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The House Jack Built

Supernatural / The Shining – Crossover
von

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Prolog

===
 

„Sam! Du beschissener, undankbarer-“
 

Die Stimme überschlug sich beinahe vor Wut.
 

Sam blieb wie angewurzelt stehen.

Mitten im Flur, so wie er war. Seine aufgeplatzt Unterlippe blutete immer noch, weil er einfach nicht aufhören konnte, darauf herumzukauen. Der Schmerz war nichts weiter als ein entfernter Stich, etwas, so hatte er das Gefühl, das es zwar gab, weil es da sein musste, aber nichts, was ihn groß zu stören brauchte.
 

Weiter vorne hallten dumpfe, entschlossene Schritte durch die Gänge.

„Sam!!“
 

Seine blutverschmierten Lippen verzogen sich zu einem schmalen Grinsen. Na endlich.

Endlich zeigte Dean sein wahres Gesicht. Was hatte er auch anderes erwartet?

Wenn sein Bruder Krieg wollte, bitte, den konnte er haben.
 

Schweigend drehte er um und schlenderte den Weg zurück, den er gerade gekommen war. Langsam, gemächlich... schließlich hatte er es nicht eilig.
 

Dean kam ihm sowieso entgegen. Die Schritte waren jetzt ganz nahe, gleich um die nächste Ecke. Das schmale Grinsen wurde breiter. Sein Bruder hatte vermutlich keine Ahnung, dass er bereits erwartet wurde.
 

Sam wich zurück zur Wand und schob sich langsam nach vorne. Sollte er nur kommen, dieser hinterhältige, ständig kommandierende-... Sollte er nur kommen.
 

Und das tat er auch.
 

Dean bog um die Ecke und zuckte reflexartig zurück, als er seinen kleinen Bruder dort lauern sah. Oder vielmehr wollte er das tun, aber Sam ließ ihm keine Gelegenheit dazu.
 

Der erste Schlag saß nicht richtig, traf genau den Kieferknochen, weil Dean sich bewegt hatte und wie durch dichten Nebel nahm Sam war, dass seine eigenen Knöchel mit pochendem Schmerz protestierten.
 

Verdammt. Das war seine beste Gelegenheit gewesen und er hatte es vermasselt.
 

Dean taumelte zurück, aber er brauchte nicht lange, um zu reagieren. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schoss er wieder nach vorne, blockte Sams nächsten Versuch mit einer Hand ab und packte ihn mit der anderen am Kragen.
 

Sam spürte, wie er nach vorne gezerrt wurde, dann vergrub sich eine Hand in seinen Haaren und noch bevor dieser Schmerz richtig zu ihm durchgesickert war, rammte Dean ihm mit voller Wucht das Knie ins Gesicht.
 

Gleißendes Weiß explodierte vor seinen Augen und sekundenlang sah er gar nichts mehr, geschweige denn, dass er wusste, was er überhaupt tat. Als er wieder einigermaßen klar denken konnte, wurde ihm bewusst, dass er wohl ein paar Schritte zurückgestolpert sein musste. Dann war Dean auch schon in sein Blickfeld zurückgekehrt.
 

Aus den Augenwinkeln sah er die Faust auf sich zurasen – rechts, was auch sonst, Dean war besser mit rechts, schon immer gewesen – und riss den Arm hoch, um abzublocken. Ganz schaffte er es nicht, aber es war immerhin genug, um dem Schlag die Spitze zu nehmen.
 

Er sah immer noch Sterne und über seinen Mund rann plötzlich eine Menge an Blut, die unmöglich alleine von seiner geplatzten Lippe stammen konnte. Hatte ihm der Scheißkerl etwa die Nase gebrochen?
 

Dean schlug schon wieder zu, zielte diesmal etwas tiefer und Sam widerstand dem Drang, die Hand zum Gesicht zu heben, um den Schaden zu begutachten. Im Moment wurde sie anderweitig gebraucht.
 

„Ich bring dich um“, knurrte Dean, „Du undankbarer kleiner Vollidiot, ich bring dich um!“
 

Es hagelte eine wahre Serie von Schlägen und ganz kurz, nur für den Hauch einer Sekunde klarte der Nebel in Sams Kopf auf und ihm wurde etwas klar

(Dean ist stocksauer... warum ist Dean sauer?)

dann war der Gedanke wieder weg und alles, das sein Gehirn noch ausfüllte war der Hass und die rasende Wut darüber, was für ein verdammtes Arschloch sein Bruder doch war.
 

Er blockte ab, blockte wieder und dann sah er es. Dean grinste.

Ich bin besser als du, Sammy. War ich immer und werde ich auch immer sein.
 

Sam sah rot. Der nächste Schlag kam, er erwischte Dean am Unterarm und riss ihn gewaltsam zur Seite. Sein Bruder leiste Widerstand, fuhr wieder zu ihm herum und Sam packte den Stoff direkt unter seinem Nacken.
 

Es gab ein reißendes Geräusch, als Deans Hemd nachgab und Sam holte aus. Jetzt war er dran. Die Faust landete treffsicher in Deans Magen und Sam konnte fühlen, wie ihm das Hemd beinahe durch die Finger glitt, als sein Bruder sich zusammenkrümmte. Er festigte seinen Griff. Schon vorbei? Aber noch lange nicht.
 

Dean gab ein würgendes Geräusch von sich, als Sam ihm zum ersten Mal das Knie in die Magengegend rammte. Nach dem zweiten Mal schnappte er nur noch nach Luft.

Einen quälenden Moment lang war Sam davon überzeugt, dass sein Bruder sich übergeben würde und von dieser Möglichkeit war er dermaßen angewidert, dass er beinahe losgelassen hätte.
 

Fehler. Dean – wohl mehr blinde Wut als bewusste Entscheidung – nutze die momentane Höhe, auf der er gerade war und trat nach Sam, so fest er konnte. Ursprünglich war die Attacke wohl gegen Sams Schienbein gerichtet gewesen, aber sie erwischte ihr Ziel nur teilweise. Der restliche Schwung entlud sich direkt über Sams Knöchel... und Dean trug seine Stiefel.
 

Das wimmernde Geräusch, das durch den Flur hallte, klang seltsam fremd und deplatziert und Sam brauchte ein paar Sekunden, bevor ihm klar wurde, dass es aus seiner eigenen Kehle kam. Sein Fuß schien in Flammen zu stehen.
 

Er ließ Dean los, stieß ihn mit aller Kraft von sich weg und biss die Zähne zusammen. Dafür würde er bezahlen. Dafür würde er so was von bezahlen.

Er riss die Fäuste hoch, wütend darüber, dass er wegen einer solchen Bagatelle seine Deckung vernachlässigt hatte und bereit für den nächsten Angriff.
 

Und dann sah er den Ausdruck auf Deans Gesicht.
 

Sein Bruder war aschfahl geworden und starrte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
 

Im ersten Moment dachte Sam, dass er vielleicht doch noch würde kotzen müssen und die Welle an Ekel überschwemmte ihn erneut mit geballter Wucht. Er fand es immer wieder überraschend, dass ihm früher noch nie aufgefallen war, wie abstoßend er seinen Bruder eigentlich fand.
 

Aber daran lag es offenbar nicht, denn Dean dachte nicht daran, sich zu übergeben. Dean sah ihn bloß an.

Mit weit aufgerissenen Augen, in denen sich das Entsetzen spiegelte.
 

„Ach du-“, stammelte er und irgendwo ganz tief drinnen wusste Sam, dass er diesen Tonfall früher einmal hätte deuten können, aber jetzt konnte er rein gar nichts mehr damit anfangen, „Sammy. Oh Gott. Oh Gott, Sammy. Es tut mir-“
 

Aber Sam war nicht in der Stimmung, sich solches Gestammel anzuhören. Absolut nicht. Bescheuertes Gelaber.

Ein Trick, sonst gar nichts. Bitte, wenn Dean der Meinung war, dass ihn das irgendwie weiterbrachte... Sam fiel jedenfalls nicht drauf rein.
 

Er machte einen Schritt nach vorne, vorsichtig, lauernd. Doch Dean schien gar nichts unternehmen zu wollen. Er streckte einfach die Hand aus, fassungslos und armselig, vermutlich um Sam anzufassen. Sam schlug sie weg.
 

„Sammy“, machte Dean heiser, immer noch in diesem irritierenden Tonfall, „Scheiße. Scheiße, ich wollte nicht-“
 

Sam konnte spüren, wie etwas in ihm aufstieg, kochend heiß und grell. Wie er dieses Geflenne hasste. Und plötzlich war das Grinsen wieder da.

Seine Mundwinkel zogen sich schmerzhaft auseinander, so breit, dass er das Gefühl hatte, sein Kopf würde platzen wie ein zu prall gefüllter Ballon.
 

Das Entsetzen auf Deans Gesicht nahm, sofern das überhaupt möglich war, noch einmal zu – aber er rührte sich nicht vom Fleck.

„Sam“, krächzte er, „Sammy.“
 

Wenn er doch endlich die Klappe halten würde! ...eine Sekunde lang wünschte Sam sich nichts sehnlicher, als dass Dean sich einfach umdrehen und wegrennen würde.

Hau ab, hau ab, HAU AB!!
 

Er wusste nicht warum und musste sich mit Gewalt davon abhalten, die Worte nicht laut herauszuschreien. Warum nur, zum Teufel?

Natürlich wollte er nicht, dass Dean ging. Wo blieb denn da der Spaß?
 

Dann war die Sekunde vorbei und sein Bruder hatte ohnehin nichts dergleichen getan. Selber Schuld.
 

Sam stürzte sich auf ihn.
 

Es war nicht so, dass Dean sich nicht wehrte, aber entweder er konnte nicht mehr richtig oder er wollte ganz einfach nicht – und diese Möglichkeit machte Sam noch rasender, als er ohnehin schon war. Dean nimmt dich nicht für voll...
 

Ach ja? Der würde sich noch wundern.
 

Dean gab ein ersticktes Geräusch von sich, als er mit dem Gesicht voran gegen die Wand gedrückt wurde und Sam war sich ziemlich sicher, dass sein Bruder ihm irgendetwas zu sagen versuchte. Er wollte es gar nicht hören.

Es INTERESSIERTE ihn nicht.
 

Wenn er doch einfach die Klappe halten würde!!
 

Und plötzlich hatte er eine Idee.

Er packte Dean erneut am Kragen und zerrte ihn den Gang entlang. Dass er dabei selber hinkte, bemerkte er nicht einmal.
 

Sie befanden sich im ersten Stock und keine zwanzig Meter weiter begann die Galerie, von der aus man die ganze Empfangshalle überblicken konnte.
 

Sein Bruder leistete kaum Widerstand.

Sam hatte den Verdacht, dass ihm entweder schwarz vor Augen geworden war oder dass er kurz davor stand. Sein Kopf rollte unkontrolliert von einer Seite zur anderen.
 

Er selbst musste immer noch grinsen.
 

Die breite, ausladende Treppe kam in Sicht, die hinunter in die riesige Hotellobby führte. Oben am Treppenabsatz hielt er inne. Neben ihm schien Dean wieder einigermaßen zu sich zu kommen, denn er blinzelte benommen. Sam beobachtete interessiert sein Gesicht.
 

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sein großer Bruder erfasst hatte, wo er war... und noch ein paar mehr, bis ihm klargeworden war, was Sam vorhatte.

Sein Kopf schoss ruckartig in die Höhe und in seinem Blick lag kaum versteckte Panik.
 

„Sam...“, gurgelte er, „Nein. Sammy, nein...!“
 

Sam tat es leid, dass er keine Hand freihatte, um Dean gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen. Zu dumm.

Stattdessen zwinkerte ihm zu. „Bye, bye.“
 

Dann stieß er ihn die Treppe hinunter.
 

Deans Sturz war so unspektakulär wie der einer großen Gliederpuppe. Die dumpfen Geräusche des wieder und wieder aufschlagenden Körpers hallten in der Halle nach wie unregelmäßige Herzschläge.

Tump, tump, tump...
 

Er schaffte es bis ganz nach unten, wo er schließlich vollkommen verdrehten liegenblieb, ohne sich zu rühren.

Die einsetzende Stille war so endgültig wie ein Faustschlag.
 

Hoch oben auf der Treppe legte Sam den Kopf schief. Etwas lief ihm über den Hals und er strich gedankenverloren mit der Hand darüber – Blut.

Sein eigenes, wie ihm gleich darauf klar wurde.

Als er seine Nase betastete, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf, dass sie ihm eigentlich höllisch wehtun sollte, aber er spürte nichts außer undeutlichem Triumph.
 

Der Knochen schien noch ganz zu sein. Hah.
 

Er warf einen leeren Blick hinunter auf das regungslose Bündel am Fuß der Treppe, das sich vom Boden abhob wie ein störender Fleck, der dort nicht hingehörte.
 

Wer ist jetzt besser, Dean? Häh?
 

Einen Augenblick lang sah er noch hinunter, dann wandte er sich desinteressiert ab und humpelte davon.

Das wäre erledigt.
 

Draußen heulte der Wind.
 

===

Lagerkoller

===
 

Der Junge wirkte klein und verloren zwischen all den herumhastenden Erwachsenen.
 

Die Empfangshalle glich einem Bienenschwarm.

Sie standen bereits ganz an der Wand und trotzdem hatte Sam alle fünf Sekunden das Gefühl, irgendjemandem im Weg zu sein. Dean lehnte neben ihm, blätterte seelenruhig in einer der Broschüren, die er vorhin aus dem Büro des Managers hatte mitgehen lassen und würdigte das hektische Treiben keines Blickes.
 

Es war Abreisetag.

Heute schloss das Overlook-Hotel für weiter fünf Monate seine Pforten, um im sie Frühling des kommenden Jahres wieder zu öffnen.
 

Die Schlange vor der Rezeption war lange und unruhig. Leute sprachen miteinander, lachten oder sahen unruhig auf die Uhr.

Hotelpagen hetzten vorüber, mit konzentriert verzogenen Gesichtern und voll bepackt mit Gepäcksstücken.

Zwei Männer in Anzügen schlenderten heftig diskutierend an ihnen vorbei. Eine elegante Frau im Chanel-Kostüm war mitten in der Halle stehengeblieben und wühlte sichtbar verzweifelt in ihrer Tasche.
 

Ein Hausmädchen kam eilig die Treppe heruntergeflogen und verschwand mit hochrotem Gesicht hinter einer Tür mit der Aufschrift „Staff members only“
 

Draußen vor den eleganten Flügeltüren kamen und fuhren Autos im Sekundentakt. Alleine in den letzten zehn Minuten hatte Sam durch das Glas dreimal eine der hoteleigenen Limousinen gesehen, die Gäste direkt zum Flughafen in Denver fuhr.
 

Sein Blick wanderte zurück zu dem kleinen Jungen. Er mochte um die fünf Jahre alt sein, stand neben einer der dunkelroten Sitzgelegenheiten am anderen Ende der Lobby und ließ den Kopf hängen. Wahrscheinlich war er müde.
 

Weit und breit war niemand zu sehen, der für ihn verantwortlich zu sein schien.
 

Sam überlegte, ob er hinübergehen und ihn fragen sollte, wo denn seine Eltern abgeblieben waren. Sie hatten hier gerade ohnehin nichts zu tun.

Gerade als er sich in Bewegung setzen wollte, hob der Junge den Kopf.
 

Ihre Blicke trafen sich.
 

Es war, als würde das restliche Treiben der Halle gar nicht existieren, denn der Junge sah Sam an, einzig und alleine Sam. Selbst über die Entfernung hinweg war die Intensität seines Blickes spürbar und den Bruchteil einer Sekunde lang war Sam aus irgendeinem Grund vollkommen überzeugt davon, dass gleich irgendetwas passieren würde, etwas wichtiges, etwas von elementarer Bedeutung, das er unter keinen Umständen versäumen durfte.
 

Dann gab Dean ein lautes Schnauben von sich und der Moment war vorbei.
 

„Mann“, sagte er und hielt Sam die Broschüre hin, „Sieh dir das an. Wenn die noch besessener von ihrer grandiosen Aussicht wären, wäre das Ding hier schon nicht mehr jugendfrei.“
 

Sam machte ein zustimmendes Geräusch und warf pflichtbewusst einen Blick auf den Hochglanzprospekt, der seitenlange Lobeshymnen auf die einmalige Aussicht sang, die man von hier oben auf die umliegenden Berge hatte.
 

Als er wieder aufsah, war von dem Jungen keine Spur mehr zu sehen.
 

Eine größere, lärmende Gruppe verließ gerade die Halle, vielleicht hatte er dort dazugehört.
 

Seine Gedanken schweiften ab zu dem Gespräch, dass sie vor gut drei Wochen in demselben Büro gehabt hatten, neben dessen Eingangstür sie jetzt darauf warteten, dass man Zeit für sie hatte.

Damals war er noch davon überzeugt gewesen, dass sich der „Overlook-Job“, wie Dean es bezeichnete, als keine besonders gute Idee herausstellen würde.
 

Der Meinung war er übrigens immer noch.
 


 

Das Schlimmste, hatte der Manager gesagt, sei die Einsamkeit. Die Abgeschiedenheit Man dürfe das nicht einfach so abtun und unterschätzen dürfe man es schon gar nicht. Er persönlich nehme das sehr ernst.
 

Dean hatte grimmig gelächelt und gesagt, er persönlich tue das auch.

Sam hatte bloß zustimmend genickt.
 

Das bezweifle er auch gar nicht, war die Erwiderung gewesen, aber er als Manager frage sich, ob ihnen der Begriff „Lagerkoller“ geläufig sei?
 

Ja, hatte Sam geantwortet und sich dabei ein Grinsen verbeißen müssen, da Dean und er mehr oder weniger die gesamte Autofahrt damit verbracht hatten, eben dieses Thema zu diskutieren, das sei, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, einen längeren Zeitraum mit gewissen Personen auf begrenztem Raum verbringen müsse und über kurz oder lang das dringende Bedürfnis verspüre, besagten Personen wegen Kleinigkeiten den Schädel einzuschlagen.
 

Er hatte richtig gelegen.

Das sei genau das, worauf er hinauswolle, hatte der Manager gesagt, exakt darin läge die Gefahr. Sie müssten ihn verstehen, er bestehe nur so sehr auf diesen Punkt, weil es in der Geschichte des Hotels schon mehrmals furchtbare Ereignisse gegeben habe, wahre Tragödien, die alle nur auf diesen Lagerkoller zurückzuführen seien.
 

An dieser Stelle hatte Sam einen raschen Blick mit Dean getauscht.
 

Wahre Tragödien, das stimmte, aber die Ursache war möglicherweise eine ganz, ganz andere.
 

Er könne die Einwände nachvollziehen, hatte Dean gesagt, und ihm sei auch klar, dass das Hotel einen Ruf zu verlieren habe, aber was die soeben genannten Befürchtungen betraf... nun, er und Sam seien zusammen aufgewachsen, sie ertrugen sich praktisch schon ihr ganzes Leben lang und das Wohnen auf engstem Raum sei ihnen auch nicht unbedingt neu.
 

Und Sam hatte nichts gegen den aufkeimenden Gedanken unternehmen können, dass ein Luxushotel niemals so schlimm werden konnte wie manche der Absteigen, die er gesehen hatte – übernatürliche Geschehnisse hin oder her.
 


 

Dean hatte seine Nase immer noch in der Broschüre vergraben.

„Das ist doch pervers...“, murmelte er, „Was können die armen Berge dafür?“
 

Sam schnaubte. „Weißt du, wenn ihr zwei kurz eure Privatsphäre haben wollt... ehrlich, du brauchst nur ein Wort zu sagen.“
 

Sein Bruder sah auf und grinste. „Was denn, Sammy, eifersüchtig?“
 

„Hättest du wohl gerne.“
 

Dean klopfte ihm auf die Schulter. „Aww, mach dir nichts draus“, sagte er, „Die nächsten paar Monate gehöre ich ganz dir. Versprochen.“
 

Sam konnte nicht anders, er musste lachen.

In nächsten Moment öffnete sich die Bürotür und die Sekretärin streckte ihren Kopf heraus. „Verzeihen Sie bitte die lange Wartezeit. Er ist gleich für sie da.“
 

Dean winkte ab. „Keine Panik“, sagte er, „Wir laufen Ihnen nicht weg.“

Sobald sie wieder hinter der Tür verschwunden war, ließ er die Broschüre sinken und zog Sam ein Stück zur Seite.
 

Es tat gut, die Köpfe zusammenzustecken und Pläne zu schmieden, auch wenn sie von niemandem in der ganzen Empfangshalle beachtet wurden. Sam hatte sich Zeit seines Lebens als Außenseiter gefühlt, aber das war eines der wenigen Dinge gewesen, die er immer gemocht hatte.

Es war ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Sicherheit. Ein Gefühl, dass es Menschen – besser gesagt, einen Menschen – gab, der ihm immerhin genug vertraute, um mit ihm in einer Ecke zu stehen und den Rest der Welt auszuschließen.
 

„Okay“, sagte Dean in einem Tonfall, der den Verdacht aufkommen ließ, dass er die vergangen paar Minuten nicht bloß ausschließlich damit verbracht hatte, seinen Prospekt zu lesen, „Es läuft folgendermaßen: Die führen uns rum, wir sagen zu allem Ja und Amen und sobald wirklich alle weg sind, stellen wir den blöden Kasten auf den Kopf. EMF, Kamera, was auch immer. Wenn für den Schlamassel hier tatsächlich die ganze Zeit Geister verantwortlich waren, will ich das von vornherein wissen. Alles klar?“
 

„Ja“, sagte Sam, „Und Amen.“
 

Dean verpasste ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
 

===
 

Er sah auf und musste schmunzeln.
 

Es war eine ganze Weile her, seit er Dean so entspannt gesehen hatte.
 

Sein großer Bruder lag, abgesehen von Schuhen vollkommen bekleidet, auf einem der beiden Betten und schlieft den Schlaf des Gerechten.

Normalerweise war es schwierig zu sagen, ob Dean sich gerade wohlfühlte oder nicht, denn er hielt seine ewig grinsende Maske eisern aufrecht und ließ sie selbst gegenüber Sam nur fallen, wenn es unbedingt notwendig war.
 

Nach Stanford hatte es einige Zeit gedauert, bis Sam begriffen hatte, dass es einen eindeutigen Hinweis gab – fühlte Dean sich sicher, schlief er auf dem Rücken, hatte er jedoch das Gefühl, dass es notwendig war, auf der Hut zu sein, weil er in einer Lage war, der man nicht trauen durfte, schlief er auf dem Bauch und zog die Knie an oder rollte sich zu einer Kugel zusammen.
 

Im Moment lag er flach auf dem Rücken. Eine Hand hatte er unters Kopfkissen geschoben, die andere quer über seinen Bauch und seine Brust hob und senkte sich mit langen, regelmäßigen Atemzügen.
 

Sam fühlte sich selber hundemüde, dabei zeigte die Uhr noch nicht einmal halb elf.

Allerdings hatten sie auch den ganzen Tag damit verbracht, das Hotel von oben bis unten abzusuchen und selbst die hintersten Winkel mithilfe von EMF und Handkamera zu überprüfen. Die Ergebnisse waren recht entmutigend gewesen.
 

Der Ort war so sauber, wie man das von einem Hotel in dieser Größenordnung, das zugegebenermaßen die eine oder andere Leiche im Keller hatte, nur erwarten konnte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, den Ordner hervorzukramen, den er vorsorglich im Laufe der letzten paar Wochen über das Overlook-Hotel zusammengestellt hatte.
 

Er enthielt Zeitungsartikel, Polizei- und Autopsieberichte, Zeugenaussagen, aber auch Ausschnitte aus angesehenen Hotelguides und diverse Interviews.
 

Dann entschied er sich dagegen. Er war müde und sie hatten es nicht eilig. Um genau zu sein hatten sie volle sechs Monate Zeit, um herauszufinden, was mit diesem Kasten nicht stimmte. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Ja, klar.

So lange würden sie ganz sicher nicht hierbleiben.
 

Wenn sie Glück hatten, würden sie schon über alle Berge sein, bevor der erste dauerhafte Schnee fiel. Besonders scharf darauf, hier eingeschneit zu werden, war er ohnehin nicht.
 

Aber für heute war es genug.
 

Gähnend legte er das Kreuzworträtsel zur Seite und stand auf. Das Apartment war gut geheizt und noch dazu überraschend gemütlich – zwar stand es in keiner Relation zu den ganzen Luxussuiten, die sie im Laufe des Tages zu Gesicht bekommen hatten, aber es war nicht übel.

Sie hatten trotzdem alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, Salzlinien vor der Eingangstür und auf sämtlichen Fensterbrettern inklusive. Sicher war sicher.
 

Ihre Taschen standen immer noch im Wohnzimmer neben der Couch, dort wo sie sie heute Vormittag abgestellt hatten. Es kam ihm seltsam vor, dass sie immerhin lange genug hierbleiben würden, um das Auspacken sinnvoll zu machen. Das war er nicht mehr gewohnt. Er öffnete den Reißverschluss und kramte nach ein paar Sachen, in denen er schlafen konnte.
 

Als er sich auf den Weg ins Badezimmer machen wollte, überfiel ihn überplötzlich der starke Drang, die Apartmenttür zu versperren. Lächerlich, sagte er sich, wozu war das gut? Dean und er waren die einzigen im ganzen Gebäude.

Sonst war niemand mehr hier.
 

Ach ja? sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf, Sicher? Wenn Menschen hier nachts wirklich alleine wären, dann wärt ihr doch gar nicht erst hergekommen.
 

Da war etwas Wahres dran.

Im Vorbeigehen drehte er das Schloss um.
 

Dean schlief immer noch, als er wieder aus dem Badezimmer kam und Sam überlegte, ob er ihn wecken sollte, ließ es dann aber bleiben. Er löschte die Lichter und wollte hinüber zu seinem eigenen Bett gehen, als ihm mit einem Mal der Stuhl, in dem er bis vor kurzem noch gesessen hatte, in die Quere kam.
 

Er rannte mit einem dumpfen Geräusch dagegen und der Schmerz schoss sein Schienbein hoch. Ohne nachzudenken fluchte er lauthals.
 

Dean fuhr in die Höhe. „’mmy?“

Es klang verschlafen und desorientiert, anstellte von hellwach und einsatzbereit, genau so, wie ein normaler Mensch kurz nach dem Aufwachen eigentlich klingen sollte und das kam bei Dean ohnehin viel zu selten vor.
 

Sam biss sich auf die Zunge. Verdammt.

Das hatte er nicht gewollt.
 

„Ja“, sagte er ruhig, „Mir geht’s gut, bin bloß wo gegen gerannt. Schlaf weiter.“
 

Aber Dean war wach und stur.

„S’m? Wiespät isses?“
 

„Keine Ahnung“, log Sam, „Ich geh jetzt jedenfalls ins Bett. Bin vollkommen fertig.“
 

„Mh-hmmm“, machte Dean, setzte sich auf und gähnte herzhaft, „Keine blöde Idee.“

Mit diesen Worten schlurfte er ins Bad.
 

Sam verschwand unter der Decke, lauschte dem fließenden Wasser und dann musste er wohl eingeschlafen sein. Dass Dean aus dem Bad kam und das Schloss der Apartmenttür selber überprüfte, bevor er sich wieder ins Bett fallen ließ, bemerkte er jedenfalls nicht mehr.
 

===
 

Der nächste Morgen hielt eine unschöne Überraschung bereit. Als sie hinaus auf die Flure traten, um die Küche zu durchstöbern, schlug ihnen unangenehm kühle Luft entgegen.
 

„Heilige...!“, zischte Dean und schlang unwillkürlich die Arme um seinen Oberkörper, „Was soll denn der Scheiß?“
 

Sie trugen alle beide bloß T-Shirts, weil es im Apartment nicht wirklich Grund dazu gegeben hatte, sich wärmer anzuziehen.
 

„Tja“, sagte Sam, der schon auf dem Weg zurück nach drinnen war, um sich einen Sweater zu holen, „Schätze mal, das war gemeint, als sie davon geredet haben, sie würden den Winter über sparsam heizen.“
 

„Sparsam?“, machte Dean entgeistert, „Warum denn bitte sparsam? Mann, ich dachte, genau deswegen haben sie jetzt wieder jemanden den Winter über eingestellt, obwohl das praktisch immer in ’nem Blutbad geendet hat – damit das Hotel über die Monate weg nicht komplett auskühlt, weil das Anheizen jedes Mal so scheißteuer kommt.“
 

„Es ist geheizt, Dean“, sagte Sam, während er die Apartmenttür ins Schloss fallen ließ und reichte Dean seine Jacke, „Wenn es das nicht wäre, wärst du hier schon am Boden festgefroren.“
 

Dean stapfte missmutig los. „Das soll doch wohl ein Witz sein“, knurrte er, „Eines sage ich dir, Sam, solange wir hier sind, drehen wir die Heizung rauf.“
 

„Nichts dagegen“, sagte Sam fröhlich.
 

Die Küche war gigantisch.

Schon, als sie sie das erste Mal betreten hatten, war ihnen fast die Kinnlade heruntergeklappt. Die polierten Edelstahlflächen, die überdimensional großen, gasbetriebenen Herde, der blitzblanke, klinisch saubere Fußboden...
 

Aber so groß die Küche auch war, sie war nichts im Vergleich zur Vorratskammer und den Kühlräumen. Lebensmittel stapelten sich über Lebensmittel und Sam konnte sich noch gut an Deans beinahe ehrfürchtigen Gesichtsausdruck erinnern.
 


 

„Wer soll das denn alles essen?“

„Wir, schätze ich mal.“

„Pfff... Mann. Die erwarten doch wohl hoffentlich nicht von uns, dass wir kochen, oder?“

„Als ob du kochen könntest, Dean.“

„Entschuldige mal, ich KANN kochen.“

„Klar...“

„Klar.“

„Zum Beispiel?“

„Uhm... Hühnersuppe.“

„Beeindruckend. Was noch?“

„Omeletts.“

„Sicher, dass du dich da nicht mit dem Typ aus dem Fernsehen verwechselst? Du weißt schon, mit dem, der die Kochshow hat?“

„Okay, Sam, weißt du was? Wetten wir doch. Zwanzig Dollar, dass ich Omeletts hinkriege.“

„Schön, bitte. Gilt. Wenn du unbedingt dein Geld loswerden willst...“
 


 

Was auch immer hier oben in den nächsten paar Wochen vor sich gehen würde, eines war jedenfalls sicher – verhungern würden sie nicht.

Erfrieren schon eher.
 

Dean murmelte immer noch schlecht gelaunt vor sich hin.

„Na schön“, brummte er schließlich, als sie mitten in der Vorratskammer standen, „Wo sind die Fertiggerichte?“
 

„Uhm, Dean...“, sagte Sam, „Ich bezweifle ganz ernsthaft... also, das hier ist ein Luxushotel.“
 

„Ja, und?“
 

„Ich denke nicht, dass die hier Fertigpizza in der Tiefkühltruhe gelagert haben.“
 

Ganz abgesehen davon, dass es halb neun Uhr morgens war, aber Sam wusste aus Erfahrung, dass dieses Argument bei Dean nicht ziehen würde.

Etwas zu essen war etwas zu essen, ganz egal um welche Uhrzeit.
 

Und Pizza war essbar, richtig?
 

„Wie wär’s mit Toast?“, schlug er diplomatisch vor.
 

Dean schenkte ihm einen mitleidigen Blick. „Hast du da draußen irgendwo ’nen Toaster gesehen, Sam?“
 

Eine gute Viertelstunde und etliche Diskussionen später waren sie auf einen einigermaßen grünen Zweig gekommen, zumindest was das Frühstück betraf. Sie aßen im Stehen, an einen der Edelstahlblöcke gelehnt und benutzten der Einfachheit halber die alte, unscheinbare Kaffeemaschine für Hotelangestellte.
 

Die Pläne für den restlichen Tag waren recht unkompliziert. Sie hatten beschlossen, das Hotel noch einmal von oben bis unten umzukrempeln – dass sich rein gar nichts finden ließ, trotz der unzähligen Toten, die es gegeben hatte und trotz der Tatsache, dass zwei Männer vor mehr als fünfundzwanzig Jahren hier unabhängig voneinander ihre gesamten Familien ermordet hatten, war merkwürdig.
 

Mehr als merkwürdig, um genau zu sein. Es war verdächtig.
 

Außerdem bestand Dean darauf, sich die Umgebung anzusehen. Nur für alle Fälle, hatte er gesagt, aber Sam war ohnehin klar, worauf er hinauswollte.
 

Sollten sie tatsächlich zum Hierbleiben gezwungen sein, bis der erste Schneesturm kam, konnte man den nächstgelegenen Ort nur mehr mit dem Schneemobil erreichen, dass dem Hotel gehörte und das auch nur, wenn das Wetter einigermaßen gnädig war.
 

Das Handynetz hier oben war die reinste Katastrophe und die Telefonverbindung funktionierte zwar, aber man hatte ihnen unzählige Male versichert, dass während der kalten Jahreszeit immer mal wieder einer der Telefonmasten zusammenbrach und dann war oft für drei, vier Wochen nichts zu machen.

Internet war zwar vorhanden, aber das Funknetz des Wireless war bei Schneefall angeblich genau so unzuverlässig wie die Telefonleitung und den einzigen unterirdisch verlegten Festnetzanschluss hatte der Rezeptionscomputer.
 

Alles in allem war es also nicht besonders erstrebenswert, hier eingeschneit zu werden und zweifellos war es von Vorteil, zu wissen, in welche Richtung man im Notfall fahren musste.
 

Beziehungsweise laufen musste, dachte Sam und konnte nichts gegen die Bilder einer einsamen, hinkenden Gestalt mitten im Schneegestöber unternehmen, die mit einem Mal vor seinem inneren Auge aufstiegen.

Er kam erst wieder zu sich, als Dean vor seinem Gesicht mit den Fingern schnippte.

„Erde an Sam! Diese Geschirrspülmaschinen sind faszinierend, keine Frage, aber denkst du, du könntest mir trotzdem ganz kurz mal deine Aufmerksamkeit schenken?“
 

„Huh...? Sorry“, er riss sich von den Hirngespinsten los, „Anwesend. Was hast du grade gesagt?“
 

Dean warf ihm einen amüsierten Blick zu.

„Dass ich gerne jetzt rausgehen würde, solange das Wetter noch einigermaßen erträglich ist. Hier wird’s früh dunkel und wer weiß, wann wir fertig sind, wenn wir jetzt den zweiten Durchgang mit den Zimmern starten.“
 

„Klar, ganz wie du willst“, Sam machte eine enthusiastische Bewegung mit beiden Händen, „Auf nach draußen in die Kälte.“
 

Sein Bruder verzog das Gesicht.

„Nur einmal“, sagte er, „Weißt du, ich verlange ja bei Gott nicht viel, aber nur ein einziges verdammtes Mal hätte ich gerne ’nen Job in Florida oder Hawaii oder Cuba oder sonst wo. Nur einmal...“

Er schloss sehnsüchtig die Augen.
 

Sam grinste. „Weiterhoffen“, sagte er, „Vielleicht wird irgendwann mal was draus.“
 

Dean sah ihn an, als wollte er sagen, „Im nächsten Leben vielleicht.“

Dann schlug er Sam auf die Schulter. „Los, komm. Die Botanik ruft.“
 

„Warte, was ist mit...“, Sam deutete auf ihre Tassen, die geduldig zwischen einem Haufen Krümel wartete, „...na ja, damit?“
 

Dean runzelte die Stirn. „Was soll damit sein?“
 

„Wir könne das doch nicht einfach so stehenlassen.“
 

„Können wir nicht?“
 

„Du... vergiss es. Gehen wir.“
 

Als sie die Küche verließen, warf Sam einen Blick zurück auf die einsamen Stücke Geschirr, die noch dastanden und in der großen, auf Hochglanz polierten Küche seltsam fremd und verloren wirkten. Aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund sah er das plötzlich als Metapher für ihre momentane Situation.
 

Genau das waren sie: Schmutziges Geschirr.

Störende, unpassende Fremdkörper in einer reibungslos funktionierenden, blitzsauberen Welt.
 

Und er konnte nicht umhin zu denken, dass diese Welt sich mit aller Kraft gegen jede Art von Eindringlingen zu Wehr setzen würde.
 

===

Fahrstuhl

Danke an genek und Dama fürs Kommentieren! =D
 

===
 

Er fuhr ruckartig in die Höhe.
 

Finsternis umschloss ihn, Decke und Bettlaken waren angenehm warm. Sämtliche seiner Muskeln waren angespannt und seine Hand umschloss bereits den Griff des Messers, das unter seinem Kissen verborgen war, obwohl er im ersten Moment keine Ahnung hatte, warum er überhaupt aufgewacht war.
 

Dann hörte er fernes Scheppern, begleitet von leisem, metallischem Summen. Wie ein Tier, das in der Ferne rumorte, dachte er, nur das in diesem Fall weder das eine noch das andere zutraf.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, was die Geräusche verursachte.
 

Der Fahrstuhl. Der Fahrstuhl war in Bewegung.
 

Was zum Teufel...?
 

Im Bett neben ihm raschelte es leise. Er konnte die Umrisse von Sams Kopf und Oberkörper ausmachen, als sein kleiner Bruder sich auf die Ellenbogen stützte.

„Dean...?“
 

Es klang schlaftrunken, aber nichtsdestotrotz alarmiert und bereits zum Einsatz. Ein Teil der Anspannung, mit der er bereits aufgewacht war, fiel von ihm ab.

Sam war da, Sam war in Ordnung. Was auch immer hier sonst gerade vorging, mehr brauchte er fürs Erste nicht zu wissen.
 

„Was-“, Sam starrte perplex nach oben an die Decke, durch die die dumpfen Geräusche der plötzlich zum Leben erwachten Maschine deutlich zu hören waren, „Was ist das denn?“
 

Dean erlaubte sich den Luxus, kurz mit der Hand über sein Gesicht zu fahren.

Gott, war er müde. Sie hatten fast den ganzen Tag draußen verbracht, in der Hoffnung, irgendwas zu finden, eine Opferstätte, eine Höhle, irgendeinen Hinweis... aber Fehlanzeige. Im Endeffekt war es bloß verschwendete Zeit gewesen – es sei denn, man wertete die Tatsache, dass Sam schneller rennen konnte als er, als wertvolle Information.
 

„Der Fahrstuhl“, sagte er dann und schwang die Beine aus dem Bett, „Los, komm schon. Das sehen wir uns an.“
 

Sam knipste die Nachtischlampe an und griff nach seinen Jeans. Er wirkte ernst und erschöpft, aber entschlossen. Dean schlüpfte bereits in seine Stiefel, verzichtete aber darauf, sie zuzubinden. Er angelte sich eine der beiden Taschen, die sie unter sein Bett gestopft hatten.
 

Über ihren Köpfen summte der Fahrstuhl.
 

Sam nahm die Schrotflinte an, ohne hinzusehen, weil er noch damit beschäftigt war, unter seinem Bett nach seinen Schuhen zu suchen. Dean langte hinüber, warf ihm den dunkelgrauen Sweater zu, der noch vom Nachmittag herumgelegen hatte und wieder fing Sam, ohne ihn überhaupt anzusehen.
 

Das Apartment mochte gut geheizt sein, eine kleine, geschützte, Grotte, um sich zurückzuziehen, aber das restliche Hotel war vor allem nachts empfindlich kühl. Nach kurzem Überlegen steckte Dean auch das EMF-Meter und den noch halbvollen Flachmann ein. Weihwasser, kein Alkohol.
 

Als sie auf den Flur hinaustraten, hatte er plötzlich das ungute Gefühl, den einzigen Ort zu verlassen, der ihnen nicht feindlich gesinnt war und er unterdrückte den Drang, Sam zu sagen, dass er besser hier bleiben sollte.
 

„Dean?“, sein kleiner Bruder sah ihn fragend an, „Alles okay?“
 

Ihm wurde klar, dass er sehnsüchtig zurück zur Apartmenttür gestarrt hatte und er räusperte sich hastig.

„Klar doch. Alles bestens“, er schenkte Sam ein aufmunterndes Grinsen, „Was meinst du, hm? ’Ne Party? Geister, die zu faul sind, um die Treppe zu benutzen?“
 

Sam schnaubte, aber er sah erleichtert aus.
 

Sie bogen um die Ecke, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Lift ankam. Die Maschine summte leise vor sich hin und die Kabinentür öffnete sich wie ein klaffendes Maul, bereit, jeden zu verschlingen, der es wagte, sich ihm zu nähern.

Das helle Neonlicht war störend und passte nicht wirklich zu der dezent, stielvollen Dämmerbeleuchtung, die die Flure nach Sonneuntergang erhellte.
 

Die Kabine war leer.
 

Aus den Augenwinkeln nahm Dean war, dass Sam die Schrotflinte so fest umklammert hielt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, obwohl er seinem konzentriert nach vorne gerichteten Blick vermutlich nicht einmal richtig mitbekam, was er da tat.
 

Dean hatte sich bereits ein Stück weit vor ihn geschoben, instinktiv und ohne eine bewusste Entscheidung treffen zu müssen.
 

„Tja“, sagte Sam trocken, „Wo auch immer diese... Party stattfindet, wir sind offensichtlich nicht eingeladen.“

„Awww, Sammy“, das falsche Grinsen fiel ihm immer leichter, wenn Sams Augen diesen schlecht versteckten, besorgten Ausdruck hatten, „Noch nie richtig gefeiert, was? Die Gäste, die uneingeladen auftauchen, sind doch jedes Mal erst das eigentliche Highlight!“
 

Er machte einen vorsichtigen Schritt auf den geöffneten Fahrstuhl zu und zog das EMF-Meter aus seiner hinteren Hosentasche, denn das hier war immerhin der erste handfeste Beweis dafür, dass hier im Overlook ein paar Dinge ganz und gar nicht so liefen, wie sie sollten. Doch er wurde enttäuscht.
 

Kein einziges der roten Lämpchen glühte auf, selbst dann nicht, als er das Ding die gesamte Schiebetür entlang schwenkte.

Ungläubig runzelte er die Stirn. Das war’s?
 

Sam schien seine Gedanken gelesen zu haben.

„Das war’s? Das soll doch wohl ein Witz sein.“
 

Dean trat nachdenklich einen Schritt zurück. „Vielleicht sind wir im falschen Stock? Ich meine, wenn ich ein Geist wäre, würde ich auch nicht unbedingt hier feiern wollen...“
 

Sam warf ihm einen seiner das-ist-nicht-komisch-Blicke zu.

„Ha, ha, Dean... wirklich lustig.“
 

„Nur zu deiner Information“, sagte Dean gespielt entnervt, „Ich bin vor gerade mal zehn Minuten aufgestanden. Versuch du doch, da ’nen guten Witz zu machen.“
 

Sein kleiner Bruder schüttelte den Kopf. „Okay“, sagte er, „Und was jetzt? Ich meine, das Teil wird ja wohl kaum von selbst zum Leben erwacht sein.“
 

Dean vermied es, mit den Schultern zu zucken und sah sich stattdessen prüfend um. Die Bemerkung mochte vielleicht für ungeübte Ohren wie eine Feststellung klingen, aber in Wahrheit war es eine Frage. Eine, auf die er im Moment absolut keine Antwort hatte... aber das würde er Sam ganz sicher nicht auf die Nase binden, schon gar nicht, wenn sein kleiner Bruder dieses beunruhigte Gesicht aufgesetzt hatte.
 

„Vielleicht ein Kurzschluss? Der Kasten ist immerhin verdammt alt... und welchen Scheiß auch immer sie uns erzählt haben, von wegen die Leitungen wurden erneuert, da kann immer was durchbrennen.“
 

Er erntete einen zweifelnden Blick. „Meinst du?“, Sam trat neben ihn und inspizierte die Kabine ausführlich, „Na ja, schon möglich, aber...“

„Was?“

„Bisschen großer Zufall, findest du nicht?“
 

Dean grinste schief. Das traf den Nagel so ziemlich auf den Kopf.

Und mal ehrlich, wie oft in ihrem Leben war es dann tatsächlich nur Zufall gewesen?

Zufälle gab es nicht, nicht in ihrer Welt.
 

Nicht, wenn es um so was ging.
 

„Bisschen sehr groß“, bestätigte er, „Vielleicht Geister, die gelernt haben, ihre Spuren zu verwischen? ’Ne Pfadfindertruppe?“
 

„Dean...“ Sam verdrehte die Augen, aber er grinste leicht.

Manchmal hatte Dean den Verdacht, sein kleiner Bruder konnte gar nicht anders. Gut so. Es reichte, wenn sich einer von ihnen ohne jeden Grund ernsthafte Sorgen machte.
 

„Sam, mal im Ernst...“, er betrat die Kabine, drehte sich um und hielt das stumme EMF-Meter hoch, „Nada, niente, nichts. Pfadfinder sind die einzige Erklärung, zumindest die einzige, die mir einfällt. Abgesehen von ein paar sehr abgedrehten Versionen von ‚Versteckte Kamera’, aber ab diesem Punkt wird’s dann wirklich verstör-“
 

Mit alarmierendem Knattern erwachten sämtliche EMF-Lämpchen rot flackernd zum Leben und Sam erschrockenes Gesicht war das letzte, das er sah, bevor sich-

Ssssst.

-die Fahrstuhltüren schlossen.
 

„Dean!“ Das klang panisch.
 

Er wollte etwas antworten, wollte auf den Knopf hämmern, der die Türen wieder öffnete, wollte wütend gegen das Metall treten– für nichts davon hatte er Gelegenheit.
 

Denn der Fahrstuhl sauste abwärts.
 

Nur zwei, drei Sekunden lang, dann bremste er ruckelnd ab, aber der Schwung reichte trotzdem aus, um ihn hart auf dem Kabinenboden aufschlagen zu lassen. Das wild blinkende EMF wurde ihm aus der Hand gerissen, landete mit einem krachenden Geräusch in der nächstbesten Ecke und erstarb.
 

Über seinem Kopf quietschte etwas, durch den Fahrstuhl ging ein Ruck und er schlug reflexartig die Hände über dem Kopf zusammen. Noch ein leichtes Ruckeln, dann herrschte Stille.
 

Hastig rappelte er sich auf. Das Neonlicht war immer noch an und in dem kleinen Raum klang sein hektisches Atmen ungewohnt laut. Das EMF-Meter war hinüber, das sah er auf den ersten Blick. Etwas schwankend kam er auf die Beine, streckte die Hand aus und drückte auf den Knopf, um die Fahrstuhltür zu öffnen.
 

Nichts tat sich.
 

Er drückte wieder. Und wieder. Alle Knöpfe leuchteten, ein Zeichen dafür, dass sie in Betrieb waren, aber nichts passierte. Erfolglos versuchte er den Knopf für den ersten Stock, dann alle anderen. Zweimal ging er sie von oben bis unten durch – keine Reaktion.
 

Der Notfall-Knopf, der für ebendiese Fälle installiert worden war, schien ihm höhnisch entgegenzublinken. Scheiße. Was hatte er noch mal zu Sam gesagt?

Nada, niente, nichts... gottverdammt noch mal.
 

Er gab sich Mühe, sich nicht allzu genau umzusehen. Das war schwierig, weil die Kabine einen groben Durchmesser von drei mal drei Metern hatte, aber er zwang sich dazu.
 

Enge, geschlossene Räume bereiteten ihm Schwierigkeiten.
 

Nicht, dass er ernsthaft klaustrophobisch gewesen wäre. Solange er etwas zu tun hatte, eine Aufgabe, auf die er sich konzentrieren konnte, waren enge Räume auch überhaupt kein Thema... das Problem war nur, dass er es nicht ausstehen konnte, über längere Zeit hinweg darin eingeschlossen zu sein.
 

...er war nicht klaustrophobisch. Nie gewesen. Punkt.
 

Trotzdem beschleunigte sich sein Atem automatisch, als frühere Erinnerungen an ähnliche Gelegenheiten auf ihn einstürmten und er drängte sie zurück in die hintersten Winkel seines Gehirns. Er würde jetzt ganz sicher nicht anfangen, durchzudrehen.

Das hier war ein Lift. Sonst gar nichts.
 

Sein Blick fiel auf die quadratische Fläche, die sich über seinem Kopf von der Kabinendecke abhob. „Emergency“ stand auf einer Plakette, die direkt neben einem Plastikgriff angebracht worden war.

Die Notausstiegsluke, na bitte.
 

Kein Grund, Panik zu schieben.
 

Er streckte sich, dachte sekundenlang daran, dass sein kleiner Bruder, dieser freakige Riese, sicher keinerlei Schwierigkeiten damit gehabt hätte, den Griff zu erreichen und war im nächsten Moment sauer auf sich selbst.

So sehr er es auch hasste, eingeschlossen zu sein – es war immer noch dreimal besser, er saß hier drin fest, als Sam.
 

Nach ein paar Augenblicken bekam er den Griff zu fassen, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte. Unter seinen Füßen knirschte etwas leise, das vorher Bestandteil des EMF-Meters gewesen sein musste und kurz schweiften seine Gedanken zu der Frage ab, wie viel davon wohl noch zu retten war.

Dann gab die Luke nach.
 

Er stemmte sich dagegen, so fest er konnte. Der Widerstand war unerwartet groß und fast hatte er das Gefühl, von der anderen Seite würde jemand dagegenhalten...

Das war lächerlich.
 

Ein paar Zentimeter Freiraum, dann noch ein paar und schließlich war Platz genug für seine zweite Hand. Er klammerte sich mit der Linken fest, die Füße einen Fingerbreit über dem Boden, und drückte mit der Rechten.

Noch ein Stück –komm schon, komm schon...- und noch ein eins.
 

Das Bild war auf einmal da.
 

Sam, der oben auf der Kabine kniete, der lange Fahrstuhlschacht über ihm verschluckt von Dunkelheit, und versuchte, von der Seite aus, von der Dean ihn nicht sehen konnte, die Luke zuzuhalten.

Ihn dort drin zu halten.
 

Ihn nicht mehr rauszulassen, nie wieder und er würde hier drin bleiben, in diesem gottverdammten Fahrstuhl und die Wände würden näher rücken, immer näher-
 

Er blinzelte desorientiert gegen den Schwindel an, der ihn plötzlich überfiel.
 

-denn Sam wollte, dass er hier drin blieb, Sam wollte ihn nicht mehr sehen, Sam hatte genug von ihm-
 

Seine linke Hand glitt ab, rutschte aus dem schmalen Spalt, den er geschaffen hatte, langsam und Stück für Stück.
 

