Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 19: London: Das Amt des Kadash -------------------------------------- Sarah wird sich also nicht allein Ikol stellen müssen. Aber endlich eine gewisse Aufklärung zu erhalten, hat durchaus auch Schattenseiten: 20. London: Das Amt des Kadash Zurück in London schien Thomas nicht sonderlich überrascht, dass sie zu viert in das Haus der Buxtons kamen, zumal, als er hörte, dass Reisen geplant waren. Er saß nur Minuten später mit Lord John, Sarah, Donna Innana und dem ehemaligen Kadash im Arbeitszimmer des Hausherrn vor dem Kamin, deutlicher Hinweis, dass er den Butler nur spielte. Der Gastgeber sah auf: „Ich werde mit Fürst Igor sprechen. Er weiß immer, welche Bedingungen es gibt, um in sein ehemaliges Heimatland einreisen zu können. Und ich vermute einmal, er kann für dich, Sarah, und Sie,…Wombat…entsprechende Papiere besorgen.“ Igor Orlow pflegte stets gute Kontakte, sei es zu den menschlichen Exilrussen oder den Mitarbeitern der Botschaft. Thomas nickte: „Eine sehr gute Idee, Mylord. Ich werde dann gleich, sobald Sie wissen, wie lange das mit dem Visum dauert, in einige Reisebüros gehen und eine möglichst günstige Flugroute buchen.“ Er sah seitwärts: „Mylady, bitte denken Sie daran, dass es dort wohl schon schneit, wenn Sie Ihren Koffer packen.“ „Danke, Thomas.“ Sarah lächelte. Er konnte einfach seine fürsorgliche Seite ebenso wenig unterdrücken wie seinen Spaß am Handeln. Vampire blieben, das hatte sie in den letzten Fällen nur zu gut gesehen, auch nach ihrer Verwandlung im Kern ihrer Seele die, die sie schon zuvor als Menschen gewesen waren. Lord John sah in die Runde: „Innana, Wombat, Sie sind selbstredend meine Gäste, bis wir abreisen. Darf ich mich dann entschuldigen? Die Nacht ist zwar noch nicht weit fortgeschritten, aber Fürst Igor wohnt in Maidenhead.“ Er würde ein Taxi benötigen. „Selbstverständlich, mein lieber John, “ erwiderte Innana: „Igor Orlow….er wohnte einmal in Nowgorod, nicht wahr? Ich entsinne mich, dass er Interesse an den Ausgrabungen in Troja zeigte, im 19. Jahrhundert.“ „Ja. Aber nach der Oktoberrevolution zog er es vor, nach England zu gehen. Er war bei der Verhaftung des Zaren und seiner Familie anwesend und…nun, er fand es unzivilisiert.“ Lord John erhob sich: „Er will erst wieder nach Nowgorod zurückziehen, wenn es wieder einen Zaren gibt. Ich fürchte allerdings, da wird er etwas warten müssen.“ Er verneigte sich ein wenig gegen seine „Kinder“ und seine Gäste, ehe er sein Arbeitszimmer verließ. Auch Thomas stand auf: „Ich darf mich ebenfalls entschuldigen, Mylady, M´am, Sir…“ Er hatte schließlich noch zu arbeiten. Ein so großes Haus putzte sich nicht allein. So übernahm Sarah die Rolle der Gastgeberin: „Da wir bereits auf dem Weg von Exmoor hierher jagten, darf ich Ihnen nichts anbieten?“ „Nein, danke“, erwiderte Donna Innana unverzüglich: „Ich kann Ihnen übrigens meine neue Adresse in Mesopotamien geben, wenn Sie möchten.“ „Oh ja, danke. Ich möchte es mir doch gern einmal ansehen. Sie haben mir in Rom soviel davon erzählt. Der Zikkurat des Enlil, nicht wahr…“ Das Gespräch wandte sich Donna Innanas Lieblingsthema zu. Drei Tage später kehrte Thomas bei Beginn der Abenddämmerung mit Flugkarten zurück: „Mylord, hier für Sie und Donna Innana heute Nachmittag Flüge nach Wien. Ratsmitglied Kai wird sich noch auf seinem Sommersitz in Österreich aufhalten. Dies sind die Bahnkarten. Sie können direkt am Flughafen Schwechat den Zug nehmen, müssten allerdings am Westbahnhof einmal umsteigen.“ „Danke, Thomas.