Strange World von MissBloodyEnd ================================================================================ Kapitel 26: Liebe ist nicht berechenbar --------------------------------------- Die Tage waren seit der Auseinandersetzung mit Koushiro am Bahnhof wie zähes Kaugummi vergangen. Ich hatte weder etwas von ihm gehört, noch hatte ich seine Nummer gewählt oder ihm geschrieben. Man könnte fast meinen, wir seien nicht mehr zusammen. Vielleicht war das auch so. Vielleicht war das Koushiros Art mir zu sagen, dass es vorbei war. Und vielleicht war das auch gut so. Der Gedanke daran, dass er vor mir stehend sagt, dass es kein „wir“ mehr gibt, zerriss mich förmlich in tausend Stücke. Andererseits war es eher selten der Fall gewesen, dass Izzy mal richtig raushaute, was er dachte oder fühlte. Bis auf vorgestern. „Selbst Mimi konnte das“ Ich lag auf meinem Fußboden und starrte zur Decke rauf. Leise, aber dennoch bemerkbar, konnte ich meine Mutter vor meiner Zimmertür patroullieren hören. Seitdem ich Vorgestern schreiend nach Hause gekommen und direkt in mein Zimmer gerannt war, um dort mit allem herumzuwerfen, was ich fand, machte sie sich große Sorgen. Es wäre ihr wohl lieber gewesen, wenn ich einfach geweint hätte. Aber so bin ich nun mal nicht. Ich bin nicht Mimi. Wohl ein Fehler. Mein Handy gab ein „Pling“ von sich. Schwerfällig erhob ich mich und sah auf das Display. Enttäuschung machte sich in mir breit, als ich feststellte, dass die SMS nicht von Izzy war. Irgendetwas in mir schien wohl zu hoffen, dass er sich doch meldete. Stattdessen war es Takeru, der mich fragte, ob ich Lust und Zeit hätte heute Abend zu Kari zu kommen um Matts Geburtstag zu feiern. Ich seufzte. Woher hatte der überhaupt meine Nummer? Und was sollte ich antworten? Auf der einen Seite mochte ich die Truppe echt gern, und ich hätte gern nochmal die Gelegenheit, den einen oder anderen besser kennen zu lernen. Es war echt ein bunter Haufen verrückter, lustiger Leute, die fest zusammen hielten und für einander einstanden. Das faszinierte mich. Auf der anderen Seite würde Izzy hunderprozentig auch kommen. Und das bedeutete wir würden uns sehen, müssten wahrscheinlich gute Miene zum bösen Spiel machen. Ich legte mich wieder hin und rollte mich hin und her. Was sollte ich nur tun? „Was wird das denn?“, fragte meine Mutter, die nun doch hereingekommen war. Ertappt sah ich zu ihr auf. Ich richtete mich auf und klopfte nicht vorhandenen Staub von meinen Klamotten und grinste verlegen. „Ehm... Denksport....?“, entgegnete ich an meinen Haaren zwirbelnd. Meine Mutter zog die Augenbrauen hoch. Sie machte sich echt mega Sorgen. „Sayachi... Liebeskummer ist wirklich furchtbar. Und es ist auch wichtig, dass du das erlebst und zulässt. Denn nur so kannst du das auch verarbeiten und dann hinter dir lassen.“ Meine Mutter war übrigens ein riesen Fan der Psychologie. Ich verdrehte die Augen. „Du liest zu viele Taschenromane...“, murmelte ich und wandte mich ab. Was wusste sie schon. Ich hörte sie seufzen und die Tür wieder schließen. Das war das kürzeste Mutter-Tochter-Gespräch der Geschichte. Aber wieso dachte sie das ich Liebeskummer hätte? Ich sah meine Spiegelung im Fenster. Da stand eine ziemlich traurig drein blickendes, dürres Klappergestell mit zu langen Haaren und zu großen Augen für das schmale Gesicht. Nicht so wie Mimi. Mir wurde schlecht wenn ich an diese blöde Oberziege dachte. Wenn Izzy sie doch noch so toll fand, dann soll er doch zurück in ihren Arsch kriechen. Und mir sollte es wieder egal sein, jawohl! So fing es schließlich mal an. Mir war es egal. Ich hatte mich einst doch so über ihn lustig gemacht. Ich schnappte mir mein Handy und entschloss mich T.K. zu antworten. „Danke für die Einladung. Ich komme gern.