-die Wände, langsam und Stück für Stück, immer näher und näher... langsam, denn sie hatten Zeit-
 

Er schluckte, hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen und schluckte wieder, aus Angst, irgendetwas könnte seine Luftröhre blockieren. Das Bild, das er vor Augen hatte, war so deutlich, als stünde er direkt daneben, eine Art stummer Beobachter, der-
 

-und Sam hielt die Luke zu, das war die einzige Erklärung, warum auch sonst sollte sie sich nicht öffnen lassen... und er selbst stand nur daneben, warum unternahm er nichts?-
 

Er verlor den Halt, landete unsanft wieder auf dem Kabinenboden. Sein linker Arm schmerzte und er blinzelte hektisch. Das Bild war verschwunden, aufgelöst, nur Schall und Rauch und nichts war zurückgeblieben.

Was zum Teufel war das eben gewesen?
 

Sein Atem beschleunigte sich wieder, aber er erkannte das beengende Gefühl, dass ihm mit einem Mal den Brustkorb zuschnürte als das, was es war – Platzangst.

Er war dabei, durchzudrehen. Die Wände...

Die Wände, die Wände.
 

Sam hielt die Luke nicht zu. Sam war nicht dort oben und selbst wenn, so etwas würde er niemals tun, nicht einmal zum Spaß – und bei Gott, die Situation war ernst genug – weil er wusste, dass Dean...
 

Vielleicht ist genau das der Punkt?, flüstere eine kleine, gemeine Stimme in seinem Hinterkopf, Vielleicht findet er es lustig, wenn zur Abwechslung einmal du es bist, der Angst hat-
 

Schwachsinn. Er fuhr sich durch die Haare. Schwachsinn, Schwachsinn, Schwachsinn!

Die Wände. Kein Platz.

Sam war nicht dort oben. Sam würde nicht-
 

„Dean?!“
 

Er zuckte so heftig zusammen, als hätte ihm jemand einen Stromschlag verpasst und sein Herz machte einen ungesunden Satz.
 

Von weiter weg ertönte der Widerhall von Schritten, dann gab es ein dumpfes Geräusch und die Kabine sackte um ein paar Millimeter ab. Im Spalt der Luke tauchte Sams Gesicht auf.

„Dean! Alles in Ordnung?“
 

Dean kämpfte eine irrationale Welle an Abscheu nieder. Sam war also doch dort oben gewesen...

Gerade gekommen, verbesserte er sich, gerade gekommen. Und er machte sich Sorgen. Natürlich machte er sich Sorgen.
 

Immerhin war Dean gerade mit einem Fahrstuhl ein paar Stockwerke weit nach unten gerasselt. Sam wollte wissen, wie es ihm ging. Kein Grund, paranoid zu werden.

Die Panik, entschied er, allein die Panik war schuld.
 

„Ja“, sagte er. Seine Stimme klang hohl. Er räusperte sich.

„Ja“, wiederholte er, „Mir geht’s gut, nichts passiert.“
 

„Was zum... Dean, was zum Henker war das grade?“
 

Woher soll ich das wissen?

„Keine Ahnung... aber hast du gesehen, wie das EMF plötzlich abgegangen ist? Kurzschluss war das keiner, es sei denn, hier läuft ein ziemlich durchsichtiger Elektriker rum.“
 

„Ha, ha“, machte Sam erneut, aber er klang bei weitem angespannter als vorher. Dann ging er, soweit Dean das von seiner Warte aus erkennen konnte, in die Knie und hantierte mit der Luke, „Warte, ich mach das schon.“
 

Der ganze Fahrstuhl knirschte und ächzte, als Sam von außen daran rüttelte. Schließlich tauchte sein Gesicht wieder auf.

„Dean? Irgendwas stimmt da nicht...“
 

„Was?“

Die unerklärliche Furcht in Deans Magengegend, dass Sam vorhaben könnte, ihn hier drin verrotten zu lassen, machte Platz für eine ganze Welle weitaus rationalere Ängste.

Was, wenn die Bremsen plötzlich nachgaben?

Was, wenn die Halterungsseile – obwohl das statisch gesehen eigentlich unmöglich war – plötzlich abrissen?

Was, wenn der Fahrstuhl sich plötzlich dazu entschließen sollte, hinauf zu fahren und Sam ein paar Stockwerke weiter oben zerquetschte?
 

Irgendetwas Übernatürliches ging hier vor und wenn er Zeit seines Lebens etwas gelernt hatte, dann dass dabei nichts unmöglich war.
 

„Das verdammte Ding...“, Sam war, soweit Dean das sehen konnte, wieder auf den Beinen und zog an der Luke, „...bewegt sich kein Stück! Es klemmt oder so ähnlich...“
 

„Sam“, er konnte nichts gegen leicht panischen Tonfall seiner Stimme unternehmen, „Sam, hol mich hier raus!“
 

Sam knirschte mit den Zähnen. „Was glaubst du denn, was ich mache?“, es klang, als zerrte er jetzt mit aller Kraft, „Das. Blöde. Ding. Will. Einfach. Nicht- na, komm schon, verdammt!“
 

Wie konnte das sein? Das war doch nur Plastik...

Kein Platz. Die Wände. Dean schüttelte den Kopf. Nein, keine Wände.

Die blieben, wo sie waren. Was auch sonst?
 

„Dean...“, Sams besorgtes Gesicht war wieder aufgetaucht, „Ich hab ’ne Idee, aber dafür muss ich kurz weg. Bin gleich wieder da, dauert nicht mal ’ne Minute. Okay?“
 

Dean starrte zu Boden. Nicht die Wände ansehen, nicht die Wände ansehen. Der Notfall-Knopf leuchtete am Rand seines Blickfelds immer noch spöttisch vor sich hin. Sam wollte gehen.
 

Sein Mund war mit einem Schlag wie ausgetrocknet. „Klar.“

Er sagte es ohne aufzusehen.
 

„Dean?“, Sams Stimme hörte sich genauso an, wie Dean sich insgeheim fühlte und fast klang es, als fragte sein kleiner Bruder um Erlaubnis, „Eine Minute, okay? Mehr nicht. Ich bekomme dich da raus.“
 

Dean holte tief Luft, sah nach oben und grinste zuversichtlich. Sein Magen war eine kompakte, kleine Kugel aus Angst, aber Sam hörte sich beinahe panisch an und das hatte Priorität. Sams Panik kam immer zuerst.
 

„Eine Minute“, sagte er, „Kein Problem. Das reinste Kinderspiel.“
 

Sam schenkte ihm ein schmales Lächeln, das in ihm den Verdacht aufkeimen ließ, dass seine Fassade bei weitem leichter zu durchschauen war, als ihm lieb sein konnte.

„Summ’ irgendwas, ja?“
 

„Wa- häh?“
 

„Summ’ irgendwas, bis ich wieder da bin. Metallica oder so.“
 

Dann war Sam verschwunden.
 

Und Dean hätte beinahe laut aufgelacht. So wenig er es auch zugegeben hätte, es tat gut, dass es jemanden gab, der ihn dermaßen gut kannte. Das warme, vertraute Gefühl und die Sicherheit, dass alles gut werden würde, hielten jedoch nicht lange an.
 

Versuchweise summte er ein paar Takte, aber bei jedem Ton, der seine Lippen verließ, kam es ihm so vor, als würde der winzige Raum noch enger werden. So, als wären die Kabinenwände und das Lied mit unsichtbaren Schnüren verknüpft worden und jeder Laut, den er von sich gab, zog sie näher heran.
 

Er begann, auf und ab zu gehen. Zwei Schritte nach vorn, zwei nach links, zwei zurück. Einfach aufs Atmen konzentrieren.

Fast kam er sich vor wie die groteske Parodie einer schwangeren Frau, als er tief Luft holte und sie langsam wieder ausstieß, aber hey- was auch immer half, das half, richtig?
 

Sammy würde kommen. Er war sicher schon unterwegs.

Kein Grund, durchzudreh-
 

-Sam, der die Hotellobby Richtung Eingangstür durchquerte, um das Overlook für immer hinter sich zu lassen-
 

Nein. Nein, nein, nein, nein. Schwachsinn. Alles nur-
 

-„Bye, bye, Dean...“, die Tür fiel ins Schloss, in der Lobby ging mit einem Schlag das Licht aus-
 

Wie nebenbei nahm er war, dass er inzwischen keuchte. Er musste summen, das hatte Sam gesagt, irgendwas, selbst wenn es nicht Metallica war. Er musste-
 

-er saß alleine im Dunkeln und dann, wenn er nichts mehr sehen konnte, wenn es keine Beweise mehr dafür gab, kamen die Wände näher, immer näher und nahmen ihm die Luft... er konnte nicht atmen-
 

-Sammy hatte gesagt, er sollte summen, also versuchte er es. Es gelang nicht. Die Töne waren zittrig und kaum hörbar und er konnte sich an keine Melodie erinnern... aber er musste! Unsinn, sagte er sich, Sam würde ihn nicht im Stich lassen, nur weil er hier nicht summte-
 

-Was, wenn doch?-
 

-kompletter Blödsinn, das war einfach schwachsinnig. Kein Platz zum Atmen. Sammy war schon auf dem Weg-
 

-jahh, auf dem Weg nach Sidewinder, auf dem Weg nach draußen, auf dem Weg zu seinem neuen, Dean-freien Leben-
 

NeinneinneinneinNEIN! Laute Schritte, dann erzitterte die gesamte Kabine wieder, weil jemand – Sam – zu hastig darauf gelandet war.

„Dean?“
 

„Ja“, krächzte er und erschrak selber darüber, wie verzweifelt seine Stimme klang. Mehr brachte er nicht heraus.
 

Sams Finger erschienen in dem schmalen Spalt, dann tauchte sein Kopf auf, den er weit zur Seite geneigt hatte, um durchspähen zu können.

„Dean?!“ Die unausgesprochene Frage „Mann, du klingst furchtbar. Geht’s dir gut?“ schwang in seinem Tonfall mit.
 

„Ja...“, sagte Dean erneut und gab sich Mühe, dabei entschlossen zu klingen, „Bin noch da, wie du siehst.“
 

Sam schnaubte humorlos. „Okay“, sagte er dann, „Holen wir dich mal da raus. Pass auf, kannst du ein Stück zur Seite gehen?“
 

„Warum?“
 

Sam hielt etwas vor den Spalt, bei dem Dean nicht genau erkennen konnte, worum es sich handelte. Die Werkbank des Hausmeisters kam ihm in den Sinn.

„Brecheisen?“, fragte er.
 

„Hab ich mir auch überlegt, aber nein. Hier drin im Schacht ist es zu eng, außerdem kann man bei der blöden Luke nicht ordentlich ansetzen. Ich hab den Vorschlagshammer mitgebracht... also wie gesagt, mach lieber Platz.“
 

Gegen seinen Willen musste Dean grinsen. Vielleicht sah er dabei etwas hysterisch aus, aber im Augenblick war ihm das egal. Es konnte ihn ohnehin niemand sehen. Er wich zurück zur Wand, so weit er konnte und hob die Hände sicherheitshalber ein Stück vors Gesicht.

„Gut“, informierte er Sam, „Bin startklar.“
 

Sam stand auf, im Spalt waren nur noch seine Schuhe zu sehen. Dann donnerte auch schon der erste Schlag auf die Plastikluke nieder. Dean wusste nicht, was er erwartet hatte – eigentlich hätte das Material den physikalischen Grundgesetzen zufolge sofort nachgeben müssen, aber wenn es sich aus keinem nachvollziehbaren Grund schon nicht einmal ordentlich öffnen ließ...
 

Quer über das Wort „Emergency“ verlief ein gezackter Sprung, das war alles. Sams gedämpftes Fluchen drang an sein Ohr, bevor sein kleiner Bruder den Hammer wieder herabsausen ließ.
 

Es brauchte insgesamt vier Schläge, bevor die Luke mit einem gequälten Geräusch endgültig nachgab und zerbrochenes Plastik auf Dean hinunterregnen ließ. Er hatte seine Hand auf dem Rand der freigewordenen Öffnung, noch bevor er überhaupt mitbekommen hatte, was er da tat. Irgendetwas schnitt ihm in die Handfläche, doch er ignorierte den brennenden Schmerz und dann war da Sam, der ihn an den Oberarmen packte und ihm dabei half, sich hochzuziehen.
 

Kühle Luft schlug ihm entgegen und im ersten Moment war er verblüfft darüber, wie kalt es im Aufzugsschacht eigentlich war. Die nächste Überraschung war, dass der Fahrstuhl keinen halben Meter unterhalb der Einstiegsstelle im Erdgeschoß zum Stehen gekommen war. Ungläubig starrte er auf das milde Licht, das ihm vom Flur aus entgegenleuchtete.
 

„Dean?“, Sams Hände waren auf seinen Schultern und sein Gesicht bestand förmlich nur aus großen, besorgten Dackelaugen, „Dean, alles in Ordnung?“
 

Mit einem Mal war ihm die ganze Sache furchtbar peinlich.

„Ja“, sagte er brüsk und entwand sich Sams Griff, „Mir geht’s gut. Hab n’bisschen überreagiert, das ist alles. Tut mir leid.“
 

„Das...“, Sam klang perplex, „Schon okay, du... schon okay.“

Er richtete sich auf und schien sekundenlang zu überlegen, ob er Dean dabei helfen sollte, ließ es dann aber Gott sei Dank bleiben. „Was ist mit dem EMF?“
 

„Sieht schlecht aus“, Dean deutete nach unten, „Hat die Landung nicht besonders gut überstanden.“
 

Sam nickte langsam. „Okay“, sagte er wieder und klopfte Dean sacht auf die Schuler, „Lass uns abhauen, bevor das Teil ganz abstürzt.“

Und auch, wenn die Hand eine Spur zu lange liegenblieb, diesmal hatte Dean gegen den Körperkontakt absolut nichts einzuwenden.
 

Er bückte sich, um den Vorschlaghammer hochzuheben und wie durch Zufall fiel sein Blick noch einmal in die Fahrstuhlkabine. Verwirrt runzelte er die Stirn. Das kann doch nicht...
 

„Dean. Was?“

Sam stand bereits einen halben Meter weiter oben im Flur und sah immer noch so aus, als erwartete er, dass gleich irgendetwas passieren würde.
 

Dean schüttelte den Kopf. Für diese Nacht war es genug.

„Nichts.“ Er stieg vom Fahrstuhldach hinauf auf festen Boden und warf keinen Blick zurück. „Los, Sammy, komm. Wir verschwinden.“
 

Und doch konnte er nicht anders, als sich den ganzen Weg zurück zum Apartment zu fragen, ob die verblichenen Luftschlangen und das Konfetti, die jetzt zwischen den ganzen Bruchstücken des EMF-Meters gelegen hatten, von Anfang an da gewesen waren oder nicht. Er konnte es nicht mehr sagen.
 

Er konnte es beim besten Willen nicht mehr sagen.
 

===

Omeletts

===
 

Sam wachte mit demselben unguten Gefühl auf, mit dem er eingeschlafen war – dem Gefühl, dass Dean irgendwas beschäftigte.
 

Umso beunruhigender war es deshalb, als er die Augen aufschlug und feststellen musste, dass das Bett seines Bruders leer war.

Dann erst bemerkte er, dass ihm jemand mit Klebeband einen Notizzettel an die Stirn geheftet hatte. Ungehalten riss er ihn herunter. Die Nachricht war kurz und bündig und ließ keinen Zweifel darüber offen, wer sie verfasst hatte.
 

„Küche.

Wenn du aufwachst, schuldest du mir wahrscheinlich schon 20$.

Dean, 7:58 am“
 

Der Brauch, die aktuelle Uhrzeit bei solchen Notizen dazuzuschreiben, war uralt und irgendwann während Sams Highschoolzeit entstanden. Er konnte sich nicht mehr genau an die Umstände erinnern, die dazu geführt hatten, war sich aber ziemlich sicher, dass es etwas mit einem Job zu tun gehabt hatte.
 

Die meisten Angewohnheiten zwischen ihm und Dean hatten ursprünglich etwas mit dem Familiengeschäft zu tun gehabt.
 

„Wenn du aufwachst, schuldest du mir wahrscheinlich schon 20$.“

Er runzelte die Stirn. Das bedeutete doch wohl hoffentlich nicht das, was er dachte, dass es bedeutete.
 

Keine fünf Minuten sprintete er die Treppe hinunter.

Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich: Die Küche glich einem Schlachtfeld.

Besser gesagt, der eine Edelstahlblock, auf dem Dean sich ausgebreitet hatte, glich einem Schlachtfeld, während der Verursacher selbst auf wundersame Weise weitgehend unversehrt geblieben war.

Gut, dachte Sam, bei aller Fairness musste man sagen, dass Dean durchaus keine absolute Katastrophe in der Küche war.
 

Sein Bruder konnte kochen, oder zumindest konnte er das, was man in einer Studenten-WG darunter verstanden hätte.
 

Er schaffte Nudeln, über die man dann Fertigtomatensoße aus der Dose kippen musste oder er warf sämtliche Reste, die der Kühlschrank hergab, in eine Topf. Auch alle möglichen Variationen von Suppe bekam er tadellos hin.
 

Die zweifelhafte Kochkünste rührten daher, dass Sam, und daran konnte er sich noch ziemlich gut erinnern, als kleines Kind sehr wählerisch gewesen war. Fertigpizza war gut und schön, und auch die ganzen asiatischen Take-Outs hatte er gemocht (was vor allem an den wundersam geformten Schachteln und den beigelegten Stäbchen lag, mit denen er in diesem Alter zwar noch nicht viel hatte anfangen können, die ihn aber trotzdem fasziniert hatten), aber irgendwann kam immer der Punkt, an dem er, trotziges Kind, das er nun einmal gewesen war, das alles satt gehabt hatte.
 

War dieses Maß erreicht, hatte er sich einfach geweigert, weiterhin irgendwelche Nahrung zu sich zu nehmen und da ihr Vater oft über mehrere Tage hinweg verschwunden gewesen war, war es in neun von zehn Fällen sein großer Bruder gewesen, der diese Ausbrüche hatte ausbaden und irgendeine passable Lösung finden müssen.
 

Und schon als Achtjähriger war Dean mit demselben Elan an die Sache herangegangen, den er auch heute noch zeigte, wenn sich etwas als notwendig herausstellte, von dem er keinen blassen Schimmer hatte. Er stellte sich an den Herd und begann zu improvisieren – und das so lange, bis er es geschafft hatte, etwas zu fabrizieren, das einigermaßen essbar war und die Zustimmung seines quengelnden, vierjährigen Bruders gefunden hatte.
 

Jetzt sah er auf, als Sam mit gemischten Gefühlen die Küche betrat und grinste triumphierend. „Na endlich! Dachte schon, ich muss hochkommen und dich eigenhändig runtertragen. Mann, du bist doch sonst so ein Frühaufsteher.“
 

„Sorry.“ Sam kam neben dem Edelstahlblock zum Stehen. Auf dem Herd stand eine Pfanne und daneben ein Teller, auf dem sich ein wahrer Berg von Omeletts türmte.
 

Dean sah ihn aufmerksam an. „Und? Was geträumt?“

Der sorgfältig neutrale Tonfall entging Sam keineswegs.
 

„Nein“, sagte er und musste nicht einmal lügen, „Gar nichts.“

Er deutete auf den Teller. „Ist das nicht ein bisschen viel?“
 

Dean zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich wusste nicht wirklich, wie viel Teig ich...“, mit einer schwungvollen Bewegung schaltete er den Herd ab und die zischende Gasflamme erlosch, „Egal. Dann ist für morgen wenigstens auch noch was da.“
 

Sam war sich nicht sicher, ob er diese Begeisterung teilen sollte. „Ah ja.“
 

„Überschlag dich mal nicht“, sagte Dean trocken und drückte ihm eine Flasche Ahornsirup in die Hand, die er irgendwo im Lager ausgegraben haben musste, „Los, da rüber, jetzt wird gegessen. Du schuldest mir so was von zwanzig Dollar, Sam.“
 

Neben einem der zahlreichen anderen Edelstahlblocks standen zwei Barhocker, die Dean wohl aus der Colorado Lounge hergeschleift hatte. Sam wusste nicht recht, warum, aber er war erleichtert, dass sie hier frühstücken würden und nicht im Speisesaal. Der große leere Raum mit den vielen Tischen, die alle mit Plastikfolie abgedeckt worden waren...
 

Sogar Teller standen schon da, zusammen mit Tassen und einer Thermoskanne, die recht vielversprechend aussah.

„Was ist das?“
 

Dean verdrehte die Augen. „Hustensaft“, sagte er, „Mal ehrlich, was denkst du denn, was das ist?“

Und das waren doch tatsächlich gute Nachrichten.

„Kaffee?“, fragte Sam hoffnungsvoll.
 

„Kaffee“, bestätigte Dean, „Kann aber sein, dass er ziemlich stark ist... hatte vorher ’ne kleine, uhm... Meinungsverschiedenheit mit der Kaffeemaschine. Warte, irgendwo da drüben muss noch Milch rumstehen.“
 

Er sprang wieder auf und durchstöberte das ganze Zeug, das er im Laufe des Kochvorgangs auf der Stahlplatte ausgebreitet hatte, nach der Milchtüte.

Sam verbiss sich ein Grinsen. Er hatte keine Ahnung, woher dieser ganze Enthusiasmus auf einmal kam, aber es tat gut, seinen Bruder so begeistert bei der Sache zu sehen.
 

„Ha-ha!“, machte Dean, zog die viereckige, mit Flecken übersäte Packung hervor und staubte etwas herunter, das nach Mehl aussah, „Na, wer sagt’s denn!“

„Gratuliere“, sagte Sam trocken.
 

Dann wandten sie sich den Omeletts zu.
 

Sie waren durchaus essbar. Ein bisschen zu mehlig und eine Spur zu dick, aber wenn man großzügig Sirup darüber schüttete, störte das absolut nicht. Für ein exklusives Restaurant hätte es wahrscheinlich nicht gereicht, aber für das Hier und Jetzt war es mehr als genug.
 

Nach ein paar Bissen bemerkte Sam, dass Dean ihn verstohlen beobachtete. Ihm war klar, dass er nur einmal abfällig das Gesicht zu verziehen oder eine kritische Bemerkung zu machen brauchte und das begeisterte Grinsen würde in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
 

So unangreifbar und selbstsicher sein Bruder auch immer tat, Sams Meinung war ihm wichtig und er nahm sie sich zu Herzen – so sehr, dass Sam sich schon mehr als einmal dafür hätte ohrfeigen können, dass er seinen Mund aufgemacht hatte, ohne vorher darüber nachzudenken, was er da eigentlich anrichtete.

Er griff nach der Thermoskanne und dann nach der Milchtüte, die genau so klebrig war, wie sie aussah, während Dean kaute und versuchte, so auszusehen, als wäre ihm das alles vollkommen egal.
 

Sam schob sich den nächsten Bissen in den Mund und gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Gar nicht übel“, nuschelte er, weil es irgendwie einfacher war, das mit vollem Mund zu sagen, „Ich meine, reich werden wirst du damit sicher nicht, aber ernsthaft... nicht übel.“
 

Dean zuckte gespielt desinteressiert mit den Schultern und strahlte in seine Kaffeetasse.
 

„Also?“, hakte er nach, nachdem sie fertig gegessen hatten – Sam hatte extra noch zweimal zugelangt, obwohl er eigentlich schon satt gewesen war, „Was ist jetzt mit dem Geld?“
 

Sam blinzelte ihn unschuldig an. „Welches Geld?“
 

Aber Dean fiel nicht darauf herein. „Meinem Geld, Sam“, sagte er grinsend, „Du erinnerst dich? Zwanzig Dollar, wenn ich Omeletts hinkriege.“
 

„Einigermaßen essbare Omeletts“, korrigierte Sam, „Nicht einfach irgendwas.“

Die gefährlichen Klippen waren umschifft. Jetzt konnte er ohne schlechtes Gewissen wieder Witze über Deans Kochkünste reißen.
 

„Die waren mehr einigermaßen essbar“, sagte Dean wie zur Bestätigung selbstgefällig, „Die waren köstlich, okay? Du hast ja keine Ahnung.“
 

Sam murmelte grinsend etwas von wegen, er wäre sich nicht ganz sicher, wer von ihnen beiden hier keine Ahnung habe.
 

Deans gute Laune war ansteckend.

Was auch immer es gewesen war, das ihn gestern beschäftigt hatte, jetzt schien es ihm kein Kopfzerbrechen mehr zu bereiten. Und auch das ungute Erlebnis mit dem Fahrstuhl schien er einigermaßen verdaut zu haben. (Sam wusste nur zu gut, wie es seinem Bruder mit engen Räumen ging.) Immerhin hatte er gekocht.
 

Das war ihm die mickrigen zwanzig Dollar allemal wert.

„Bitte, meinetwegen“, sagte er, „Ich geb sie dir nachher, in Ordnung?“
 

Dean winkte ab. „Lass dir Zeit. Ich weiß so oder so, dass ich gewonnen habe. Also...“, er schlug geschäftsmäßig die Hände zusammen, „Wie sieht’s aus? Pläne für den Tag?“
 

Darüber hatte Sam sich bereits Gedanken gemacht.

„Weißt du...“, sagte er zögernd, „Eigentlich würde ich mir gern mal den Keller ansehen.“
 

Er erntete ihm einen befremdeten Blick. „Den Keller? Wozu?“
 

„Na ja...“
 

Seine Gedanken schweiften ab zu der Hotelführung, die sie vor zwei Tagen bekommen hatten, bevor sich der Manager in seinen protzigen Angeber-BMW gesetzt hatte, um in wärmere Gefilde zu verschwinden.
 


 

Der Hausmeister hieß Watson, war steinalt und brabbelte dermaßen viel Unsinn vor sich hin, dass man unwillkürlich den Verdacht bekam, er wandelte hart an der Grenze zur Unzurechnungsfähigkeit.
 

Die einzigen verständlichen Dinge, die er von sich gab, betrafen den gigantischen Heizofen im Keller, der mit Erdgas betrieben wurde und den Boiler, der das Wasser erhitzte.
 

Während des Vorstellungsgesprächs hatte der Manager am Rande erwähnt, dass Watsons Ur-Urgroßvater oder so ähnlich das Overlook-Hotel hatte errichten lassen. Damals war die Familie offenbar noch steinreich gewesen, aber das ganze Geld war im Laufe der Jahre verloren gegangen.
 

Das war anscheinend auch der einzige Grund, warum dieses lebende Museumsobjekt weiterhin als Hausmeister beschäftigt wurde und noch nicht entlassen worden war – Watson kannte das Gebäude in- und auswendig, mitsamt seinen Macken und Eigenheiten.
 

Im Großen und Ganzen, erklärte er ihnen, bereite einem die Heizanlage hier unten überhaupt keine Probleme, denn sie sei vor ein paar Jahren im Zuge einer Runderneuerung komplett ausgetauscht worden.

Offenbar war das Hotel davor von einer komplett veralteten Anlage versorgt worden, die richtiggehend gefährlich werden konnte, wenn man nicht regelmäßig den Druck abließ.
 

Doch das sei ja nun vorbei, sagte Watson, dem Herrn sei’s gedankt, sogar das Umschalten der Heizwärme auf die einzelnen Flügel des Hotels funktioniere jetzt automatisch.

Mehr, als von Zeit zu Zeit hier herunterzukommen, um nach dem Rechten zu sehen, bräuchten sie nicht zu tun.
 

Sam hatte ihm die ganze Zeit ohnehin nur mit halbem Ohr zugehört, denn etwas anderes hatte ihn in seinen Bann gezogen.

Der Keller war überschwemmt mit unordentlich übereinandergeschichteten Kartons, die randvoll gestopft waren mit Papieren, Zeitungen und Akten. Dass sie sich alle um das Overlook-Hotel drehten, schien die einzige Gemeinsamkeit zu sein.
 

Am liebsten hätte er auf der Stelle damit begonnen, sie nach brauchbaren Informationen durchzusehen, aber das war aus naheliegenden Gründen schwer möglich gewesen.
 


 

Auf Deans Gesicht machte sich so etwas wie Verstehen breit.

„Oh Mann, Sammy“, sagte er genervt, „Erzähl mir bitte nicht, du willst wegen dem ganzen alten Krempel da runter.“
 

Sam spürte einen Anflug von Ärger in sich aufsteigen, war sich aber nicht ganz sicher, ob es an Deans offensichtlicher Missbilligung lag oder einfach daran, dass er so einfach durchschaut worden war.

„Dean, dieser alter Krempel könnte uns immerhin weiterhelfen“, es klang heftiger, als er eigentlich vorgehabt hatte, „Ich meine, nach dem, was gestern Nacht mit diesem Fahrstuhl passiert ist... Nur für den Fall, dass du’s vergessen hast, wir sind nicht zum Spaß hier!“
 

Die Anspielung auf die Omeletts war eindeutig und in der nächsten Sekunde hätte Sam am liebsten beides wieder zurückgenommen – den unfairen Angriff und die Tatsache, dass er die Geschichte mit dem Fahrstuhl erwähnt hatte.
 

Für den Bruchteil einer Sekunde sah Dean ehrlich verletzt aus, dann hatte er sich wieder perfekt im Griff.

„Tja“, sagte er unbekümmert, „Wenn das die Dinge sind, aus denen deine feuchten Träume bestehen, Sam, dann will ich dich natürlich nicht davon abhalten. Aber du siehst sicher ein, dass ich mit meiner Zeit was Besseres anfangen kann.“
 

„Klar“, war alles, was Sam sagte, obwohl er sich am liebsten entschuldigt hätte, „Was machst du inzwischen?“
 

Dean zuckte betont lässig mit den Schultern. „Aach“, sagte er, „Dachte, ich sehe mal nach, ob das EMF noch zu retten ist. Könnte nämlich eventuell sein, dass wir das noch brauchen werden, weißt du.“
 

Sam schluckte. Na ganz toll.

Jetzt war sein Bruder auch noch der Meinung, ihm etwas beweisen zu müssen. Er hätte die Sache mit dem Fahrstuhl wirklich nicht auf den Tisch bringen sollen.
 

Dean sprach nicht über seine Ängste.

Dean ignorierte sie und erwartete von der restlichen Bevölkerung, dass sie dasselbe tat – etwas, das Sam soeben unterlassen hatte und das wiederum bedeutete, zumindest in Deans kleiner Welt, dass er hinzugehen und sich dem Fahrstuhl zu stellen hatte.
 

„Weißt du was, ich komme mit.“
 

Dean sah ihn spöttisch an. „Auf einmal? Vergiss es, Sam. Ist nicht nötig.“
 

„Ich will aber.“
 

„Wozu?“, Dean klopfte abwesend gegen seine inzwischen leere Kaffeetasse, „Ich meine, mal ehrlich, wäre doch Zeitverschwendung. Vergrab du dich ruhig in deinen Zeitungen und ich sehe zu, dass ich die Technik wieder hinkriege... ist ja nicht so, als ob du besonders viel Ahnung davon hättest.“
 

Autsch.

Das tat weh, auch wenn die Spitze ersten absolut der Wahrheit entsprach und zweitens vollkommen gerechtfertigt war.
 

„Gut“, sagte Sam langsam und stand auf, „Also dann... ich bin im Keller, falls irgendwas sein sollte.“
 

Dean erhob sich ebenfalls. „Alles klar. Pass auf, wo du hintrittst, okay? Da unten ist es finster.“
 

Sam grinste nur schief. „Keine Panik.“
 

===
 

Das Neonlicht flackerte einen Moment lang unschlüssig, bevor es leise summend zum Leben erwachte und kaltes, nüchternes Licht über dem Keller ausschüttete.

Sam stieg die Treppe hinunter und verharrte auf der letzten Stufe. Wow.
 

Das waren noch mehr Kartons, als er in Erinnerung gehabt hatte und kurz überlegte er, ob er nicht doch den Laptop holen sollte. Eines war jedenfalls sicher, das hier würde eine ganze Weile dauern.
 

Hoffentlich machte Dean in der Zwischenzeit keinen Unsinn. Er unterdrückte den Drang, wieder nach oben zu gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Die Geste würde mit ziemlicher Sicherheit bloß missverstanden werden... zumindest jetzt noch.

Wenn er aber in einer halben Stunde wie nebenbei einmal auftauchte, würde Dean ihm das erfahrungsgemäß durchgehen lassen.
 

Er wandte sich wieder den übereinandergeschichteten Kartons zu. Bestimmtes System schien es keines zu geben, deshalb griff er einfach nach dem nächstbesten Papierstapel – alte verblichene Zeitungen. Er überprüfte das Datum und schnaubte ungläubig.

1939... sehr zeitgemäß, wirklich.
 

In Ermangelung eines Stuhls setzte er sich auf einen Fleck am Boden, der einigermaßen sauber aussah und lehnte sich gegen die angenehm warme Wand, die direkt an den Heizraum angrenzte.

Wenigstens an ein paar Marker hatte er gedacht.
 

Er zog die Beine an, seufzte verhalten und begann zu lesen.
 

===
 

Dean ging absichtlich langsam und überlegte.
 

Der Aufzug steckte fest, und das gut einen halben Meter unter der Einstiegsstelle, also würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als hineinzuklettern, wenn er das zerstörte EMF-Meter wirklich bergen wollte.
 

Der Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht – und das auch aus einer ganzen Reihe von Gründen, die nichts mit seiner Abneigung gegen enge, geschlossene Räume zu tun hatten. Er war ganz ehrlich nicht besonders scharf darauf, wieder in diese winzige Kabine zu steigen.
 

Trotzdem blieb er wie angewurzelt stehen, als er um die Ecke bog und der offene Fahrstuhl genau dort auf ihn wartete, wo er eigentlich nicht hätte sein sollen. Exakt auf einer Höhe mit dem Flur, seelenruhig, so als wäre nie irgendwas gewesen.
 

„Was zum...?“

Er näherte sich vorsichtig. Okay, was zum Henker war hier los?
 

Die Kabinentür stand offen, die Knöpfe leuchteten freundlich, die ganze Maschine wirkte so zuverlässig und harmlos, als könnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Als hätte sie Zeit ihres Lebens noch nie etwas anderes getan, als tadellos zu funktionieren.

Das schrottreife EMF und die zerbrochenen Plastikstücke, die den Kabinenboden pflasterten, waren der einzige Beweis dafür, dass vergangene Nacht überhaupt irgendetwas passiert war.
 

Dean blieb stehen.

Für wie blöd hielt ihn das Ding eigentlich? Noch einmal würde er da auf keinen Fall reingehen.
 

Er musterte den von Bruchstücken bedeckten Boden eingehend. Metall und Plastik.

Kein Konfetti, keine Luftschlangen. Genau wie er vermutet hatte. Schon heute Morgen war er zu dem Schluss gekommen, dass ihm seine Augen gestern einen Streich gespielt haben mussten. Kein Wunder, bei der Panik, die er da plötzlich geschoben hatte...
 

Es war schon schlimm genug, dass er aus keinem nachvollziehbaren Grund beinahe die Nerven verloren hatte... aber nein, das hatte natürlich nicht gereicht, er hatte sich auch noch vor Sammy blamieren müssen und das war vollkommen inakzeptabel.

Was aber noch lange nicht hieß, dass er vorhatte, dieses mörderische Ding jemals in seinem Leben wieder zu betreten. Mutig zu sein war eine Sache, völlig grundlos und dämlich das Schicksal herauszufordern eine andere.
 

Aber das EMF musste er haben.
 

Er sah sich suchend um, dann fiel ihm der Besen ein, der in der Vorratskammer in einer der Ecken gelehnt hatte. Damit müsste es gehen...
 

Zwei Minuten später war er wieder da und fischte vorsichtig nach dem zertrümmerten Gerät. Es schabte über den Boden und fast kam ihm der Nachhall, den das Geräusch in der Kabine verursachte, unnatürlich laut und beinahe unwillig vor – so als wäre die Maschine selber nicht einverstanden mit dem, was er da tat.

Meine Fresse, dachte er, ging das schon wieder los? Er musste sich zusammenreißen.
 

Das war pure Einbildung, sonst gar nichts.
 

Als er das EMF-Meter endlich in der Hand hatte, genügte ein Blick darauf, um festzustellen, dass nicht mehr viel zu retten war. Verdammt.

Dass sie das Ding „eventuell noch brauche könnten“ war eine Untertreibung gewesen. Sie würden es ziemlich sicher noch brauchen, wenn nicht bei diesem Job, dann eben beim nächsten. Abwesend drehte er es in der Hand. Er fühlte sich seltsam schutzlos, jetzt, da es weg war. Unvorbereitet.
 

Na ja, Schwamm drüber. Sie würden es überstehen und außerdem... er hatte es einmal gebaut, das konnte er wieder tun.

Das EMF war nicht alles. Kein Weltuntergang.
 

Blieb die Frage, was er jetzt unternehmen sollte.
 

Sam saß im Keller bei seinen verstaubten Zeitungsausschnitten und wenn eines sicher war, dann die Tatsache, dass er da nicht so schnell wieder hervorkommen würde.

Dean musste schmunzeln. Freak.
 

Er entschloss sich, noch einmal alle Zimmer durchzusehen. Zwar hatten sie das das gleich am Tag ihrer Ankunft getan, und das noch dazu verdammt gründlich, aber schaden konnte es schließlich nicht.

Laut Vertrag hätten sie in den Gästezimmern abgesehen von akuten Notfällen sowieso nichts verloren gehabt, aber hey- wenn man ihnen schon den Generalschlüssel gab...
 

Was konnten sie dafür?
 

===
 

Das leise Rauschen hörte er schon, als er noch draußen im Flur stand. Die Zimmernummer verkündete 217 in hübschen Goldziffern.

Er runzelte die Stirn und schloss die Tür auf.
 

Das Zimmer sah aus wie jedes andere auch. Geschmackvoll, aber doch hart an der Grenze zum Protzigen. Das Rauschen hier drin war deutlich zu hören und jetzt erkannt er auch, was es war – Wasser.

Irgendwo lief Wasser.
 

Als er die Badezimmertür öffnete, stellte er fest, dass der Wasserhahn der Badewanne voll aufgedreht war. Er näherte sich vorsichtig, denn seiner Erfahrung nach konnte das von einer kaputten Dichtung bis hin zum blutrünstigen Rachegeist schlichtweg alles sein.

Jetzt wäre es zum Beispiel schon wieder ganz praktisch gewesen, ein funktionierendes EMF-Meter dabeizuhaben. Der Abfluss der Wanne war frei und das Wasser lief ungehindert hab, einfach so, sssshhh...
 

Okay...

Er streckte die Hand aus, langsam, und erwartete dabei halb, dass jemand oder etwas ihn anfallen würde. Das Chrom der Armaturen fühlte sich kalt und feucht an unter seinen Fingern. Er drehte den Hahn zu – und nichts passierte.
 

Das Wasser hörte auf zu fließen und verschwand fröhlich gurgelnd, dann herrschte Stille.
 

Ein paar Sekunden lang stand er da und betrachtete nachdenklich die winzigen, glitzernden Tropfen, die zurückgeblieben waren. Er hatte den Hahn nicht aufgedreht und Sam ganz sicher auch nicht, denn mal abgesehen davon, dass er das mitbekommen hätte – warum in alles in der Welt hätten einer von ihnen beiden das tun sollen?
 

Andererseits weigerte sich alles in ihm, den Vorfall einfach als unwichtige Kleinigkeit abzutun. Das wäre dumm gewesen, dumm und unvernünftig und noch dazu gegen alle freiwilligen und unfreiwilligen Lektionen, die ihm Zeit seines Lebens erteilt worden waren.

Aber das Zimmer um ihn herum blieb, wie es war.

Nichts tauchte plötzlich auf oder verschwand oder schien überhaupt das Bedürfnis zu haben, ihn um die Ecke zu bringen.
 

Er wusste ja nicht, was hier sonst noch so vor sich ging, aber das war jedenfalls schon mal gut.
 

===
 

Sam öffnete den Marker mit den Zähnen und umkreiste die Schlagzeile. Gedankenverloren betrachtete er die neonblauen Kringel, bevor er den Zeitungsausschnitt langsam auf dem Stapel neben sich platzierte, der inzwischen eine respektable Größe erreicht hatte.
 

Sein Rücken spannte unangenehm und seine Beine fühlten sich taub an, weil er viel zu viel Zeit im Schneidersitz verbracht hatte, ohne einmal die Position zu wechseln.

Er drehte den Stift zwischen den Fingern.
 

Mann. Die Geschichte, die dieser Kasten vorzuweisen hatte, reichte beinahe aus, um die Spanische Inquisition alt aussehen zu lassen.

Mafia-Morde, ungeklärte Todesfälle, Unfälle, Selbstmorde... ganz abgesehen von den Familien Grady und Torrance. Er warf einen resignierten Blick auf die Flut an Material, die noch vor ihm lag.
 

Irgendwie schien der Berg nicht kleiner zu werden.
 

Egal, es half alles nichts. Wenn sie die Geschichte hier jemals erfolgreich zu Ende bringen wollten, würden sie alle Informationen brauchen, die sie kriegen konnten.
 

Er griff nach dem nächsten vergilbten Papierstapel, diesmal ein Packen alte Rechnungen, der von einer verbogenen Klammer zusammengehalten wurde. Sah nicht besonders vielversprechend aus.
 

Die Ränder waren von irgendjemandem in unleserlich kleiner Schrift bekritzelt worden – schien nicht so, als wären die Notizen geschäftlicher Natur. Er kniff die Augen zusammen. Was stand da?

Zwei Zeilen, dicht nacheinander, die unter Anführungszeichen gesetzt worden waren und so wirkten, als gehörten sie zusammen. Vielleicht ein Zitat...
 

Mit einiger Mühe entzifferte er „verlassen“, dann etwas, das unter Umständen „Feuer“ sein konnte. Er brachte das Blatt näher an sein Gesicht heran.

In der rechten Ecke stand nur ein einziges Wort. Hieß das „Ahnherr“? Nein, eher „Alptraum“ ...oder möglicherweise auch-
 

„Und, spannend?“
 

Er zuckte zusammen und fuhr halb in die Höhe, was sich als keine seiner besseren Ideen herausstellte, denn seine Knie, zu lange still und regungslos gehalten, protestierten empört. Etwas unfreiwillig sank er wieder zurück in seine ursprüngliche Haltung.
 

Sein großer Bruder stand auf der untersten Stufe und grinste leicht spöttisch auf ihn herab.
 

Hätte Sam genauer hingesehen, hätte er auch den beinahe liebevollen Ausdruck in Deans Blick bemerkt, aber er war zu beschäftigt damit, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.
 

Verdammt, er war ja heute wirklich auf der Höhe.

Wieso hatte er die Schritte nicht gehört? Er konnte es sich nicht erlauben, so unachtsam zu sein, prinzipiell nicht und hier in diesem Hotel schon gar nicht.

Kurz überlegte er, die Wahrheit zu sagen, aber er brachte es nicht über sich, Dean nach diesem Überraschungsmoment auch noch die Genugtuung zu lassen, dass er mit seinen Bedenken dem Keller gegenüber vollkommen Recht gehabt hatte.
 

„Nicht uninteressant“, sagte er, „Ich meine... das meiste ist ziemlich alt, aber es waren ein paar nützliche Sachen dabei.“
 

Irgendwo in seinem Hinterkopf konnte er mit einem Mal die ärgerliche Stimme ihres Vaters hören, der ihm vorhielt, dass er so nicht erzogen worden war. Er war nicht auf der Hut gewesen. Er hatte es versaut. Mal wieder.
 

„Verdammt noch mal, Sam, pass gefälligst auf! So was kann dich den Kopf kosten! Hast du mich verstanden?“

„...ja.“

„Ob du mich verstanden hast, will ich wissen!“

„Ja, Sir.“
 

„Hm“, Dean nickte langsam, „Okay... und? Schon irgendwas rausgefunden?“
 

Klang das etwa skeptisch? Sam sah ihn finster an.

„Ja“, sagte er bissig, „Das ganze große Geheimnis, mit Exorzismus und allem Drum und Dran. Stand im Overlook für Dummies, gleich auf Seite eins. Sonst noch was?“
 

Dean hob abwehrend die Hände.

„Tut mir leid“, sagte er, „Hatte ja keine Ahnung, dass du schon wieder deine Tage hast.“
 

„Leck mich.“
 

„Uh...“, Dean verzog das Gesicht, „Danke, lieber nicht.“
 

Sam hatte das dringende Bedürfnis, nach ihm zu treten, aber erstens wäre das unreif gewesen und zweitens stand sein großer Bruder ein paar Zentimeter zu weit entfernt.

Und nichts sah lächerlicher aus als ein erfolgloser Versuch.

Er gab sich mit genervtem Augenverdrehen zufrieden.
 

„Willst du irgendwas Bestimmtes?“, hakte er nach und war zufrieden mit dem gereizten Unterton, der in seiner Stimme mitschwang, „Abgesehen davon, mir unoriginelle Beleidigungen an den Kopf zu werfen, meine ich.“
 

Dean zuckte mit den Schultern.

„Vergiss es“, sagte er missmutig, „Wollte eigentlich nur wissen, ob du... na, egal.“
 

Er machte Anstalten sich umzudrehen und plötzlich wusste Sam selber nicht mehr, wo seine schlechte Laune auf einmal hergekommen war.

„Hey“, sagte er, „Dean, warte. Was?“
 

Zugegeben, es klang selbst bei objektiver Betrachtung nicht besonders freundlich, aber die erwünschte Wirkung trat trotzdem ein und der Angesprochene blieb stehen.

Sein Glück, dachte Sam, dass Dean noch nie allzu viel auf Objektivität gegeben hatte, wenn es um seinen kleinen Bruder ging.
 

„Was?“, wiederholte er um einiges versöhnlicher, „War irgendwas los?“
 

Sekundenlang schien es, als wollte Dean ihm etwas sagen, aber dann entschied er sich anscheinend dagegen.

„Nah“, sagte er und das breite Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, war zumindest zur Hälfte echt, „Dachte bloß, du hast vielleicht Hunger.“
 

Sam runzelte die Stirn und versuchte, sich auf seinen Magen zu konzentrieren. Das Bedürfnis zur Nahrungsaufnahme hatte er nicht unbedingt. Die ganzen Omeletts... sein Bruder konnte doch nicht schon wieder etwas essen wollen.
 

„Eigentlich...“, setzte er etwas vorsichtig an, denn die Frage konnte auch ein versteckter Hinweis darauf sein, dass Dean schlicht und einfach Gesellschaft wollte, „Uhm, also... jetzt schon?“
 

Der verdutzte Gesichtsausdruck überraschte ihn dann doch etwas.

„Was soll das heißen, jetzt schon?“, Dean schob seine Hände in die Taschen, „Sam, es ist gleich halb fünf.“
 

Wie bitte?

Sam verzog verwirrt das Gesicht. „Nachmittags?“, fragte er.
 

Dean schüttelte grinsend den Kopf.

„Nein, Idiotenzeit“, sagte er, „Natürlich nachmittags, Sammy, was denn sonst?“
 

„Huh“, machte Sam überrascht.

Das war wirklich mehr Zeit, als er gedacht hatte. Um einiges mehr Zeit, als er gedacht hatte.
 

Dean schüttelte den Kopf.

„Freak...“, murmelte er, aber das Wort war von einer Beleidigung so weit entfernt, als hätte es nicht einmal die leiseste Ahnung davon, dass etwas Derartiges überhaupt existierte.
 

„Ich...“, sagte Sam, weil Dean immer noch auf eine Antwort zu warten schien, „Gleich, okay? Gib mir noch ’ne halbe Stunde. Ich gehe das hier fertig durch und dann ist Schluss.“
 

„Klar, kein Problem. Ich bin dann mal im Erdgeschoss. Nachsehen, ob die da irgendwo was Anständiges zu lesen rumliegen haben.“
 

Sam grinste. Aber sicher doch. Was Dean darunter verstand, war ihm hinlänglich bekannt.

„Sicher“, sagte er, „Die Artikel sind ja schließlich der einzige Grund, warum du dir die Dinger überhaupt ansiehst.“
 

Dean gab sich Mühe, unschuldig auszusehen und versagte auf ganzer Linie.

„Natürlich“, sagte er grinsend und begann damit, die Treppe hochzusteigen, „Die Artikel, was auch sonst? Jeder Mann liest den Playboy bloß wegen der Artikel. Die sind klasse, das ist knallharter Journalismus.“
 

„Was auch immer du sagst.“
 

Auf halber Höhe wandte sich Dean noch einmal um.

„Halbe Stunde, Sam“, sagte er, „Sonst bin ich verhungert. Und wenn wir schon mal beim Thema Artikel sind – sieh zu, dass du dich mit deinen langweiligen nicht übernimmst.“
 

Und weg war er.
 

Sam sah ihm nach und hatte plötzlich ein komisches Gefühl.

Die Worte hatten etwas bewirkt, irgendetwas in ihm wachgerüttelt. Mit einem Mal war sein Kopf angefüllt mit Erinnerungen.
 

... „-ich hab dir doch gesagt, dass du dich übernimmst.“

„Dad, ich hab alles unter Kontrolle!“

„Schluss jetzt. Dean, Abmarsch, deine Aufgabe. Sam, du kommst mit mir.“

„Aber-“

„Ja, Sir.“ ...
 

... „Du bleibst hier.“

„Ich will mitkommen, Dad, ich kann-“

„Was ist, rede ich etwa undeutlich? Du bleibst HIER.“

„Warum muss ich immer- Dean!“

„Sammy, Herrgott noch mal, lass es doch endlich gut sein...“
 

Die Bilder wurden mehr und mehr, beschleunigten wie Wasser, das langsam zu kochen begann. Keine konkreten Situationen, nur noch Gesprächsfetzen, einzelne Sätze, die für sich allein genommen nichts Besonderes waren, aber dafür schlichtweg alles repräsentierten, was ihn damals von Zuhause fortgetrieben hatte.
 

„Du wartest hier.“ „Dean kann das übernehmen.“ „Spar dir das.“

„Packt eure Sachen, in zwei Stunden fahren wir.“
 

-es war immer schon so gewesen, schon von Anfang an, er hatte bloß erst erwachsen werden müssen, um es endgültig zu begreifen-
 

„Weil ich das sage.“

„Keine Fragen.“

„Keine Diskussionen.“

„Ich will nichts mehr davon hören.“
 

Der Raum schien sich um sich selbst zu drehen und wie nebenbei nahm er war, dass er flach atmete. Seltsam, dachte er verschwommen, eigentlich bekam er doch mehr als genug Luft, warum hatte er-
 

„Du hörst mir gefälligst zu!“

„Du hast das nicht zu entscheiden.“

„Dean kann das erledigen-“

„Dean, schaff deinen Bruder hier raus.“
 

-immer wieder Dean, der perfekte Soldat, ein Klon, der sich letztendlich immer für dieses Leben entscheiden würde, ganz egal, was Sam auch sagte oder tat-
 

-aber IHM wurde vorgeworfen, egoistisch zu sein, er war das schwarze Schaf, das gegangen war, während die sich aufspielten und so taten, als wäre der Grund, aus dem sie wie nebenbei Menschenleben retteten, reine Selbstlosigkeit-
 

Seine Umgebung bewegte sich zu stark, er musste die Augen schließen. Alles war verkehrt, die Bilder, die Gedanken, aber dann waren sie doch wieder seltsam rational und vernünftig, sie ergaben Sinn-
 

-es würde sich nicht ändern, niemals, denn Dean war noch da und hatte ihren Vater in sich aufgenommen-
 

-er wusste, dass etwas nicht stimmte, aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht dazu aufraffen, etwas dagegen zu unternehmen-
 

-hatte ihn, seine Ideen und Gewohnheiten und Ansichten richtiggehend absorbiert-
 

„Sammy?!“
 

Jemand rüttelte ihn an der Schulter und er blinzelte benommen. „W-was...?“

Der Raum bewegte sich nicht. Alles war starr und steif an seinem Platz.

