Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 33: Sprechstunde ------------------------ Glücklich und zufrieden schloss ich mein Lehrbuch zur Biochemie und seufzte. Nachdem ganzen Trubel rund um meine Freunde, war ich heil froh, wieder an meinen Lieblingsort zurückzukehren: Meinen Schreibtisch voller Bücher und Hausarbeiten, die es zu schreiben galt. Und noch viel glücklicher war ich, dass ich gleich zwei auf einmal fertig hatte. Die Ausdrucke lagen sorgfältig in Mappen geordnet vor mir, und zum ersten Mal seit langem waren keine Flecken von spontan umgekippten Säften drauf. Ich musste es also nicht nochmal ausdrucken. Zumindest hoffte ich es. Als es an meine Zimmertür klopfte zuckte ich zusammen. Manchmal vergaß ich, dass ich hier nicht alleine wohnte. Mein Mitbewohner Hans, seines Zeichens ebenfalls Medizinstudent, lugte herein. „Joe? Sag mal kann ich mir dieses eine Chemiebuch nochmal ausleihen? Ich hab mein´s immer noch nicht gefunden...“, fragte er und ich seufzte. Im Gegensatz zu mir nahm es weder er noch unser dritter Mitbewohner mit dem Aufräumen und der Hygiene sehr genau. Okay aufräumen tat ich auch nicht besonders gern, aber meine Lernbücher verlor ich niemals. Was ein Wunder, hm? Trotzdem war ich sehr verblüfft darüber, dass Hans, der bislang kein Wort Japanisch sprach, einen flüssigen Satz über die Lippen gebracht hatte. Vielleicht erinnert ihr euch daran, dass er aus Deutschland ohne Japanisch-Kenntnisse kam? Wortlos zeigte ich auf mein umfangreiches Bücherregal, dass ich, um den Überblick zu behalten, alphabetisch sortiert hatte. Seht ihr, hier hielt ich Ordnung! Hans schnalzte mit der Zunge, zog das Buch aus dem Regal und schaute mich eine Weile an. Ich zog die Augenbrauen fragend zusammen bis er grinste. „Dein Wasser ist ausgekippt, Joe...“, sagte er im gebrochenen Japanisch, drehte sich um und verschwand, während mir das kalte Nass langsam auf die Hose tropfte. Ich schrie auf, nicht nur vor Schreck, sondern auch aus Wut, weil ich meine kostbaren Hausarbeiten nun doch wieder ausdrucken durfte. Es dauert eine Weile, bis die Sauerei von meinem Schreibtisch beseitigt war. Denn nicht nur meine Hausarbeiten waren voll gesogen, nein, auch andere Papiere waren klitschnass. Meinem armen Holztisch bekam das wahrscheinlich am allerbesten. Meine Hose wechselnd entschloss ich mich, für heute Schluss zu machen. Das war so ein Zeichen dafür, dass ich wieder viel zu viel auf einmal gemacht hatte. Vielleicht sollte ich mal vor die Tür gehen? Dabei wanderten meine Gedanken zu Sora. Seit Tagen war es wieder sehr still um sie geworden. Oder vielleicht war ich auch einfach mal wieder der Letzte, der irgendetwas mitbekam. Das lag natürlich rein gar nicht an meinem Lernrausch. Nein. Trotzdem sollte ich mich nicht immer darüber beschweren, dass mir niemand etwas erzählte, sondern einfach selbst nachfragen. Vielleicht konnte ich Sora irgendwie helfen, was wahrscheinlich unmöglich war. Weder konnte ich Französisch, noch hatte ich Beziehungen zu Universitäten. Ich besuchte nur eine. Entschlossen griff ich zu meinem Handy und wählte unter meinen Kontakten Soras Nummer aus. Nach wenigen Sekunden nahm sie ab. „Joe?“, fragte sie überrascht was mich grinsen ließ. „Ja, ja ich weiß. Kido ruft von ganz alleine an, dass ist neu.