Melissa von Justy ================================================================================ Spielkind --------- Entstehungsjahr: 2008 Autor: ----------- Sie saß in ihrem erdachten Haus. Die Wände Bunt, aus Glas. Der Boden ein Chaos aus Dingen. Über ihr strahlend blauer Himmel. Ihr Herz kindlich rein. Ein Lächeln auf ihren Lippen Sie wartete auf ihren Besuch. Immerzu, Immerfort. Minuten und Stunden, jeden Tag. Der einzige der ihr Glas zerspringen lässt. Und ihr Lächeln ewig in sich bewahrt. Mein Blick fiel hinauf in die Höhen der weiten Baumkrone, die sich gewaltige Ausmaßen beschreibend, über meine dagegen kleine Gestalt erstreckte. Äste, verziert mit tausenden Blättern, die durch das helle Sonnenlicht schimmernd Grün aufleuchtenden, streckten sich verschnörkelt in alle Himmelsrichtungen aus. Es war warm, wenn nicht schon fast heiß, aber was sollte man auch anderes Erwarten von einem heiteren Sommertag mitten im Juli. Ich musste mich einmal mehr auf die Suche nach ihrer Person begeben. Beinahe täglich beschloss sie sich plötzlich in Luft aufzulösen. Von einem Moment auf den anderen schaffte sie es zu Verschwinden und man bemerkte ihre Abwesenheit erst Minuten später. Diesmal war es also erneut der Garten, hatte ich seufzend festgestellt, als ich ihr goldenes Haar zwischen das Blätterwerk des Baumes hindurch bemerkte, der der einzige seiner Art war, sich auf den Rasengebiet schräg vom Haus befindend. Ihre Versteckspiele fingen allmählich an zu nerven. Ein seichter Wind kam auf, der staubgleiche Sandkörnchen mit sich trug, die meine Nase zu kitzeln begannen und ehe ich irgendetwas dagegen unternehmen konnte, musste ich laut aufniesen. Unerwartet drang darauf folgend eine helle Stimme vom Geäst des großen Baumes herstammend an mein Ohr, die mir Gesundheit wünschte und ich blickte schon das zweite Mal, jetzt aber mehr irritiert, in die Krone hinauf, da ich es von ihrer Person nicht gewohnt war so eine Verhaltensweise nachzugehen. Eigentlich hatte sie schon lange beschlossen Worte wie ‚Danke’ oder ‚Bitte’ aus ihren kindlichen Gedankengängen zu vertreiben, da sie sich nichts aus guten Manieren und Höflichkeit an sich machte. Mir kam unwillkürlich das Wort Spielkind in den Sinn, doch sprach ich den Gedanken nicht aus. Es beschrieb ihr Erscheinungsbild sehr gut, wenn nicht sogar perfekt, trotzdem mochte es niemand laut nennen, der an ihr hing. Auch ich gehörte dazu. Ich vergaß das abschließende Danke, zu verzaubernd schienen ihre smaragdgrünen Augen, die mir nun belustig wirkend entgegen sahen. Nicht eine Minute später drehte sie sich aber auch schon wieder herum und begann ihr rechtes Bein auf den nächst höheren Ast abzusetzen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob er ihr Gewicht standhalten würde. Ihr goldglänzendes Haar schwang leicht hin und her, als sie dazu ansetzte sich weiter hinaufzuziehen. Nicht mehr lange und sie hätte die Spitze erreicht. Nur fragte ich mich ernsthaft, wer sie auf den abenteuerlichen Gedanken des Bäume Erklimmens gebracht hatte. So unvorsichtig wie sie war, würde sie nur abrutschen und herunter fallen. Wahrscheinlich aber bedeutete ihr Vorhaben mal wieder den Teil einer Geschichte, die ihren regen Fantasien entsprang und sie jagte irgendeiner nicht existierenden Fee hinterher, die sich ausgerechnet auf der Spitze dieses Baumes abgesetzt hatte. Gestern war sie, Sie hieß Melissa, 21 Jahre alt geworden und trotzdem, wenn jeder Mensch sie als eine erwachsene Frau ansehen sollte, benahm sie sich wie ein Kind. Ihr ganzes Selbst tickte wie eine 12-Jährige und man versuchte ihr vergeblich Vernunft einzutrichtern. Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass sie den Himmel entgegenkletterte. Sie mochte Plätze die höher gelegen waren. Und sie befand sich öfter in ihrer eigenen Scheinwelt, in der sie niemand erreichen konnte. Denn sie ließ keine weitere Person herein, nur sich alleine. Auch war es Hoffnungslos den Versuch zu starten sie aus ihren Tagtraumphasen erlösen zu wollen, da sie als Ergebnis nur um sich schlagen und Protest entgegen bringen würde. Melissa wurde unter Ärztekreisen als ein sehr schwieriger Fall eingestuft. Eine Chance auf eine Heilung lag noch nicht einmal bei zwei Prozent. Spielkind kam es mir das zweite Mal an diesen Tag in den Sinn und ich wusste nicht so Recht warum ich diesen Begriff so oft mit ihr verband. Ich biss mir grübelnd auf die Unterlippe, denn irgendwie musste ich sie wieder von ihren Trip herunterbringen, so dass sie freiwillig den Weg gegen Boden einschlug, ohne dabei verletzt zu werden. Doch mir wollten keine passenden Einfälle entgegenkommen, deswegen ging ich es auf die angebrachteste Art und Weise an und versuchte sie durch Reden zu erreichen. „Melissa, hörst du mich? Sei doch wenigstens einmal vernünftig und klettere wieder herunter.“ Doch ich wartete vergeblich auf eine Antwort. Auch als ich mir die Hände trichterförmig um den Mund legte, um an einer gewissen Lautstärke dazu zu gewinnen regte sie sich kein Stück. Erachtete mich keinen Blickes. Sicher lag momentan die Gesamtheit ihrer Konzentration darin, ihr hochgelegenes Ziel zu erreichen, um der eingebildeten Fee eine nette Begrüßung entgegen zu werfen. Kein Wunder also das man sich vergeblich bemühte sie zu erreichen, wenn ihre Aufmerksamkeit nicht mir, sondern einem Hirngespinst galt. Meine Erscheinung wurde gedanklich ins absolute Nichts verbannt, dort wo sie mich erst wieder hervorkramen würde, wenn sie es als Lohnenswert ansah. So zog sie es immer durch, besonders bei Personen die ihr Fremd waren, aber ebenfalls ab und an bei Familienangehörigen und guten Freunden. Das hing von ihrer momentanen Stimmung ab. Ich seufzte laut auf und ließ mein Augenmerk zurück auf das rot bedachte Haus schweifen, dort wo sich ihr Zimmer im oberen Stockwerk befand. Direkt unter den geräumigen Speicher gelegen, den sie durch eine Treppe ganz einfach erreichen konnte. Ich kannte den Dachboden, ihren Dachboden, den sie in voller Größe für sich beanspruchte. Jedes Mal wenn ich sie dort besuchen wollte, zeichnete sich die Atmosphäre anders aus. Sie konnte Negativ und Positiv zugleich verlaufen. Es ereignete sich nicht vor all zu langer Zeit, da kam es mir so vor als wollte mich die stickige Luft des Speichers mit unsichtbarer Hand erwürgen. Meine Kehle schien zugeschnürt und das Atmen fiel mir Zunehmens schwerer, so schwer das ich so schnell wie Möglich wieder die Treppen heruntergestürzt war und wie ein Fisch am Land nach Luft schnappen musste. Daraufhin war das unerträgliche Gefühl wie weggeblasen und nie da gewesen. Mittlerweile habe