Bis auf Dean, der irgendwie über ihm schwebte und ihn immer noch leicht schüttelte.
 

„Mann, sag doch was. Alles okay?“
 

Erst jetzt wurde ihm bewusst, das er auf dem Boden lag und hastig richtete er sich auf. Dass Dean ihm dabei half, bekam er gar nicht richtig mit. Kurz verschwammen die Konturen wieder ineinander, als er von der Horizontale in die Vertikale wechselte, aber die schwarzen Flecken vor seinen Augen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
 

Verdattert schüttelte er den Kopf. Was zum Teufel... war er etwa eingeschlafen?

Es hatte sich nicht danach angefühlt. Es fühlte sich auch jetzt nicht danach an.
 

„Ja“, murmelte er, obwohl Dean gar nichts mehr gesagt hatte, sondern ihn bloß durchdringend musterte, „Sorry, ich glaub, ich bin...“
 

Er wollte sich mit einer Hand durch die Haare fahren und bemerkte bei der Gelegenheit, dass Deans Hände immer noch auf seinen Oberarmen lagen.

„Uhm... bin wohl eingepennt oder so was.“
 

Dean sah ihn zweifelnd an. „Eingepennt? Sam, ich weiß, wie du aussiehst, wenn du schläfst und glaub mir, das-“

„Ah ja?“, sagte Sam und stellte fest, dass ihm das Grinsen nicht halb so schwer fiel, wie er befürchtet hatte, „Du weißt, wie ich aussehe, wenn ich schlafe? Alter, tut mir leid, aber irgendetwas an diesem Satz klingt einfach mordsmäßig verkehrt.“
 

Das Neonlicht war eine Spur zu hell, sein Mund etwas zu trocken und alles fühlte sich seltsam schwammig an, aber im Großen und Ganzen ging es ihm gut. Wahrscheinlich war er wirklich nur kurz weggenickt.

Sekundenlang sah Dean so aus, als hätte er gute Lust, ihm gegen den Hinterkopf zu schlagen, aber er ließ es bleiben und alleine das war schon ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er sich immer noch Sorgen machte.
 

Er zog sanft an Sams Hemd. „Komm, hoch mit dir. Ist gleich Viertel sechs, vielleicht bist du bloß umgekippt, weil du seit ’ner halben Ewigkeit nichts mehr getrunken hast.“
 

Sam schüttelte den Kopf.

„Kann sein“, gab er widerwillig zu und beeilte sich, auf die Beine zu kommen, bevor Dean seine Hand ausstrecken konnte, „Können wir?“
 

„Alles wartet nur auf dich, Samantha“, Dean deutete eine Verbeugung an, „Nach dir.“
 

Sam ignorierte ihn und bückte sich stattdessen, um seinen Papierstapel aufzusammeln. Toll. Jetzt konnte er den ganzen Abend damit verbringen, das Zeug in seinem Ordner einzuschlichten. Hoffentlich hatte Dean keinen seiner nervigen Tage.
 

Das Papier raschelte, als er es hochhob. Zuoberst lag die verblichene, bekritzelte Hotelrechnung. Er warf einen Blick darauf und runzelte die Stirn. Rechts oben in der Ecke prangte eindeutig das Wort „unaufmerksam“. Seltsam.

Warum noch mal hatte er vorhin solche Schwierigkeiten damit gehabt, es zu lesen?
 

Dann wurde ihm klar, dass Dean ihn beobachtete – sein Bruder sah aus, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er ungeduldig dreinschauen oder sich vielleicht doch lieber dazu bereitmachen sollte, Sam aufzufangen, weil der ja immerhin jede Sekunde bewusstlos umfallen konnte.
 

Sam rang sich ein Lächeln ab. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er möglicherweise doch so was wie Hunger.

„Nichts“, sagte er, „Ich dachte irgendwie nur, ich... nichts. Lass uns gehen.“
 

Und dieses Mal kam erntete er keine blöde Bemerkung.
 

===

Spieplatz

Irgendwie... lang geworden.
 

===
 

„Meine Fresse, gibt’s denn so was?!“
 

Dean richtete sich empört auf, in einer ausgestreckten Hand die Fernbedienung und hämmerte auf den Senderknopf, als würde das irgendetwas nutzen.
 

Sam sah kaum von seiner gegenwärtigen Arbeit auf, grinste aber in sich hinein.

„Lass gut sein“, rief er hinüber ins Nebenzimmer, „Das wird nichts.“
 

„Danke für diesen Einwurf, Sam“, Dean klang erbost, „Kann mich zwar nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben, aber– oh hey, warte mal. Hab ich gar nicht.“
 

Sam zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und rückte seinen Stuhl zurecht.
 

Er saß am Wohnzimmertisch, hatte einen Fuß unterschlagen und war dabei, sämtliches Material über das Overlook-Hotel vor sich aufzulegen, dessen er hatte habhaft werden können. Dean hatte sich auf seinem Bett breit gemacht, vernichtete die letzten paar Omelett-Überreste und zappte durch die Kanäle. Sein momentaner Unmut war dadurch begründet, dass er keine, wie er es nannte, „ordentlichen“ Sender hereinbekam.
 

Sam wusste recht gut, was gemeint war und er war sich ziemlich sicher, dass er das Adjektiv „ordentlich“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet hätte, aber bitte...

Insgeheim hoffte er, dass das Fernseh-Problem Dean noch lange genug beschäftigen würde, um ihn mit dem ganzen Krempel hier zu einem einigermaßen vernünftigen Abschluss kommen zu lassen.
 

Das Rauschen aus dem Nebenzimmer verstummte mit einem Klicken, dann quietschen Bettfedern und Sam seufzte. Kein solches Glück, zumindest nicht heute. Dean kam hereingetrottet, warf die Fernbedienung auf die Tischplatte und ließ sich Sam gegenüber auf den nächstbesten Stuhl fallen.
 

Er wirkte so unbegeistert, als hätte ihm soeben jemand erklärt, er müsse die nächsten paar Wochen auf seine geliebten Tapes verzichten und stattdessen ausschließlich Musik hören, die gerade in den aktuellen Charts präsent war.
 

Sam sah immer noch nicht auf, stattdessen zählte er in seinem Kopf die Sekunden. Klar, Dean hatte nicht grundsätzlich vor, ihn zu stören, aber jetzt gerade war er genervt und Sam war die einzige Person in Reichweite, an der er seinen Ärger auslassen konnte.

Und ganz abgesehen davon war sein großer Bruder ohnehin der Meinung, dass Sam mehr oder weniger dazu verpflichtet war, sich seinen Unmut über sämtliche unwichtigen Kleinigkeiten anzuhören.
 

Die Betonung lag auf unwichtig, denn was die Dinge anging, die Dean im tiefsten Inneren wirklich Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereiteten... die bekam Sam nur zu hören, wenn es absolut nicht mehr anders ging, und selbst dann nur äußerst widerwillig.
 

Wie auch immer, die Situation im Hier und Jetzt war ein vollkommen andere.
 

„Hey!“, Dean wedelte mit der flachen Hand vor dem Artikel herum, den Sam gerade las und nahm ihm so die Sicht, „Hast du mir überhaupt zugehört?“
 

Sam sah auf. Einmal ganz abgesehen davon, dass es selbst im Normalfall schon schwer genug war, seinen großen Bruder einfach zu überhören, wenn Dean es darauf anlegte, ließ er sich schwerer ignorieren als ein ausgewachsener Hurrikan.

Oder, was dem momentanen Bundesstaat vielleicht eher entsprach, ein Erdbeben.
 

Obwohl man durchaus zugeben musste, dass Sam eine Menge Übung hatte.
 

„Nein“, sagte er teilnahmslos und zog den Artikel unter Deans Arm hervor, was zur Folge hatte, dass ein anderer zu Boden flatterte, „Tut mir leid. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich was Wichtiges verpasst habe.“
 

Er hob den Blick, als die erwartete patzige Erwiderung ausblieb und musste feststellen, dass Dean ihn mit einer Mischung aus Neugier und Belustigung ansah.

„Was?“, hakte er nach.
 

Dean deutete auf das Blatt Papier, das Sam vor ihm in Sicherheit gebracht hatte.

„Du stehst echt auf das Zeug, oder?“, seine Stimme klang eher ungläubig als spöttisch, „Ich meine, ich weiß, dass du dich in so was immer reinsteigerst, aber Alter, ernsthaft...“
 

Sam spürte, wie die unangenehm kribbelnde Hitze seine Magenwände hoch kroch. Was Dean in den letzten paar Tagen nicht alles über ihn zu wissen glaubte!

Es war eine Sache, wenn er sich über Sam wegen diverser Vorlieben lustig machte – wegen seiner Lieblingsautoren, beispielsweise, oder deshalb, weil Sam sich, so oft er Gelegenheit dazu hatte, eine Zeitung besorgte, auch dann, wenn sie nicht gerade auf Jobsuche waren, anstatt sich von den Nachrichten im Fernsehen informieren zu lassen wie (O’Ton Dean) „jeder andere normale Mensch auch“.
 

Aber das hier war anders. Er tat sich diese ganze Kleinarbeit nicht an, weil er Spaß daran hatte. Er erledigte sie, weil sie wichtig war.

Weil es von Vorteil sein konnte zu wissen, mit welcher der ganzen unglücklichen Seelen, die in diesem Kasten seit der Eröffnung auf die eine oder andere Weise ins Gras gebissen hatten, sie es zu tun hatten – gesetzt den Fall natürlich, dass sie hier irgendwann mal einen Geist zu Gesicht bekamen.
 

Und zugegeben, vielleicht war es nicht besonders spektakulär und vielleicht würde es sich auch als vollkommen verschwendete Zeit herausstellen, aber immerhin tat er etwas.

Und das war mehr, als man im Augenblick von seinem großen Bruder behaupten konnte.
 

Sam war sich nicht ganz sicher, ob der abfällige Unterton in Deans Bemerkung nur Produkt seiner Fantasie oder wirklich dagewesen war. Egal.

Wenn nicht in diesem Satz, dann eben im nächsten. Unterhaltungen wie diese kannte er zu genüge. Warum konnte Dean nicht einfach seine Klappe halten?
 

Er erwartete keine Begeisterung, keine Anteilnahme, ja er legte nicht einmal besonders großen Wert darauf, dass sein Bruder mithalf – diese Sachen waren Sams Ding, schon immer gewesen. Alles, was er verlangte war, dass Dean sich nicht andauernd über ihn lustig machte.
 

Wahrscheinlich war das der Grund, warum seine Antwort etwas ungehaltener ausfiel als nötig.

„Weißt du was? Wie wär’s, wenn du mich das hier einfach in Ruhe fertigmachen lässt, hah? Denk drüber nach, bloß so als Vorschlag. Du musst in der Zwischenzeit nicht mal irgendwas Sinnvolles tun, nur lass mich-“
 

„Okay, okay, woah!“, Dean hob die Hände und erinnerte ihn damit sekundenlang an gestern im Keller, als Sam ihn beinahe grundlos wegen dem Overlook für Dummies angefahren hatte. Die Geste überraschte ihn, denn für Deans Verhältnisse war sie erstaunlich defensiv.
 

„Meine Fresse!“, sein großer Bruder sah seltsam perplex aus, „Krieg dich wieder ein, ich hab nichts gesagt.“
 

Sam seufzte und die kribbelnde Hitze in seinem Magen verschwand.

„Schon gut“, sagte er, „Sorry. Tut mir leid, so war das nicht...“
 

Aber das war anscheinend schon wieder zu viel Sentimentalität. Dean winkte großzügig ab, doch sein Grinsen schaffte es nicht ganz bis hinauf zu dem Ausdruck in seinen Augen.

„Was auch immer“, sagte er munter, „Vergiss es. Weißt du was, ich sitze dir auch gar nicht länger im Weg rum.“
 

Er stand auf.

„Warum bleibst du nicht hier und siehst zu, dass du n’bisschen Ordnung in diesen Papiersalat bringst, während ich mich noch mal draußen umsehen, huh?“
 

Die Hitze wurde ersetzt durch ein kleines, nagendes Gefühl. Zum wiederholten Mal in den vergangenen Tagen hatte Sam den Eindruck, seinen Bruder von irgendwo zu verscheuchen.

„Du musst nicht...“, setzte er an, aber er kam nicht besonders weit.
 

„Lass mal“, Dean sammelte bereits Stiefel und Jacke zusammen, „Keine große Sache. Ich sehe mir nur die unmittelbare Umgebung an. Okay?“
 

Sam spürte einen schuldbewussten Stich.

Er hatte keinen Moment lang daran geglaubt, dass Dean vorhatte, ausgedehnte Wanderung zu unternehmen; jedoch wusste er nur zu gut, dass sein Bruder nicht deshalb in der Nähe bleiben würde, um sich selber nicht in Gefahr zu bringen, sondern viel mehr, um auf jemand anderen aufzupassen.
 

Dean war schon an der Tür und musterte ihn aufmerksam.

„Falls irgendwas sein sollte... ich meine, der Handyempfang hier oben ist für’n Arsch, aber... “
 

Sam winkte ab und gab sich Mühe, zuversichtlich auszusehen.

„Falls die großen, bösen Geister auftauchen“, sagte er trocken, „Ich hab das Steinsalz. Und außerdem kann ich notfalls immer noch das Fenster aufmachen und um Hilfe schreien.“
 

Dass Dean auf diese Bemerkung hin amüsiert das Gesicht verzog, war die eigene Erniedrigung allemal wert.

„Das wäre mal ein Foto“, sagte er grinsend und öffnete die Tür, „Also dann, bis nachher.“
 

„Bye.“
 

Nachdem er weg war, starrte Sam beinahe eine Minute lang gedankenverloren vor sich hin. Dann legte er endlich den Artikel zurück, den er immer noch in der Hand gehalten hatte und bückte sich, um das Blatt aufzuheben, das vorhin zu Boden gesegelt war.

Überrascht stellte er fest, dass es die alte, bekritzelte Hotelrechnung von gestern war und hastig warf er einen Blick in die rechte obere Ecke.
 

„unaufmerksam“
 

Das Wort war klar und deutlich zu lesen. Er schüttelte das unbehagliche Gefühl ab, dass ihn auf einmal befallen hatte. Mit einem Mal hatte er den Drang, seine Jacke zu suchen und Dean nach draußen zu folgen, teils um sich zu entschuldigen, teils um von dieser erdrückenden Papierflut wegzukommen.
 

Seine Augen wanderten weiter über die einzelne Auflistung der Annehmlichkeiten, die der Rechnung zufolge beansprucht worden waren und blieben schließlich an den zwei untereinander stehenden, an den Rand gekritzelten Zeilen hängen, die er nicht hatte entziffern können:
 

„...kein Verlass auf die Verlassenen;

und nobel geht die Welt zugrunde“
 

Huh? Was hatte das denn zu bedeuten? Und wie müde und unkonzentriert musste er vergangenen Abend gewesen sein, um diese gestochen scharfen Worte nicht lesen zu können?
 

...kein Verlass auf die Verlassenen...
 

Aus irgendeinem Grund schoss ihm plötzlich durch den Kopf, dass Dean soeben zur Tür hinausgegangen war und ihn hier hatte sitzen lassen. Sekundenlang erlaubte er dem Gedanken, sich breit zu machen, dann schob er ihn entschlossen beiseite. Lächerlich war das, einfach lächerlich. Dean hatte ihn nicht verlassen, in keinster Weise und außerdem war es Sam ganz recht, im Augenblick seine Ruhe zu haben.
 

Entschlossen faltete er das Blatt zusammen und stopfte es unter einen Stapel Papiere.
 

===
 

Die Wolken sahen bedrohlich aus.
 

Dean zog die Schultern hoch und drehte sich so, dass er den Wind im Rücken hatte. Es war kalt, nicht besonders windig, aber in dieser Höhe reichte bereits eine leichte Briese, um die Luft empfindlich abkühlen zu lassen.

Vor allem um diese Jahreszeit.
 

Die letzten paar Tage war ihnen strahlender, spätherbstlicher Sonnenschein beschert worden, aber damit war jetzt wohl Schluss. Über den Bergen zeichnete sich eine schwere Wolkenfront ab. Vermutlich Regen, denn Schnee erschien ihm trotz allem ziemlich unwahrscheinlich. Schließlich war es erst Ende September...

Andererseits, was wusste er schon von dem Wetter hier?
 

Die dunklen Gebilde am Himmel schienen wie erstarrt, unbeweglich und lauernd, aber er wusste, dass sie das Hotel bald genug erreicht haben würden. Toll.

Hoffentlich blieb es bis zum Einbruch der Dunkelheit noch trocken.
 

Würde es nämlich zu schütten beginnen, musste er wieder zurück ins Hotel und darauf war er ehrlich gesagt nicht besonders scharf. Sam hatte einen seiner empfindlichen Tage. Das kam vor und normalerweise kümmerte Dean sich entweder nicht darum oder er machte sich einen Spaß daraus, aber heute...
 

Er seufzte.

Sie würden in nächster Zeit aufpassen müssen, um sich nicht in die Haare zu kriegen. Klar, das enge Zusammenleben waren sie gewohnt, aber weit und breit keine einzige andere Menschenseele zu haben, mit der man sich unterhalten konnte, war noch einmal etwas völlig anderes.
 

Der Wind flaute kurz ab, nur um ihm Sekunden später mit doppelter Kraft um die Ohren zu pfeifen. Er warf einen langen Blick zurück auf das Hotel, das groß und elegant vor ihm aufragte. Im fahlen Licht des Nachmittags sah es beinahe aus wie eine gut befestigte Burg. Eine uneinnehmbare Festung, zumindest für ihn, so wie er da stand-
 

-Sam war froh, dass er seine Ruhe hatte-
 

Verwundert runzelte er die Stirn. Wo war das plötzlich hergekommen?

Der Gedanke war nicht neu und er zweifelte auch gar nicht daran, dass er der Wahrheit entsprach. Im Gegenteil, er war sich sogar sicher, dass Sam insgeheim erleichtert darüber gewesen war, ihn für eine Weile los zu sein, um sich in Ruhe seinem Recherchewahnsinn widmen zu können.

Wenn es um so was ging, verstand er herzlich wenig Spaß.
 

Was ihn hingegen überraschte, war der unzufriedene, fast schon ärgerliche Stich, der den Gedanken begleitete und sich wie eine wütende Biene in seinem Nacken niederließ.
 

-Sam war froh, dass er seine Ruhe hatte, war froh darüber, ihn und sein blödes Getue endlich los zu sein-
 

Leicht benommen schüttelte er den Kopf, wie um sich selbst davon zu überzeugen, dass das Unsinn war und aus der Ferne mochte es durchaus so aussehen, als versuchte er, ein Insekt abzuschütteln, das auf ihm gelandet war.
 

-Sam hatte ihn aus dem Apartment haben wol-
 

Na und wenn schon! Was war denn groß dabei?
 

Er liebte Sammy mehr als sein eigenes Leben, manchmal so sehr, dass es ihm selber direkt unheimlich wurde, aber sogar er hatte Tage, an denen er seinem kleinen Bruder am liebsten eine aufs Maul gehauen hätte – und sei es nur, um sich das ewige Gemecker über seinen (angeblich) verstaubten Musikgeschmack und über seine (angeblich) blöden, geschmacklosen Witze nicht mehr anhören zu müssen.
 

Der Wind frischte erneut auf. Mit einem Mal war sein Kopf wieder vollkommen klar und der nagende Ärger verflog so schnell, wie er gekommen war. Er schob die Hände in die Jackentasche und riss seinen Blick von dem Hotel los. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund hatte er den seltsamen Eindruck, von irgendetwas rechtzeitig losgekommen zu sein, bevor es ihn hatte stechen können.
 

Langsam setzte er sich in Bewegung.
 

Ein Stück weiter vorn begann der perfekt getrimmte Rasen, auf dem irgendjemand mehrere Hecken zu beeindruckenden Tierfiguren geschnitten hatte. Dahinter befand sich der Kinderspielplatz. Er hielt darauf zu und betrachtete die Tiere interessiert im Vorbeigehen. Sie waren ihm schon bei ihrer Ankunft ins Auge gestochen, doch bisher hatte er noch nie einen näheren Blick darauf geworfen.
 

Ein Hund, ein Hase.

Ein Rudel Löwen, das den kiesbedeckten Pfad majestätisch zu bewachen schien.
 

Kopfschüttelnd ging er daran vorbei. Musste ja eine Menge Aufwand gewesen sein.

„Könnte mir tausend Sachen vorstellen, die ich lieber machen würde, als euch das Fell zu stutzen“, murmelte er ihnen zu, „Also keine Panik.“
 

Die Worte klangen seltsam verlassen in der menschenleeren Umgebung und der Wind, anstatt sie hochzuheben und weiterzutragen, schien sie nur herumzuwirbeln, um sie kurz darauf wieder schwer auf den Boden fallen zu lassen.

Rasch ging er weiter.
 

Der Spielplatz war eingezäunt, wohl um mögliche Eindringlinge abzuschrecken (Eindringlinge? Welche Eindringlinge, das hier ist ein Luxushotel mitten im Nirgendwo...) aber der Draht erweckte viel eher den Anschein, jemanden drinnen halten zu wollen.

Er streckte die Hand aus, das Metallgitter war kalt unter seiner Handfläche.
 

Den Schnitt, den er sich zugezogen hatte, als er vorgestern Nacht aus der Notausstiegsluke des Fahrstuhls geklettert war, spürte er kaum mehr. So gut wie verheilt.
 

Die Schaukeln schwangen im Wind. Jetzt fehlte nur noch, dass die Wippe und das Karussell mit einem Mal wie von alleine zum Leben erwachten, dachte er, und er hätte endlich die Gewissheit, dass hier Geister am Werk waren. Stinknormale, unglücklich Verstorbene, die keine Ruhe finden konnten oder möglicherweise auch ein besonders launischer Poltergeist.
 

Fast kam ihm diese Idee wie Verrat vor – jetzt war es also schon so weit, dass er regelrecht darauf wartete, dass etwas passierte. Dabei konnten sie doch eigentlich froh sein, wenn kein verzweifelter, durchscheinender Selbstmörder sie vom Dach stoßen wollte oder ein auf wundersame Weise zum Leben erwachtes Telefonkabel versuchte, sie zu strangulieren.
 

Das Gitter klirrte unter seinen Fingern, als die nächste Böe kam, laut und scheppernd. Unwillig, schoss es ihm durch den Kopf, genau wie der Fahrstuhl gestern, als ich das EMF rausholen wollte. Als ob es ihm nicht gepasst hätte, was ich da tue.
 

Das war kompletter Blödsinn. Sie hatten ja schon so einiges gehabt, aber ein besessener Fahrstuhl... hallo? Außerdem hatte das Ding nicht einmal versucht, ihnen zu schaden, obwohl es bei Gott genügend Gelegenheiten dazu gehabt hatte.

Und was gab es sonst noch? Einen laufenden Wasserhahn in einem der Zimmer.
 

Großartig, wirklich. Das war doch mal eine Basis, von der aus sich was anfangen ließ, dachte er sarkastisch. Dann fiel ihm ein, dass er die Sache Sam gegenüber nicht mal erwähnt hatte. Warum, wusste er selber nicht genau und er beschloss, es bei der nächsten Gelegenheit nachzuholen.
 

Mit einem Mal ging ein Ruck durch seinen Körper. Augen.

Die Härchen auf seinen Unterarmen waren schon dabei, sich aufzurichten. Irgendjemand starrte ihn an, er konnte es deutlich fühlen. Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten, war er gewohnt, dafür hatte er ein Gespür entwickelt.

Fast zögernd drehte sich um und erwartete dabei halb, Sam irgendwo stehen zu sehen, doch-
 

Nichts.
 

Okay, das war seltsam. Sein Blick huschte hinüber zum Hotel. Die Fenster wirkten in der einsetzenden Dämmerung wie dunkle Augen, die tief in eingefallenen Höhlen saßen – blind, oder viel mehr geschlossen. So als warteten sie nur darauf, sich ruckartig wieder öffnen zu dürfen.
 

Für die Gänsehaut, die jetzt seinen Rücken hinunter kroch, war keineswegs die Kälte verantwortlich. Er musste sich regelrecht zwingen, sich von dem Anblick des Gebäudes loszureißen und als er stattdessen den gewundenen Kiesweg entlang sah, wusste er plötzlich, dass etwas nicht stimmte.
 

Irgendetwas war anders. Irgendetwas... woah. Was zum-
 

Hatte der grüne Heckenhund immer schon in dieser lauernden Haltung dagesessen? Gebückt auf dem Boden kauernd, bereit zum Sprung – man konnte das bedrohliche Knurren förmlich hören. Und dabei hätte Dean schwören könne, dass er vorher...

Er versuchte sich zu erinnern, schaffte es aber nicht. Für ein genaues Bild war sein Gehirn zu uninteressiert gewesen.
 

Dann stachen ihm die Löwen ins Auge.
 

Vorher hatten sie gelangweilt gewirkt, bequem und satt. Sie hatten über den Pfad gewacht, aber jeden Passanten teilnahmslos vorüberziehen lassen. So hatte es ausgesehen, da war er sich ganz sicher.

Jetzt hingegen... waren die Viecher von vornherein schon so nahe beim Kies gestanden und nicht doch ein Stück weiter weg?
 

Hinter ihm schepperte das Gitter. Eine der Schaukeln quietschte.

Etwas Gefährliches lag in der Luft, etwas Bedrohliches. Ohne dass er es bemerkt hatte, war die Stimmung gekippt. Es war dasselbe Gefühl, das man hatte, wenn man unmittelbar vor einer Ecke stand und wusste, dass dahinter etwas lauerte.

Man konnte es weder sehen noch hören, dafür war es zu schlau, aber man wusste, dass es da war. Die einzige Entscheidung die man zu treffen hatte, war die, ob man-
 

Ein Regentropfen landete zielsicher auf seiner Nase.
 

Es war, als wäre ein Schalter umgelegt worden, mit einem Mal war alles wie gehabt. Der Hund kauerte nicht, sondern saß bettelnd da. Die Heckentiere waren Heckentiere und sie hatten sich kein bisschen bewegt. Natürlich nicht. Von oben klatschten weitere Regentropfen auf ihn herunter, zuerst schwerfällig und langsam, dann immer schneller und schneller.
 

Er fluchte und rannte los.

Der Kies knirschte unter seinen Füßen und als er an den Löwen vorbei rannte, sah er sie kaum an. Inzwischen schüttete es nämlich richtig und als er das Hotel endlich erreicht hatte, war er nass bis auf die Knochen.
 

In der Empfangshalle kam ihm Sam entgegen, der beim Anblick seines tropfenden großen Bruders richtiggehend erleichtert zu sein schien.

„Mann, was machst du denn?“
 

„Sparen“, gab Dean zurück, „Dachte, es kommt billiger, wenn ich draußen dusche.“
 

Sam grinste ihn an.

„Ah ja“, sagte er gespielt ernst, „Was auch sonst. Ich wollte dich grade dran erinnern, dass du nicht schon wieder das ganze Heißwasser aufbrauchen sollst.“
 

Dean schälte sich aus seiner triefenden Jacke.

„Keine Panik“, sagte er, „Ich schätze mal, die Gefahr besteht nicht. Los, komm, mir ist scheißkalt.“
 

Das Apartment war hell und freundlich und warm.

Er verzog sich ins Badezimmer und versuchte, nicht zu viel über die Tatsache nachzudenken, dass sich Sams missbilligender Blick, als Dean den Großteil seiner nassen Sachen einfach mitten im Zimmer auf dem Teppichboden fallen ließ, fast wie heimkommen angefühlt hatte.
 

===
 

Sam wachte auf, ohne zu wissen, was ihn geweckt hatte.
 

Er hielt die Augen geschlossen und lauschte. Abgesehen vom fernen Trommeln des Regens und den wohl vertrauten Atmengeräuschen aus dem Bett neben ihm war es still.
 

Kurz wanderten seine Gedanken ab zu der Befürchtung, dass Dean sich möglicherweise erkältet haben könnte – wenn er krank war, war sein Schnarchen kaum auszuhalten. Andererseits hatte sein Bruder nach seinem unfreiwilligen Bad im Regen fast eine halbe Stunde lang unter der Dusche gestanden und war danach laut pfeifend und mit blendender Laune aus dem dampfenden Badezimmer gekommen, also...

Man würde sehen.
 

Sam drehte sich auf den Rücken, öffnete die Augen und schob sich den rechten Arm unter den Kopf. Draußen rauschte der Regen. Deans Bettdecke raschelte, dann murmelte sein Bruder leise vor sich hin und Sam musste schmunzeln.

Seine Lieder wurden schwer und senkten sich beinahe automatisch, als er aus den Augenwinkeln plötzlich eine Bewegung wahrnahm – aus einer Ecke des Zimmers, in der sich absolut nichts zu bewegen hatte.
 

Mit einem Schlag war er hellwach und fuhr ruckartig in die Höhe.
 

Und da war er.
 

Nicht älter als fünf, mit braunen Haaren und so ängstlich gegen die Wand gedrückt, als hätte er Angst, jemand könnte ihn entdecken. Sam konnte seinen eigenen Herzschlag in seinen Ohren widerhallen hören, laute, durchdringende Trommelschläge.
 

Der Junge aus der Lobby.

Der Junge vom Abreisetag.

Der Junge, der ihn angestarrt hatte, als ob-
 

Jetzt hob er den Kopf, sah Sam an, mit weit aufgerissenen Augen und Sam starrte zurück. Wie nebenbei nahm er war, dass er seine Hände vor lauter Anspannung zu Fäusten geballt hatte und er blinzelte einmal, blinzelte ein zweites Mal und... weg.
 

Von einer Sekunde auf die andere war der Junge verschwunden.

Sam keuchte überrascht auf.
 

Im Nebenbett bewegte sich Dean und alleine die Geräusche verrieten Sam, dass sein Bruder dabei war, aufzuwachen. Eigentlich war das komplett unmöglich, aber Dean schien im Laufe der Jahre tatsächlich so etwas wie einen sechsten Sinn für die Laute entwickelt zu haben, die Sam von sich gab, wenn etwas nicht in Ordnung war.
 

„...’mmy?“
 

Sam ließ sich hastig zurücksinken, schloss die Augen und gab sich Mühe, ruhig zu atmen. Er hatte keine Ahnung, wie er sich anhörte, wenn er schlief, aber Dean klang ohnehin nicht munter genug, damit ihm der Unterschied aufgefallen wäre.
 

Er konnte hören, wie Dean sich aufsetzte und für die nächsten paar Sekunden herrschte Stille. Dann ließ sich sein Bruder zurück auf die Matratze fallen und keine zwei Minuten später war Sam sich ziemlich sicher, dass er wieder eingeschlafen war.
 

Er hatte keine Ahnung, warum er sich schlafend gestellt hatte. Das eben war kein Traum gewesen, da war er sich sicher. Den Jungen hatte er sich nicht bloß eingebildet. Er war da gewesen, kein Zweifel.
 

Und Dean hätte es erfahren wollen, das wusste Sam. Ja, Dean hatte das gottverdammte Recht darauf, ins Vertrauen gezogen zu werden... irgendwann in naher Zukunft würde er stocksauer sein, weil es ihm nicht sofort erzählt worden war.
 

Trotzdem lag Sam mit geschlossenen Augen da, stocksteif und unbeweglich, obwohl ihm klar war, dass er in dieser Nacht nicht mehr einschlafen würde und versuchte sich einzureden, dass sein Schweigen einzig und allein mit der Tatsache zu tun hatte, dass Dean endlich wieder auf dem Rücken schlief.
 

Tief in seinem Inneren wusste er, dass das nicht vollkommen stimmte, aber selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nicht sagen können, was denn nun die ganze Wahrheit war.
 

===
 

Kleines Detail am Rande: Von allem, was da im Buch so kreucht und fleucht, mochte ich die Heckentiere am liebsten. Die sind so richtig schön... awrrr! *_*

Fieber

===
 

Dean hatte es tatsächlich irgendwie geschafft, einen halbwegs annehmbaren Radiosender zu finden.
 

Wusste der Teufel, wie er das angestellt hatte, immerhin befanden sie sich mitten in den Rocky Mountains. Alleine schon der Handyempfang hier oben war grottenschlecht. Und gut, das Geplärr aus den Lautsprechern war mehr knisterndes Rauschen als sonst etwas, aber hin und wieder ließen sich ein paar Fetzen Musik vernehmen.
 

Sam war sich ziemlich sicher, dass sie gerade einen Song von The Doors hörten... auch wenn er zugegebenermaßen sein Leben nicht darauf verwettet hätte.
 

Dean saß am Steuer – mehr aus Gewohnheit als aus irgendeinem anderen Grund, denn der Impala war den Winter über sicher in einer gemieteten Garage untergebracht worden. Der Wagen war bei weitem nicht geländetauglich genug für kurvenreiche, in den nächsten paar Monaten vermutlich spiegelglatte Bergstraßen.

Abgesehen davon hatte Dean sich geweigert, sein Baby dort oben auf dem Hotelparkplatz herumstehen zu lassen, während womöglich ein Schneesturm nach dem anderen tobte.
 

Jetzt fuhren sie den hoteleigenen Truck, der, wenn auch nicht das allerneueste Modell, doch mit einem CD-Player ausgestattet war, was bedeutete, dass Dean sich seine Tape-Kollektion schenken konnte. Sam lehnte seinen Kopf gegen die Fensterscheibe.

Stattdessen bekam er jetzt eben verzerrtes Knistern zu hören.
 

“...ghosts crowd the young child’s fragile eggshell mind~”
 

Aufbauend, wirklich.

Es war bereits später Nachmittag und sie befanden sich auf dem Rückweg von Sidewinder, dem nächsten zivilisierten Ort. Nicht so sehr, um einzukaufen – was ihr offizieller Vorwand gewesen war, um mit den Leuten dort ins Gespräch zu kommen – sondern viel mehr, um vielleicht das eine oder andere über das Overlook aufzuschnappen. Am besten wären natürlich ein paar Details über die Familie Torrance gewesen.
 

Jack Torrance war vor mehr als zwanzig Jahren den Winter über Hausmeister im Overlook gewesen. Zeugenaussagen aus dem damaligen Polizeibericht zufolge waren er und seine Familie – seine Frau und sein Sohn – mehrmals in Sidewinder gewesen, bevor der Schnee weitere Besuche unmöglich gemacht hatte.
 

Sie hatten sich beide von Anfang an nicht besonders viel davon versprochen. Die Fährte war schließlich kalt und das schon seit gut und gerne zwanzig Jahren. Wie sich herausgestellt hatte, waren ihre Bedenken begründet gewesen. Niemand konnte ihnen etwas Nützliches sagen, geschweige denn ihnen sonst irgendwie weiterhelfen.
 

“...blood stains the roofs and the palm trees of Venice~”
 

Dean begann zu pfeifen und Sam grinste in sich hinein.
 

Die Stimmung war trotz allem ungewohnt heiter.

Der Tag war schön und die Luft so klar, dass man meilenweit sehen konnte. Ein älterer Herr hatte Sam vorhin lange und breit erklärt, dass das als schlechtes Zeichen zu betrachten war. Das bedeute Schnee, hatte er gesagt, in ein paar Tagen spätestens. Da sei er sich ganz sicher.
 

Sam wusste selber nicht wirklich, woran es lag, aber schon seit er heute Morgen die Autotür hinter sich zugeschlagen und Dean den Motor angelassen hatte, fühlte er sich seltsam befreit. Als sei ihm ein schweres Gewicht von den Schultern genommen worden, von dem er vorher noch nicht einmal gewusst hatte, dass es überhaupt existierte.
 

“...bloody red sun of phantastic L.A.~”
 

Dean war den ganzen Tag über ungewohnt ruhig gewesen. Mehr als einmal hatte Sam ihn förmlich schütteln müssen, weil er mit abwesendem Blick ins Leere gestarrt hatte und auch gegessen hatte er verhältnismäßig recht wenig.

Er warf seinem Bruder einen verstohlenen Blick zu.
 

Ob er nicht vielleicht doch krank...?

Aber wenigstens rein äußerlich wirkte vollkommen gesund. Weder war er ungewohnt blass im Gesicht, noch schien ihm besonders heiß zu sein und er hatte den Wagen so sicher im Griff wie sonst auch. Okay, das hatte genau genommen nicht besonders viel zu sagen. Sam wusste aus bitterer Erfahrung, dass Dean selbst dann noch sicher fuhr, wenn er so viel Blut verloren hatte, dass man ihm hinterher im Krankenhaus zwei Konserven geben musste.
 

“...blood in the streets, it's up to my ankles~”
 

Sam lehnte den Kopf wieder gegen die Scheibe. Der Weg ging aufwärts, Runde um Runde, Kurve und Kurve und er umso näher sie dem Hotel kamen, desto unbehaglicher wurde ihm zumute. Tief in seiner Magengegend hatte sich ein dumpfes Gefühl breitgemacht.
 

“...blood in the streets, it's up to my knee~”
 

Sein Unterbewusstsein wollte nicht zurück, wollte das Overlook niemals wieder betreten müssen, aber er ignorierte es genauso wie den plötzlichen Impuls, Dean zu sagen, dass auf der Stelle umdrehen und zurück nach Sidewinder fahren sollte.

Fort, fort, fort, fort!
 

“...blood on the rise, it’s following me~”
 

Stattdessen sank er im Autositz zurück und die restliche Fahrt verbrachten sie damit, durch das Knistern und Krachen der Lautsprecher um die Wette zu raten, welche Gruppe sie da gerade hörten.
 

===
 

Dean ließ sich aufs Sofa fallen und legte den Kopf zurück.

Dieser Tag war ja wirklich ein voller Erfolg gewesen, dachte er sarkastisch. Jetzt waren sie genauso schlau wie vorher, abgesehen von der wenig beruhigenden Information, dass sie es in den nächsten Tagen vermutlich mit dem ersten Schnee zu tun bekommen würden.

Kurz spielte er mit dem Gedanken, hinüber ins Schlafzimmer zu gehen, um fernzusehen, aber er konnte sich nicht dazu überwinden, aufzustehen. Abgesehen davon empfing die blöde Kiste ohnehin nur Müll.

Was hatte Sam heute Vormittag auf der Fahrt nach Sidewinder gesagt?
 

Die richtig guten Kanäle mussten erst unten an der Rezeption freigeschaltet werden. Er überlegte. Vielleicht sollte er...?

Zwar hatte er keine Ahnung, wie es ging, aber so schwer konnte das ja wohl nicht sein.

Die Polsterung der Rückenlehne drückte angenehm gegen seinen Nacken. Nahh...
 

Der Weg war zu weit und außerdem war er zu müde. Über das passende TV-Programm konnte er sich auch morgen noch kümmern. Eine bleierne Müdigkeit überfiel ihn und seine Gedankegänge wurden trüb und schwerfällig, ohne dass er es richtig mitbekam.

Mann, dachte er noch, umso mehr ich hier tagtäglich penne, desto fertiger bin ich irgendwie...
 

Dann war er weg.
 

===
 

Er erwachte davon, dass ihn jemand an der Schulter rüttelte.
 

„Dean.“
 

Der automatische Reflex, sich sofort verteidigen zu müssen, verkroch beim Klang der Stimme wieder in dem Loch, aus dem er gekommen war. Anstatt nach seinem Messer zu tasten, versuchte er, eine Antwort hinzubekommen.

„...huhm?“
 

Okay, zugegebenermaßen, die Artikulation war nicht besonders ausgereift.

Er setzte sich auf und eine Sekunde später hatte er keine Ahnung mehr, wo oben und unten war. Alles drehte sich. Sein Kopf fühlte sich viel zu leicht an, sein restlicher Körper dafür unnatürlich schwer, und- Mann, warum war es hier so hell?

Desorientiert blinzelte er gegen das unangenehme Licht an, das seine Augen malträtierte und erst, als er den sachten Druck auf seinem Oberarm spürte, merkte er, dass Sam seine Hand nicht weggenommen hatte.
 

Was vermutlich auch ganz gut so war, denn irgendwie fiel Dean gerade auf, dass ihm das aufrechte Sitzen ohne diese Unterstützung um einiges größere Schwierigkeiten bereitet hätte.
 

„Dean“, sagte Sam wieder, aber es klang ruhig.
 

Was denn? Er war hundemüde, er wollte schlafen.

Schon die Augen offenzuhalten, war eine Herausforderung für sich, aber er versuchte trotzdem, sich zu konzentrieren. Sam wollte irgendwas, da musste er zuhören.
 

„...was?“

Seine Mundhöhle war trocken und kratzig, seine Zunge fühlte sich an wie ein Fremdkörper. Inzwischen hatte er sich einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt – wie sich herausstellte, handelte es sich bloß um die Stehlampe in der Ecke, die so dämmriges Licht verbreitete, dass sie im Grunde fast nutzlos war – und konnte Sam mehr oder weniger sehen.
 

Von dem, was er mitbekam, sah sein kleiner Bruder besorgt aus. Nicht ernsthaft gleich-wird-irgendwas-Schreckliches-passieren-besorgt, aber doch beunruhigt.

„Was?“, fragte er noch einmal, „Sam, stimmt was nich’...?“
 

Die Worte klangen verwischt, stolperten so unbeholfen aus seinem Mund, als hätten sie darin keine Übung und Sam schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte er, „Alles in Ordnung. Die Sache ist nur, ähm... so wie’s aussieht, hast du Fieber.“
 

Dean hatte das deutliche Gefühl, diese Behauptung so entschieden und lautstark wie möglich abstreiten zu müssen, doch irgendwie fehlte ihm die Kraft dazu.

„Blödsinn“, war alles an Empörung, das er aufbringen konnte, „Das weißt du doch gar nich’...“
 

„Tut mir leid“, sagte sein kleiner Bruder mit einem leisen Schmunzeln, „Aber ich bin mir ziemlich sicher.“
 

Der Versuch, ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen, scheiterte offenbar, denn Sams Lächeln verbreiterte sich. Seine Hand lag immer noch auf Deans Schulter und jetzt zog er behutsam am Stoff des T-Shirts.

„Los, komm. Aufstehen.“
 

Dean ließ sich mitziehen, größtenteils deshalb, weil ihm nichts anderes übrig blieb.

„Wie spät is’ es?“
 

„Elf“, sagte Sam, ohne auch nur einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen.
 

„Schwachsinn.“
 

„Okay, sorry“, er bugsierte ihn ins Schlafzimmer, „Mein Fehler. Drei Minuten vor elf.“
 

Es war vollkommen klar, dass er nicht die Wahrheit sagte – vermutlich deshalb, weil er wusste, dass Dean sich weigern würde, schlafen zu gehen, wenn er die echte Uhrzeit erfahren würde. Wahrscheinlich war es gerade mal halb acht oder irgendwas ähnlich Erbärmliches.
 

„Sammy“, Dean war froh, als sein Bett in Reichweite kam, denn das Gehen war doch um einiges anstrengender, als er gedacht hatte, „...s’ist echt traurig, wie grottenschlecht du lügst.“
 

Sam sah unbeeindruckt aus. „Verklag mich doch.“
 

Zu sagen, dass er Dean beim Hinsetzen auf die Bettkante half, war übertrieben, aber er zog seine Hände erst zurück, als er sicher war, dass Dean nicht sofort wieder umkippen würde.

„Brauchst du Hilfe?“
 

Diesmal gelang der finstere Blick etwas besser.

„Was denn, Sam, hast du’s schon so nötig?“
 

Er hörte das Grinsen mehr, als dass er es tatsächlich sah – hauptsächlich deshalb, weil es von Sekunde zu Sekunde schwieriger wurde, die Augen offen zu halten.

„Na schön, bitte“, Sam legte ihm kurz die Hand in den Nacken, bevor sein Gewicht von der Matratze verschwand, „Dann viel Vergnügen.“
 

Seine Schritte entfernten sich ein Stück weit, aber Dean wusste, dass sein kleiner Bruder das Zimmer nicht verlassen würde. Als er sich bückte, um sich die Stiefel auszuziehen, wurde ihm einen Augenblick lang schwindelig und er musste warten, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte.
 

„Mann“, murmelte er missmutig, „Nur zwei beschissene Minuten im Regen...“

Nach einer halben Ewigkeit hatte er Stiefel, Socken und Jeans geschafft und fühlte sich so erschöpft, als hätte er soeben eine besonders steile Felswand bezwungen.

Genug, entschied er, mehr brauchte es gar nicht. Einfach nur schlafen.
 

Sich unter der Decke zusammenzurollen war eine wahre Wohltat und keine zehn Sekunden später hatte die Müdigkeit den Kampf gegen seinen Unwillen mit fliegenden Fahnen gewonnen.
 

===
 

Als er wieder aufwachte war es dunkel, was vermutlich daran lag, dass es Nacht war und seine Gliedmaßen waren so schwer, dass er nicht einmal dann hätte aufstehen können, wenn er gewollt hätte.

Der Fernseher lief. Zumindest schloss er das aus dem Geflacker, dass er aus den Augewinkeln sehen konnte, denn Ton war keiner zu hören.
 

Der Versuch, sich auf die andere Seite zu drehen, scheiterte kläglich. Nicht, dachte er verschwommen, dass er besonders großen Wert darauf gelegt hätte. Gott, er war todmüde. Irgendwie schaffte er es, wenigstens den Kopf zu bewegen und anscheinend war das genug, um Sams Aufmerksamkeit zu erregen.
 

„Dean?“, das klang leise, fragend, „Bist du wach?“
 

Er brummte irgendetwas, teils weil er keine Kraft für ausführliche Antworten hatte, teils weil er wusste, dass das ohnehin ausreichen würde. Dann schloss er die Augen wieder. Sams Stimme erwischte ihn gerade noch, bevor er wieder wegdriften konnte.
 

„Ist dir schlecht?“
 

Huh? Schlafen, er wollte schlafen. Zählte das?

Er machte ein fragendes Geräusch, das in seinen eigenen Ohren absolut nichtssagend klang, aber anscheinend war er der einzige, der das so sah.
 

„Schon gut, schlaf weiter“, Sams Stimme klang ruhig und das war mehr als tröstend, „Und falls dir doch noch schlecht wird... also, falls du kotzen musst, meine ich – dann sag Bescheid, okay?“
 

Dean gab ein zustimmendes Grunzen von sich. Und das war mehr oder weniger das Ende ihrer Unterhaltung.
 

Die nächsten paar Stunden (Tage?) waren ein einzige Ineinanderfließen von Realität und seltsamen Träumen. Ihm war heiß, dann wieder kalt und Sams Gesicht war die einzige Konstante in einer Welt, die an den Rändern verschwamm.

Einige völlig wahllose Erinnerungen blieben hängen – kaltes Wasser, das irgendwie seinen glühenden Rachen hinunterstürzte, obwohl er sich ziemlich sicher war, kein Glas in der Hand zu haben. Sam, der etwas sagte. Tabletten – Gott, war ihm heiß – noch mehr Wasser.
 

Er selbst, wie er sich, in Boxershorts und durchgeschwitztem T-Shirt, schwer aufs Badezimmerwaschbecken stützte und sein eigenes, ungesund gerötetes Gesicht wie gebannt im Spiegel betrachtet, bis die Tür aufging und ihn irgendjemand vorsichtig von dort fortzog.
 

Die Worte „achtunddreißig Komma acht“, weil sie irgendwie wichtig zu sein schienen.
 

Er wachte auf und es war hell, er schloss sekundenlang die Augen und als er sie wieder öffnete, war es dunkel. Sein Bruder redete auf ihn ein, ohne dass Dean richtig mitbekam, was er sagte. Ein Löffel wurde ihm in die Hand gedrückt, vermutlich sollte er etwas essen. Wie aus dem nichts tauchte eine Tasse vor seiner Nase auf und er gab sich Mühe, ehrlich, aber er war zu müde. Zu anstrengend.
 

Plötzlich war der Löffel verschwunden, die Tasse wurde an seine Lippen gehoben. Er trank, schluckte gehorsam – es schmeckte nach nichts.

Tief in seinem fieberumnebelten Gehirn dachte er, dass das wahrscheinlich auch ganz gut so war. Davon wurde ihm wenigstens nicht übel.
 

Schlucken, Pause. Schlucken, schlucken-

-ersticken.
 

Der Gedanke kam aus dem Nichts, aus dem dunstigen Hinterhalt seiner inzwischen vollkommen verwischten Welt und diesmal war es umso schlimmer, als dass er ihm nichts Rationales entgegensetzen konnte.
 

-er würde ersticken, die warme, klumpige Flüssigkeit würde so lange seine Kehle hinab rinnen, bis er würde einatmen müssen und dann-
 

Hätte er einigermaßen klar denken können, hätte er sich vermutlich gesagt, dass es nur Fieberträume waren, ekelhafte Fantasien, die sein Unterbewusstsein hervorkramte, während sein Immunsystem versuchte, die Krankheitserreger in seinem Blut zu beseitigen. Aber er konnte nicht klar denken. Alles, was er hörte, war die leise, flüsternde Stimme, die in seinem Kopf widerhallte, als gäbe es dort ein Echo.

Ein beinahe unwiderstehlicher Hustenreiz überfiel ihn, doch das konnte er nicht, durfte er nicht tun. Wenn er hustete würde er sich verschlucken-
 

-und wenn er das tat, war alles aus, denn die Flüssigkeit würde nicht aufhören zu rinnen und er würde nicht mehr atmen könne, weil seine ganze Luftröhre voll sein würde mit-
 

Er gab einen protestierenden Laut von sich, widerspenstig und gleichzeitig hilflos.

Und plötzlich war die Tasse verschwunden. Im ersten Moment erschreckte ihn das noch mehr, aber dann fiel ihm ein, dass Sam ja da war, also ging das schon in Ordnung.
 