“ Lord John nahm die Karten, sicher, dass es keine billigere und schnellere Reiseroute geben würde: „Ein Mobilphone hast du mir ja auch schon besorgt, so dass ich dich, Sarah, informieren kann, wenn wir etwas bei Kai über Ikol in Erfahrung bringen können.“ Und seine Adoptivtochter hatte ihm gezeigt, wie man…smsen konnte, etwas, das er bislang eher Bienen zugetraut hatte. Nun ja, jetzige Zeiten. „Mylady, Sir…“ Der selbsternannte Butler wandte sich an die anderen beiden. Er war stolz auf sich, dass er den Flug statt der ursprünglich 1700 Euro für tausend bekommen hatte. „In zwei Tagen geht Ihr Flug von London Heathrow. Sie fliegen nach Moskau Domodedovo, das ist ein Flughafen, dort können Sie in ein Flugzeug der gleichen Linie umsteigen, dass Sie direkt nach Ignatyevo bringt. Dies ist der Flughafen von Blagoweschtschensk. Dort wartet auf Sie ein Helikopter. Wie Fürst Igor riet, reisen Sie ja als Mitarbeiter des World Wildlife Found und werden als solche empfangen.“ Fürst Igor hatte Lord John zu dieser Ausrede geraten. Das gesamte Amurgebiet, sei es in Russland oder China, sei als neue Ökoregion geplant und werde regelmäßig von Umweltschützern für neue Messungen und Untersuchungen besucht. Da diese und die zukünftig erhofften Touristen in der von Arbeitslosigkeit gebeutelten Region als Geldbringer geachtet wurden, würden sie auf weniger Probleme mit den örtlichen Behörden in der Provinz Oberer Amur stoßen. Und Thomas hatte mit Frances´ Hilfe eine seiner Meinung nach perfekte Tarnung geschaffen. Während Lord John und Donna Innana bereits auf dem Weg nach Österreich waren, blieb Sarah nichts als zu warten. Sie nahm nicht an, dass sich Ikol im Moment aus Russland fortbewegen würde. In den USA wurde nach ihm gefahndet, der Hohe Rat hatte keine Sitzung anberaumt…Nein. Er würde warten, bis sich die Staubwolken etwas gelegt hatten und dann in einigen Jahren, vielleicht unter neuem Namen sich wieder um diese Genfirma kümmern. Und vermutlich auch um sie selbst. Ein Vampir hatte Zeit. Sie saß auf einer weißen Bank und betrachtete den kleinen ummauerten Garten, der zu dem Haus der Buxtons gehörte. Die Nacht war sternenklar, aber das war hier in London fast nicht zu erkennen. Sie sah auf, als sie spürte, wer sich näherte: „Gute Jagd.“ „Gute Jagd, Inquisitor.“ Der alte Vampir, der sich im Augenblick Wombat nennen ließ, kam aus der Dunkelheit: „Verzeihen Sie, wenn ich Sie störe, aber ich möchte etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.“ „Natürlich. Bitte, setzen Sie sich zu mir.“ Es wäre sehr unhöflich gewesen, der Bitte eines so viel Älteren nicht zu entsprechen, zumal sie stark vermutete, dass es um ihre Aufgabe ging. Seine nächsten Worte bestätigten dies: „Wie jeder Kadash werde ich Ihnen als meinem Nachfolger gern einige Erklärungen geben, über das Amt des Inquisitors und die Waffe, die Sie nun tragen.“ „Warum…?“ entfuhr es ihr, aber sie brach eilig ab. Er hatte dennoch verstanden: „Warum ich es Ihnen nicht zuvor sagte, sondern so tat, als ob Sie allein bleiben müssen? Nun, Ikol war anwesend. Ich hatte ihn im Verdacht gehabt, aber nie einen Beweis finden können. Er würde annehmen, dass Sie ahnungslos und unerfahren sind und sich aus der Deckung wagen. Zum anderen wusste ich von Innana und John doch von Ihrer Ausbildung, Ihren Fähigkeiten. Und Sie haben mich auch nicht enttäuscht, ja, waren erfolgreicher als ich. – Von diesen Hintergedanken wusste Innana allerdings nichts, als sie mich in Australien aufsuchte. Sie wollte nur, dass ich Ihnen erzähle, dass ich Sie mit den Gebissenen sah. Fürsorglich, wie sie nun einmal ist.