“ Sie lachte. Das war ein gutes Zeichen, oder? „Ich freue mich, dass du anrufst...“ „Das hätte ich schon eher machen sollen... Darf ich fragen, wie es dir geht? Konntest du dich von deiner Reise erholen?“ Ein paar Stimmen im Hintergrund bedeuteten mir, dass ihre Eltern wohl im selben Raum waren. „Doktor Kido ich bin selbstverständlich ihrem Rat gefolgt! Ich habe nach der Feier fast zwei Tage lang nur geschlafen. Matt musste zwischendurch meine Eltern anrufen, um ihnen zu sagen, dass ich noch lebe...“ Ich seufzte erleichtert. Sora klang wieder wie Sora und an ihrer Tonlage konnte ich erkennen, dass sie den ersten Schock wohl überstanden hatte. Auch wenn ich wirklich neugierig war, wollte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen, und sie fragen, ob sie wieder plante nach Frankreich zu gehen. „Wow fast zwei Tage? Das hattest du aber auch dringend nötig!“ „Ja... Wenn du gesehen hättest, wie ich aussah, als ich ankam, hättest du mich wahrscheinlich direkt ins Krankenhaus befördert...“ Sie seufzte und wechselte kurz ein paar Worte mit ihrem Vater, soweit ich es raushören konnte. Meine Finger trippelten nervös auf meinem Knie. Wenn ich das Gespräch aufrecht erhalten konnte, dann würde sie mir vielleicht auch ohne Nachfrage sagen, was sie nun vorhatte. „Einen schönen Menschen kann doch nichts entstellen!“ Wieder lachte sie. „Joe du Schleimer... ich finde es übrigens super, dass du anrufst...“, sagte sie mit ruhiger werdender Stimme. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich mochte gerade seit meinem Studium ein mieser Freund gewesen sein, aber das Wohl meiner Freunde lag mir steht´s am Herzen. Und gerade Sora, nachdem ihr so viel Leid angetan wurde. „Wirklich? Ich dachte schon, ich störe gerade...“ „Nein, nein. Wenn du nicht angerufen hättest, hätte ich es getan...“ Meine Augen weiteten sich. Sie hätte mich sonst angerufen? „W-wirklich?“ „Ja... Joe du bist immer jemand gewesen, der ernste Situationen mit einem halbwegs objektiven Blick betrachten konnte. Und ich konnte mich immer auf deine ehrliche Meinung verlassen. Alle unsere Freunde sind gerade so sehr mit sich selbst beschäftigt, nur du kannst mir gerade eine Stütze sein... Ich mein neben Matt natürlich... und auch nur wenn... du Zeit hast. Und Lust.“ „Mensch Sora du weißt doch, du kannst dich auf mich verlassen. Immer!“ Ich bereute meine Worte sofort, denn meine Zuverlässigkeit ließ in letzter Zeit stark zu Wünschen übrig. Ich hatte Cody einfach am Flughafen vergessen, als ich zuvor versprach, ihn nach Hause zu bringen. Weil er krank war. Und bis heute hatte ich mich dafür nicht entschuldigt. Das schlechte Gewissen begann mich wieder zu plagen. Aber zumindest an Sora konnte ich es doch gut machen. „Also... Hast du denn Zeit?“ „Perfekter könnte der Zeitpunkt nicht sein, ich bin gerade mit meinen Aufgaben fertig. Soll ich mal vorbeikommen, oder wollen wir uns irgendwo treffen?“ „Komm doch vorbei. Wenn es okay ist...“ „Ich bin quasi schon da!“, sagte ich und legte auf. Sora brauchte mich. Joe. Ich lächelte. Ich freute mich endlich wieder beweisen zu können, dass ich ein guter Freund war. Bei Cody würde ich mich danach entschuldigen. Auf jedenfall. Ich schnappte mir Handy und Schlüssel und ging in den Flur, um mir meine Schuhe anzuziehen. Dort hustete Jason, mein andere Mitbewohner, vor sich hin. Die vielen ausschweifenden Nächte, die der Jurastudent so sehr liebte, schienen sich nun an ihm zu rächen. Er sah mich mit gläsernen Augen an und ich verzog das Gesicht. „Joe... my friend...