„Dean?“, die Stimme klang, als käme sie von weit, weit weg und er musste sich konzentrieren, um den Inhalt der Worte überhaupt mitzubekommen, „Stimmt was nicht?“
 

Er murmelte etwas, das „Alles bestens.“ heißen sollte, auch wenn er sich nicht sicher war, wie viel davon man tatsächlich verstehen konnte und war froh, als man ihn endlich wieder schlafen ließ.
 

===
 

Bis zuletzt war er sich nicht sicher, ob er wach war oder das Ganze nur geträumt hatte.
 

Er lag im Bett, immer noch ziemlich schwach und mit Gliedmaßen, die sich zu schwer anfühlten, aber wenigstens mit klarem Kopf. Das Zimmer sah so aus wie immer. Auf dem Nachtkästchen zwischen ihren beiden Betten stand ein volles Wasserglas, daneben lag eine angebrochene Packung Tabletten. Dem Licht nach zu urteilen, das matt durch die Fenster fiel, musste es Nachmittag sein.
 

Von seinem kleinen Bruder war weit und breit nichts zu sehen. Im ganzen Apartment war es totenstill – aber Dean konnte sich verschwommen an eine Hand erinnern, die sich auf seine Schulter gelegt hatte und an Sam, der ihm leise erklärte, er müsste mal kurz weg, aber es würde nicht lange dauern. Er war sich recht sicher, dass die Erinnerung real war und die Unterhaltung vor nicht allzu langer Zeit stattgefunden hatte.
 

Und das war der Punkt, der ihm irgendwie seltsam vorkam, denn er konnte sich nicht erklären, was dieses tatsächlich existierende Bruchstück in seinem Fiebertraum verloren hatte. Es war ein greifbarer Teil der wirklichen Welt, was hatte es hier zu suchen?

Denn dass es sich um einen seiner vielen seltsamen, krankheitsbedingten Träume handelte, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel.
 

Wo sollte der Junge auch sonst herkommen?
 

Er stand am Fußende seines Betts, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, mit gesenktem Kopf und sah so aus, als würde er jede Sekunde losheulen. Entfernt erinnerte er Dean an Sam in diesem Alter, hauptsächlich wegen der zögernden Haltung und der Blässe, die vermuten ließ, dass er mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbrachte als gut für ihn war.
 

Allerdings sah der Junge hilflos und unsicher aus, wo Sam früher, und da war Dean sich irgendwie ziemlich sicher, in entschlossener jetzt-erst-recht-Manier trotzig das Gesicht verzogen hätte.

Er überlegte noch, ob er überhaupt etwas sagen sollte oder ob es nicht doch besser war abzuwarten, was weiterhin passieren würde, als der Junge plötzlich den Mund aufmachte.
 

„Du bist schwierig.“
 

Dean runzelte die Stirn. „Was?“
 

„Sie sagen...“, der Junge kam einen Schritt näher, jetzt berührte er das Bett schon fast und Dean wusste nicht, ob der Ausdruck in seinen Augen Hoffnung oder Bestützung war, „Sie sagen, du bist schwierig. Schwer zu knacken. A-aber-“
 

Er wirkte, als würde er tatsächlich anfangen zu weinen.
 

„Wer sagt das?“, fragte Dean verblüfft.

Es war keine bewusste Entscheidung, aber tief drinnen wusste er, dass dieses Gespräch wichtig war.
 

Der Junge schniefte.

„Mein Daddy“, sagte er, „Und die anderen. Alle. Ich hab’s nicht so genau verstanden, weil ich wegmusste, aber sie haben gesagt, mit dir... mit dir werden sie noch eine Menge Arbeit haben.“
 

Dean sah ihn nur an.

„Warum?“, fragte er sacht.
 

„Weiß nich’... dir fällt es leichter. Daddy hat gesagt, so war’s bei ihm auch, ganz am Anfang. Dann h-hat er... hat er gelacht.“
 

Das Bedürfnis, den Kleinen, dem nun wirklich Krokodilstränen aus den Augen tropften, zu trösten, war stärker als alles andere, auch wenn Dean mit einem Mal ein flaues Gefühl in der Magengegend hatte.

„Aber das ist doch gut“, sagte er beruhigend, „Oder? Keine Panik, ich halte was aus. Die werden mich schon nicht kriegen.“
 

„Doch!“, es war ein Aufschrei aus purer Verzweiflung, „Doch, werden sie! Verstehst du nicht? Die kriegen j-jeden! Und dass es bei dir so schwer ist, macht es für sie nur noch interessanter!“
 

Das kribbelige Gefühl in seinem Magen wurde stärker.

„Warum?“, hakte Dean nach und war sich im Klaren darüber, dass seine Stimme bereits ungeduldig klang, „Was soll das heißen? Warum bin ich schwierig?“
 

Der Junge zuckte mit den Schultern, aber es war Resignation und keine Geste, die verdeutlichen sollte, dass er die Antwort nicht wusste.

„Weil“, sagte er und sah dabei kreuzunglücklich aus, „Weil du dir eher selbst was tun würdest als ihm.“
 

Mit einem Schlag war die Situation erschreckend real.

Dean konnte das Blut in seinen Ohren rauschen hören, sein Magen machte einen ungesunden Satz. Sam.

Es ging um Sam.
 

„Was zum-“, setzte er an, aber da zuckte der Junge so erschrocken zusammen, als hätte er in der Ferne ein Geräusch gehört, das nur für ihn bestimmt war.
 

„Ich muss gehen“, flüsterte er, während er hektisch zur Wand zurückwich, „Muss weg, sonst finden sich mi-“
 

Mitten im Satz war er verschwunden.
 

Dean fuhr in die Höhe und wusste in der nächsten Sekunde nicht mehr, ob er gerade aufgewacht oder schon die ganze Zeit über wach gewesen war. Im Augenblick hatte er ohnehin andere Sorgen.

Er schlug die Decke zurück und stürzte ins Badezimmer, gerade als er das Türschloss klicken hörte, und exakt in der Sekunde, in der Sam das Schlafzimmer betrat, musste er sich übergeben.
 

===

Tabletten

===
 

„Machst du da etwa Tee?“
 

Sam schenkte dem verächtlichen Tonfall keinerlei Beachtung.

„Ja“, sagte er kurz angebunden.
 

Dean schnaubte.

Er saß auf einem der Barhocker, die sie unerlaubterweise in die Küche geschleift hatten, und wirkte blass und ausgezehrt. Seine Haare standen in alle Richtungen ab und trotz der drei Schichten Kleidung, die er trug, schien ihm immer noch kalt zu sein. Seit gestern Abend war er offiziell fieberfrei und hatte sich folglich geweigert, heute alleine im Apartment zu bleiben, während Sam unten in der Küche etwas zu essen besorgte. Zu langweilig.
 

Stattdessen war er nun über einem der Edelstahlblocks zusammengesunken, zitterte vor sich hin und bedachte jede von Sams Handbewegung mit äußerst unhilfreichen Kommentaren.
 

„Und was ist das?“
 

Sam machte sich nicht einmal mehr die Mühe, die Dose hochzuhalten.

„Suppe“, sagte er.
 

„Ja, Schlaumeier, das kann ich sehen. Welche Suppe?“
 

Sam schaffte es, nicht die Augen zu verdrehen.

„Tomatensuppe“, sagte er, „Warum? Ist das irgendwie wichtig?“
 

„Erlaube mal“, empörte sich Dean, „Ich muss das Zeug schließlich essen!“
 

Jetzt rollte Sam doch mit den Augen. Scheinheiliger Vollidiot.

Normalerweise war es Dean herzlich egal, was er in seinen Mund schaufelte, solange es nur einigermaßen essbar aussah und sich lange genug nicht bewegte. Er war nicht besonders anspruchsvoll, was die Dinge anging, das in seinem Magen landete. Noch nie gewesen.
 

Im nächsten Moment war Sam beinahe sauer auf sich selbst. Tjaha, dachte er bitter, warum nur? Es war ja nicht unbedingt so, dass Dean es sich in ihrer Kindheit hätte erlauben können, allzu wählerisch zu sein.
 

„Also dann“, sagte er eine Spur freundlicher, „Wie sieht’s aus, Tomatensuppe ist okay?“
 

Dean musterte ihn argwöhnisch.

„Nutzt es irgendwas, wenn ich nein sage? Ich krieg doch sowieso nichts anderes.“
 

Da hatte er nicht Unrecht. Die Auswahl war nicht gerade groß, denn bis jetzt hatte er abgesehen von Suppe, trockenem Toast und Wasser nichts länger als eine paar Stunden unten behalten können und Sam war sich ziemlich sicher, dass die Zeit noch nicht reif war für den nächsten Versuch.

Er zuckte mit den Schultern.

„Na ja“, sagte er, „Ich kann nachsehen, was sonst noch für Konserven da sind. Oder du-“
 

Genervtes Abwinken.

„Lass mal. Tomaten sind in Ordnung.“
 

„Sicher?“
 

„Großes Pfadfinderehrenwort.“
 

„Idiot.“
 

Die Suppe köchelte vor sich hin, genau wie das Wasser im Teekessel, den er aufgesetzt hatte. Zwar wusste er, dass Deans allgemeine Meinung alles andere als hoch war was Tee betraf, aber schaden konnte es schließlich nicht – und die Erfahrung hatte gezeigt, dass er ihn sehr wohl trank, wenn man die Tasse eine Weile unbeobachtet herumstehen ließ.
 

Es raschelte leise, als Dean die Overlook-Mappe aufschlug. Er hatte darauf bestanden, sie mit herunterzunehmen, weil er sie durchsehen wollte. Sam konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum sein Bruder ausgerechnet jetzt, immerhin krank und erschöpft, auf diese Idee gekommen war, aber er hatte seine Meinung für sich behalten. Was tat man nicht alles...!

Außerdem war es bei weitem nicht das dümmste, das Dean in angeschlagenem Zustand jemals angestellt hatte, weil er seine Grenzen nicht kannte (oder vielmehr nicht wahrhaben wollte). Das schlimmste, das ihm hierbei passieren konnte war, dass er keine Lust mehr hatte und den Ordner wieder links liegen ließ.
 

Eine Viertelstunde später war die Suppe fertig.
 

Sam goss sie gleich direkt aus dem Topf in den nächstbesten Teller.

„Hast du die Tabletten?“
 

Sein Bruder hob den Kopf und zuckte mit den Schultern.

„Öh“, sagte er, „Nein, wieso?“
 

Na großartig.

„Weil du sie möglichst nehmen solltest, bevor du was isst, du Genie. Verringert die Chance, dass du das Zeug hier in zehn Minuten wiedersehen musst.“
 

Dean sah aus, als sei ihm nicht ganz klar, was daran so schlimm sein sollte.

Typisch, dachte Sam. Wäre es um irgendjemand anderen gegangen, hätte sein Bruder die Tabletten im Leben nicht vergessen, aber so... war ja schließlich nur er.

Keine große Sache. Dean zu versorgen war eine der undankbarsten Aufgaben überhaupt, schlicht und einfach deswegen, weil sein eigenes Wohlergehen für ihn immer an allerletzter Stelle zu kommen schien.
 

Sam öffnete das Backroher und stellte den Suppenteller hinein, um ihn warm zu halten.

„Hey“, protestierte Dean, „Ich hab Hunger!“
 

„Du wirst es überleben“, sagte Sam trocken, „Ich geh sie schnell holen, bin gleich wieder da. Und bis dahin – Finger weg von der Suppe, klar?“
 

„Finger weg von der Suppe“, äffte Dean ihn nach, „Mann, was bist du, ’ne Krankenschwester?“
 

Sam war schon auf dem Weg in die Lobby und überhörte die Bemerkung geflissentlich.
 

===
 

Er hatte das Apartment gerade verlassen und die Tür war mit leisem Klicken hinter ihm ins Schloss gefallen, als es plötzlich über ihn hereinbrach wie eine Welle trübes Wasser.
 

-Dean war es scheißegal, was Sam hier für ihn tat, das hatte ihn schließlich noch nie interessiert-
 

Der Flur verschwamm vor seinen Augen und tief drinnen wusste er, dass ihn eigentlich hätte beunruhigen sollen, wie bekannt ihm das ganze vorkam-
 

-Dean kümmerte es nicht, was mit ihm selber passierte und war das nicht eigentlich viel egoistischer als alles andere?-
 

-es fühlte sich an, als ob man einen alten Bekannten nach vielen Jahren wieder traf und sich verblüfft fragte, wie man all die kleinen Angewohnheiten und Merkmale, die einem früher so vertraut gewesen waren, überhaupt hatte vergessen können-
 

-seinem Bruder war es egal, ob Sam sich Sorgen machte oder nicht, das war schon immer so gewesen und dieses Fieber war nur der letzte in einer langen Reihe von Beweisen dafür, dass er auf die Gefühle andere keinerlei Rücksicht nahm-
 

-schon Sekunden bevor die Kurzatmigkeit tatsächlich einsetzte, war ihm bewusst, dass sie kommen würde-
 

-sicher, natürlich tat Dean immer wahnsinnig besorgt und fürsorglich, so als hätte er Angst um Sam, aber wenn er sich auch nur einen Deut um ihn geschert hätte, dann hätte er sich nicht ständig selbst in Gefahr gebracht, nicht wahr?-
 

Ja, dachte Sam verwischt, eindeutig. Er kam sich dumm vor, dumm und durchschaut-
 

-denn wer durfte Deans Märtyrerwahn denn am Ende immer ausbaden, hm?-
 

-der Kandidat hat hundert Punkte. Eigentlich war es so offensichtlich, dass es beinahe traurig war-
 

-all die Jahre hatte er sich lächerlich gemacht, weil er versucht hatte, sich um seinen großen Bruder zu kümmern, obwohl-
 

-Dean sich insgeheim sicher immer über ihn lustig gemacht hatte. Vermutlich amüsierte er sich auch jetzt in dieser Sekunde gerade köstlich darüber, dass Sam so dumm war, extra noch einmal hoch zu laufen, nur um ihm diese verdammten Tabletten-
 

-er sollte sie Dean in den Rachen stopfen, eine nach der anderen, vielleicht würde ihm das zeigen, dass er nicht ewig über Sam lachen konnte-
 

-grundsätzlich war er ja ein geduldiger Mensch, oh ganz sicher war er das, aber für alles gab es Grenzen-
 

-er würde Dean das blöde Grinsen vom Gesicht wischen, würde es ihm äußerst nachdrücklich vom Gesicht wischen und dann-
 

-würde Dean ein für allemal begreifen, dass Sam kein Fußabtreter war, auf dessen Sorge er spucken konnte, indem er einfach ohne Rücksicht auf Verluste allem entgegenstürzte, was gefährlich und todbringend war-
 

Irgendetwas landete leise klappernd auf dem Boden und als er nach unten sah, stellte er fest, dass er die inzwischen halb zerquetschte Tablettenschachtel fallen gelassen hatte. Er bückte sich, um sie aufzuheben und stellte mit einem Mal verdutzt fest, dass er sich nicht mehr im Flur vor ihrem Apartment befand.
 

Das hier war der Westflügel.
 

Was zum Teufel...?

Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie er hergekommen war. Was wollte er hier? Warum war er nicht längst wieder unten in der Küche?

Sein Kopf fühlte sich seltsam an – ungewohnt leicht und schwammig. Sein Rachen war staubtrocken.
 

Aus irgendeinem Grund stand er direkt vor einer Zimmertür – Nummer 217, wie die Ziffern direkt vor seiner Nase verkündeten. Durch das Holz der Tür war leises Rauschen zu hören und er runzelte die Stirn. Lief da etwa Wasser?

Er hatte den Generalschlüssel nicht dabei, der befand sich immer noch sicher verstaut in Deans Jackentasche. Trotzdem streckte er die Hand aus und war irgendwie nicht einmal überrascht, als sich die Klinke ohne Protest nach unten drücken ließ.
 

Die Tür schwang auf. Doch, das war eindeutig Wasser.

Eigentlich hätte hier ja abgeschlossen sein sollen, aber vielleicht hatten sie auch bloß darauf vergessen, immerhin hatte der Kasten eine ganze Menge Zimmer und sie waren jedes einzelne davon durchgegangen.
 

Der Wasserhahn der Badewanne lief, shhhhh... und er drehte ihn sorgfältig zu, bevor er sich auf den Weg zurück in die Küche machte.
 

===
 

Dean saß immer noch tief über den Ordner gebeugt, aber als Sam hereinkam, sah er auf.

„Na endlich! Mann, ich dachte schon, ich muss nachsehen gehen. Wo hast du so lange gesteckt?“
 

Sam zuckte unangenehm berührt mit den Schultern. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen.

„Sorry“, murmelte er, „War keine Absicht, ich...“
 

...hab bloß keine Ahnung mehr, wo ich die vergangenen fünf Minuten gewesen bin.
 

Er schüttelte den Kopf. So etwas zu denken war eine Sache, aber es laut auszusprechen... danke, darauf konnte er verzichten. Wo Dean ihn doch sowieso schon für einen Freak hielt – vermutlich würde er nur überreagieren.
 

„Hier, bitte“, er warf ihm die Tablettenpackung zu, „Lass es dir schmecken.“
 

Dean fing die Packung, betrachtete sie und furchte dann die Stirn.

„Warum sieht die Schachtel so aus, als ob jemand drauf rumgetrampelt wäre?“
 

Sam spürte Ärger in sich aufsteigen.

„Keine Ahnung“, sagte er bissig, „Spielt das irgendeine Rolle? Willst du die Dinger nehmen oder ihnen ’nen Heiratsantrag machen?“
 

Dean warf ihm einen langen Blick zu, aber er sagte nichts, sondern drückte gehorsam zwei Tabletten heraus und schluckte sie trocken.

„Und?“, fragte er dann mit leicht sarkastischem Unterton, „Jetzt zufrieden?“
 

Mit einem Mal kam Sam sich vor wie das größte Ekel auf Gottes schöner Erde. Dean war krank. Immer noch. Und deshalb hatte er auch ein Recht auf schlechte Laune. Warum nur war er gerade so gehässig zu ihm gewesen?

„So war das nicht-“
 

Doch sein Bruder winkte ab.

„Schon gut“, sagte er, bevor Sam sich entschuldigen konnte, „Vergiss es. Hab ich jetzt endlich die Erlaubnis, was zu essen?“
 

„Was- oh. Ähh, ja klar. Sicher.“
 

Dean verhalf sich zu seiner Suppe, doch sein amüsiertes Grinsen war so unecht, dass man förmlich noch das Preisschild sehen konnte.
 

„Übrigens“, sagte er, während er auf den Löffel pustete, um die immer noch heiße Flüssigkeit abzukühlen, „Gute Arbeit mit dem hier.“
 

Er deutete mit dem Kopf auf die Mappe und Sam gab sich Mühe, nicht allzu stolz auszusehen. Lob, das von Dean kam, hatte einen besonderen Stellenwert, das war schon immer so gewesen und würde wahrscheinlich auch immer so sein.
 

„Danke“, murmelte er und dann, um einiges lauter, „Bist du schon durch?“
 

„Noch nicht“, sagte Dean, „Aber sag mal, ich kapier nicht ganz, wozu du das hier aufgehoben hast.“

Er ließ den Löffelt im Mund und schob ein Blatt Papier in Sams Richtung.

„Ist das irgendwie wichtig? Kann nicht mal lesen, was da steht...“
 

Sam warf einen Blick darauf und sein Herz machte einen Satz.
 

„unaufmerksam“
 

Es war die alte, bekritzelte Hotelrechnung. Was wollte Dean damit? Warum hatte er sich gerade die ausgesucht?
 

„Sam?“, sein Bruder klang verdutzt, „Was ist?“
 

Irrationale Eifersucht überfiel ihn. Dean sollte nicht wissen, was da stand. Wenn er zu blöd war, um selber zu lesen, dann war das sein Problem. Sam würde dieses Geheimnis nicht preisgeben, er konnte ihm nicht immer alles verraten.
 

„...kein Verlass auf die Verlassenen;

und nobel geht die Welt zugrunde“
 

„Und? Kannst du’s nun lesen oder nicht?“
 

Sam starrte immer noch hinunter auf das ausgeblichene Stück Papier.

-kein Verlass auf die Verlassenen... und nobel-
 

„Nein“, sagte er kurz angebunden, sah auf und lächelte entschuldigend, „Tut mir leid. Keine Ahnung, was da steht.“
 

„Na ja“, Dean wandte sich wieder seiner Suppe zu, „Schätze mal, es ist nicht besonders wichtig.“
 

„Wahrscheinlich nicht“, sagte Sam zustimmend.
 

Sein Bruder war blass und erschöpft. Krank. Selbst jetzt, unter zwei Lagen T-Shirts und einem Sweater, wirkte er ungewohnt schmal. Viel zu jung. Er brauchte nicht alles zu wissen, entschied Sam. So war es besser.

Beinahe nachdenklich nahm er den Teekessel vom Herd.
 

===
 

Als Dean aufwachte, schneite es wie verrückt.
 

Ein rascher Blick auf die Uhr ergab, dass es kurz nach sieben Uhr abends war.

Er verzog das Gesicht. Na ganz toll. Wie er das hier hasste!

Aber nach ihrem Abstecher in die Küche war er so müde gewesen, dass er sich sofort wieder ins Bett verkrochen hatte, und das war immerhin gute fünf Stunden her.

Wenigstens war ihm nicht schlecht – ganz im Gegenteil, der Gedanke, noch etwas zu essen, erschien ihm nicht abstoßend, sondern durchaus machbar zu sein.

Vielleicht sollten sie einfach-
 

„Sam?“
 

Keine Reaktion. Die Tür zum Nebenzimmer stand zur Hälfte offen und das Licht dort brannte zwar, aber ansonsten gab es kein Anzeichen dafür, dass außer ihm jemand hier war. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das Apartment leer war. Sam war nicht da.
 

Okay, dachte er, das hatte nicht viel zu bedeuten.

Es gab eine Menge Orte, an denen sein kleiner Bruder sein konnte und auch eine Menge Gründe, warum er Dean nicht geweckt hatte, um ihm Bescheid zu sagen, dass er ging.

Wahrscheinlich hatte er ohnehin eine Notiz geschrieben... Dean sah sich prüfend um, bückte sich letztendlich sogar und spähte unters Bett.
 

Nichts.

Kein Zettel, zumindest nicht so weit er das in diesem Halbdunkel beurteilen konnte.
 

Schön, das war auch nicht das Ende der Welt. Vermutlich war Sam bloß für ein paar Minuten weggegangen und hatte nicht damit gerechnet, dass Dean ausgerechnet in dieser Zeitspanne aufwachen würde. Oder?

Er kämpfte gegen das plötzlich aufwallende Gefühl der Einsamkeit an. Lächerlich, sagte er sich, das hier hatte nichts mit-
 

-Stanford, genau wie damals mit Stanford, Sam war einfach gegangen und hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sich ein letztes Mal umzudreh-
 

Gott, was für ein Schwachsinn.

Seine Finger tasteten nach der Kante des Nachkästchens, mehr um Halt zu suchen als tatsächlich etwas zu finden und stießen gegen das Wasserglas. Es war bis obenhin voll – obwohl er sich recht gut daran erinnern konnte, es heute Nachmittag auf der Bettkante sitzend ausgetrunken zu haben, bevor er wieder eingeschlafen war.
 

Eigenartigerweise beruhigte ihn das.

Tja, dachte er, sah so aus, als wäre er seinem kleinen Bruder doch noch nicht vollkommen egal. Er leerte das Glas in einem Zug und lehnte sich dann gegen das Kopfende des Betts, fest entschlossen, wenigstens so lange wach zu bleiben, bis Sam zurückgekommen war.
 

Die Minuten tickten dahin. Das Ziffernblatt zeigte halb nach sieben, vierzig nach sieben, schließlich zehn vor acht und die anfängliche Müdigkeit, die ihn hatte befürchten lassen, er könnte zu früh wegnicken, war verflogen. Inzwischen wartete er angespannt auf irgendeine Art von Geräusch, das das Kommen einer Person ankündigte.
 

Schritte auf dem Flur, das Klicken des Türschlosses, irgendwas.

Doch nichts rührte sich und zwei Minuten vor acht wurde es ihm zu dumm.

Er griff nach seinen Stiefeln, die ordentlich nebeneinander standen, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass er sie sich vorhin einfach achtlos von den Füßen gekickt hatte.

(Vom Apartment einmal abgesehen liefen sie im Hotel die meiste Zeit über mit Straßenschuhen herum; das war wärmer und außerdem sparte es Zeit.)
 

Sicherheitshalber nahm er auch seine Jacke mit und gerade, als er aufstehen wollte, überkam ihn schlagartig das dringende Bedürfnis, etwas zu haben, mit dem er sich verteidigen konnte. Noch bevor er überhaupt realisiert hatte, was er da tat, hatte er eine der beiden Taschen unter Sams Bett hervorgezerrt und hielt die Beretta in der Hand.
 

Ohne lange darüber nachzudenken schob er sie in den Bund seiner Jeans und erst dann schien sich sein Verstand wieder einzuschalten. Das war doch...

Warum in Dreiteufelsnamen hatte er das gerade gemacht? Verdammt noch mal, er wollte bloß nachsehen gehen, wo sein kleiner Bruder steckte.
 

Egal, flüsterte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf, schaden konnte es jedenfalls nicht. Dass er die Waffe dabeihatte hieß ja noch lange nicht, dass er sie tatsächlich benutzen würde.
 

Als er das Schlafzimmer verlassen wollte zögerte er, denn für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, Sam gleich schlafend auf dem Sofa vorzufinden oder irgendeine ähnlich banale Erklärung präsentiert zu bekommen.

Und er würde sich dämlich vorkommen, dämlich aber erleichtert und Sam würde da sein und alles wäre in bester Ordnung...
 

Die Tür schwang auf und das Sofa war leer.

Hastig durchquerte er das Zimmer und die Apartmenttür fiel lauter hinter ihm ins Schloss, als es nötig gewesen wäre.
 

Draußen vor dem Fenster wirbelten die Schneeflocken durcheinander.
 

===
 


 

Hmmm, hach. Schön langsam geht es abwärts. Das freut mich ungemein. :D

Schnee

===
 

Sam war im Keller.
 

Dean wusste es, noch bevor er eine eindeutige Bestätigung dafür hatte, wusste es so sicher, als hätte ihn jemand nach seinem Geburtstag gefragt. Aus irgendeinem Grund konnte es gar nicht anders sein.
 

Trotzdem blieb er wie angewurzelt stehen, als er um die Ecke bog und feststellen musste, dass die Kellertür nur angelehnt war. Ein schmaler Streifen Licht ergoss sich über den dämmrigen Flur, sanft und einladend, was eigentlich kompletter Unsinn war, weil es dort unten seines Wissens nur unromantische Neonröhren gab.

Er brauchte ein paar Sekunden, bis er realisierte, dass das nagende Gefühl in seiner Magengegend Eifersucht war und im nächsten Augenblick kam er sich kreuzdämlich vor. Das hier war der Keller. Kein Grund, deswegen einen Aufstand zu machen.
 

Bist du dir da sicher?, fragte der rationale Teil seines Verstandes, Das hast du vor ein paar Tagen doch auch gedacht. Nur der Keller... und was ist draus geworden?
 

Bilder von Sam, der zusammengesunken auf dem Boden lag, stiegen vor seinem inneren Auge auf, zusammen mit der erschreckend realen Erinnerung an die nackten Angst, die ihn überfallen hatte, als er die letzten Stufen der Treppe hinunter gerannt war. Für ein paar endlos lange Sekunden, in denen sein Herz so hart gegen seinen Brustkorb gehämmert hatte, als wollte es herausspringen, hatte er allen Ernstes gedacht, dass irgendetwas Schreckliches passiert war...
 

„Sorry, ich glaub, ich bin... uhm... bin wohl eingepennt oder so was.“
 

...sein kleiner Bruder, der sich langsam und desorientiert aufgesetzt hatte und die pure Erleichterung, die in Dean aufgestiegen war, obwohl die Sache objektiv betrachtet mehr als seltsam gewesen war. Er schob die Gedanken von sich weg, so weit er konnte. Das tat jetzt nichts zur Sache.
 

Als er die Treppe hinunter stieg, kam ihm die ganze Situation vor wie ein äußerst unangenehmes Déjà-vu. Dort saß Sam und stöberte gerade fieberhaft in einem der Kartons. Das Rascheln der Papierblätter klang unnatürlich laut in dem sonst so stillen Raum und beinahe zögernd blieb Dean stehen. Seine Ankunft schien nicht bemerkt worden zu sein, es sei denn, Sam ignorierte ihn seit neuestem absichtlich- nahh, sonst noch was?

Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach still und heimlich wieder zu verschwinden, aber er konnte sich nicht dazu überwinden. Irgendetwas stimmte hier nicht... etwas war verkehrt, passte nicht ins Bild...
 

So wie neulich mit den Heckentieren, dachte er unvermittelt, man konnte seinen Finger nicht drauflegen, aber irgendetwas...

Im nächsten Moment fragte er sich verdutzt, wie um alles in der Welt er jetzt ausgerechnet auf dieses Grünzeug gekommen war. Sam war noch immer nicht aufgefallen, dass dort am Fuß der Treppe jemand stand und Dean schossen eine Menge spöttischer Bemerkungen durch den Kopf, aber er verbiss sich jede einzelne. Stattdessen räusperte er sich verhalten.
 

Sams Haarschopf fuhr ruckartig in die Höhe und seine Augen verengten sich, als er Dean entdeckte. In seinem Blick lag sekundenlang unverhohlene Feindseligkeit.

„Was...“, es klang heiser, „Was machst du hier?“
 

Dean gab sich Mühe, so auszusehen, als wäre nichts gewesen, auch wenn er im ersten Moment schwer hatte schlucken müssen.

„Tjahh“, sagte er munter, „Dasselbe könnte ich dich auch fragen, oder? Mann, Sammy, was treibst du hier?“

Irgendetwas war definitiv NICHT in Ordnung...
 

Sein Bruder sah ihn so misstrauisch an, als sei er sich sicher, dass in der Frage irgendeine Falle versteckt war.

„Warum?“, fragte er grob.
 

„Warum?“, Dean gab sich Mühe, sein Grinsen aufrechtzuerhalten, „Alter, ernsthaft? Geht’s mich etwa nichts an, wenn du plötzlich vorhast, dich hier unten häuslich niederzulassen?“

...wenn er nur sagen könnte, was...
 

Sam verzog triumphierend das Gesicht. Aus irgendeinem Grund wirkte er so, als hätte er gerade eine Vermutung bestätigt bekommen, die ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte. Doch er sagte nichts, sondern musterte Dean nur wissend von oben bis unten.
 

Der trat unbehaglich von einem Bein aufs andere.

„Was?“, hakte er nach, „Was ist?“
 

Sam schüttelte den Kopf. „Nichts“, sagte er sanft, aber seltsamerweise klang es durch und durch gehässig, „Nichts, nichts...“

Es hörte sich fast an wie der Singsang eines kleinen Kindes und mit einem Mal musste Dean sich hart am Riemen reißen, um seinen Bruder nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln.
 

„Sam!“, knurrte er stattdessen. Laut und deutlich; Kommandoton, das zog fast immer.

...wenn er nur sagen könnte...
 

Sein kleiner Bruder zuckte zusammen, fast schien es so, als würde er aus einer Art Trance erwachen und als er den Blick wieder auf Dean richtete, waren seine Augen vollkommen klar – und so voller Abneigung und Misstrauen, dass Dean unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. Etwas drückte leicht gegen den unteren Teil seines Rückens und mit einem Schlag wusste er, was hier nicht stimmte. Die Beretta.

Es mochte unglaublich klingen, aber bis zu diesem Moment hatte er bereits völlig vergessen gehabt, dass er sie überhaupt mitgebracht hatte. DAS war es, was nicht stimmte.
 

Er war losgezogen, um seinen Bruder zu suchen und er hatte es für nötig gehalten, eine gottverdammte Waffe mitzunehmen. Warum hatte er das gemacht? Drehte er jetzt vollkommen durch? Der hier war Sam, zum Teufel noch mal!

Und gut, zugegeben, das hier war Sam mit offensichtlich mieser Laune und zickig wie selten, aber das hieß doch noch lange nicht... Was hatte er sich nur dabei gedacht?!

Der Boden unter seinen Füßen schien plötzlich zu schwanken.
 

„Dean?“
 

Von einer Sekunde auf die andere war die Feindseligkeit aus Sams Stimme verschwunden und alleine der besorgte Unterton, der sie ersetzt hatte, machte Dean klar, wie viel von seiner momentanen Bestürzung man vermutlich gerade von seinem Gesicht ablesen konnte. Ach, verdammt.
 

„Mann, alles okay?“
 

Er sagte „Ja.“ und war trotzdem dankbar für die Hand, die ihn mit einem Mal am Oberarm festhielt – zum einen, weil sich inzwischen der ganze Raum zu drehen schien, zum anderen, weil Sammy sich endlich wieder normal anhörte.
 

„Scheiße“, hörte er ihn ungehalten murmeln, „Blöder Idiot. Du solltest dich ausruhen, anstatt hier in der Gegend rumzurennen wie ein Wahnsinniger...“
 

„Ja“, sagte Dean sarkastisch, obwohl er tief drinnen so erleichtert war, dass seine Knie beinahe nachgaben, „Ich bin der Wahnsinnige, was? Sicher, dass mit deinem Realitätssinn alles in Ordnung ist? Ich frage das nur, weil-“
 

Und mit einem Mal hatte Sam die Beretta in der Hand.
 

Dean hätte später nicht mehr sagen können, wie genau es passiert war (auch wenn er sich den Vorgang im Allgemeinen recht gut vorstellen konnte). Immerhin trug er bloß ein T-Shirt und seine Jacke und Sam hatte die Hand auf seinen Rücken gelegt, um ihn zu stützen... besonders abwegig war es nicht.

Das einzige, das jetzt von Bedeutung war, war die Tatsache, dass Sam die Beretta entdeckt hatte und eine schreckenstarre Sekunde lang war Dean entgegen jeder Vernunft felsenfest davon überzeugt, sein Bruder würde den Lauf der Pistole auf ihn richten und abdrücken.
 

Die Sekunde verging, ohne dass etwas passierte und sie starrten immer noch beide auf die Waffe. Für einen Außenstehenden wäre es schwer zu sagen gewesen, wer von ihnen ungläubiger dreinschaute.
 

„Das...“, sagte Sam schließlich, brach ab, befeuchtete seine Lippen und versuchte es erneut, „Was hat das Ding hier zu suchen?“
 

Es war eine dumme Frage, ganz eindeutig, aber sein Gehirn hatte anscheinend Mühe, die Informationen zu verarbeiten.

„Dean...?“
 

Mit einem Mal war sein kleiner Bruder wieder sechs Jahre alt.

„...was ist das?“

„...wo ist Dad?“

„...warum müssen wir weg?“
 

Rein vom Tonfall her bestand bei weitem nicht so viel Unterschied, wie man vielleicht meinen mochte.

„Ich...“, setzte Dean an, auch wenn er absolut keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, „Also... ich...“
 

Mehr wollte nicht kommen und beinahe erleichtert stellte er fest, dass Sam seine Erklärungsnot offenbar als Verwirrung interpretierte. Grundsätzlich war es zwar alles andere als beruhigend, dass sein kleiner Bruder ihm zutraute, bewaffnet herumzulaufen, ohne überhaupt zu wissen warum, aber andererseits...

Scheiße, exakt das war es doch, was er da gerade gemacht hatte. Oder etwa nicht?
 

Die ihm inzwischen altbekannte Müdigkeit kehrte zurück, unerwartet stark und im ersten Augenblick war er darüber so frustriert, dass er am liebsten irgendwas zertrümmert hätte.

„Dean“, sagte Sam neben ihm leise, aber schon klang es so, als redete er von weit, weit weg, „Ernsthaft, geht’s dir gut?“
 

Das Stehen wurde bereits anstrengend. Gottverdammter Mist.

„Ja“, fauchte er ungehalten, „Alles bestens. Was ist, willst du’s schriftlich?“
 

Der unfreundliche Tonfall schien Sam jedoch nicht abzuschrecken, ganz im Gegenteil. Ohne ein weiteres Wort zu sagen fasste er ihm in den Nacken, zog ihn nach vorne und presste Deans Stirn gegen seine.

Dass diese Geste in ihrem Ehrenkodex noch weitaus akzeptabler war, als wenn Sam ihm einfach die Hand auf die Stirn gelegt hätte, sagte etwas über ihre Beziehung aus, da war Dean sich ziemlich sicher – er wusste nur nicht genau, was.
 

Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann ließ Sam ihn los.

„Scheiße“, murmelte er erneut, „So wie’s aussieht ist das Fieber wieder da. Gratuliere.“
 

„Yippie“, sagte Dean trocken und gab sich Mühe, nicht zu schwanken.
 

Sam hatte vermutlich Recht. Hatte er meistens. Und so schwer, wie sich sein ganzer Körper mittlerweile anfühlte... verdammt, er wollte nicht krank sein, er hatte es so was von satt.
 

„Na komm“, sagte Sam behutsam, „Bevor du noch zusammenklappst. Ich trage dich nämlich sicher nicht den ganzen Weg.“
 

Dean gab sich Mühe, ihn böse anzufunkeln.

„In deinen Träumen vielleicht.“
 

Sam grinste nur.
 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie es endlich zurück ins Apartment geschafft hatten. Treppensteigen war enorm viel anstrengender, wenn man einfach nur mehr das Bedürfnis hatte, sich in einer Ecke zusammenzurollen und zu schlafen. Trotzdem war Dean dankbar dafür, dass Sam den Fahrstuhl nicht einmal als Vorschlag erwähnt hatte.
 

===
 

...Er rennt, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.
 

Dean ist krank, ernsthaft krank. Wenn es so weitergeht, wird er sterben.

Sam weiß, dass es etwas gibt, das helfen kann, eine Art Medizin, ein Gegenmittel – er muss es nur finden.
 

Das Hotel ist dunkel, aus irgendeinem Grund funktionierte der Strom nicht mehr.

Er läuft durch die Flure, hektisch und desorientiert und stößt sich an Ecken, an denen eigentlich überhaupt nichts sein dürfte. Sein eigenes Keuchen hat er überdeutlich laut in den Ohren, sein Herz klopft so schnell, als würde es ebenfalls Haken schlagen.
 

Die Zeit wird knapp.

Wo nur ist diese gottverdammte-
 

Er biegt um eine Ecke, stolpert über irgendetwas und bemerkt fast zu spät, dass er gefunden hat, wonach er sucht. Es ist ein kleines Holzkästchen. Auf dem Deckel befindet sich ein blutrotes, im Dunkeln leuchtendes Ziffernblatt. Der einzige Zeiger ist stehengeblieben, zittert beinahe hilflos auf der Stelle.
 

Tick-tick, tick-tick, tick-
 

Für so etwas ist keine Zeit!, denkt er ungehalten und klappt das Kästchen hastig auf. Drinnen liegt ein kleines Glasfläschchen, kaum mehr als ein Proberöhrchen, das mit einem Korken verschlossen worden ist. Er will es herausnehmen, doch exakt in der Sekunde, in der seine Fingerspitzen das kalte Glas berühren, ist ein gellender Schrei zu hören.
 

„NEIN!!“
 

Er fährt herum und sieht, dass der kleine Junge aus der Empfangshalle auf ihn zustürzt, zutiefst entsetzt und wild mit den Armen rudernd.

„Nein! Nein, das darfst du nicht!“
 

Was soll der Unsinn?! Natürlich darf er, Dean braucht dieses Zeug!
 

„Nein!“, wiederholt der Junge, „Nicht! Du darfst ihn nicht gesund machen!“
 

„Wie bitte?“, faucht Sam wütend, „Was soll das heißen?“
 

Der Junge kommt knapp vor ihm zum Stehen, er keucht.

„D-das“, japst er, „Das wird ihn töten!“
 

Sam kann das Blut in seinen Ohren rauschen hören. Was bildet sich der Zwerg eigentlich ein? Er hat keine Zeit für diesen Mist!

„Wird es nicht!“
 

„Doch! Du Blödmann, verstehst du nicht? Solange er krank ist, ist er noch in Sicherhei-“
 

Im nächsten Moment ist der Junge –puff!- verschwunden, mitten im Satz, wie vom Erdboden verschluckt. Erneut.

Sam sieht sekundenlang erschrocken auf die Stelle, an der er gestanden hat, dann wendet er sich wieder dem Kästchen zu. Er greift hinein und umschließt das Fläschchen mit seinen Fingern, doch als er es herausziehen will, durchzuckt heller Schmerz seine Handfläche.
 

Verdattert öffnet er sie und muss erkennen, dass sich das Fläschchen in eine Spritze mit schwarzer Flüssigkeit verwandelt hat. Die Nadel hat sich tief in seinen Handballen gebohrt und er kann sehen, wie sich die dunkle Brühe seine Venen hocharbeitet, den Unterarm entlang und noch weiter, höher, auf direktem Weg zum Herzen...
 

Schweißgebadet fuhr er hoch.
 

Es dauerte eine Weile, bis er vollständig realisiert hatte, dass es bloß ein Traum gewesen war und beinahe erwartete er, den Jungen irgendwo stehen zu sehen, als er sich misstrauisch umsah. Doch das Schlafzimmer war leer.
 

Durch die Fenster fiel trübes Licht. Morgendämmerung.

Er atmete tief durch und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Nur ein Traum. Alles okay. Dean würde nicht sterben. Der Kerl war bloß fix und fertig, weil er sich zu viel auf einmal zugemutete hatte.
 

Wieder mal.
 

Sam stand auf und verließ das Schlafzimmer, sorgsam darauf bedacht, keinen unnötigen Lärm zu machen. Auf den Fensterbrettern lag der Schnee zentimeterhoch und als er einen zögernden Blick nach draußen warf, stellte er fest, dass die Welt unter einer weißen Decke versunken war.
 

Kurz überlegte er, hinunter in die Küche zu gehen, entschied sich dann aber dagegen – einerseits, weil es in den Gängen jetzt, wo der erste Schnee lag, wirklich unangenehm kühl sein musste, andererseits, und das war der eigentliche Grund, weil er nicht schon wieder verschwinden wollte, ohne Dean Bescheid zu sagen. Die gestrige Szene war ihm nämlich noch unangenehm in Erinnerung, zum größten Teil deswegen, weil er den ganzen restlichen Abend lang seltsamerweise das Gefühl gehabt hatte, haarscharf an irgendeiner Art von Tragödie vorbeigeschrammt zu sein.
 

Während er sich so leise wie möglich anzog, dachte er nach. In ihrem Apartment gab es keine Küche, zumindest nicht im eigentlichen Sinne, aber sie hatten einen Kühlschrank, eine Mikrowelle und einen Wasserkocher. Billige Elektrogeräte die, und das sah man ihnen auch an, einzig und alleine aufgrund ihres funktionellen Nutzens gekauft worden waren.
 

Der Kühlschrank, das wusste er, war bis auf einen halben Liter Milch, drei Eiern und ein paar Scheiben Schinken, die sich bereits hart an der Grenze des Haltbarkeitsdatums bewegten, weitgehend leer. Eine angebrochene Packung Toastbrot stand obendrauf, um sie herum breiteten sich unzählige Krümel aus wie ein besonders einfallsloses Muster.
 

Irgendwo musste noch Instant-Kaffee sein.
 

Seufzend verschwand er ins Bad und anschließend machte er sich auf die Suche. Als er eine Schublade nach der anderen aufzog fragte er sich, wer von ihnen beiden die Kaffeepackung wohl verlegt haben mochte. Er tippte auf seinen Bruder. Dean räumte selten etwas weg und wenn er sich doch einmal dazu herabließ, dann landeten die Dinge meist dort, wo man sie ums Verrecken nicht wiederfand, weil es Orte waren, an die sie ein normaler Mensch nie im Leben gelegt hätte.
 

Aus irgendeinem Grund war Sam sich plötzlich sicher, dass ihn dieser Gedanke gestern Abend noch richtig zornig gemacht hätte, während er ihm heute nur ein müdes, zugegebenermaßen ziemlich amüsiertes Lächeln entlockte.

Schließlich fand er die Kaffeepackung in einer Schulbade, in der unter anderem auch Schere, Leim, Klebeband und ein paar Reiszwecken aufbewahrt wurden und gegen seinen Willen musste er lachen. Na klar. Wo auch sonst?
 

Zwei Minute später summte der Wasserkocher leise vor sich hin.
 

Er saß gerade auf dem Sofa und versuchte festzustellen, ob er schon Hunger hatte, als die Schlafzimmertür aufging und Dean herausgetrottet kam. Über die Sachen, in denen er geschlafen hatte, hatte er bloß den inzwischen recht schmuddeligen Sweater gezogen und Socken trug er auch keine. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag war Sam froh darüber, dass es hier drin einigermaßen warm war.
 

„Morgen“, sagte er.
 

„Grmpf“, war alles, was Dean von sich gab, bevor er sich neben seinem Bruder aufs Sofa fallen ließ. Er sah immer noch müde und abgezehrt aus, aber dafür ähnelte seine Gesichtsfarbe wenigstens wieder der eines lebendigen Menschen. Außerdem war er wach und auf den Beinen. War das nun ein gutes Zeichen?

Sam wagte einen Versuch.
 

„Mann, du siehst aus wie eine Leiche“, er sah Dean dabei nicht an, „Du sollest noch nicht aufstehen.“
 

„Und du solltest die Klappe halten.“
 

„Dean...“
 

Sein Bruder unterbrach ihn und deutete auf den Wasserkocher, dessen Anzeigelampe grün blinkte.

„Was wird das? Etwa schon wieder Tee?“
 

Sam verbiss sich ein Grinsen.

„Ja“, log er.
 

Dean verzog angeekelt das Gesicht.

„Darf ja wohl nicht wahr sein“, sagte er, „Da schläft man einmal n’paar Minuten länger und du... du verwandelst dich in Martha Stuart!“
 

„Was soll ich sagen...“, Sam seufzte theatralisch, „Ist alles nur zu deinem besten.“
 

„...halt einfach die Klappe.“
 

Nicht viel später saßen sie am Tisch und tranken scheußlichen Kaffee aus noch scheußlicheren Tassen, die den aufgedruckten Logos zufolge bestimmt einmal Werbegeschenke von diversen Firmen gewesen sein mussten. Dean kaute unbegeistert auf einer trockenen Scheibe Toast herum, weil nichts anderes zu finden gewesen war und zum Teil wahrscheinlich auch, um Sam zu beweisen, dass er, Dean, wieder vollkommen gesund und einsatzbereit war.

Das aktuelle Gesprächsthema war der Schnee.
 

„Nein“, sagte Sam gerade mit aller Autorität, die er aufbringen konnte, „Du gehst ganz sicher nicht raus.“
 

Dean sah aus, als wüsste er nicht recht, ob er belustigt oder verärgert sein sollte.

„Ach“, sagte er trocken, „Hab ich was nicht mitgekriegt? Machst du hier seit neuestem die Regeln oder was?“
 

„Dean, du bist krank.“
 

„Bin ich nicht.“
 

„Herrgott noch mal, das- bist du doch.“
 

„Weißt du was, Sam, du bist krank. Aber für die Art von Hilfe, die du brauchst, habe ich leider keine Zulassung.“
 

„Ha, ha, wirklich... ein paar Tage Fieber und ich vergesse doch glatt, dass du dich normalerweise für witzig hältst.“
 

„Passiert dir öfter, oder? Dass du so ein, zwei Kleinigkeiten vergisst, meine ich?“
 

„Du kannst mich.“
 

„Und ich verzichte dankend.“
 

Sam fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und ließ seinen Kopf nach vorne auf die Tischplatte kippen. Das war genau die Art von Unterhaltung, die er normalerweise hasste wie die Pest – frustrierend und mühsam und gegen Ende hin hatte er jedes Mal gute Lust, Dean den nächstbesten schweren Gegenstand an den Schädel donnern.

Aber diesmal war es anders und er meinte das im positiven Sinne.
 

Diesmal... es war schwer zu beschreiben. Es fühlte sich irgendwie gesund an (und vielleicht kam er auch nur auf dieses Wort, weil er die vergangenen paar Tage mit Krankenpflege verbracht hatte), richtig und gesund – schlicht und einfach so, wie es eigentlich hätte sein sollen.

Es war kein böswilliger Streit. Da waren keine versteckten Gehässigkeit, keine Hintergedanken oder heimliche Feindseligkeiten. Sie gingen sich auf die Nerven und sie hackten aufeinander herum, sicher, aber das war normal. So war es immer gewesen.
 

Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass irgendwo irgendetwas verdammt verärgert darüber sein musste. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen warum, aber gleichzeitig wusste er, dass es die Wahrheit war.
 

===
 

Die Schaufel schabte über den rauen Untergrund.

Sam richtete sich auf und warf einen Blick über seine Schulter. Die vergangenen zwanzig Minuten hatte er damit verbracht, den Weg zum Parkplatz freizuschaufeln. Der Schnee lag etwa einen halben Meter hoch – noch gar nichts für diese Jahreszeit, wenn man den Geschichten glaubte, die man ihnen über die Winter hier oben erzählt hatte.
 

Im Prinzip war es vergebliche Liebesmühe, denn dem aktuellen Wetterbericht zufolge würde es spätestens heute Nachmittag wieder zu schneien beginnen. Die Arbeit, die er gerade erledigte, war also im Grunde mehr als überflüssig. Trotzdem war er dankbar dafür, etwas zu tun zu haben. Die körperliche Anstrengung tat gut, sie half ihm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.
 

Hier draußen war das Nachdenken viel einfacher, ja sein ganzer Körper fühlte sich leichter und beweglicher an. Unbeschwerter. Frei.

Der Ausdruck erschien ihm eigenartig passend. Fast verlegen realisierte er, dass er schon seit einer ganzen Weile bloß dagestanden und in die Luft gestarrt hatte.

Zeit, dass er endlich fertig wurde.
 

Das schneeverkrustete Schaufelblatt hob und senkte sich regelmäßig und er konnte nicht verhindern, dass sein Gehirn zu anderen Dingen abdriftete. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sorgsam vermieden, darüber nachzudenken, aber jetzt ließ es sich wohl nicht länger aufschieben.

Was zum Teufel war gestern Nachmittag mit ihm losgewesen?
 

Mit wachsendem Unbehagen rief er sich all das zurück ins Gedächtnis, was ihm da plötzlich und ohne Vorwarnung durch den Kopf gegangen war.
 

...wer durfte Deans Märtyrerwahn denn am Ende immer ausbaden...

...all die Jahre hatte er sich lächerlich gemacht...

...er sollte sie Dean in den Rachen stopfen, eine nach der anderen, vielleicht würde ihm das zeigen...