“ Sie nickte nur: „Sie wollten, dass ich denke, ich müsse alles allein herausfinden?“ Er lächelte etwas: „Sagen wir, eine kleine Prüfung? Sie sind doch recht jung, meine Liebe. Zu etwas anderem nun erst einmal allerdings: die Geschichte des Amtes des Kadash beginnt sehr zeitig. Leider. Aber auch, wenn sich diese frühen Menschen zu Vampiren weiterentwickelt hatten, galt noch immer das, was auch heute gilt: die Seele eines jeden bleibt die gleiche. Darum sollen Meister ja auch gut aufpassen, wen sie als Kind annehmen. – Es war vor vielen zehntausenden von Jahren. Angeblich lebten damals nur sieben Vampire. Und einer vor ihnen erschuf Gebissene. Die anderen erfuhren davon und töteten die Gebissenen. Hand an ihn zu legen konnte und wollte niemand. Doch da er immer weiter machte, kam es zu einer Besprechung. Und einer von ihnen erklärte sich bereit, die Blutschuld am Tode des Artgenossen zu tragen, was die anderen erstaunte. Sie alle nahmen ja an, als Vampir unsterblich zu sein, außer, man trank das Blut eines Artgenossen. Und wie hätte er ihn dazu bringen wollen? Er wusste es besser. Er hatte einen Unfall gehabt, sich an einem Stein geschnitten. Und er war damals bereits alt genug und mächtig in seiner Magie, um zu erkennen, dass sich diese Verletzung nicht wie gewohnt sofort schließen würde. Zu seinem Entsetzen blutete er.“ Sarah starrte ihn an. Kein Vampir blutete, dazu floss die verwandelte Subsatz zu schwer durch den Körper. „Er erkannte, dass sich sein Blut veränderte, die Verwandlung vom Menschen zum Vampir rückgängig gemacht wurde. Um sein Leben zu retten, schnitt er sich den verletzten Finger unverzüglich ab. Aber diesen Stein hatte er aufbewahrt. Und als er damit den ersten abtrünnigen Vampir verletzte, wurde dieser wieder zu einem Menschen. Er starb unverzüglich. Menschen können nun einmal bestimmte Lebensalter nicht übersteigen. – Dieses Mineral, das jeden Vampir töten kann, gibt es nur an einer einzigen Stelle auf dem afrikanischen Kontinent. Jeder Kadash führt seinen Nachfolger dorthin. Ich werde dies auch tun, wenn wir aus Sibirien zurück sind. Denn die Silberkugeln in der Waffe, die ich Ihnen gab, Sarah, umhüllen dieses Mineral nur, verhüllen es. Niemand außer dem jeweiligen Inquisitor und dessen Vorgänger weiß um dieses Geheimnis.“ „Auch nicht der Hohe Rat?“ fragte sie erschüttert. „Nein. Aus zwei Gründen: zum einen ist es sicher keinem Vampir angenehm in Gegenwart des Kadash und es würde nicht besser, wenn alle genau wüssten, wie er oder sie tötet. Zum anderen käme vielleicht jemand in die Versuchung, diese Waffe zu stehlen und einzusetzen. Wie gesagt, wenn sich ein Meister irrt und einen unwürdigen Schüler annimmt, dieser dann gegen die Regeln verstößt, sei es, weil er von Haus aus charakterschwach war oder auch durch die kritischen Jahre verwirrt… nein. Es ist und war besser, wenn dieses schwere Amt ein gewisses Mysterium bleibt.“ Sarah nickte langsam. Zu einen, weil sie das mittlerweile durchaus verstehen konnte, zum anderen, weil sie nachdachte: „Darf ich einige Fragen dazu stellen?“ „Natürlich.“ „Nur sieben Vampire soll es damals gegeben haben? Dies erscheint mir selbst für diese frühe Zeit sehr wenig….“ „Ich vermute ja auch, dass es sich um den damaligen Hohen Rat gehandelt hat, aber so lautet die mündliche Überlieferung von Kadash zu Kadash.“ „Und dass die Silberkugeln die Gebissenen töten ist eine bewusste Irreführung? Nicht das, für Vampire ja unangenehme Silber tötet sie, sondern der verborgene Inhalt? Der allerdings genauso gut jeden echten Vampir umbringt?