Lost von --Ricardus-- (Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle) ================================================================================ Kapitel 5: 6 ------------ Klonk. Klonk. Klonk. Eastwicks Schritte näherten sich in aufgebrachter Hast über den metallenen Boden der STS-185. Susanna hatte ihren Helm abgenommen und starrte auf die Reflektion ihres eigenen Ichs im Visier. Sie sah fertig aus. Ihr Pony und die längeren tiefroten Strähnen ihrer Haare klebten wild durcheinander in ihrem Gesicht. Ihre Wimpern vibrierten nervös, um die Spitzen, die hin und wieder in ihre Augen gelangten, loszuwerden. Von ihren Lippen perlte der Schweiß und ihre sonst so blassen Wangen waren feuerrot. Das Geräusch von Eastwicks Stiefeln war verstummt. Er ging vor ihr in die Hocke. Sie richtete ihren Blich durch den roten Nebel ihrer Haare auf sein Gesicht. Sein Mund war halb geöffnet. Er hatte seine Augenbrauen gerade so leicht zusammen gezogen, das sich kleine Fältchen zwischen ihnen bildeten, was wohl soviel wie Besorgnis ausdrücken sollte. Er räusperte sich angespannt. „Su.“, begann er trocken, „Alles in Ordnung?“ Susanna Hayden schluckte schwer und nickte. „Alles okay.“, sie legte den Helm mit einer zitternden Bewegung auf den Shuttleboden, „Hat Simon herausgefunden, was mit der Gegensprechanlage nicht stimmt?“ „Ja, hat er.“ Eastwicks Augenbrauen bildeten nun ein geschwungenes „M“. „Am besten kommst du gleich mit in den Kontrollraum. Er telefoniert gerade mit Houston.“ Ohne zuerst den Anzug abzulegen, folgte sie Eastwicks zügigen Bewegungen durch den Rumpf, allerdings blieb sie an einer besonders engen Stelle mit einer Ausbuchtung des Stoffes hängen. Ihre Werkzeugtasche fiel zu Boden und die drei Zettel, die sie von draußen mitgebracht hatte, flatterten heraus. Ohne zu zögern hob sie sie auf und lies sie schnellstmöglich in der rechten Tasche des Raumanzugs verschwinden. Simon musste sie sehen. Vielleicht hatte er eine Idee, woher sie stammen konnten und wie alt sie waren, auch wenn man mit altersermittelnden Forensik im Vakuum nicht weiter kam, da man keinen Zersetzungsgrad bestimmen konnte. Eastwick betrat knapp vor ihr das Cockpit und gab sofort den Blick auf Simon frei, der hektisch versuchte den Leuten unter der Ozonschicht etwas zu erklären. „Nein, nein! Sarah, hol mir bitte Tony an den Bildschirm! Sag mal, schlaft ihr da unten alle?! Soweit ich das sehe, halte ich mit unserer Außenkamera direkt drauf. Euere Leinwand ist mindestens so groß wie der ganze Orbiter. W – Wo hält sich der Mistkerl denn auf, wenn er nichts mitbekommt?“ Susanna war überrascht wie Simon über Tony Duprais herzog. Immerhin war er ihr nächster Vorgesetzter. Ein guter Freund zwar, aber es war in jeder Hinsicht besser, Tony nicht zu sehr auszureizen, besonders nicht wenn er gerade beschäftigt war. Denn war dies der Fall, waren es immer wichtigere Dinge, als die, die du ihm andrehen wolltest. Duprais besaß eine bemerkenswerte Organisationsstruktur und solange ihm niemand diese durcheinander brachte, war er der verständnisvollste Mensch auf Erden. Viele sagten er vertrage keinen Stress mehr, weshalb er wohl auch ständig mit einem Block voller To-Do-Listen herumlief, was ihm eine traurige Berühmtheit unter Kollegen eingebracht hatte. „Simon!“, unterbrach Sarah ihn mit leichtem südeuropäischem Akzent, „Es tut mir leid, er ist vor einer halben Minute aufs Klo gegangen. Also ha--“ Simon warf den Kugelschreiber, mit dem er noch Augenblicke zuvor die besonders kleinen Einheiten an den Messinstrumenten bedient hatte, in einem Ausbruch spontanen Missfallens gegen den Monitor, der Sarahs markantes, spanisches Gesicht zeigte. „Dann hol ihn doch, verdammt noch mal, jemand von der scheiß Latrine!“, zischte er ihr entgegen. „Puta Madre!