Denn man sieht nur mit dem Herzen gut von Wo_Ai_Ni (Und manchmal ist alles erschreckend normal) ================================================================================ Kapitel 1: Unscheinbares Mädchen -------------------------------- Jetzt war sie schon so lange ein Mitglied dieser Klassengemeinschaft, doch mit ein paar der Leute hatte sie noch nie auch nur ein Wort gewechselt. Sie war mit ein paar Mädchen und Jungs ganz gut befreundet, zumindest so gut, dass sie hin und wieder was mit ihnen unternahm, doch diese Leute waren eher unscheinbar. So wie sie selbst. Doch da gab es die berühmte Gruppe um Yugi Muto, den König der Spiele, bei dessen Namen schon die meisten ehrfürchtig wurden. Sie hatte diesen Rummel um Yugi Muto nie verstanden. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie ach nur ein Wort mit ihm gewechselt, seit die Oberschule begonnen hatte und das war ein Hallo gewesen. Außerdem gab es da noch Seto Kaiba. Eine noch viel berühmtere Person als Yugi Muto. Er hatte schon mit 16 Jahren die Leitung des Firmenimperiums seines verstorbenen Stiefvaters übernommen. Die Mädchen himmelten ihn an. Selbst ihre Freundin Aiko war bis über beide Ohren in Seto Kaiba verschossen. Doch Reimi Yanagiwara verstand diesen Rummel nicht. Sie hatte mitbekommen, dass Yugi und seine Freunde und auch Seto Kaiba vor einiger Zeit verschwunden waren, dann jedoch wieder gekommen waren. Warum sie weg waren und was alles geschehen war, hatte sie nie erfahren und sich auch nie gefragt. Reimi war eher der Typ Randfigur, die niemals besonders auffiel, weder Heldin noch Rivalin war. Sie war zwar recht hübsch, doch für viele auch etwas langweilig. Nur ihre Freunde wussten, dass Reimi ein Genie war, was Computertechnologie anging. Sie liebte es zu Programmieren und besuchte alle Arten von Veranstaltungen, die in irgendeiner Weise mit neuen Technologien zu tun hatten. Doch ihre große Leidenschaft hatte auch einen gewaltigen Nachteil. Vor einigen Jahren, als Reimi noch die Mittelschule besuchte, lernte sie einen Jungen kennen, in den sie sich unsterblich verliebte. Als sie sich endlich dazu durchgerungen hatte, ihn um einen Verabredung zu bitten, musste sie feststellen, dass ihre Vernarrtheit in Computer ihn in die Flucht schlug. Er hatte damals zu ihr gesagt, Mädchen die sich mit Computern auskennen würden, seien unheimlich und unattraktiv. So hatte sich Reimi vorgenommen, niemals einem Jungen zu sagen, dass sie sich mit Computern auskannte. Sie glaubte, dass Männer immer Angst vor Frauen hätten, die sich in technischen Dingen auskannten. Denn dieser Bereich war leider auch heute noch in vielen Köpfen Männerterritorium. Also veränderte Reimi ihr Aussehen, tauschte Laptop gegen Modezeitschrift und verriet nur ihren besten Freunden von ihrer wahren Leidenschaft. Alle anderen hielten sie für ein gewöhnliches Mädchen, dass weder besonders klug, noch besonders dumm sei und einfach nur langweilig war. So verging die Mittelschule, und auch die letzten Jahre der Oberschule und niemandem fiel Reimi auf. Es war ein warmer Junitag und alle Schüler, selbst Seto Kaiba, ihrer Klasse waren anwesend. Soeben hatte die Lyrikstunde begonnen, ein Fach, was Reimi zutiefst verabscheute. Reimi liebte alles, was mit Mathematik und Technik zu tun hatte, doch hasste wiederum jegliche Kunstfächer. Sie konnte nun mal nicht singen und auch nicht zeichnen, und ihr Verständnis für Literatur, die nicht über Technik handelte, war auch sehr begrenzt. In Musik schaffte sie es gerade so über die 50% Hürde, in Kunst versagte sie völlig und Literatur war manchmal ganz passabel, jedoch nicht wenn es um Lyrik ging. Kurz gesagt, Reimi war eine Niete in Lyrik. „Liebe Schüler, einige wird es freuen, andere wiederum nicht, doch wir beginnen heute mit einer Partnerarbeit in Lyrikanalyse. Sie werden jeweils zu zweit eingeteilt und bekommen ein Gedicht zugeteilt. Dazu müssen Sie binnen drei Wochen eine fertige Analyse vorlegen. Jegliche Materialien, die sie verwenden, müssen durch Quellenangabe gekennzeichnet sein. Außerdem wird einer von Ihnen am Ende der Partnerarbeit eine Präsentation über die Ergebnisse abhalten. Ich werde bestimmen, wer von Ihnen das sein wird.“ Einige Schüler stöhnten sofort genervt auf, als sie die Worte Herrn Satos hörten, andere freuten sich schon auf diese Aufgabe und suchten sich Partner. „Wir arbeiten doch zusammen, oder Aiko?“, fragte Reimi ihre langjährige Freundin. „Natürlich, aber ich muss dich warnen, Lyrik ist auch nicht mein Fachgebiet, wie du weißt.“ „Egal, hauptsache ich muss mich nicht mit einem nervigen Partner herumschlagen“, antwortete Reimi lächelnd. „Da ich mir Ihre Zensuren angesehen habe, möchte ich es bei einigen von Ihnen nicht zulassen, dass sie mit Partnern arbeiten, die demselben Zensurenbereich angehören. Kurz gesagt, einem schlechten Schüler wird ein guter Schüler zugeordnet“, fuhr Herr Sato fort. Ein empörtes Gemurmel ging durch die Klasse, als der Lehrer weiter sprach. „Ich weiß, das wird den meisten von Ihnen nicht gefallen, aber sehen Sie es so. Wenigstens hat so jeder von Ihnen die Chance auf eine hohe Punktzahl.“ Das empörte Gemurmel endete jedoch nicht. Reimi war auch nicht begeistert, da ihre Freundin Aiko ebenso schlecht war wie sie und deshalb die Wahrscheinlichkeit mit ihr zusammen zu arbeiten recht gering war. Sie hoffte nur, dass sie einem angenehmen Partner zugeteilt werden würde. „Ich werde Ihnen jetzt die Zuteilungen zeigen, Sie können diese auch auf der Jahrgangshomepage nachlesen. Bitte nehmen Sie Ihre Aufgabe ernst.“ Herr Sato schaltete seinen Laptop an, den Beamer und projizierte eine Liste mit Namen an die Wand. Gespannt suchte Reimi nach ihrem. „Hey sieh mal, ich wurde mit Anzu Mazaki eingeteilt“, meinte Aiko und deutete auf ihren Namen. „Sie scheint doch ganz nett zu sein, freu dich doch“, entgegnete ihr Reimi, weiter nach ihrem Namen suchend. „Shinichi Yamada und Yugi Muto, Kenichiro Tsuda und Umi Yosaki, Seto Kaiba und...was?“, stotterte sie plötzlich. „Was ist denn, Reimi?“, fragte Aiko verwundert. „Ich wurde mit Seto...Kaiba eingeteilt!“ Sie deutete geschockt auf die Liste. „Oh, hast du es gut!“, jammerte Aiko, die schon seit langem ein Auge auf Kaiba geworfen hatte, sich aber noch nie getraut hatte mit ihm zu reden. „Nur weil du auf ihn stehst, heißt das nicht, dass ich mich darüber freue.“ „Ich tausche gern mit dir, wenn du willst.“ Aiko war für gewöhnlich ein sehr aufgeschlossenes Mädchen. Es fiel ihr nicht schwer mit Männern zu reden, doch bei Seto Kaiba hatte selbst sie Angst. Sie suchte stets nach einem Grund mit ihm zu reden, fand jedoch bisher keinen. Dies wäre perfekt für sie gewesen. „Moment mal, du willst mit mir tauschen? Das ist ja perfekt. Du bist genauso schlecht, wie ich. Ob du jetzt mit Anzu oder mit Seto Kaiba zusammen arbeitest, oder ich, ist doch egal“, kam es Reimi plötzlich in den Sinn. „Eigentlich schon, denke ich.“ „Super, dann lass uns Herrn Sato fragen, ob wir tauschen können.“ Auch Aiko gefiel diese Idee und am Ende der Stunde machten die beiden ihr Vorhaben wahr. „Entschuldigen Sie, Herr Sato, könnten wir Sie etwas fragen?“, begann Reimi etwas schüchtern. „Yanagiwara, was ist Ihr Anliegen?“, erkundigte sich Herr Sato freundlich. „Nun, Aiko und ich dachten, da wir ja beide nicht besonders gute Schüler in Lyrik sind, ist es doch egal, ob sie mit Anzu Mazaki zusammen arbeitet, oder ich. Wissen Sie, ich würde viel lieber mit Mazaki zusammen arbeiten, und...“ „Das dachte ich mir schon, aber ich muss Sie enttäuschen“, unterbrach sie Herr Sato. „Sie mögen zwar Recht haben aber, im Gegensatz zu Nishida, bleiben Sie zu oft der Schule fern. Sie gefährden damit ihre Versetzung.“ „Wie meinen Sie das. Ich kann doch gar nicht sitzen bleiben“, meinte Reimi verwundert. „Normalerweise ist das in unserem Schulsystem nicht möglich, da haben Sie Recht. Doch unter besonderen Umständen, können wir selbst hier manchmal die Versetzung nicht gewährleisten. Darum habe ich Sie mit Seto Kaiba zusammen getan. Er ist mit Abstand der beste Schüler, den diese Schule je hatte. Wenn Kaiba Ihnen nicht zu besseren Leistungen verhelfen kann, weiß ich auch keinen Rat mehr“, fuhr Herr Sato fort. „Aber meine Leistungen in Mathematik und Physik sind doch gut, wieso...“ „Ich weiß, aber das reicht nun mal nicht. Naturwissenschaften sind nicht immer alles. Also bitte Yanagiwara, geben Sie sich einen Ruck und arbeiten Sie mit Kaiba zusammen. Sie können sich keine Fehltritte mehr leisten.“ Reimi wusste daraufhin nichts mehr zu sagen, und Herr Sato sah dies als Zustimmung an und verabschiedete sich. „Tja, da kann mal wohl nichts machen, Reimi“, meinte Aiko nach einer Weile. Auch sie war enttäuscht. Hatte sie sich doch erhofft endlich eine Chance zu bekommen, mit Kaiba zu reden. „Du weißt ja gar nicht, was für ein Glück du hast“, seufzte Aiko als beide Freundinnen nachdenklich auf dem Schulgang standen. „Glück? Ich weiß echt nicht, warum du so sehr auf ihn stehst. Ich kenn ihn zwar nicht wirklich, aber in der Zeit, die wir nun zusammen in einer Klasse sind, ist er mir immer nur als gemeiner, unfreundlicher Eisklotz aufgefallen. Er ist arrogant und unverschämt, und...“ „Ja, aber er sieht so wahnsinnig gut aus!“, unterbrach sie Aiko schwärmerisch. „Ist Aussehen denn alles worauf es ankommt?“, sagte Reimi vorwurfsvoll. „Natürlich nicht, aber es ist immerhin mal ein Anfang. Außerdem glaub ich, dass er in seinem Inneren ein netter Mensch ist.“ „Wenn du meinst...“ Schweigend sahen die beiden aus dem Fenster. Reimi gefiel das alles nicht. Sie mochte Kaiba nicht, und was noch viel schlimmer war, sie hatte auch etwas Angst vor ihm. Zumindest so viel Angst, dass sie sich nicht traute, mit ihm zu reden. „Und? Sprichst du ihn auf eure Arbeit an? Was für ein Gedicht habt ihr eigentlich bekommen?“, unterbrach Aiko die Stille. „Keine Ahnung, irgendwas mit Shakespeare, irgendein Sonnet, oder so was. Ist auch egal.“ „Wahrscheinlich noch so ein tolles Liebesgedicht, oh wie ich dich beneide.“ Reimi rollte die Augen. Sie kannte hundert Männer, in die sie sich lieber verlieben würde. Trotzdem, sie würde mit Kaiba reden müssen. Die letzte Stunde hatte begonnen. Vorsichtig schielte Reimi zu Kaibas Platz. Er saß wie immer an seinem Laptop. Sie verstand sowieso nicht, wieso ihm die Lehrer das durchgehen ließen. Es war doch furchtbar unhöflich, sein Desinteresse so deutlich zu zeigen. Aber wahrscheinlich saß er ja nur hier, weil es seine Pflicht war. So wie es schien, war er ja ein hoch-intelligentes Genie, das es nicht nötig hatte, dem Unterricht zu folgen. Natürlich hatte Aiko Recht. Seto Kaiba war ein verdammt gut aussehender Mann, doch das reichte Reimi bei weitem nicht. Ein so unhöflicher Mensch konnte sie niemals faszinieren. Und obwohl sie sich immer wieder sagte, dass Kaiba nur grob und unhöflich sei, sie jedoch keine Angst vor ihm zu haben brauchte, wagte sie es an diesem Tag nicht, mit ihm zu sprechen. „Verdammt!“, fluchte sie, als sie an der Haustür ihrer Wohnung stand. Dieser Tag hatte so schlecht angefangen, er konnte nur schlecht weiter gehen. Sie kramte ihren Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Es war eine kleine, aber feine Wohnung, die Reimi zusammen mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester bewohnte. Reimis Vater hatte sich vor einigen Jahren scheiden lassen und war ins Ausland gegangen. Hin und wieder rief er zu den Geburtstagen seiner Töchter an, doch Reimi und ihre Schwester Kanako legten nicht sehr viel Wert darauf. Trotzdem wollten sie ihren Vater nicht hassen. Was auch immer für Gründe er hatte, die Familie zu verlassen, sie mussten es akzeptieren. „Hallo Schwesterchen!