“ „Ja.“ „Und das gleichzeitig mit einer Stellung, die es Ihnen ermöglichte, einer Entscheidung des Hohen Rates zu widersprechen? Sie haben sich zumindest in meinem Fall ja geweigert, mich zu töten.“ „Ja. Sie verstehen durchaus.“ Jetzt starrte sie ihn fassungslos an: „Sie…Sie wussten, dass ich jung bin, keinen Meister in dem Sinn habe…und wollten mir einer derartige Machtposition einräumen?“ „Gerade weil Sie keinen Meister in dem Sinn haben. Jedes Kind ist verpflichtet. Sicher, John hat sich als ob um Sie gekümmert und Sie mögen ihn. Aber die, nennen wir es ruhig, intimen Bande sind bei weitem nicht so ausgeprägt. Und der Inquisitor muss ungebunden sein. So wird gewöhnlich immer jemand ausgewählt, dessen Meister sich bereits zurückgezogen hat. Ich war selbst bereits fast dreitausend Jahre und begann, mir meinen eigenen Rückzug zu überlegen, als ich das Amt erhielt.“ Zögernd meinte sie: „Maestro Cacau deutete an, dass er schon über zehntausend Jahre alt ist…“ „Er ist nur wenig länger Vampir als ich, meine Liebe. Und ich beantworte die Frage, die Sie nicht stellen wollen. Bei mir sind es mittlerweile an die zwölftausend Jahre. Ich bin sehr müde. Aber ich konnte und wollte mein Amt erst räumen, wenn ich sicher wäre, dass dies danach auch das gesamte Volk ist.“ Das sah nach einer sehr langen Amtszeit für sie aus. Unwillkürlich seufzte sie ein wenig: „Dann darf der Kadash auch keine Schüler in dem Sinn haben? Sie oder auch Donna Innana haben niemanden angenommen.“ „Innana wegen mir, in der Tat. Sie wollte gern mit mir zusammenleben und das wäre mit einem „Kind“ nicht gegangen. Und ich...nun, wie ich bereits erwähnte: der Kadash, der Inquisitor, muss ungebunden sein.“ Er lächelte etwas: „Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Innana. Uns war beiden stets sehr bewusst, dass ich jederzeit auch gegen sie vorgehen würde, falls es notwendig wäre. Ansonsten wäre dieses Leben nicht so möglich gewesen. Darum sollten Sie es sich auch gut überlegen, ob Sie weiterhin bei John wohnen können und wollen. Ich bezweifle nicht, dass Sie noch gewisser Hilfe und Betreuung bedürfen, gerade auch im seelischen Bereich, haben Sie doch die kritischen Jahre nur wenig hinter sich, aber….“ Sie nickte, plötzlich einen Knoten im Hals. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. „Die Einsamkeit des Jägers der Jäger.“ „In der Tat. Ich hatte das ungemeine Glück, vor gut zweitausend Jahren auf Innana zu treffen, die das verstand. Aber ansonsten waren alle meine, unsere Vorgänger, stets allein, ohne Begleiter, ohne Freunde. Selbst mit Cacau hatte ich nach meiner Ernennung nur äußerst wenig Kontakt, da mich der Weg des Kadash kaum mehr nach Mittelamerika führte und die damaligen Reisen doch recht langwierig waren. Damit rechnete ja im Endeffekt auch Ikol. Und ohne Ihre Bereitschaft, mit der menschlichen Polizei zu tun zu haben, Ihrer Bereitschaft, diese heutigen Hilfsmittel zu nutzen, wären Sie nicht so weit gekommen. Aber ansonsten… ja, es ist einsam als Jäger der Jäger. – Zunächst jedoch werde ich Ihnen noch ein wenig zur Seite stehen. Wie gesagt, in Afrika wartet ein Mineral darauf, von Ihnen entdeckt zu werden. Und dann werden Sie mich nach Australien begleiten. Dort liegt meine Gießerei, in der ich diese Kugeln herstelle. Das müssen Sie lernen.