrachtete das alte ausrangierte Handy in seiner Hand. Sein neues war definitiv hinüber, seit es durch seinen Sturz in den Teich vollkommen durchnässt worden war. Zum Glück war wenigstens seine Karte heil geblieben, so dass er sich nicht um eine neue kümmern musste. Dennoch war es natürlich ärgerlich, aber leider nicht mehr zu ändern. Das alte würde vorerst ausreichen müssen. Seufzend rollte er sich auf den Bauch und überlegte, ob er Mihashi eine Sms schreiben sollte, um diesen über den einwandfreien Zustand seiner Karte aufzuklären. Der Gedanke an seinen Pitcher zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Wenn er an die Stunden zurückdachte, die er heute in dessen Gegenwart verbringen durfte, wurde ihm warm ums Herz. „Ren…“, flüsterte Abe vernarrt und ermahnte sich sofort, diesen Gefühlen nicht so viel Raum zu geben. „Aaaaahhhhhhhh…wie kann ich nur!?!“ Er schloss für einen Moment die Augen und versuchte sich vorzustellen, Mihashi zu küssen. Seiner Hoffnung zum Trotz, klappte das erstaunlich gut. „Ich bin verloren…“ Abe suchte Mihashis Nummer raus, und begann eine Nachricht zu tippen. HALLO REN-REN! ;) MEIN HANDY IST HINÜBER, ABER DIE KARTE FUNKTIONIERT NOCH! GLÜCK GEHABT… ABE Nachdem er die Mitteilung abgeschickt hatte, stand Abe auf und öffnete das Fenster. Sein Zimmer war zwar recht kühl, aber das Windspiel vor seinem Fenster signalisierte ihm, dass draußen ein angenehmer Wind ging und er diesen nutzen wollte, um ein wenig unverbrauchte Luft in sein Zimmer wehen zu lassen. Mit der Luft kamen natürlich auch die ausgesperrten Geräusche der nahen Bahnstation und der unzähligen Zikaden, die mit ihrer beständigen Musik den Sommer untermalten. Abe atmete tief ein und blickte befreit hinab zur Straße, wo er eine getigerte Katze an der Straßenlaterne entlang schleichen sah. Diese gehörte zu ihrem Nachbarn zwei Häuser weiter, der noch drei weitere besaß. Abe blickte ihr verträumt hinterher, als auf dem Bett sein Telefon zum Leben erwachte. FREUT MICH ZU LESEN, ABER KÖNNTEST DU ES BITTE UNTERLASSEN, MICH REN-REN ZU NENNEN? :\ MIHASHI Abe lachte. Er konnte sich richtig gut vorstellen, wie sein Pitcher versucht hatte, aufgebracht auf dem Handy herumzutippen. Er sandte Mihashi umgehende eine Antwort, die von seiner ausgelassenen Stimmung nur so sprühte. SCHADE. DANN EINFACH NUR REN? DA FÄLLT MIR EIN, WENN DU SCHON SAGST, DASS DU ALLE MAGST, GIBT ES JEMANDEN, DEN DU VON ALLEN AM MEISSTEN MAGST? ;) ABE Abe wusste, dass er sich jetzt wirklich kindisch benahm, aber er konnte einfach nicht anders. Er mochte es, Mihashi zu ärgern, ohne dabei natürlich über das Ziel hinauszuschießen. Dennoch fragte er sich, ob diese Frage nicht doch etwas daneben war. Zurücknehmen konnte er sie jetzt jedenfalls nicht mehr. Abe hoffte, dass Mihashi es genauso scherzhaft betrachtete wie er selbst – auch wenn er sich letztlich etwas anderes wünschte. Sein Handy kündigte eine weitere Sms an. ICH MAG DICH VON ALLEN AM LIEBSTEN… Abe starrte mit offenem Mund auf das Display und ließ sich tief in das Kopfkissen sinken. „Jetzt bin ich endgültig verloren…“, wisperte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)