Bergseen von abgemeldet (Ein paar Jubiläumsoneshots für den AS-Zirkel ^^) ================================================================================ 2. Kunstunterricht und seine Tücken (Tokyo Crazy Paradise) ---------------------------------------------------------- Kunstunterricht war eine undankbare Aufgabe, dachte Fräulein Minami bei sich – vor allem wenn Jungs zu den Schülern gehörten. Seufzend teilte sie die Bilder aus, welche sie heute interpretieren würden. Besser gesagt, sie selbst würde sie wohl erläutern müssen und ihre Klasse würde brav dazu nicken. Nun, was wollte man erwarten, wenn das künstlerische Interesse sich dem Nullpunkt näherte, und das auch noch von unten? Sie ließ ihren Eleven fünf Minuten Zeit um das Bild genauer zu betrachten. Wer wusste schon ob heute nicht ein Wunder geschah und irgendeiner von ihnen sich plötzlich zur Kunst berufen fühlte. „Das Bild sagt mir irgendetwas“, murmelte plötzlich ein zierlicher Junge in der Uniform der Rokuominami Junior High School. Fräulein Minami sog hörbar die Luft ein. Sie hatte zwar um ein Wunder gebeten, aber dass gleich ihr gesamtes Weltbild erschüttert werden würde hätte sie nicht gedacht. Gerade dieser Tsukasa! Nicht, dass sie irgendetwas gegen ihn hätte. Er war meist höflich, hielt sich an die Regeln und brachte auch seine Klassenkameraden dazu sich daran zu halten, ganz wie man es vom Kind zweier hochrangiger Polizisten erwartete. Andererseits… sein Nebenjob – wenn man es denn so nennen wollte – war weithin bekannt. Er arbeitete als Bodyguard. Als Bodyguard für seinen Klassenkameraden Ryuji. Als Bodyguard für seinen Klassenkameraden Ryuji, der das Oberhaupt der Kuryigumi-Clans war, des einflussreichsten Yakuzaclans in Tokyo. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. In den Jahren, in denen sie die zwei nun schon unterrichtet hatte, hatte sie zwar bemerkt, dass auch die Yakuza ihre Prinzipien hatten, aber dennoch hielt sie das einfach nicht für die richtige Umgebung für zwei Jugendliche. Nun, sie war mit den Gedanken abgeschweift, was sie eigentlich ausdrücken wollte, war die Tatsache, dass Tsukasa sich absolut nicht für Kunst interessierte. Sport, vor allem Kampfsport, japanische Geschichte und Sozialkunde, das waren seine Fächer. Mit Kunst und Musik konnte er in etwa soviel anfangen wie ein Fisch mit einem Fahrrad. Und eben dieser Junge war nun der Meinung, dass ihm das Bild etwas sagte?! Grübelnd sah sich Tsukasa das Bild an. Irgendwas… irgendetwas klingelte dabei in ihrem Hinterkopf, aber sie kam nicht darauf was. Am beste sie ging es einfach strategisch durch. Gezeigt wurde ein Teil eines Sees, offensichtlich in den Bergen angesiedelt. Kleine Wellen kräuselten das Wasser, welches im Großen und Ganzen aber eher ruhig wirkte. Am Ufer waren Reihen von Bäume zu sehen, dicht beieinander stehend, aber kahl, woraus sich entweder auf Spätherbst oder Vorfrühling schließen lies. Ein paar glitzernde, bunte Punkte deuteten auf so etwas wie einen kleinen Hafen oder Anlegesteg hin, die einzigen anderen Anzeichen von menschlicher Zivilisation waren ein Strommast und ein Flugzeug, welches in weiter Ferne den Himmel durchschnitt. Im Hintergrund erhob sich ein schroffer, größtenteils schneebedeckter Gipfel, der beinahe aus sich selbst heraus zu leuchten schien. Was war es nur, was sie an etwas erinnerte? Sie warf einen fragenden Blick zu ihrem Sitznachbarn, Ryuji, aber dieser ignorierte sie auf geradezu auffällige Weise. Das verwunderte sie nun erst recht. Heute Morgen schien noch alles in Ordnung gewesen zu sein, ignorierte man mal die Tatsache, dass er es ziemlich eilig gehabt hatte in die Schule zu kommen. „Möchtest du uns vielleicht erst mal sagen, was du siehst Tsukasa-kun?