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The House Jack Built

Supernatural / The Shining – Crossover
von

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Schnee

===
 

Sam war im Keller.
 

Dean wusste es, noch bevor er eine eindeutige Bestätigung dafür hatte, wusste es so sicher, als hätte ihn jemand nach seinem Geburtstag gefragt. Aus irgendeinem Grund konnte es gar nicht anders sein.
 

Trotzdem blieb er wie angewurzelt stehen, als er um die Ecke bog und feststellen musste, dass die Kellertür nur angelehnt war. Ein schmaler Streifen Licht ergoss sich über den dämmrigen Flur, sanft und einladend, was eigentlich kompletter Unsinn war, weil es dort unten seines Wissens nur unromantische Neonröhren gab.

Er brauchte ein paar Sekunden, bis er realisierte, dass das nagende Gefühl in seiner Magengegend Eifersucht war und im nächsten Augenblick kam er sich kreuzdämlich vor. Das hier war der Keller. Kein Grund, deswegen einen Aufstand zu machen.
 

Bist du dir da sicher?, fragte der rationale Teil seines Verstandes, Das hast du vor ein paar Tagen doch auch gedacht. Nur der Keller... und was ist draus geworden?
 

Bilder von Sam, der zusammengesunken auf dem Boden lag, stiegen vor seinem inneren Auge auf, zusammen mit der erschreckend realen Erinnerung an die nackten Angst, die ihn überfallen hatte, als er die letzten Stufen der Treppe hinunter gerannt war. Für ein paar endlos lange Sekunden, in denen sein Herz so hart gegen seinen Brustkorb gehämmert hatte, als wollte es herausspringen, hatte er allen Ernstes gedacht, dass irgendetwas Schreckliches passiert war...
 

„Sorry, ich glaub, ich bin... uhm... bin wohl eingepennt oder so was.“
 

...sein kleiner Bruder, der sich langsam und desorientiert aufgesetzt hatte und die pure Erleichterung, die in Dean aufgestiegen war, obwohl die Sache objektiv betrachtet mehr als seltsam gewesen war. Er schob die Gedanken von sich weg, so weit er konnte. Das tat jetzt nichts zur Sache.
 

Als er die Treppe hinunter stieg, kam ihm die ganze Situation vor wie ein äußerst unangenehmes Déjà-vu. Dort saß Sam und stöberte gerade fieberhaft in einem der Kartons. Das Rascheln der Papierblätter klang unnatürlich laut in dem sonst so stillen Raum und beinahe zögernd blieb Dean stehen. Seine Ankunft schien nicht bemerkt worden zu sein, es sei denn, Sam ignorierte ihn seit neuestem absichtlich- nahh, sonst noch was?

Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach still und heimlich wieder zu verschwinden, aber er konnte sich nicht dazu überwinden. Irgendetwas stimmte hier nicht... etwas war verkehrt, passte nicht ins Bild...
 

So wie neulich mit den Heckentieren, dachte er unvermittelt, man konnte seinen Finger nicht drauflegen, aber irgendetwas...

Im nächsten Moment fragte er sich verdutzt, wie um alles in der Welt er jetzt ausgerechnet auf dieses Grünzeug gekommen war. Sam war noch immer nicht aufgefallen, dass dort am Fuß der Treppe jemand stand und Dean schossen eine Menge spöttischer Bemerkungen durch den Kopf, aber er verbiss sich jede einzelne. Stattdessen räusperte er sich verhalten.
 

Sams Haarschopf fuhr ruckartig in die Höhe und seine Augen verengten sich, als er Dean entdeckte. In seinem Blick lag sekundenlang unverhohlene Feindseligkeit.

„Was...“, es klang heiser, „Was machst du hier?“
 

Dean gab sich Mühe, so auszusehen, als wäre nichts gewesen, auch wenn er im ersten Moment schwer hatte schlucken müssen.