“ Da er merkte, dass sie überrascht schien: „Wie gesagt, mit Ihrer scheinbar einsamen Berufung hoffte ich Fernando, oder eher Ikol, aus der Deckung zu locken, was ja wohl geschehen ist. Aber selbstverständlich werde ich Ihnen erklären, was Sie wissen müssen, ehe ich mich nur noch der Meditation widme. So hatte ich es schon immer geplant, nahm allerdings an, noch etwas länger Zeit zu haben, für mich, aber auch für Sie. Ikol war wohl leichtsinniger als ich annahm – oder eher, Sie fähiger, Sarah.“ „Danke.“ Was hätte sie auch dazu sagen sollen. Es war erleichternd, doch noch eine gewisse Art der Erklärung, der Ausbildung zu bekommen, aber…die Einsamkeit dann? Oder konnte sie doch bei Lord John und Thomas bleiben, eben weil sie keinen Meister in dem Sinn hatte? Das musste wohl gut überlegt werden. Zuerst hatte etwas anderes Priorität: „Ikol….wenn wir ihn aufsuchen…“ Er hob etwas die Hand: „Wenn Sie ihn aufsuchen, Kadash. Es ist Ihre Aufgabe, Ihre Entscheidung. Ich bleibe nur die Sicherung.“ „Nur würde ich nicht sagen.“ Sie lächelte etwas: „Danke, jedenfalls, Wombat. Auch für die Mühen, denen Sie sich noch unterziehen, die Reisen.“ „Wie gesagt, ich will, dass das Volk sicher ist.“ „Fällt es eigentlich niemandem auf, dass Sie eine Gießerei hatten?“ „Nein. Es braucht nicht viel Platz. Überdies besitze ich seit einigen Jahrhunderten eine Gold- und eine Kupfermine.“ Sie sah ihn überrascht an: „Verzeihung, ich dachte nur…“ „Ja?“ Wie sollte sie das behutsam formulieren? „Die australischen Ureinwohner hätten es nicht so mit dem Besitz, schon gar von Boden?“ „In der Tat. Aber als ich zum Vampir wurde, lehrte mich mein Meister auch über mein nun neues Volk. Und man muss immer Kompromisse aus seinen Kulturen schließen, gerade über Jahrtausende hinweg. Auch John war nicht immer glücklich mit der Entwicklung in England, aber er entschied sich dafür, hier zu bleiben. Innana kehrt nun nach Mesopotamien zurück, obwohl dort Krieg herrscht, weil sie ihre Ausgrabungen retten will…Man passt sich an. Die Regel der Unauffälligkeit. – Wie hätte ich sonst auch meine Häuser kaufen sollen?“ „Danke.“ Der alte Vampir musterte sie, aber verschwieg seine Gedanken. „Dann entschuldigen Sie mich, Inquisitor. Vor uns liegt morgen eine lange Reise. Thomas erwähnte etwas von dreiundzwanzig Stunden Flug.“ „Ja. Und das ohne die Stunden beim Umsteigen. Wir werden viel Zeit zum Meditieren finden.“ Ein wenig erstaunt sah sie sein Lächeln: „In der Tat. Sie sind der Kadash.“ Sowohl in London Heathrow als auch in Moskau Domodedovo erregte das ungewöhnliche Paar aus einem älteren, schwarzen Mann und einer jungen, blonden Frau etwas Aufsehen, das sich allerdings, wie Thomas zu recht vermutet hatte, legte, wenn der Blick auf die Reisetasche fiel, die Sarah in der Hand trug. Dort war das Wappen des World Wildlife Founds abgebildet. Auch in den Pässen, auf den russischen Visa war als Einreisebegründung ein Auftrag dieser internationalen Organisation angegeben. Noch in Heathrow hatte Sarah die SMS ihres Adoptivvaters erreicht, die aus zwei Buchstaben bestand: no. Also hatte Kai ihnen nichts über Ikol erzählen können oder wollen, allerdings wohl das eher das erstere. Nach allem, was sie inzwischen über Ikol wusste, war er niemand, der einem anderen, sei er auch ebenfalls Ratsmitglied, sein Herz ausschüttete. Nun, das wäre für seine Pläne wohl auch nicht gerade gut gewesen. Der Flug von Moskau nach Sibirien, über fast 8000 Kilometer, dauerte die meiste Reisezeit. Die beiden Vampire nahmen nur wenig von den angebotenen Speisen und Getränken, da sie nichts davon benötigten, aber die Regel der Unauffälligkeit wahren wollten. Zumeist meditierten sie oder zumindest Sarah blickte neugierig aus dem Fenster. In Ignatveyo wurden sie als Mitarbeiter des WWF auf englisch von einem Mann begrüßt, ein Plakat hochhielt: „Ach, Mr. Miller, Miss Baxton, willkommen in Blagoweschtschensk Mein Name ist Yuri Massenkow. Ich arbeite für die Umweltschutzbehörde der Provinz Amur Oblast. Ich vermute, dass Sie zunächst in Ihr Hotel wollen? Es ist doch eine lange Anreise.