Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 18: Im Naturschutzgebiet Exmoor --------------------------------------- Zehn Tage nach der Erkenntnis, dass Ratsmitglied Ikol wohl hinter den Sektenmorden steckte, spazierten Lord John und Lady Sarah nachts durch das Naturschutzgebiet des Exmoores. Frances war nach Edinburgh zurückgekehrt, mit dem Versprechen, sich regelmäßig über das Internet zu melden und gern weiterzuhelfen, wenn es möglich wäre. Aber sie war das „Kind“ des schottischen Meistervampirs und gehörte zu ihm. Überdies hätte Sarah auch nicht gewusst, wie Frances ihr weiterhin behilflich sein konnte. Auch von Inspektor Cuillin hatte sie nichts mehr gehört. Ihre Nervosität und Unruhe waren so groß geworden, dass ihr Vater ihr diese kleine Reise vorgeschlagen hatte. „Aber Ikol…“ war ihr Einwand gewesen. „Aber Ikol. Du hast, wir haben in den letzten Tagen nur sehr wenig über anderes nachgedacht. Und manchmal ist es gut, Abstand zu gewinnen.“ So waren sie nun unter dem vollen Mond die Einzigen, die das Naturschutzgebiet nachts zu würdigen wussten. Auf einem Hügel blieb Lord John stehen: „Wenn ich mich eines Tages zurückziehen werde“, meinte er: „Dann sicher hierher. Ich liebe diese Landschaft.“ „Klingt es sehr egoistisch wenn ich sage, ich hoffe, dass dieser Tag noch fern ist?“ „Ich lasse dich nicht im Stich, mein Kind. Sicher nicht.“ „Ich weiß. Entschuldige.“ „Gut.“ Der Londoner Meistervampir blickte über das Land zu seinen Füssen: „Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, welche Landschaft du am meisten liebst?“ „Nein. Aber dazu bin ich wohl nicht alt genug.“ „Oh, nicht zum Zurückziehen. Nur so…Manche lieben das Meer, andere das Gebirge, wieder andere die Wüste – manche auch die Stadt.“ Sarah dachte nach: „Auch das könnte ich nicht sagen. Vielleicht habe ich einfach die Landschaft noch nicht gesehen, die mir so gefällt.“ Sie bemerkte, dass er den Kopf hob: „Was ist?“ „Besuch.“ Er drehte sich um. Auch sie spürte nun die Anwesenheit eines anderen Vampirs – und ganz sicher mindestens mit der Macht ihres Vaters. Hatten sie unbeabsichtigt einen Zurückgezogenen gestört? Aber – das war mehr als einer. Dann erkannte sie die Ausstrahlungen und war noch überraschter. Auch Lord John hatte die Näherkommenden erfasst – und seine Verblüffung war womöglich noch größer. So sagte er: „Gute Jagd! Es muss etwas Wichtiges sein, wenn Sie den Weg von Australien hierher machen…“ Donna Innana und der ehemalige Kadash lösten sich aus der Dunkelheit. „Gute Jagd!“ antwortete dieser: „Ihnen, Inquisitor, und Ihnen, Lord John. In der Tat ist es wichtig. Sie können mich Wombat nennen – selbstverständlich nicht mein richtiger Name. Es ist bei meinem ursprünglichen Volk nicht üblich, den zu sagen.“ „Natürlich“, meinte Sarah sofort, gleichzeitig mit ihrem Adoptivvater. Beide waren mehr als neugierig, was die Zwei hergeführt hatte. Donna Innana sah zu ihrem Begleiter, ehe sie bat: „Mein lieber John, wären Sie so freundlich, mich ein wenig zu begleiten?