“, unterbrach Fräulein Minami ihre Gedankengänge. Verwirrt sah das Mädchen, welches für die Außenwelt wie ein Junge erschien auf das Blatt vor sich. Wieso sollte sie extra sagen, was sie sah? Es hatten doch alle das gleiche Blatt. Oder sollte sie da irgendwelche scheinbaren Muster, Köpfe und rosa Kaninchen erkennen? „Nun… ich sehe einen Bergsee. An seinem Ufer befindet sich ein kleiner Hafen oder etwas Ähnliches. Dahinter erhebt sich ein großer, zugeschneiter Berg. Der Himmel ist klar, heiter, die Sonne scheint gerade zwischen den Bergen zu versinken. Am Himmel zeigt sich der kurze Kondensstreifen eines Flugzeugs.“ „Sehr schön“, lächelte die Kunstlehrerin. Sie hatte zwar bereits von der Erziehungsmethode Zuckerbrot und Peitsche gehört, war aber bis jetzt nur bis zum Zuckerbrot gekommen – das hieß man konnte von ihr bereits ein Lob dafür erwarten, wenn man überhaupt zur Stunde erschien. „Und was möchte uns der Künstler damit sagen?“ Tsukasa wartete darauf, dass die junge Frau am Lehrerpult jemanden aufrief, um dieses Frage zu beantworten. Mit Erschrecken erkannte sie, dass die Dame das auch tat – allerdings rief sie das kurzhaarige Mädchen, fast dem gesamten Rest der Welt als Junge bekannt, persönlich auf. Kalter Schweiß brach ihr aus. Warum immer sie? Als sei ihr Leben nicht schon schwer genug. Nein, neben der Tatsache, dass sie täglich für einen Yakuza ihr Leben riskierte – zugegebenermaßen für einen Yakuza den sie liebte – wurde sie jetzt auch noch im Unterricht zur Schlachtbank geführt. „Äh… ähm…“, verzweifelt versuchte sie sich vergangene Stunden ins Gedächtnis zu rufen, irgendetwas, was diesem Bild ähnlich war, was sie verwenden konnte um sich nicht vollkommen zu blamieren. Das leicht fiesliche Grinsen, welches Ryuji ihr zuwarf, half ihr dabei auch nicht weiter. „Also…“, sie erinnerte sich daran, dass es irgendwie darum ging einzelne Bildbestandteile zu finden und zu sagen, was man normalerweise damit verband. „Das Flugzeug…“, sprach sie stockend weiter. „Es steht für… Bewegung… und Reisen… in ihm sitzen… Leute, Personen, Freunde die fortgehen oder ankommen…“ Beim letzten Wort war sie zunehmend leiser geworden, als dränge sich ihr ein ganz bestimmter Gedanke auf. Ankommen. Ankommen! Verflucht, sie hatte ganz vergessen, dass sie heute Akira-san vom Flughafen abholen wollte! Sie hatte sich sogar extra vom Direktor die Erlaubnis geholt frei zu machen! In nahezu verbotener Geschwindigkeit packte sie – unter den erstaunten und verständnislosen Blicken der Lehrerin – ihre Sache, verabschiedete sich mit einem schnellen „Ich muss noch jemanden abholen“ und war bereits zur Tür hinaus, ehe man auch nur blinzeln konnte. Ryuji biss die Zähne zusammen. Mist, dabei hatte es so gut geklappt. Ein halbes Jahr hatte dieser dämliche Polizist in Amerika gearbeitet und heute sollte er zurückkehren. Er hatte natürlich gewusst, dass Tsukasa diesen Typen abholen wollte und sie heute Morgen extra in Hektik versetzt, damit sie das vergaß. Und er hatte es geschafft – bis eben. Was musste die Schule auch ausgerechnet ein Bild mit Flugzeug darauf interpretieren lassen? Etwas langsamer als seine Freundin, schließlich hatte er ein Image zu wahren, packte er seine Sachen, verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken von der scheinbar zur Salzsäule erstarrten Lehrerin und ging, so schnell, dass es gerade noch nicht wie laufen aussah, zum Auto. Seinetwegen konnte Tsukasa diesen Polizisten dann eben treffen – aber auf keinen Fall würde er den beiden auch nur den Hauch von Zweisamkeit gestatten. Es brauchte fast eine Minute, bis Fräulein Minamis Hirnfunktionen die Arbeit wieder aufnahmen. Sprachlos sah sie den beiden soeben verschwundenen Schülern hinterher, konzentrierte sich dann mit einem Seufzen wieder auf den zurückgebliebenen Rest. Kunstunterricht war eine undankbare Aufgabe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)