...würde Dean das blöde Grinsen vom Gesicht wischen, würde es ihm äußerst nachdrücklich vom Gesicht wischen und dann...
 

Gestern noch waren ihm alle diese Fetzen vollkommen logisch und nachvollziehbar erschienen, hatten perfekten Sinn ergeben, aber jetzt... alleine bei den Erinnerungen daran wurde ihm beinahe übel. Warum hatte er das bloß gedacht?

Wo war diese ganze Abneigung auf einmal hergekommen, dieser ganze – und alles in ihm sträubte sich dagegen, das Wort auch nur in Betracht zu ziehen – Hass?
 

Großer Gott, dachte er, wenn mich irgendjemand gehört hätte, er wäre glatt auf die Idee gekommen, ich würde Dean jede Sekunde an die Kehle springen.

Doch es hatte ihn niemand gehört und niemand hatte etwas mitbekommen, zumindest niemand außer ihm selbst – und alleine das war fast schon zu viel. Irgendetwas ging hier vor, und die unvermittelte Deutlichkeit, mit der sich der Gedanke vor ihm erstreckte wie ein oft gegangener Trampelpfad, machte ihm klar, dass er diesen Verdacht tief drinnen schon länger gehabt haben musste.
 

Irgendetwas Dunkles ging hier vor, etwas zutiefst Bösartiges... er wusste nur nicht genau was, konnte die Gefahr nicht abschätzen-
 

Thud.
 

Er hielt inne. Was war das eben gewesen?

Ein leises Geräusch- thud.
 

Da war es wieder. Es kam ihm entfernt bekannt vor, aber er wusste nicht woher. So, als ob er es früher schon gehört hätte, das letzte Mal jedoch zu lange zurücklag, um die Verbindung sofort herstellen zu können. Er richtete sich auf, stützte sich schwer auf die Schaufel und sah sich suchend um.
 

Thud, thud.
 

Stirnrunzelnd ging er sämtliche Optionen durch. Was konnte das nur... und dann durchzuckte es ihn wie ein Blitzschlag. Doch, dachte er, eindeutig. Er wusste, was dieses Geräusch verursachte. Aber das konnte doch eigentlich gar nicht...?
 

Thud.
 

===
 


 

Das ganze kursive Zeugs macht mich fertig. Gnargh...

Kratzer

===
 

Schnee, dachte er, eindeutig.

Schnee, der zu Boden fiel.
 

Es klang, als ob Äste ihre weiße Last von sich warfen, wenn der Wind sie schüttelte. Erneut drehte er den Kopf. In der Ferne standen ein paar Tannen, aber sie waren zu weit weg, als dass sie als Verursacher infrage gekommen wären. Suchend sah er sich um. Schnee, der vom Dach fiel, konnte es auch nicht gewesen sein, denn das Hotel war gut dreihundert Meter entfernt und für diesen Abstand war das Geräusch war bei weitem zu laut gewesen.
 

Dann stach ihm etwas ins Auge. Grün.
 

Die Spielplatzgeräte – die Wippe, das Karussell, der Tunnel – waren bis zur Hälfte im Schnee versunken und der Zaun, der die ganze Anlage umgab, glitzerte in der Sonne. Das weite Rasenstück, das sich dazwischen erstreckte, war ebenfalls weiß und der Kiesweg war zur Gänze verschwunden. Die einzige Unterbrechung auf der ansonsten ebenen Fläche waren die schneebedeckten, zugewehten Hügel, unter denen sich die Heckentiere verbargen. Unter denen sie sich hätten verbergen sollen, besser gesagt, denn-
 

Thud.
 

Er hatte sich die sorgfältig zurechtgetrimmten Figuren bisher noch nicht aus der Nähe angesehen, nur im Vorbeigehen einen raschen Blick darauf geworfen, deshalb war er sich auch nicht sicher, womit er es gerade zu tun hatte. Dunkles Immergrün leuchtete ihm entgegen, bildete einen beinahe schon hübschen Kontrast zur Schneedecke.
 

Es sah aus wie ein Hund.

Das Tier hatte sich dicht über dem Boden zusammengekauert und selbst auf die Entfernung hin kam es ihm so vor, als ob er die zu einem gefährlichen Knurren hochgezogenen Lefzen sehen konnte... das war Unsinn.

Niemand schnitt dermaßen genau. Die Heckentiere hatten einfach eine beachtliche Dynamik, das war alles. Für den ganzen Rest war seine Fantasie verantwortlich.
 

Seltsam, dass der Hund die einzige Figur zu sein schien, die weitgehend vom Schnee befreit war. Er runzelte die Stirn. Vielleicht der Wind? Andererseits...

Zögernd sah er zurück zum Hoteleingang. Knappe dreihundert Meter. Er wusste, dass Dean gleich in der Colorado Lounge im Erdgeschoss saß, um sich die Mappe noch einmal anzusehen.

Der Gedanke war tröstlich. Bloß den Weg zurück, den er soeben freigeschaufelt hatte – anderthalb Minuten, mehr würde er nicht brauchen, um dorthin zu gelangen. Anderthalb Minuten, das war gar nichts. Das konnte man nicht einmal als wirkliche Trennung bezeichnen.
 

Thud.
 

Das Geräusch hatte etwas eigenartig Penetrantes und kam ihm viel lauter vor als noch vor wenigen Sekunden. Ärgerlich wandte er sich wieder um.

Im nächsten Moment hielt er erschrocken inne. Das konnte doch nicht...
 

War der Hund etwa näher gerückt?

Lächerlich. Das hier war ein Busch. Ein Busch oder wie Dean es vor ein paar Tagen bezeichnet hatte, „gottverdammtes Grünzeug“. So etwas bewegte sich nicht, nicht einmal in ihrer Welt. Wäre ja noch schöner.

Sein Blick wanderte wieder zurück zu dem vor ihm aufragenden Gebäude. Bisher war ihm noch nie aufgefallen, wie wenig einladend das Overlook von außen aussah. Richtig ungemütlich. Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtete wirkte es fast schon bedrohlich.
 

Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Zum dritten Mal drehte er den Kopf und diesmal war der Anblick genug, um ihn erstarren zu lassen.

Der Hund... das durfte ganz einfach nicht wahr sein.
 

Jetzt waren keine Zweifel mehr möglich, das Tier hatte sich bewegt. So wenig sein Verstand diese Möglichkeit auch zulassen wollte, eine andere Erklärung gab es nicht. Die ursprüngliche Entfernung war so groß gewesen, dass er die genaue Haltung nicht einmal hatte erkennen können, aber jetzt betrug der Abstand keine fünfzig Meter mehr.

Das Tier wirkte gespannt wie eine Bogensehne, hockte dicht über dem Boden und hatte den Kopf in seine Richtung gedreht. Das geöffnete Maul, gespickt mit messerscharfen (...messerscharf? verdammt, das hier ist Grünzeug...!) Zähnen, kam überdeutlich zur Geltung.
 

„Was zum Teufel...“, murmelte er leise und umfasste den hölzernen Stiel zwischen seinen Händen automatisch fester.
 

Die Schaufel war die einzige Waffe, die er hatte. So absurd es ihm auch vorkam, sich gegen etwas verteidigen zu müssen, das aus Blättern und Zweigen bestand, Vorsicht war besser als Nachsicht. Schließlich war ihm Zeit seines Lebens eingetrichtert worden, dass er vorbereitet zu sein hatte und so wenig er die ewigen Predigten ihres Vaters auch gemocht hatte – ein Großteil davon war, innerlicher Widerstand hin oder her, unweigerlich hängengeblieben.
 

Okay, dachte er und es war Deans Stimme, die durch seine Gedanken hallte, ganz ruhig, dann überleg’ mal. Was kann das sein?
 

Er betrachtete den Hund misstrauisch. Der bewegte sich nicht, sondern stand so stocksteif da, wie man das von einem Heckentier nur erwarten konnte. Ein Geist? Vielleicht war das Ding besessen. Eine etwas seltsame Wahl, zugegeben, aber wer war er, um das beurteilen zu können? Vielleicht der ehemalige Gärtner, der sich geweigert hatte, seien Kreationen nach seinem Tod im Stich zu lassen...?
 

Falls es wirklich ein Geist war, dann war das ungut. Er hatte kein Salz und das Schaufelblatt war aus Aluminium. Keine besonders guten Voraussetzungen für eine Konfrontation. Fast schon zögernd und ohne die Augen abzuwenden fasste er in seine Tasche und zog das Handy hervor. Der Drang, Dean anzurufen, kam unvermittelt und war noch stärker, als er erwartet hatte.

Aber das ging nicht – auch ohne hinzusehen wusste er, dass der Netzempfang praktisch nicht vorhanden war. Ein rascher Blick auf das Display bestätigte diesen Verdacht.
 

Ansonsten schien das Elektrogerät jedoch einwandfrei zu funktionieren, was entweder bedeutete, dass er es nicht wirklich mit einem Geist zu tun hatte oder... verdammt, eine andere Erklärung fiel ihm nicht ein. Leises Schaben veranlasste ihn dazu, wieder aufzusehen und als er es tat, musste er sich stark am Riemen reißen, um nicht zurückzuzucken.
 

Der Abstand hatte sich verringert. Schon wieder.

Inzwischen waren es keine vierzig Meter mehr. Der Hund hatte den Kopf gesenkt, schien zu ihm aufzusehen und eine Pfote hing halb in der Luft. Groteskerweise fühlte Sam sich an das Kinderspiel erinnert, bei dem sich jemand mit den Rücken zu den Mitspielern aufstellte und zählte, während die anderen versuchen mussten, zu ihm zu laufen, um ihn zu berühren. Wenn sich das Ziel aber umdrehte, mussten sie wie angewurzelt stehenbleiben und wer sich trotzdem noch bewegte, schied aus.
 

Es stimmt, dachte er, genau das ist es. Das Ding bewegt sich nur, wenn ich nicht hinsehe.

Der aufkommende Wind klang wie weit entferntes Jaulen und mit einem Mal stand ihm das Bild eines Wolfsrudels vor Augen, das über einen Kadaver herfiel.
 

-Blut, Hautfetzen und Muskelfasern, begleitet von tiefem, gutturalem Knurren-
 

Er stieß den Gedanken gewaltsam beiseite, als ihm der unmittelbare Ernst der Lage klar wurde. Geist hin oder her, bis jetzt waren es nur halbherzige Überlegungen gewesen. Das hier war real, er konnte die Bedrohung förmlich spüren.

Vorsichtig machte er einen Schritt zurück. Er war nicht vorbereitet und hatte noch dazu keine Ahnung, womit er es zu tun hatte, also war geordneter Rückzug vermutlich die beste Option, die er hatte.
 

Sein Blick blieb starr auf den Hund gerichtet, der unschuldig dastand und sich nicht vom Fleck bewegte. Noch ein Schritt. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen.

Die Gefahr war nun allgegenwärtig, ja sogar die Luft schien vor Anspannung zu vibrieren. Er wusste nicht, woher die Panik kam, die urplötzlich durch seine Adern rann wie eiskaltes Wasser – schließlich hatte schon weitaus Schlimmeres erlebt – Fakt war jedenfalls, dass sie da war und ihm das Atmen schwermachte.
 

Mit einem Mal wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass das blöde Handynetz doch funktionieren würde.

Dreihundert Meter, dachte er, während er sich weiter rückwärts tastete, das ist gar nichts. Dreihundert Meter und Dean ist da. Das schaffst du. Keine große Sache.
 

Noch ein Schritt und noch einer... glatt. Der Boden unter seinen Füßen rutschte weg und er landete rücklings im Schnee. Eis, eine Eisplatte, um genau zu sein. Eine, die er vermutlich nicht einmal bemerkt hätte, hätte er den gottverdammten Weg vorhin nicht extra freigeschaufelt. Die Landung war nass, tat aber nicht besonders weh. Im Hinfallen hatte er Übung. Trotzdem rappelte er sich hastig auf, kaum dass er den Boden berührt hatte, obwohl er tief drinnen bereits wusste, was er sehen würde.
 

Der Hund war noch näher gerückt.

Inzwischen hatte er wieder alle vier Pfoten auf den Boden gesetzt, den Kopf hoch erhoben und streckte die Schnauze direkt in Sams Richtung. Wenn man saß, wirkte das Tier noch größer als im Stehen... so groß, als könnte es einem Menschen problemlos mit einem Ruck den Kopf abreißen-
 

-Schnee, der sich rot färbte und langsam anfing zu verklumpen, zufriedenes Winseln und Knurren, begleitet vom leisen Rascheln der Blätter-
 

Diesmal war es die Stimme seines Bruders, die ihn zurück in die Realität holte und die ihm befahl, von dort zu verschwinden, so schnell er nur konnte. Etwas strauchelnd kam er wieder auf die Beine, die Schaufel lag vergessen im Schnee.

Keine Panik. Er bekam das hin. Einfach zurück zum Hotel, wie schwierig konnte das schon sein? Steif ging er rückwärts, um einiges vorsichtiger diesmal und ließ den Hund keine Sekunde lang aus den Augen. Solange er hinsah konnte ihm schließlich nichts passieren.
 

Thud.
 

Er zuckte zusammen, als der Laut wieder zu hören war, aber der Hund hatte sich nicht bewegt. Was hatte das zu bedeuten? Warum war-
 

Thud, thud.
 

Aus den Augenwinkeln erkannte er, was es mit dem Geräusch auf sich hatte. Es war nicht der Hund. Ein Stück weiter weg stand eine kleine Gruppe von Heckentieren, deren Äste jetzt ebenfalls ihre Schneelast abzuschütteln schienen. Teilweise schimmerte das Immergrün bereits durch. Er versuchte sich zu erinnern. Welche Tiere waren das gewesen? Es waren mehrere, ein ganzes Rudel... wonach sahen sie aus? Katzen?

Seine Kehle schnürte sich zu, als ihm schlagartig klar wurde, womit er es zu tun hatte. Keine Katzen. Löwen.
 

Gottverdammte Löwen.
 

Thud, thud, thud...
 

Beinahe fasziniert sah er zu, wie sich die Schneeklumpen lösten und zu Boden fielen – so als warteten die Tiere ungeduldig darauf, ihre weiße Last loszuwerden, obwohl sie sich keinen Millimeter bewegten. Erst, als das leise Schaben erneut zu hören war, fiel ihm siedendheiß ein, dass er einen Fehler gemacht hatte.

Der Hund. Er hatte den Hund vergessen.
 

Die Entfernung war in sich zusammengeschrumpft, betrug inzwischen nur mehr zwanzig Meter. Höchstens. Sam war schlecht. Die Angst kroch seine Gliedmaßen hoch, langsam und unerbittlich und die Gänsehaut hatte nichts mit der momentanen Kälte zu tun. Er stand da wie erstarrt, so als wäre er selbst zu einer Figur geworden, die sich nur dann bewegen konnte, wenn niemand hinsah.
 

-sie beobachteten ihn, warten darauf, dass er die Augen abwandte und wenn er das tat-
 

Wie nebenbei nahm er war, dass seine Hände zitterten. Er wusste, dass er den Bildern, die jetzt seinen Kopf durchfluteten, nicht nachgeben durfte. Sie wollten ihn ablenken und wenn er das zuließ, war alles aus-
 

-Blut und klumpiger Schnee, zertrümmerte Knochen und zerrissene Gliedmaßen und was von ihm übrig war, wurde einfach liegenlassen-
 

Der Hund und die Löwen verschwammen vor seinen Augen. Nein, dachte er verzweifelt, er musste doch hinsehen, er musste sich konzentrieren, er durfte nicht-
 

-Dean stand mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck vor den kümmerlichen Resten, die die Tiere übrig gelassen hatten, und nach einer Weile wandte er sich mit einem Schulterzucken ab-
 

Die Stimme hallte in seinem Kopf wieder, laut und klar, so deutlich, als stünde Dean direkt neben ihm und säße keine dreihundert Meter weit entfernt in einem Gebäude. Der hektische, angsterfüllte Tonfall enttarnte das vorhergehende Bild seines großen Bruders, der sich unbeeindruckt abwandte, als das was es war – dumme, haltlose Hirngespinste.

„Sammy, scheiße noch mal, LAUF!!“
 

Er hatte keine Ahnung, ob es eine Erinnerung war oder einfach nur seine Vorstellung davon, was Dean in zu ihm gesagt hätte, wenn er jetzt hier gewesen wäre. Schlussendlich war es auch egal, denn es machte absolut keinen Unterschied. So plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, gehörte sein Körper wieder ihm und im nächsten Moment wirbelte er auch schon herum und rannte.

Rannte zurück zum Hotel, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, die unheilverkündenden Geräusche von fallendem Schnee und leisem Rascheln laut wie Trommelschläge in den Ohren.
 

Zweimal wäre er um ein Haar ausgerutscht und hingefallen, aber er schaffte es irgendwie, das Gleichgewicht zu halten. Gut zwei Drittel des Weges hatte er bereits zurückgelegt, als er endlich wieder einen Blick über die Schulter riskierte und was er sah, ließ ihn erschauern.
 

Zehn Meter.

Mehr Abstand war da nicht mehr zwischen ihm und dem weit aufgerissenen Maul. Scheiße. Scheiße, scheiße... Keuchend blieb er stehen und versuchte, ruhig zu atmen. Es gelang nicht. Ganz ruhig, sagte er sich, solange er hinsah, konnte sie ihm nichts tun. Das war alles, er durfte nur die Augen nicht abwenden. Kurze Pause, dann konnte er weitermachen.
 

Tatsächlich?, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf spöttisch, Glaubst du wirklich, du entkommst ihnen? Du bist doch viel zu langsam...
 

Nein, nein, nein!

Daran durfte er nicht einmal denken. Alles, was er zu tun brauchte, war zu laufen. Das würde er ja wohl noch fertigbringen. Die seltsam irrationale Angst rann durch seinen ganze Körper, als hätte sie jemand von außen in seine Venen gespritzt und mit aller Kraft unterdrückte er den Drang, Deans Namen zu brüllen – nicht so sehr, weil es ihm peinlich gewesen wäre, sondern viel mehr deswegen, weil es rein gar nichts genutzt hätte.
 

Er warf einen letzten Blick auf die inzwischen gänzlich schneefreien Heckentiere, tat einen tiefen Atemzug und drehte sich um.

Als er diesmal losrannte, kamen ihm die hundert Meter bis zum Hoteleingang trotz aller Entschlossenheit unendlich weit vor.
 

===
 

Der ganze Raum roch nach Alkohol.
 

Es überraschte ihn nicht wirklich. Zwar hatte man ihnen glaubhaft versichert, dass den Winter über kein einziger Tropfen im Hotel zurückgelassen wurde, aber das hier war schließlich eine Bar. Der Geruch nach Bier und Spirituosen haftete an, fraß sich gewissermaßen ins Holz der Theke und den Wandverputz, bis man ihn mit allen Reinigungsmitteln der Welt nicht mehr loswurde.
 

Er saß auf einem der Barhocker und starrte schon seit geraumer Zeit in die Luft. Sam war draußen und schaufelte Schnee. Bitte, wenn er unbedingt wollte... Es war verschwendete Zeit, denn spätestens heute Nachmittag würde es wieder schneien und außerdem, wem hätte der freigeschaufelte Weg überhaupt etwas genützt? Andererseits konnte Dean den Drang, hinaus ins Freie zu kommen, nur allzu gut nachvollziehen.
 

Um ehrlich zu sein, er hätte selbst einiges darum gegeben, jetzt irgendetwas unternehmen zu können, aber in Anbetracht der ganzen Spannungen, die es in den vergangenen paar Tagen zwischen ihnen gegeben hatte... so wenig er es sich eingestehen wollte, es tat gut zu sehen, dass Sam sich wieder händefuchtelnd Sorgen um ihn machte. Das war auch bei weitem der einzige Grund gewesen, warum er überhaupt nachgegeben und versprochen hatte, hier drin zu bleiben.
 

Seufzend fuhr er sich mit einer Hand übers Gesicht. Na ja. Es gab vermutlich schlimmeres. Zumindest war sein „Gefängnis“ diesmal bedeutend größer als das handelsübliche Motelzimmer. Die Mappe lag ausgebreitet vor ihm auf dem polierten Holz der Theke, aber besonders weit war noch nicht gekommen.

Er konnte sich einfach nicht konzentrieren, ständig schweiften seine Gedanken ab zu den Dingen, die gestern passiert waren.
 

Die Beretta lag ihm immer noch schwer im Magen und zusätzlich spukte ihm der seltsame Traum mit dem kleinen Jungen im Kopf herum.

...Weil du dir eher selbst was tun würdest als ihm...
 

Ja klar, dachte er bitter, als ob er mit der Aktion gestern nicht genau das Gegenteil bewiesen hätte. Bis vor kurzem war er noch felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sein kleiner Bruder derjenige war, der sich komisch verhielt, aber jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Vor dieser Möglichkeit graute ihm am allermeisten – dass er selber in Wahrheit derjenige war, der hier durchdrehte. Dass er Sam etwas antat und es erst bemerkte, wenn es längst zu spät war.
 

Aus irgendeinem Grund fiel ihm plötzlich ihr Vater ein.

Sorry, Sir, ich hab Sammy erschossen... aber zu meiner Verteidigung, ich hatte irgendwie keine Ahnung, was ich da eigentlich tue...
 

Er war sich nicht sicher, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass er sich die Reaktion auf diesen Satz bildlich vorstellen konnte... und wie bescheuert war es eigentlich, dass er über ein derartiges Gespräch überhaupt nachdachte? Er sollte die Zeit besser nutzen, um etwas Sinnvolles zu tun.
 

Es kam über ihn, gerade als er wieder nach der Mappe greifen wollte und dass ihm sekundenlang die Worte „Nicht doch schon wieder...“ durch den Kopf gingen, wäre wohl ein eindeutiger Beweis dafür gewesen, dass er genau wusste, das etwas nicht stimmte. Doch der Satz wischte so schnell vorbei, dass er ihn kaum richtig wahrnahm und im nächsten Augenblick waren seine Gedanken auch schon voll mit anderen Dingen.
 

-John Winchesters Gesicht, so groß und übermächtig, wie es immer schon gewesen war, das mit gerunzelter Stirn beinahe angeekelt auf ihn hinuntersah-
 

Reflexartig streckte er die Hände aus, um sich an der Theke festzuhalten, weil er sonst womöglich vom Hocker gerutscht wäre und seine Umgebung begann an den Grenzen seines Sichtfelds ineinander zu verschwimmen.
 

-die Stimme seines Vaters, die ihm enttäuscht erklärte, dass auf Sam aufzupassen alles war, was man je von Dean verlangt hatte und offenbar bekam er nicht einmal das auf die Reihe-
 

Mit einem Mal hatte er das ungute Gefühl, zehntausend Augenpaare im Rücken zu haben, die ihn forschend anstarrten. Warum war hinter der Bar kein Spiegel? Er wollte sehen, wer ihn da beobachtete... Sein eigenes Keuchen hallte ihm überdeutlich in den Ohren wieder, beinahe schon theatralisch und er wollte etwas sagen, wollte sich verteidigen-
 

-Dean war unwichtig gewesen, von Anfang an, er hatte zu funktionieren, er hatte zu tun was man ihm sagte, das war alles-
 

-immer war es nur um Sam gegangen, das war die traurige Wahrheit-
 

-und anscheinend war er auch dafür zu blöd-
 

-selbst als Sam nach Stanford abgehauen war, war ihr Vater immer noch stolz auf ihn gewesen. Dean wusste das. Insgeheim hatte John seinen jüngstens Sohn dafür respektiert, dass er seinen Willen durchgesetzt hatte, dass er sich von niemandem etwas hatte sagen lassen-
 

-Dean wurde von niemandem respektiert, er war gerade gut genug, um herumkommandiert zu werden und nicht einmal das brachte ihm irgendeine Form von Achtung ein-
 

-ganz im Gegenteil, umso mehr er sich bemüht hatte, umso stärker er versucht hatte, alles zusammenzuhalten, desto schneller war ihm ihre Familie durch die Finger geronnen-
 

-er hatte nicht einmal verhindern können, dass Sam ging, ein einziges Mal hatte er Gelegenheit gehabt, etwas richtig zu machen und selbst das hatte er versaut-
 

-das schlimmste daran war, dass Sam nicht einmal zu schätzen wusste, wie sehr ihr Dad an ihm gehangen hatte-
 

-nein, stattdessen tat er die ganze Zeit über so, als hätte er keine Ahnung davon, wie sehr ihr Vater ihn geliebt hatte, tat so, als wäre er-
 

Lautes Scheppern ließ ihn zusammenfahren und die Welt war so schnell wieder im Lot, dass ihm sekundenlang dunkle Punkte vor den Augen tanzten. Der Alkoholgeruch hing unglaublich stark und durchdringend im Raum und im dunstigen Zwielicht kam es ihm fast so vor, als stünden da tatsächlich reihenweise Flaschen auf den leeren Regalbrettern hinter der Theke.
 

Dann erst dämmerte ihm, dass das Geräusch, das ihn herausgerissen hatte, keine Einbildung gewesen sein konnte und gerade, als er die Füße auf den Boden setzte, um nachsehen zu gehen, ertönte Sams Stimme – gehetzt und hart an der Grenze zur Panik.
 

„DEAN?!“
 

Sein Herz machte einen Sprung und sein Kopf war schlagartig wieder klar. Scheiße.

Fast stolperte er über seine eigenen Füße, als er Richtung Lobby rannte. Scheiße, scheiße, was war denn jetzt wieder passiert?

Als er um die Ecke bog und seinen kleinen Bruder sah, der direkt vor der breiten Glastür des Eingangs auf die Knie gesunken war, machte sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend breit.
 

„Sam?“, er durchquerte die Halle mit großen Schritten und der kommandieren Tonfall diente einzig und alleine dazu, um seine Angst zu überspielen, „Was ist passiert? Was ist los, was hast du-“
 

Er stockte, als ihm klar wurde, dass das, was da an Sams Händen klebte, Blut war. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie er die restlichen paar Meter überbrückt hatte, denn das nächste, was er wusste war, dass er neben seinem Bruder kauerte und dessen Hände untersuchte.
 

Sam war verschwitzt und atmete so schwer, als wäre er gerade einen Marathon gerannt. Seine Worte waren kurz und abgehackt.

„Nein“, brachte er mühsam hervor und zog seine Hände weg, „Nicht... das ist nicht...“
 

„Was? Sammy, was?! Bist du verletzt? Woher-“
 

Sam schüttelte frustriert den Kopf, gab die halbherzigen Erklärungsversuche auf und deutete stattdessen auf seine Beine. Dean sah nach unten. Der Jeansstoff war an mehreren Stellen zerrissen, um nicht zu sagen zerfetzt. Die Knie waren aufgeschürft und die Unterschenkel... waren das etwa Kratzer? Die Wunden schienen nicht besonders tief zu sein, aber dunkles Blut sickerte unaufhaltsam daraus hervor.
 

Dean streckte die Hand aus, um den Schaden zu begutachten, wusste dann aber nicht so recht, wie er das anstellen sollte und zog sie wieder zurück.

„Sam?“, fragte er behutsam, „Was hast du gemacht?“
 

Sam hob den Kopf, spähte durch das Glas nach draußen und Dean konnte förmlich spüren, wie sein kleiner Bruder unter seinen Händen erstarrte. Er folgte seinem Blick, konnte aber nichts Auffälliges entdecken.
 

Schnee. Jede Menge Schnee, um genau zu sein.

Aber abgesehen davon... weit hinten ließ sich der Parkplatz ausmachen, noch weiter hinten der Spielplatz und dazwischen waren ein paar zugewehte Hügel, die wohl die Heckentiere sein mussten. Und ansonsten... nichts.

Gar nichts.
 

„Also?“, hakte er nach, „Sam, was?“
 

Sein Bruder schüttelte erneut den Kopf. Seine Kiefer waren fest zusammengepresst und er schluckte schwer, bevor er endlich den Mund aufmachte.

„Nichts...“, murmelte er heiser und Dean wollte verdammt sein, wenn er ihm das auch nur eine Sekunde lang abkaufte, „Gar nichts.“
 

Der Ärger, der in ihm aufstieg, kam einzig und alleine von dem nagenden Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn immer überkam, wenn er nicht wusste, was mit Sam nicht stimmte und demnach auch nichts dagegen unternehmen konnte. Den verzweifelten Klang, mit dem sein kleiner Bruder seinen Namen gerufen hatte, hatte er immer noch in den Ohren.
 

„Ah ja“, es klang um einiges aufgebrachter, als er eigentlich vorgehabt hatte, „Gar nichts, alles klar. Deshalb siehst du auch so aus, als hättest du deine Füße in einen Fleischwolf gesteckt, hah?“
 

„Ich...“, Sam räusperte sich und machte Anstalten sich richtig hinzusetzen, um Deans forschenden Händen zu entkommen, was nicht ganz gelang und in einem ziemlich missglückten Fluchtversuch resultierte, „Tja, ich bin... bin hingefallen. Tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich deswegen so ’nen Aufstand gemacht-“
 

Dean unterbrach ihn wütend. Aus irgendeinem Grund erinnerte ihn diese Aussage an die typischen, klischeehaften Ausreden, die man von Opfern häuslicher Gewalt erwartete.

Ich hab mich gestoßen. Ich bin die Treppe runtergefallen. Ich war nur...

„Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?“
 

Er erntete einen müden Blick. Ob das daher kam, weil Sam ihm klarmachen wollte, dass er diese Reaktion erwartet hatte und ihn wirklich für einen Idioten hielt oder einfach nur daher, weil er keine Lust darauf hatte, herumzustreiten – Dean wusste es nicht. Es war ihm auch egal.

„Bitte“, sagte Sam lahm, „Wenn du mir nicht glaubst, dann sieh doch nach.“
 

Dean runzelte die Stirn. „Was? Wovon redest du?“
 

Sam deutete nach draußen, in Richtung der Treppe, die hinauf zur Eingangstür führte.

„Da“, sagte er überdeutlich, „Hin-ge-fallen. Irgendeine der letzten paar Stufen. Überzeug dich selbst, mach schon.“
 

Tatsächlich aufzustehen und seinen kleinen Bruder loszulassen kostete Dean mehr Überwindung, als er gedacht hatte. Widerwillig machte er ein paar Schritte, warf einen zögernden Blick zurück und sah direkt in Sams blasses, entschlossenes Gesicht.

„Okay, okay“, murmelte er geschlagen und hob die Hände.
 

Dann stapfte er nach draußen.
 

===
 


 

Haha, das passt jetzt eigentlich überhaupt nicht hierher, aber ich muss es einfach loswerden:

Also, mein kleiner Bruder hat letztens durch Zufall irgend ’ne Supernatural-Folge im Fernsehen gesehen und jetzt ist er gegenüber unserem ganz kleinen Bruder total auf einem „guter-großer-Bruder“-Trip. Und unser ganz kleiner Bruder findet das sehr seltsam und verdächtig und hat überhaupt keine Ahnung, was eigentlich abgeht.

ES IST SOWAS VON GÖTTLICH!! :D
 

Ich könnte mich den ganzen Tag einfach nur wegschmeißen. Irgendwie ist es süß und irgendwie saumäßig lustig.

Generalschlüssel

Nicht Korrektur gelesen - wirklich kein bisschen, also keine Garantie.

Und zwar für gar nichts. xD
 

===
 

Sam log.
 

Es war egal, dass das Blut auf dem Treppenabsatz echt war. Es war egal, dass er selbst behauptete, er wäre bloß hingefallen. Es war auch egal, dass es weit und breit nichts zu geben schien, an dem er sich hätte verletzten können.

Dean wusste, dass er log, mit derselben Sicherheit, mit der schon früher immer gewusst hatte, dass nicht „alles okay“ war, wenn sein kleiner Bruder von der Schule nachhause gekommen war, verbissen mit den Schultern gezuckt und sich weggedreht hatte.
 

Er betrachtete den blutigen Fleck auf der vereisten Treppe eingehend, bevor er aufstand und Sam, der immer noch dort saß, wo er ihn zurückgelassen hatte, durch das Glas einen finsteren Blick zuwarf.
 

Im Schnee war ein deutliches Paar Fußabdrücke zu sehen – von jemandem, der offensichtlich gerannt war, als ginge es ums nackte Überleben. Es kostete ihn einiges an Überwindung, sich nicht noch einmal umzudrehen, als er die letzten paar Stufen hinunter stieg. Stattdessen starrte er stur auf die eindeutige Beweislage, die sich vor ihm auf dem Boden abzeichnete.

Mal ehrlich, hielt Sam ihn denn für komplett bescheuert?
 

Das helle Weiß vor seinen Augen schien sekundenlang zu flimmern.

-aber natürlich tat er das, sein kleiner Bruder war immer schon der Meinung gewesen, dass Dean dumm war, dumm und un-
 

Das Knirschen des Schnees unter seinen Füßen war das Einzige, das ihn erkennen ließ, dass er die Treppe hinter sich gelassen hatte.

-das hatte Sam ihm doch auch oft genug deutlich zu verstehen gegeben, oder etwa nicht?-
 

Wie nebenbei nahm er war, dass seine Beine sich bewegten, langsam und wie in Trance, weg vom Hotel-

-von wegen hingefallen, wahrscheinlich dachte der Kerl sogar jetzt, dass Dean die offensichtliche Lüge nicht auffallen würde-
 

Das Geräusch, das anzeigte, dass jemand die Eingangstür geöffnet hatte, riss ihn aus dem flirrenden Nebel, der sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte.

„Dean?“
 

Er wandte sich um. Sam stand am Treppenabsatz, die Hand immer noch auf dem massiven, gusseisernen Griff der Glasstür, so als hätte er Angst davor, ihn los- und die Tür damit zuschlagen zu lassen. Sekundenlang hatte Dean das Bild einer Gestalt vor Augen, die genauso verzweifelt wie vergeblich daran rüttelte. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter, weil das Hotel nicht wollte, dass... Mann.

Ging das schon wieder los?
 

Erst jetzt fiel ihm auf, wie weit er sich eigentlich vom Eingang entfernt hatte. Sams Blick wanderte unruhig zwischen ihm und etwas anderem hin und her, dass sich ganz offensichtlich hinter Deans Rücken befand. Der runzelte die Stirn, widerstand aber dem Drang, sich auf der Stelle umzusehen und schlenderte betont beiläufig ein Stück zurück.

„Was?“
 

Sam stand immer noch am Treppenabsatz, so als hätte ihn jemand dort festgeklebt.

„Du...“, er klang angespannt, „Du solltest nicht...“

Er schien zu dem Schluss zu kommen, dass er nicht wusste, wie er das, was er sagen wollte, am besten an den Mann bringen sollte und brach ab.
 

Dean spürte, wie seine Ungeduld langsam aber sicher zu echtem Ärger wurde. Es war eine Sache gewesen, wenn Sam ihm früher nicht hatte sagen wollen, welcher der verzogenen Rotzbengel seiner Grundschulklasse sich über ihn lustig gemacht hatte, aber das hier war etwas völlig anderes. Das hier war ein Job. Gefährlich und möglicherweise lebensbedrohlich und alles, was sein kleiner Bruder wusste, betraf ihn genauso.

Er ignorierte die leise Stimme in seinem Hinterkopf, die ihm hämisch zuflüsterte, dass er Zimmer 217 auch nicht erwähnt hatte. Mal ehrlich, ein laufender Wasserhahn? Das konnte man ja wohl nicht vergleichen.
 

Vielleicht klang er auch nur deshalb so ungehalten, weil er sich gegen ebendiesen Vorwurf seines Unterbewusstseins zur Wehr setzen wollte – Tatsache war jedenfalls, dass er sich stocksauer anhörte, als er endlich den Mund aufmachte.

„Was, Sam? Hah?“, er breitet die Arme aus und machte ein paar Schritte zurück, „Was?! Was soll der Scheiß, warum-“
 

„Bleib stehen!“

Das klang so nachdrücklich, dass Dean automatisch innehielt. Sicherheitshalber warf er nun doch einen Blick über seine Schulter, aber da war immer noch nichts. Was zum Teufel war hier nur los?
 

„Warum?“, wiederholte er und klang dabei schon nicht mehr wütend, sondern viel eher besorgt, „Sammy, was geht eigentlich hier ab?“
 

Sam schüttelte den Kopf. „Du...“, setzte er wieder an, „Drinnen. Okay? Ich erklär’s dir drinnen.“
 

Das war doch...! Der Kerl hatte Stimmungsschwankungen, ganz ehrlich. Erst scheuchte er einen hinaus in die Kälte, um sich ein paar blutbefleckte Stufen anzusehen und dann schob er plötzlich Panik, weil man genau das tat, was er in erster Linie von einem verlangt hatte. Beinahe schon resigniert ließ Dean die Arme wieder sinken, doch er verbiss sich jeden Kommentar.
 

„Schön“, brummte er stattdessen, „Ganz wie Majestät wünschen. Ist ja nicht so, dass ich hier noch groß was zu sagen hätte, wirklich...“

Als er die Treppe erklomm, vermied er es tunlichst, seinen Blick auf die Absatzkante zu richten, denn Sams Blut dort zu sehen, wo es nicht hingehörte, fiel ihm nach all den Jahren immer noch schwer. Und plötzlich ertönte ein leises Geräusch.
 

Thud.
 

Noch bevor er den Mund aufmachen konnte, um Sam zu fragen, ob er das eben auch gehört hatte, hatte ihn sein kleiner Bruder schon am Kragen gepackt und äußerst unsanft nach drinnen gezerrt. Die Glastür fiel mit ohrenbetäubendem Krachen hinter ihnen in Schloss.
 

===
 

„Also... woah. Warte. Du meinst, die... die Heckentiere?“
 

Sam lehnte mit verschränkten Armen an der Rezeption und sah fast schon verlegen aus.

„Was denn...“, murmelte er, „Du wolltest es doch hören.“
 

Da hatte er Recht. Die Sache war bloß... okay, Dean hatte keine Ahnung, was die Sache war. Um ganz ehrlich zu sein, er hatte keine Ahnung, was hier überhaupt Sache war. Na schön, zugegeben, sie hatten schon so einiges erlebt und man konnte wohl auch mit Fug und Recht behaupten, dass ihr Erfahrungshorizont den eines normalen Menschen problemlos um ein paar Meter überragte, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er aus dieser Geschichte hier auf der Stelle schlau werden musste!
 

Immerhin waren sie schon vor Wochen zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Ursache dafür, warum sich im Overlook jedes Mal, wenn jemand den Winter hier oben verbrachte, die Leichen zu stapeln schienen wie Duplo-Steine, um Geister handelte. Ein bisschen hinterhältiger und möglicherweise auch eine Spur kreativer als die Biester, die solche Gemäuer normalerweise heimsuchten, ja, das vielleicht, aber Grünzeug?

Das war... nun ja, irgendwie ungewöhnlich.
 

Auf der anderen Seite spukte ihm schon die ganze Zeit jener Nachmittag im Kopf herum, an dem er tatsächlich gedacht hatte, die Heckentiere hätten sich bewegt. Damals hatte er das als bloßes Hirngespinst abgetan – möglicherweise war es bereits ein Anzeichen für das darauffolgende Fieber gewesen – aber dass Sam nun behauptete, tatsächlich von den Dingern verfolgt worden zu sein, warf ein vollkommen neues Licht auf die Sache.
 

Dean versuchte, einen verstohlenen Blick durch die Glasfront nach draußen werfen und wusste schon in der nächsten Sekunde, dass er in punkto Unauffälligkeit nicht besonders erfolgreich gewesen war.

Sam biss sich auf die Lippe und starrte hinunter auf seine Füße.
 

Und zugegeben... dass die zugewehten, im Moment vollkommen harmlos wirkenden Gestalten das einzige Anzeichen dafür waren, dass es dort draußen überhaupt etwas gab außer Schnee und Eiszapfen, ließ sich schwer abstreiten. Allerdings hatte das inzwischen größtenteils verkrustete Blut auf Sams Hosenbeinen auch so einiges für sich. Ganz abgesehen davon – sie waren ein Team. Was Sam sagte, das galt, selbst wenn er erzählt hätte, das Monster von Loch Ness höchstpersönlich wäre aus einer Pfütze gekrochen und hätte ihn einmal rund ums Hotel gejagt.
 

Wenn sein kleiner Bruder sagte, dass es die Heckentiere waren, die seine Unterschenkel aufgeschlitzt hatten, dann war Dean auch geneigt, das zu glauben. Basta.

Vor allem dann, wenn er selbst bereits die Light-Version dieser Geschichte am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.
 

„Was?“, sagte Sam, sah ihn dabei jedoch immer noch nicht an, „Glaubst du, ich denke mir das aus?“
 

„Nein“, sagte Dean langsam. Sekundenlang herrschte Stille.
 

„Nein“, wiederholte er dann entschieden, „’türlich nicht. Du sagst, die Dinger haben sich bewegt, also haben sich die Dinger auch bewegt. Im Klartext bedeutet das, dass wir uns die Menagerie mal näher ansehen sollten.“
 

Sams Kopf fuhr ruckartig in die Höhe. „Du kannst da jetzt nicht rausgehen!“
 

Der Ausbruch war etwas zu heftig, selbst für die gegebenen Verhältnisse, doch Dean ließ sich nichts anmerken. Innerlich war er bereits in Alarmbereitschaft, seit er Sam blutend in die Lobby gefunden hatte, aber als er sprach, klang seine Stimme vollkommen ruhig.
 

„Okay, okay... muss ja nicht sofort sein“, er zog eine Grimasse, „Schon vergessen? Wir haben alle Zeit der Welt.“
 

Sam schnaubte und unter gegebenen Umständen war das sogar ein positives Zeichen.

„Ach ja“, bemerkte er trocken, „Stimmt. Hilf mir mal auf die Sprünge... warum war das noch ’ne gute Sache?“
 

Dean klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Es reichte vollkommen aus, wenn sich das ungute Gefühl in seiner Magengegend breitmachte. Sowohl die unwillkürlichen Panik, als auch die Wut darüber, dass Sam möglicherweise versuchte, ihn für dumm zu verkaufen, waren verflogen. Zurückgeblieben war nur ein schaler Nachgeschmack in seinem Mund und das Ziehen, das ihm bereits seit Stanford bestens bekannt war – das nagende Gefühl, dass Sam ihrer Familie - Dean – nicht vertraute.

Irrational und dumm... aber was wollte man machen?
 

„Weil wir dich wieder zusammenflicken können, bevor wir einen auf Hundefänger machen. Beziehungsweise Katzenfänger... was auch immer.“
 

Auf diese Bemerkung hin sah Sam doch tatsächlich schon wieder verlegen drein.

„Sind bloß Kratzer...“, murmelte er abwehrend. Dennoch schien es ihm ganz recht zu sein, die Glasfront fürs Erste hinter sich zu lassen und folgte bereitwillig, als sein großer Bruder die Lobby Richtung Treppe durchquerte.
 

===
 

Das Verarzten war dann doch etwas unschön.
 

Ein Teil des Blutes war bereits eingetrocknet und hatte den Jeansstoff an Stellen festgeklebt, an denen besser kein Jeansstoff hätte kleben sollen. Sam biss die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich, aber besonders angenehm war die ganze Prozedur trotzdem nicht – für keine der beiden betroffenen Parteien.
 

Als das Nötigste getan war, zerrte Dean ihre Taschen unter dem Bett hervor und förderte alles zutage, was ihnen auch nur im Entferntesten hilfreich sein konnte. Jetzt wäre beispielsweise das EMF-Meter eine verdammt nützliche Sache gewesen, aber das bestand nur mehr aus Einzelteilen und lag sicher verstaut in der untersten Nachtkästchenschublade.
 

Er machte die obligatorische Bemerkung über beschissene Technik, die nie funktionierte, wenn man sie wirklich mal gebrauchen konnte, doch Sam antwortete nicht, sondern grinste nur leicht. Vermutlich tat er das, weil er die leidige Geschichte mit dem Fahrstuhl nicht schon wieder aufwärmen wollte.
 

Als sie schließlich die Eingangshalle durchquerten, war es bereits später Nachmittag. Sie hatten Kriegsrat gehalten, noch bevor sie das Apartment überhaupt verlassen hatten, doch besonders viel war dabei nicht herausgekommen.

Sicher, es gab ein paar Möglichkeiten und sicher, sie hatten ein paar Ideen, worum es sich handeln konnte, aber wenn sie ganz ehrlich waren – sie hatten keinen blassen Schimmer, womit sie es gerade zu tun hatten.
 

Dean war ganz ehrlich dankbar dafür, dass heller Sonnenschein sie empfing, als sie das Hotel verließen. Wieder schien Sam für den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, ob er den Türgriff loslassen sollte, aber dann tat er es doch und dass das Zufallen der Tür etwas erschreckend Endgültiges hatte, ließ sich beim besten Willen nicht leugnen.
 

Das Bild der einsamen Gestalt, die verzweifelt daran rüttelte, war mit einem Mal wieder da, aber Dean ignorierte es entschlossen. Das war definitiv der falsche Moment für diesen Blödsinn. Vielleicht würden sie sich in wenigen Augenblicken Auge in Auge mit etwas wiederfinden, das potenziell tödlich war. Er musste sich konzentrieren.

Leider schien sein Körper der Ansicht zu sein, dass dies ein passender Zeitpunkt war, um ihn daran zu erinnern, dass er gestern noch flach- und mit Fieber im Bett gelegen hatte.
 

Er atmete tief durch. Sam.

Da war Sam, direkt hinter ihm. Sam war wichtig, also musste er sich gefälligst zusammenreißen.

Bravo, sagte eine spöttische Stimme in seinem Hinterkopf und kurz war er sich sicher, Gelächter zu hören, dein alter Herr hätte es nicht besser ausdrücken können.
 

„Dean...?“
 

Sekundelang war er überzeugt davon, dass er wieder stehengeblieben war und in die Luft gestarrt hatte, aber diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Vermutlich hatte er bloß kein besonders intelligentes Gesicht gemacht.

„Nichts“, sagte er und schenkte Sam, der sich nicht gerade wohl in seiner Haut zu fühlen schien, ein breites Grinsen, „Also? Was ist jetzt mit dem durchgeknallten Zoo?“
 

===
 

Nichts war mit dem durchgeknallten Zoo, wie sich gut zehn Minuten später herausstellte. Die Heckentiere standen steif und unbeweglich auf den Plätzen, die ihnen von Mutter Natur oder einem besonders kreativen Landschaftsgärtner zugeteilt worden waren und rührten sich keinen Millimeter vom Fleck.
 

Es gab keine Spuren, weder im Schnee, noch sonst irgendwo und hätte Dean vor ein paar Tagen nicht schon selbst Bekanntschaft mit den Viechern geschlossen, wäre er durchaus ein wenig misstrauisch gewesen, was Sams Zurechnungsfähigkeit betraf.

Wobei... vielleicht auch nicht. Aber er hätte zumindest ein paar gesunde Zweifel gehabt.
 

Sein kleiner Bruder, der all das natürlich nicht wissen konnte, hörte nicht auf, ihm Seitenblicke zuzuwerfen – so als wollte er sich davon überzeugen, dass Dean ihn noch nicht für völlig durchgeknallt hielt.

Gut eine halbe Stunde lang stapften sie zwischen den zurechtgestutzten Sträuchern hin und her, ohne dass auch nur das Geringste passierte und schließlich gaben sie es auf. Am Horizont ragte schon die nächste Wolkenfront auf, bedrohlich und dunkel, und als sie sich auf den Weg zurück zum Hotel machten, brauchte Dean mehrere Anläufe, bis er seinen Blick von den zahlreichen Fußspuren losreißen konnte, die die ehemals makellose Schneedecke nun durchzogen wie störende Fäden.
 

Sam schien überhaupt unwohl zu sein bei dem Gedanken daran, den Heckentieren den Rücken zuzudrehen und als sie die Glasfront des Eingangs endlich erreicht hatten, wusste Dean nicht so recht, ob er die Tatsache, das rein gar nichts passiert war, als tröstlich oder beunruhigend empfinden sollte.
 

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Sam saß da und starrte die auf der Tischplatte ausgebreiteten Einzelteile an, ohne sie wirklich zu sehen. Das Papier, auf dem sie lagen, war alt und verblichen und die Zeitung, von der es stammte, datierte vermutlich zurück ins vorige Jahrzehnt.

Zwar war im Overlook zu Betriebszeiten von der New York Times bis hinunter zu diversen Schundblättern alles zu haben, was der aktuelle Zeitungsmarkt hergab, aber hier im Apartment war nicht allzu viel davon zu finden gewesen.
 

Dean, die Zunge zwischen die Zähne geschoben, saß mit dem Schraubenzieher in der Hand da und versuchte das EMF-Meter zu retten. Zugegeben, Sam war sich nicht ganz sicher, was genau sein Bruder tat, aber selbst er wusste, dass erfolgreiche Versuche anders aussahen.
 

Er hatte Kopfschmerzen – ein konstantes Ziehen hinter den Schläfen, das schlimmer wurde, sobald er auch nur blinzelte. Schon seit geraumer Zeit spielte er mit dem Gedanken, es für diesen Tag gut sein zu lassen und einfach schlafen zu gehen, aber das Ziffernblatt der Uhr zeigte erst halb acht Uhr abends und das war dann doch irgendwie jämmerlich.
 

Seit sie von draußen zurückgekommen waren, hatte er es sorgfältig vermieden, darüber nachzudenken, was Dean jetzt von ihm halten mochte – oder besser gesagt, was er von der Geschichte, die Sam ihm aufgetischt hatte, halten mochte.

Sein Bruder hatte bis auf die Bemerkung, dass sie in Zukunft wohl besser ein Auge auf die Viecher haben sollten, nichts gesagt und Sam wusste nicht so recht, ob er das als positives oder negatives Zeichen werten sollte.
 

Eines war jedenfalls sicher, falls Dean ihm tatsächlich nicht glaubte, versteckte er es verdammt gut. Andererseits... in solchen Sachen war er immer schon Weltklasse gewesen, das wusste Sam aus Erfahrung. Wahrscheinlich hätte Dean ihm auch noch einreden können, dass alles gut werden würde, wenn sie beide bis zum Hals in Treibsand gesteckt hätten und sein großer Bruder insgeheim längst dabei gewesen wäre, die Nerven wegzuschmeißen.
 

Wie auch immer, die Zweifel waren da und nagten an seinen Eingeweiden, so sehr er sich auch bemühte, sie zu ignorieren. Erschrocken zuckte er zusammen, als vor seinem Gesicht eine altbekannte Hand mit den Fingern schnippte. Dann sah er auf und das amüsierte Grinsen, das über den Tisch hinweg zu ihm herüberblitzte, beruhigte und ärgerte ihn gleichermaßen.