“ Also war das ein Gespräch des ehemaligen Kadash mit seiner Nachfolgerin? Das hätte ihn interessiert, wenn es ihn auch nichts anging. Aber Lord John hob wortlos die Hand und bot ihr zwei Finger. Sie legte ihre darauf und ließ sich wegführen, in einer Art, die Sarah an das Mittelalter erinnerte. Manche Sitten nahm man doch für dauernd an. Sie blickte jedoch zu dem uralten Vampir. Es ziemte sich sicher nicht, zu fragen, was los war. „Kommen Sie, Inquisitor“, forderte dieser sie auf und ging ein Stück weiter, wo sich Felsen aus dem Hügel erhoben. Dort ließ er sich nieder. „Setzen Sie sich, bitte. – Es ist nicht sehr einfach, darüber zu reden, dass ist es wohl nie, wenn man einen Fehler eingestehen muss. Donna Innana hat jedoch recht: ehe ich mich vollkommen zurückziehe, sollten Sie es wissen.“ Einen Fehler? Hatte er etwa auch schon etwas mit Ikol zu tun gehabt? Sarah verdrängte rasch diesen Gedanken. Ihr Vater hatte wohl Recht: sie dachte nur noch an diesen. Der Mann, der sich im Moment Wombat nennen ließ, interpretierte ihren Blick anders: „Auch ich bin ein durchschnittliches Wesen – und ich beging und begehe Fehler. Leider wiegen die Fehler des Kadash besonders schwer. Nun, ich war in London, auf der Fährte eines Vampirs, den ich verdächtigte, Gebissene zu erschaffen. Es handelte sich nicht um einen Ratsauftrag. Man schrieb in England das Jahr 1838.“ Sarah spannte sich unwillkürlich an. Das war das Jahr, in dem Lord John sie ohne Erinnerung aufgefunden hatte. Hing das damit zusammen? Der australische Meistervampir sah in die Nacht: „Ich verlor ihn im Gewirr der Strassen, zumal ich sehr vorsichtig sein musste, um ihn nicht auf mich aufmerksam zu machen. Plötzlich spürte ich …nun, Sie kennen mittlerweile sicher dieses unangenehme Gefühl, wenn sich Gebissene in der Nähe befinden. Ich folgte diesem Gespür zu einem Hinterhof. Drei Gebissene hielten eine junge Frau, wohl eher ein Mädchen, auf dem Boden und stillten ihren Durst an ihr. Ich nahm die Waffe des Inquisitors – mein erster Fehler dieser Nacht.“ Er blickte seitwärts: „Können Sie sich vorstellen, warum?“ „So waren sie erlöst, aber konnten Ihnen nicht mehr sagen, wer sie zu Gebissenen machte“, erwiderte sie unverzüglich. Die meisten Gebissenen waren zwar nicht nur seelenlos und blutrünstig, sondern auch demzufolge ohne jeden Verstand, aber manchmal wehrten sich Menschen gegen dieses Schicksal. Und einen Versuch wäre es wert gewesen. Nur, warum war das so wichtig geworden? „Das stimmt durchaus. Ich erschoss sie. Sie verwandelten sich zurück in Menschen, starben – und ich beging den zweiten Fehler dieser Nacht. Ich habe in meinem Leben schon viele Menschen gesehen, die von Gebissenen attackiert und getötet wurden. Dies war nur ein weiterer – und so blickte ich das Mädchen weder genauer an, geschweige denn, überprüfte, ob sie wirklich tot war.“ „Und…?“ Sarah brachte es kaum heraus. Sollte…. Wombat nickte: „Sie ahnen wohl schon, worauf das hinausläuft. Lord John kam nur wenige Wochen später und beantragte eine Sondersitzung des Hohen Rates. Ich erkannte in Ihnen, Sarah, das Mädchen, das von den Gebissenen überfallen worden war. Ich kann Ihnen versichern, dass ich noch nie in meinem gesamten Leben so erschreckt war - und so schnell nachgedacht habe. John sprach von Ihren besonderen Fähigkeiten – und das bedeutete, dass bereits einige Ratsmitglieder Ihren Tod forderten. Was sollte, was