“, vernahm Reimi aus dem Wohnzimmer. Sie zog ihre Schuhe aus, legte ihre Tasche ab und folgte dem kleinen Gang, der an vier Zimmern vorbeiging und schließlich im Wohnzimmer endete. Das Wohnzimmer war auch Esszimmer mit einer kleinen Küchenzeile und die vier Zimmer waren jeweils das Schlafzimmer ihrer Mutter, ein Badezimmer und die Zimmer von Reimi und ihrer 15jähriger Schwester Kanako. „Hallo Kana“, gab Reimi lustlos zurück, warf sich sofort auf das Sofa und schaltete den Fernseher an. Kanako saß am Küchentisch und hatte anscheinend bereits mit den Hausaufgaben begonnen. Im Gegensatz zu ihrer großen Schwester war Kanako sehr fleißig in der Schule und erziehlte stets hervorragende Ergebnisse. „So schlecht drauf heute? Was ist denn passiert?“, erkundigte sich Kanako und kam auf ihre Schwester zu. Ebenso wie Reimi hatte sie lange braune Haare, doch im Gegensatz zu ihr, die tiefbraune Augen hatte, waren Kanakos ozeanblau. Sie war etwas kleiner als ihre große Schwester, die 1,70 m maß. „Och nur dass ich mit dem schlimmsten Menschen der Welt zusammen arbeiten muss?“, antwortete Reimi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aha und wer ist der schlimmste Mensch der Welt?“, harkte Kanako weiter nach, während sie sich neben Reimi niederließ. „Oh du kennst ihn gut...aus dem Fernsehen. Seto Kaiba!“ „Was echt? Wow, ich bin beeindruckt. Das ist doch der Bruder von Mokuba Kaiba, der in meine Klasse geht.“ „Ja, und?“ „Nichts, aber ich bin gespannt, wie es dir ergehen wird. Wenn du Mokuba mal siehst, dann...“ „Eigentlich habe ich überhaupt nicht vor, mit Kaiba zu arbeiten“, unterbrach sie Reimi wütend. „Ach, und du kannst das so einfach entscheiden? Was sagt denn dein Lehrer dazu?“ „Nein, natürlich kann ich das nicht. Ich muss, weil sonst meine Versetzung gefährdet ist.“ „Was? Sag das bloß nicht Mama, sie wird austicken“, meinte Kanako besorgt. „Na und? Ich werde dieses Jahr 19, dann dauert es nur noch ein Jahr, bis ich volljährig bin. Sie kann mir also nicht mehr lange etwas vorschreiben.“ Mürrisch verschränkte Reimi ihre Arme noch mehr. „Sei nicht so gemein. Mama meint es immer nur gut mit uns.“ „Jaja, ich weiß. Ich werde schon mit ihm zusammen arbeiten...irgendwie“, gab Reimi schließlich nach. Kanako lächelte und machte sich wieder an ihre Aufgaben. So verging der Tag recht ruhig. Ihre Mutter kam am Abend von ihrer Arbeit nach Hause und die Mädchen verbrachten noch einen netten Abend. Doch bereits am nächsten Tag hatte Reimi die Realität wieder eingeholt. Sie musste endlich mit Kaiba reden. Sie seufzte tief, als sie vor der Tür zu ihrem Klassenraum stand. „Jetzt oder nie“, sagte sie sich selbst und öffnete die Tür. Sofort sah sie zu Kaibas Platz, doch dieser war heute leer. Auf der einen Seite war Reimi erleichtert, doch sie wusste, dass sie irgendwie noch mit ihm reden musste. Je länger sie es vor sich herschieben würde, desto schlimmer würde es. Doch wie sollte sie mit ihm reden, wenn er nicht da war? „Hey Reimi! Na wie geht es dir?“, begrüßte sie Aiko. „Hallo, nicht gut. Eigentlich wollte ich heute mit Kaiba sprechen, aber der Herr hat anscheinend Besseres zu tun, als in der Schule aufzukreuzen.“ „Dann geh doch einfach zu seiner Firma“, schlug Aiko vor. „Was? Niemals! Ich war noch nie dort. Der muss mich doch für bescheuert halten. Ich warte einfach, bis er wieder in der Schule auftaucht.“ „Aber du weißt doch, dass das unter Umständen lange dauern kann. Vor einiger Zeit ist er wochenlang nicht da gewesen. Und dir bleiben nur drei Wochen.“ Natürlich wusste Reimi, dass ihre Freundin Recht hatte. Und es war nun mal wirklich ihre letzte Chance versetzt zu werden. Dennoch wusste Reimi nicht genau, was sie da tat, als sie nach der Schule vor dem riesigen Gebäude der Kaiba Corporation stand. „Wahrscheinlich redet er nicht einmal mit mir. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, wer ich bin“, sagte Reimi zu sich selbst, als sie zu dem großen Gebäude aufschaute. Es verging eine viertel Stunde, bis sie sich dazu durchringen konnte, das Gebäude zu betreten. Sie war wirklich noch nie hier gewesen. Natürlich war sie öfters daran vorbei gegangen und hatte es oft im Fernsehen gesehen, doch drin war sie noch nie. Vorsichtig trat sie durch die riesigen, sich automatisch öffnenden Türen. Viele Menschen waren zwar nicht in der Eingangshalle, doch die verwunderten Blicke der beiden Empfangsdamen genügte Reimi. Dennoch, sie wollte jetzt nicht als Feigling dastehen, also ging sie geradewegs auf eine der Damen zu. „Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte diese zwar freundlich, betrachtete Reimi aber immer noch skeptisch. „Ja, ich würde gerne Herrn Kaiba sprechen“, antwortete diese etwas kleinlaut. „Haben Sie einen Termin?“ „Nein, aber vielleicht könnten Sie ihn fragen, ob er trotzdem etwas Zeit hat?“ „Tut mir Leid, aber Herr Kaiba ist sehr beschäftigt“, meinte die Dame und wollte sich schon wieder ihrer Arbeit widmen. Doch Reimi konnte jetzt nicht umdrehen. So viel Stolz besaß sie noch, also blieb sie standhaft. „Bitte fragen Sie ihn trotzdem.“ Die Dame blickte sie wieder skeptisch an, gab dann aber nach. „Wie ist Ihr Name?“ „Yanagiwara Reimi.“ „Herr Kaiba, entschuldigen Sie die Störung, aber hier ist eine Frau Reimi Yanagiwara, die sie sprechen will“, sprach die Empfangsdame in ein Mikrophon. Zunächst blieb es still, dann jedoch vernahm man Kaibas Stimme durch den Lautsprecher. „Ich kenne keine Frau Yanagiwara, also schicken Sie sie weg.“ „Verstanden Herr Kaiba, ich...“ „Ich bin deine Mitschülerin! Wer müssen ein gemeinsames Projekt machen“, unterbrach Reimi die Empfangsdame, solange diese die Sprechtaste noch gedrückt hatte. Wieder blieb es einen Moment still, bis Kaiba sich wieder meldete. „Du hast 5 Minuten!“ Kapitel 2: Computerkenntnisse ----------------------------- Da stand sie nun. Ein langer Gang mit vielen Türen lag vor ihr, ganz am Ende befanden sich zwei Fahrstühle. Sie hätte nicht gedacht, dass dieses Gebäude so verwinkelt sei. „Was hat die Tussi gesagt? 7. Stock, Raum 107? Na dann mal los.“ Reimi atmete einmal tief durch. So schwer konnte es doch nicht sein. Immerhin war Seto Kaiba auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie tat ja gerade so, als sei er ein Dämon aus einer anderen Welt. Reimi kam sich selbst schon lächerlich vor. Als sie endlich im Fahrstuhl stand und die Taste für den 7. Stock betätigt hatte, belächelte sie ihre Angst bereits. Sie musste ihm nur klar machen, dass sie mit ihm zusammen arbeiten müsse. Er hatte ja schließlich auch keine andere Wahl. Der Aufzug kam im 7. Stock an, eine automatische Stimme verkündete es. Gespielt gelassen trat Reimi aus dem Aufzug. „Also, Zimmer 107.“ Suchend schaute Reimi auf die Zimmernummern. Sie orientierte sich daran, bis sie bei Nummer 106 angekommen war. Gespannt blickte sie nach vorne. „War ja klar. Seto Kaibas Büro muss natürlich hinter der größten und protzigsten Tür des ganzen Gebäudes liegen“, flüsterte sie zu sich selbst, als sie die riesige Eichentür betrachtete, die zu Zimmer Nummer 107 führte. Noch einmal atmete sie tief durch, dann klopfte Reimi an die Tür. Ein grobes „Herein“ ertönte, und Reimi begann sich schon wieder über diesen Mann zu ärgern, öffnete jedoch brav die Tür. Gespannt trat sie ein. Sie hatte Recht behalten. Seto Kaibas Büro war riesig und protzig. Ein gewaltiges Panoramafenster befand sich hinter seinem Schreibtisch. Ein edles Ledersofa stand in einer Ecke und ein gewaltiger Schrank füllte den Raum, der trotzdem noch riesig war. Schließlich war da Kaibas Schreibtisch, bestimmt aus edlem Holz und der Chef persönlich saß dahinter. „Willst du da Wurzeln schlagen?“ Erschrocken sah Reimi dem Mann, dem diese schroffe Stimme gehörte in die Augen. „Äh...nein“, war lediglich ihre Antwort. So kam sie vorsichtig näher, fast schon so, als ob Kaiba sofort über sie herfallen und sie zerfleischen könnte. Dabei hatte sie sich doch gesagt, dass sie keine Angst vor ihm zu haben brauchte. Pustekuchen, natürlich hatte sie Angst vor diesem mächtigen Mann. „Wie heißt du noch mal?“, fragte Kaiba grob. „Äh...Rei...Reimi Yanagiwara“, antwortete das verschüchterte Mädchen kleinlaut. „Ja, ich erinnere mich, diese lächerliche Lyrikanalyse. Ich habe nicht vor, dir dabei zu helfen, ist das klar?“ Überrumpelt nickte Reimi, bemerkte aber sogleich ihren Irrtum. „Äh...aber das musst du wohl“, widersprach sie immer noch kleinlaut. „So, und wer sagt das?“ Er war wirklich furchteinflössend und schrecklich unhöflich. Am Liebsten wäre Reimi auf dem Absatz umgekehrt, doch sie hatte keine Wahl. Sie musste sich dem tobenden Löwen stellen. Es ging hier schließlich um ihre Zukunft. „Nun, es ist eine Schulaufgabe, die niemand einfach so ignorieren kann.“ „Natürlich kann ich das. Ich behalte trotzdem meine perfekten Ergebnisse, egal ob ich das hier ignoriere, oder nicht.“ „Achso“, antwortete Reimi immer noch eingeschüchtert. Sie hätte fast angefangen zu zittern, aber sie durfte nicht aufgeben. „Aber ich möchte diese Aufgabe erledigen.“ „Ich glaube eher, du möchtest nicht noch einmal versagen, oder? Ist es nicht so, dass du völlig aufgeschmissen bist, wenn ich dir nicht helfe? Versager bleibt nun mal Versager!“ Reimi war bis jetzt eingeschüchtert gewesen, doch diese Aussage ließ Wut in ihr aufkochen. Sie war kein Versager. Und von jemandem, wie Seto Kaiba würde sie sich das schon gar nicht sagen lassen. Nur weil sie mit künstlerischen Dingen nichts anfangen konnte, war sie noch lange nicht weniger wert, als er. Plötzlich war all ihre Furcht verschwunden und ihr Körper kochte vor Wut. Die Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie Kaiba Contra gab. „Was bildest du dir eigentlich ein, du arroganter Fatzke? Nur weil du hier deine tolle Firma hast, die du sowieso nur geerbt hast und niemals aus eigenem Antrieb hättest aufbauen können, brauchst du dich nicht über andere Leute lustig zu machen. Ich bin ganz sicher kein Versager, immerhin schaffe ich es mit anderen Menschen auszukommen, nicht so wie du. Du bis ein menschlicher Versager!“ Doch Reimi hatte es übertrieben. Mit ihrer Aussage über seine Firma hatte sie auch ihn wütend gemacht. Und Seto Kaiba wütend zu machen, war ein dummes Vergehen, eines das man mit dem Leben zu bezahlen hatte, oder zumindest mit einem Körperteil. „Du wagst es? Verschwinde sofort aus meinem Büro, bevor ich dich eigenhändig aus dem Fenster werfe.“ Reimi hatte so ein wenig das Gefühl, als würde sie gerade von einem Tornado überrollt. Doch sie hatte keine Angst mehr vor Kaiba. Natürlich war er ein normaler Mensch, der einfach nur schnell wütend wurde und anscheinend nicht fähig war, Kritik einzustecken. „Achja, mach es doch, dann verklag ich dich wegen Körperverletzung.“ „Fordere mich ja nicht heraus“, war Kaibas aggressive Antwort. „Und was wenn doch? Du hast doch nur eine große Klappe!“ Kaiba rastete nun völlig aus. Wütend packte er Reimi am Kragen ihrer Schuluniform. Reflexartig hielt sie sich die Hände vors Gesicht, bereits damit rechnend von Kaiba geschlagen zu werden. Doch ein lautes Schrillen stoppte Kaibas Wutausbruch. Sofort ließ er Reimi los, der fast der Atem versagt wäre. Das Schrille kam aus Kaibas Handy. Er nahm ab. „Was ist los?“, fragte er und man konnte immer noch die Wut in seinen Worten vernehmen. Reimi verstand die andere Stimme nicht, doch Kaibas Gesichtsausdruck zufolge, war es keine angenehme Nachricht. „Was? Bin ich nur von Unfähigen umgeben? Ich komme sofort!