„Was?“
 

„Nichts“, sagte Dean, „Die Sache ist nur die, vielleicht solltest du... also, nicht dass ich dir Vorschriften machen will oder so was, aber...“
 

Der zaghafte Vorstoß war untypisch, denn wenn man etwas über Dean sagen konnte, dann dass er für gewöhnlich gerne mit der Tür ins Haus fiel. Subtext war nicht gerade seine Stärke – es sei denn, es ging um Gefühle und sein männlicher Stolz ließ ihm keine andere Alternative.

Sekundenlang fragte sich Sam, wann genau in letzter Zeit sie eigentlich den Punkt erreicht hatten, ab dem sie es für nötig hielten, dermaßen vorsichtig miteinander umzugehen. Irgendetwas hatte sich verschoben, das war klar, denn in ihren Gesprächen tasteten sie umeinander herum, als gäbe es versteckte Fallen, in die man nicht hineintreten durfte.
 

Zumindest ihm selbst ging es so. Nachdem er den Heckentieren entkommen war, hatte er zuerst allen ernstes darüber nachgedacht, die ganze Geschichte einfach zu verschweigen. Aus naheliegenden Gründen hatte das nicht funktioniert, aber selbst als er mit der Sprache herausgerückt war, hatte er jedes Wort genau abgewogen, bevor er es ausgesprochen hatte.

So als müsste er mit einem Mal auch dann auf der Hut sein, wenn er mit Dean sprach.
 

„Was?“, fragte er erneut und hoffte, dass es nicht so genervt klang, wie es sich in seinen eigenen Ohren anhörte.
 

Er erntete betont beiläufiges Schulterzucken.

„Vielleicht solltest du lieber pennen gehen, huh? Nimm’s mir nicht übel, aber du siehst aus, als könntest du’s gebrauchen.“
 

Und das kam ausgerechnet aus dem Mund von jemandem, der selber so müde aussah, als hätte er die vergangenen achtundvierzig Stunden kein Auge zugemacht. Doch Sam wollte nicht streiten, nicht einmal zum Spaß.

Dafür fühlte sich die Lage irgendwie zu ernst an.
 

Er nickte langsam, so als wäre ihm der Gedanke an diese Möglichkeit noch gar nicht gekommen.

„Ja“, sagte er und stand auf, „Gute Idee. Ich denke echt, das werde ich machen.“
 

Dean sah erleichtert aus und klopfte ihm im Vorbeigehen auf den Unterarm.

„Schlaf dich aus, ja?“
 

Sam rang sich ein Lächeln ab und verzog sich ins Schlafzimmer. Die Tür zog er hinter sich zu, aber er schloss sie nicht ganz – irgendwie war es ganz angenehm, Deans gemurmelte Flüche durch den Türspalt zu hören, während er einschlief.
 

===
 

Eine Stunde später war Dean drauf und dran, den ganzen Krempel einfach hinzuschmeißen und selber ins Bett zu gehen, als die Schlafzimmertür aufging.
 

„Was...“, er schob die EMF-Teile zur Seite, „Ich dachte, du schläfst?“
 

Sam sah ihn nicht an.

„Nein“, sagte er, „Ich meine, ich hab geschlafen, aber...“

Er wirkte hellwach und angespannt. „Dean, ich brauche den Schlüssel.“
 

Dean konnte förmlich spüren, wie die Müdigkeit aus seinem Körper verschwand.

„Welchen Schlüssel?“
 

„Den Generalschlüssel. Du weißt schon, das Ding, das alle Türen...“
 

„Ja, ja, schon klar. Nur... wozu?“
 

Der Blick, den er kassierte, war pures Misstrauen. So als wäre Sam schlagartig etwas klar geworden, allein aufgrund der Tatsache, dass Dean nachgefragt hatte, wofür er den Schlüssel überhaupt brauchte.

„Wo ist er, Dean?“
 

Nachgeben lautete die Devise – abgesehen davon war es spät und Dean kam sich irgendwie überrumpelt vor.

„Jackentasche“, sagte er, „In meiner-“
 

Er hatte den Satz nicht einaml zu Ende gesprochen, als Sam auch schon das Zimmer durchquert und den Generalschlüssel aus den Tiefen seiner Jacke hervorgenestelt hatte. Seine Bewegungen waren fahrig, fast schon unkontrolliert und Dean konnte die Alarmglocken in seinem Kopf läuten hören.
 

Doch als Sam die Apartmenttür aufriss und hinaus auf den Gang stolperte, gab es kein Halten mehr. Dean stieß den Stuhl so heftig zurück, dass er nach hinten umkippte und hetzte seinem Bruder nach.

„Woah, woah, warte mal! Wo zum Teufel willst du hin?“
 

Sam machte so große Schritte, dass Dean beinahe rennen musste, um nicht zurückzufallen. Antwort kam keine und um ganz ehrlich zu sein, irgendwie hatte er auch nichts anderes erwartet. Er streckte die Hand aus und versuchte es erneut.

„Sam! Hey! Was soll-“
 

Weiter kam er nicht, denn Sam stieß seinen Arm ruckartig zur Seite, um einiges kräftiger, als nötig gewesen wäre.

„Ich muss was nachsehen.“
 

„Und was? Du... scheiße noch mal, ich rede mit dir!“

Der letzte Teil war bereits um einiges zu laut, um nicht aufgebracht zu klingen, aber es war egal – Sam kümmerte sich ohnehin nicht darum.
 

Dean unterdrückte den Drang, ihn zu packen und gewaltsam zum Stehen zu bringen. Das war keine gute Idee, definitiv nicht. Stattdessen beschränkte er sich darauf, neben seinem kleinen Bruder herzumarschieren, der daraufhin zwar noch schneller wurde, ihn aber trotzdem keines Blickes würdigte.

Erst als Sam so abrupt stehenblieb, dass Dean um ein Haar in ihn hineinrannte, wurde ihm klar, wo sie sich befanden.
 

217 verkündeten die hübschen Goldziffern an der Tür und aus irgendeinem Grund wurde ihm eiskalt. Zimmer 217.

Warum... nicht doch schon wieder.
 

„Sam?“, hakte er nach, etwas vorsichtiger diesmal, „Was machen wir hier?“
 

Die Frage wurde ignoriert. Sam steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn einmal, zweimal und mit leisen Knacken gab das Türschloss nach. Dann legte er die Hand auf die Klinke, hob den Kopf und musterte Dean von oben bis unten. Er schien auf irgendetwas zu warten, einen bestimmten Gesichtsausdruck, eine Reaktion...
 

Was er zu sehen bekam, war vermutlich eine Mischung aus Verwirrung und Verärgerung, denn Dean war sich ziemlich sicher, dass die Worte „was zur Hölle?“ nicht einmal annährend ausreichten, um zu beschreiben, was gerade in ihm vorging.

Er wusste nicht, ob er etwas sagen sollte. Sam drückte die Klinke nach unten, stieß die Tür ein Stück weit auf und was auch immer er in Deans Gesicht ablesen konnte, schien er ziemlich komisch zu finden, denn mit einem Mal verzogen sich seine Lippen zu einem schmalen Grinsen.
 

Dean furchte die Stirn. „Okay, raus mit der Sprache. Hast du was getrunken? Was eingeworfen? Warum-“
 

Sam ging nicht darauf ein.

„Hey“, sagte er, „Weißt du was?“
 

Dean konnte sich nicht konzentrieren. Etwas nagte in seinem Hinterkopf, kroch dort herum wie ein nervtötendes Insekt. Das leise Rauschen von Wasser...?

„Nein“, sagte er, „Was?“
 

Sams Grinsen wurde breiter.

„Du fällst wirklich auf alles rein.“
 

Der Schlag kam aus heiterem Himmel und erwischte ihn kalt, noch bevor Deans Gehirn die Worte, die ihm vorausgegangen waren, überhaupt richtig aufgenommen hatte. Er stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und knallte gegen etwas, das unter seinem Gewicht augenblicklich nachgab – die Zimmertür, wie er in der nächsten Sekunde feststellen musste. Der Raum war stockfinster, was den Boden, auf dem er landete, nicht weniger hart machte. Seine Unterlippe schmerzte und etwas feucht-klebriges rann ihm übers Kinn.
 

Noch ehe er etwas sagen oder sich wieder aufrappeln konnte, war das hell erleuchtete Rechteck direkt vor ihm plötzlich verschwunden. Die Tür schlug zu und pechschwarze Dunkelheit umgab ihn, aber nichts, nichts davon, nicht einmal das klickende Geräusch, das signalisierte, dass der Schlüssel soeben wieder im Schloss gedreht worden war, machte ihn so nervös wie das sanfte Shhhhh... das mit einem Mal viel deutlicher zu hören war und nur einen einzigen logischen Schluss zuließ: Irgendwo, vermutlich im Badezimmer, lief Wasser.
 

Schon wieder.
 

===

Zimmer 217

===
 

Der Gedanke an Flucht war das Erste, was ihm instinktiv durch den Kopf schoss. Der Zweite war schon etwas rationaler – Licht. Er brauchte Licht.
 

Immer noch benommen rappelte er sich hoch und erwartete dabei halb, in der Dunkelheit gegen irgendetwas zu stoßen, doch der Weg war frei. Er rutschte zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß, stabil und beruhigend kühl.

Lichtschalter.
 

Der ungefähre Umriss, der, soweit er sich erinnern konnte, für alle Zimmer im Westflügel galt, stieg vor seinem inneren Auge auf. Der Lichtschalter befand sich für gewöhnlich gleich neben der Tür... Er streckte die rechte Hand aus, fuchtelte damit herum, bis er Holz unter seinen Fingern spürte.

Das leise Rauschen von Wasser schien von Sekunde zu Sekunde lauter zu werden, aber er wusste, dass er sich diesen Umstand möglicherweise auch nur einbildete.
 

Seine Unterlippe pochte dumpf, aber diese Art von Schmerz war er mehr oder weniger gewohnt. Hätte er Zeit seines Lebens jedes Mal einen Aufstand gemacht, wenn ihm irgendjemand eine verpasst hätte... Sein eigenes Keuchen klang unangenehm laut in der Finsternis, die ihn umgab und er widerstand sowohl dem Drang, über die Feuchtigkeit zu wischen, die ihm mittlerweile übers Kinn lief, als auch dem Bedürfnis, Sam durch die Tür zu fragen, ob er jetzt vollkommen verrückt geworden war.
 

Später, sagte er sich und fast war es beruhigend zu spüren, dass, wie sonst auch in solchen Situationen, das lebenslange Training ihres Vaters Überhand nahm, dafür hatte er später noch Zeit. Erst mal Licht, um zu sehen, womit er es hier zu tun hatte. Dann kam der ganze Rest.
 

Es dauerte ein paar endlose Sekunden, bis er den Schalter zu fassen bekam und als er ihn betätigte, befürchtete er ernsthaft, dass nichts passieren würde – ein Irrtum, wie sich gleich darauf herausstellte. Im ersten Augenblick war das Licht so hell, dass er benommen blinzeln musste. Das Zimmer war leer, das Bett gemacht, die Vorhänge zugezogen.
 

Alles sah so aus, wie es eigentlich sollte. Adrett. Ordentlich.

Bis auf das Geräusch von laufendem Wasser...
 

Er war auf den Beinen, sobald sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten und blieb nahe der Tür.

„Sam?“
 

Keine Reaktion.

Nichts bewegte sich hinter der Tür, nicht einmal Schritte waren zu hören und er kämpfte gegen das aufsteigende Gefühl der Einsamkeit an, das ihm schon zu schaffen gemacht hatte, während er in diesem gottverdammten Fahrstuhl festgesessen hatte.

-verlassen, alleine und verlassen, niemand scherte sich auch nur einen Dreck um ihn-
 

„Sam?!“

Es kostete ihn alles an Überwindung, die er aufbringen konnte, um nicht mit der Faust gegen die Tür zu schlagen. Tief drinnen wusste er irgendwie, dass er, wenn er einmal damit angefangen hatte, nicht mehr würde aufhören können.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Badezimmertür nur angelehnt war – vermutlich mit ein Grund, warum das Wasser selbst draußen auf dem Flur so deutlich zu hören gewesen war. Seine Stimme klang kratzig, als er es erneut versuchte.
 

„Sam, scheiße noch mal!“

-sein Bruder war weg, fort, schon auf dem Weg nach draußen und würde ihn hier alleine zurücklassen, ihn hier VERROTTEN lassen, schließlich hatte er das schon einmal-
 

Okay, das war genug! Er musste sich zusammenreißen.

Mit einer energischen Handbewegung fuhr er sich übers Kinn und wischte das Blut ohne hinzusehen in seine Jeans. Sekundenlang überlegte er, einfach auf den Teppichboden zu spucken, um den metallenen Geschmack in seinem Mund loszuwerden, doch dann ließ er es bleiben.
 

Irgendwas war ging hier vor.

Vielleicht war Sam besessen?
 

Es schien eine plausible Erklärung zu sein und außerdem wäre es bei Gott nicht das erste Mal gewesen. Als ihm diese Möglichkeit in den Sinn kam, war er beinahe erleichtert und das machte ihm mehr Angst, als er sich tatsächlich eingestehen wollte, denn wenn Sam nicht besessen war... scheiße, dann hatte er ganz ehrlich keine Ahnung, was zum Henker hier gerade vor sich ging.
 

Die Stimme ihres Vaters in seinem Kopf erklärte ihm unwirsch, dass das jetzt, in dieser Sekunde, nicht das vorherrschende Problem war.
 

„Nur nichts überstürzen. Eines nach dem anderen, Dean, merk’ dir das...“
 

Er brachte es gerade noch fertig, nicht zustimmend zu nicken, bevor er damit begann, den Raum langsam Richtung Badezimmer zu durchqueren. Bei jedem Schritt, den er tat, schienen sich die Härchen in seinem Nacken ein Stück weiter aufzustellen. Eine seltsame Bedrohung hing in der Luft, unsichtbar und dennoch so real, dass man sie beinahe mit Händen greifen konnte.

Er hätte einiges darum gegeben, jetzt auch nur irgendeine Art von Waffe dabeigehabt zu haben.
 

Verdammt, warum hatte er nicht wenigstens seine Jacke mitgenommen?

In den Taschen befand sich abgesehen von Salz und dem noch halbvollen Flachmann mit Weihwasser zwar nur ein Kugelschreiber und ein kaputter Rosenkranz, aber das wäre immer noch besser gewesen als nichts. Nicht einmal sein Feuerzeug hatte er eingesteckt... und nun stand er sprichwörtlich mit leeren Händen da.

Scheiße, scheiße.
 

Wie hatte er nur so vertrauensselig sein können?
 

Zu seiner Verteidigung konnte man vielleicht sagen, dass es Sam... Sammy gewesen war, dem er blindlings durch die Gänge gefolgt war, aber das entschuldigte trotzdem nichts. Er hatte sich zu sicher gefühlt und das nicht nur wegen Sam. Das ganze Apartment, dieser ganze bescheuerte, gemütliche Scheiß, zusammen mit der Tatsache, dass die letzten paar Tage – die ganze letzte Woche – herzlich wenig passiert war... er war nicht auf der Hut gewesen.

Wie man es auch drehte und wendete, er hatte nicht aufgepasst.
 

Und wessen Schuld ist das?, fragte eine leise Stimme in seinem Unterbewusstsein hämisch, Wer hat dich denn dazu gebracht, hm?
 

Die Antwort war einfach, dachte er, fast schon zu einfach, ganz abgesehen davon-

Er wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen, als aus dem Badezimmer ein klappernder Laut zu hören war, den er sofort erkannte, im ersten Moment aber nicht richtig einordnen konnte. Dann wurde ihm schlagartig klar, dass es das leises Scheppern von Ringen gewesen war, das wohl ertönte, wenn man den Vorhang öffnete, den man bei Bedarf um die altmodisch-stilvollen Badewannen ziehen konnte.
 

Das Bild war da, kaum dass er diese Idee zu Ende gedacht hatte.

Etwas hatte gebadet. Es wusste, dass er da war und jetzt wollte es nach draußen kommen. Ein Mensch? Ein Geist? Rein objektiv betrachtet waren beide Möglichkeiten eher unwahrscheinlich, denn weder ließen sich Schritte vernehmen, noch flackerte das Licht.

Trotzdem wusste er, dass er absolut richtig lag.
 

Er stolperte rückwärts, weg von der Tür, weg von der Gefahrenquelle.

Das konnte nicht sein, hier drin durfte einfach nichts sein, denn Sam würde ihn nicht-

-würde nicht was?-
 

Wer hatte ihn denn dazu gebracht? Wer hatte ihn hierher gelockt, wer hatte ihn hier eingeschlossen-

-wer hatte ihn dazu gebracht unachtsam zu sein, hatte ihn schon immer als selbstverständlich betrachtet, ihn als Schutzschild benutzt gegen alles, was auch nur im Entferntesten gefährlich war-
 

-für wen hatte er denn schon den Kopf hingehalten, solange er lebte-

-für wen hätte er denn jederzeit die Hand ins Feuer gelegt, dumm und selbstlos, wie er war-
 

Er stand mitten im Raum, drehte sich hilflos erst nach links, dann nach rechts, in dem sicheren Wissen, dass die massive Zimmertür ab- und er somit eingeschlossen war, eingesperrt, allein gelassen, wie schon so oft zuvor-

-ganz ehrlich, wann hatte es denn schon jemals irgendwen interessiert, was aus IHM wurde-
 

-da waren Schritte, das leichte Schlurfen über Badezimmerfließen, so deutlich vernehmbar, dass er sich zu fragen begann, warum er es nicht schon von Anfang an gehört hatte-

-wer ließ sich denn ständig von ihm aus der Patsche helfen, ohne darauf zu achten, wie Dean selbst aus dem ganzen Schlammassel wieder herauskam-
 

-das Schlurfen näherte sich der Tür und er wollte nicht sehen, was zum Vorschein kam, wenn sie sich öffnete. Eiskalte Angst rann durch seinen Körper, schien ihn dort festzufrieren, wo er stand-

-das hatte er nun davon, ehrlich, das hatte er nur davon-
 

-er wollte es nicht sehen, wollte es wirklich, wirklich nicht sehen und der einzige Grund, warum er sich nicht umdrehte und rannte, war das klickende Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, das ihm noch in den Ohren widerhallte-

-wessen Schuld war es denn, dass er jetzt hier stand-
 

-die Klinke der Badezimmertür wurde nach unten gedrückt, quälend langsam und im Ausgleich dazu hämmerte sein Herz so schnell gegen seinen Brustkorb, dass ihm das Atmen schwerfiel-

-für wen hätte er jederzeit den Kopf hingehalten, wer war denn schuld-
 

Die Tür schwang auf – und da war sie.

Der graue, aufgedunsene Körper zeigte, dass sie schon lange im Wasser gelegen haben musste. Sie war nackt und früher, zu Lebzeiten, mochte sie durchaus einmal attraktiv gewesen sein. Die blonden, nassen Haarsträhnen waren zurückgestrichen, ein paar hingen ihr triefend über die Schulter.
 

Sie lächelte.

Kalt, grausam und mit einem tödlichen Funken Spott in den matten Augen.

Stand da, mit herabhängenden Armen, während sich auf dem Teppichboden um sie herum eine Pfütze bildete und lächelte ihn an.
 

Er konnte nicht wegsehen-

-wer hatte ihn in diese Lage gebracht-

-und er konnte sich auch nicht bewegen-

-für wen hätte er denn jederzeit die Hand ins FEUER gelegt-
 

Den Bruchteil einer Sekunde lang verharrten sie in der gefährlichen Balance zweier Todfeinde, die um eine Ecke biegen und überrascht sind, den jeweils anderen dort vorzufinden. Dann zersplitterte der Moment in tausend winzige Stücke und sie stürzte sich auf ihn.
 

-wer war denn schuld?-
 

Er hatte keine Zeit zu reagieren, abgesehen davon, dass sich seine Gliedmaßen vor lauter Grauen ohnehin wie gelähmt anfühlten und als sich ihre klammen Hände mit übermenschlicher Kraft um seinen Hals schlossen, gab es in seinem Kopf nur Platz für einen einzigen Gedanken-
 

-WER WAR DENN SCHULD??-
 

Luft war knapp und beinahe fühlte es sich so an, als würde sein Genick brechen wie ein Streichholz, noch bevor sie ihn erstickte. Ihre höhnisch grinsende Fratze über seinem Gesicht machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Vergeblich versuchte er, ihre Finger von seinem Hals zu lösen, die schwammigen Hände wegzudrücken und alles wurde grau.

Sein letztes bisschen Atemluft verschwendete er für ein einziges Wort, das war dumm und unvernünftig, aber es musste es einfach sein – es war wie eine Frage, auf die er unbedingt noch eine Antwort geben musste und so schwer es ihm unter dem gnadenlosen Griff auch fiel, er öffnete die Lippen und stieß den Namen hervor.
 

Es war kaum mehr als ein Flüstern und weder liebevoll, noch besorgt.

Nicht einmal wütend.
 

„...Sam.“
 

In diesem einen Wort lag sämtlicher Hass, den er nur aufbringen konnte.
 

===
 

Sam saß mit leerem Blick im Apartment, den Laptop vor sich auf der Tischplatte, und spielte Solitär.
 

Es war eine ganze Weile her, seit er das zum letzten Mal getan hatte, aber er schlug sich gar nicht mal so schlecht-

-Dean hatte ihm nicht geglaubt, was die Heckentiere betraf, aber jetzt würde ihm gar nichts anderes mehr ÜBRIG bleiben, als-
 

-Pik-Ass, er brauchte das Pik-Ass. Warum nur konnte das dumme Ding nicht einfach-

-hatte Sam sowieso immer für unfähig gehalten, war sich besser vorgekommen, nur weil er zufällig ein paar Jahre älter-
 

-aber damit war jetzt Schluss, Dean konnte nicht ewig auf ihm herumtrampeln-

-und nach Zimmer 217 musste er Sam einfach glauben, dann würde ihm gar keine andere Wahl mehr bleiben-
 

-geschah ihm ganz recht, schließlich hatte er es immer so gewollt-

-er SOLLTE doch im Hintergrund bleiben, damit er seinem großen Bruder nicht die Show stehlen konnte-
 

-genau genommen hatte er Dean bloß einen Gefallen getan, diese Vorstellung in 217 gehört ganz ihm-

-er konnte den Helden spielen und wenn er dabei auch endlich kapieren sollte, wo sein Platz war, na umso besser-
 

-Sam hatte es jedenfalls satt, er würde nicht für den Rest seines Lebens-

-ihn herumkommandiert, immer und ewig, seit er sich zurückerinnern konnte-

-seine Hand zitterte vor unterdrückter Wut-

-das gottverdammte Goldkind ihres Vaters, der brave Soldat-

-wo war nur dieses beschissene Pik-Ass-
 

Die Apartmenttür wurde so heftig aufgestoßen, dass sie gegen die gegenüberliegende Wand knallte. Desinteressiert sah Sam auf. Sein großer Bruder stapfte herein, etwas unsicher auf den Beinen und leichenblass im Gesicht, aber ansonsten schien ihm nicht viel zu fehlen. Sam spürte leises Bedauern in sich aufsteigen.
 

Er betrachtete Dean, der genauso ausdruckslos zurückstarrte, mit schiefgelegtem Kopf. Die Abdrücke von Händen, die sich deutlich von der hellen Haut abhoben, waren das Einzige, was ihn wirklich faszinierte.

-sein Werk, er hatte das hier vollbracht, es war aber auch längst überfällig gewesen-
 

Beeindruckt, beinahe schon stolz betrachtete er die dunklen Würgemale an Deans Hals.

-geschah dem Idioten ganz recht und wenn er tatsächlich so was wie Mitleid erwartete, dann war er hier eindeutig an der falschen Adresse-
 

Ein leises, schadenfrohes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

Das schien den Bann zu brechen, denn im nächsten Moment hatte Dean den Raum auch schon mit großen Schritten durchquert und fegte den Laptop mit einer wutentbrannten Handbewegung vom Tisch. Das Gerät landete mit markerschütterndem Krachen auf dem Fußboden. Sam, der sich währenddessen nicht vom Fleck gerührt hatte, warf dem gesprungenen Bildschirm einen langen Blick zu.
 

„Und?“, sagte er dann beiläufig, so als würden sie nun ein Gespräch fortsetzen, dass sie bereits vor längere Zeit begonnen hatten, „Wo hast du so lange gesteckt?“
 

Deans Mund verzog sich langsam zu einem grimassenhaften Grinsen.

„Ach“, seine Stimme klang so kratzig, dass sie kaum wiederzuerkennen war und das Sprechen schien ihm eindeutig Mühe zu bereiten, „Die Damenwelt kriegt einfach nie genug von mir.“
 

„Ah ja.“
 

„Du verstehst, was ich meine?“

Dean stieg über den ruinierten Laptop und setzte sich an den Tisch. Jeder seine Bewegungen war sorgfältig kontrolliert und Sam wusste irgendwie, dass das daher kam, weil Dean sich mit aller Kraft davon abhalten musste, noch etwas kaputtzuschlagen. Aus irgendeinem Grund brachte ihn das dazu, noch breiter zu lächeln.
 

Für einen Außenstehenden mochte die Situation wohl durchaus etwas Surreales gehabt haben. Sie saßen sich gegenüber und grinsten sich an, beide Gesichter eine sorgfältig konstruierte Maske aus Zorn und Abneigung.

Sam bemerkte, dass das wütende Zittern seiner Hand immer stärker wurde-

-dieses dumme Pik-Ass, das er jetzt wohl nie finden würde-

-fast war er darüber erstaunt, so als wäre er selbst ein Fremder, den das alles hier nichts anginge-

-diese dumme Karte-

-vorsorglich verbarg er seine Hand unter der Tischplatte-

-sein dummer, überflüssiger Bruder-
 

„Was denn?“, fragte Dean gespielt unschuldig und betrachtete ihn dabei spöttisch, „Schwierigkeiten?“
 

„Keine, die sich nicht beheben lassen“, sagte Sam, „Danke der Nachfrage.“
 

Die Antwort war so rau, als hätte Dean Schleifpapier anstellte von Stimmbändern.

„Immer doch.“
 

-und ständig musste er das letzte Wort haben, dieser selbstgefällige Bastard-

Sam hatte plötzlich den schier unwiderstehlichen Drang, Dean die Zunge herauszureißen.

-alles, was er dazu brauchen würde, wäre ein Messer, gar kein großer Aufwand-

-und dann würde er endlich sein gottverdammtes Maul halten-

-man hatte Dean schließlich schon immer gepredigt, dass er sich eines Tages um Kopf und Kragen reden würde-
 

Die Tasche. Alles, was er brauchte, war die Tasche.

Dort drin würde er alles finden, was er benötigte. Messer, Messer...
 

Er erhob sich langsam, vorsichtig und war sich im Klaren darüber, dass Dean ihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ.

„Keine Ahnung, wie’s dir geht“, sagte er, „Aber ich bin hinüber. Geh dann mal ins Bett.“
 

In Deans Augen lag ein wissender Ausdruck.

„Sicher“, krächzte er, „Mach das.“
 

Das Schlafzimmer war finster und warm und kaum, dass Sam die Tür hinter sich geschlossen hatte, überfiel ihn der Schwindel so nachhaltig, dass er sich hinsetzen musste. Halbherzig tastete er im Dunkeln nach der Tasche unter seinem Bett, bekam sie aber nicht richtig zu fassen. Alles drehte sich und er war müde, so müde...

-er musste nicht auf der Hut sein, sein Bruder war schließlich da-
 

Irgendetwas an dieser Eingebung erschien ihm falsch zu sein, falsch und hinterhältig, selbst dann noch, als er sich zurück aufs Bett fallen ließ und die Beine hochzog. Er wusste nicht... nein, er durfte nicht...

Dann verschwammen seine Gedanken ineinander und alles wurde schwarz.
 

===
 

Es dämmerte
 

Der Morgen dämmerte herauf und die Messerklinge schimmerte fahl in dem grauen Licht, das durch den offenen Türrahmen fiel. Dean betrachtete sie anerkennend. Seine Kehle tat immer noch weh und jedes Mal, wenn er schluckte, brannte sie wie Feuer.

Sam lag auf dem anderen Bett, vollständig bekleidet, und schlief. Immer noch.
 

Es war beinahe schon amüsant – zumindest schloss er das aus dem breiten Grinsen, das sich auf seinem Gesicht festgesetzt zu haben schien und einfach nicht mehr verschwinden wollte. Sam hatte ihn verraten-

-ihn verkauft-
 

-eigentlich hätte es ihn nicht überraschen dürfen. Sein kleiner Bruder hatte ihm schließlich schon früher deutlich gemacht, wo genau Dean in seiner Prioritätenliste stand-

-ganz weit unten, bestenfalls Fußabtreter für die ganzen anderen wichtigen Dinge-
 

Ein einziger, sauberer Schnitt, mehr brauchte es gar nichts. Gut, na schön, das ganze Blut würde eine schöne Sauerei geben und er würde schnell sein müssen, denn wenn Sam ihn auch nur im Halbschlaf kommen hörte...

Er schob das Messer von einer Hand in die andere.
 

Eine einzige schnelle Bewegung-

-er könnte auch zustechen, wenn ihm das Debakel, das eine durchgeschnittene Kehle zwangsläufig anrichtete, zu viel Aufwand war-

-Herz oder Rückrat, vielleicht auch nur einen Lungeflügel-

-dann hatte Sam noch genügend Zeit, um aufzuwachen, bevor alles vorbei war-

-aber das war umständlich, denn sein kleiner Bruder lag mit dem Rücken zu ihm und für die Lunge hätte er aufstehen und um ihn herumgehen müssen-

-genügend Zeit, um ihm klarzumachen, dass Dean es endgültig SATT hatte, immer an letzter Stelle zu kommen-
 

Er saß unbeweglich, immer noch vollkommen in Bann gezogen von den Möglichkeiten, die sich auftaten.

-er könnte auch einfach eine der Schrotflinten nehmen, kein Steinsalz, sondern richtige Munition, für den Fall, dass er sehen wollte, wie Sams Streberhirn an der Wand hinter dem Bett aussah-
 

„Das bringst du nicht fertig.“
 

Dean rührte sich immer noch nicht, aber er warf der kleinen Gestalt, die schon seit geraumer Zeit in der Ecke lehnte, einen finsteren Blick zu. Wenn wenigstens der verdammte Bengel nicht gewesen wäre...!

„Halt die Schnauze.“
 

„Das bringst du nicht fertig“, wiederholte der Junge beschwörend. Diesmal schien er um einiges selbstbewusster zu sein als beim letzten Mal – oder vielleicht wollte er sich auch nur selbst davon überzeugen, dass er Recht hatte.

Dean jedenfalls glaubte ihm kein Wort. Um genau zu sein, er hörte nicht einmal richtig hin. Er wollte, dass der Junge verschwand, damit er Sam endlich seine wohlverdiente Lektion erteilen konnte.
 

Die anklagenden Kinderaugen gingen ihm gegen den Strich.

Sie waren störend, machte ihn unruhig.
 

„Nie“, sagte der Junge verbissen, „Vergiss es. Völlig ausgeschlossen.“
 

„Halt’s Maul“, knurrte Dean.

Er musste aufpassen, sonst wachte Sam womöglich noch auf.
 

Der Junge blieb hartnäckig. „Du weißt, dass es stimmt.“
 

Dean ging nicht mehr darauf ein.

„Was hast du überhaupt hier zu suchen, hah? Braucht dich doch nicht zu interessieren.“
 

„Das versteht du nicht.“
 

„Verdammt richtig“, sagte Dean grob, „Und ich will’s auch gar nicht verstehen. Ich will, dass du dich verziehst. Los, hau ab!“
 

„Nein“, das klang trotzig, auch wenn die Augen bereits gefährlich wässrig waren, „Das hier is’ meine Schuld, also... a-also...“

Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
 

Dean brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass Sam dabei war, aufzuwachen. Er fluchte lautlos und schob das Messer mit zusammengebissenen Zähnen zurück unter sein Kopfkissen. Vertan.
 

-es war die perfekte Chance gewesen und er hatte es wieder versaut-

-wie schon so oft zuvor, mal ehrlich, wen überraschte das noch-
 

Sein kleiner Bruder rappelte sich hoch und sekundenlang hatte Dean die... nun ja, man musste es fast Hoffnung nennen, dass Sam wieder normal geworden war, denn das hätte es um einiges leichter gemacht, an ihn heranzukommen. Sams misstrauischen Augen, die sich zu Schlitzen verengten, sobald sie Dean nur wenige Meter entfernt sitzen sahen, bewiesen ihm allerdings genau das Gegenteil.
 

Er konnte fühlen, wie der Hass in ihm hochstieg, durch seinen brennenden Hals und weiter hinauf in seinen Kopf. Großartig, wirklich. Der Vollidiot war sein ganzes Leben lang so arglos gewesen, dass einem förmlich das Kotzen kam und jetzt, wo man diese Vertrauensseligkeit ein einziges Mal hätte gebrauchen können, war er auf der Hut.
 

„Dean.“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung von Tatsachen und klang kein bisschen müde.
 

„Höchstpersönlich.“

Seine Stimme hörte sich furchtbar an. Er kümmerte sich nicht wirklich darum, sondern stellte es vielmehr mit einer Art morbiden Faszination fest. Fast war er versucht, noch etwas zu sagen, nur um sich davon zu überzeugen, dass er sich nicht verhört hatte.

Seine Hand lag neben dem Kopfkissen, nach Außen hin völlig entspannt, aber innerlich vibrierte er vor Anspannung.
 

Aufmerksam sah er zu, wie Sam beide Beine über die Bettkante schwang und auf den Boden setzte. Wenn er auch keine Ahnung hatte, was sonst noch passieren würde, eines wusste er mit hundertprozentiger Sicherheit: Die Grenze war gezogen worden.
 

Und der heutige Tag würde ein verdammt langer werden.
 

===
 

Wundert euch nicht, ich hab grad eine motivierte Phase.

Wer weiß, wie lange das anhält... Übrigens gibt's 'ne Erweiterung bei den Steckbriefen. Die nette Lady aus Zimmer 217 kann ab jetzt offiziell bewundert werden. :D

Treppe

===
 

Der Schneesturm draußen war beinahe schon poetisch.
 

Zumindest spiegelte er die momentane Situation so eindeutig wieder, als hätte ihn jemand extra für diese Gelegenheit bestellt – sowohl was die Eiseskälte, als auch die allgegenwärtige Bedrohung betraf.
 

Dean lag auf seinem Bett, Stiefel inklusive, die Beine lässig übereinandergeschlagen und sah fern. Besser gesagt, er tat so, als würde er fernsehen. Die Tür stand sperrangelweit offen, sodass er sich nicht einmal den Kopf verrenken musste, um Sam ins Visier zu bekommen. Sein kleiner Bruder saß am Tisch und stöberte durch die ganzen alten Fetzen, die er vor ein paar Tagen im Keller ausgegraben hatte.

Auf dem Teppich lag immer noch das traurige Skelett des Laptops – keiner von ihnen beiden hatte sich die Mühe gemacht, es wegzuräumen.
 

Durch eine Art stille Übereinkunft hatten sie sich genau so platziert, dass sie sich ohne großen Aufwand im Auge behalten konnten. Deans Blick blieb stur auf den Bildschirm gerichtet, aber insgeheim lauerte er gespannt wie eine Stahlfeder auf jede verdächtige Bewegung aus dem benachbarten Zimmer.
 

Das Programm war scheußlich, todsterbenslangweilig, und wenn er ehrlich war, er kümmerte sich auch gar nicht darum-

-ach nein? war doch wohl typisch, dass er wieder mal nur den letzten Dreck zu sehen bekam-
 

Das Schaben von Stuhlbeinen ließ ihn auffahren und als er hochsah, traf er Sams gehässigen Blick. Sein kleiner Bruder war, die Hände flach auf die Tischplatte gelegt, aufgestanden und betrachtete ihn grinsend. Dean konnte spüren, wie sich seine eigenen Mundwinkel ebenfalls nach oben zogen. Vielleicht war jetzt der passende Zeitpunkt, das hier ein für allemal zu klären?
 

Doch irgendwie wusste er, dass das nicht der Fall war – beinahe kam es ihm vor, er würde auf etwas warten-

-ein Zeichen-

-die entsprechende Erlaubnis? Aber von wem?
 

„Was denn?“, seine Stimme klang bereits wieder um einiges menschlicher als noch vor wenigen Stunden, auch wenn man die Würgemale noch deutlich sehen konnte , wie ihm von der dunklen Spiegelung des Bildschirms eindrucksvoll bewiesen worden war, bevor er den Fernseher eingeschaltete hatte, „Schon genug gestrebert?“
 

„Nicht ganz“, Dean hasste diesen Tonfall (-hatte er immer schon getan-), diesen besserwisserischen, selbstgerechten ich-bin-klüger-als-du-Tonfall, „Muss noch was nachsehen.“
 

Er biss sich auf die Zunge, um nicht laut auszusprechen, was er dachte: Dass Sam seinetwegen auch über seine eigenen, beschissen langen Beine stolpern und sich das Genick brechen konnte. Im nächsten Moment fragte er sich fast verwundert, warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, diesen Gedanken für sich zu behalten.

-sollte Sam doch wissen, was er von ihm dachte, besonders großes Geheimnis war es ja keines-
 

Andererseits, wenn er den Idioten loswurde, konnte er vielleicht endlich in Ruhe fernsehen. War ja nicht auszuhalten, dieses ständige Geblätter und Geraschel aus dem Nebenzimmer. Sam ließ ihn immer noch nicht aus den Augen, durchquerte das Zimmer sogar im Rückwärtsgang, ohne den Blickkontakt abzubrechen – so als hätte er Deans unwiderstehlichen Drang, die .45er unter dem Bett hervorzukramen, sobald er ihm auch nur den Rücken zudrehte, mitbekommen.
 

Falls das wirklich den Tatsachen entsprach und Sam spüren konnte, wie sehr es Dean in den Finger juckte, so beunruhigte ihn das herzlich wenig. Aber hey- warum sollte es auch? Dean war das wütende Zittern von Sams rechter Hand schließlich auch nicht entgangen. Die Apartmenttür klickte leise, Sam verschwand hinaus auf den Gang und mit einem Mal war es, als hätte jemand alle Luft aus dem Raum entlassen.
 

Beinahe schon physisch erschöpft sank Dean in sich zusammen. Wo sein Bruder hinwollte, war klar wie das karibische Meer. Der Keller. Noch mehr alte Zeitungen, unter denen er sich begraben konnte. Sollte er doch-

-bei der Gelegenheit konnte er auch gleich ersticken-

-vielleicht hatte er ja diesmal Glück und Sam ging zwischen all dem nutzlosen Zeug verloren.
 

Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, mit leerem Blick auf das bunte Geflacker des Fernsehers zu starren. Das Programm wurde und wurde nicht besser. Wo konnte man die Kanäle freischalten? An der Rezeption?

-auf jeden Fall sollte er aufstehen und nach unten gehen-

-irgendjemand hatte ihm vor gar nicht allzu langer Zeit erklärt, wie es funktionierte, er konnte sich nur nicht mehr genau daran erinnern, wer es gewesen war.
 

-hinunter, Eingangshalle, vorbei an der Kellertür-

Er sollte wirklich nach unten gehen. Entschlossen schwang er die Beine über die Bettkante, es gab ein leises Geräusch, als seine Stiefel in Kontakt mit dem Boden kamen. Seltsam, dachte er, als er aufstand, alles kam ihm so dumpf und unwirklich vor. In gewisser Weise ähnelte es dem Gefühl, das man hatte, wenn man im Wasser untertauchte.
 

Seine Umgebung schien weit, weit weg zu sein

-Nebel-

-kein Nebel, Wasser. Seine Schritte hallten ihm in den Ohren wieder, fast kam es ihm so vor (war das nicht kompletter Unsinn?), als folgte er den dumpfen, regelmäßigen Geräuschen, die sie verursachten.
 

In den Gängen brannte Licht. In allen Gängen brannte Licht.

Das ganze Hotel war so hell erleuchtet, als hätte es Feiertagsbeleuchtung aufgesetzt. Warum? Beinahe hatte er das Gefühl, man wartete auf etwas.

-ja, auf ihn, er war die große Attraktion, einmal stand er im Mittelpunkt und nicht Sam-

-alles drehte sich um ihn, das war nur fair, er hatte-

-hatte auch einmal so etwas wie Aufmerksamkeit verdient, keine Frage-
 

Da war die Rezeption.

Er steuerte direkt auf den Computer zu, aber auf halbem Weg hielt ihn etwas davon ab.

-Colorado Lounge-

-was, wo wollte er hin?

-Colorado Lounge, Lounge, nur hinein, HINEIN! alles drehte sich um ihn-
 

Vielleicht lag es an der Dämmerbeleuchtung, aber die Lounge wirkte bei weitem nicht so verlassen, wie beim letzten Mal, als er hier gesessen war (...Moment, ist das nicht erst gestern gew...?) egal, jetzt wenigstens waren die Plastikplanen, die die Tische bedeckt hatten, verschwunden. Gut so.

Die hatten sowieso nur die Stimmung gedrückt. Er durchquerte den Raum entschlossen, mit einer Selbstsicherheit, als wäre er schon unzählige Male hier gewesen-

-stimmte das nicht auch?-

-als wäre er mit sämtlichen Einzelheiten bestens vertraut-

-selbst mit dem Barkeeper-
 

Ja, der Barkeeper. Beinahe konnte er ihn sehen, dort hinten rechts, zwischen den Schatten.

Stand dort, wartete darauf, dass Dean seine Bestellung aufgab.

-was darf’s denn sein, Sir? was kann ich für Sie-

Und zu bestellen gab es mehr als genug, das sah er jetzt-

-alles, was sein Herz begehrte-

-denn dort hinter der Theke reihten sich wirklich Flaschen aneinander, unzählige viele-
 

Diesmal war er sich sicher, dass da hinter seinem Rücken Leute saßen, die ihn anstarrten. Er konnte ihre Blicke deutlich spüren und wenn es da einen Spiegel gegeben hätte, hätte er sie auch sehen können, die ganze Meute, wie sie da hockte und-

-ihn anfeuerte, ihm zujubelte und wenn-

-wenn sein Vater das hier hören könnte, diese Begeisterung, vielleicht würde er dann endlich einsehen, dass-

-dass nicht nur Sam es war, der Achtung und das Recht auf eigene Entscheidungen verdiente-
 

Er würde sich hinsetzen, etwas bestellen und dann-

-er hatte nur das Beste verdient, das Allerbeste und jeder, der ihm das verweigern wollte, würde-
 

„Kein Verlass auf die Verlassenen, was?“
 

Sein Herz machte einen Satz und in derselben Sekunde, in der er sich umdrehte, wurde ihm schlagartig klar, worauf er gewartet hatte. Die Welt um ihn herum war immer noch seltsam trüb, grau und schwer zu fassen, aber der blendende Zorn, der sich mit einem Mal in seinem ganzen Körper bis hin zu seinen Gliedmaßen auszubreiten begann, war alles an Licht, das er wirklich brauchte.
 

Sam stand im Türrahmen wie ein Rachegott, ein Dämon aus der Hölle-

-was wusste Dean denn schon, vielleicht war er das ja auch?-

-und das Grinsen auf seinem Gesicht war wahrhaft diabolisch.
 

„Sammy“, sagte Dean und ließ sich den Spitznamen dabei auf der Zunge zergehen, „Schön, dich zu sehen.“
 

„Oh, gleichfalls“, sagte Sam und machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Sein Blick glitt über die matt schimmernden Flaschen mit Spirituosen.

„Wieder dabei, dich vollaufen zu lassen, Dean? Scheint ja der einzige Weg für dich zu sein, um überhaupt mit irgendwas fertig zu werden.“
 

Dean konnte richtiggehend spüren, wie die unbändige Wut durch seine Beine rann, durch seine Arme, Handgelenke und Fingerspitzen, Oberkörper und durch den Nacken weiter in seinen Kopf. Beinahe schon automatisch ballten sich seine Hände zu Fäusten. Alles war verschwommen und ungenau, hinter seinen Schläfen pulsierte es.

Die Schmerzen in seinem Hals kratzen sich ihren Weg hinaus ins Freie.

-ihr Vater hatte Sam lieber gemocht, hatte mehr von ihm gehalten-

-Hass-

-immer musste er Recht haben, alles wollte er besser wissen-

-Hass, Hass, Hass-
 

„Weißt du was, Kleiner?“, sie umkreisten sich wie zwei Raubtiere, langsam und mit lauernden Schritten, „Ich schlage vor, wir klären das sofort.“
 

Sam verzog spöttisch das Gesicht.

„Wenn du das fertigbringst? Vielleicht möchtest du dich ja vorher noch über dein mieses Date in 217 ausheulen?“
 

Hass, Hass-

-ihn umbringen-
 

„Sehe ich etwa aus wie du?“, sagte Dean höhnisch, „Danke, aber ich-“

Mitten im Satz machte er plötzlich einen Schritt nach vorne und schlug zu.
 

Das Bedürfnis, es gleich noch ein zweites und drittes Mal zu tun, war unglaublich stark. Er wollte weitermachen, wollte so lange auf Sam einprügeln, bis ihm das beschissene Grinsen verging, so lange, bis er-

-Blut und Haut und brechende Knochen-

-nur mehr ein lebloses Fleischbündel auf dem Fußboden war-
 

Es war ein sauberer Treffer und Sam war hastig zurückgewichen, einen Arm erhoben, um seine Deckung nicht zu vernachlässigen, während er sich mit der anderen über den Mund wischte. Die Unterlippe war aufgeplatzt und Dean lag augenblicklich die Bemerkung auf der Zunge, Sam solle doch bitte den Boden nicht vollbluten.
 

Triumphierend breitete er die Arme aus.

„Überraschung!“
 

Das Grinsen auf seinem Gesicht wollte einfach nicht verschwinden und in Sams Augen blitzte es hasserfüllt.

„Glückwunsch“, stieß er hervor, „Mal sehen, ob du in fünf Minuten immer noch so gut gelaunt bist.“

„Soll ich mich jetzt fürchten?“
 

In der nächsten Sekunde stürzten sie aufeinander los, als hätten sie noch nie etwas anderes getan.
 

===
 

„Sam! Du beschissener, undankbarer-“
 

Dean kochte vor Wut.
 

Die Colorado Lounge sah aus wie ein Schlachtfeld. Mehrere Tische und Stühle waren zu Bruch gegangen und die Theke voller Scherben. Er würde ihn umbringen, ganz einfach, er würde diesen gottverdammten, kleinen-
 

Ohne auf die Splitter zu achten, die sich in seine Handflächen bohrten, stemmte er sich vom Boden hoch. Seine linke Gesichtshälfte pulsierte unangenehm und in seinem Mund hatte er den altbekannten, metallenen Geschmack von Blut.

-was fiel diesem Scheißkerl eigentlich ein, sich einfach so aus dem Staub zu machen!-

-aber besonders weit konnte er ohnehin nicht sein.
 

Während er die Treppe nach oben stürmte, holte er tief Luft, ohne auch nur im Geringsten auf das Brennen in seinem Rachen zu achten.

„Sam!!“
 

Wo war er? Wohin hatte sich dieser feige Bastard verkrochen-

-er würde ihm nicht entkommen, ohh nein, diesmal nicht-

-sicher nicht-
 

Er bog um die Ecke und plötzlich stand Sam wie aus dem Boden gewachsen vor ihm. Reflexartig zuckte Dean zurück, aber es war trotzdem zu spät. Der Schlag zertrümmerte ihm beinahe den Kieferknochen und für den Bruchteil einer Sekunde sah er Sterne. Seine Hand schnellte hoch, noch bevor er überhaupt wieder klar sehen konnte und zerrte Sam am Hemdkragen nach vorne.
 

Mit einer Hand packte er seinen kleinen Bruder an den Haaren, drückte so seinen Kopf nach unten und donnerte ihm mit aller Kraft das Knie ins Gesicht. Das befriedigende Knacken, das bestätigt hätte, dass er Sam soeben das Nasenbein gebrochen hatte, blieb allerdings aus.
 

Zu schade.

Sein nächster Versuch eines Kinnhakens wurde abgeblockt, weil Sam seinen Arm rechtzeitig in die Höhe bekam und der Schlag in den Magen verfehlte sein Ziel ebenfalls.
 

„Ich bring dich um“, knurrte Dean wütend, „Du undankbarer kleiner Vollidiot, ich bring dich um!“
 

Die nächsten paar Schläge saßen und Sam schaffte es einfach nicht, einen gröberen Treffe zu landen. Wäre er nicht so zornig gewesen, hätte Dean ihn glatt ausgelacht. Stattdessen grinste er breit. Dieser Loser.

Der hatte doch noch nie irgendwas auf die Reihe gekriegt.
 

Der winzige Augenblick Unachtsamkeit entpuppte sich als Fehler – schon hatte Sam ihn am Unterarm gepackt und ihn gewaltsam zur Seite gerissen. Als Dean herumfuhr, um sich loszumachen, erwischte Sam ihn am Kragen und etwas zerriss lautstark. Dann landete eine Faust so treffsicher in seinem Magen, dass ihm von einer Sekunde auf die andere speiübel wurde. Er gab gerade ein gequältes Würgen von sich, als Sam erneut zuschlug und exakt dieselbe Stelle zum zweiten Mal traf.
 

Dean verschlug es den Atem.

Noch nie in seinem ganzen Leben war er so sauer gewesen und er trat zu, rasend vor Wut und ohne auch nur darüber nachzudenken. Der Tritt zielte auf Sams Schienbein, traf aber nicht richtig und der Schwung seiner Stiefelspitze reichte aus, um mit voller Wucht auf Sams Knöchel zu landen. Selbst durch die dicke Sohle konnte Dean spüren, wie etwas nachgab und er hob den Kopf, gerade noch rechzeitig, um zu sehen, wie Sam kalkweiß im Gesicht wurde.
 

Heißer Triumph durchströmte ihn, doch dann gab sein kleiner Bruder einen Laut von sich, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Und mit einem Mal befand er sich nicht mehr in einem von elektrischem Licht erleuchteten Hotelflur sondern weit, weit fort.
 


 

„Dean, Dean! Sieh dir das an!“
 

Dean ist neun und Sam um die fünf und jetzt gerade ist er wahnsinnig aufgeregt. Sie sitzen in einer verstaubten Wohnung, in der der Putz von den Wänden rieselt und direkt gegenüber ist ein Spielplatz. Man kann ihn vom Fenster aus sehen.
 

Sam, die Arme auf einem Fensterbrett, das so alt und faulig ist, dass Dean sich ernsthaft fragt , wie lange es das zusätzliche Gewicht noch tragen wird, bevor es endgültig zusammenkracht, baumelt gut zwanzig Zentimeter über dem Boden und starrt sehnsüchtig hinüber. Dean seufzt.
 