konnte ich dazu sagen? Ihre Fähigkeiten sind in der Tat weitergehender als die eines anderen Vampirs. Lag das etwa daran, dass die Gebissenen Ihr Blut nicht vollständig trinken konnten, da ich sie getötet hatte? War das der Weg, wie man an solche Fähigkeiten gelangte? Oder lag es daran, dass vielleicht zuerst der wahre Vampir Ihr Blut trank und Sie dann seinen Gebissenen überließ? Oder hatten Sie diese Fähigkeit schon zuvor als Mensch besessen und war es reiner Zufall, dass Sie nun ein Vampir waren? Sehr viele Fragen. Zu viele. Denn mir war zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass es sicher den einen oder anderen unseres Volkes geben würde, der versuchen würde, auf ebensolche Art einen Schüler mit Ihren Fähigkeiten zu erschaffen. Überdies: was hätte ich Ihnen selbst erzählen sollen? Sie waren noch sehr verwirrt, fast überfordert mit dem neuen Dasein als Vampir. Ich wusste Sie bei John in guten Händen. So schwieg ich. Aber ich weigerte mich gegenüber dem Hohen Rat, die Blutschuld für Sie auf mich zu nehmen.“ Er sah zu ihr und bemerkte, dass sie zwischen Zorn und Verständnis schwankte: „Sarah, bitte verurteilen Sie mich nicht nach dem, was Sie heute wissen. Glauben Sie wirklich, es hätte Ihnen damals geholfen, wenn ich Ihnen berichtet hätte, dass es Gebissene waren…?“ „Ich fürchte, nein“, gab sie ehrlich zu: „Aber….wer hatte die erschaffen? War das vielleicht derjenige, der mich verwandelt hat? Ich meine, der Vampir, den Sie in London eigentlich jagen wollten?“ Gab es doch noch eine Möglichkeit, herauszufinden, wer sie davor gewesen war? Wo ihre Herkunft lag? Ihre menschlichen Wurzeln? „Ich weiß nicht, wer diese drei Gebissenen erschuf. Und ich möchte auch keine Vermutungen aussprechen, jemandem womöglich Unrecht tun, zumal ich seither nichts mehr bei ihm erkennen konnte, das diesen Verdacht bestätigt hätte. – Immerhin gelang es mir, den Rat zu überzeugen, dass man Ihnen eine Chance geben musste, Ihre neuartigen Fähigkeiten zum Wohle des Volkes einzusetzen. Und Sie haben mich auch nicht enttäuscht.“ „Äh...danke…“ Was sollte sie dazu schon sagen. Ihre Hoffnung, das Rätsel ihrer Vergangenheit je gelüftet zu bekommen, war nun wohl endgültig dahin. Ihr Handy enthob sie der weiteren Antwort: „Bitte, entschuldigen Sie…“ Sie stand auf. Diese Nummer hatten nur Inspektor Cuillin und ihr Butler. Wenn einer der beiden versuchte, sie mitten in der Nacht zu erreichen, war sicher etwas Wichtiges geschehen. Sie ging ein Stück abseits, während sie sich bereits meldete. „Ah“, meinte der schottische Polizeiinspektor: „Tut mir Leid, dass ich Sie mitten in der Nacht störe, Lady Sarah, aber ich habe soeben Neuigkeiten erfahren.“ „Gute, hoffe ich.“ „Ja. Dr. Alec Miller wurde vom FBI in Los Angeles festgenommen, in Zusammenhang mit einem Mord in Houston. Es wird Sie kaum wundern, dass die Leiche der ermordeten Studentin blutleer war.“ Dr. Miller war der Chefwissenschaftler der GenLabInc. Und eigentlich hatte sie ihn für einen Menschen gehalten. „Sicher, dass er es war?