„Tjahh“, sagte er munter, „Dasselbe könnte ich dich auch fragen, oder? Mann, Sammy, was treibst du hier?“

Irgendetwas war definitiv NICHT in Ordnung...
 

Sein Bruder sah ihn so misstrauisch an, als sei er sich sicher, dass in der Frage irgendeine Falle versteckt war.

„Warum?“, fragte er grob.
 

„Warum?“, Dean gab sich Mühe, sein Grinsen aufrechtzuerhalten, „Alter, ernsthaft? Geht’s mich etwa nichts an, wenn du plötzlich vorhast, dich hier unten häuslich niederzulassen?“

...wenn er nur sagen könnte, was...
 

Sam verzog triumphierend das Gesicht. Aus irgendeinem Grund wirkte er so, als hätte er gerade eine Vermutung bestätigt bekommen, die ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte. Doch er sagte nichts, sondern musterte Dean nur wissend von oben bis unten.
 

Der trat unbehaglich von einem Bein aufs andere.

„Was?“, hakte er nach, „Was ist?“
 

Sam schüttelte den Kopf. „Nichts“, sagte er sanft, aber seltsamerweise klang es durch und durch gehässig, „Nichts, nichts...“

Es hörte sich fast an wie der Singsang eines kleinen Kindes und mit einem Mal musste Dean sich hart am Riemen reißen, um seinen Bruder nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln.
 

„Sam!“, knurrte er stattdessen. Laut und deutlich; Kommandoton, das zog fast immer.

...wenn er nur sagen könnte...
 

Sein kleiner Bruder zuckte zusammen, fast schien es so, als würde er aus einer Art Trance erwachen und als er den Blick wieder auf Dean richtete, waren seine Augen vollkommen klar – und so voller Abneigung und Misstrauen, dass Dean unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. Etwas drückte leicht gegen den unteren Teil seines Rückens und mit einem Schlag wusste er, was hier nicht stimmte. Die Beretta.

Es mochte unglaublich klingen, aber bis zu diesem Moment hatte er bereits völlig vergessen gehabt, dass er sie überhaupt mitgebracht hatte. DAS war es, was nicht stimmte.
 

Er war losgezogen, um seinen Bruder zu suchen und er hatte es für nötig gehalten, eine gottverdammte Waffe mitzunehmen. Warum hatte er das gemacht? Drehte er jetzt vollkommen durch? Der hier war Sam, zum Teufel noch mal!

Und gut, zugegeben, das hier war Sam mit offensichtlich mieser Laune und zickig wie selten, aber das hieß doch noch lange nicht... Was hatte er sich nur dabei gedacht?!

Der Boden unter seinen Füßen schien plötzlich zu schwanken.
 

„Dean?“
 

Von einer Sekunde auf die andere war die Feindseligkeit aus Sams Stimme verschwunden und alleine der besorgte Unterton, der sie ersetzt hatte, machte Dean klar, wie viel von seiner momentanen Bestürzung man vermutlich gerade von seinem Gesicht ablesen konnte. Ach, verdammt.
 

„Mann, alles okay?“
 

Er sagte „Ja.“ und war trotzdem dankbar für die Hand, die ihn mit einem Mal am Oberarm festhielt – zum einen, weil sich inzwischen der ganze Raum zu drehen schien, zum anderen, weil Sammy sich endlich wieder normal anhörte.
 

„Scheiße“, hörte er ihn ungehalten murmeln, „Blöder Idiot. Du solltest dich ausruhen, anstatt hier in der Gegend rumzurennen wie ein Wahnsinniger...“
 

„Ja“, sagte Dean sarkastisch, obwohl er tief drinnen so erleichtert war, dass seine Knie beinahe nachgaben, „Ich bin der Wahnsinnige, was? Sicher, dass mit deinem Realitätssinn alles in Ordnung ist? Ich frage das nur, weil-“
 

Und mit einem Mal hatte Sam die Beretta in der Hand.
 