“, waren seine knappen Worte. Ohne auch nur noch einmal auf Reimi zu achten, verließ Kaiba sein Büro. Reimi keuchte immer noch vor lauter Schreck. Hätte er sie wirklich geschlagen? Sie konnte es kaum glauben, aber so einfach wollte sie ihn nicht davon kommen lassen. Noch den Schreck in allen Gliedern sitzend, folgte sie Kaiba. Er war mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock gefahren, und sofort nahm Reimi den zweiten. Als sie im dritten Stock angekommen war, fürchtete sie bereits ihn verloren zu haben, als sie das Ende seines Mantels hinter einer Tür verschwinden sah. „Na warte! So einfach kommst du Mistkerl mir nicht davon. Glaubst du, ich würde mich einfach so von dir schlagen lassen? Ich verklag dich wenn nötig!“, rief sie ihm hinterher und lief zur Tür, in welcher er verschwunden war. Eigentlich wollte sie diese wütend aufreißen, als sie Kaibas lautes Gebrüll aus dem Raum dahinter vernahm. Erschrocken lauschte sie zunächst. „Gibt es denn hier nur Vollidioten? Wie lange ist unser System bereits von dem Virus befallen?“ „Ich weiß nicht, Herr Kaiba, etwa zwei Stunden?“, antwortete eine schüchterne Männerstimme. „Und wieso haben sie das Problem noch nicht gelöst?“ „Wir können den Virus im System nicht lokalisieren. Er ist anders, als die Viren die die Firewall sonst abfängt.“ „Wenn Sie unfähig sind, können Sie sich gleich einen anderen Job suchen.“ Reimi wusste selbst nicht, was sie da tat, als sie es tat. Doch plötzlich öffnete sie die Tür so abrupt, dass alle Augen auf sie gerichtet waren. „Das ist doch ganz einfach!“, meinte sie selbstsicher. Wenn es etwas gab, womit sie sich auskannte, waren es Computer. „Du? Was fällt dir ein...“, begann Kaiba außer sich vor Zorn, als er dieses unverschämte Mädchen erkannte. „Reg dich ab, ich weiß, wie du den Virus lokalisieren kannst. Ich habe selbst schon Erfahrungen damit gemacht.“ Sie ging schnell an Kaiba vorbei, bereits erwartend, dass er sie wieder packen würde, auf den Hauptrechner zu. „Vielleicht ein Trojaner?“, meinte ein Computerwissenschaftler. „Nein, etwas Neuartiges. Er zerfrisst alles, selbst wenn man versucht ihn im abgesicherten Modus zu löschen. Es liegt an seiner Signatur. Er nutzt keine polymorphe Signatur, sondern ein verstecktes, ungenutztes Byte“, meinte Reimi, während sie wie eine verrückte für einen normalen Menschen völlig unverständliche Codes eingab. „Moment, ich programmiere dem Virenscanner dieses Systems die neue Signatur ein. Es ist eigentlich ganz einfach, sobald man das Schlupfloch des Virus entdeckt hat.“ Reimi hatte selbst bereits Erfahrungen mit dem Virus gemacht. Sie hatte wochenlang daran getüfftelt, die Systeme ihrer Computer hundertmal neu programmiert. Ganz sicher würden es die Computerwissenschaftler der Kaiba Corporation schneller schaffen, doch warum sollte sie sich dieses kurzzeitige Erfolgserlebnis nehmen lassen? Immerhin kannte sie den Virus schon. Es dauerte eine Weile, doch dann wurden die Systeme neu gestartet und der Virus war verschwunden. „Ich bin beeindruckt. Darauf wäre ich nie gekommen“, meinte der Programmierer ehrfürchtig und auch die übrigen Softwaretechniker schienen beeindruckt. Erst jetzt wagte Reimi wieder einen Blick zu Seto Kaiba, der sie doch tatsächlich hatte gewähren lassen, was sie niemals erwartet hätte. Noch überraschter war sie über seinen Anblick. Von seiner Wut war nichts mehr zu sehen. Stattdessen betrachtete er sie nachdenklich mit verschränkten Armen und sagte nichts. „Für welche Firma arbeiten Sie?“, fragte der Programmierer neugierig. „Was? Oh...ich arbeite für keine Firma. Ich bastele nur Privat etwas an Computern und deren Software“, antwortete Reimi verlegen. Sie wusste genau, weshalb sie sich so viel besser mit diesen Dingen auskannte, als andere. Schließlich verbrachte sie seit ihrem 5. Lebensjahr jede freie Minute an Computern. Sie war ein regelrechter Freak. Computer waren ihre besten Freunde und sie schien sie auch als einzige etwas zu verstehen. „Ein Hacker!“, rief plötzlich ein anderer der Programmierer. „Wahrscheinlich haben Sie selbst diesen Virus programmiert, und deshalb wussten Sie auch, wie man ihn löscht.“ „Was? Nein, das ist...“, versuchte Reimi erschrocken sich zu verteidigen. „Nur weil Sie unfähig sind, brauchen Sie die Schuld nicht auf andere zu schieben.“ Verwundert sah Reimi zu Kaiba. Hatte er gerade für sie Partei ergriffen? Was war in ihn gefahren? „Sie gehen sofort wieder an Ihre Arbeit. Du, komm mit!“, Kaiba drehte sich um und war gerade dabei den Raum zu verlassen, als er noch einmal sich an den Programmierer wendete, der soeben Reimi für den Virus beschuldigt hatte. „Komura, Sie wissen wo der Ausgang ist. Sie brauchen in dieser Firma nicht mehr aufzutauchen.“ Ehe der Genannte etwas sagen konnte, war Kaiba bereits aus der Tür getreten. Reimi hatte die Situation mit offenem Mund beobachtet. Erst jetzt realisierte sie, dass Kaiba ihr befohlen hatte zu folgen. Ihre Wut war wieder zurück gekehrt. „Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein?“ Sie folgte ihm, aber nur um ihm die Meinung zu sagen. Zornig riss sie die Tür auf und wollte bereits in Richtung Fahrstuhl gehen, als sie bemerkte dass Kaiba noch neben der Tür stand. Er hatte sich an die Wand gelehnt und die Arme verschränkt. „Was bildest du dir eigentlich...“, begann Reimi, wurde aber von Kaiba unterbrochen. „Die Signatur war recht billig, das weißt du.“ Reimi starrte ihn mit offenem Mund an. Woher hatte er erkannt, welche Signatur der Virus hatte? Aber wieso fragte sie sich das eigentlich? Natürlich hatte Kaiba ihr System durchschaut. Immerhin war er ein Genie und hundertmal so begabt wie sie, wenn es um Computerwissenschaft ging. „Mag sein, aber sein Schlupfloch war gut gedeckt. Meist sind es einfache Signaturen, auf die die Virenscanner nicht programmiert sind“, verteidigte sich Reimi standhaft. „Du bist also kein Hacker?“ „Was? Nein, natürlich nicht! Aber wieso...“ „Und du bist zu jung, um für eine andere Softwarefirma zu arbeiten. Also woher kennst du dich damit aus?“ Reimi starrte ihn zunächst ungläubig an. Noch immer war sie wütend, aber sie sah auch keinen Grund darin, ihm diese Frage nicht zu beantworten. „Ich sagte doch, ich beschäftige mich damit in meiner Freizeit.“ „Für eine Onlinespielerin kennst du dich etwas zu gut aus.“ „Wer sagt denn, dass ich Onlinespiele spiele? Ich baue Computer auseinander und zusammen und schreibe Programme.“ „Wieso sollte eine Oberschülerin so etwas tun?“ „Weil es mir Spaß macht. Seit ich 5 bin, sitze ich fast den ganzen Tag an Computern. Außerdem, was geht dich das überhaupt an?“ Kaiba betrachtete sie eine Weile. Anscheinend schien er über etwas nachzudenken. „Wenn du wirklich so gut bist, wie du vorgibst zu sein, wirst du wohl keine Angst vor einem kleinen Test haben.“ Verwundert sah sie ihn an. Er wollte sie testen? Aber warum? „Wie meinst du das?“, fragte sie überrumpelt. Ihre Wut war zwar noch da, doch recht klein geworden. „Ich will, dass du ein Programm schreibst. Du hast eine Woche. Ein Kampfsystem für ein RPG. Und wehe du kommst mit so einer billigen Scheiße.“ „Warum sollte ich dir ein Programm schreiben?“, fragte sie, nun wieder von Zorn erhitzt. Was bildete er sich ein. Er glaubte wohl, er könne jeden einfach so herum kommandieren. Aber nicht mit ihr. „Ganz einfach. Du willst, dass ich dir helfe, also wirst du dieses Programm schreiben.“ Ein siegessicheres Grinsen bildete sich auf Kaibas Lippen. Reimi fehlten die Worte. Sie hätte niemals gedacht, dass der berühmte Seto Kaiba, den sie nun schon so lange kannte, und doch nicht kannte, so erpresserisch sein konnte. „Also?“ Immer noch siegessicher sah er ihr in die Augen. „Gut. Ich schreibe dir ein Programm. Ich entwickele dir das beste Kampfsystem, das du jemals gesehen hast. Aber im Gegenzug bist du mein Partner bei diesem Lyrikmist.“ „Vorausgesetzt dein Programm ist so gut, wie du behauptest.“ Mit einem letzten eindringlichen Blick betrachtete er sie, dann ging er in Richtung der Fahrstühle und ließ das verwirrte Mädchen allein zurück. Großartig, jetzt hatte sie also einen Deal mit Kaiba. Sie musste leider zugeben, dass ein perfektes Kampfsystem für ein RPG nach heutigen Standards zu entwickeln, eine unmöglich zu bewältigende Aufgabe war, in dieser kurzen Zeit und für einen Einzelnen. Warum hatte sie das überhaupt getan. Seit einer Ewigkeit hatte sie niemandem mehr gezeigt, wie gut sie sich mit Computern auskannte. Sie hasste es, wenn man sie als Freak bezeichnete, oder Witze darüber machte, dass Frauen und Technik nicht zusammen passen würden. Doch Seto Kaiba demütigte sie, so oder so. Eigentlich war es sogar ein Vorteil ihm zu zeigen, dass sie doch wenigstens eine Sache beherrschte. Doch nun hatte sie den Salat. Sie hatte ihre große Klappe aufgerissen, vielleicht sogar zu weit. Aber sie würde nicht versagen und wenn sie sieben Tage ohne Essen und Schlafen durcharbeiten würde. Sie würde nicht versagen, nicht vor diesem Mann. Kapitel 3: Programmieren "leicht" gemacht ----------------------------------------- „Reimi, bitte öffne endlich die Tür. Du warst seit drei Tagen nicht in der Schule, was ist denn los?“ Besorgt klopfte Reimis Mutter immer wieder an die Tür der 18jährigen. Da sie immer früh raus musste, bekam sie nicht mit, wann ihre Töchter das Haus verließen. Doch Kanako hatte ihr an diesem Tag gesagt, dass Reimi sich die letzten drei Tage nicht hatte in der Schule blicke lassen. Miyuki Yanagiwara war ein hübsche Frau mittleren Alters. Sie arbeitete in einer Werbeagentur als Sekretärin und war von früh morgens bis spät abends unterwegs. Sie konnte ihren Töchtern zwar nicht viel bieten, aber sie liebte sie dafür umso mehr. Sie wusste, dass Reimi seit ihrer Kindheit in Computer verliebt war, aber sie empfand dieses Hobby eigentlich als zu extrem. Immer wieder klopfte sie besorgt an Reimis Zimmertür. „Bitte Reimi, mach auf!“, sagte nun auch Kanako, die neben ihrer Mutter stand. Endlich hörte man den Schlüssel im Schloss herumdrehen. Die Tür öffnete sich und zum Vorschein kam eine mit schwarzen Augenringen versehen, völlig fertig aussehende Reimi. „Oh Gott, Mädchen, was ist denn los?“, fragte ihre Mutter erschrocken, während sie einen Blick in Reimis Zimmer warf. Alle Rolläden waren herunter gelassen und das einzige Licht des Raumes kam von einem von Reimis drei Computern. „Bist du jetzt zu einem Hikikomori (Anmerkung: ein Hikikomori ist eine Person, die aus Furcht vor der Außenwelt, sich in seiner Wohnung einschließt und nur des Nachts hinaus geht, sonst aber jeglichen Kontakt mit der Außenwelt verweigert.) geworden?“, fragte Kanako etwas neckisch, aber auch besorgt. „Ich habe keine Zeit. Ich muss ein Programm schreiben.“ Reimis Stimme war rau und kratzig. Sie aß kaum und trinken vermied sie auch. „Ein Programm? Wovon redest du?“ Im Gegensatz zu Reimi kannte ihre Mutter sich kaum mit Computern aus. Sie war schon froh, dass sie mit der wenigen Computerarbeit an ihrem Arbeitsplatz einigermaßen zurecht kam. „Du entwickelst ein Programm? Wofür denn?“, harkte nun auch Kanako nach. „Ich habe einen Deal mit Seto Kaiba. Ich schreibe ihm ein Kampfsystem, dafür hilft er mir bei der Lyrik.“ Erschöpft legte Reime ihren Kopf gegen den Türrahmen. „Einen Deal mit Seto Kaiba? Doch nicht etwa der Seto Kaiba?“ Ungläubig sah Miyuki ihre Tochter an. „Doch und ich brauche seine Hilfe, sonst bleib ich sitzen.“ „Was? Warum weiß ich davon nichts?“ Reimis und Kanakos Mutter wurde langsam wütend. Sie mochte es gar nicht, wenn ihre Töchter ihr etwas verheimlichten. Zwar wusste sie, dass sie das nur taten, um sie, die sowieso ständig gestresst war, nicht noch mehr aufzuregen, aber eigentlich wollte Miyuki keine Geheimnisse von ihren Töchtern. Sie versuchte ja doch so gut es ging für sie da zu sein. „Ja, ich hätte es dir erzählen sollen, aber ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Aber keine Angst, ich bleibe nicht sitzen. Kaiba wird mir helfen, denn ich schreibe ihm das beste Programm, dass er je gesehen hat.