“ „Ja. Sie konnten nur die Fingerabdrücke und anderes vom Tatort niemandem zuordnen, der die Studentin kannte. Als ich sie auf Dr. Miller aufmerksam machte, überprüften sie ihn – mit vollem Erfolg. Allerdings gibt er an, dass ihn Blacksmith, der Finanzvorstand, gedeckt hatte, ihm dann geholfen habe. Und der habe ihn auch zu diesem Mord gebracht. Das ist vermutlich eine reine Schutzbehauptung.“ „Vermutlich.“ Nun, Blacksmith war Ikol und ein Vampir dieses Alters war durchaus in der Lage, einen Menschen zu beeinflussen: „Und was ist mit Blacksmith?“ „Sie wollten ihn erst einmal wegen Vertuschung anklagen, aber er muss es geahnt haben und hat die USA verlassen. Jetzt wird international die Fahndung ausgeschrieben – wegen der Verbindung zu dem Mord in Houston.“ „Das ist doch schon einmal etwas.“ Ratsmitglied Ikol war also vor Menschen auf der Flucht? Wie…hm, ja, geradezu peinlich. „Ja. Danke, Sarah, Sie haben immerhin mitgeholfen, einen Mord aufzuklären.“ „Gern geschehen“, meinte sie automatisch: „Danke für den Anruf, Inspektor.“ „Sie haben nichts Neues?“ „Nein. Ich fürchte, auch ich habe meine Grenzen…“ „Natürlich.“ Kenneth Cuillin lächelte, das hörte sie an seiner Stimme. „Gute Jagd, Inspektor...ich meine, gute Nacht.“ Er schien den Fauxpas nicht bemerkt zu haben: „Gute Nacht, Lady Sarah.“ Als sie ihr Handy wegschob, erkannte sie, dass die drei Meistervampire sie ansahen. Lord John und Donna Innana waren unverzüglich umgedreht, als das Gespräch der beiden Kadash beendet schien. „Blacksmith?“ fragte Lord John neugierig. Sie schüttelte den Kopf: „Die Polizei in USA hat Dr. Miller verhaftet, wegen Mordes an einer Studentin vor Jahren. Sie wurde blutleer gefunden. Er meinte, Blacksmith habe ihn dazu angestiftet, aber der ist verschwunden.“ Sie wollte vor den anderen beiden nicht erwähnen, dass es sich um ein Ratsmitglied handelte. So war sie mehr als überrascht, als Wombat nüchtern feststellte: „Ikol, also?“ Sie starrte ihn fassungslos an: „Sie wissen…?“ „Loki Blacksmith, ja. Ikol hat allerdings zu meiner Zeit nichts offen unternommen, dass den Inquisitor hätte auf den Plan rufen müssen. Und ein Verdacht, ein geäußerter Halbsatz zu Gebissenen, ist kein Beweis. Da Sie allerdings den gleichen Honigtopf umschwirren…. Können Sie ihm ein Vergehen gegen die Vampirregeln beweisen?“ Sarah war fast erschüttert zu hören, dass er wohl auch schon Verdachtsmomente gegen Ikol gesammelt hatte: „Ich habe den Verdacht, dass er Menschen und Vampire zusammenbringt, um durch vorgetäuschte Sekten, und dem Selbstmord der Mitglieder, Geld für diese Genfirma zu beschaffen. Schon früher hat er versucht, durch Vivisektionen, Zuchtauswahl und anderes Menschen zu …verbessern. Von Vampiren bei diesen Versuchen weiß ich nichts.“ „Was immer er mit Menschen tut, ist seine Sache – und die der menschlichen Polizei“, erwiderte der ehemalige Kadash direkt: „Aber was meinen Sie mit: er bringt Menschen und Vampire zusammen? Verzeihen Sie, Inquisitor, ich weiß, dass mich das eigentlich nichts mehr angeht, aber ich denke, ich kann für mich und Innana sprechen: niemand wird von uns je darüber erfahren. Nur: ich habe schon einige Zeit mit der Beobachtung dieses Ratsmitgliedes verbracht. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“ „Diese Sache in Mexiko?“ fragte Donna Innana dagegen: „Gab es weitere Zwischenfälle?