Dean hätte später nicht mehr sagen können, wie genau es passiert war (auch wenn er sich den Vorgang im Allgemeinen recht gut vorstellen konnte). Immerhin trug er bloß ein T-Shirt und seine Jacke und Sam hatte die Hand auf seinen Rücken gelegt, um ihn zu stützen... besonders abwegig war es nicht.

Das einzige, das jetzt von Bedeutung war, war die Tatsache, dass Sam die Beretta entdeckt hatte und eine schreckenstarre Sekunde lang war Dean entgegen jeder Vernunft felsenfest davon überzeugt, sein Bruder würde den Lauf der Pistole auf ihn richten und abdrücken.
 

Die Sekunde verging, ohne dass etwas passierte und sie starrten immer noch beide auf die Waffe. Für einen Außenstehenden wäre es schwer zu sagen gewesen, wer von ihnen ungläubiger dreinschaute.
 

„Das...“, sagte Sam schließlich, brach ab, befeuchtete seine Lippen und versuchte es erneut, „Was hat das Ding hier zu suchen?“
 

Es war eine dumme Frage, ganz eindeutig, aber sein Gehirn hatte anscheinend Mühe, die Informationen zu verarbeiten.

„Dean...?“
 

Mit einem Mal war sein kleiner Bruder wieder sechs Jahre alt.

„...was ist das?“

„...wo ist Dad?“

„...warum müssen wir weg?“
 

Rein vom Tonfall her bestand bei weitem nicht so viel Unterschied, wie man vielleicht meinen mochte.

„Ich...“, setzte Dean an, auch wenn er absolut keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, „Also... ich...“
 

Mehr wollte nicht kommen und beinahe erleichtert stellte er fest, dass Sam seine Erklärungsnot offenbar als Verwirrung interpretierte. Grundsätzlich war es zwar alles andere als beruhigend, dass sein kleiner Bruder ihm zutraute, bewaffnet herumzulaufen, ohne überhaupt zu wissen warum, aber andererseits...

Scheiße, exakt das war es doch, was er da gerade gemacht hatte. Oder etwa nicht?
 

Die ihm inzwischen altbekannte Müdigkeit kehrte zurück, unerwartet stark und im ersten Augenblick war er darüber so frustriert, dass er am liebsten irgendwas zertrümmert hätte.

„Dean“, sagte Sam neben ihm leise, aber schon klang es so, als redete er von weit, weit weg, „Ernsthaft, geht’s dir gut?“
 

Das Stehen wurde bereits anstrengend. Gottverdammter Mist.

„Ja“, fauchte er ungehalten, „Alles bestens. Was ist, willst du’s schriftlich?“
 

Der unfreundliche Tonfall schien Sam jedoch nicht abzuschrecken, ganz im Gegenteil. Ohne ein weiteres Wort zu sagen fasste er ihm in den Nacken, zog ihn nach vorne und presste Deans Stirn gegen seine.

Dass diese Geste in ihrem Ehrenkodex noch weitaus akzeptabler war, als wenn Sam ihm einfach die Hand auf die Stirn gelegt hätte, sagte etwas über ihre Beziehung aus, da war Dean sich ziemlich sicher – er wusste nur nicht genau, was.
 

Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann ließ Sam ihn los.

„Scheiße“, murmelte er erneut, „So wie’s aussieht ist das Fieber wieder da. Gratuliere.“
 

„Yippie“, sagte Dean trocken und gab sich Mühe, nicht zu schwanken.
 

Sam hatte vermutlich Recht. Hatte er meistens. Und so schwer, wie sich sein ganzer Körper mittlerweile anfühlte... verdammt, er wollte nicht krank sein, er hatte es so was von satt.
 

„Na komm“, sagte Sam behutsam, „Bevor du noch zusammenklappst. Ich trage dich nämlich sicher nicht den ganzen Weg.“
 

Dean gab sich Mühe, ihn böse anzufunkeln.