“ Ungläubig betrachteten Kanako und ihre Mutter die schon fast schlafende Reimi. „Mag ja sein, aber du musst trotzdem essen und schlafen und zur Schule gehen.“ „Dann hab ich aber nicht genug Zeit.“ „Wenn dieser Seto Kaiba dich so unter Druck setzt, und noch dazu erpresst, solltest du das nicht tun. Wenn er noch einen Vater hätte, würde ich mit diesem mal ein ernstes Wort reden.“ Miyuki war nun wirklich wütend, jedoch nicht mehr auf ihre Tochter, sondern auf Seto Kaiba. „Ach lass gut sein. Ich schaff das schon.“ „Aber du gehst ab sofort wieder zur Schule, sonst bleibst du erst recht sitzen“, ermahnte sie nun auch Kanako. „Jaja“, war Reimis Antwort, als sie die Tür hinter sich wieder verschloss. Da saß sie also wieder in ihrer dunklen Kammer. Die Augen schmerzten ihr. Natürlich würde sie es nicht schaffen ein Kampfsystem in sieben Tagen zu entwickeln. Andere benötigten dafür Monate und es arbeiteten mehrere Leute daran. Was hatte sie sich nur dabei gedacht auf Kaibas Deal einzugehen? Sie hatte eine viel zu große Klappe gehabt. Aber eigentlich musste auch Kaiba wissen, dass es unmöglich war allein ein Kampfsystem in so kurzer Zeit zu entwickeln. „Dieser Mistkerl! Das hat er absichtlich getan. Er weiß genau, dass ich das unmöglich schaffe. Dann stehe ich bewiesen als Versager vor ihm und er muss mir nicht mehr helfen“, sagte Reimi sich selbst. Und genau so war es anscheinend auch. Wie hätte sie auch annehmen können, dass Kaiba ihr Können wirklich zu schätzen wüsste. Dieser Mistkerl wollte sie nur blamieren. Schließlich hatte sie sich in seine Arbeit eingemischt. Doch sollte sie jetzt einfach aufgeben? „Nein, ich werde nicht aufgeben. Dann entwickele ich einfach nur einen Entwurf. Jedenfalls werde ich mir nicht die Blöße geben, mit leeren Händen vor ihm zu stehen. Ich kann nichts anderes als mit Computern arbeiten. Und diese einzige Begabung lass ich mir nicht von so einem absprechen.“ Voller Tatendrang stürzte Reimi sich wieder an die Arbeit. Tatsächlich ging sie am nächsten Tag wieder zur Schule und sie aß und trank auch wieder. Im Gegensatz dazu tauchte Seto Kaiba jedoch die ganze Woche nicht in der Schule auf. Reimi fragte sich schon, ob er wieder mit Yugi und den anderen die Welt rettete, doch diese waren anwesend. Schließlich war der letzte Tag der Frist gekommen, und es schien, als habe Reimi es tatsächlich geschafft, den Entwurf rechtzeitig fertig zu bekommen. „Puh...also das ist wirklich meine Meisterarbeit. Er kann sich wohl kaum beschweren. Es ist zwar nur ein Entwurf, aber er weiß genau, dass es unmöglich ist in so kurzer Zeit ein komplettes Kampfsystem zu entwickeln“, lobte Reimi sich selbst. Sie glaubte, nein, sie hoffte, dass Kaiba der Entwurf genügen würde. In ihrem Zimmer herrschte immer noch völlige Dunkelheit, sodass Reimi oft völlig das Zeitgefühl verlor. Doch es konnte noch nicht so spät sein, Seto würde sicher noch in der Firma sein. Sie blickte auf die Uhr ihres PCs und erschrak fürchterlich. „Was, schon fast 23 Uhr? Er ist bestimmt nicht mehr in der Firma, verdammt.“ Hektisch kramte Reimi ihre Sachen zusammen, klemmte sich den Stick mit dem Programm zwischen die Zähne und flüchtete aus ihrem Zimmer. „Reimi, was machst du da?“, fragte ihre Mutter, als sie Reimi hektisch ihre Schuhe anziehen sah. „Du willst doch jetzt nicht mehr raus?“ „Doch ich muss, ich muss ihm mein Programm zeigen, sonst hab ich verloren“, antwortete Reimi hastig. Und noch ehe ihre Mutter noch etwas sagen konnte, war Reimi aus der Tür verschwunden. Um diese Uhrzeit fuhr leider kein Bus mehr, also musste Reimi laufen. Zum Glück lag die Firma nicht so weit von ihrem Zuhause weg. Sie sprintete so schnell sie konnte. Sie dachte sich, dass Seto Kaiba, der so oft in der Schule fehlte, wegen seiner Firma, vielleicht hin und wieder Überstunden machte. Nein sie hoffte inständig, dass er noch da war. Die Puste ging ihr auch, doch sie durfte nicht anhalten. Völlig außer Atem kam sie um Punkt 11 Uhr am Gebäude der KC an. Sie lief zu den Türen und tatsächlich öffneten diese sich noch, doch die Empfangshalle war völlig leer. „Dann werde ich wohl unangemeldet bei ihm rein schneien“, entschied Reimi und lief zu den Fahrstühlen. In der 7. Etage angekommen, ging sie schnurstracks auf die riesige Eichentür zu und klopfte. Nichts geschah. Reimi befürchtete schon, dass er gegangen sei, als plötzlich die Tür geöffnet wurde. „Sieh mal an, wen haben wir denn da?“, meinte Kaiba hämisch grinsend. „Du bist spät. Hast du das Programm dabei?“ „Ja, was denkst du denn.“ „Gut, dann sehe ich es mir gleich an.“ Sofort nahm er Reimi den Stick ab und steckte ihn in seinen Laptop. Reimi, die immer noch an der Tür stand, trat entschieden näher. „Das ist aber nur ein Entwurf.“ Kaiba sah sie durchdringend an. „Ich weiß, aber du weißt genauso gut wie ich, dass es für eine einzelne Person in so kurzer Zeit unmöglich ist ein fertiges Programm zu entwickeln.“ Kampfbereit blickte sie zurück. „Wir hatten aber ein fertiges Programm ausgemacht. Wenn du dazu nicht fähig bist, solltest du deine Klappe nicht so groß aufreißen.“ „Red keinen Scheiß, Kaiba. Der Entwurf ist tadellos. Du weißt, dass ich gute Arbeit geleistet habe, also hör auf damit.“ „Nein, du hast deine Aufgabe nicht erfüllt, also ist der Deal geplatzt.“ „Aber...Ach vergiss es. Ich habe mein ganzes Können darin investiert. Wenn es dir nicht reicht, hast du Pech gehabt. Nochmal lass ich mich von dir nicht verarschen.“ Reimi drehte sich wütend um und wollte gerade den Raum verlassen, als Kaiba wieder das Wort ergriff. „Warte. Du meinst also, dass du diesen Entwurf mit mehr Zeit und einigen Helfern in ein perfektes Kampfsystem umsetzten kannst?“ Überrascht drehte Reimi sich wieder zu Kaiba. „Ich denke schon, aber was meinst du damit?“ „Ok, du bist eingestellt.“ „Was? Eingestellt, was meinst du damit? Ich hab mich überhaupt nicht für einen Job beworben, also wieso glaubst du, mich einstellen zu können?“ „Ganz einfach, weil du immer noch meine Hilfe benötigst.“ Reimi fiel dazu nichts mehr ein. Natürlich hatte er Recht, aber für Seto Kaiba arbeiten? „Gut dann wäre das geklärt. Du kannst morgen anfangen.“ „Moment ich habe noch nicht ja gesagt. Wieso denkst du, dass ich für dich arbeiten wollte? Schon vergessen, vor kurzem wolltest du mich noch zusammen schlagen. Ich habe keine Lust mein Leben zu riskieren, falls du wieder auf mich los gehst.“ „Provozier mich einfach nicht, dann musst du dir auch keine Sorgen machen.“ Reimi fiel fast der Unterkiefer herunter. Was glaubte dieser Kerl, wer er ist? „Du hast ja Nerven. Findest du es richtig einem Mädchen zu drohen, oder gar wirklich zusammen zu schlagen? Ich fass es nicht.“ Gespannt wartete sie Kaibas Antwort ab, der sie mit seinem Blick durchbohrte. „Einem Mädchen würde ich das auch nicht androhen, aber du bist vielmehr ein Freak.“ Reimi blieb der Atem weg. Erinnerungen kamen augenblicklich in ihr hoch. Das letzte Mal, dass ihr das jemand sagte, war von dem Jungen, in den sie damals verliebt war. Von da an hatte sie ihre Fähigkeiten verborgen. Doch diese Bezeichnung schon wieder zu hören, und das auch noch von diesem menschlichen Versager, das war zu viel. „Du...du elender Scheißkerl! Was bildest du dir ein?“ Rot vor Zorn ging sie auf Kaiba zu, zögerte keinen Moment und holte mit ihrer rechten Faust aus. Doch sie traf nicht, stattdessen hatte Kaiba ihre Faust gepackt und hielt sie fest. Reimi konnte nicht glauben, was für eine Kraft er besaß. Sie konnte ihren Arm kaum bewegen, geschweige denn ihr Vorhaben in die Tat umsetzen. Wütend versuchte sie sich aus Kaibas Griff zu befreien. „Verdammt lass mich los!“ „Du bist wirklich ein Freak“, antwortete Kaiba immer noch grinsend. Reimi holte mit ihrer linken Faust aus, doch auch dieses Mal war Kaiba schneller. Nun hatte er ihre beiden Hände, und sie konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen. „Verdammt, lass mich endlich los“, schrie sie erneut. Doch Kaiba machte keine Anstalten sie los zu lassen. Langsam wich die Wut Tränen und die Kraft in ihren Armen schwand. Als Seto bemerkte, dass sie sich zu beruhigen schien, ließ er sie los. Erschöpft sank Reimi in die Knie. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ihr seid doch zum Kotzen. Wenn eine Frau nur einmal etwas gut kann in einem Bereich, der normalerweise von Männern beherrscht wird, ist sie gleich ein Freak“, schluchzte sie immer noch wütend. Kaibas Grinsen war verschwunden, stattdessen sah er fast schon gleichgültig auf sie herab. Reimi schluchzte immer noch, doch eine Antwort erhielt sie nicht. Stattdessen bemerkte sie, wie Kaiba an ihr vorbei zu seinem Schreibtisch ging. „Also, du kannst morgen anfangen“, sagte er. Reimi schwieg. Sie rappelte sich wieder auf, drehte Kaiba den Rücken zu und verließ das Büro durch die große Eichentür. Erst vor dem Gebäude der KC blieb sie stehen, sank auf die Stufen und atmete tief durch. „Irgendwie habe ich das Gefühl, das wird noch ein harter Kampf mit diesem Kerl.“ Sie wandte sich um und schaute an dem großen Gebäude hoch. Nun hatte sie die ganze Zeit in der Oberschule eine Klasse mit ihm geteilt, und nie ein Wort mit ihm gesprochen, und jetzt hatte sie in wenigen Tagen ein Programm für ihn geschrieben und arbeitete jetzt sogar für ihn. Diese Welt war einfach nur verrückt. Kapitel 4: Shakespearean Love Sonnet Part 1 ------------------------------------------- „Reimi, bist du da? Musst du nicht gleich zu deinem ersten Arbeitstag in der Kaiba Corporation?“ Lautstark klopfte Kanako an die Tür ihrer großen Schwester. Diese lag mit heruntergelassenen Rolläden in ihrem Bett und hatte sich ein Kissen ins Gesicht gedrückt. Sie hatte Kanako von ihrem neuen „Beruf“ erzählt, und diese war mal wieder unverständlicher Weise total neugierig und redete die ganze Zeit davon, ob sie dort auch Mokuba sehen würde. Reimi konnte noch gar nicht wirklich glauben, dass sie echt zugestimmt hatte für Kaiba zu arbeiten. Eigentlich hatte sie das ja gar nicht. Diese ganze Szene war sehr verworren und schwer zu erklären, aber irgendwie schien sie ihr Schicksal doch angenommen zu haben. Doch jetzt, da sie wirklich hingehen musste, meldete sich die Unlust und sie wäre am Liebsten ihr restliches Leben im Bett geblieben. Doch sie brauchte immer noch Setos Hilfe. „Reimi, willst du an deinem ersten Tag zu spät kommen?“ Immer noch klopfte Kanako nervend an die Tür, bis Reimi endlich öffnete. „Hör endlich auf, ich geh ja schon.“ Mürrisch schlurfte sie zu ihren Schuhen. „Willst du echt in deiner Schuluniform gehen? Du bist doch angestellt, du musst schon etwas seriöser rüber kommen.“ Kanako verschwand in Reimis Zimmer, während diese genervt mit den Augen rollte. Eigentlich war es ihr völlig egal, wie sie dort auftrat. „Komm mal her Reimi. Du solltest das hier anziehen“, rief Kanako aus Reimis Zimmer. Mürrisch schlenderte diese zurück in ihr leider viel zu vernachlässigtes Zimmer. Die drei PCs verstreuten ihre Kabel über dem Boden, das Bett war unordentlich zerknäult und der kleine Kleiderschrank rechts neben der Tür hätte auch mal wieder eine Politur vertragen. Das Fenster war jedoch immer schön sauber, da Reimi die meiste Zeit ja den Rolladen herunter gelassen hatte. Reimi sah zu Kanako, die ihr eine weiße Bluse und einen knielangen schwarzen Rock hinhielt. „Darin seh ich aus wie eine Gouvernante.“ „Nein, das ist seriös. Du darfst nicht als kleines Schulmädchen rüber kommen. Los, zieh dich um.