“ Sarah fiel ein, dass ihr Vorgänger da ja schon nicht mehr zugehört hatte – und Donna Innana hatte über Ratsangelegenheiten sicher geschwiegen - und berichtete ihm rasch, was sie dort im Gespräch zwischen dem „Meister“ und Don Fernando mitgehört hatte, wie Frances und die menschliche Polizei auf die Firma GenLabInc gekommen waren. „Aber alles, was ich beweisen kann ist, dass Ikol Loki Blacksmith ist, mit seinen Verbrechen seit hundert Jahren an Menschen, – und jetzt, mit Dr. Miller, dass er in diesem Fall einen Menschen dazu gebracht hat, einen anderen zu töten.“ „Nun, er brachte auch diesen „Meister“ dazu, seinesgleichen zu morden, da haben Sie sicher Recht“, meinte Donna Innana mit einem Seitenblick zu Lord John: „Aber Menschen sind, mögen wir auch alle aus ihnen hervorgegangen sein, eben doch nur Menschen. Und das darf der Kadash nicht ahnden. Anders sieht es freilich mit den Gebissenen aus – und da trafen Sie ja in Mexiko einige, die dieser Don Fernando erschuf. Es war korrekt, dass Sie ihn töteten.“ „Don Fernando.“ Wombat wandte sich um und sah in die Nacht, sichtlich in Gedanken. So herrschte Schweigen, bis er sich umdrehte: „Inquisitor, Fernando heißt ein Schüler Ikols. Und er war der Vampir, den ich 1838 in London suchte.“ Sarah wurde kalt vor Entsetzen. Sie hatte womöglich ihren eigenen Meister getötet? Das galt unter Vampiren als großes Verbrechen, ja, undenkbar. Der ehemalige Kadash wusste es ebenso wie die anderen beiden, und meinte fast sanft: „Das Amt des Inquisitors ist das Amt der Blutschuld. Und es ist oft schwer, diese Aufgabe zu erfüllen. Nur wenige sind je dazu in der Lage.“ Er legte die Hand auf ihre Schulter: „Er hat Gebissene erschaffen und Sie taten Ihre Pflicht. Nun, wenn ich Ihr weiteres Vorgehen betrachte, weit mehr als dies. Sie müssen die Gemeinschaft aller Vampire schützen. Das ist die alleinige Aufgabe des Kadash. – Überdies: falls es Fernando war, der Sie biss, und dafür fehlt zumindest bislang jeder Beweis, so hatte er nie vor, Sie in einen Vampir zu verwandeln, sondern stillte seinen Durst an Ihnen, um Sie dann Gebissenen zu überlassen. Das allein ist ein todeswürdiges Verbrechen.“ Lord John holte tief Atem: „Sarah?“ „Ja, danke…ich…es geht schon.“ Sie nahm sich zusammen. Wombat hatte Recht. Es war nicht sicher – und selbst wenn es Fernando gewesen war, war er nicht ihr Meister, sie nicht sein „Kind“. Die Zuneigung und die Ausbildung, die ihr der Londoner Meistervampir in den letzten Jahrzehnten, Jahrhunderten hatte zukommen lassen, war das, was für sie zählte. John Buxton war ihr Vater und so galt ihm ihr beruhigendes Lächeln. Sie spürte, dass ihr Vorgänger seine Hand wegnahm und sah zu ihm: „Sie haben Recht. Es gibt keinen Beweis. Allerdings: es ist doch unvorstellbar, dass Ratsmitglied Ikol nicht wusste, dass einer seiner Schüler Gebissene erschafft, nicht wahr?“ „Nun, es wäre möglich“, antwortete Donna Innana: „Wenn auch unwahrscheinlich. Allerdings stelle ich eine andere Frage: Ikol war im Rat anwesend, als Sarah den Auftrag erhielt, nach Mexiko zu gehen. Warum hat er Fernando, sein eigenes Kind, und diesen Menschen nicht gewarnt?