“, rief sie laut in perfektem Spanisch, noch während sie sich in ihrem Stuhl umdrehte und aus dem Radius der Kamera verschwand. Hinter ihrem Arbeitsplatz war die Hölle los. Menschen sprinteten vorbei, Notizzettel flogen ihnen hinterher, aufgeregte Telefonate wurden geführt und entsetzte und verwirrte Gesichter tauchten hier und da auf. Und Dutzende von Angestellten starrten auf den riesigen Bildschirm, der im Hintergrund das Bild der Außenbordkamera der STS-185 zeigte. Susanna stutze und rückte näher an den kleinen Monitor, sodass ihre Wange Simons Haare streifte, worauf er ihr mürrisch Platz machte. „Was zur Hölle ist das?“, flüsterte sie eher zu sich selbst, als zu Simon. Dieser antwortete trotzdem, etwas zu sarkastisch: „Das? Ach, das ist nur ein, uns unbekannter, Satellit. Der Größe und Bauart nach zu urteilen, ein Kommunikations- oder Spionagesatellit. Er taucht weder in unseren Listen, noch in denen des Pentagons auf, trägt keinerlei Kennung, sendet und empfängt fröhlich auf nicht eingetragenen Frequenzen verschlüsselte Signale, und kommt definitiv … definitiv NICHT aus den Vereinigten Staaten!!!“ Simon verschränkte wütend die Arme. Auf seiner Stirn pochte eine kleine Ader im Rhythmus seines Herzschlages. „Und Tony ist scheißen gegangen! Kaum näheren wir uns dem Ende unserer Mission, geht bei denen schon die Party ab und die haben noch nicht mal ansatzweise unseren Arsch da unten.“ Susanna schlängelte sich an den von Gift und Galle übersprudelnden Schimpftiraden Simons vorbei und stürzte an das runde Fenster im nebenan liegenden Nutzraum des Shuttles. Sie gab ein kurzes Oh von sich und schob ihr Gesicht so nah an das Glas, wie es ihre Nase zuließ. Es war ein relativ kleiner Satellit. Gemessen an denen, die sie schon kannte. Unschwer war auch zu erkennen, dass es sich um ein, in den 80ern häufig verwendetes, Modell handelte. Über die Jahre hinweg hatten sich umherschwebende Gesteins- und Staubpartikel an den Nähten und Nieten der Konstruktion in die Hülle gefressen und hatten dem Metall den ursprünglichen Glanz genommen. Dennoch schienen die Funktionen der Transponder und Slots, laut Simon, nicht beeinträchtigt zu sein. Die Kugel verharrte geheimnisvoll neben ihnen und wer auch immer sie gerade benutzte, wusste nichts von ihrer Anwesenheit. Susannas Blick glitt forschend über die gealterte Oberfläche, auf der Suche nach Hinweisen auf die Herkunft der Anlage. Doch auf diese Entfernung konnte sie nichts erkennen. „Simon?“, rief sie in Richtung Cockpit. Ein fragendes Ja wurde zurückgeschmettert. „Wie sieht’s aus? Können wir näher ran?“ „Kleinen Moment!“ Sie hörte eine gedämpfte Unterhaltung. Zwar verstand sie kein einziges Wort, erkannte aber Tonys einprägsame, tiefe Stimme im Hintergrund. Simon antwortete erst nach einigen Minuten. „Okay, wir sollen weiter ran. Bereite dich schon mal auf einen weiteren kleinen Trip vor.“ Langsam bewegte sich die STS-815. Der Fremdsatellit kam wie in Zeitlupe näher. Während Susanna Hayden weiterhin angestrengt versuchte, wichtige Hinweise zu entdecken, bemerkte sie wie Eastwick an ihr vorbei in Richtung Luftschleuse huschte und dort begann seinen Anzug anzulegen. „Kevin?“, sie nannte ihn absichtlich bei seinem Vornamen, um Aufmerksamkeit zu erreichen, „Was soll das werden?“ Sie stellte sich protestierend in den Übergang vom Mittelteil zum Schleusenvorraum. „Das siehst du doch. Ich werde gehen. Du warst heute schon einmal da draußen und du sahst furchtbar aus, als du wieder rein kamst.“ „Wie ich aussah, steht hier nicht zur Debatte! Simon hat gesagt ich soll gehen und er ist hier unser Skipper.“ Susanna trat einen Schritt auf ihn zu. „Und ich bin dir auf keinen Fall dankbar, dass du mir mein Leben erleichtern willst. Hör gefälligst auf, so zu tun, als ob du es wegen meiner Verfassung tun würdest. In Wahrheit bist es doch du, um den du dir am meisten Sorgen machst, oder?