ich gelernt, dass dies nur der Fall war, wenn sie in ihrem privaten Reich, zwischen Staub und Fusselmäusen, keine Besucher duldete und lieber für sich alleine sein wollte. Seither beschloss ich in ihrem Zimmer geduldig auf sie zu warten, bis sie sich dazu entschied wieder vom Dachboden herunterzukommen. Nur manchmal zog es mich noch mit hinauf, doch nur an Tagen, in denen ich in vornherein wusste, dass ich in ihren Augen Willkommen war. An Tagen, bei denen die Luft dort mit einen zarten Rosenaroma versetzt war und sich in meinen Herzen ein undenklich wohlwollendes Gefühl breitmachte. Es war so, als könne sie nur dort oben die Stimmung festlegen, die andere Menschen bestimmte. Ihre Zauberwelt wurde immer anders und neu beschrieben. Nie hatte sie festgelegte Formen und Farben. Nie konnte man sie wie ein Puzzle zusammenfügen, da jedes Stück Fremd und Einzigartig erschien und nicht zum anderen passte. „Sie wird ewig in diesen Zustand verweilen“, gestand mir ihre Mutter einmal, als ich Melissa besuchen kam, wie ich es so oft tat. Ihr Ausdruck wirkte unendlich müde, das Gesicht in sich zusammengefallen und von Blässe gezeichnet. Sie litt merklich unter dem was Realität war und doch liebte sie ihre Tochter wie keine andere auf dieser Welt. Vielleicht, vielleicht aber war sie insgeheim froh, jemanden wie mich zu haben, der versuchte Melissas Denkweise zu deuten und verstehen zu lernen. Auch wenn ich eigentlich nur wie eine Art Babysitter fungiere, betrachtete man die Arbeit die ich mit Melissa hatte. Doch anderseits konnte ich sie nicht alleine zurück lassen. Es fiele mir nicht einmal im Traum ein, auch nur ein einziges Mal Selbstgefällig und nur zu meinen eigenen Wohl zu agieren. Ich verbrachte meine Freizeit gerne in diesem Haus. Möglicherweise weil mir diese junge Frau, mit den immerwährenden kindlichen Gemüt ans Herz gewachsen war, so sehr, dass ich sie nicht alleine in der Scheinwelt die sie sich baute, verbleiben lassen wollte. Auch wenn sie immer tiefer in diese hinein zu sinken drohte. Zu oft machte ich mir Gedanken um ihr Wohlergehen, besonders in den Momenten in denen ich nicht in ihrer Nähe sein konnte. Ein Rascheln brachte mich in die Wirklichkeit zurück und ich sah ihre Haarsträhnen erneut zwischen grünlichen Blättern hindurch funkeln. Der Rest ihres Körpers war irgendwo oben in der Nähe der Krone verschwunden und für mich nicht einsehbar. Mein Schuh streifte durch das kurz gemähte Gras unter mir, ich vermeinte für einen Moment sogar den typischen Geruch dessen wahrzunehmen, musste mich aber irren, da der Rasenmäher heute nicht in Gebrauch gewesen war. Dann erreichte mich ein intensiver Geruch von zubereitenden Essen, der mich daran erinnerte, dass es erst um die Mittagszeit herum war und damit noch verhältnismäßig früh am Tag. Unwillkürlich machte sich ein Hungergefühl in mir Breit, welches sich durch ein Magenkurren auszeichnete. Doch versuchte ich dies mit einem Kopfschütteln wieder abzuwenden. Schließlich hatte ich besseres im Sinn, als jetzt ans Essen zu denken. Nämlich Melissas Sicherheit. „Melissa?“, rief ich ihr fragend entgegen und wollte einen weiteren Versuch starten sie wohlbehalten wieder aus dem Baum zu befördern, wartete aber nicht wirklich auf eine Reaktion von ihrer Seite aus. Dieses Mal drang aber ein vertrautes Kichern an mein Ohr. Mit wenigen Schritten umrundete ich den Baum zur Hälfte und versuchte einen besseren Blick auf sie zu werfen, doch sie blieb versteckt. „Melissa, was machst du?