“ „Er hat Sarah unterschätzt“, meinte Lord John sofort: „Verzeih, wenn ich das so sage, mein Kind, aber es war erst der zweite Auftrag. Und, die Anklage kam immerhin von einem zurückgezogenen Meistervampir. Hätte Ikol vorgeschlagen, sie zu ignorieren, wäre womöglich jemand misstrauisch geworden.“ „In der Tat“, ergänzte der ehemalige Kadash: „Und mein alter Freund Cacau, aber auch der restliche Rat, wären stutzig geworden, wäre auf einmal diese Sekte nicht mehr da. Ikol musste das Risiko eingehen, Fernando zu verlieren – wobei ich John zustimme. Er hat den neuen Inquisitor sicher unterschätzt. Das wird allerdings nicht mehr vorkommen. Er kann sich bestimmt denken, dass seine…hm…Schwierigkeiten mit der menschlichen Polizei auf den Kadash zurückgehen.“ „Da bin ich anderer Meinung“, warf Donna Innana ein: „Bedenke, dass du selbst nie mit der menschlichen Polizei zusammengearbeitet hast, nun, nicht auf diese Art und in solchem Ausmaß.“ „Und es auch nie erwähnt habe, ja. – Verzeihung, Inquisitor. Wir sprechen über Sie und nicht mit Ihnen.“ Sarah war wieder erstaunt, wie höflich der so alte und mächtige Vampir zu ihr war, erwiderte aber: „Ich habe im Moment auch nichts zu sagen. Ich denke nach.“ „Sie wollen Ikol? Er ist ein alter, starker Vampir – eine direkte Konfrontation würden Sie kaum überstehen, zumal er vermutlich Schüler hat. Und niemand vom Rat würde Ihnen helfen, solange Sie keine Beweise dafür haben, dass er seine Schüler anleitet, Gebissene zu erschaffen.“ War das der Punkt gewesen, an dem er am Ende seiner Amtszeit gestanden hatte? „Dessen bin ich mir bewusst. Aber, ich fasse einmal zusammen. Ikol ist seit Jahrhunderten der Meinung, dass Vampire die Krone der Schöpfung sind, perfekte Wesen. Ich darf Sie, Donna Innana, an seine Aussage erinnern, dass es nur zu Recht sei, wenn Menschen Vampiren Tempel erbauen. Einen seiner Schüler haben Sie, Wombat, bereits 1838 im Verdacht, Gebissene zu erschaffen. Es gelingt Ihnen jedoch nicht, eine Verbindung zwischen den Gebissenen und Fernando herzustellen. Warum auch immer…“ Sie nahm sich zusammen. Sie musste sachlich bleiben. Überzeugte sie diese drei, konnte sie womöglich auch den Hohen Rat insgesamt überzeugen: „Lord John fand mich als Vampir und stellte mich dem Rat vor. Mitsamt meinen…Fähigkeiten. In diesem Moment muss Ikol davon ausgegangen sein, dass man auch Vampire noch steigern kann. Seit diesem Zeitpunkt forschte er wohl in verschiedenen Ländern auf verschiedene Arten unter dem Namen Loki Schemat oder Blacksmith daran, wie man Menschen verbessern könnte. Das können wir...kann ich beweisen. Ich vermute auch, aber da fehlt der Beweis, dass er ebenso bemüht war, meine Fähigkeiten seinen Schülern, zumindest Fernando, zu vermitteln. In den letzten Jahren brachte die Gentechnik einige Fortschritte und so war es nahe liegend für ihn, auch in diesem Bereich Untersuchungen anstellen zu lassen. Durch den Mord, den vertuschten Mord, band er Dr. Miller an sich, ohne ihn zu einem Vampir zu machen. Meine Fragen lauten nun: wo ist er und wie kann man beweisen, dass er zumindest Fernando dazu brachte, Gebissene zu erschaffen?“ „Das Letztere dürfte klar sein“, meinte Lord John: „Kinder und ein Meistervampir…Wo er ist? Tja.