One litre of Tears von Ikeuchi_Aya (~100 fanfiction challenge~) ================================================================================ 007. Days --------- 007. Days Warum erkannte man den Wert von Dingen immer erst dann, wenn man sie mit einem Mal nicht mehr besaß? Jeden Tag aufzustehen, ihren Eltern bei der täglichen Geschäftsvorbereitung zu helfen, beim Frühstück ordentlich zuzulangen oder ihrer kleinsten Schwester ein Stückchen zu retten, bevor sich ihr gemeinsamer Bruder Hiroki dieses auch noch schnappen konnte... in der Schule die Treppen hinaufzueilen, weil man sich unerklärlicherweise doch verspätet hatte, im Basketballclub sein Bestes geben, um für die Spiele im Stammkader aufgestellt zu werden... Aya hatte sich nie große Gedanken darüber gemacht. Es war selbstverständlich gewesen, dass sie zu all dem fähig war und vor allem auch dann machen konnte, wann sie wollte und wie lange sie wollte. Jetzt allerdings merkte sie umso mehr, dass sie diese kleinen Dinge vielleicht etwas besser hätte wertschätzen sollen. Aber welcher Mensch, noch dazu gerade heranwachsend, macht sich darüber schon einen Kopf? Es war doch nur natürlich, dass man seine Gedanken auf andere Sachen legte, die einen zum Nachdenken brachten! Seit Aya die Schule für Körperbehinderte besuchte, wurde ihr mit jedem Tag klarer, wohin ihre Krankheit sie geführt hatte. Besonders an Asumi, ihrer Zimmergenossin, konnte sie den weiteren Verlauf erkennen. Sicherlich war Aya dankbar, dass sie jemanden hatte, der in der gleichen Lage wie sie steckte und dennoch den Kopf so weit oben hielt. Dass sie einem freundlichen, aufgeschlossenen Mädchen als Mitbewohnerin zugeteilt wurde, ohne die sie gerade in den ersten Tagen verzweifelt wäre. Dennoch konnte man nicht leugnen, dass dieses Zusammensein einen bitteren Beigeschmack hinterließ. Asumis Muskelkraft reichte im Gegensatz zu ihrer schon nicht mehr aus, um sich zu Fuß fortzubewegen. Sie war den ganzen Tag an einem elektrischen Rollstuhl gebunden, während Aya zumindest noch kleinere Strecken selbstständig erlaufen konnte, obwohl dies auch einen großen Zeitaufwand mit sich zog. Aber nicht nur das, auch waren die allgemeinen motorischen Fähigkeiten ihrer Freundin in Ayas Augen bereits stark zurückgegangen: Asumis Hände zitterten beim Essen, sie verschluckte sich oft und bekam zum Teil keine Luft. Ihr Redefluss war äußerst langsam und die Worte kamen zu dem stockend, Silbe für Silbe, über ihre Lippen. Trotz allem konnte Asumi immer noch lächeln und sich genauso wie jedes andere Mädchen für Liebe und Schwärmerei, Mode und andere Dinge des Lebens begeistern. Einerseits brachte es Aya selbst stets rechten Mut und Motivation weiterhin ihr Bestes in dem zu geben, was sie jetzt konnte. Allerdings waren diese Beeinträchtigungen andererseits genau jene, vor welchen sie solche Angst gehabt hatte. In dieser Hinsicht wollte Aya am liebsten immer noch die Augen vor der Wahrheit verschließen. Nun mehr wusste sie, dass sie irgendwann genau das gleiche Schicksal erwartete, dass sie sich... irgendwann ebenso wie Yuka-chans Vater nur noch mit Hilfe einer Schrifttafel verständigen konnte... Wäre ihre Familie nicht gewesen, die ihr den Rücken stärkte und ebenso Asumi... hätte sie wohl schon längst aufgegeben. Aber... da war auch noch etwas anderes. Eigentlich nur eine Kleinigkeit, jedoch reichte diese aus, dass Aya jeden Abend mit einem Lächeln einschlafen konnte. Immer, wenn die beiden Mädchen ihre Hausaufgaben beendet hatten und langsam den Futon vorbereiteten, hatte Aya ihr Handy neben sich zu liegen und