“ „Ja, gern“, antwortete Wombat, den er angesprochen hatte: „Und morgen fliegen wir?“ „Ja. Ich habe einen Helikopter bereit. Die russische Botschaft in London erwähnte etwas, dass Sie nach einem großen Tier Ausschau halten wollen. Wollen Sie mal wieder Tiger zählen?“ „Nein. Nur Ausschau halten und wenn möglich einen markieren. Aber das sehen wir dann. Es sollen ja nur noch sehr wenige existieren, unter hundert, und da ist es wichtig, jedes Einzelne zu kennen.“ „Ja, natürlich. Kommen Sie. Es sind zwanzig Kilometer bis in die Stadt.“ Sarah blickte sich um, als sie im Auto saß. Sie hatte Hangars entdeckt, für sicher an die vierzehn Flugzeugen, zumeist der Linie, mit der sie auch hergeflogen waren. Ob das hier der Heimatflughafen war? Sie erkundigte sich danach. „Ja, das ist eine recht neue Linie, Miss Baxton. Aber das hier ist nicht das Ende der Welt, auch, wenn es Ihnen von London aus so scheinen mag. Sie können von hier nach Bangkok in Thailand fliegen, zu zwei japanischen Flughäfen, nach Peking, Moskau natürlich, und noch so einiges. Blagoweschtschensk selbst hat knapp zweihunderttausend Einwohner. In letzter Zeit sind es wohl noch mehr geworden, da es eine große chinesische Gemeinde gibt. Seit dem…Fall der Sowjetunion hat man sich hier verstärkt auf den Handel mit China ausgerichtet. Nur der Amur trennt ja seit Urzeiten die beiden Staaten und Heihe liegt direkt gegenüber.“ „Das dort hinten ist doch eine Papierfabrik, oder?“ „Holz, Papier und Bodenschätze. Das ist es, was es hier gibt. Oh, Sie fragen wegen Umwelt und so? Nun ja, der Amur könnte wohl sauberer sein, aber von etwas anderem kann man hier eben nicht leben. Und viele Fabriken haben geschlossen. Die Arbeitslosigkeit ist recht hoch. Darum wäre der Provinzregierung ja auch die Förderung des Tourismus so wichtig. Umweltschonend und Arbeitsplätze erhaltend. Viele von unseren Jungen überlegen ja schon, abzureisen.“ „Das ist dann sicher ein großes Problem für die Provinzregierung“, erwiderte Sarah höflich und musterte die braune Stadt, die vor ihr auftauchte. Tatsächlich hatte sie erwartet, hier am Ende der Welt zu sein und bedauerte das gewisse Vorurteil einer viktorianischen Engländerin, das sie anscheinend noch immer nicht abgelegt hatte. Zweihunderttausend Einwohner war schließlich kein Pappenstil, zumal, wenn man bedachte, dass das ja nicht die einzige Stadt hier war. Sie warf einen Blick auf ihren Begleiter. Er hatte gesagt, er werde die Waffe des Inquisitors übernehmen und anscheinend war es ihm auch problemlos gelungen, sie durch alle Kontrollen zu schmuggeln. Wie auch immer er das angestellt hatte, nun, vermutlich durch einen Bannkreis. Einen solchen herzustellen war für einen so alten Vampir sicher kein Problem, wobei sie es faszinierte, dass dieser wohl auch gegen die Durchleuchtung und Wärmekameras bestanden hatte. In der wenigen Zeit, die er vor seinem Rückzug noch mit ihr verbringen wollte, müsste sie sehr viel lernen und das sehr schnell. Und ein Bannkreis für die tödliche Waffe des Kadash war mit Sicherheit eine der wichtigsten Dinge. ****************************************** Das nächste und letzte Kapitel bringt ein Interview mit einem Vampir.... bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)