“, säuselte er und stolperte auf mich zu. Meine Arme vor mich haltend, konnte ich ihn gerade noch davon abhalten, mich zu umarmen. Mit einem leichten Schubser stieß ich ihn weit genug von mir weg, so dass er mir nicht ins Gesicht nieste. Er schmollte. „Hey Doc, I need your healing powers!“ Das Jason hier wohnte hatte nur ein Gutes: Ich konnte endlich ein wenig Englisch lernen. Ich war erst im dritten Semester, aber man musste kein Arzt sein um zu erkennen, dass er eine dicke Erkältung hatte. Da ich selber ein Mann war, wusste ich natürlich, dass wir steht´s so taten, als wären wir dem Tode nah, sobald die Nase lief. Und Jason würde mich nicht in Ruhe lassen, ehe ich ihn verarztet hatte. Ich seufzte. „Well, Jason. You should go back to bed and get some sleep! And I go and get you some supplies for your recovery!“, versprach ich ihm und hoffte, dass es damit gut war. Jason grinste dankend und verbeugte sich. „You´re the best, Joe. I knew I could rely on you!“ „But I hope it´s okay, that you have to wait a little longer...“ Ich schwang mich in meine Jacke, während mich Jason schmollend ansah. „I have a very important appointment that can´t wait...“ Er musste ja nicht wissen, dass ich ihm offensichtlich einer wirklichen Freundin vorzog. Das hätte nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Jason zuckte mit den Schultern und verschwand ohne Kommentar in seinem Zimmer. Ich hoffte dass das, was ich gesagt hatte, Sinn ergeben hatte. Aber es war mir auch egal. Von meinem Studentenheim zu Sora waren es nur wenige U-Bahnstationen. Somit stand ich wirklich in Null Komma nichts bei ihr auf der Matte. Mich umarmend begrüßte sie mich. Sie sah wirklich deutlich besser aus, als an dem Abend ihrer Wiederkehr. Und sie roch nicht mehr nach Flughafen. Ihre Augen strahlten wieder in ihrem alten Glanz. „Das ging aber wirklich schnell...“, stellte sie fest, als sie mich in den warmen Flur der Takenouchis zog. Ein angenehm blumiger Duft erfüllte den Raum. Kein Wunder, war ihre Mutter doch immer sehr darauf bedacht, dass in der Wohnung viele Blumen aus ihrem Laden standen. Ich winkte Soras Mutter zur Begrüßung, die kurz um die Ecke lugte. Sora schob mich in das Wohnzimmer, vorbei an die Küche, in welcher ich aus dem Augenwinkel ihren Vater erkannte. „Ach, Joe! Mensch, lange nicht gesehen.“, rief er mir zu und ich winkte ihm ebenfalls. Sora bot mir einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich zu mir. „Es ist ungewohnt, dass Matt nicht hier herumschleicht...“, sagte ich im Scherz während Soras Mutter etwas zu Trinken brachte. Ich bedankte mich und nahm einen Schluck Tee. Man schien mich erwartet zu haben, denn Soras Mutter machte keine Anstalten zu gehen. Erst, als Sora sich verärgert räusperte, ging sie. Aber nicht weit weg. „Er kümmert sich um Tai... Dem geht’s... ehm bescheiden.“ Ich zog die Augenbrauen fragend zusammen, denn offensichtlich hatte ich noch deutlich mehr nicht mitbekommen. Sora sah mir meine Verwirrung an und zuckte mit dem Schultern. „Wirklich, ich hab keine Ahnung. Ich hab nur gehört, dass da wohl etwas mit Mimi gewesen sein soll.