Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 6: Rom, Hügel des Palatin --------------------------------- Sarah hat sich in Edinburgh recht gut geschlagen, hofft sie. Denn ihre Stellung gerade gegenüber dem Hohen Rat ist zwiespältig. 6. Rom, Hügel des Palatin Lady Sarah warf einen kurzen Blick hinüber, wo die Ruinen des Circus Maximus selbst um diese Nachtzeit vom Autoverkehr umrahmt wurden, als sie die Via di Cerchi in Rom entlangging. Einige andere, wenn auch menschliche, Spaziergänger waren ebenfalls unterwegs. So achtete sie sorgfältig darauf, von niemandem beobachtet zu werden, als sie sich auf einen kleinen, fast zugewachsenen Weg nach rechts wandte und den Palatin emporstieg. Ihr Ziel war allerdings nicht das dort oben liegende Ausgrabungsgelände des Hauses des Augustus, sondern eine Höhle in dem Hügel, der Treffpunkt des Hohen Rates, wenn er sich in Rom aufhielt. Leider hatten vor einigen Jahren Archäologen bei Sanierungsarbeiten am Augustuspalast einen Teil der Höhle gefunden, eine sechzehn Meter tiefe Grotte, die mit Mosaiken und Muscheln geschmückt war. Natürlich hatten die Menschen sich an die römische Gründungslegende erinnert, und dies für das Heiligtum gehalten, in dem die Romgründer Romulus und Remus verehrt wurden. Noch war ein Teil der Höhlen unentdeckt, aber es war abzuwarten, wann die Archäologen weiter vordringen würden. So hatte der Hohe Rat, soweit sie wusste, beschlossen, seine Treffen nicht mehr in Rom abzuhalten, wenn sie auf diesem Kontinent stattfinden würden. Ein anderer Ort war allerdings noch nicht festgelegt worden. Das hatte Zeit. Sarah war nervös. Immerhin sollte sie hier und jetzt Bericht erstatten, und damit praktisch selbst über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Sie schob den schweren Stein beiseite, der überwachsen den Eingang zu der Höhle verbarg. Für Menschen war er zu schwer und so war bislang noch niemand auf die Idee gekommen, ihn zu beseitigen. Dahinter zeigte sich ein mannshoher, schmaler Spalt. Sie schob sich hinein und zerrte ein wenig mühsam den Fels wieder davor, ehe sie in das enge Dunkel weiterschritt. Nur Minuten später erreichte sie eine Grotte, die ringsumher von Kerzen erleuchtet war. Auf der gegenüberliegenden Seite standen miteinander redend zwölf alte und mächtige Vampire, die sich aber umdrehten, als sie sie kommen spürten. Sie verneigte sich etwas, bemüht, dass ihre Stimme nicht ihre Anspannung verriet: „Gute Jagd dem Hohen Rat.“ „Gute Jagd“, antwortete einer, der Sprecher des Rates. Sein Name war Amunnefer. Donna Innana nickte ihrer Schülerin freundlich zu, überließ das Reden aber dem Ägypter: „Dann ist die Mordserie in Edinburgh aufgeklärt?“ „Ja.“ Sie schluckte ein wenig, ehe sie bemüht sachlich begann. Ihre Notizen hatte sie auf dem Flug nach Rom noch einmal durchgelesen. Am Ende schloss sie: „Die Gebissenen wollten nach mir fassen und so schickte ich erneut den geistigen Angriff aus, diesmal allerdings auch gegen Thomas gerichtet. Als sie alle am Boden lagen, nahm ich die alte Pistole mit den Silberkugeln, die mir der Kadash freundlicherweise geliehen hatte und…und erschoss damit die drei Jugendlichen, wenn man das so sagen kann. Sie starben den eigentlichen Tod und wurden wieder zu Menschen.“ Sie verschwieg die Tatsache, dass sie gezögert hatte ebenso wie ihre Verwunderung, dass keine Spuren ihrer Kugeln zurückgeblieben waren. Das gehörte nicht zu einem sachlichen Bericht und sie wollte sich im letzten Moment nicht noch Ärger einhandeln. „Dann erwachte Thomas. Ich…noch ehe er vollkommen wach war, setzte ich meine Fähigkeit der Beeinflussung ein. Er sah in mir nur ein Menschenmädchen – und biss mich. Er…er wurde vergiftet und wurde zu Asche.“ Ein gruseliger Anblick, den sie wohl nie vergessen würde. „Bis die Polizei kam, war von ihm nichts mehr zu finden. Die drei Menschen waren ja auch wieder welche, so dass die Bedingung der Unauffälligkeit erfüllt wurde.“ Ein wenig unruhig betrachtete Sarah den Hohen Rat. Hoffentlich waren sie mit ihrer Arbeit als Inquisitor auf Probe in Edinburgh zufrieden, hatte sie ihre Fürsprecher nicht ernüchtert. Der Sprecher des Rates nickte etwas: „Wir danken für deinen Bericht, Sarah. War Sir Angus sehr enttäuscht?