„In deinen Träumen vielleicht.“
 

Sam grinste nur.
 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie es endlich zurück ins Apartment geschafft hatten. Treppensteigen war enorm viel anstrengender, wenn man einfach nur mehr das Bedürfnis hatte, sich in einer Ecke zusammenzurollen und zu schlafen. Trotzdem war Dean dankbar dafür, dass Sam den Fahrstuhl nicht einmal als Vorschlag erwähnt hatte.
 

===
 

...Er rennt, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.
 

Dean ist krank, ernsthaft krank. Wenn es so weitergeht, wird er sterben.

Sam weiß, dass es etwas gibt, das helfen kann, eine Art Medizin, ein Gegenmittel – er muss es nur finden.
 

Das Hotel ist dunkel, aus irgendeinem Grund funktionierte der Strom nicht mehr.

Er läuft durch die Flure, hektisch und desorientiert und stößt sich an Ecken, an denen eigentlich überhaupt nichts sein dürfte. Sein eigenes Keuchen hat er überdeutlich laut in den Ohren, sein Herz klopft so schnell, als würde es ebenfalls Haken schlagen.
 

Die Zeit wird knapp.

Wo nur ist diese gottverdammte-
 

Er biegt um eine Ecke, stolpert über irgendetwas und bemerkt fast zu spät, dass er gefunden hat, wonach er sucht. Es ist ein kleines Holzkästchen. Auf dem Deckel befindet sich ein blutrotes, im Dunkeln leuchtendes Ziffernblatt. Der einzige Zeiger ist stehengeblieben, zittert beinahe hilflos auf der Stelle.
 

Tick-tick, tick-tick, tick-
 

Für so etwas ist keine Zeit!, denkt er ungehalten und klappt das Kästchen hastig auf. Drinnen liegt ein kleines Glasfläschchen, kaum mehr als ein Proberöhrchen, das mit einem Korken verschlossen worden ist. Er will es herausnehmen, doch exakt in der Sekunde, in der seine Fingerspitzen das kalte Glas berühren, ist ein gellender Schrei zu hören.
 

„NEIN!!“
 

Er fährt herum und sieht, dass der kleine Junge aus der Empfangshalle auf ihn zustürzt, zutiefst entsetzt und wild mit den Armen rudernd.

„Nein! Nein, das darfst du nicht!“
 

Was soll der Unsinn?! Natürlich darf er, Dean braucht dieses Zeug!
 

„Nein!“, wiederholt der Junge, „Nicht! Du darfst ihn nicht gesund machen!“
 

„Wie bitte?“, faucht Sam wütend, „Was soll das heißen?“
 

Der Junge kommt knapp vor ihm zum Stehen, er keucht.

„D-das“, japst er, „Das wird ihn töten!“
 

Sam kann das Blut in seinen Ohren rauschen hören. Was bildet sich der Zwerg eigentlich ein? Er hat keine Zeit für diesen Mist!

„Wird es nicht!“
 

„Doch! Du Blödmann, verstehst du nicht? Solange er krank ist, ist er noch in Sicherhei-“
 

Im nächsten Moment ist der Junge –puff!- verschwunden, mitten im Satz, wie vom Erdboden verschluckt. Erneut.

Sam sieht sekundenlang erschrocken auf die Stelle, an der er gestanden hat, dann wendet er sich wieder dem Kästchen zu. Er greift hinein und umschließt das Fläschchen mit seinen Fingern, doch als er es herausziehen will, durchzuckt heller Schmerz seine Handfläche.
 

Verdattert öffnet er sie und muss erkennen, dass sich das Fläschchen in eine Spritze mit schwarzer Flüssigkeit verwandelt hat. Die Nadel hat sich tief in seinen Handballen gebohrt und er kann sehen, wie sich die dunkle Brühe seine Venen hocharbeitet, den Unterarm entlang und noch weiter, höher, auf direktem Weg zum Herzen...
 

Schweißgebadet fuhr er hoch.
 