“ Ich verdrehte die Augen. Diese Frau nahm aber auch Überhand in letzter Zeit. „Darüber können wir ja ein anderes Mal philosophieren...“, entgegnete ich und schaute sie gebannt an. „Was kann ich für dich tun, Sora?“ Sie lächelte, offenbar erleichtert, sich jemand anderem öffnen zu können. „Du klingst echt schon wie ein richtiger Arzt, Joe...“ Ich spürte wie mein Wangen rot wurden, was alle im Raum zum Lachen brachte. „Ich brauche deinen Rat.“ die Augenbrauen anhebend sah ich meiner anscheinend sehr entschlossenen Freundin in die hellbraunen Augen. Mein Eindruck schien sich zu bestätigen. Sora war zu alten und neuen Kräften gekommen. Hatte sich nicht hängen lassen. So kannten wir sie, die Kämpfernatur. Auswegslos war es ja schon öfter gewesen. Und Sora machte nun wohl das beste draus. Stolz schenkte ich ihr meine volle Aufmerksamkeit. „Also... Dank den Kontakten meines Vaters ist es mir möglich ins Sommersemester des jetzt anfangenden Modedesign-Studiums an der Nagoya-Universität einzusteigen...“, berichtete sie mir aufgeregt und ich sah in ihren Augen wie froh sie über diese Chance war. Erstaunt klatsche ich in die Hände. „Das klingt ja wunderbar! Ich freu mich riesig für dich!“ Ich sah aus der Ferne, das auch ihre Eltern sehr erleichtert wirkten, vor allem ihre Mutter. Eine Mutter konnte nun mal am schlechtesten dabei zu sehen, wie das Vögelchen das Nest verlässt. Trotzdem. Auch Nagoya war nicht unbedingt um die Ecke. Da war man locker an die drei Stunden unterwegs. „Darf ich fragen, was mit deinem Frankreich-Studium ist? Ich mein, es ist super, dass du uns erhalten bleiben könntest, aber dein Traum war es doch in Paris zu studieren?“ Sie nickte stumm und sah nervös zu ihren Eltern. „Nun ein Positives gibt es zu vermelden: Ich habe mein Geld zurückbekommen. Auch wenn ich da erst mit einem Anwalt drohen musste...“, erklärte Soras Vater aus der Ferne. Das hieß wohl so viel wie das der Traum endgültig geplatzt ist. Enttäuscht sah ich zu Sora, die zwischen erleichtert und traurig zu schwanken schien. „Das zu hören tut mir leid...“ Sie sah zu mir auf und lächelte dankbar. „Es gab angeblich einen Systemfehler im Datenserver der Uni. Sämtliche Daten zu Studenten mussten erst wieder hergestellt werden. Und ausgerechnet meine seien nicht mehr aufgetaucht. Und so hatte man mich gar nicht erst in der Kartei des Studiengangs.“ Ich schüttelte irritiert den Kopf. Auch ich hatte schon mit Prüfungsämtern und Universitätsmitarbeitern zu tun gehabt, aber so ein Fall war mir noch nie zu Ohren gekommen. Man konnte doch nicht einfach eine eingeschriebene Studentin rauswerfen? „Aber das kann doch nicht deren Ernst sein? Wozu der ganze Aufwand, wenn die dich auf nicht mal an ihrer Uni studieren lassen? Da muss doch was zu machen sein!“ Sora zuckte mit den Schultern, fast, als wäre es ihr egal. „Man kam mir mit einem anderen Vorschlag entgegen. Ich könnte zum Wintersemester anfangen. Das beginnt in Europa im Oktober...“, antwortete sie, sich an ihrem Becher Tee festklammernd. „Sie wollen so den von Papa angedrohten Rechtsstreit umgehen...“ „Nun... Immerhin hättest du die Möglichkeit...“ „Verstehst du nicht Joe?“ Sora unterbrach mich und sah mich verzweifelt an. Mir stockte der Atem, als ich spürte, wie sie die Situation zerriss. „Die wollen mich nicht. Die wollen nur keine Probleme...