Die Schaukelketten sehen rostig aus, das Klettergerüst ist überwachsen und zwei kleine Mädchen sind gerade dabei, darüber, wer die knallrote Rutsche zuerst benutzen darf, in einen lautstarken Streit auszubrechen – und Sam sieht drein, als wäre es der schönste Anblick, den er je in seinem Leben geboten bekommen hat.
 

„Dean?“, Sam sieht ihn an, mit Augen, die so groß sind, dass sie eigentlich gar nicht mehr auf sein Gesicht passen dürften, „Können wir rübergehen? Bitte?“
 

Und genau hier liegt das Problem. Sie dürfen die Wohnung nicht verlassen. Bis ihr Vater wieder zurückkommt, dauert es noch zwei Tage und das auch nur im Idealfall; bis dahin sitzen sie hier fest. Dean zögert.
 

„Nein“, sagt er dann, obwohl er, wenn es nach ihm ginge, Sammy auf der Stelle Huckepack über die Straße tragen würde, „Du hast Dad doch gehört – wir sollen nicht vor die Tür gehen.“
 

Sams Gesicht macht deutlich, dass er sich an diese nicht ganz unwichtige Kleinigkeit sehr wohl erinnern kann, aber trotzdem gehofft hat, Dean hätte sie inzwischen vielleicht vergessen. Sicher, es ist ungerecht, aber was soll er machen?

Sam sagt gar nichts und sieht ihn auch nicht, obwohl er sich mittlerweile schon mit einem Wortschatz verständigen kann, der eigentlich viel zu groß für sein Alter ist (zumindest ist Dean dieser Meinung) und normalerweise auch keine Gewissensbisse hat, so lange zu nerven, bis er die Antwort bekommen hat, die er hören will.
 

Stattdessen holt er seine Buntstifte, um sich in einer Ecke zu verkriechen und das macht alles nur noch schlimmer. Ehrlich, Dean hat nicht besonders viel Ahnung davon, wie der Rest der Welt das Thema Kindererziehung handhabt, aber er weiß ALLES über Sam und er ist sich ziemlich sicher, dass es nicht gesund sein kann, wenn ein Fünfjähriger so oft in geschlossenen Räumen oder Autos sein muss, wie sein kleiner Bruder das tut.
 

Sie haben Glück.

Am Nachmittag des nächsten Tages bekommen sie einen der Kontrollanrufe, die ihr Dad immer macht, wenn es „Komplikationen“ gegeben hat und er sich vermutlich um ein paar Tage verspäten wird. Er will wissen, ob soweit alles in Ordnung ist und seine Jungs mit der Situation klarkommen werden.

Dean hat den Telefonhörer in der Hand und nickt und sagt „Ja, Sir.“ und „Keine große Sache.“, während Sam sich neben ihm auf der Kommode hochzieht wie ein Affe (in letzter Zeit tut er das häufig) und versucht, zuzuhören.
 

Wahrscheinlich hat er den Spielplatz zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben und das Gesicht, das er macht, kommt einfach daher, weil er nicht will, dass ihr Vater noch länger wegbleibt. Vielleicht interpretiert Dean einfach zu viel hinein... letztendlich spielt das spielt keine Rolle. Er fragt um Erlaubnis.
 

Ihr Dad steht der ganzen Idee anfangs ablehnend gegenüber, das kann Dean deutlich hören, aber er gibt nicht nach und nachdem er die genaue geographische Lage dreimal erklärt hat – einfach nur über die blöde STRASSE, mal ehrlich – gibt John Winchester nach. Sam hat seine Schuhe an den Füßen und seine Jacke in der Hand, kaum das Dean den Telefonhörer aufgelegt hat.
 

Es ist kühl draußen und streitende Gören sind auch nirgendwo zu sehen. Sam rennt zu den Schaukeln, während Dean sich auf eine Bank setzt und ihm zusieht. In ein paar Monaten wird er zehn und außerdem schläft er mit einer Pistole unter seinem Kopfkissen, also ist er ganz eindeutig zu alt für diesen Mist.
 

Von Zeit zu Zeit schreit Sam, dass er hersehen soll und Dean grinst und hält seinen Daumen hoch. In ein paar Minuten wird sein kleiner Bruder sowieso feststellen, dass er alleine nicht hoch genug kommt und wollen, dass Dean ihn anschubst.

Hinter dem Spielplatz gibt es ein Stück ebene Rasenfläche, zu klein für einen Park, sogar zu klein, um überhaupt eine richtige Wiese zu sein, aber doch groß genug für einen jungen Vater, mit seinem Sohn Baseball zu spielen.
 

Der Junge sieht nicht viel älter aus als Dean, wenn er es überhaupt ist und der Anblick hat etwas Faszinierendes. Dean ertappt sich dabei, wie er ihnen dabei zusieht, als sie den harten, weißen Ball zwischen sich hin- und her werfen. Der Vater wirft nicht besonders hart, das kann man selbst auf diese Entfernung feststellen und der Junge ist miserabel im Fangen. Dennoch... unwillkürlich kommt Dean der Gedanken, wie viel besser er und sein Dad wären, wenn sie jemals Baseball spielen würden.

Wenigstens wird er sich im Zweifelsfall nicht so dämlich anstellen wie der Bengel da drüben.
 

Gerade schnaubt er halb abfällig, halb amüsiert, weil der Junge den Ball schon wieder fallengelassen hatte, als von den Schaukeln her ein dumpfes Geräusch zu hören ist. Er sieht auf und in der nächsten Sekunde ist er auf den Beinen.
 

Sam kauert auf dem höchstens einen Quadratmeter großen Betonstück, das unter jeder Schaukel eingegossen worden ist, damit man sich ordentlich abstoßen kann und hält sich den Kopf.
 

„Sammy?“, Dean lässt sich neben ihn fallen und will die Hände, die Sam auf seinen Hinterkopf gepresst hat, hektisch wegziehen, aber er lässt es bleiben, als er sieht, wie sein kleiner Bruder die Lippen zusammenpresst, „Sammy, was ist passiert?“
 

Sams Unterlippe zittert.

„Nichts“, sagt er weinerlich, „Hab das G-Gleichgewicht verloren und bin... umgekippt?“
 

Umgekippt ist eines von Deans aktuellen Lieblingsworten.

„Zurückgefallen“, verbessert er leise, weil ihm das Herz bis zum Hals schlägt, „Sammy, ich muss... lass mich das ansehen, okay?“
 

Sam nickt tapfer, doch seine Hände bleiben, wo sie sind. Also nimmt Dean seine Handgelenkte und zieht seine Hände ganz vorsichtig weg. Es ist nicht halb so schlimm, wie er befürchtet hat – ein bisschen Blut, aber nichts, was er nicht wieder hinbekommt. Sam gibt ein leises Wimmern von sich, als Dean die Wunde abtastet, doch im Große und Ganzen hält er still.
 

Dean bringt ihn zurück in die Wohnung und verarztet ihn. Dann essen sie ausnahmsweise nur Schokolade und die letzten paar Marshmallows, obwohl das kein anständiges Abendessen ist und hinterher sehen sie fern. Sam darf die Fernbedienung halten, bis er eingeschlafen ist. Und eine Wochen später ist der unleidliche Vorfall auch schon vergessen.
 


 

Vollständig vergessen, um genau zu sein, zumindest bis zu jenem Moment, in dem sie sich Jahre später auf einem Hotelflur gegenüberstanden, während draußen der Schneesturm tobte und Sam aus irgendeinem Grund genau denselben gottverdammten Laut von sich gab, den er gemacht hatte, als er mit fünf von der Schaukel gefallen war.
 

Dean blinzelte einmal, zweimal und hatte das Gefühl, ewig weggewesen zu sein. Plötzlich nahm er seine ganze Umgebung viel deutlicher wahr – die Farben waren heller, die Kontraste schärfer. Ihm war schwindelig und schlecht. Das Licht blendete und sein Kopf war so klar wie schon seit Tage nicht mehr. Er fühlte sich seltsam leicht, fast schon zu leicht. Seine Knie fühlten sich butterweich an. Befreit.
 

So als gehörte seine Gedanken und sein Körper endlich wieder ihm.
 

Mit dieser Einsicht wurde ihm auch schlagartig klar, in welcher Situation sie sich befanden. Die Erkenntnis darüber, was er gerade getan hatte, traf ihn wie ein Faustschlag und das sicherer Wissen, was er in wenigen Minuten vielleicht noch getan hätte, rief eine ganz andere Art von Übelkeit hervor.
 

Sam. Sam, dessen gesamte untere Gesichtshälfte blutverschmiert war und der keuchte und Dean so hasserfüllt anstarrte, als wäre er persönlich schuld an allen Übeln dieser Welt. Das Bedürfnis, sich entschuldigen zu müssen, war unwahrscheinlich stark, fast genauso stark wie das sichere Wissen, dass er sich erklären musste, sofort und auf der Stelle. Sonst würde tatsächlich noch ein Unglück passieren.
 

„Ach du-“, brachte er heraus, obwohl er danach nicht wusste, wie er weitermachen sollte und die Worte stolperten unbeholfen hervor, „Sammy. Oh Gott. Oh Gott, Sammy. Es tut mir-“
 

Entsetzt stellte er fest, dass sein kleiner Bruder ihm nicht einmal richtig zuzuhören schien. Oder, falls er doch zuhören sollte, dass er jedenfalls nicht die Absicht hatte, auch nur über eine einzige Silbe, die Dean von sich gab, ernsthaft nachzudenken. Er wollte er erneut versuche, wollte etwas sagen, irgendetwas, doch sein verräterischer Köper wollte anscheinend nicht mehr mitmachen.
 

Der ganze Flur drehte sich um die eigene Achse und aufrecht stehenzubleiben kostete ihn beinahe übermenschliche Anstrengung. Verzweifelt streckte er die Hand aus, in einem Versuch, Sam verständlich zu machen, was er sagen wollte – auch wenn er sich nicht sicher war, was genau das eigentlich sein sollte.
 

Es war ohnehin egal, denn Sam schlug seine Hand weg und der winzige Rückstoß war beinahe genug, um Dean rückwärts stolpern zu lassen.
 

„Sammy“, der rationale Teil seines Verstandes schrie ihm förmlich zu, dass er die Lage erklären musste, dass er Sam überzeugen musste, dass das hier kompletter Irrsinn war, aber sein Instinkt befahl ihm, sich dafür zu entschuldigen, dass er drauf und dran gewesen war, Sam umzubringen. Alleine der Gedanke daran war unverzeihlich.
 

„Scheiße“, stieß er hervor, „Scheiße, ich wollte nicht-“
 

Sam grinste spöttisch und das war schlimmer als alles, was er sonst noch hätte tun können. Dean schnürte es die Kehle zu – zum Teil auch aus reiner, primitiver Überlebensangst, denn jetzt erkannte sein Unterbewusstsein, was er hier vor sich hatte. Ein Raubtier, bösartig und gefährlich, eines, das ihn tot sehen wollte, ohne jeden Zweifel.
 

„Sam“, krächzte er und wusste selber nicht genau, worum er gerade bettelte – für seinen Bruder oder sein eigenes Leben, „Sammy.“
 

Einen winzigen Moment lang sah Sam so aus, als würde er zögern, doch es dauert nicht einmal lang genug, um Dean überhaupt hoffen zu lassen, dass seine Worte irgendetwas bewegt hatten. Sam stürzte sich auf ihn.
 

Die nächsten paar Minuten rasten an ihm vorbei wie die Landschaft an einem Autofenster, wenn man zu schnell fuhr und bestanden nur aus Schmerz und verzweifelten Erklärungsversuchen. Er war sich nicht einmal sicher, ob überhaupt ein zusammenhängender Satz seinen Mund verließ, aber er hörte nicht auf, es zu versuchen.
 

Sam musste verstehen, Sam musste- es loswerden, was auch immer es war.

Das war ihm wichtiger als sich selbst zu verteidigen, wichtiger als alles andere.
 

Er versuchte es selbst dann noch, als ihm schwarz vor Augen wurde und irgendwann hatte er das Gefühl, dass er sich bewegte. Durch den Flur, vorbei an den geschmackvoll gestrichenen Wänden. Seine Gedanken huschten in seinem Gehirn herum, ohne dass er sie richtig zu fassen bekam und ergaben dabei nicht viel mehr Sinn als seine Sätze. ...wohin...?
 

Sam war da, das wusste er, doch dieses Mal hatte er keine Ahnung, ob ihn das beruhigen sollte oder nicht. Sein Kopf war zu schwer, er konnte ihn nicht kaum mehr oben halten und langsam, ganz langsam – er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war – wurde das Bild wieder klar.
 

Stufen.
 

Er stand am Absatz der großen, geschwungenen Treppe, die in die Eingangshalle führte und starrte hinunter und im ersten Moment machte diese Tatsache überhaupt keinen Sinn.

Was zum...? Was soll ich hier?
 

Dann wurde ihm klar, dass Sam neben ihm stand, viel zu dicht und eindeutig gefährlich.

Und von einer Sekunde auf die andere oh Gott, nein, das darf nicht wahr sein, das kann er nicht begriff er die Zusammenhänge.

Ihm wurde eiskalt.
 

„Sam...“, er klang panisch, aber er musste einfach etwas sagen, „Nein. Sammy, nein...!“
 

Als er Sams Augen sah, wusste er, dass es zu spät und nichts mehr zu retten war.

Sein kleiner Bruder zwinkerte ihm zu. „Bye, bye.“
 

Dann war der harte, unbarmherzige Griff, der ihn aufrecht gehalten und von dem er bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal bemerkt hatte, dass er überhaupt da war, mit einem Mal verschwunden und er befand sich im freien Fall.
 

Sein letzter klarer Gedanke, bevor er zum ersten Mal auf einer der viele Kanten aufschlug, war seltsamerweise: Ich hätte wenigstens noch die Kanäle frei schalten sollen.
 

===
 


 

Herrgott, Scrubs macht mich in letzter Zeit echt fertig. Da setzt sich ein fröhliches, glücklich-machendes Happylied nach dem anderen in meinen Gehirnwindungen fest... das ist verdammt kontraproduktiv!
 

Musste mich für dieses Kapitel mit lauter Soundtracks von diversen Horrorfilmen zudröhnen, bevor da überhaupt was draus wurde. (Ein großes Dankeschön geht deshalb an „28 Weeks Later“, der „Saw“-Titelmusik und dieser pling-pling-Melodie von „Halloween“. xD)

Herzschlag

===
 

Das Apartment lag noch genauso still da, wie sie es zurückgelassen hatten.
 

Sein Knöchel schmerzte so stark, dass es sich anfühlte, als würde jemand seinen Fuß bei jedem Schritt mit lange, spitze Nadeln malträtieren. Die Tür war nur angelehnt.

Er zögerte erst und drückte sie dann so langsam auf, als rechnete er damit, dass jede Sekunden etwas daraus hervorschnellen und ihn anfallen könnte.
 

Das Grinsen auf seinem Gesicht war immer noch da, inzwischen tat es richtiggehend weh und er kämpfte gegen den schier unwiderstehlichen Drang, hysterisch loszulachen.

Immerhin hatte er gewonnen.
 

Er machte sich nicht die Mühe, die Tür wieder zu schließen und nahm die Wand zu Hilfe, um ins Wohnzimmer zu hinken. Dort ließ er sich erschöpft auf den nächstbesten Stuhl fallen, aber die erwartete Linderung trat nicht ein. Sein Knöchel schmerzte weiter, gleichmäßig und unerbittlich. Er spürte den Zorn so langsam in sich hoch kriechen wie ein Tier, das auf der Lauer lag – heiß und grell und alles andere überschattend, das er bis vor kurzem noch gefühlt hatte.

Das war nicht fair. Er hatte gewonnen. Warum hörte der Schmerz nicht auf?
 

Auf der Tischplatte vor ihm stand die Kaffeetasse, noch von gestern oder vorgestern. Wie lange war es jetzt her, dass er hier gesessen hatte?
 

-Es war einfach nicht FAIR!-
 

Mit einer ruckartigen Bewegung fegte er die Tasse vom Tisch. Sie segelte fast bis hinüber zur Couch, landete auf dem Boden und zerbrach nicht, sondern zersprang in zahlreiche Stücke. Er betrachtete sie fasziniert.

Sie hatten sich über den ganzen Boden verteilten, eine Art Muster, ein hübsches kleines Rätsel, das er nur noch zu lösen brauchte. Ein paar Splitter waren auf dem Stapel Magazine gelandet, der griffbereit neben der Couch auf dem Teppich lag. Verwirrt runzelte er die Stirn.
 

Die waren nicht von ihm. Er hatte sie nicht mitgebracht.
 

Motorräder und Mädchen in Bikinis und Rockbands... Dean?

Ja... die Zeitschriften sahen aus wie etwas, das Dean lesen würde, wenn ihm langweilig war. Zumindest nahm Sam das an. In seinem Kopf begann es zu pochen und der Drang, laut loszulachen wurde immer stärker. Ihn zurückzuhalten kostete diesmal beinahe schon körperliche Anstrengung.

Weg.
 

-Dean war weg, was also hatte sein ZEUG IMMER NOCH HIER ZU SUCHEN??-
 

Er sprang so hastig auf, dass ihm sekundenlang schwindelig wurde und klammerte sich an der Stuhllehne fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Irgendetwas rumorte in seinem Inneren, fraß sich gewaltsam durch sein Unterbewusstsein und vermischte sich mit dem Nebel in seinem Kopf.
 

Er konnte es nicht sehen. Der Nebel war zu stark, zu dicht und mehr als Umrisse konnte er nicht ausmachen. Erst jetzt bemerkte er, dass er keuchte. Der Atem verließ geräuschvoll seine Lungen, nur um gleich darauf genauso geräuschvoll wieder zurückgepresst zu werden.
 

Die Magazine mussten weg. Dean war weg, seine Sachen mussten ebenfalls verschwinden. Sofort. Sonst konnte er nicht atmen.
 

Er ignorierte den stechenden Schmerz, der sein Bein entlang nach oben schoss und hastete hinüber. Beim Aufheben knickte er beinahe mit dem verletzten Fuß um und allein der Gedanke daran ließ ihn vor Schmerzen erschauern. Er krallte sich in den Sofarücken, so fest er konnte. Es gab ein zerreißendes Geräusch, das ihm bekannt vorkam. Er hatte erst vor sehr kurzer Zeit etwas gehört, das fast genauso geklungen hatte. Zerreißender Stoff... Das Pochen in seinem Kopf wurde stärker. Fast hörte es sich an, als würde jemand gegen eine Tür hämmern.
 

Gehetzt sah er sich um, aber sämtliche Türen um ihn herum standen offen. Da war niemand. Der Nebel in seinem Kopf war zu dicht. Er konnte die Tür nicht sehen. Er WOLLTE sie gar nicht sehen.

Er wollte Deans Sachen hier raus haben, sonst gar nichts. Das wäre alles.
 

Der Zeitschriftenstapel war unerwartet schwer und als er ihn mit zitternder Hand hochhob, fielen Porzellanstücke zu Boden. Er wankte hinüber zum Mülleimer und warf ihn hinein. Dann nahm er den grünen Plastikdeckel und verschloss den Eimer sorgfältig.
 

Das Hämmern gegen die unsichtbare Tür wurde leiser, der Schmerz in seinem Kopf ließ nach. Weg. Er hatte gewonnen.
 

-SIEGER-
 

Er drehte sich um. Die Tür zum Schlafzimmer stand ebenfalls offen.

Sein Blick fiel auf eines der beiden Betten. Es war zerwühlt, die Decke lag halb auf dem Boden, das Kissen zerknautscht am Kopfende – in Form gebracht, um sich besser dagegen lehnen und fernsehen zu können. Selbst aus der Entfernung waren auf der Matratze Krümel auszumachen. Auf der Bettkante lag die Fernbedienung.
 

Wie hypnotisiert starrte er das Bett an. Es schien ihn zu rufen.

Er konnte spüren, wie es seine Finger nach ihm ausstreckte. Es zog ihn magnetisch an, er musste in dieses Zimmer gehen. Musste einfach, konnte gar nicht anders.
 

Ein Schritt, dann noch einer. Und noch einer.
 

Sein Knöchel war vergessen, dafür setzte das Pochen in seinem Kopf wieder ein. Mit jedem Schritt, den er machte, jedem Zentimeter, den er näher kam, wurde es lauter und als er den Türrahmen erreichte, war es bereits unerträglich. Es hämmerte von innen gegen seine Schädelwand, als wollte es daraus hervorbrechen. Als hätte es Angst, in dem ganzen Nebel, der dort drinnen war, zu ersticken.

Wo war die Tür? Er konnte sie nicht sehen.
 

Tump, tump, tump

Wo war die Tür?

tump, tump
 

Wie Herzschläge, absolut gleichmäßig und ohrenbetäubend laut. tump, tump, tump

Auch dieses Geräusch kam ihm bekannt vor. Er wusste nicht woher.
 

Irgendetwas wollte ausbrechen. Wo war die die verdammte Tür? Woher kam der ganze Nebel? Das Atmen fiel ihm schwer und ihm war schlecht.

Das Pochen wurde immer noch lauter, obwohl er sich gar nicht mehr bewegte.
 

Das Zimmer begann sich zu drehen. tump, tump Der Nebel war überall.

Etwas wollte hinaus, er wollte hinaus. Wo war nur die Tür?
 

Da war das Bett, direkt vor ihm und er konnte nicht aufhören, es anzusehen. Sogar blinzeln war zu viel. Krümel. Er aß niemals im Bett. Er warf seine Decke nicht auf den Boden. Er hatte das hier nicht getan. Das Pochen war so laut, dass er das Gefühl hatte, seine Trommelfelle würden reißen tump, tump, Herzschlag vielleicht würde es ihm von innen den Schädel sprengen.
 

Das Bett. Die Krümel. Die Magazine.

Er tat so was nicht. Ihm war furchtbar übel.
 

tump, tump, tump, tump

Etwas in seinem Unterbewusstsein wollte entkommen. Wo kam nur all der Nebel her? Warum verschwand er nicht einfach?

tump

Das Bett, das Kissen, die Fernbedienung. Wo war die Tür? tump, tump, tumptumptump

Der Tisch, der Teller. tumptumptumptumptump

Die Magazine tumptumptumptumptumpTUMP!
 

Irgendetwas in ihm zerbarst, zersplitterte in tausend winzige Stücke und fegte durch seinen Kopf wie ein gleißender Blitzschlag. Schwindel erfasste ihn und er kniff die Augen zusammen.
 

Als er sie wieder öffnete, war der Nebel verschwunden. Das Zimmer war hell und klar, die Kontraste erschreckend deutlich. In seinem Mund schmeckte er bittere Galle.

Es war durchgebrochen. Was auch immer es gewesen war – die Tür war offen. Er spürte den Gedanken auf sich zukommen, wie man einen Zug auf sich zurasen sieht, schneller, immer schneller und unmöglich aufzuhalten. Und dann traf ihn die Erkenntnis mit größerer Wucht, als ein anfahrender Zug sie jemals haben konnte.
 

Dean.
 

Er fuhr herum, stürzte ins Badezimmer und übergab sich ins Waschbecken. Viel hatte er nicht gegessen, aber sein Magen schickte trotzdem alles hoch, was er vorrätig hatte. Am ganzen Körper zitternd umklammerte er den Waschbeckenrand, während er mit brennendem Rachen gewaltsam Magensäure hochwürgte und die Erinnerungen fielen über ihn her wie ein blutrünstiger Vogelschwarm.
 

„Sam...“
 

Oh Gott.
 

„Nein. Sammy, nein...!“
 

Oh Gott. Oh Gott. Ohgottohgott... das konnte nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht wahr sein, das war unmöglich-
 

„Nein. Sammy, nein...!“

„Bye, bye.“
 

Oh Gott.
 

„Nein. Sammy, nein...!“

Deans entsetztes Gesicht.

Dean, dem die blanke Panik in der Stimme lag.
 

Tump, tump, tump...
 

Dean, der die Treppe hinterpolterte, als wäre er nicht Sams Bruder sondern irgendein lebloses, schwerfälliges Ding.
 

Er krümmte sich über dem Waschbecken, als der Würgereiz ihn zum letzten Mal schüttelte, dann stemmte er sich in die Höhe. Das beklemmende Gefühl, keine Luft zu bekommen, war weg, dafür beschleunigte Angst seine Atmung.
 

Er musste in die Empfangshalle. Er musste nach Dean sehen. Er musste-

Immer noch zitternd stieß er sich ab und fand den nächsten Halt an der Leiste der Badezimmertür. Seine Knie waren butterweich und er fühlte sich schwach und klein und erbärmlich. Seine Gedanken rasten.
 

...bitte, bitte nicht. Bitte nicht. Oh Gott, bitte nicht, das darf nicht war sein, bitte nicht, das kann nicht passiert sein, das ist nicht möglich, bitte lass ihn nicht (Er konnte das Wort nicht mal denken.) Oh Gott, bitte, BITTE!
 

Bis zur Apartmenttür schaffte er es, dann gab sein verletzter Knöchel unter ihm nach und er ging fluchend zu Boden. Der Schmerz machte ihn zornig, aber es war nicht die helle, blendende Wut von vorhin, sondern eiskalter, ohnmächtiger Zorn.

Nicht jetzt! Später, irgendwann oh bitte, bitte, mir egal wie, bitte lasst ihn nicht er konnte das ertragen, die Schmerzen waren ihm egal, aber er konnte hier nicht mitten im Flur sitzen bleiben.
 

Er rappelte sich auf und schleppte sich weiter, kroch auf allen Vieren. Die Gänge erstreckten sich endlos vor ihm, zogen sich scheinbar absichtlich in die Länge. Irgendwann auf halbem Weg kam ihm der Gedanke an eine Krücke, einen Stock, irgendeine Art von Hilfsmittel, doch dafür hatte er jetzt keine Zeit. Als er endlich die Galerie erreichte, war er schweißgebadet und sein Fuß stand in Flammen. Er zog sich am Geländer hoch und versuchte verzweifelt, einen Blick auf das Ende der Treppe zu erhaschen, aber die Stelle, an der Dean zum Liegen gekommen war, befand sich im toten Winkel.
 

Halb hüpfte, halb taumelte er vorwärts und bedachte gleichzeitig seinen verräterischen Knöchel im Geiste mit allen Schimpfwörtern, die ihm nur einfielen. Die Stufen kamen in Sicht, dann war das obere Ende der Treppe erreicht und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er ein furchtbares Déjà-vu. Um ein Haar drehte es ihm wieder den Magen um, doch dann sah er etwas, das ihn alle Übelkeit vergessen ließ.
 

Am Fuße der Treppe lag niemand mehr. Die Stelle war leer.

Sein Bruder war weg.
 

Die Erleichterung, die ihn durchströmte, traf ihn beinahe noch vehementer als die Erkenntnis, dass er Dean die Treppe hinuntergestoßen hatte. Seine Beine wollten schon wieder nachgeben, aber er riss sich am Riemen. Dann erst bemerkte er die Gestalt, die an der gegenüberliegenden Wand der Halle bewegungslos im Schatten kauerte.
 

„Dean!!“
 

Keine Reaktion. Oh Gott, bitte nicht.
 

Die Treppe hinunterzukommen war reinste Folter. Er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, weil es ihm gar nicht schnell genug gehen konnte. Zweimal stürzte er fast selbst und als er endlich auf der letzten Stufe angekommen war, hatte er sich seine Unterlippe wieder blutig gebissen. Der Schmerz in seinem Knöchel schien sich verselbstständigt zu haben.
 

Die zusammengesunkene Gestalt rührte sich nicht.

Er versuchte es noch einmal. „Dean!“
 

Nichts.
 

Die Kälte umschloss sein Innerstes. Nein. Er kam schwankend wieder auf die Beine, durchquerte die Halle so schnell er nur konnte. Beinahe schlug er der Länge nach hin, aber er kümmerte sich nicht darum. Trotz der Schatten konnte er ihn jetzt deutlich sehen, die Stiefel, das zerrissene Hemd, die verschwitzten, dunkelblonden Haare...
 

Den großen, verdächtig rot verkrusteten Fleck an der Schläfe, die vielen Abschürfungen und bereits ins Blaue spielende Flecken, dort wo die Haut nicht von Kleidung oder Haaren verdeckt wurde. Er ging erst in die Knie, dann kroch er auf seinen Bruder zu. Sein Herz hämmerte dabei so stark, dass er dachte, er müsste jeden Moment ersticken.
 

„Dean“, brachte er heraus, es war nicht viel mehr als ein Krächzen, „Dean.“
 

Stille.
 

Fast zögernd streckte die Hand aus, weil er panische Angst davor hatte, den Puls zu fühlen. Was, wenn da nichts mehr war? Eine Sekunde lang schwebte sie unschlüssig über Deans Handgelenk, dann zog er sie hastig weg und legte sie stattdessen auf Deans Schulter.
 

Warm.

Seine Finger glitten tiefer, ein Stück nach links und- da war es.

...tump, tump, tump...
 

Er konnte seine Hand nicht wegziehen. Es war, als wäre sie festgeklebt, gehalten von jener unsichtbaren Macht, die soeben ein Wunder gewirkt hatte.
 

...tump, tump, tump...
 

Kein Zweifel, das Herz schlug. Sam blinzelte und blinzelte, sah dennoch alles verschwommen und erst nach einem Augenblick wurde ihm klar, dass da Tränen waren. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und erst dann wagte er, vorsichtig aufzuatmen. Wie von selbst presste er seine Hand fester gegen das beruhigende Schlagen, den endgültigen Beweis dafür, dass er-
 

Ja, was? Dass er seinen Bruder durch schieres Glück doch nicht umgebracht hatte?

Sehr beruhigend, wirklich.
 

Im nächsten Moment öffnete Dean ruckartig die Augen und zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Sam wurde mit einem Schlag klar, dass er das tat, um sich in Sicherheit zu bringen. Vor nicht einmal einem Tag hätte er jederzeit noch Stein und Bein geschworen, dass Dean sich bei seinem Anblick automatisch entspannen würde, dass es ihn beruhigen würde, seinen kleinen Bruder zu sehen... jetzt huschten seine Augen bei Sams Anblick hektisch zum nächstbesten Ausgang.
 

Rasch zog Sam seine Hand zurück

„Dean...“, krächzte er und hielt gleichzeitig beide Handflächen in die Höhe zum Zeichen, dass er nichts unternehmen würde, „Dean, schon gut... ich bin’s.“
 

Im nächsten Augenblick kam er sich vor wie ein mieser, dreckiger Lügner.
 

„Ich bin’s...“ Na toll.

Mann, nur keine Panik... ich hab dich bloß die Treppe runtergeworfen. Kein Grund, deswegen ’nen Aufstand zu machen.
 

Dean blinzelte benommen, betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Sein ganzer Körper war gespannt wie eine Bogensehne und Sam war sich nicht einmal sicher, ob sein Bruder die ganze Situation überhaupt richtig wahrnahm, aber mit einem Mal konnte er nicht mehr anders. Beinahe gewaltsam brach es aus ihm heraus.
 

„Oh Gott, Dean“, es war egal, dass die Feuchtigkeit auf seinen Wangen vermutlich Tränen waren, „Dean, es... ich wollte nicht... oh Gott, es tut mir so leid, du hast ja keine Ahnung, ich wollte nicht... ich hatte nicht... oh Gott, es tut mir leid, du weißt gar nicht, wie sehr, es tut mir leid, es tut mir leid-“
 

Wie durch einen Schleier nahm er war, dass Dean die Hand hob. Er wusste nicht, wozu und es wäre ihm auch egal gewesen, wenn er ihn geschlagen hätte. Einen Moment lang hing sie in der Luft, so als wäre ihr Besitzer selbst nicht sicher, was er mit ihr anfangen sollte.

Dann fand sie ihren Weg in Sams Nacken – die ultimative Winchester-Geste, um Trost und Geborgenheit zu spenden. Eine Spur fester als sonst, denn Deans Finger bohrten sich in seine Haut, als suchten sie selber nach Halt und außerdem hatte er ein paar von Sams Haarsträhnen erwischt, aber keiner von ihnen beiden scherte sich darum.
 

„Sammy...“
 

Und wenn Sam gedacht hatte, bis gerade eben wäre ihm nach Heulen zumute gewesen...!
 

„Dean“, brachte er heraus, es klang klein und erbärmlich und noch dazu extrem verwässert, „Gott, es tut mir so leid...“

„Sam-“

„Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt... warum ich... oh Gott...“
 

Umso öfter er es aussprach, desto lächerlicher klang es in seinen Ohren. Es gab keine Entschuldigung. Es gab einfach keine. Er war nicht besessen gewesen. Er hatte frei entschieden. Er hatte gewusst, was er da tat und trotzdem hatte er Dean die gottverdammte Treppe hinuntergeworfen.

Es gab keine Entschuldigung. Es würde nie ein geben.
 

Etwas drückte sanft in seinem Nacken und als er aufsah, traf er Deans festen, vollkommen klaren Blick.

„Sam“, sagte sein Bruder, „Sammy, scheiße noch mal, du siehst schrecklich aus.“
 

Das war zu viel. Sam wusste nicht, ob er loslachen oder Dean eine reinhauen sollte.

„Ich...“, würgte er mit Mühe hervor, „Ich sehe schrecklich aus? Ich sehe schrecklich aus? Sag mal, hast du sie noch alle?!“
 

Dean grinste schief. Er schien Schmerzen zu haben, aber das hinderte ihn offenbar nicht daran, dumme Witze zu reißen.

„Kannst die Wahrheit wohl nicht verkraften, was?“
 

Sam schluckte schwer.

„Dean...“, versuchte er es erneut, aber sein Bruder schüttelte vehement den Kopf.
 

Kurz wirkte er so, als würde ihm dabei schwindelig werden.

„Ich will’s nicht hören“, sagte er, „Schwamm drüber. Es war nicht deine Schuld, Sammy, also vergiss es, okay?“
 

So einfach war das.

Es war nicht das erste Mal, dass er diese Worte hörte (und was sagte es eigentlich über ihr Leben aus, dass sie oft genug in derartige Situationen geraten waren, um so etwas mit hundertprozentiger Sicherheit zu wissen?), aber es erfüllte ihn immer noch mit fassungslosem Unglauben.
 

Schwamm drüber. Vergeben und vergessen.

Kein einzelner Mensch konnte so sein. Das war doch nicht mehr normal.

Herrgott noch mal, das war schlicht und einfach nicht gesund!
 

Dean konnte seine Gedanken offenbar von seinem Gesicht ablesen.

„Sammy“, hakte er nach, „Okay? Vergiss es.“
 

Sam nickte steif.

„’kay“, murmelte er.
 

Dann erst wurde ihm klar, dass sie irgendwann demnächst verschwinden mussten. Schließlich konnte er Dean nicht hier sitzen lassen – er war verletzt und es war kalt.

Ganz abgesehen davon, dass sich inzwischen bereits seine Nackenhaare aufstellten, wenn er der Colorado Lounge nur den Rücken zudrehte. Irgendetwas war passiert. Er wusste noch nicht genau, was es war, aber es war gefährlich.
 

Das Hotel war gefährlich.
 

Sie befanden sich in feindlichem Territorium – so lächerlich das auch klang, er wusste plötzlich, dass dies den Tatsachen entsprach. Aus irgendeinem Grund waren sie hier in Gefahr. Sie mussten zurück ins Apartment. Das Apartment war warm.

Das Apartment war sicher. Wusste der Himmel, wann sich diese Idee in seinem Kopf festgesetzt hatte und wusste der Himmel, warum er dieses Zeug überhaupt dachte, aber es war die Wahrheit.
 

Er musste Dean hier wegschaffen und das so schnell wie möglich.
 

„Sam...?“

Er bemerkte, dass sein Bruder ihn aufmerksam beobachtet.
 

„Ja“, sagte er mit einem Mal entschlossen, „Hör zu... wir müssen verschwinden.“
 

Dean sah kein bisschen überrascht aus. „Ich weiß“, sagte er, „Du hast es bemerkt, oder? Irgendwas stimmt da nicht...“
 

Sam schnaubte humorlos. „Ich hab dich die gottverdammte Treppe runtergeworfen... also ja, ich würde sagen, ich habe bemerkt, dass irgendwas nicht stimmt.“
 

Dann wurde er wieder ernst. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. In Selbstmitleid baden konnte er, wenn er Dean nach oben geschafft und verarztet hatte. „Wie schlimm...?“
 

Sein Bruder schloss sekundenlang die Augen und schien eine mentale Bestandsaufnahem vorzunehmen.

„Rippen“, sagte er schließlich angespannt, „Vor allem die Rippen. Zwei oder drei mindestens... aber ansonsten gar nicht mal so übel.“
 

„Was genau heißt gar nicht mal so übel?“
 

„Dass ich es überleben werde, Sam.“
 

„Toll...“, sagte Sam bissig.
 

Dean zog eine Augenbraue hoch.

„Was denn?“, sagte er, „Das nicht gut genug für dich?“
 

„So war das nicht... ach, halt die Klappe.“
 

===
 

Der Weg zurück war schlicht und einfach furchtbar. Der Fahrstuhl kam aus ziemlich naheliegenden Gründen nicht infrage, also waren sie gezwungen, die Treppe zu nehmen.
 

Es war die Hölle.
 

Dean schaffte es zwar, mehr oder weniger geradeaus zu wanken, wenn er etwas hatte, auf das er sich abstützen konnte, aber Sam war für diesen Zweck denkbar ungeeignet, weil sein Knöchel mittlerweile so wehtat, dass er kaum mehr aufrecht stehen konnte. Er hätte die Stufen vielleicht wieder auf allen Vieren geschafft, aber das ging natürlich nicht, weil Dean aufgrund der gebrochenen Rippen alleine bei dem Gedanken daran, in die Knie zu gehen, ungesund blass um die Nasenspitze wurde.
 

Sie brauchten jede Menge Pausen und als sie die Treppe endlich geschafft hatten, lagen immer noch haufenweise Gänge vor ihnen. Schließlich missbrauchte Sam einen der Schirmständer, die zu Dekorationszwecken herumstanden, als Krücke. Solange Dean sich nicht allzu schwer auf ihn stützte und sie nahe der Wand entlang humpelten, um das Gleichgewicht zu halten, war die ganze Sache tatsächlich machbar.
 

Er konnte sich nicht erinnern, jemals so erleichtert gewesen zu sein wie in dem Augenblick, in dem er endlich die Apartmenttür hinter sich zufallen ließ. Das Schloss drehte er sicherheitshalber gleich zweimal um.
 

Dean überließ die Tür ihm und torkelte durch den Flur weiter ins Wohnzimmer, wo er sich auf denselben Stuhl rettet, auf dem Sam vorhin gesessen hatte. Fast kam es ihm grotesk vor, dass das nicht einmal anderthalb Stunden her sein sollte. Es fühlte sich an, als lägen Jahre dazwischen.
 

Gut, dachte Sam und überzeugte sich gleichzeitig davon, dass die Salzlinien und das Pentagramm, das sie gleich am Tag ihrer Ankunft gezogen hatten, noch intakt waren – auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass ihnen diese Dinge hier nichts mehr nützen würden, ja, dass sie ihnen vermutlich von Anfang an nichts genützt hatten – jetzt musste er das hier erstmal in Ordnung bringen.
 

Ihr Erste-Hilfe-Zeug lag sicher verstaut in seiner Tasche unterm Bett. Im Bad gab es zwar ebenfalls einen kleinen Erste-Hilfe-Kasten, aber der war noch weiter weg... na schön, wie also kam er ins Schlafzimmer?
 

Dean war kalkweiß im Gesicht, das verkrustete Blut bildete einen beinahe schon künstlerischen Kontrast. Seine Atemzüge waren verbissen und kontrolliert – aber als Sam auf einem Bein an ihm vorbeihüpfte, öffnete der die Augen.
 

„Sammy, was zum...?“
 

Was denn? Irgendwie musste er sich ja fortbewegen und das hier sah vielleicht bescheuert aus, aber es war wenigstens eine Option. Und es war gar nicht mal so schlimm, abgesehen von dem Umstand, dass sein Knöchel bei jedem Ruck, der durch seinen Körper ging, vor Schmerzen aufzuschreien schien.
 

„Ich will’s nicht hören“, keuchte er und war froh, als er den Türrahmen erreicht hatte, um sich festhalten zu können, „Irgendwie muss ich ja an Verbandszeug kommen.“
 

Er fiel mehr aufs Bett, als dass er tatsächlich stehen blieb, zerrte die Tasche hervor und stellte fest, dass er die falsche erwischt hatte. Ungeduldig stopfte er sie wieder zurück, bekam die richtige zu fassen und als er sich wieder aufrichtete, fiel sein Blick wie durch Zufall auf den Spiegel.
 

„Sammy, scheiße noch mal, du siehst schrecklich aus.“
 

Dean hatte Recht gehabt. Um ehrlich zu sein, er hatte noch untertrieben. Beinahe verblüfft starrte Sam sein Spiegelbild an. Er sah aus wie jemand, der in jeder Krankenhaus-Notaufnahme auf der Stelle an die Reihe gekommen wäre, weil das Personal befürchtet hätte, er könnte bewusstlos in sich zusammensacken.
 

Er war grün und blau, seine Wange war angeschwollen und die gesamte untere Gesichtshälfte war dunkel vor getrocknetem Blut – obwohl, so getrocknet war es gar nicht, denn seine Unterlippe glänzte immer noch verdächtig rot. Er hatte gar nicht mehr mitbekommen, dass er sie den ganzen Weg über immer weiter zerbissen hatte. Der restliche Teil seines Gesichts war weiß wie eine Wand, seine Haare nass vor Schweiß und seine Augen saßen tief in ihren Höhlen.
 

Du lieber Himmel.
 

Aber immerhin fühlte er sich nicht ganz so mies, zumindest nicht körperlich. Bis auf den Knöchel und die dumpfe Übelkeit, die einherging mit seinen hämmernden Kopfschmerzen, ging es ihm sogar ziemlich gut. Eigentlich konnte er sich nicht beschweren... er war schon weitaus schlimmer dran gewesen.
 

Unwillig riss er sich von der Erscheinung im Spiegel los.

Mal ehrlich, das war gar nichts. Peanuts.
 

Und jetzt im Moment hatte er ohnehin Wichtigeres zu tun.
 

===
 


 

Gnargh! >___<

Wenn das nächste Kapitel noch kursiver wird, kaue ich mir die Finger ab!

Ist es möglich, ein Weichei zu sein, wenn man ganz eindeutig weibliche Geschlechtsmerkmale aufweist?

Colorado Lounge

Ab morgen bin ich fast 'ne ganze Woche weg, aber ich wollte euch nicht in der Luft hängen lassen.

Dieses Kapitel ist für meine Verhältnisse irgendwie kurz und hätte eigentlich noch länger werden sollen (so mit Cliffhänger und allem :D), aber nein.

Laden wir es eben hoch.
 

Handlunsmäßig passieren tut nicht viel, stattdessen gibt es Dialoge und 'nen ganzen Haufen Schuldgefühle. Hach ja. :D
 

===
 

Wenn man verrückt wurde und währenddessen die ganze Zeit über wusste, dass man verrückt wurde, wurde man dann wirklich verrückt?
 

Schon seit gut einer halben Stunde war er überzeugt davon, Musik zu hören. Leise, munter vor sich hinplätschernde Musik aus den 30er-Jahren, die aus der Lounge durch den Fußboden nach oben ins Zimmer zu dringen schien, zusammen mit den dumpfen Geräuschen von Schritten und dem leisen Murmeln von Gesprächen. Wenigstens war er sich sicher, dass er sich das Klirren von Gläsern, die hin und wieder aneinander stießen, nur einbildete.
 

Vermutlich war das nur das Gluckern der Heizung.

Vermutlich war da auch gar keine Musik, sondern nur der Wind, der um die Außenwände des Hotels heulte. Sicher war er sich jedoch nicht.

Im Prinzip war es wie mit diesen verdammten Mücken in einer schwülen Sommernacht... man hatte das hohe, durchdringende Summen selbst dann noch im Ohr, wenn man die Biester längst erschlagen hatte und irgendwann wusste man nicht mehr, ob man das Surren wirklich hörte oder sich nur in etwas hineingesteigert hatte.
 

Am liebsten hätte er den Fernseher eingeschaltet. Den Fernseher oder das Radio – wobei er sich ziemlich sicher war, dass der Empfang bei dem Schneesturm, der draußen tobte, gleich null sein würde. Sein MP3-Player hatte keinen Akku und sein Handy war Schrott. Das Ding hatte ihm den Treppenabsturz, den es in seiner Hosentasche hatte miterleben müssen, anscheinend verdammt übel genommen.
 

Sogar lautes Singen wäre eine Möglichkeit gewesen. Er hätte sich einfach die Finger in die Ohren stecken und eine Rockballade nach der anderen schmettern können, wäre diese verlockende Alternative nicht aus zwei Gründen unmöglich gewesen: Erstens, seine Rippen. Sein Brustkorb brachte ihn um, was größtenteils daran lag, dass er die richtig guten Schmerzmittel verweigert hatte, um nicht völlig ausgeknockt zu sein, falls noch irgendetwas passieren sollte und jetzt verursachte ihm allein der Gedanke daran, einmal tief Luft zu holen, Übelkeit.
 

Und zweitens, was noch viel wichtiger war – Sam schlief.

Endlich.
 

Es hatte ihn schon eine gefühlte Ewigkeit gekostet, seinem kleinen Bruder klarzumachen, dass er, Dean, nicht auf der Stelle tot umfallen würde, wenn Sam für ein paar Sekunden die Augen zumachte. Den Teufel würde er da tun und ihn sofort wieder aufwecken! Er selbst hatte es immerhin geschafft, ein paar Stunden zu schlafen – das gesamte Konzept war dann hauptsächlich daran gescheitert, dass er im Liegen bei jedem Atemzug das Gefühl gehabt hatte, seine Brust würde in Flammen stehen.
 

Ganz abgesehen davon, hatte sein kleiner Bruder vollkommen erschöpft ausgesehen, als Dean schließlich aufgewacht war – so als würde er jeden Moment rücklings vom Stuhl kippen oder irgendetwas ähnlich Beunruhigendes anstellen.
 

Dean hatte immer noch den Verdacht, dass Sam ihn die ganze Zeit über aufmerksam beobachtete hatte und das verursachte ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend, das nichts, aber auch rein gar nichts mit den neuesten Ereignissen zu tun hatte.
 

Wie er aussah, wenn er schlief, war immer noch Privatsache und dass Sam wirklich vier Stunden lang einfach nur dagesessen hatte, um ihn... urgh. Er widerstand dem Drang, unangenehm berührt auf seinem Stuhl herumzurutschen. Bewegungen, die nicht absolut notwendig und überlebenswichtig waren, wurden im Augenblick als überflüssig eingestuft und so weit als möglich unterlassen.
 

Die Decke raschelte leise, weil Sam anscheinend... irgendetwas mit einem seiner viel zu langen Gliedmaßen angestellt hatte und Deans Blick huschte beinahe schuldbewusst vom Boden hoch und zurück zum Bett. Er seufzte vorsichtig. Seit er aufgewacht war, hatte er es tunlichst vermieden, eingehend über die Dinge nachzudenken, die heute (Gestern? Scheiße, wie spät ist es überhaupt?) zwischen ihnen vorgefallen waren.

Er fühlte sich auch so schon mies genug.
 

Wenn wenigstens diese gottverdammte Musik nicht gewesen wäre...!

Er hatte das deutliche Gefühl, langsam aber sicher durchzudrehen – und dieser Gedanke alleine machte ihm mehr Angst als alles andere, was in den letzten beiden Wochen hier vor sich gegangen war.
 

Er durfte nicht durchdrehen. Er durfte ganz einfach nicht.

Wenn die logische Konsequenz davon war, dass er mit einem Mal das dringende Bedürfnis hatte, Sams Kopf so lange gegen die nächstbeste Wand zu schlagen, bis sein Schädelknochen zersplitterte, dann kam das nämlich schlicht und ergreifend nicht in Frage.

Verrückt zu werden war in diesem Fall keine Option.
 

Wenn er ehrlich war, hätte er einiges darum gegeben, jetzt nach unten gehen und nachsehen zu können. Einfach die Tür zur Colorado Lounge einen Spaltbreit aufzuziehen und hindurchzuspähen... Selbst wenn dort drinnen eine ganze Armada von Geistern zusammen mit Dracula höchstpersönlich auf den Tischen getanzt hätte, wäre ihm das immer noch lieber gewesen als hier herumsitzen und sich fragen zu müssen, ob die Geräusche nur Hirngespinste waren oder doch nicht. Gewissheit zu haben war immer besser.
 

Und gesünder war es in den meisten Fällen wahrscheinlich auch.
 

Doch ein Abstecher nach unten stand nicht zur Debatte.

Nicht solange Sam noch schlief. Wenn er wach war, konnten sie das ja durchaus mal diskutieren... aber bis dahin würde Dean sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen.
 

===
 

Etwas berührte ihn am Arm, vorsichtig und zögernd, und er fuhr hastig in die Höhe – keine besonders durchdachte Reaktion, denn in der nächsten Sekunde schnappte er auch schon erschrocken nach Luft.

„Uuuuff, scheiße!“
 

Seine Hand war automatisch nach oben geschossen, aber er widerstand dem Drang, sie gegen seine schmerzenden Rippen zu pressen und hielt sich stattdessen an der Stuhllehne fest. Dann umfasste plötzlich jemand mit festem Griff seine Schultern, um ihm dabei zu helfen, seine aufrechte Sitzposition beizubehalten, wofür seine Lungenflügel enorm dankbar waren.
 

„Okay, okay, woah! Langsam.“

Beim Klang der Stimme entspannte er sich ein Stück weit; beinahe schon gegen seinen Willen.
 

Sam. Wer auch sonst?

Er ließ die Augen zu und versuchte ruhig zu atmen. Aus Erfahrung wusste er, dass das wütende Stechen in seinem Oberkörper nicht verschwinden, sondern höchsten nachlassen würde. Autsch, verdammte Scheiße, warum... okay, das war einigermaßen auszuhalten.
 

Ein paar Sekunden vergingen und er wartete mit zusammengebissenen Zähnen, bis die Schmerzen wieder erträglich waren, bevor er die Augen öffnete. Im nächsten Augenblick musste er sich bereits hart am Riemen reißen, um nicht erneut zurückzuzucken. Sein kleiner Bruder war ihm mitsamt seiner riesengroßen, besorgten Augen so dicht auf die Pelle gerückt, dass er beinahe auf seinem Schoß saß.
 