“ Reimi seufzte kurz, tat dann jedoch wie ihr geheißen wurde. Manchmal konnte man wirklich denken, Kanako sei die Ältere von beiden. Letztere verschwand wieder aus dem Zimmer als Reimi sich umzog. „Zufrieden jetzt?“, fragte sie, als sie wieder aus der Tür kam. „Was meinst du, Häschen. Sieht sie jetzt gut aus?“ Kanako hatte sich über die Jahre hinweg einer Menge Tiere angenommen, konnte jedoch nur wenige davon behalten, da die Wohnung der drei Frauen nicht groß genug war. So bewohnten den Haushalt noch ein weißes Häschen, ein schwarzer Kater mit einem halben Ohr und ein dunkelbraunes Meerschweinchen. Keines dieser Tiere besaß einen Namen, da Kanako der Meinung war, nur die Eltern dieser Tiere dürften ihnen Namen geben. Und in diesem Moment wusste Reimi wieder ganz genau, wer hier die Ältere war. Immerhin sprach sie nicht mit Tieren und hatte nicht diese seltsamen Vorstellungen. „Er sagt, du siehst gut aus. Also dann viel Glück!“ Reimi knurrte leise vor sich hin, als sie die Wohnung verließ. Sie hatte überhaupt keine Lust für Kaiba zu arbeiten. Aber sie hatte keine Wahl. Lieber würde sie jetzt in den sauren Apfel beißen. Bald wäre ihre Schulzeit sowieso zu Ende und dann würde sie Kaiba nie wieder sehen müssen. Doch als sie vor dem großen, kalten Gebäude stand, war von „In-den-sauren-Apfel-beißen“ nicht mehr viel übrig. Reimi überlegte sich bereits eine gute Ausrede, weswegen sie nicht erscheinen konnte, als sie plötzlich angesprochen wurde. „Entschuldigen Sie, haben Sie einen Termin in der Kaiba Corporation?“ Erschrocken drehte Reimi sich um und erblickte einen Mann, etwa Mitte 20 mit schwarzem Anzug, braunem Haar und braunen Augen. „Äh, wie bitte?“, stotterte sie verlegen. „Nun, Sie stehen schon eine Weile vor dem Gebäude, da dachte ich, Sie hätten vielleicht einen Termin, wüssten aber nicht genau wo“, antwortete der Mann freundlich lächelnd. „Naja, um ehrlich zu sein...ist das heute mein erster Arbeitstag“, gab Reimi schließlich kleinlaut zu. Sie konnte noch nie gut lügen, und eigentlich hatte sie sich ja auch vorgenommen tapfer zu sein, und sich ihrer neuen „Arbeit“ zu stellen. „Wirklich? In welchem Bereich?“ „Gameprogramming...glaube ich zumindest“, entgegnete sie verlegen. Sie wusste gar nicht so genau, was sie tun sollte, aber sie dachte sich, dass es wohl etwas mit ihrem Entwurf eines Kampfsystems zu tun hatte. „Wirklich? Na dann sind wir ja so etwas wie Kollegen.“ „Was?“, stammelte Reimi verwundert. „Oh, entschuldigen Sie. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Ryuichi Kawada, ich arbeite im Bereich Charakterdesign“, verkündete Herr Kawada fröhlich. „Sie kennen sich hier wahrscheinlich noch nicht aus. Ich zeige Ihnen alles, wenn Sie möchten. Wie ist denn Ihr Name?“ „Äh...Reimi Yanagiwara“, antwortete Reimi immer noch verwirrt. Doch noch ehe sie sich versehen konnte, stand sie in der Eingangshalle der Kaiba Corporation. Dabei wollte sie doch ganz schnell die Fliege machen. Warum prasselte plötzlich alles auf sie ein? Doch Herr Kawada war so freundlich ihr gegenüber, dass sie sich nicht mehr getraut hatte, zu verschwinden. Es war auch ganz schön, zu sehen, dass in dieser seltsamen Firma auch nette Leute arbeiteten. Dennoch wusste sie nicht, was sie jetzt tun sollte. Kaiba hatte ihr nur gesagt, dass sie heute, als Gegenleistung zu seiner Hilfe, für ihn anfangen sollte zu arbeiten. Aber er hatte ihr nicht gesagt, wie und wo. „Das heißt, ich muss ihn fragen“, dachte sich Reimi und biss sich dabei nervös auf die Unterlippe. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Kawada besorgt, als er Reimis angestrengten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich glaube, ich muss noch einmal mit Kaiba reden“, antwortete Reimi verlegen, und entfernte sich von Kawada, der ihr verwundert nach sah. Erst als sie im Aufzug stand, meldete sich ein weiteres Mal die Panik diesem Mann gegenüber zu stehen. „Hör auf, dich lächerlich zu machen. Er ist auch nur ein ganz normaler Mensch. Aber er macht mich wahnsinnig. Am Liebsten würde ich im Boden versinken.“ In ihren Gedanken versunken, bemerkte sie gar nicht, wie sich die Fahrstuhltüren öffneten und plötzlich jemand vor ihr stand. „Sieh mal an, du bist ja doch gekommen.“ Erschrocken sah Reimi auf und blickte in eben diese blauen Augen, die sie total einschüchterten. Jahrelang hatte sie nichts mit ihm zu tun haben müssen, und jetzt wurde sie ihn gar nicht mehr los. „Kaiba, ich...“, stammelte sie zögerlich. „ Ich bin hier, weil ich überhaupt keine Ahnung habe, was ich eigentlich tun soll. Du hast gesagt, ich soll dieses Kampfsystem...“ „Schon klar. Komm mit“, unterbrach Seto sie und betätigte den Knopf für das dritte Stockwerk. „Mal wieder super freundlich, der Kerl. Worauf hab ich mich da nur eingelassen?“, dachte sich Reimi, sagte jedoch nichts, da sie keine Lust auf eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Mann hatte. Im dritten Stock öffnete sich schließlich die Fahrstuhltür und Seto stieg aus. Schweigend folgte ihm Reimi. Eigentlich widerstrebte es ihr immens, den Aufforderungen Kaibas nachzukommen. Doch sie hatte eine Abmachung mit ihm, und würde diese einhalten. Schließlich wollte sie diese dämliche Lyrikaufgabe erfolgreich abschließen. Sie gingen einen langen Gang mit vielen gläsernen Türen entlang. Beim Vorbeigehen erhaschte Reimi ein paar Blicke in besagte Räume. Sie sah jedoch nur zahlreiche Computer und starr davor sitzende Menschen. „Irgendwie haben die Angestellten dieser Firma etwas Roboterartiges. Ich werde sowieso wohl nie verstehen, wie man freiwillig für Seto Kaiba arbeiten kann“, dachte Reimi, folgte jedoch weiter Kaiba. Ziemlich am Ende des Flures öffnete Seto schließlich eine der gläsernen Türen und trat ein, Reimi im Schlepptau. Sofort waren alle Augen auf den Chef der Kaiba Corporation gerichtet. Niemand sagte auch nur ein Wort. Reimi hatte mehr das Gefühl, hier säßen brave Sklaven, die ehrfürchtig ihrem Sklaventreiber entgegen blickten, als normale Angestellte, die auf eine Anordnung des Chefs warteten, doch sie blieb nach wie vor still. „Dein Job ist es zusammen mit dem Team deinen Entwurf eines Kampfsystems auszuarbeiten und zwar für ein virtuelles RPG“, meinte Kaiba plötzlich an Reimi gewandt. „Was? Ein virtuelles RPG? Aber das ist doch...“, versuchte Reimi zu protestieren. „Wenn du das nicht schaffst, dann geh.“ Entrüstet sah Reimi Kaiba in die Augen. Ihr war nun mittlerweile klar, dass Kaiba kein Mensch für lange Diskussionen war. Er erwartete klare Ergebnisse und keine schwammigen Vermutungen. Reimi hatte noch nie darüber nachgedacht, wie man ein virtuelles Kampfsystem programmiert, doch sie würde nicht als Versager vor ihm stehen. „Unsinn! Natürlich schaff ich das!“, antwortete sie entschieden. „Gut“, antwortete Kaiba bloß und wandte Reimi den Rücken zu. Ehe sie noch etwas sagen konnte, war er auch schon verschwunden. Die verwunderten Angestellten Kaibas starrten sie an und sie fühlte sich mehr als unwohl in dieser Umgebung. Aber sie würde diese Aufgabe erfüllen, nicht allein um Kaiba zu beweisen, dass sie kein Versager war, sondern auch weil es eine Herausforderung war, und es ihr wahrscheinlich sogar Spaß machen würde. Obwohl niemand der Angestellten wirklich mit ihr sprach, nahmen sie Reimi als vollwertige Mitarbeiterin auf, denn niemand widersprach Seto Kaiba. Es fiel Reimi zwar etwas schwer in diesen neuen Maßstäben zu arbeiten, und noch hatte sie keine Ahnung, wie dieses virtuelle RPG aussehen sollte. Sie spielte sehr gerne Rollenspiele, und sie hatte sich auch schon öfters an der Programmierung eines RPG versucht. Ihr Problem war jedoch, dass sie überhaupt keine Ideen für die Story hatte. Sie war nicht besonders einfallsreich, wenn es um diese Art von Kreativität ging. Ihre Kreativität lag eher darin, Lösungen für mathematische Probleme, oder Fehler in der Programmiersprache geschickt zu umgehen. Sie liebte zwar spannende Geschichten, doch ihre Fantasie war äußerst spartanisch ausgelegt, wenn es um das Erfinden von Geschichten ging. Nicht zuletzt erklärte dieser Mangel an Fantasie und Kreativität ihre Probleme im lyrischen Bereich. Die Stunden vergingen wie im Flug, je mehr sie von den Mitarbeitern in die unbekannte Materie eingeführt wurde. Die Programmierung war recht verständlich, auch wenn man immer beachten musste, dass das Kampfsystem später für ein virtuelles, menschliches Bewusstsein ausgelegt war. Schließlich neigte sich der Tag dem Ende zu. Im Gegensatz zu anderen Firmen, war es in der Kaiba Corporation anscheinend ganz normal, dass die Angestellten ständig Überstunden machten. Allerdings hatte Reimi an diesem Tag noch etwas Anderes vor. Sie hatte bis jetzt den Teil ihrer Abmachung mit Kaiba erfüllt, nun war er an der Reihe. Als fast alle anderen Mitarbeiter gegangen waren, machte auch Reimi sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Allerdings, im Gegensatz zu den anderen, führte ihr Weg ins Stockwerk, in welchem Kaibas Büro lag. Sie war sich mehr als sicher, dass der Chef dieses Firmenimperiums wohl als Allerletzter die Firma verließ, wenn überhaupt. So stand sie schließlich wieder vor der großen Tür und klopfte an. Allerdings warteten sie gar nicht erst auf eine Antwort, sondern öffnete einfach die Tür. Seto saß, wie sie erwartet hatte, hinter seinem Schreibtisch und schien zu arbeiten. Er sah sie nicht an, doch sie wusste genau, dass er sie gesehen hatte. „Was willst du noch?“, fragte er schließlich unhöflich. „Ich will, dass du deinen Teil der Abmachung erfüllst“, antwortete Reimi und näherte sich dem Schreibtisch. „Ich arbeite an dem Kampfsystem, damit halte ich mich an meinen Teil. Jetzt bist du dran mir zu helfen. Oder willst du mich jetzt irgendwie abschütteln? Vergiss es. Ich hab zwar auch keine Lust, ausgerechnet deine Hilfe annehmen zu müssen, aber es bleibt mir ja nichts Anderes übrig, also...“ „Jaja...meinetwegen“, unterbrach sie Kaiba genervt. Reimi war etwas überrascht, dass sie auf so wenig Widerstand stieß, gab sich aber natürlich mit dieser Antwort zufrieden. Erwartungsvoll setzte sie sich auf den Stuhl vor Kaibas Schreibtisch. Plötzlich drehte Kaiba seinen Laptop zu ihr um. „Lies das“, meinte er nur. Verwundert sah Reimi auf den Bildschirm. Zu sehen war ein 14-zeiliger Text, allerdings in Englisch. „Das ist ja Englisch“, meinte Reimi. „Überrascht dich das? Du kannst es gern übersetzen, sofern du es überhaupt verstehst.“ „Natürlich versteh ich es. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“, antwortete Reimi wütend. Die Arroganz, mit welcher ihr Kaiba gegenüber trat, nervte sie immer noch sehr. „Shall I compare thee to a Summer's day? Thou art more...was soll der Mist? Was ist das eigentlich für ein Englisch?“, meckerte Reimi beleidigt. Es war schon richtig, dass sie diese Sprache nicht sehr gut beherrschte, ganz zu schweigen von ihrer Aussprache, doch das meiste verstand sie und ausdrücken konnte sie sich auch soweit ganz gut. Doch Reimi hatte in ihrem Leben noch nie von Middle English gehört, geschweige denn konnte sie diese alte Version des Englischen verstehen. Doch die Blöße, die sie sich damit gegeben hatte, war ein gefundenes Fressen für Kaiba. „Das dachte ich mir.“ Er drehte den Laptop zu sich zurück. „Was meinst du damit? Entschuldige, dass ich kein Verständnis für diesen Schwachsinn habe, aber wie diese Leute vor 500 Jahre geredet haben, interessiert mich nun mal überhaupt nicht“, entgegnete Reimi empört. Sie bekam immer deutlicher das Gefühl, dass Kaiba sie anscheinend für blöd hielt. „Solange du dieses Sonett nicht einmal lesen kannst, brauch ich mich gar nicht weiter mit dir herum schlagen. Komm wieder, wenn du es Lesen kannst.