“ Sie lehnte sich seufzend zurück und ich sah sie mitleidig an. Von ihrer eingehends gezeigten Euphorie war im Moment nicht mehr viel übrig. Das musste ich doch wieder aufbauen können. „So darfst du nicht denken Sora! Du hast soviel deiner Kreativität und Energie darein gesteckt, und um deinen Platz gekämpft! Ich habe ja wirklich keine Ahnung von Mode, aber das, was du ich gesehen habe, war doch wohl der Wahnsinn! Wenn die Uni dich nicht gewollt hätte, dann hätten sich alle den Aufwand ja auch sparen können. Waren sie nicht begeistert? Du bist dort immerhin immatrikuliert Sora. Das hat seinen Grund.“ Sie lächelte und strich sich eine kleine Träne von der Wange. Einen Schluck Tee trinkend beobachtete ich Sora, wie sie sich wieder aufrichtete um ihren Becher abzustellen. „Danke... Tut gut das zu hören. Aber eben weil ich einen Beweis habe, dass ich Studentin an dieser Uni bin, kommen sie mir mit dem Angebot. Leugnen können sie mich nicht, aber sie können mich angeblich auch nicht in den eigentlichen Studiengang packen. Er sei zu voll. Daher der Vorschlag mit dem Wintersemester. Papa sagt, dass sie das machen müssen, weil sie sonst die schon erwähnten rechtlichen Probleme kriegen. Eigentlich müssten sie sogar dafür sorgen, dass ich in den Studiengang komme, für den ich eingetragen bin. Da Papa schon ahnt, dass die einen langen Atem haben werden, hatte er mir die Möglichkeit mit Nagoya verschafft.“ Sie stand auf und lief vor mir auf und ab. „Klingt nach einer Menge Stress, zu dem es nicht hätte kommen müssen...“, stellte ich fest und streckte meine Beine aus. Sora schnaubte zustimmend. „Wem sagst du das... Kannst du dir jetzt vorstellen, warum ich... na ja... einen erwachsenen Rat brauche? Ab gesehen von dem meiner Eltern natürlich.“ Sie sah von mir zu ihren Eltern und wieder zurück, tippelte nervös auf der Stelle, kaute an ihren Nägeln. Nachdenklich sog ich den Duft meines Tees ein. Was sollte ich ihr raten? „Ich bin ehrlich überfragt. Aber wenn ich ehrlich sein soll...“ Ich sah zu ihr hoch und unsere Blicke trafen sich. Erwartungsvoll wartete sie auf meine Antwort. „...Nagoya soll ja ganz... schön sein...“ Ihre Augen weiteten sich, fast schon vor Freude. Es wirkte so, als ob sie mich umarmen wollte, weil es scheinbar das war, was sie hören wollte. Dass ich ihr von Frankreich abriet. Sie lieber hier bleiben sollte. „Ich kann während meines Studium in Nagoya auch ein Auslandsjahr machen, sagt Papa.“, fügte sie aufgeregt flüsternd hinzu. Ich nickte. „So was in der Richtung habe ich nächstes Jahr auch vor.“ „Wirklich?“ In ihren Augen konnte ich ein unglaubliches Leuchten sehen. Und dann begriff ich: Sie hatte längst mit Frankreich abgeschlossen. Das hier war nur die Suche nach einer Bestätigung von einem Freund. Von einem, der nicht 24 Stunden um sie herumkreiste. Eben nicht ihre Eltern. Oder Matt. Etwas enttäuscht lehnte ich mich vor. "Aber dein Traum...?", flüsterte ich als wäre das hier das größte Geheimnis der Welt. Sora sah hin und her, wich meinem fragenden Blick aus. Sie setzte sich wieder neben mich und seufzte. "Ja ich weiß... Aber so sehr ich auch in Paris studieren und endlich mal raus aus Japan wollte, genauso sehr sehnte ich mich danach das alles so blieb wie es war. Matt und