“ „Er hat seit Urzeiten eine Rückzugsmöglichkeit in Sibirien, beim heutigen Blagoweschtschensk am Amur, “ erklärte Donna Innana. „Allerdings ist es besonders schwierig, ihn dort aufzusuchen, war es schon immer. Zum einen die politische Lage, zum anderen ist es wohl recht abgelegen.“ „Und es nützt alles nichts vor dem Hohen Rat, ohne Beweise.“ Wombat sah zu Sarah: „Aber das wissen Sie auch. Was haben Sie vor? Zu ihm zu gehen und ihn mit Ihren Vermutungen zu konfrontieren, wird kaum Erfolg versprechend sein – eher tödlich. Für eine Anklage vor dem Hohen Rat reicht dagegen Ihr Wissen nur bedingt aus. Fernando ist tot und er würde sicher behaupten, dass dieser allein gehandelt hat. Dieser Dr. Miller ebenfalls…das sei nur eine Schutzbehauptung.“ „Ich weiß. Hat er noch andere Schüler?“ Und da alle drei Meistervampire die Schultern zuckten: „Ist nicht allein das schon verdächtig, wenn er sie so verbirgt? Gut, ein Verdacht ist kein Beweis.“ Sie blickte zu Boden. Eigentlich sah sie nur einen Weg – aber sie wusste weder, wie das der Rat sehen würde, noch, wie das ausgehen würde. Doch Wombat hatte Recht. Die Last der Verantwortung eines Kadash wog schwer. „Ich werde zunächst mit Kai sprechen. Er war mit Ikol bei Va...bei Lord John., nachdem sie gemeinsam in Deutschland gewesen waren. Womöglich kann er etwas dazu sagen.“ „Er könnte Ikol warnen. Immerhin sind Sie der Inquisitor, meine Liebe.“ Donna Innana dachte nach: „Nun, Kai ist relativ neu im Rat und ich kenne ihn nicht so gut.“ „Kai ist Kelte“, erklärte Lord John: „Ausgesprochen zauberkundig und ein sehr guter Schmied. Ich halte ihn nicht für jemanden, der gegen die Interessen unseres Volkes verstoßen würde.“ „Wenn ich einen Vorschlag machen darf…“ Wombat bemerkte, dass ihn die anderen drei unverzüglich interessiert ansahen. „Lady Sarah fliegt mit mir nach Sibirien. Ich werde …falls Sie erlauben, Inquisitor, die Rückendeckung übernehmen. John und Innana dagegen besuchen Kai. Wenn sich Ikol seit Neuestem einen Freund gesucht hat, was ich allerdings bezweifele, könnte Kai etwas wissen, in der Tat. Dieses kleine Telefon, das Lady Sarah besitzt, könnte hilfreich sein, diese Informationen zu übermitteln.“ „Oh je.“ Der englische Meistervampir lächelte: „Dann muss ich mir erst eines kaufen, oder, mein Kind?“ Sarah nickte etwas: „Ich fürchte. - Sie wollen wirklich mit mir gehen, Wombat?“ „Ich sehe doch, dass Sie nicht von der Konfrontation abzuhalten sind. Und Ikol ist niemand, den man herausfordert, ohne etwas in der Hinterhand zu haben. In diesem Fall meine Weinigkeit. Vor meiner Magie muss auch er sich in Acht nehmen. - Sie wollen ihn nicht einfach töten?“ „Ich will Antworten. Im schlimmsten Fall muss ich feststellen, dass ich sein Geständnis habe – und es nie werde beweisen können.“ „Genau darum werde ich mitkommen.“ Sarah war überrascht, ehe sie begriff: weil sie zum einen entschlossen war, Antworten zu bekommen, zu anderen sich jedoch an die Regeln halten wollte, hatte sie einen, nein, wohl drei der mächtigsten Vampire auf ihrer Seite. „Danke.“ ************************* Das klingt schon einmal nach einer guten Hilfe. Im nächsten Kapitel erfährt Sarah endlich mehr über Geschichte und Macht des Kadash, während Thomas einkuafen gehen darf. bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)