Es dauerte eine Weile, bis er vollständig realisiert hatte, dass es bloß ein Traum gewesen war und beinahe erwartete er, den Jungen irgendwo stehen zu sehen, als er sich misstrauisch umsah. Doch das Schlafzimmer war leer.
 

Durch die Fenster fiel trübes Licht. Morgendämmerung.

Er atmete tief durch und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Nur ein Traum. Alles okay. Dean würde nicht sterben. Der Kerl war bloß fix und fertig, weil er sich zu viel auf einmal zugemutete hatte.
 

Wieder mal.
 

Sam stand auf und verließ das Schlafzimmer, sorgsam darauf bedacht, keinen unnötigen Lärm zu machen. Auf den Fensterbrettern lag der Schnee zentimeterhoch und als er einen zögernden Blick nach draußen warf, stellte er fest, dass die Welt unter einer weißen Decke versunken war.
 

Kurz überlegte er, hinunter in die Küche zu gehen, entschied sich dann aber dagegen – einerseits, weil es in den Gängen jetzt, wo der erste Schnee lag, wirklich unangenehm kühl sein musste, andererseits, und das war der eigentliche Grund, weil er nicht schon wieder verschwinden wollte, ohne Dean Bescheid zu sagen. Die gestrige Szene war ihm nämlich noch unangenehm in Erinnerung, zum größten Teil deswegen, weil er den ganzen restlichen Abend lang seltsamerweise das Gefühl gehabt hatte, haarscharf an irgendeiner Art von Tragödie vorbeigeschrammt zu sein.
 

Während er sich so leise wie möglich anzog, dachte er nach. In ihrem Apartment gab es keine Küche, zumindest nicht im eigentlichen Sinne, aber sie hatten einen Kühlschrank, eine Mikrowelle und einen Wasserkocher. Billige Elektrogeräte die, und das sah man ihnen auch an, einzig und alleine aufgrund ihres funktionellen Nutzens gekauft worden waren.
 

Der Kühlschrank, das wusste er, war bis auf einen halben Liter Milch, drei Eiern und ein paar Scheiben Schinken, die sich bereits hart an der Grenze des Haltbarkeitsdatums bewegten, weitgehend leer. Eine angebrochene Packung Toastbrot stand obendrauf, um sie herum breiteten sich unzählige Krümel aus wie ein besonders einfallsloses Muster.
 

Irgendwo musste noch Instant-Kaffee sein.
 

Seufzend verschwand er ins Bad und anschließend machte er sich auf die Suche. Als er eine Schublade nach der anderen aufzog fragte er sich, wer von ihnen beiden die Kaffeepackung wohl verlegt haben mochte. Er tippte auf seinen Bruder. Dean räumte selten etwas weg und wenn er sich doch einmal dazu herabließ, dann landeten die Dinge meist dort, wo man sie ums Verrecken nicht wiederfand, weil es Orte waren, an die sie ein normaler Mensch nie im Leben gelegt hätte.
 

Aus irgendeinem Grund war Sam sich plötzlich sicher, dass ihn dieser Gedanke gestern Abend noch richtig zornig gemacht hätte, während er ihm heute nur ein müdes, zugegebenermaßen ziemlich amüsiertes Lächeln entlockte.

Schließlich fand er die Kaffeepackung in einer Schulbade, in der unter anderem auch Schere, Leim, Klebeband und ein paar Reiszwecken aufbewahrt wurden und gegen seinen Willen musste er lachen. Na klar. Wo auch sonst?
 

Zwei Minute später summte der Wasserkocher leise vor sich hin.
 

Er saß gerade auf dem Sofa und versuchte festzustellen, ob er schon Hunger hatte, als die Schlafzimmertür aufging und Dean herausgetrottet kam. Über die Sachen, in denen er geschlafen hatte, hatte er bloß den inzwischen recht schmuddeligen Sweater gezogen und Socken trug er auch keine. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag war Sam froh darüber, dass es hier drin einigermaßen warm war.
 

„Morgen“, sagte er.
 