“ Wieder keine Antwort, dieses Mal blieb auch das leise Lachen aus, wie angeregt ich auch nach ihren Namen rief. Dann plötzlich ein Knacken, wie das Bersten von Holz erklingend, welches so bedrohlich herüberkam, dass sich eine Gänsehaut auf meiner Haut breitmachte. Das Brechen eines Astes, schoss es mir durch den Kopf, nachdem ich erst meine gesamte Umgebung nach etwas Verdächtigem, das für das Geräusch in Frage kommen konnte, abgesucht hatte. Doch ehe ich mich nach Melissa umsehen konnte, erklang ein weiteres Splittern, gefolgt von einem spitzen Schrei. „Melissa!“, schrie ich aus, als ich sie plötzlich weit über mir hängen sah, die Hände krampfhaft an den dicklichen Ast über ihr gekrallt, der sie davor bewahrte hinunterzustürzen. Das Holz welches zuvor als ihr Boden diente, hing schlaff herab, wurde nur noch von einigen Holzfasern zusammengehalten, die den Ast vor dem gänzlichen Absturz bewahrten. „Bitte hilf mir!“ Ihre sonst so heitere Stimme erklang plötzlich gebrochen, fast weinerlich, so als hätte sie der schlagartigen Veränderung wegen einen Schock erlitten. Das hast du nun davon, wenn du nicht auf mich hörst, wollte ich ihr automatisch vorwerfen, da dies der erste Gedanke war der mir entgegen kam, aber ich entschied mich der Situation wegen lieber dagegen. Jetzt war keine Zeit für große Predigten, denn so kam sie nicht wieder Heil auf den Boden zurück. Ich konnte es mir nicht ausmalen, was für Folgen es mich sich ziehen könnte, wenn sie sich tatsächlich verletzten sollte. Die einzige Möglichkeit die mir blieb, wäre sie aufzufangen, entschied ich mich. Sie zappelte, hilflos und ängstlich, sich versuchend mit aller Kraft am Astwerk festzuhalten. Doch sie begann langsam aber sicher abzurutschen, was sie mit einem Wimmern untermalte, welches jeden Moment in ein tränenreiches Weinen übergehen würde. Ich sah in Gedanken wie ihr die erste Träne über die rosigen Wangen rollten, wie sie sich wahrscheinlich wünschte in ihrem Zimmer in Sicherheit zu sein. Und trotzdem kam mir nur ein einzelnes Wort in den Sinn. Spielkind, der einzige Begriff der zu Melissa passte. Jetzt verkrampfte sich mein Herz vor Sorge, so wie immer in jenen Momenten, wenn sie sich in Gefahr brachte. Es tat so weh sie so sehen zu müssen. „Ich kann mich nicht mehr halten…. Bitte Hilf mir…Francis“ Sie hatte mich tatsächlich angesprochen, bemerkte ich ein wenig verwirrt über den Klang meines eigenen Namens der aus ihrem Mund drang und ich wusste das ich nicht mehr länger Zögern durfte. Nein, egal wie oft ich sie als Spielkind bezeichnete, egal wie sie sich von den anderen gleichaltrigen Frauen unterschied. Eines wird sie immer bleiben. Meine wirkliche große Liebe. „Melissa! Hör mir bitte gut zu“, rief ich ihr entgegen und mein Herz pochte vor Aufregung fast doppelt so schnell. „Wenn ich jetzt sage, dann lass los.“ Keine widersprechenden Worte. Keine zustimmende Antwort. Ich wusste nicht ob sie meinen Ruf wahrgenommen hatte oder nicht. Noch einmal schluckte ich schwer herunter und machte mich dann bereit. „Jetzt!“ Und sie ließ los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)