“ Eastwick hielt inne und starrte sie entrückt an. „Du weißt genau, worauf ich abziele!“, fuhr Susanna gnadenlos fort, „Als wir noch zusammen waren, hast du dir bei mir die Augen aus dem Kopf geheult, weil du Angst hattest, deinen Posten zu verlieren. Tony meinte, du zeigst zu wenig Interesse und zu wenig Forschergeist für die Größenordnung an Missionen. Und das hat dir Angst gemacht. Du hast gesagt, diese Unternehmung sei wahrscheinlich deine letzte Chance die Dinge zu richten und dass du dich anstrengen würdest, auch wenn ich dabei zurück bleiben müsste. Aber statt dich durchzusetzen, hast du mir die vergangenen Monate alle Arbeit bereitwillig überlassen. Und genau jetzt, wo sich alle Augen auf unser Projekt richten, fängst du an deinen Hintern zu bewegen? Und du tust so, als ob du mir nur helfen wolltest?“ Susanna holte aus zum entscheidenden Schlag. „Du bist ein mieser Feigling! Obwohl du fähig bist, deinen Job mehr als nur gut zu machen, lässt du mir den Vortritt. Und sag bloß nicht, dass du das aus reiner Herzensgüte oder sogar Liebe tust! Du liebst mich nicht mal ansatzweise und hast es keine Sekunde lang getan, Kevin! In Wahrheit“, sagte sie langsam, „hast du Angst vor mir.“ Er starrte sie fassungslos an. Sein Blick sagte ihr, dass er begriffen hatte. Die Fronten waren klar. Susanna wusste, was er jetzt tun würde. Das was er immer tat. Klein bei geben Doch bevor Eastwick auch nur ein Wort herausbrachte, ertönte aus dem Cockpit Simons panische Stimme. „Kommt rüber! Seht euch das an! Das gibt es nicht, er hat sich bewegt!“ Beide stürmten Augenblicklich wieder auf die dem Satelliten zugewandte Seite des Shuttles und sahen nach draußen. „Ich könnte schwören, dass er sich bewegt hat. Irgendein Teil, ich weiß nicht genau…“, murmelte Simon vor sich hin, während er mit der Kamerasteuerung versuchte ein genaueres Bild rein zu bekommen. Die STS-815 war mittlerweile so nah an der Anlage, dass man ohne große Mühe jede Unebenheit auf der Oberfläche erkennen konnte. „Da! Was ist das?“ Eastwick deutete auf eine dunkle Stelle der Hülle. Bei genauerem Hinsehen, stellte sich der vermeintliche Schatten als ein aufgetragenes Symbol heraus. Ein sauber aufgemaltes, schwarz-weißes Achteck, in dessen Mitte sich ein schwarzer Kreis befand. In diesem Kreis war mit groben weißen Strichen eine Art Spinnennetz gezeichnet und dicke schwarze Buchstaben schrieben das Wort „Dharma“ darüber. Susanna betrachtete das Zeichen, unschlüssig, was sie davon halten sollte. „Seltsam. Keine Flagge, keine Nummer. Wie haben die ihren Satelliten nur gekennzeichnet?“ Eastwick kniete sich etwas bequemer neben das Bullauge. „Na klasse! Dann ist es höchstwahrscheinlich Spionage.“, seufzte Simon aus dem Cockpit, „Die Kacke ist also richtig am dampfen.“ Die Hand über ihre Augen haltend, um die Beleuchtung abzuschirmen, führte Susanna Hayden ihren Blick immer wieder über das Symbol und den Schriftzug. Sie hatte schon einmal etwas Vergleichbares gesehen, aber ihr wollte in der ganzen Aufregung nicht einfallen, was. Kevin Eastwick hatte sich währenddessen erhoben und war auf dem Weg zurück zur Luftschleuse. „Hey! Hey, Moment mal!“, rief Susanna, die ihn bemerkt hatte, ihm hinterher. Sie wollte gerade aufstehen und ihn packen, als Simon wie ein Besessener anfing zu brüllen: „DA!!! Da ist es schon wieder! Oh … mein … Gott, was ist das?“ Susanna, halb im Aufstehen begriffen, drehte sich zurück zum Fenster. Ein kleiner Teil am oberen Ende des Transponders hatte seine Position geändert. Ein kurzer Arm wurde ausgefahren, an dessen Ende sich eine metallene Box mit einer verspiegelten Scheibe befand. Simon keuchte und sackte in seinem Sitz zusammen. „Eine Kamera. Diese Bastarde!“, sagte er fassungslos, „Sie beobachten uns.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)