zwang sich nicht fortweg auf das Display zu sehen. Genau um acht Uhr würde es klingeln. Nicht früher, nicht später... so auch heute. Mit flinker Hand hatte sie das Handy aufgeklappt, als der schmale Displaystreifen aufleuchtete, und hielt es an ihr Ohr. „Hallo“, rief Aya beinahe schon hocherfreut und lächelte dabei still vor sich hin. Asumi horchte auf und konnte sich ein zartes Schmunzeln nicht verkneifen. Aya so fröhlich zu sehen, machte sie selbst auch glücklich. Und außerdem... wusste sie ganz genau, wer da am anderen Ende der Leitung war! „Hey, wie geht es dir?“, erklang es an Ayas Ohr, „Tut mir leid, aber ich wurde von ein paar hungrigen Fischen im Biologieclub aufgehalten.“ „Lügner. Du rufst nie früher an, weil du genau weißt, dass du mich um diese Zeit ganz sicher erreichst.“ Eigentlich war es zu schade, dass man den Gesprächspartner beim Telefonieren nicht sehen konnte... ansonsten wäre sie Zeugin gewesen, wie überaus amüsiert jener dreinsah, als sie die kleine Flunkerei sofort aufdeckte. „Stimmt. Ich muss mir nächstes Mal etwas Besseres einfallen lassen, du hast eindeutig dazu gelernt. Wie war dein Tag?“ „Hm“ Aya dachte eine Weile nach und legte dabei etwas den Kopf schief, „Anstrengend, aber okay.“ „Du hältst dich heute ja mal wieder unglaublich kurz.“ „Ja... dem ist wohl so.“ Für einen kurzen Augenblick schwiegen beide, aber selbst diese Stille war ihr nicht unangenehm. Sie wusste, dass sie sich nicht jede Sekunde etwas sagen bräuchten. Das war noch nie nötig gewesen. „Du hast morgen, bevor du zu deiner Familie fährst, doch sicher noch nichts vor, oder? In diesem Fall würde ich mit dir gerne ins Aquarium gehen. Wenn du möchtest, versteht sich.“ „Eh?“ Verwundert stockte sie ein wenig. Das... war nun doch überraschend. „Ich hol dich dann morgen um halb drei ab von der Schule ab, in Ordnung?“ „Ja... ehm, in Ordnung.“ Es folgte noch der ein oder andere Wortwechsel, aber letzten Endes kamen sie schließlich zu einem Ende, so dass sich Aya mit einem „Gute Nacht“ verabschiedete. Immer noch verblüfft und überfahren, aber nun mehr nach und nach wirklich erfreut, nahm sie das Handy wieder vom Ohr und klappte es zu. Das kleine Gerät eine Weile in ihrer Hand haltend, schien sie auf einen unsichtbaren Punkt zu starren. Zumindest solange, bis Asumi sie mit neckischem Unterton in der Stimme ansprach und somit aus ihren Gedanken holte: „War das dein Freund?“, fragte sie ganz unverblühmt und wollte ihre Freundin nur ein wenig ärgern. „W-Wie?“ Erschrocken aufblickend, wandte Aya schnell ihren Blick ab, „Nein, wie kommst du dadrauf?“ „Du wartest jeden Abend total ungeduldig auf diesen Anruf. Und du flirtest ab und an am Telefon.“ „Nein, das tue ich sicher nicht.“ Aber das leise Auflachen wusste es wohl besser zu verraten. „Du lächelst richtig glücklich.“ Hm... und das konnte sie nun mehr auch nicht abstreiten, oder? „Vielleicht.“ Für Asumi war dies Antwort genug und sie wendete sich, ebenso wie nun mehr auch Aya, wieder ihrem Futon zu. Ein kleines Lächeln hatte sich derweile bereits ganz und gar über Ayas Gesicht ausgebreitet und wäre es jetzt nicht so peinlich gewesen... hätte sie vielleicht sogar angefangen zu kichern. Asou-kuns Anrufe waren in der Tat Teil der kleinen Dinge, die ihr Leben bereicherten. Die jeden Tag erstrebenswert machen. Der Grund dafür, dass sie jedem Morgen entgegenblicken und auch die schlechten Dinge ein bisschen besser zur Seite schieben konnte. Weil sie seine Stimme hören durfte. Jeden Tag. Und dafür... war Aya wirklich dankbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)