„Grmpf“, war alles, was Dean von sich gab, bevor er sich neben seinem Bruder aufs Sofa fallen ließ. Er sah immer noch müde und abgezehrt aus, aber dafür ähnelte seine Gesichtsfarbe wenigstens wieder der eines lebendigen Menschen. Außerdem war er wach und auf den Beinen. War das nun ein gutes Zeichen?

Sam wagte einen Versuch.
 

„Mann, du siehst aus wie eine Leiche“, er sah Dean dabei nicht an, „Du sollest noch nicht aufstehen.“
 

„Und du solltest die Klappe halten.“
 

„Dean...“
 

Sein Bruder unterbrach ihn und deutete auf den Wasserkocher, dessen Anzeigelampe grün blinkte.

„Was wird das? Etwa schon wieder Tee?“
 

Sam verbiss sich ein Grinsen.

„Ja“, log er.
 

Dean verzog angeekelt das Gesicht.

„Darf ja wohl nicht wahr sein“, sagte er, „Da schläft man einmal n’paar Minuten länger und du... du verwandelst dich in Martha Stuart!“
 

„Was soll ich sagen...“, Sam seufzte theatralisch, „Ist alles nur zu deinem besten.“
 

„...halt einfach die Klappe.“
 

Nicht viel später saßen sie am Tisch und tranken scheußlichen Kaffee aus noch scheußlicheren Tassen, die den aufgedruckten Logos zufolge bestimmt einmal Werbegeschenke von diversen Firmen gewesen sein mussten. Dean kaute unbegeistert auf einer trockenen Scheibe Toast herum, weil nichts anderes zu finden gewesen war und zum Teil wahrscheinlich auch, um Sam zu beweisen, dass er, Dean, wieder vollkommen gesund und einsatzbereit war.

Das aktuelle Gesprächsthema war der Schnee.
 

„Nein“, sagte Sam gerade mit aller Autorität, die er aufbringen konnte, „Du gehst ganz sicher nicht raus.“
 

Dean sah aus, als wüsste er nicht recht, ob er belustigt oder verärgert sein sollte.

„Ach“, sagte er trocken, „Hab ich was nicht mitgekriegt? Machst du hier seit neuestem die Regeln oder was?“
 

„Dean, du bist krank.“
 

„Bin ich nicht.“
 

„Herrgott noch mal, das- bist du doch.“
 

„Weißt du was, Sam, du bist krank. Aber für die Art von Hilfe, die du brauchst, habe ich leider keine Zulassung.“
 

„Ha, ha, wirklich... ein paar Tage Fieber und ich vergesse doch glatt, dass du dich normalerweise für witzig hältst.“
 

„Passiert dir öfter, oder? Dass du so ein, zwei Kleinigkeiten vergisst, meine ich?“
 

„Du kannst mich.“
 

„Und ich verzichte dankend.“
 

Sam fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und ließ seinen Kopf nach vorne auf die Tischplatte kippen. Das war genau die Art von Unterhaltung, die er normalerweise hasste wie die Pest – frustrierend und mühsam und gegen Ende hin hatte er jedes Mal gute Lust, Dean den nächstbesten schweren Gegenstand an den Schädel donnern.

Aber diesmal war es anders und er meinte das im positiven Sinne.
 

Diesmal... es war schwer zu beschreiben. Es fühlte sich irgendwie gesund an (und vielleicht kam er auch nur auf dieses Wort, weil er die vergangenen paar Tage mit Krankenpflege verbracht hatte), richtig und gesund – schlicht und einfach so, wie es eigentlich hätte sein sollen.

Es war kein böswilliger Streit. Da waren keine versteckten Gehässigkeit, keine Hintergedanken oder heimliche Feindseligkeiten. Sie gingen sich auf die Nerven und sie hackten aufeinander herum, sicher, aber das war normal. So war es immer gewesen.
 

Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass irgendwo irgendetwas verdammt verärgert darüber sein musste. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen warum, aber gleichzeitig wusste er, dass es die Wahrheit war.
 

===
 

Die Schaufel schabte über den rauen Untergrund.

Sam richtete sich auf und warf einen Blick über seine Schulter. Die vergangenen zwanzig Minuten hatte er damit verbracht, den Weg zum Parkplatz freizuschaufeln. Der Schnee lag etwa einen halben Meter hoch – noch gar nichts für diese Jahreszeit, wenn man den Geschichten glaubte, die man ihnen über die Winter hier oben erzählt hatte.
 

Im Prinzip war es vergebliche Liebesmühe, denn dem aktuellen Wetterbericht zufolge würde es spätestens heute Nachmittag wieder zu schneien beginnen. Die Arbeit, die er gerade erledigte, war also im Grunde mehr als überflüssig. Trotzdem war er dankbar dafür, etwas zu tun zu haben. Die körperliche Anstrengung tat gut, sie half ihm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.
 

Hier draußen war das Nachdenken viel einfacher, ja sein ganzer Körper fühlte sich leichter und beweglicher an. Unbeschwerter. Frei.

Der Ausdruck erschien ihm eigenartig passend. Fast verlegen realisierte er, dass er schon seit einer ganzen Weile bloß dagestanden und in die Luft gestarrt hatte.

Zeit, dass er endlich fertig wurde.
 

Das schneeverkrustete Schaufelblatt hob und senkte sich regelmäßig und er konnte nicht verhindern, dass sein Gehirn zu anderen Dingen abdriftete. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sorgsam vermieden, darüber nachzudenken, aber jetzt ließ es sich wohl nicht länger aufschieben.

Was zum Teufel war gestern Nachmittag mit ihm losgewesen?
 

Mit wachsendem Unbehagen rief er sich all das zurück ins Gedächtnis, was ihm da plötzlich und ohne Vorwarnung durch den Kopf gegangen war.
 

...wer durfte Deans Märtyrerwahn denn am Ende immer ausbaden...

...all die Jahre hatte er sich lächerlich gemacht...

...er sollte sie Dean in den Rachen stopfen, eine nach der anderen, vielleicht würde ihm das zeigen...

...würde Dean das blöde Grinsen vom Gesicht wischen, würde es ihm äußerst nachdrücklich vom Gesicht wischen und dann...
 

Gestern noch waren ihm alle diese Fetzen vollkommen logisch und nachvollziehbar erschienen, hatten perfekten Sinn ergeben, aber jetzt... alleine bei den Erinnerungen daran wurde ihm beinahe übel. Warum hatte er das bloß gedacht?

Wo war diese ganze Abneigung auf einmal hergekommen, dieser ganze – und alles in ihm sträubte sich dagegen, das Wort auch nur in Betracht zu ziehen – Hass?
 

Großer Gott, dachte er, wenn mich irgendjemand gehört hätte, er wäre glatt auf die Idee gekommen, ich würde Dean jede Sekunde an die Kehle springen.

Doch es hatte ihn niemand gehört und niemand hatte etwas mitbekommen, zumindest niemand außer ihm selbst – und alleine das war fast schon zu viel. Irgendetwas ging hier vor, und die unvermittelte Deutlichkeit, mit der sich der Gedanke vor ihm erstreckte wie ein oft gegangener Trampelpfad, machte ihm klar, dass er diesen Verdacht tief drinnen schon länger gehabt haben musste.
 

Irgendetwas Dunkles ging hier vor, etwas zutiefst Bösartiges... er wusste nur nicht genau was, konnte die Gefahr nicht abschätzen-
 

Thud.
 

Er hielt inne. Was war das eben gewesen?

Ein leises Geräusch- thud.
 

Da war es wieder. Es kam ihm entfernt bekannt vor, aber er wusste nicht woher. So, als ob er es früher schon gehört hätte, das letzte Mal jedoch zu lange zurücklag, um die Verbindung sofort herstellen zu können. Er richtete sich auf, stützte sich schwer auf die Schaufel und sah sich suchend um.
 