“ Ich schluckte entschlossen und warf das Gerät wieder auf mein Bett. Ich würde mir die Tage nicht weiter von Koushiro vermiesen lassen. Wenn er auf ultra sensibel machen wollte, dann sollte er eben in seinem Zimmer hocken und heulen. Ich würde das nicht tun. Sowieso verstand ich das alles nicht. Wieso konnte er einfach nicht akzeptieren, dass man nicht alles drei Mal durchkauen musste. Irgendwann ist auch einfach mal gut. Es klopfte. Wieder meine Mutter, die nochmal in ihren Büchern nachgeschlagen und nun den ultimativen Tipp hatte? Es war zum Haare raufen. Aber wenn ich sie nicht herein bat, würde sie sowieso gleich in der Tür stehen. „Ja... Komm rein. Aber laber mich nicht wieder mit Mist voll...“, sagte ich und tat so, als ob ich dringend irgendetwas für die Schule machen musste, in dem ich Papiere auf meinem Schreibtisch zusammensammelte. Ein Räuspern verriet mir, dass das nicht meine Mutter war. Geschockt wirbelte ich herum und starrte direkt in Izzys müdes Gesicht. Er sah furchtbar aus, hatte sicherlich seit Vorgestern nicht geschlafen. Seine Augen waren fahl und von Augenringen verziert, er wirkte blasser als sonst. Sein Hemd war falsch geknöpft und er trug zwei verschiedenfarbige Socken. Er war vollkommen fertig. „Hey...“, krächzte er. „Hey...“ Stille. Izzy sah an sich runter und schien zu realisieren, dass etwas mit seinem Hemd nicht stimmte. Zitternd versuchte er es zu korrigieren, aber er schien viel zu nervös dafür zu sein. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich hatte Mitleid. „Lass mich mal...“, sagte ich schließlich und ging zu ihm rüber, knöpfte sein Hemd auf und richtig zu. Er trug ein T-Shirt drunter, also war es weniger merkwürdig als manch einer vielleicht denken mochte. Meine Wut auf den schrulligen Nerd vor mir war fast verflogen, nachdem ich das Häufchen Elend gesehen hatte. Es nahm ihn scheinbar unendlich mit... und mich wohl auch. „Danke...“ Er fuhr sich durch die kastanienbraunen Haare, die er garantiert auch nicht gekämmt hatte und wandte sich ab. Was bei ihm ja sowieso wenig Sinn hatte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Er war ein wenig zum kleinen Jungen mutiert, dem man das Eis weggenommen hatte. „Ich... wirke wahrscheinlich wie der letzte Volltrottel auf dich.“, sagte er, drehte sich einmal um sich selbst und blieb wieder vor mir stehen. Er wirkte auf mich eher vollkommen benebelt, was sich garantiert auf seinen akuten Schlafmangel zurück zu führen war. „Bist du high?“, fragte ich frei heraus, bereute instinktiv meine patzige Art und schämte mich vielleicht ein kleines bisschen. Aber nur ein bisschen. Er tat mir zwar wirklich leid, denn sein Anblick brach mir echt das Herz. Aber wenn ihr jemand so vor euch stehen sehen würdet, wäre das sicherlich auch etwas gewesen, was ihr euch gefragt hättet. Oder vielleicht war das nur ich, die sich diese Frage stellte. Izzy schnaubte, verzog sein Gesicht zu einem gequälten Lächeln und fuhr sich erneut durch die Haare. „Ob ich high bin? Das... weißt du, das kann gut sein. Aber wovon soll ich high sein? Von Drogen ganz sicher nicht, denn wie du vielleicht weißt nehme ich keine.... Also wenn es keine Drogen sind, was dann, hm? Vielleicht dreh ich auch einfach nur durch? Weil mein komplettes Leben einfach den Bach runtergeht, wegen dieser Scheiße Namens Liebe....“ Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und rang nach den richtigen Worten. Wortlos ließ ich zu, dass er sich auskotzte. Denn das war ganz offensichtlich notwendig. „Ich war ein... Ja, ich ein zufriedener Mensch der sich immer hinter seinen PCs verstecken konnte. Weil dass das war, was ich schon immer getan hatte. Und das, was ich am besten konnte. Ich krieg jeden Virus klein, jeden!... Aber Frauen... Frauen aus denen werd ich nicht schlau. Und weißt du, es scheint auch keinen zu interessieren wie es mir geht... Scheißegal Izzy steckt alles weg, nicht wahr? Mit mir kann man das ja machen...“ Ich kniff die Augen zusammen und versuchte eindringlich seinen offensichtlich wirren Gedankengang zu verstehen. Er war zu tiefst verletzt. Ich schluckte schwer und schämte mich für mein Verhalten am Bahnhof. Vielleicht hätte ich mich nicht einfach umdrehen sollen, sondern irgendwas sagen sollen. Irgendwas. Auch wenn er mich ziemlich verletzt hatte, in dem er mich mit Mimi verglichen hatte. Nein warte, ich war im Recht! Er hatte mich mit Mimi verglichen! Trotzdem. Ich hatte ihn noch nie so geistesabwesend erlebt. Er schien die Realität vollkommen verlassen zu haben. „Koushiro...“ Er riss die Augen auf und sah mich mit glasigem Blick an. „NEIN! Lass mich ausreden. Einmal in meinem Leben will ich ausreden dürfen. Das mag überraschend sein, aber das was in meinem Herzen gerade los ist, das muss raus!“ Ich wich einen Schritt zurück. Nicht nur Izzy war mit dieser Situation überfordert. Worin sollte das denn enden? „Aber... Aber weißt du denn, was du da redest?“ Er kicherte irre. „Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß langsam gar nichts mehr.... Ich kann nicht mehr, verstehst du?“ Er fiel vor mir auf die Knie, seine Hände vor seinem Gesicht. „Ich halte das nicht aus... Das ist einfach zu viel.“ Starr wie ein Stein stand ich vor meinem knienden Freund der vollkommen verzweifelt vor sich hin schnaufte. Was mit Mimi anfing ging mit mir weiter. Der kleine Computerfreak konnte dir deinen PC retten aber wenn es um Beziehungen mit dem anderen Geschlecht ging... war Izzy hilfloser als ein Baby. Und dann realisierte ich etwas. Das mit Izzy und mir, so kurz nach Mimi - das war zu viel für ihn. Zu viel für mich, weil ich immer noch Mimis Staub einatmen konnte. Zu viel für uns, weil wir uns in etwas drängten, was uns nicht gut tat. Wenn wir uns jetzt schon darum stritten, ob Izzy noch Interesse hatte oder nicht, und die Vergleiche mit Mimi, dann taten wir uns doch nur noch mehr weh, als wenn wir es... sein lassen würden. Ich schluckte. Hatte Izzy das vielleicht auch gemerkt? Ich beugte mich zu ihm runter. Seit einer Minute hatte er weder etwas gesagt, noch sich bewegt. Behutsam, aber mit Tränen in den Augen, legte ich meine Hand auf seine Schulter und entschloss mich mich ebenfalls auf den Fußboden zu knien. Koushiro sah hoch bemerkte meine Tränen und biss sich auf die Unterlippe. „Izzy...“, fing ich an und bemühte mich normal zu klingen, was mir in Anbetracht dieser schwierigen Situation nicht leicht fiel. Er erwiderte meine Berührung in dem er seine Hand auf meine legte. Er verzog aber keine Miene. „Wir beide... wir... sind nicht die Art von Menschen, die Dinge auf die emotionale Weise verstehen oder lösen können. Wir sind Kopfmenschen und versuchen Logik in allem zu finden... Aber bei der Liebe... da gibt es selten Logik... Und genau deswegen sitzen wir beide hier... verzweifelt, weil es für genau so ein Problem kein Antivirenprogramm gibt. Es gibt keine Formel auf der Welt, die einem mit einem ausgerechneten Ergebnis helfen kann. Liebe ist nicht berechenbar.“ Ich merkte wie mir die Tränen heiß über die Wangen liefen, meine Stimme bebte und mein ganzer Körper zitterte. Aber nicht nur bei mir. Auch Koushiro weinte still vor sich hin. Er war im tiefsten seines Herzens ein echtes Sensibelchen. „Ich weiß...