ihr alle in meiner Nähe. Immer greifbar, verstehst du?" Nickend räusperte ich mich, nahm noch einen Schluck Tee und grübelte. Natürlich verstand ich Sora. Aber das waren Gedanken, die sie nicht erst seit gestern hatte. Gedanken, die ihr sicherlich schon von dem Punkt an im Kopf kreisten, von dem sie von ihrem Studienplatz wusste. Und bot so eine Gelegenheit nicht auf die Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen? Das war doch super! "Ich habe immer das Gefühl das, wenn ich das erzähle, dass jeder schlecht von mir denkt. Das man vielleicht meinen könnte, ich wollte nie nach Frankreich und das mir das gut in den Kram passt, wieder hier zu sein." Tränen wegblinzelnd sah sie zu mir herüber. Wahrscheinlich hoffte ein Teil von ihr, ich würde ihr widersprechen. "Das man den Eindruck gewinnt, das du es nicht besonders schlimm findest, wieder in Japan zu sein kommt nicht von deinen Worten Sora.", begann ich schließlich zu erklären. "Man sieht es dir einfach an. Deine Augen sprechen Bände." "Ich wusste, dass du das sagen würdest.", meinte sie sich auf die Lippe beißend. "Deswegen rede ich ja auch mit dir und nicht mit... Tai oder so." Ich lächelte. "Ich wette Matt hat dir das auch schon gesagt. Und wenn nicht mit Worten, dann mit seiner Körpersprache. " Sora sah mich eine Weile wortlos an ehe sie erneut nach ihrem Becher griff. "Hat er wohl. Aber ich glaube Matt ist das Thema mittlerweile einfach nur noch leid... Ich will ihm damit nicht immer in den Ohren liegen, weißt du..." Sich zurücklehnend seufzte sie. "Das soll nicht heißen, das du jetzt mein Ersatz bist, Joe... Ich brauche wirklich deinen Rat." Soras Eltern schlichen gruselig auffällig um uns herum. Wahrscheinlich hatten sie das Gespräch eh mitgehört und neugierig zu erfahren, was ich zu erzählen hatte. Sora dachte von ihnen hundertprozentig genauso wie von Matt: Keiner hatte mehr Lust ihr zu zuhören. Ich wartete bis die beiden wieder etwas weiter weg waren. "Sora das ist ein klassischer Herzens-Konflikt. Ein Teil von dir will raus in die Welt und dem Traumstudium in Paris folgen. Aber der andere Teil hängt in Japan fest, an deinen Eltern an deiner Liebe an deinen Freunden.“ Sie nickte und nippte wieder an ihrem Tee. „Soweit war ich auch schon. Glaub mir... Aber irgendwas in mir sagt, dass... ich nach Frankreich muss.“ „Sora das musst du nicht. Mach das nicht zu deiner Pflicht!“, ermutigte ich sie. „Das, was du für dich am Besten hälst, das solltest du tun. Niemals solltest du etwas machen, nur weil das jemand anderes für richtig hält oder weil du ein schlechtes Gewissen bekommst, wenn du es jemand anderen nicht recht machen kannst. Geh deinen Weg.“ Sora stellte ihre Tasse ab und umarmte mich. Und ich umarmte sie. Ich konnte spüren das ich ihr tatsächlich geholfen habe. Konnte merken, dass ihr Steine, nein Gebirgsketten, vom Herzen gefallen waren. Ich hörte ein leichtes schniefen. „Normalerweise bin ich es, die solche Ratschläge gibt. Danke Joe. Tausend Mal Danke.“ „Ey ich dachte das mit dem Anfassen ist mein Part?“, hörten wir plötzlich eine Stimme sagen, und ein Blick nach links meinerseits verriet mir, dass Matt vor uns stand. Weder hatte ich eine Klingel gehört noch Schritte. Der Blonde grinste und stellte eine große Sporttasche neben sich ab. „Dann übergebe ich mal, was?