Thud, thud.
 

Stirnrunzelnd ging er sämtliche Optionen durch. Was konnte das nur... und dann durchzuckte es ihn wie ein Blitzschlag. Doch, dachte er, eindeutig. Er wusste, was dieses Geräusch verursachte. Aber das konnte doch eigentlich gar nicht...?
 

Thud.
 

===
 


 

Das ganze kursive Zeugs macht mich fertig. Gnargh...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  genek
2009-06-11T16:07:14+00:00 11.06.2009 18:07
"...an die sie ein normaler Mensch nie im Leben gelegt hätte."

Merke: Dean = unnormaler Mensch *lacht*

Und wieso killt DICH das kursive Zeug? Immerhin lässt du UNS damit sitzen! Ich lehne mich im Übrigen einfach mal weit aus dem Fenster und sage, uhm, Schritte im Schnee? *shrugs* Also, sofern es Englisch ausgesprochen wird. Okay, auf Deutsch wäre es leicht merkwürdig. Ansonsten kann ich mich den Vorrednern nur anschließen, klasse Kapitel! Auch die Fieber-Überprüf-Methode (Thermomether sind was für Weicheier und Nicht-Jäger!). Und diese Kabbeleien - wozu hat man denn sonst Geschwister? :D Toller unauffällig eingearbeiteter Zeitsprung, btw!

Also, lass uns nicht zu lange im Dunkeln zurück (oder gib uns wenigstens eine Taschenlampe! Im Ernst!) xD
lg genek.
Von:  Engelchen_Fynn
2009-06-11T14:59:58+00:00 11.06.2009 16:59
Klar, das du einen mit deinem Thud jetzt im Dunkeln stehen lässt. *schmoll*

Aber, bis auf die Tatsache, dass ich deinen Cliff total fies finde, war das Kapitel echt spitze. ^^
Wieder spannend und ... keine Ahnung.

Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich es ganz erstaunlich finde, wie glaubhaft du die Gefühle und Gedanken der beiden rüberbringst? Großen Respekt dafür.

Ich find übrigens süß, wie Sam feststellt, dass sein Bruder Fieber hat. Dieses Stirn an Stirn drückt immer diese bestimmte Art von Vertrauen aus, finde ich (und ich meine das jetzt rein brüderlich, ich bin KEIN WincestFan).

Wie auch immer, ich hoffe du schreibst ganz schnell weiter, bin nämlich schon total gespannt, wie es weitergeht. ^^
Von:  blumenpups
2009-06-10T21:49:11+00:00 10.06.2009 23:49
Doch, Sammy, dich hat jemand belauscht - WIR.
Alle *^^*
Und jetzt mal ganz ehrlich, wie kannst du uns jetzt so im Dunkeln tappen lassen mit diesem THUD!? Deine Cliffhänger sind mies und gemeingefährlich >_> Dubistsogemeiiiiiiiiiiiiin...

Und GOTT war das schön sie endlich mal wieder normal in der...wie kann man das nennen? Küche? Küchenzeile?...in ihrem Appartment kabbeln zu sehen O_Ô Da merkt man erst, wie sehr einem die gehässigen, zynischen Bemerkungen, Heimlichtuereien, Alleingänge, Träume, unheimliche Hinweise, bruderzerstörende Gedanken und merwürdigen Geräusche (und was du halt sonst noch alles so reinbringst, um die Spannung ins Unerträgliche zu steigern...) einem aufs Gemüt schlägt ^^°°

Was soll ich also sagen?
Ich sitz wieder mal gnadenlos gespannt wie ein Flitzebogen vorm PC und will, dass es weitergeht, ich hab absolut nichts zu meckern und kann wieder mal nur das eine sagen: einfach nur Hammer!
Ach ja, und nicht zu vergessen mein obligatorisches und patentiertes:
ERSTÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ!
LG, pups ^^


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