„Mann“, brachte Dean heraus und schaffte es dabei sogar, sarkastisch zu klingen, „Ich weiß ja nicht, wo du hin willst, aber der Platz hier ist schon besetzt.“
 

„W-was?“, Sam blinzelte, „Warum, was- oh.“

Er zog sich so hastig zurück, als hätte er sich verbrannt, aber sein Gesicht war nicht verlegen, sondern schuldbewusst. „Tut mir Leid, ich... tut mir Leid.“
 

Dean versuchte nach Leibeskräften, sich nicht schlecht zu fühlen und hatte nur mäßigen Erfolg. Wenn er sich nicht einmal mehr über Sam lustig machen konnte – dafür dass der Kerl aus irgendeinem Grund ständig das Bedürfnis hatte, eine Sache so dramatisch und herzerweichend wie nur irgend möglich zu gestalten – dann konnte er sicher sein, dass etwas zwischen ihnen ganz und gar nicht in Ordnung war.

Nicht... nicht dass er diesen zusätzlichen Hinweis bei dem aktuellen Stand der Dinge überhaupt gebraucht hätte.
 

Er schaffte es gerade noch, nicht wieder zu seufzen.

„Sammy“, sagte er und so unbewusst und intuitiv er diesen Spitznamen normalerweise auch verwendete, diesmal war der Gebrauch volle Absicht, „So war das ni-“
 

„Schon gut“, Sam hob beide Hände und sah dabei kreuzunglücklich aus, „Ich hätte nicht... egal.“

Er lächelte schief. „Geht’s wieder?“
 

Dean brauchte einen Moment, bis er begriff, wovon die Rede war. Anscheinend war es nicht genug, dass er sich schon seit Stunden Vorwürfe machte (Sam an den Kragen zu gehen war grundsätzlich schon schlimm genug, aber es zu tun, ohne die geringste Entschuldigung dafür zu haben war es schlicht und einfach unverzeihlich) nein, offenbar fühlte sich sein kleiner Bruder jetzt auch noch schuldig.

Was ja eigentlich ganz nett war, mal abgesehen davon, dass es ihm nicht richtig vorkam.
 

Nicht fair.

Sie hatten es beide versaut – der einzige Unterschied bestand darin, dass Dean den Kürzern gezogen hatte. Und wenn sie alle beide genau den gleichen Mist gebaut hatten, dann... glich sich das am Ende doch wieder aus, oder etwa nicht?
 

Er war fest entschlossen, Sam diesen Gedankengang mitzuteilen – einerseits, weil sein kleiner Bruder so aussah, als könnte er etwas Aufmunterung vertragen, andererseits weil es ohnehin die Wahrheit war – als sein Bruder plötzlich die Schultern straffte.

Ein angespannter Zug erschien um seinen Mund.
 

„Hörst du das? Da... spielt da jemand Musik?“
 

Dean konnte gar nicht anders, als ihn völlig entgeistert anzustarren. Nicht, weil Sam Unrecht gehabt hätte, sondern viel mehr deshalb, weil Dean selbst irgendwie zu dem Entschluss gelangt war, dass besagte Klänge nicht real waren und nur in seinem Gehirn existierten. Dass er mit dieser Vermutung offensichtlich falsch gelegen hatte, überraschte und beruhigte ihn gleichermaßen. Die Worte kamen über seine Lippen, noch bevor er überhaupt nachgedacht hatte.
 

„Was denn?“, fragte er verblüfft, „Du hörst das auch?“
 

Im nächsten Moment hätte er sich schlagen können. Toll gemacht, Dean... Wenn das kein absolut felsenfester Beweis für die eigene Umwelt war, dass man sie nicht mehr alle beisammen hatte, dann wusste er auch nicht.
 

„Ja“, sagte Sam langsam, „Natürlich, warum sollte ich nicht?“ Er runzelte die Stirn.

„Dean?“, mit einem Mal klang er argwöhnisch, „Was geht hier ab?“
 

„Keine Ahnung.“ Dean war immer noch wütend auf sich selbst.

„Keine Ahnung“, wiederholte er eine Spur lauter, als das nicht zu überzeugen schien, „Weiß der Teufel, was in diesem verdammten Schuppen jetzt wieder los ist!“
 

Sein kleiner Bruder wirkte zwar immer noch alles andere als überzeugt, aber dafür sah er wenigstens normal aus. Inzwischen kannte Dean den Unterschied zwischen Sams du-willst-mich-doch-verarschen- und seinem ich-bin-so-paranoid-dass-ich-dich-umbringen-möchte-Gesichtsausdruck.
 

„Okay“, sagte Sam und wirkte mit einem Mal sehr entschlossen, „Mir reicht’s. Das sehen wir uns an.“
 

Zu seiner eigenen Überraschung stellte Dean fest, dass sich alles in ihm dagegen wehrte, das Apartment zu verlassen. Feindliches Territorium.

...und wo zur Hölle war das nun wieder hergekommen?
 

Sam war längst dabei, seine Schuhe zusammenzusuchen. Er hinkte immer noch merklich, konnte sich aber offenbar ohne allzu große Schwierigkeiten bewegen und irgendetwas in Dean, von dem er bis dahin noch nicht einmal gewusst hatte, dass es ihn beunruhigte, löste sich in nichts auf.

Bewegung war gut – das bedeutete, dass Sam nicht hilflos war, dass er sich im Notfall verteidigen oder auch wegrennen konnte.
 

Falls sein bescheuerter großer Bruder wieder Amok lief, zum Beispiel.
 

Dean stopfte den Gedanken gewaltsam in den hintersten Winkel seines Bewusststeins. Das würde nicht passieren. Punkt, aus. Sendepause. Selbst wenn das bedeutete, dass er sich selbst eine Kugel in den Schädel jagen musste, um es zu verhindern.
 

Erst als sich jemand leise räusperte, wurde ihm klar, dass Sam, direkt vor ihm stand.

Er wirkte furchtbar unsicher.

„Du...“, sagte er und räusperte sich, „Du musst nicht mitkommen. Ich meine... es ist wahrscheinlich sowieso besser, wenn du-“
 

Dean schnitt ihm das Wort ab.

„Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich dich in diesem Schuppen noch irgendwo alleine hingehen lasse, oder?“
 

Die Art, wie Sam seine Lippen zusammenpresste, verriet, dass er die Bemerkung komplett in den falschen Hals bekommen hatte. Er schien Deans Beschützerinstinkt mit Misstrauen zu verwechseln.

„Klar“, sagte er zögernd, „Schon klar, verstehe. Du-“
 

„Gar nichts verstehst du!“, brauste Dean auf, „Sam, Himmelherrgott noch mal!“

Er hielt inne und befeuchtete sich die Lippen. Sie würden darüber reden müssen, gar keine Frage. Die Sache war nur, jetzt war dafür definitiv kein guter Zeitpunkt... und das hatte rein gar nichts mit der Tatsache zu tun, dass sich ihm schon bei dem Gedanken an ein klärendes Gespräch aus diversen Gründen der Magen umdrehte.

„Damit hab ich bloß gemeint, dass es... also, nach allem, was passiert ist, wäre es nicht besonders schlau, wenn irgendeiner von uns beiden alleine...“
 

Er machte eine Handbewegung, von der er hoffte, dass sie erklärte, worauf er hinauswollte. Dass Sam daraufhin tatsächlich dreinschaute, als hätte er es kapiert, war auf jeden Fall ein gutes Zeichen.
 

Sein kleiner Bruder nickte und sah dabei schon nur mehr halb so bedrückt aus.

„Also was ist“, sagte er „Brauchst du Hilfe?“

Dean hätte schwören können, den Hauch eines Grinsens aus seiner Stimme herausgehört zu haben.
 

Er teilte Sam in aller Würde mit, wohin er sich sein Angebot stecken konnte.
 

===
 

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er kapierte, dass die rostbraunen Flecken am Fuß der Treppe getrocknetes Blut waren. Bevor er noch wegsehen konnte, war Sam seinem Blick gefolgt und gab ein leises Geräusch von sich. Kurz wirkte er so, als wollte er etwas sagen, doch dann ließ er es bleiben.
 

Jetzt, da sie in der Eingangshalle standen, war kein Zweifel mehr möglich, dafür war der Lärm zu laut. Musik und Gesprächsfetzen, Gläserklirren und Gelächter.

Nichts davon hatte Dean sich eingebildet, alles war Realität.

Mehr... oder weniger zumindest.
 

Jedenfalls klang es nach einer ganzen Menge Menschen.
 

Sam neben ihm war gespannt wie eine Bogenfeder.

„Okay“, sagte er und obwohl er ihn dabei nicht ansah, sondern die Tür zur Colorado Lounge nicht aus den Augen ließ, wusste Dean, dass die Bemerkung auch an ihn gerichtet war, „Was meinst du, haben wir die paar hundert Leute bisher einfach nur übersehen?“
 

Dean zuckte mit den Schultern und ignorierte die unmittelbar darauffolgenden Schmerzen.

„Wer weiß“, sagte er, „Vielleicht sind die nur wirklich gut im Verstecken.“
 

Sam gab ein Lachen von sich, das beinahe bitter klang, dann setzte er sich in Bewegung, ohne sich überhaupt zu vergewissern, dass Dean ihm hinterherkam. Fast wirkte er wütend. Er durchquerte die Lobby mit großen, nicht ganz sicheren Schritten und Dean beeilte sich, ihm zu folgen. Er wusste ehrlich nicht, was sie erwartete – und das ging ihm gegen den Strich.
 

Sam hatte die hohe Tür erreicht, die vollständig geschlossen war und... Augenblick mal. Dean war eindeutig der Letzte gewesen, der die Lounge verlassen hatte, unendlich zornig und im Blutrausch und auch, wenn seine Erinnerungen etwas verschwommen waren, so war er sich doch in einem Punkt vollkommen sicher: Er hatte die Tür nicht zugemacht.

In dem Moment war das schließlich seine geringste Sorge gewesen.
 

Als sein kleiner Bruder die Klinke nach unten drückte, war Dean sich nicht sicher, ob er wirklich sehen wollte, was zum Vorschein kam. Das Schloss klickte und Sam zog die Tür so vorsichtig auf, als erwarte er, irgendetwas würde von der anderen Seite dagegen stoßen und ihnen ins Gesicht springen.

Sekundenlang fühlte Dean sich unangenehm an Zimmer 217 erinnert, an kalte, erbarmungslose Hände und an das Gefühl, keine Luft zu bekommen-
 

Die Tür schwang auf und- leer.

Der ganze Raum war vollkommen leer.
 

Es war, als wäre nie etwas gewesen.

Keine Musik, keine Menschenseele. Nichts, nicht einmal der Hauch einer Spur davon, dass bis vor kurzem noch jemand hier gewesen wäre.
 

Die paar Tische und Stühle, die sie im Streit demoliert hatten, lagen immer noch dort, wo sie gelandet waren und die Theke... die Theke war praktisch übersäht mit Glasscherben. Einen Augenblick lang blinzelte Dean verwirrt, dann sprach Sam aus, was an dem Bild nicht stimmte. Seine Stimme klang heiser.
 

„Was... wo kommt das ganze Zeug her?“
 

Als sie angekommen waren, war die Bar war geleert gewesen, keine Flaschen, keine Gläser, alles war fein säuberlich verpackt und weggeräumt worden. Über den Winter wurden Spirituosen im Hotel zurückgelassen. Umso faszinierender war es also, dass sich hinter der Theke fein säuberlich aneinandergereiht Flaschen abzeichneten... zumindest dort, wo sie nicht in tausend Stücke zertrümmert worden waren.
 

Dann stach Dean etwas anderes ins Auge. Er hätte sein Leben darauf verwette, dass sämtliche Tische mit Plastikplanen bedeckt gewesen waren, aber nun schimmerte ihm poliertes Holz entgegen.

„Die Tische“, sagte er, „Wo sind die Planen hin?“
 

Sam drehte sich halb um, ließ seinen Blick durch den Saal schweifen und sah dabei beinahe ratlos aus.

„Bist du...“, er biss sich auf die Lippe, „Bist du sicher, dass da welche waren? Ich meine, vielleicht...“
 

„Vielleicht was, Sam? Huh? Vielleicht ist Freddy Krueger vorbeigekommen und hat gedacht: ‚Heeey, das sieht total scheiße aus, ich werde die Dinger mal abdecken?’ Ich bin mir sicher, die verdammten Planen waren da.“
 

„Na gut“, sagte Sam, „Schön. Keine Planen mehr, dafür haben wir genug Schnaps, um ’nen eigenen Nachtklub aufzumachen. Möglicherweise will uns damit irgendwer was sagen.“
 

Dean grinste schwach.

„Mann“, murmelte er, „Was zur Hölle geht hier nur ab?“

Denn mal im Ernst, das ergab doch wohl nicht den geringsten Sinn!
 

„Bin immer noch für Geister“, verkündete Sam nicht besonders überzeugt, „Ich meine, gut, das erklärt weder das hier, noch das Grünzeug und schon gar nicht...“

Das, was vorgefallen war, hing unausgesprochen zwischen ihnen und Sam atmete tief durch.

„Es erklärt gar nichts.“
 

Dean zog eine müde Augenbraue hoch.

„Ach wirklich, Sherlock? Und da bist du von ganz alleine draufgekommen?“
 

„Ach, halt die Klappe. Mach dir lieber Sorgen um deine Plastikplanen.“
 

Es war das erste... nun ja, „normale“ Gespräch seit mindestens vier Tagen und sekundenlang wirkte Sam selbst erstaunt über das, was er gerade gesagt hatte. Dann warf er Dean einen vorsichtigen Seitenblick zu, so als wollte er fragen, ob zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war.
 

Rein gar nichts war in Ordnung und vermutlich steckten sie sogar noch tiefer in der Scheiße, als sie bisher angenommen hatten, aber Dean konnte trotzdem nichts gegen das breite Grinsen machen, dass sich daraufhin auf seinem Gesicht ausbreitete. Sam grinste zurück.

Nichts war in Ordnung, aber wen kümmerte das schon?

Sam war wieder der Alte, sie waren wieder die Alten und das war im Moment ohnehin das Einzige, das zählte.
 

Und vielleicht ergab der ganze Rest wirklich keinen Sinn, aber eines stand jedenfalls fest – was auch immer jetzt noch kommen würde, sie würden damit fertig werden.

Irgendwie.
 

===
 


 

Yaaaay, Teilzeit-Happy-End! *mit Konfetti wirft*

Keller

Entschuldigung an all die lieben, kommentierenden Leute dafür, dass ich’s beim letzten Kapitel nicht fertiggebracht habe, mich per GB-Eintrag zu bedanken.

(So wie sich das gehört. :D)

Diesmal wieder, versprochen.

Bin fix und fertig und außerdem schon froh, dass ich dieses Kapitel fertig gekriegt habe.
 


 

===
 

-er hatte sich einmal übers Ohr hauen lassen, aber das würde garantiert nicht wieder passieren-
 

Irgendetwas stimmte nicht.

Sam blinzelte angestrengt. Irgendetwas war ganz und gar verkehrt.
 

-das war doch erbärmlich, wie oft wollte er noch auf so was reinfallen-
 

Schritt, Schritt. Er bewegte sich. Warum bewegte er sich?

Sein ganzer Körper fühlte sich seltsam hölzern an und obwohl er die Augen offen hatte, wusste er nicht, wo er war. Er sah seine Umgebung, war sich sogar sicher, dass er sie kannte, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, wo und warum... Panik griff nach ihm, leise und mit samtweichen Fingern-
 

-etwas, das er sich ansehen musste; etwas, das ihn ganz sicher interessieren würde-
 

-nicht einmal die Angst funktionierte richtig, er wusste, dass sie da war, aber alles innerhalb seines Kopfes fühlte sich an wie in Watte verpackt, viel zu weich und gleichzeitig viel zu unnachgiebig.

Schritt, Schritt, Schritt. Es kam ihm bekannt vor, das alles hier, er hatte es schon-
 

-dort, wo er sich vorher befunden hatte, gehörte er nicht hin-

-Moment mal, stopp, das hier war doch-

-es gab einen Ort, an dem er unbedingt sein musste, alles hing davon ab-

-stopp, stopp, nein, stopp, das war SEIN Kopf und seine Gedanken-

-nur noch ein paar Meter, nur noch ein kleines Stück-

-und niemand hatte das Recht, darin herumzu-
 

Dass er plötzlich stehen blieb, traf ihn selbst vollkommen unerwartet und fast war es, als wäre er gegen eine massive Wand gerannt. Er schnappte nach Luft und hatte kurz das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, doch in Wirklichkeit war er es, der sich drehte, nicht seine Umgebung.

Die blieb samt und sonders fest an ihrem Platz.
 

-er hatte es versaut, er hatte die einmalige Gelegenheit gehabt, die Chance war ihm auf einem Silbertablett serviert worden und er hatte-
 

Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und versuchte, die flüsternde Stimme zu ignorieren. Das hier war nicht das erste Mal, sie war vorher schon dagewesen, da war er sich sicher-
 

-inkompetent und feige, schlicht und einfach SCHWACH-
 

-es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn alles schon hinter seinen Augen, direkt in seinem Gehirn ineinander zu verschwimmen schien. Nicht zuhören, sagte er sich, er durfte einfach nicht zuhören – was nahezu unmöglich war, weil die Worte seine Ohren nicht brauchten, sondern aus seinem Innersten zu kommen schienen.

Eins nach dem anderen. Nicht zuhören. Wo war er?
 

-SCHWACH und ERBÄRMLICH, was würde nur sein Vater dazu sagen-
 

Mit einem Mal war ihm schlecht. Das Bedürfnis, sich zusammenzukrümmen, war unwahrscheinlich stark und es kostete ihn einiges an Anstrengung, aufrecht stehen zu bleiben. Konzentration. Er durfte nicht zuhören. Er durfte nicht-
 

-John Winchester wäre enttäuscht gewesen, so furchtbar ENTTÄUSCHT UND WÜTEND-
 

Er hatte das Gefühl, dass die Sätze hastiger wurden, dringender und aufgebrachter und aus irgendeinem Grund gelang es ihm plötzlich für wenige Sekunden, klar zwischen dem, was seine eigenen Gedanken waren und dem, was von außen (Von innen?) kam, zu unterscheiden. Instinktiv wusste er irgendwie, dass die Erwähnung seines Vaters dafür verantwortlich war.

Warum? Weil sie unglaubwürdig wirkte? Zu dick aufgetragen?

Gott, seine Knie fühlten sich an, als würden sie jeden Moment unter ihm nachgeben.
 

Aufmerksam sah er sich um.

Er musste wissen, wo er sich befand, das war das wichtigste. Stehen bleiben, nicht umfallen, schauen. Nicht zuhören (und flüchtig fragte er sich, ob der Begriff „zuhören“ in diesem Fall überhaupt angebracht war, denn er hörte schließlich nicht, zumindest nicht im eigentlich Sinne), nicht zuhören, eins nach dem anderen.
 

Die grauen Betonwände erschienen ihm schlagartig klar und deutlich, scharfe Kontraste, unfreundliches Neonlicht. Fleckige Stellen, kleine Risse. Leises, gedämpftes Surren des Heizkessels. Sein Schatten, der sich dunkel vor ihm abzeichnete, lang und dünn, beinahe spinnenartig; und dieser Gedanke führte unwillkürlich zu etwas anderem, jemand anderem, der ihn immer mit seiner Größe aufgezogen hatte.
 

Der Keller.

Der Keller? Warum... was hatte er im Keller zu suchen?
 

Das Geflüster in seinem Kopf war immer noch da, wurde lauter und dann wieder leiser, wie ein schlecht eingestellter Sender und er gab sich noch mehr Mühe, ihm keine Beachtung zu schenken. Das Autoradio fiel ihm ein, das während der Fahrt hinunter nach Sidewinder gerauscht und geknistert hatte und mit einem Mal mischten sich verzerrte Liedfetzen unter das nicht enden wollende Murmeln in seinen Gehirnwindungen.
 

“...ghosts crowd the young child’s fragile eggshell mind~”

-er hatte keinen Bruder, hatte nie einen gehabt-

“...blood in the streets, its’ up to my ankles~”

-ein Missverständnis, ein gigantischer Fehler, den er korrigieren-

“...blood on the rise, it’s following me~”

-er hätte den Fehler längst ausmerzen können, wenn er nicht-
 

Er atmete kontrolliert ein und aus. Das Geflüster wurde leiser, immer leiser, schließlich vollkommen unverständlich. Weißes Rauschen. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren. Kontrolle, er hatte die Kontrolle wieder, er war Herr der Lage. Zittrig und alles andere als sicher auf den Beinen, aber wenigstens...

Geschlafen. Er hatte geschlafen. Es war mitten in der Nacht – blieb die Frage, was er hier verloren hatte.
 

Ein schepperndes Geräusch ertönte und er brauchte ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, dass die Tür am oberen Ende der Kellertreppe aufgerissen worden war.

„Sam?!“
 

Er wandte sich um, ganz vorsichtig, weil er die heikle Balance, die er gerade in seinem Kopf geschaffen hatte, nicht zunichte machen wollte. Nicht zunichte machen durfte. Irgendetwas Schreckliches würde geschehen, wenn die flüsternde Stimme Überhand nahm, da war er sich sicher.

Oben auf der Treppe tauche eine dunkle Silhouette auf und er wusste, dass er die Person eigentlich kennen sollte, dass es ohnehin nur eine Möglichkeit gab, aber mit einem Mal kam ihm die ganze Situation furchtbar surreal vor.
 

Die Gestalt trat ins Licht der Neonröhre, verharrte dort einen Augenblick und begann dann, die Treppe hinunterzusteigen – so langsam, als hätte sie Angst, jederzeit ausrutschen und hinfallen zu können.
 

Dean.

Der Name wischte durch sein Gehirn und plötzlich war alles wieder da, die Erinnerungen, die Zusammenhänge, einfach alles. Sein Bruder.

Sein Gehirn traf die Feststellung seltsam nüchtern und emotionslos. Überhaupt schien alles auf einmal völlig unwichtig zu sein. Es war, als stünde er in einer weit entfernten Ecke und sah sich selbst dabei zu, wie er da auf seinem Fleck verharrte, während Dean die letzten beiden Stufen hinunterkletterte, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
 

„Sam?“, fragte er erneut und Sams Verstand stellte fest, so sachlich, als ginge ihn das alles absolut nichts an, dass er nicht durchgedreht oder wütend klang sondern besorgt. Besorgt und vielleicht auch eine winzige Spur argwöhnisch.
 

Sam antwortete nicht. Er konnte nicht.

Der Kerl, der da drüben mitten im Keller stand, war nicht er. Das war bloß eine leere Hülle, sein wahres Ich befand sich in dieser Ecke, als stummer Zuseher und wenn er ganz ehrlich war, interessierte ihn das alles hier nicht sonderlich.

In seinem Kopf summte, knisterte und knackte es. Kaputtes Autoradio.

“...blood on the rise, it’s following me~”
 

„Sam“, wiederholte Dean behutsam, „Was genau willst du hier?“
 

Seine Schritte wirkten so sorgfältig, wie seine Stimme sich anhörte und seine rechte Hand umklammerte etwas so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Er blieb stehen und ließ dabei so viel Abstand zwischen sich und Sam (seiner leeren HÜLLE), als hätte er ein tollwütiges Tier vor sich, bei dem man mit allem rechnen musste.

Seltsamerweise fand Sams Gehirn diese Entscheidung mehr als vernünftig.
 

Deans Körperhaltung hatte ihm längst verraten, was sein großer Bruder da in der Hand hielt, noch bevor er das Ding tatsächlich gesehen hatte. Eine Pistole.

Die .45er, um genau zu sein, und das bedeutete, dass Dean entweder blindlings im Dunkeln danach gegriffen oder das er es zumindest verdammt eilig gehabt haben musste. Es war nicht die Waffe, die er normalerweise auswählte, wenn man ihm die Wahl ließ.
 

Am wohlsten fühlte er sich mit der Beretta.
 

“...blood in the streets, its’ up to my ankles~ blood in the streets, it’s up to my knee~”

Jemand lachte verhalten. Gläserklirren, Gesprächsfetzen, die verhaltenen Klänge einer Bigband.

Alles drehte sich und am liebsten hätte Sam sich einfach hingesetzt.

Was tat Dean schon wieder hier? Warum konnte er ihn nicht einmal in Frieden lassen?
 

„Sam“, er gab immer noch keine Ruhe und seine Stimme klang drängender als vorher, „Sammy, bitte. Rede mit mir. Es ist mitten in der Nacht, was hast du hier unten zu suchen?“
 

Sam schüttelte leicht den Kopf, einmal, zweimal und plötzlich befand er nicht mehr in der weit entfernten Kellerecke sondern fand sich Auge in Auge mit Dean wieder, direkt dort, wo er sich bis vor wenigen Augenblicken noch selbst stehen gesehen hatte.
 

Deans Augen weiteten sich hoffungsvoll ob der leichten Bewegung.

„Sammy?“, es war Befehl und Bitte in einem, „Sag doch was, komm schon. Wenn du deinen Lieblingstextmarker hier unten vergessen hast, bitte, damit hab ich kein Problem. Zugegeben, es wäre schon etwas freakig, aber das macht nichts, solange du nur-“
 

Typisch, stellte Sams nüchternes Hirn geringschätzig fest, das war einfach typisch Dean. Er war der Meinung, gerade eben eine winzige Chance bekommen zu haben und jetzt redete er, flotte Sprüche und dumme Witze, einfach um den Rest der Welt, vor allem aber sich selbst davon zu überzeugen, dass er alles im Griff hatte.

Vermutlich hatte ihm das noch nie jemand gesagt – Sam wusste jedenfalls, dass er es nicht getan hatte, und wenn er sich schon nicht die Mühe gemacht hatte, wer kam dann sonst noch in Frage? – aber umso nervöser Dean wurde, desto mehr koketten Schwachsinn laberte er vor sich hin.
 

Dabei wünschte er sich im Moment nichts sehnlicher, als dass Dean einfach die Klappe halten würde.
 

Es war so schon schwer genug, der inzwischen gehässig flüsternde Stimme in seinem Kopf keine Beachtung zu schenken. Wenn er sich gleichzeitig auch noch auf seinen Bruder konzentrieren musste, dann... dann... er musste antworten, soviel war ihm klar

(“...blood on the rise, it’s following me~”), sonst würde Dean gar keine Ruhe geben.
 

„Ja“, murmelte er, um Dean klarzumachen, dass er seine Anwesenheit mitbekommen hatte und dann, weil ihm das irgendwie angebracht erschien, „...keinen Textmarker.“

Selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Stimme seltsam abwesend und desinteressiert.
 

„Sam“, sagte Dean so eindringlich, als wäre die nachfolgende Frage das wichtigste auf der ganzen Welt, „Was. Tust. Du. Hier?“
 

Und darauf hatte Sam keine Antwort. Er konnte Dean nicht ansehen, brachte es nicht einmal fertig, den Kopf zu heben und starrte stattdessen zu Boden. Aus den Augenwinkeln nahm er die Waffe war, die Dean immer noch in der rechten Hand hielt.
 

„Was soll das, hm? Willst du mich erschießen?“

Er hatte neugierig klingen wollen, hatte er wirklich, aber dafür waren die Worte, die seinen Mund verließen, viel zu sanft. Beinahe hörte es sich an, als nahm er die Tatsache, dass die .45er da war, nicht ernst – so als machte er sich darüber lustig.
 

Dean blieb still, aber sein Kiefer zuckte und ein schuldbewusster Ausdruck trat in seine Augen. Was im Grunde lächerlich war, weil er nicht ernsthaft damit gerechnet haben konnte, dass Sam die Waffe nicht auffallen würde.

„Nein“, sagte er dann entschieden, „Mann, Sammy, war für’n Unsinn. Natürlich nicht.“
 

Ja, klar.

-warum hatte er das Teil dann überhaupt mitgebracht-

Es war, als hätte die Stimme nur auf diese Gelegenheit gewartet-

-außerdem war es nicht das erste Mal, dass sie hier so standen-

-Sam konnte sich erinnern-

-Dean war schon einmal hier heruntergekommen und hatte eine Waffe mitgebracht-

-wahrscheinlich wurde das langsam zur Gewohnheit-

-und wenn es wirklich zum Äußersten kam, musste er sich verteidigen, gar keine Fra-
 

Mit einem Schlag wurde ihm klar, was hier los war.

Oh nein. Gott, nein. Das durfte einfach nicht wahr sein, nicht nach dem Debakel mit der Treppe, nicht nachdem er Dean fast umgebracht hatte. Das DURFTE ganz einfach nicht passieren.

Es war der Keller. Es war dieses verdammte Geflüster. Es war- er hatte keine Ahnung, was es genau war. Der Gedanke an Flucht war mit einem Mal das Einzige, das auch nur im Entferntesten Sinn ergeben zu schien. Sie mussten verschwinden. Er musste verschwinden, fort, wohin auch immer.
 

Als er einen raschen Schritt nach vorne machte, waren die Schmerzen in seinem Knöchel auf einmal wieder da und durch Deans Körper ging ein Ruck. Sekundenlang wusste Sam nicht, was sein Bruder tun würde, war beinahe überzeugt davon, dass Dean wie durch ein Wunder wusste, was los war und ihn stützen würde.

Das leise Klicken, das signalisierte, dass die .45er entsichert worden war, bewies ihm keine Sekunde später, wie falsch er damit lag.
 

Der Lauf der Waffe zeigte immer noch nach unten, aber Deans Griff hatte sich kein bisschen gelockert. Er umklammerte sie immer noch so fest, als hinge sein Leben davon ab; und was wusste Sam schon, vielleicht war sein Bruder ja wirklich dieser Ansicht. Die Möglichkeit schnürte ihm die Kehle zu, aber für so etwas hatte er jetzt keine Zeit.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen und erst, als die völlig falschen Sätze über seine Lippen kamen, begann er sich undeutlich zu fragen, ob es nicht ohnehin schon zu spät war.
 

„Los“, sagte er kalt, „Mach schon, schieß. Mal sehen, ob du den Mumm dazu hast.“
 

Was an und für sich lächerlich war, weil die .45er eben immer noch stur Richtung Boden zeigte. Dean schluckte schwer, bevor er Sam einen Blick zuwarf, der ihm deutlich machte, wie unverzeihlich diese Bemerkung gewesen war. Als er sprach, klang er beinahe heiser.
 

„Sag mal, hast du sie noch alle?!“
 

„Wieso?“, fragte Sam unbeeindruckt. Es war seltsam – er wusste, was er sagte, aber wenn er ehrlich war hatte er keine Ahnung, woher die Worte kamen oder warum er sie aussprach.

„Aus irgendeinem Grund musst du das Ding ja mitgenommen haben. Also bitte, keine falsche Bescheidenheit. Erschieß mich, mach doch. Wer weiß, vielleicht kannst du dann endlich ruhig-“
 

„HALT DIE KLAPPE!!“

Dean tat ein paar tiefe, zittrige Atemzüge – die Rippen, wisperte irgendetwas tief drinnen in Sam plötzlich schuldbewusst, seine gebrochenen Rippen – und machte Anstalten, die Waffe in die nächstbeste Ecke zu pfeffern, bevor er sich daran zu erinnern schien, dass sie geladen und entsichert war und die Aktion sich somit als keine besonders gute Idee herausstellen würde.

„Scheiße noch mal, Sammy, halt... halt einfach die Klappe! Was zum Teufel ist los mit dir?“
 

Sam antwortete ihm hastig, bevor ihm die gehässige Stimme in seinem Kopf irgendetwas einflüstern konnte.

„Ich...“, stammelte er unbeholfen, weil es ihm mit einem Mal so vorkam, als hätte er das Reden verlernt, „Ich muss... muss hier raus, ich muss...“
 

Er brach ab und drängte sich stattdessen an Dean vorbei, der die .45er so rasch aus dem Weg riss, als hätte er Angst, Sam könnte sich daran verbrennen, wenn er sie auch nur streifte. Die Treppe war schwierig, keine Frage und er musste sich am Geländer festhalten, um überhaupt voranzukommen. Sein ganzer Körper wehrte sich dagegen, den Keller zu verlassen; es war, als hätte jemand unsichtbare Fäden an seinen Gliedmaßen befestigt, die ihn zurückziehen wollten. Wie eine Marionette.
 

Deans Stimme hallte hinter ihm her - „Sam!“ – exakt der Tonfall, den sie immer annahm, wenn sein großer Bruder eigentlich stocksauer auf ihn sein wollte, es aber aus irgendeinem Grund nicht übers Herz brachte.
 

Sam erreichte die Kellertür und taumelte hinaus auf den unangenehm kühlen Gang. Er schaffte es gerade mal bis zur nächsten Ecke, dann war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Sein Magen rebellierte endgültig und er fiel auf die Knie, kippte beinahe vollständig nach vorne und übergab sich auf den Teppichboden des Flurs.
 

Hinter seinem Rücken ertönten eilige Schritte.

„Sammy?“, ein rascher Blick bestätigte, dass Dean ihm Rahmen der Kellertür aufgetaucht war, „Was- oh. Urgh. Ach, scheiße.“
 

Gleichgewicht war etwas, das ihn im Augenblick verlassen hatte und er musste sich mit einer Hand abstützen, wobei er sich Mühe gab, nicht mitten in die Sauerei zu fassen, die er soeben angerichtet hatte.

Dann ließ Dean sich neben ihn fallen, legte eine feste Hand auf Sams Schulter, schob die anderen in seinen Nacken und drückte leicht zu.
 

Die Waffe war nirgendwo zu sehen und trotzdem hoffte Sam sekundenlang, dass sein Bruder sie nicht einfach im Keller zurückgelassen hatte.
 

„Alles okay“, er hustete, hatte dabei kurz das Gefühl, schon wieder würgen zu müssen und Deans Griff verstärkte sich, „Es geht schon wieder, alles okay...“
 

„Ja, klar“, sagte Dean trocken, „So siehst du aus, das blühende Leben.“

Er machte Anstalten, Sam wieder auf die Beine zu stellen. „Komm, Sammy, hoch mit dir. Los, komm schon, auf geht’s. Hoch.“

Er redete weiter; leises, zielloses Gemurmel, das an Sam und dann doch wieder an niemand Bestimmten gerichtet und das gleichzeitig unendlich beruhigend war.
 

Sam ließ sich mitziehen und gemeinsam hinkten sie zurück in den ersten Stock.

Der Weg dorthin verging schweigend und Sam wusste nicht, ob er dankbar oder besorgt sein sollte dafür, dass Dean kein Wort über das verlor, was soeben vorgefallen war. Kaum im Apartment angekommen, verschloss Dean die Tür genauso sorgfältig, wie Sam das nur zwei Tage zuvor getan hatte, obwohl man ihm währenddessen förmlich vom Gesicht ablesen konnte, was er dachte: Wenn das auch nur irgendwas nützt, fresse ich höchstpersönlich alle Besen, die ich in diesem Saftladen finden kann.
 

Ein paar Sekunden lang standen sie schweigend da, dann hob Dean die Hand und klopfte Sam vorsichtig auf den Arm. Die Berührung hatte nichts von ihrer alten Sicherheit und Bestimmtheit, aber sie war unübersehbar fürsorglich gemeint.

„Du bist weiß wie ’ne Wand.“
 

Sam fuhr sich übers Gesicht.

„Ich weiß“, sagte er leise, „Was ich nicht weiß, ist... Dean. Ich hab keine Ahnung, was ich da unten wollte.“
 

„Jahh“, sagte Dean langsam, beinahe schon bitter, „So weit war ich auch schon mit meinen Vermutungen.“
 

„Tut mir Leid“, sagte Sam, auch wenn er keine Ahnung hatte, wofür er sich entschuldigte, „Wirklich, ich wollte nicht... was weiß ich. Auf jeden Fall hätte ich das nicht sagen sollen. Alles. Ich hätte das alles nicht sagen sollen.“
 

Deans Hand verkrampfte sich einen Augenblick lang um seinen Oberarm, dann ließ er ihn los und machte ein paar Schritte ins Wohnzimmer hinein. Seine Bewegungen waren beherrscht und steif, hatten noch nicht viel von ihrer gewohnten Geschmeidigkeit zurückbekommen. Er zog die .45er aus seinen Jeans hervor, hielt sie hoch, damit Sam sie sehen konnte und legte sie dann gerade so nachdrücklich auf den Tisch, dass er sie nicht mit voller Wucht hinknallte.
 

Sein Blick bohrte sich in Sams Gesicht.

„Nur damit das klar ist“, seine Miene blieb absolut unbeweglich, aber seine Augen brannten geradezu vor Selbstvorwürfen und der Wut, die dort immer auftauchte, wenn Dean der Meinung war, etwas komplett und ganz versaut zu haben, „Wenn ich das noch mal mache, haust du mir gefälligst eine rein.“
 

„Dean...“
 

„Das meine ich ernst, Sammy. Brich mir die Nase, brich mir den Arm, scheißegal. Ich hab ein paar geknackste Rippen, da sollte das ohnehin nicht allzu schwer sein.“
 

Sam blinzelte.

Sie würden darüber reden müssen. Gott, sie würden über so vieles reden müssen.

Doch hier, jetzt, in dieser Minute, konnte er sich nicht dazu überwinden, irgendetwas zu sagen; abgesehen von: „Dean, das ist doch vollkommen verrückt.“
 

Deans rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

„Exakt. Genau das ist ja das Problem.“
 

===
 

Dean zwang ihn dazu, sich hinzulegen. Inzwischen war es halb drei Uhr morgens und Sam stellte fest, dass sein Zeitgefühl langsam aber sicher nachzulassen begann. Schließlich waren nur sie beide hier oben und da sie im Grunde tun und lassen konnten, was sie wollten und zu welcher Tages- oder Nachtzeit sie wollten, wurde es irgendwie immer schwieriger, den Überblick zu behalten.
 

Dean bugsierte ihn unzeremoniell Richtung Schlafzimmer und murmelte auf Sams Frage hin, was er inzwischen tun würde, etwas über eine Liste, die er anlegen wollte, um „endlich mal ’nen Funken Klarheit in dieses gottverdammte Irrenhaus“ zu bringen.

Als Sam den Raum betrat, stolperte er um ein Haar über die beiden Taschen, die allem Anschein nach hastig unter dem Bett hervorgezerrt und durchwühlt worden waren.
 

Kurz schloss er die Augen.

Furchtbar eiliger Aufbruch, ganz eindeutig. Das erklärte, warum Dean nicht die Beretta dabeigehabt hatte. Offenbar hatte er den Reißverschluss aufgerissen und nach dem Erstbesten gegriffen, was ihm zwischen die Finger gekommen war.

War das nun gut oder schlecht?
 

Er war versucht, nach der Klinke zu greifen und die angelehnte Tür wieder vollständig aufzuziehen.

Sie würden REDEN müssen. Das ließ sich nicht vermeiden.

Es war sozusagen überlebenswichtig.
 

Dann entschied er sich dagegen. Nicht jetzt.

Er war zu müde und Dean hatte viel zu erschüttert ausgesehen – jede Art von ernsthaftem, emotionalem Gespräch, das sie jetzt zu führen versuchten, war erfahrungsgemäß von vornherein zum Scheitern verurteilt.
 

===
 

Er schaffte es, ganze zwei Stunden zu schlafen. Als er aufwachte, war das Bett neben ihm leer, durch den Türspalt fiel ein Streifen Licht und irgendjemand rumorte im Nebenzimmer herum. Anstandshalber blieb er eine weitere halbe Stunde liegen, bevor er es aufgab und zurück ins Wohnzimmer marschierte.
 

Dean war nirgends zu sehen, aber im Bad lief Wasser und Sam hatte sich gerade an den Tisch gesetzt, als ihm ein Blatt Papier ins Auge stach. Stirnrunzelnd zog er es näher zu sich her. Es war die Telefonliste, die in allen Hotelzimmern auslag und auf der man sämtliche Nummer finden konnte, die man eventuell brauchen konnte, wenn man zu dämlich war, um zu begreifen, dass alle wichtigen Nummern ohnehin in den Apparaten eingespeichert waren.
 

Die Rückseite des Blattes war eindeutig in Deans krakeliger Schrift beschrieben - zwar war sie leserlich, wirkte jedoch immer so, als ob es der Schreiber wahnsinnig eilig gehabt hätte und in Gedanken schon drei Sätze weiter gewesen war, ehe er noch das aktuelle Wort vollendet hatte.

Das Meisterwerk sah folgendermaßen aus:
 


 

NICHT SICHER:
 

- draußen, weil Grünzeug / Spielplatz(?)

- Zimmer 107; altes, aufgeweichtes Weib (nackt!!!) GEIST

- Colorado Lounge – keine Ahnung, komplett durchknallt; Geister?

- KELLER

- mglweise Lobby?

- Fahrstuhl (definitiv)
 

SICHER:
 

- Apartment.

- Küche

- Lobby???

- überall, wo bjz. noch nichts Todbringendes aufgetaucht ist

...
 


 

Sam starrte auf das Blatt Papier und musste gegen seinen Willen schmunzeln. Alles an der Liste war so eindeutig und typisch Dean – von den sinnlosen Abkürzungen bis hin zu der Tatsache, dass ausgerechnet der Keller als größte Gefahrenquelle unterstrichen worden war, obwohl er für seinen großen Bruder gar keine unmittelbare Bedrohung darstellte.
 

Dean tauchte im Türrahmen des Badezimmers auf und räusperte sich. Anscheinend hatte er das Lächeln auf Sams Gesicht falsch interpretiert.

„Na ja“, sagte er verlegen und kratze sich im Nacken, „Ziemlich bescheuert, schon klar, aber ich wusste nicht, was ich sonst...“
 

„Nein“, sagte Sam, „Die Idee ist eigentlich ziemlich gut.“
 

„Ach ja?“
 

„Ja.“
 

Der zufriedene, fast schon erleichterte Ausdruck, der daraufhin auf Deans Gesicht erschien, war es definitiv wert - und er hatte dafür nicht einmal lügen müssen.
 

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Kommentare zu dieser Fanfic (56)
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Von:  GhostTiger345
2018-01-03T09:45:58+00:00 03.01.2018 10:45
Ich bin eher zufällig über diese FF gestolpert aber ich muss sagen sie ist echt gut.
Ich mag die Serie Supernatural und ebenso die Filme und das Buch von Stephen King. Das ist echt ein gelungenes Crossover was für Gänsehaut sorgt. Ich habe richtig mitgefiebert und kaum aufhören können zu lesen.
Schade dass die FF nur schon so lange pausiert ist. Ich hätte gerne erfahren wie alles endet und ob das Overlook Hotel am Ende siegt oder besiegt wird.
Trotzdem eine echt klasse Geschichte und sie kommt gleich mal auf die Favouritenliste. ^^
Von:  masa
2012-01-22T00:35:28+00:00 22.01.2012 01:35
klasse ff ich konnte garnicht genug davon kriegen. sag schreibst du irgendwann weiter?
Von: abgemeldet
2009-09-17T17:27:18+00:00 17.09.2009 19:27
sooo
mein pc war futsch und so dauert es einige zeit *schnief*
gooott sam. der arme dean, du bringst ihn noch ins grab!
wie soll das bloß weitergehen...
und vorallem bietet nicht mal mehr das appartment schutz.
die zwei sollten sich am besten mit dem schlafen abwechseln.
und deans rippen werden ihn wahrscheinlich noch zu schaffen machen,
wie soll dann das große finale werden?
mal so ein gedanke am rande...
bei dem, was die beiden schon durchgestanden haben,
müssten dann nicht ihre körper total vernarbt sein??
aber alles wird immer wieder schön heile...
unfaaaair. meine arme sind total vernarbt von kratzern,
bei denen ich nicht mal wirklich geblutet habe.
das hat jetzt zwar nichts mit deiner geschichte zu tun,
aber trotzdem. wunder.
jetzt kommt der part in dem ich dir mal wieder sage,
wie toll du geschrieben hast, aber das weißt du ja sicher schon.
deshalb sage ich dir mal, das es eine enorme leistung ist, auf jedes
kommentar einzeln zu antworten.
das ist einfach nur klasse, da sieht man, dass diese story dir am herzen
liegt und du dich ehrlich über jeden kommentar freust.
auf ein nächstes.
faith
Von:  Priestly
2009-08-30T13:27:31+00:00 30.08.2009 15:27
WOW

was soll ich da noch sagen, was die andern nicht schon erwähnt haben
ein weiteres grandioses kapitel ... ich freu mich, dass es weiter geht
und dann gleich so düster
man und ich hatte die hoffnung, nach der treppe würde es aufwärts gehen aber ja ja zu früh gefreut schon klar ^^
mensch also den keller sollten sie wirklich meiden ... zu mindestens sam am aller besten dort hat doch alles angefagen ... warum geht er da auch immer wieder hin ... aber mit der liste von dean *mich jetzt noch schlapp lach* xDD
einfach genial wirklich
ich fand die idee super ... auf alle fälle sollten sie doch wohl einigermaßen wissen wo oder besser wo sie wirklich nicht sein sollten wenn sie nicht gleich wieder streit bekommen wollen oder eher sich gegenseitig versuchen umzubringen ... mensch da bleibt aber auch nicht mehr viel übrig, wo sie sich aufhalten können -.-

da bin ich gespannt wie ein flitzebogen ;)
was noch auf die beide zukommt ... einfach hervorragend geschrieben
wie immer ^^
also bitte schnell weiter
Von:  genek
2009-08-27T10:00:51+00:00 27.08.2009 12:00
Vermutlich sollte ich jetzt auch was über die Dramatik des Kapitels sagen, über die angsteinflößende Vorstellung nicht Herr seines Körpers zu sein, über die Tatsache wie gut du die Winchester-Beziehungen umsetzt und Deans IC-Liste. Aber in Anbetracht dieses Absatzes verbleibe ich bis zum nächsten Kapitel mit einem lauten YEAH! :D

>>Die .45er, um genau zu sein, und das bedeutete, dass Dean entweder blindlings im Dunkeln danach gegriffen oder das er es zumindest verdammt eilig gehabt haben musste. Es war nicht die Waffe, die er normalerweise auswählte, wenn man ihm die Wahl ließ.


Am wohlsten fühlte er sich mit der Beretta.<<
Von:  blumenpups
2009-08-26T17:48:39+00:00 26.08.2009 19:48
Das ging ja mal fix XD

Was soll ich eigentlich noch großartig Neues erzählen?
Wieder mal ein klasse Kapitel, du schreibst begnadenswert, du bist wahrscheinlich wegen dem ganzen Kursivgedrucktem fast an die Decke gegangen, die Beziehung zwischen den beiden ist wieder mal sehr schön rübergekommen...

DIE LISTE IST GEIL! >///<
Die würd ich gern mal im Original sehen XD
Aber es wundert mich im Gegensatz zu Sammy überhaupt nicht, dass er den Keller so fett unterstrichen hat, schließlich stellt der in gewisser Weise für Sam die größte Gefahr dar und weil Sam ihm ja alles bedeutet...^^

Aber warum ist "draußen" unsicher?
Henrietta und Co sind doch eigentlich ganz umgänglich, vorrausgesetzt, man weiß, wie man mit ihnen umspringen muss XDDDDDD

Also...ich freu mich jedenfalls schon auf's nächste Kapitel - und falls du mal Langeweile hast, ich hab nen neuen O.C.-OS draußen ^^

Ich wünsch dir noch einen schönen Abend!
Von:  Engelchen_Fynn
2009-08-26T16:09:30+00:00 26.08.2009 18:09
Ui, Erste. ^-^

Klasse Kapitel, ehrlich.
Sams innerer Kampf im Keller war richtig glaubhaft rüber gebracht, sehr genial.

Und den Schluss fand ich irgendwie total süß.
Aber du hast es sowieso drauf, Sam und Dean Momente so rüberzubringen, dass sie weder schmalzig, noch zu dock aufgetragen sind, und auch nicht den Eindruck von Shonen-Ai Szenen vermitteln.
Ich finde das sehr bemerkenswert und das ist einer der Gründe, warum ich deine Geschichte so liebe. ^^

Deans Liste ist übrigens genial. So unvergleichlich Dean eben. Besonders die Sachen in den Klammern haben mich breit grinsen lassen.

Ich freu mich wahnsinnig aufs nächste Kapitel.

Lg
Fynn
Von:  genek
2009-08-25T20:53:12+00:00 25.08.2009 22:53
Aaaaah, ich habe ein Update verpasst! Geht doch nicht an, sowas.
Und dann auch noch eins mit Konfetti! Obwohl, so wie ich dich einschätze wird der Hausfrieden nicht mehr lange anhalten. (Pyro!Dean, I supose.)

Was mir besonders gefallen hat war der kurze Teil über die Mücken. Damit hast du sicher nicht nur mir aus der Seele gesprochen. Mücken sind böse. Und das Summen das sie verusachen noch mehr als sie selbst. Und dank dieses Absatzes höre ich jetzt ein imaginäres Summen. Yay!

Yours sincerly genek.
Von:  diab67
2009-08-20T17:31:41+00:00 20.08.2009 19:31
Hallo,
ja endlich geschafft zu lesen.
Ach ein schönes Kapitel. Mal ohne zuviel Stress.

Oh die Beiden machen es sich echt schwer.
Aber so soll es ja auch sein.

Die Gedanken von den Beiden hast du so super rüber gebracht.
Mano und jetzt schon wieder so lange warten bei so einem Cliff.
Das ist nicht fair.
Bye Dia
Von:  blumenpups
2009-08-20T17:12:45+00:00 20.08.2009 19:12
>Nichts war in Ordnung, aber wen kümmerte das schon?

Schön gedacht, Dean! *^^*
Und ebenfalls schön, dass die Zwei ausnahmsweise mal nicht leiden.
Oder zumindest nicht zu sehr XD
*Mandy zu dir...rollen lass*

So! Die Lösegeldforderungen wurden erfüllt und ich lasse Mandy wieder frei!
(Das nächste Mal entführe ich Henrietta, wenn du mich wieder an nem Cliffhänger stehen lässt *evil grin*)

Aber...diese Colorado Lounge o_Ô
Spooky das ganze, irgendwie. Aber als Dean sich da ne feiernde Meute vorgestellt hat, musste ich unwillkürlich an Die Ärzte denken.
Monster-Party, eieiei! Monsterparty, eieiei!

Außerdem - siehst du, ich war nicht die Einzige, die ungeduldig war *murr*
Nur war ich die EINZIGE, die dagegen etwas unternommen hat XD
Und jetzt wünsch ich dir viel Spaß, wo auch immer du grade sein magst!

War wieder ein sehr geiles Kapitel und ich bin noch immer mächtig gespannt, wie's in dem Irrenhaus weiter von Statten geht!

In dem Sinne wünsch ich dir noch einen wunderschönen Abend!
(Ach ja: DANKÄ für's Kommi!!!)


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