“ Reimi wollte protestieren, doch sie merkte mehr als deutlich, dass dies wohl überhaupt keinen Sinn machte. Irgendwo hatte er schließlich Recht, auch wenn sie sich für dieses Eingeständnis hätte selbst in den Hintern treten können. So stand sie schließlich empört auf und verließ ohne ein weiteres Wort Kaibas Büro. „Dieser miese, gemeine, arrogante, egoistische, selbstsüchtige Kerl. Und er hat leider auch noch Recht!“, fluchte Reimi, den Kopf in ihr Kissen drückend. Sie hatte sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert und sich aus lauter Scham unter der Decke verkrochen. „Wieso bin ich nur so unfähig? Kann ich denn wirklich gar nichts? Ich bin echt ein Freak. Und dann auch noch ausgerechnet vor diesem überheblichen Arschloch. Warum bin ich nur an den geraten? Die ganzen Jahre ist er mir erspart geblieben, und jetzt...ach verdammt!“ Zum Glück waren Kanako und ihre Mutter noch nicht da. Sie hätten Reimi sicher ausgefragt. Doch sie wusste auch, dass sie etwas ändern musste. So nahm sie schließlich ihr eigenes Notebook, schaltete es ein und suchte den Text. Jedes einzelne Wort, das sie nicht verstand, schaute sie nach und versuchte den Text zu verstehen. Nach etwa einer Stunde hatte sie endlich den Inhalt begriffen. „So ein schwachsinniges Liebesgedicht. Na toll, was soll man da bitte analysieren? Oh Gott, ich hasse den Mist.“ Reimi drückte sich erneut ihr Kissen ins Gesicht und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. „Es hat keinen Sinn. Ich muss das Zeug verstehen. Also, was hätte sich Shakespeare dabei denken können? Ich muss meine Fantasie anstrengen, mich in die Personen hinein versetzen.“ Reimi schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie hatte einmal eine Verfilmung von Shakespeares „Romeo and Juliet“ gesehen, und das war auch schon alles, was sie über Shakespeare wusste. Dennoch versuchte sie sich den Barden vorzustellen, wie er seiner Angebeteten dieses Sonnet vortrug. Doch in ihrer Fantasie wollte sich nichts tun. Langsam wurde sie schläfrig. „Oh William, wo bist du nur? Trag mir doch bitte dein Sonett vor, dass ich es verstehe“, nuschelte Reimi schläfrig. Und tatsächlich begann ihre Vorstellungskraft zu arbeiten. Sie stellte sich selbst in der Person der Geliebten vor, wie sie erwartungsvoll in einem rosenbewachsenen Garten saß und auf ihren Barden wartete. In ihrer Fantasie hörte sie plötzlich die Worte des Sonetts, stellte sich dabei einen warmen Sommertag vor. Die Blumen blühten, die Sonne schien, in weiter Entfernung konnte man einen Wald erkennen. Sie fühlte, wie sich ihr jemand von hinten näherte, die letzte Zeile des Sonetts vortrug. Reimi drehte sich um und sah ihren Prinzen, einen großen Mann mit braunem Haar und eisblauen Augen. „Verdammte Scheiße! Was macht Kaiba hier?“ Erschrocken öffnete sie die Augen und sprang auf. „Ist meine Fantasie wirklich so grottenschlecht, dass ich mir nur Kaiba vorstellen konnte? Wie soll man denn da sich in die Personen hinein versetzen, wenn dann plötzlich der schlimmste Alptraum vor einem auftaucht?“ Genervt schlug sich Reimi mit dem Kissen ins Gesicht und ließ sich anschließend wieder auf ihr Bett fallen. Es war doch nicht zum Aushalten. So würde sie diese dämliche Lyrik nie begreifen. Kapitel 5: Sie hasst ihn! ------------------------- Niemals hätte sie erwartet, dass für Seto Kaiba zu arbeiten ein derartiger Knochenjob sein könnte. Erschöpft fiel sie in ihre Kissen und schloss die Augen. In Gedanken ließ sie den Tag Revue passieren. Seelenruhig programmierte sie mit anderen Programmierern das Kampfsystem für Seto Kaibas virtuelles RPG. Stunde vergingen, doch die Mitarbeiter machten weder Pause noch zur rechten Zeit Feierabend. „Boah...ich werd noch verrückt. Ich kann nicht mehr“, stöhnte sie erschöpft. „Hier, etwas Koffein wird dich wieder munter machen“, meinte Kawada und hielt ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase. „Wie könnt ihr das nur aushalten? Ich meine, ein ganzes Leben lang sozusagen.“ „Was redest du? Wohl kaum ein Leben lang. Außerdem ist es nicht so schlimm, wie es dir scheint. Kaiba ist zwar ein arroganter Egoist, aber für ihn zählt nur die Leistung, die ein Mensch erbringt, nicht seine Herkunft, sein Aussehen oder was auch immer. Außerdem ist die Bezahlung auch nicht schlecht.“ „Na wenn du meinst.“ Gelangweilt schlürfte Reimi ihren Kaffee. Ihr genügte diese kurze Zeit unter Kaibas Herrschaft bereits, um sich sicher zu sein, niemals fest für ihn zu arbeiten. Schließlich beschloss sie, wie auch die anderen Mitarbeiter gegen 9 Uhr abends Feierabend zu machen. Doch sie hatte nicht mit den Launen Seto Kaibas gerechnet. Sie stieg gerade aus dem Fahrstuhl, als der kleine Pieper, den sie von Kaiba erhalten hatte, um permanent abrufbereit zu sein, einen nervtötenden Ton von sich gab. „Oh nein, was will er jetzt?“, fragte sie sich genervt, und stieg wieder in den Aufzug. Vor Kaibas Büro klopfte sie an, wartete bis ein unhöfliches „Herein“ ertönte und öffnete die Tür. „Was ist los?“, fragte sie sogleich knapp und monoton. „Hier“, antwortete Kaiba knapp, sah dabei nicht einmal von seinem Laptop auf und hielt ihr einen Speicherstick hin. „Und was soll ich damit?“ „Das ist eine Rohversion. Du sollst sie bis morgen auf Fehler überprüfen.“ „Was? Bist du verrückt? Das dauert ja ewig.“ „Deshalb solltest du dich gleich an die Arbeit machen.“ Reimi konnte es nicht glauben. Dieser Mann war wirklich ein Sklaventreiber. „Bist du bescheuert? Warum sollte ich das tun?“ „Willst du mit mir darüber diskutieren? Oder soll ich dich gleich an unsere Vereinbarung erinnern?“ Wütend biss sie sich auf die Lippe. Dieser Mann war einfach nur unmöglich. Sie hätte ihn am Liebsten auf der Stelle sein riesiges Panorama Fenster hinaus gestoßen. Aber dann hätte sie niemandem mehr, der ihr helfen konnte, diese elende Lyrikaufgabe zu bewältigen. „Weißt du was? Ich hasse dich!“, sagte sie schließlich mit Nachdruck in der Stimme. „Damit kann ich leben“, antwortete Kaiba ironisch und fachte ihre Wut damit nur noch mehr an. Dennoch verließ sie ohne ein weiteres Wort das Büro, machte ihren Weg zum Hauptserver und startete die Rohversion. Mokuba öffnete die Tür der Limousine und stieg aus. Jeder Morgen verlief nach dem selben Schema. Nachdem sein Bruder in die Firma gefahren war, lange bevor Mokuba überhaupt aufgestanden war, brachte ihn die Limousine zur Schule. Nur ganz selten tauschte Seto den Tag in der Firma gegen die Anwesenheit in der Schule, und oft hatte Mokuba das Verhalten seines Bruders satt. Die Mittelschule von Domino lag direkt neben der Oberschule, sodass Reimi und ihre Schwester den Schulweg gemeinsam antraten. „Gott, ich bin so verdammt müde!“, jammerte Reimi und gähnte dabei kräftig. „Das kommt nur daher, dass du neuerdings jede Nacht arbeitest. Ist es das wirklich wert? Ich meine, kannst du nicht auch allein lernen, ohne dass dich jemand erpresst?“, antwortete Kanako. „Du hast ja keine Ahnung. Dir fällt das Zeug leicht, aber ich bin eine totale Niete in diesem ganzen künstlerischen Quatsch. Ich kann damit nichts anfangen. Für mich müssen die Dinge logisch erklärbar sein, und nicht aus irgendeinem kreativen Geist entspringen, oder so was.“ „Ich find es nicht gut, dass du den Wert solcher Dinge so sehr verkennst.“ „Jaja...vielleicht hast du Recht, aber...“ Abrupt hielt Reimi inne, eher unfreiwillig, da sie ihre Schwester kurzerhand zurück gezerrt hatte, und sich hinter einer Mauer versteckte. „Was zum Teufel...?“, beschwerte sich diese und war über Kanakos entsetztes Gesicht mehr als überrascht. Verwundert folgte Reimi Kanakos Blick und blieb schließlich bei dem jüngeren der beiden Kaibabrüder hängen, der gerade aus der Limousine gestiegen war. Reimi brauchte nicht lange um eins und eins zusammen zu zählen. Das permanente Interesse ihrer Schwester an dem jüngeren Bruder und jetzt dieser Blick, es gab nur eine Antwort. Doch diese gefiel Reimi ganz und gar nicht. „Sag mir nicht, du hast dich in Mokuba Kaiba verliebt.“ „Was? Unsinn...“, stammelte Kanako, während ihr Gesicht die Farbe einer reifen Tomate annahm. „Und ob du dich verknallt hast. Aber warum ausgerechnet in den Bruder dieses, dieses....ach mir fällt gar kein Name für ihn ein.“ „Hey, nur weil dein neuer Chef ein Idiot ist, heißt das nicht, dass sein Bruder auch so ist.“ Reimi verzog das Gesicht. Sie konnte nicht wirklich glauben, dass zwei Brüder so unterschiedlich sein sollten, doch sie wollte ihrer Schwester auch nicht alles schlecht machen. „Und warum versteckst du dich dann hier, anstatt ihn anzusprechen?“ „Bist du verrückt? Du weißt doch, dass ich das nicht kann. Ich fange an zu stottern und zu stammeln und werde nur knallrot.“ Reimi stöhnte genervt auf. Natürlich wusste sie, dass ihre Schwester ein schwerer Fall von Schüchternheit war. Dennoch musste die kleinere der beiden Schwestern irgendwann einmal diese Schwäche überwinden. Aber vielleicht war heute nicht der beste Tag dafür, zumal Mokuba Kaiba nicht minder beliebt war, als sein Bruder. Belustigt beobachtete die Oberschülerin, wie die jungen, pubertierenden Mädchen im Alter ihrer Schwester, den jüngeren Kaiba anschmachteten. „Zum Glück bin ich aus diesem Alter raus“, dachte sich Reimi. „Ich werd dann mal weiter gehen. Du weißt ja, ich komme immer zu spät, und langsam sind die Lehrer davon genervt.“ Kanako, die ganz in Gedanken versunken war, nickte nur stumm. Mit einem belustigten Grinsen ging Reimi schließlich an der Mittelschule vorbei. „Reimi! Endlich bist du da. Ich warte schon die ganze Zeit auf dich.“ Aiko kam geradewegs auf die gähnende Reimi zu. Sie schlief in letzter Zeit wirklich viel zu wenig. „Was ist denn? Gott, ich bin so müde!“ „Die Ergebnisse der letzten Mathearbeit hängen aus. Ich trau mich nicht nach zu gucken, ich hab die Arbeit total verhauen.“ „Ach Aiko, stell dich nicht so an. So schlimm wird es nicht sein“, meinte Reimi und zog ihre Freundin zur Ergebnistafel. Auf der Tafel waren nur die Namen derer verzeichnet, die bestanden hatten, also mindestens 50 Punkte erreicht hatten. Reimi und Aiko suchten nach ihren Namen. „Na großartig! 52 Punkte hab ich erreicht. Ich kapier dieses ganze Zeug einfach nicht“, jammerte Aiko, nachdem sie ihren Namen am Ende der Liste entdeckt hatte. Reimi arbeitete sich von hinten nach vorne durch, bis sie ihr Ergebnis gefunden hatte. „Und? Wie viel Punkte hast du?“, fragte Aiko. „95, ich bin die an dritter Stelle.“ Aiko folgte ihrem Blick. „War doch klar. In Mathe bist du nun mal ziemlich gut. Wer ist denn noch besser gewesen? Hana Minamoto hat 98 Punkte erreicht und an erster Stelle ist, wie könnte es auch anders sein, Seto Kaiba mit 100 Punkten“, führte Aiko aus, während Reimi die Liste weiterhin fixierte. „Dieser Typ ist einfach unerträglich“, meinte sie, Kaibas Namen anstarrend. „Er ist eben perfekt. Er ist hochintelligent, verdammt attraktiv und superreich. Von so einem Mann kann man einfach nur träumen“, schwärmte Aiko mit einem tiefen Seufzer. „Wenn du meinst“, entgegnete Reimi und verdrehte dabei die Augen. „Herr Kaiba, die Testversion des neuen Open World Games ist nun vollständig.“ „Verstehe. Dann bereiten Sie alles für die Präsentation am Donnerstag vor.“ „Ich werde es ausrichten, Herr Kaiba.“ Kaiba drehte sich zu seinem riesigen Panoramafenster. Für die Präsentation auf der internationalen Messe war alles vorbereitet. „Yanagiwara! Sofort in mein Büro!“ Genervt stöhnte Reimi auf. Sie konnte nicht in Worte fassen, wie sehr es sie demütigte, für Kaiba arbeiten zu müssen. Aber sie hatte sich vorgenommen die bittere Pille zu schlucken und drei Kreuze im Kalender zu machen, wenn die drei Wochen, die sie jetzt noch vor sich hatte, vorbei waren. Ohne einen Moment zu zögern, geschweige denn anzuklopfen und auf eine Antwort zu warten, öffnete Reimi die Tür und betrat Kaibas Büro. „Was ist jetzt schon wieder los?