“, hauchte er und versuchte zu lächeln. Was nicht klappte. „Wie kommt´s das du hier den kühlen Kopf bewahren kannst, und ich vor dir zusammenbreche?“ Ich lächelte schwach. Das war eine gute Frage. „Ich rede einfach nur schlau daher. Wie immer... Das kann ich gut, weißt du...“, entgegnete ich und strich ihm eine Träne aus dem Gesicht. Nun zum schwierigen Teil. „Das was ich jetzt sage... fällt mir nicht leicht.“, wimmerte ich und sah von ihm ab. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht, die mir durch die Tränen an den Wangen klebten. Izzy verstärkte den Druck auf meiner Hand. „Koushiro... ich bin wirklich gern mit dir zusammen, und ich liebe dich. Aber... du bist noch nicht soweit. Es mag jetzt eine Zeit gut gegangen sein, und diese Zeit möchte ich auf keinen Fall missen...“ Ich sah hoch in sein verzweifeltes Gesicht, dass er langsam hin und her schüttelte. „Du... dein Herz ist noch immer gebrochen. Und ich bin anscheinend nicht stark genug um, die Wunden die du davon getragen hast, zu heilen. Mimi ist noch nicht aus deinem Herzen und aus deinem Kopf verschwunden... Du hast den mutigen Schritt gewagt dich aus der Hölle loszusagen... aber jetzt musst du noch den langen Weg zurück ins Licht gehen...“ Ich wischte mir schluchzend über die Augen. „Nein... Saya....“, krächzte Izzy und legte seinen Kopf vor meine Knie auf den Boden. Ich hoffte inständig es nicht noch schlimmer zu machen. Aber das schien mir im Moment die beste Lösung. Für so manche neue Liebe gab es kein Happy End. Jedenfalls noch nicht. „Und da... da warte ich dann auf dich, hörst du?“, beendete ich meinen Satz und weinte bitterlich. Das, was ich tat zerriss mich nur noch mehr. War das die richtige Entscheidung? Oder machte ich gerade den größten Fehler meines Lebens? „Nein... nein...“ „Doch Izzy... Glaub mir. Werde dir dich selbst erstmal wieder bewusst und dann... dann“ Ich stoppte. Nach einer Weile hob Koushiro wieder seinen Kopf und sah mir tief in die Augen. Irgendwie wirkte sein Blick so, als ob er nun verstanden hätte, was ich dachte. Auch wenn er das wohl möglich nicht nachvollziehen konnte. „...dann gibt es für uns noch eine Chance?“, fragte er mit unerwartet hoffnungsvoller Stimme. Ich nickte. Seine dunklen Augen sahen an mir runter zu meiner Hand, die er noch immer fest umklammerte. Langsam ließ er sie los, und es war mir, als würde er mir ein Schwert in das Herz rammen. Alles in mir schrie. Wie gern hätte ich mich einfach wieder mit ihm versöhnt, gesagt, dass alles gut gehen würde, dass wir das schafften. Aber das konnte ich nicht. Denn das war nicht so. Zumindest dachte ich das. Solange Mimi noch immer im Raum stand, solange Koushiro noch immer diese Person vor Augen hatte, wenn er mit einem Mädchen zusammen war – solange hatte das mit uns keinen Sinn mehr. Und ehe wir uns gegenseitig zerfleischten war es wohl das Beste einen Cut zu machen. Gott, wie konnte ich in einer Situation wie diesen noch so einen klaren Verstand und so sinnvolle Entscheidungen treffen? Niedergeschlagen sah ich auf meinen Handrücken, und ich hätte schwören können, Izzys Abdruck dort noch erkennen zu können. Eine Träne viel auf meine Haut und viele weitere folgten. Ich hatte echt so was wie ein Herz. „Das ist dann wohl... das Ende...“, murmelte Izzy. Benebelt von meinen Tränen und meiner Trauer sah ich zu ihm hoch und schluckte. „Nein Izzy. Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende...“, hauchte ich, beugte mich vor und gab dem liebenswerten Nerd noch einen letzten Kuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)