“, scherzte ich, löste die Umarmung. Sora grinste breit und sprang auf, um ihren Freund zu umarmen. Überrascht fing er sie auf, und hatte Mühe die Balance zu halten. „Hat Joe lustige Pillen mitgebracht?“, fragte er und lachte als Sora ihn bestimmt 300 Mal küsste. Erleichtert stand auch ich auf. Ich konnte tatsächlich etwas tun. Wer hätte das vermutet? „Ich hab mich entschieden, denke ich!“, sagte Sora, was auch die Aufmerksamkeit ihrer Eltern auf sie zog, die sofort näherkamen. Matt zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Was entschieden?“, wollte er wissen und ich versuchte ihn mit einem Lächeln zu beruhigen. „Ich... gehe auf die Universität in Nagoya. Das ist ein sicherer Studienplatz und ich... bin ganz in deiner Nähe...“, säuselte Sora, fast wie ein kleines Mädchen wippte sie hin und her. Matt staunte nicht schlecht. Der Musiker öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, aber Soras Vater kam ihm zu vor. „Dann können wir uns das Theater ja sparen!“, rief er begeistert und umarmte seine Frau, die stumm vor sich hin weinte. Beide schienen trotz des ganzen Trubels, der ja überhaupt erst deswegen veranstaltet wurde, sehr froh über den Ausgang zu sein. Und auch Matt und Sora waren es. Und ich natürlich. „Meine Uni ist in der Nähe von Nagoya...“, stellte Matt fest und schien das Ganze noch nicht vollends zu realisieren. „Wenn ihr nicht 3 Stunden pendeln wollt, empfehle ich euch echt, euch nach einem Studentenheim umzuschauen... Oder nach einer bezahlbaren Wohnung.“, sagte ich. Bei dem Wort Wohnung hatte ich Yamato voll erwischt. Im Positiven wohl gemerkt. „Oh mein Gott, ja Sora! Ich hab dir doch von diesem 1 Zimmerappartment erzählt, dass ich mir angesehen habe. Natsuko hatte mir versprochen, sie würde das Geld beisteuern...“ „Warte mal, deine Mutter bezahlt dir etwas?“, harkte Sora erstaunt nach. Soweit ich informiert war, war das Verhältnis von Matt zu seiner Mutter mit der Scheidung seiner Eltern eingefroren. Verwundert sah ich dem Blonden entgegen. „Nun ja... Sie ruft doch neuerdings öfter mal an und... sie sagte sie wolle mir auch mal was beisteuern... Und einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul, oder so Ähnlich...“ „Eben noch habe ich mein kleines Mädchen für drei Jahre in den Flieger nach Paris gesteckt, und jetzt zieht mein kleines Mädchen mit ihrem Freund nach Nagoya? Das ist zu viel für mein Vaterherz...“ Alle begannen zu lachen, als Herr Takenouchi theatralisch an seine Brust griff. Ich entschied den Moment der Freude zu nutzen, um zu gehen. „Ich müsste dann doch wieder los... Ich habe meinem Mitbewohner versprochen, ihn ein wenig aufzupeppeln. Er hat sich stark erkältet. Doktor Kido muss sich um einen überfeierten Partyjuristen kümmern.“ Sora löste sich von Matt und umarmte mich noch einmal. „Danke Doktor Kido. Dein Rezept war das Beste.“ „Gerne doch.“ Ich zwinkerte ihr zu, verabschiedete mich vom Rest und betrat erneut die Außenwelt. Von der Wärme der Wohnung in die frische Frühlingsluft Tokyos. Ich machte mich auf den Weg zur nächsten Apotheke und dachte schlechten Gewissens an Cody. „Du stehst als nächstes auf meiner Liste. Versprochen. Dieses Mal wirklich.“, sagte ich zu mir selbst und stieg die Treppen hinab zur U-Bahn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)