“, meinte sie genervt. „Hast du schon mal was von anklopfen gehört?“, entgegnete Kaiba. „Jaja...was willst du von mir?“, meinte Reimi mit genervten Unterton. „Du wirst mich morgen auf eine Messe begleiten.“ Reimi staunte nicht schlecht bei diesen Worten. Immerhin hatten sie und Kaiba nur ein Arrangement auf Zeit. Doch so langsam schien es ihr, als würde er sie immer mehr zu seinem Laufburschen umfunktionieren. Wie war er überhaupt auf die Idee gekommen, ausgerechnet sie mitzunehmen? Hatte er nicht genug andere Angestellte, die sich um diesen Job reißen würden? „Und warum ausgerechnet ich?“, fragte sie also. „Weil ich es sage“, war die knappe, selbstverständliche Antwort. „Ach weil du es sagst?! Du bestimmst neuerdings also, was ich tue. Ich muss dich doch nicht daran erinnern, dass wir nur eine Zweckgemeinschaft auf Zeit sind, oder?“ „Wenn du dich weigerst, kannst du dir eine andere Nachhilfe suchen. Also bist du morgen um 19 Uhr hier.“ Reimi kochte. Dieser Mann schaffte es doch tatsächlich sie zu erpressen. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? „Meinetwegen. Aber sobald diese ganze Sache vom Tisch ist, brauch ich hoffentlich nie mehr mit dir zu arbeiten“, sagte sie und verschwand aus seinem Büro. Kaiba sah einmal kurz auf, als sie das Büro verließ. ------------ 24 Stunden zuvor ------------- „Seto, du wolltest mich sprechen?“ Der kleinere der Kaiba Brüder stand in der Tür des Büros seines älteren Bruders. „Ende der Woche muss ich auf eine Messe in Tokio. Ich möchte, dass du mich begleitest.“ Seto sah nicht auf während er mit seinem Bruder sprach. Es war eigentlich ganz selbstverständlich, dass sein Bruder ihn stets begleitete. Deshalb fragte er ihn gar nicht mehr erst. „Wann genau?“ „Am Donnerstag.“ „Ähm...Seto, eigentlich hatte ich schon etwas Anderes vor“, antwortete Mokuba etwas zögerlich. Verständlich, denn gleich darauf sah ihn Seto fast schon entrüstet an. „Was meinst du mit, du hast schon etwas Anderes vor?“ „Ich bin mit Freunden verabredet“, gab Mokuba knapp als Antwort. „Mokuba, du weißt doch, dass die Firma über alles geht, und...“ „Ja, ich weiß. Aber ich dachte mir, ich bin doch sowieso nie wirklich nützlich auf solchen Veranstaltungen. Und von deinem Spiel, dass du da vorstellen willst, weiß ich auch nicht so viel. Ich war ja bei der Ausarbeitung nicht dabei“, verteidigte sich Mokuba. „Das spielt keine Rolle. Du begleitest mich sonst immer. Das wird dieses Mal auch nicht anders sein.“ „Solltest du nicht lieber jemanden mitnehmen, der an der Entwicklung beteiligt war? Jemand, der auch etwas darüber sagen kann und außerdem noch...“ „Was, Mokuba? Willst du mich etwa dazu bringen, meine kleine, unbezahlte Praktikantin mitzunehmen?“ Natürlich hatte Seto seinen Bruder gleich durchschaut. Für Mokuba war die Tatsache, dass unter Setos Mitarbeitern nun ein Mädchen seiner Schule war, ein willkommener Grund sich vor solchen Veranstaltungen zu drücken. „Ach komm schon Seto, sind wir ehrlich. Sie ist eine wesentlich dekorativere Begleitung, als ich. Du kannst doch nicht immer deinen kleinen Bruder mitschleppen. Außerdem kennt sie sich auch mit dem Spiel aus, sie hat es immerhin mitentwickelt.“ Seto traute seinen Ohren kaum. Leider Gottest hatte er befürchtet, dass einmal der Tag kommen würde, an welchem sein Bruder seinen eigenen Kopf durchsetzen wollen würde. Doch er hatte nicht gedacht, dass es so bald sei. „Also, wenn du nichts dagegen hast...ich hab am Donnerstag keine Zeit.“ ----- ----- Kaiba schüttelte den Kopf. Eigentlich war es ziemlich unfassbar, dass er seinem Bruder nachgegeben hatte. Allerdings kannte er solche Diskussionen in letzter Zeit ziemlich gut. Und meist endeten sie in Streitereien, die nicht immer zu seinen Gunsten ausgingen. Mokuba war älter geworden und leider hatte er sich den Starrsinn anscheinend bei seinem großen Bruder abgeschaut. Zudem wusste Mokuba genau, wie er Seto letzten Endes doch von seinen Plänen überzeugen konnte. Das war nun mal der „Kleine Bruder Bonus“. Seto konnte nicht wirklich gut mit seinem Bruder streiten. Trotzdem war es unglaublich, dass er ihn dazu gebracht hatte. „Du hast ein Date mit Kaiba?“ „Sag mal, bist du bescheuert? Ich hab gesagt, er will mich auf so ne Messe mitschleppen.“ Reimi traute ihren Ohren nicht. Sobald ihre beste Freundin nur den Namen dieses Typen hörte, schien sich ihr Verstand abzuschalten. Eigentlich wollte sie ihrer Freundin nichts von dieser unmöglichen Abmachung, oder eher Erpressung, wenn man es recht betrachtete, erzählen. „Das ist doch die Chance. Ich würde ausflippen“, schwärmte Aiko. „Ja, dann geh du doch hin. Ich trete meinen Platz gerne an dich ab.“ „Ich würds auch gerne annehmen, aber ich glaube Kaiba würde das gar nicht gefallen.“ Reimi verdrehte genervt die Augen. Eigentlich empfand sie diese Messe als ganz interessant, nur mit diesem Mann dorthin zu gehen, widersprach einfach ihren Prinzipien. „Außerdem bin ich ja zum Glück nur die Notlösung. Normalerweise würde er doch seinen Bruder mitnehmen. Der hatte aber wahrscheinlich keine Lust, also...“ „Ähm...Reimi, du weißt schon, warum er ausgerechnet dich mit nimmt?“ „Was meinst du damit?“, fragte Reimi skeptisch. „Naja, Kaiba sieht mir nicht so aus, als würde er irgendwas dem Zufall überlassen. Und da plötzlich fällt ihm zufällig eine talentierte Softwareprogrammiererin, die er auch noch wunderbar nach seiner Nase tanzen lassen kann.“ „Ja, danke auch für diese genaue Analyse der Situation.“ „Ach, beschwere dich doch nicht. Das heißt immerhin, dass er dich für eine attraktive Frau hält“, schmunzelte Aiko. „Bitte was? Also langsam mach ich mir Sorgen um deinen gesunden Menschenverstand“, empörte sich Reimi. „Um was wollen wir wetten?“ Reimi hatte eigentlich keine Lust mehr weiter auf dieses Gespräch einzugehen. Aber Aiko war voll in ihrem Element und legte es geradezu darauf an. „Hast du dir mal solche Veranstaltungen im Fernsehen angesehen? Dafür werden manchmal extra Mädchen gecastet, damit sie die Spiele interessanter aussehen lassen. Es sind eben nun mal größtenteils nur Männer, die solche Spiele spielen. Und wenn die dann sehen, dass bei der Spieleentwicklung selbst ein hübsches Mädchen mitgewirkt hat, dann ist das doch noch viel interessanter.“ „Ok, Aiko, es reicht. Du hast echt ne blühende Fantasie“, erwiderte Reimi kopfschüttelnd und wandte sich ihrer Freundin ab. Eigentlich war Aiko vorbeigekommen, um sich von Reimi bei den Matheprüfungen helfen zu lassen. Doch anstatt zu lernen, lieferten sie sich eines dieser lächerlichen Gespräche. „Willst du auch einen Tee?“, fragte Reimi und füllt den Wasserkocher. „Reimi, was ziehst du eigentlich an?“ „Was weiß ich. Irgendwas eben.“ „Lass mal sehen, was du mit Irgendwas meinst.“ Manchmal fragte sich Reimi, warum sie mit Aiko eigentlich so gut befreundet war. Sie beide trennten Welten auf charakterlicher Ebene , und dieselben Interessen hatten sie auch nicht mal annähernd. Trotzdem kannten sie sich seit Kindertagen und kamen doch auf irgendeiner Ebene sehr gut miteinander aus, so gut eben, dass sie Freundinnen sein konnten. „Das ist nicht dein Ernst.“ „Warum?“ „Weil es grauenvoll aussieht.“ „Das ist doch ganz normal.“ Aiko bedachte sie mit einem äußerst abschätzenden Blick, der nichts anderes aussagte als, grauenvoll. Reimi war nicht der Typ für vornehme Kleidung. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf das Gouvernantenoutfit, das ihr Kanako ausgesucht hatte, zu stützen. „Aber du sollst doch gar nicht normal aussehen.“ „Und wie soll ich dann aussehen?“ Skeptisch hob Reimi eine Augenbraue und betrachtete ihre Freundin argwöhnisch. „Na hübsch, attraktiv und sexy eben.“ „Ja klar! Nicht in hundert Jahren.“ „Ach Reimi, du bist echt schwierig.“ Aiko versuchte noch einige Male auf ihre Freundin einzureden, doch für diese war das Gespräch beendet. Sie zwang Aiko nun regelrecht dazu, sich einzig und allein auf die Matheprüfung zu konzentrieren. „Ich kann das unmöglich tragen. Ich seh aus wie....“ Entsetzt starrte Reimi ihr eigenes Spiegelbild an. Warum zum Teufel war sie nur in diese Situation geraten? Und warum hatte sie sich auch noch tatsächlich von Aiko dazu überreden lassen, dieses Kleid anzuprobieren. Doch nun stand sie hier, in der Kluft ihrer besten Freundin, die ihr jedoch fast zu klein war und in der sie sich alles andere als wohl fühlte. „Was soll das denn heißen? Das Kleid ist doch umwerfend“, protestierte Aiko ihren Kleiderstil verteidigend. „Dieses Kleid hat genau eine Aussage und die lautet: „leg mich flach!“ Mehr nicht“, erwiderte Reimi. Vielleicht war sie etwas zu kritisch in dieser Hinsicht, doch bei dem Blick in den Spiegel, sich selbst in diesem knappen roten Kleid, mit viel zu tiefen Ausschnitt, war Reimi einfach nicht anders zumute. „So ein Unsinn. Ich hab mir das Kleid letzten Monat gekauft, aber mir ist es einfach etwas zu groß.“ „Ja und mir ist es zu klein. Ich kann das nicht tragen.“ „Du hast aber keine Zeit mehr, dir was anderes zu suchen“, stellte Aiko fest. „Ich werde einfach tragen, was ich die ganze Zeit tragen wollte“, bekräftigte Reimi ihre Entscheidung. „Das hatten wir doch schon einmal. Warum willst du deiner besten Freundin nicht glauben?“ „Warum sollte ich denken, dass Kaiba mich als Blickfang benutzen will? Der könnte sich sicher tausend hübschere Frauen kaufen“, erwiderte Reimi, während sie versuchte sich aus dem engen Fummel zu befreien. „Aber das tut er nicht, also sei doch froh.“ „Aiko, im Gegensatz zu dir habe ich nicht das Verlangen danach vor Seto Kaiba attraktiv zu wirken. Ich will einfach nur meine Arbeit machen. Und genau deshalb bleibe ich bei meinen Klamotten“, entschied Reimi schließlich und ließ Aiko verstehen, dass dies ihr letztes Wort sei. „Ähm...Reimi...“, fing Aiko plötzlich an. „Was ist?“ Doch noch bevor Reimi eine Antwort aus Aikos Mund erhielt, verstand sie bereits, was ihre beste Freundin beschäftigte. Während sich die beiden Freundinnen über Mode gestritten hatten, hatte sich Aikos geliebter Yorkshire-Terrier anscheinend einen neuen Schlafplatz gesucht. Nun lag er da in einem Wäschehaufen, bestehend aus einem schwarzen Rock und einer nicht mehr ganz so weißen Bluse, eben der Kleidung, welche Reimi an diesem Tag tragen wollte. „Das ist nicht dein Ernst!“, schrie Reimi entsetzt und war bereits dabei den kleinen Hund von ihrem Kleiderberg zu vertreiben. „Reimi, er hat es nicht absichtlich getan“, versuchte Aiko zu beschwichtigen. Doch dies alles hatte keinen Sinn mehr. Reimis Klamotten waren, zumindest für diesen Anlass, nicht mehr tragbar. „Das kann doch einfach nicht wahr sein!“, jammerte sie und war schon fast den Tränen nahe. „Hey, sieh es positiv. Immerhin muss ich dich jetzt nicht mehr überzeugen, dieses Kleid zu tragen“, lachte Aiko mit einer Spur Gehässigkeit in der Stimme. „Niemals! Ich finde etwas Anderes“, warf Reimi ein. „Das glaube ich nicht. Wann solltest du nochmal da sein?“ Reimi sah ihre Freundin zunächst einige Sekunden sprachlos an, bis sie begriff, dass sie längst zu spät war. „Verflucht! Das kann alles nicht wahr sein!“, rief sie noch einmal verzweifelt, warf dann noch einen letzten kritischen Blick ihrem eigenen Spiegelbild zu, nahm ihre Tasche und verließ Aikos Wohnung. Schon bei ihren ersten Schritten auf offener Straße hatte sie das Gefühl, als würde jeder Mensch, der ihr begegnete sie argwöhnisch betrachten. Doch es half alles nichts. Sie musste da jetzt durch. Eine halbe Stunde später stand sie vor der Kaiba Corporation. Genervt starrte sie auf ihre Uhr. „Dabei heißt es immer, Frauen seien unpünktlich. Naja, ich sollte ja vor seinem Büro warten.“ Sich noch einmal umschauend, betrat Reimi schließlich die Kaiba Corporation, steuerte direkt auf die Fahrstühle zu und fuhr nach oben. Die verspiegelten Fahrstühle verschonten sie nicht. „Ich könnte mich selbst ohrfeigen für einen solchen Aufzug, aber auf der anderen Seite hat Aiko vielleicht Recht. Vielleicht bin ich einfach nur zu skeptisch.“ Sie wollte gerade die Türklinke herunter drücken, als die Tür sich von Innen öffnete. „Oh, ich wollte gerade...“, fing Reimi an. „Spar es dir. Du bist zu spät“, wurde sie jedoch forsch unterbrochen. „Wie bitte? Also hör mal...“ Doch Kaiba ließ sie nicht aussprechen. Stattdessen musste Reimi laufen um ihm hinterher zu kommen. Sie hatte ihn am Fahrstuhl eingeholt. Kaiba hatte ausnahmsweise nicht seine Limousine vorfahren lassen, sondern war mit einem eigene Wagen vorgefahren. Reimi verkniff sich die Bemerkung, das wievielte von seinen Nobelkarossen dieses wohl sei, und stieg schweigend ein. Die Fahrt verlief schweigend und bei einer Temperatur von unter 0 ° C. Doch als Reimi vor der großen Halle ausstieg, war ihre schlechte Laune verflogen. Eine solche Veranstaltung wollte sie schon immer einmal besuchen, hatte aber noch nie die Möglichkeit dazu gehabt. Es war eine riesige Halle voller abgetrennter Bereiche in welchen die neuesten technischen Errungenschaften im Bezug auf Computertechnik gezeigt wurden. Für Reimi war diese Veranstaltung wie eine Art Schlaraffenland. Allerdings bot Kaiba ihr keine Gelegenheit sich genauer umzusehen. Erst jetzt bemerkte Reimi, dass die Kaiba Corporation unter anderem diese Messe ausgerichtet hatte. Deswegen war der berühmte junge Geschäftsmann sogleich von Presse und anderen zahlreichen Personen umzingelt. Dabei nahmen die besagten Personen keine Rücksicht auf Verluste und trampelten Reimi fast zu Boden. Sie schaffte es gerade noch so sich hinter Kaiba zu verstecken. Kaiba speiste alle Journalisten mit kurzen, entschiedenen Antworten ab, und langsam fragte sich Reimi, warum sie überhaupt mitgekommen war. Doch Kaiba hatte anscheinend entschieden, dass er genug Interviews gegeben hatte und entfernte sich aus der Menge. Reimi bemerkte es zu spät, und hatte ihn bereits verloren. „Na großartig, und was mach ich jetzt?“, fragte sie sich laut. „Entschuldigung, kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Reimi fuhr herum. Ein großer, muskulöser Mann mit schwarzem Haar und braunen Augen hatte sich vor ihr aufgebaut. Irgendwie wirkte er nicht gerade sehr sympathisch, doch Reimi wollte nicht gleich vom ersten Eindruck auf den Rest schließen. „Eigentlich hab ich nur meinen Begleiter verloren“, meinte sie etwas übertrieben freundlich. Erst jetzt bemerkte Reimi, dass der Mann eine Jacke mit der Aufschrift „Security“ trug. „Sie befinden sich hier aber in einem abgesperrten Bereich, der für Unbefugte nicht zugänglich ist“, fuhr der Security-Mensch fort. „Kann sein, aber ich habe meine Begleitung hier verloren also...“, versuchte Reimi sich zu verteidigen, wurde aber von dem Panzerschrank unterbrochen. „Jaja, das haben wir schon oft gehört. Also verlassen Sie diesen Ort jetzt.“ Reimi wusste noch gar nicht, wie ihr geschieht, da hatte der wuchtige Mann sie schon am Arm gepackt und wollte sie mit sanfter Gewalt wegziehen. „Moment mal!“, protestierte sie und begann sich unweigerlich zu wehren. Umso mehr sie sich wehrte, umso kräftiger wurde der Griff um ihren Oberarm. Reimi fragte sich langsam, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr Arm blau anlaufen würde, da wurde die Szenerie jedoch unterbrochen. „Hey, was soll das werden?“ Reimi brauchte sich nicht umzudrehen, um festzustellen, dass es Kaibas Stimme war. Noch nie zuvor war sie so froh seine Stimme zu hören, denn langsam schmerzte ihr Arm wirklich sehr. „Entschuldigen Sie, Herr Kaiba. Diese Frau hat sich aber im abgesperrten Bereich aufgehalten und...“ „Und das aus gutem Grund. Sie gehört zu mir“, klärte Kaiba rasch die Situation auf. „Oh, dann möchte ich mich entschuldigen.“ Reimi war beleidigt und erwiderte nichts mehr. Wenige Sekunden später war der unhöfliche Typ von der Security auch schon verschwunden. „So ein Idiot!“, beschwerte sich Reimi aufgebracht. „Du bist selbst Schuld wenn du hier herum läufst wie ein Groupie“, erwiderte Kaiba nur knapp und hielt ihr ein kleines Ausweiskärtchen hin. „Damit das nicht noch einmal passiert, sieh zu dass du dafür irgendwo Platz findest“, meinte er noch ohne sie dabei anzusehen. „Also hör mal, das ist ja wohl...“ Mitten im Satz brach sie ab. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, denn eigentlich hatte Kaiba Recht. Ihr war diese Situation mittlerweile ungemein peinlich. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass sie in diesem Aufzug nicht hätte mitgehen sollen, doch sie hatte sich ja mal wieder von Aiko beeinflussen lassen. Und nun stand sie zwischen all diesen seriösen Geschäftsleuten und kam sich in diesem freizügigen Aufzug so ungemein lächerlich und erbärmlich vor. Es war ihr alles so schrecklich peinlich, dass sie am liebsten im Boden versunken wäre. Doch Kaiba ließ ihr keine Möglichkeit zur Flucht. „Und was genau soll ich hier jetzt?“ „Das frag ich mich langsam auch“, murmelte er genervt, allerdings nicht laut genug, dass Reimi ihn richtig verstehen konnte. „Was hast du gesagt?“ „Nichts. Du sollst einflussreichen Geschäftsleuten Fragen beantworten. Bekommst du das hin?“ „Warum machst du es nicht selbst, wenn du mir so wenig zutraust?“ „Weil ich Wichtigeres zu tun habe“, antwortete Kaiba kurz und war auch schon verschwunden, ehe Reimi noch eine Frage stellen konnte. Zwei Stunden vergingen in denen Reimi zwar zahlreiche Fragen beantworten musste, jedoch von jeglichen Zwischenfällen verschont blieb. Auch Kaiba war innerhalb dieser Zeit kein einziges Mal mehr aufgetaucht. Allmählich bekam Reimi schon Angst, er habe sie vergessen. Die Messe lehrte sich insofern, dass die Vertreter der großen Softwarefirmen verschwanden. Zurück blieben die Gamer und ihr Anhang. Reimi fing an sich zu langweilen, nachdem eine Weile niemand mehr vorbei geschaut hatte. Am Liebsten hätte sie Kaiba gesucht, doch ihren Platz zu verlassen, wagte sie sich nicht. Reimi war bereits drauf und dran einzuschlafen, als Kaiba nach einer weiteren Stunde endlich zurück kam. „Das hat ja ewig gedauert“, jammerte Reimi und musste unweigerlich gähnen. Kaiba ignorierte diese Bemerkung geflissentlich. Doch Reimi war auch zu müde, um sich darüber zu beschweren, so folgte sie ihm lediglich. Draußen vor der Halle angekommen, hielt Kaiba jedoch an. „Warte hier, ich hab etwas vergessen“, meinte er lediglich und war schon wieder verschwunden. Reimi wünschte sich nur noch, dass dieser unsägliche Tag endlich enden würde. Dabei merkte sie nicht, wie sich ihr eine Gestalt näherte. „Entschuldigen Sie.“ Verwundert fuhr Reimi herum. Es handelte sich um den unhöflichen Sicherheitsmann von zuvor. „Ja?“, fragte Reimi etwas skeptisch. „Ich wollte mich eigentlich nur entschuldigen wegen vorhin. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es ist nun mal mein Job...“ „Jaja, schon gut. Das hab ich doch längst wieder vergessen“, winkte Reimi lächelnd ab. „Ich hab mich gefragt, ob ich Sie vielleicht auf einen Kaffee einladen könnte, so als kleine Entschuldigung.“ Reimi fühlte sich geschmeichelt und wusste gar nicht so recht, was sie antworten sollte. Doch diese Entscheidung wurde ihr recht schnell abgenommen. Kaiba war wieder aufgetaucht und packte sie mit einem knappen „Komm jetzt“ am Arm. Ehe Reimi wusste wie ihr geschah, hatte er sie bereits zum Wagen geschleppt. „Was soll denn das?“, fragte sie empört, als sie im Wagen saßen. „Das könnte ich dich auch fragen“, erwiderte Kaiba scharf. „Wo ist dein Problem? Immerhin hast du mich hierher geschleppt.“ Beleidigt verschränkte Reimi die Arme vor der Brust. „Da hatte ich auch noch nicht gewusst, dass du dich dermaßen lächerlich machen würdest.“ Reimi traute ihren Ohren nicht. Den ganzen Tag über hatte sie getan, was er von ihr verlangte, und nun beschwerte er sich auch noch. „Achja? Und wieso genau hab ich mich lächerlich gemacht?“ „Ich dachte, du wärst doch eine einigermaßen intelligente Frau, aber da habe ich mich wohl getäuscht.“ „Bitte? Ich war doch einzig und allein als Dekoration gedacht.“ „Ich habe dich mitgenommen, weil du fachlich kompetent und qualifiziert warst mich zu vertreten, sonst nichts.“ Mittlerweile hatte es angefangen zu regnen, und ebenso regnerisch war auch die Stimmung in Kaibas teurem Auto. „Ja klar, erzähl das jemand anderem“, antwortete Reimi entschlossen. „Du beschwerst dich doch immer, dass niemand dich als Computertechnikerin Ernst nimmt, weil du eine Frau bist. Im Moment degradierst du dich aber gerade selbst.“ Damit hatte Kaiba mal wieder Reimis wunden Punkt getroffen. Ihre Wut war entfesselt. „Was bildest du dir ein? Halt sofort an!“, fauchte sie regelrecht. „Krieg dich wieder ein.“ „Ich hab gesagt, halt diese scheiß Karre an!“, schrie sie nun wutentbrannt. Tatsächlich stoppte Kaiba den Wagen, und noch bevor er richtig hielt, hatte Reimi die Tür aufgestoßen und war ins Freie gestürmt. Der Regen strömte wie aus Eimern. Sie dachte nicht einen Moment darüber nach, was sie tat. Sie wollte einfach nur noch weg. Binnen weniger Sekunden war sie klatschnass und zu dem Regen, der ihr Gesicht herunter lief, gesellten sich nun auch Tränen. Doch die roten Pumps, die sie von Aiko passend zu dem Kleid verpasst bekommen hatte, hinderten sie an der Flucht. So achtete Reimi nicht darauf, wo sie hinlief und blieb mit dem Absatz ihres rechten Schuhs in einem Kanaldeckel hängen, was dazu führte, dass sie auf der Stelle längs hinschlug. Sie spürte, wie sie sich am linken Handgelenk die Haut abschürfte und auch den Aufschlag ihrer Knie auf dem harten Asphaltboden. „Verflucht!“, schrie sie schmerzerfüllt. Sogleich hatte sie sich wieder aufgerafft, ignorierte ihr blutendes Handgelenk und versuchte hektisch ihren Absatz aus dem Kanaldeckel zu entfernen. Kaiba, der das ganze Szenario mit angesehen hatte, konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Er durfte ja schon einmal Zeuge der Wutausbrüche dieses Mädchens werden, doch dieser war definitiv heftiger. Und auf eine Art und Weise tat sie ihm, wie sie da heulend und fluchend am Boden lag, auch Leid. Wahrscheinlich war er deswegen aus dem Auto gestiegen, um ihr zu helfen. Reimi versuchte unterdessen immer noch ihren Schuh zu befreien, als Kaiba ihr unaufgefordert seine Hand anbot. Für einen kurzen Moment war sie überrascht, reagierte dann aber sofort. Wütend zerrte sie an dem Riemen ihres Schuhs und löste ihn so von ihrem Fuß. Das auffallend rote Kleid klebte mittlerweile an ihrem gesamten Körper und die langen braunen Haare versperrten ihr die Sicht. Doch all das hielt Reimi nicht davon ab, Kaiba noch einmal ihre Meinung zu sagen. Sie stand auf, in der rechten Hand ihren Schuh haltend und funkelte Kaiba zornig an. „Lass mich in Ruhe, verdammt nochmal“, keifte sie und wollte sich schon von dannen machen, als Kaiba sie am Arm festhielt. „Jetzt stell dich nicht so an“, meinte er, sogar ein wenig beschwichtigend. „Lass mich los! Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich hasse dich“, bekräftige Reimi noch einmal lautstark ihre Meinung und entriss sich Kaibas Griff. Vollkommen aufgebracht vor Zorn und Schmerz humpelte sie davon, und Kaiba konnte sie nur noch in der Nacht verschwinden sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)