“ „Ja, Ammunnefer. Er begriff nicht, warum er in Thomas nicht das drohende Unheil, den verzweifelten Rachewunsch erkannt hatte. Aber ich fürchte, das war gar nicht möglich. Selbst, als er zu mir sagte, dass er Rache wolle, war kein Fanatismus, kein Hass zu erkennen. Ich vermute, Sir Angus wird keinen weiteren Schüler nehmen. Zumindest nicht für eine sehr lange Zeit.“ Der schottische Meistervampir war förmlich zusammengebrochen, als sie ihm berichtet hatte, was vorgefallen war. „Die anderen Vampire sind zu ihren Wohnsitzen zurückgekehrt?“ „Ja.“ Und Inspektor Cuillin hatte um seine Versetzung aus Edinburgh gebeten. Er hatte ihr gesagt, dass er zu Interpol gehen wolle. Ein Schreibtischjob sei wohl besser für seine Nerven. Sie vermutete, dass er noch lange nicht das Bild aus dem Kopf bekommen würde, wie die Gebissenen über Professor Knox hergefallen waren, der eine dann auf ihn zugekommen war. Und das war auch kaum etwas, mit dem er zu einem Psychologen gehen konnte oder wollte. Aber das würde den Hohen Rat sicher nicht interessieren. „Du hast gute Arbeit geleistet, Sarah. – Oder hat ein anderes Mitglied des Hohen Rates noch eine Frage an sie?“ „Ich habe eine Frage.“ Sarah wandte unbehaglich den Kopf. Sie kannte die tiefe, dunkle Stimme, den schwarzhäutigen Mann, der aus den Schatten trat: „Ja, Kadash?“ fragte sie jedoch höflich. „Als du die bewusstlosen Gebissenen mit den Silberkugeln aus meiner Pistole erschossen hast: was hast du da gefühlt?“ „Mitleid“, antwortete sie ehrlich. Man log den Inquisitor nicht an. Als das Raunen des Rates vorbei war, fuhr er fort: „Warum?“ „Sie waren Menschen und wurden zu Gebissenen, ohne es zu wollen. Sie waren Opfer, ebenso wie die, die getötet wurden.“ „Und als du Thomas veranlasst hast, dich zu beißen? Du wusstest ja, dass er an deinem Blut stirbt.“ Unwillkürlich versuchte sie sich zu verteidigen. Es war ihr Auftrag gewesen, aber ein Vampir tötete eben nicht: „Ich warnte ihn, aber er wollte nicht hören, konnte es wohl auch nicht. – Bedauern, dass es so kommen musste. Ich meine, er war einer von uns….“ Sie wusste nicht, wie sie das noch erklären sollte. „So ist es gut.“ Er sah zum Rat: „Nach all den Jahrtausenden, in denen ich der Kadash war, kann ich mich nun zurückziehen. Kein Vampir, auch nicht der Inquisitor, tötet ohne Bedauern oder Reue – oder er wäre nicht besser als die, die er jagen soll. Sarah, du wirst viel lernen müssen in den nächsten Jahren, Jahrzehnten, aber du hast die besten Voraussetzungen, die ich je bei einem Vampir sah. So soll es sein, dass du nun diese schwere Aufgabe übernimmst, Kind.“ Sie schluckte etwas. Aus irgendeinem Grund musste sie plötzlich an den schottischen Polizeiinspektor denken: „Haben Sie…hatten Sie Leute unter Vampiren und Menschen, die Sie ansprechen konnten?“ „Ja.“ Er reichte ihr eine Liste, als habe er nur auf diese Frage gewartet: „Meine Waffe besitzt du bereits.“ „Danke. - Darf ich später Sie noch fragen…?“ „Nein. Ich werde mich zurückziehen. Nach all den langen Jahren bin ich nun frei. – Und jeder muss es selbst lernen. Aber ich bin sicher, Sie werden es schaffen, Inquisitor.“ Mit dieser höflichen Anrede wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit der Grotte, selbst für die Augen der anderen Vampire schien er mit den Schatten zu verschmelzen. „Nun gut“, sagte ein Ratsmitglied und Sarah drehte sich um. Sie wusste, dass Ikol einer derjenigen war, die schon früh auf ihren Tod gedrängt hatten. Nur der Fürsprache Lord Johns, Donna Innanas und des Kadash selbst hatte sie es zu verdanken, noch am Leben zu sein. Alle drei hatten darauf hingewiesen, dass ihre Fähigkeit, auch Vampire und Gebissene bewusstlos werden zu lassen, ja, Vampire geistig beeinflussen zu können, womöglich ein ebensolcher evolutionärer Sprung für einen Vampir war, wie die Fähigkeit, Menschen bewusstlos werden zu lassen, für einen Menschen, der zum Vampir wurde. Und dass dies für das gesamte Volk durchaus nutzbringend sein könnte, vor allem, wenn sie der neue Kadash wäre. So war ihr der Auftrag in Edinburgh auf Probe anvertraut worden. „Dann, Inquisitor, haben wir einen neuen Auftrag für Sie. In Mexiko soll es eine Sekte geben, die nach dem alten Vorbild der Blutopfer stattfinden lässt. Der Leiter erscheint nur bei Nacht. – Die mexikanischen Vampire sind beunruhigt.“ „Ich verstehe.“ „In Mexiko-City wird Sie der Älteste abholen und weitere Informationen für Sie haben.“ „Danke.“ „Wir erwarten hier Ihren Bericht. Gute Jagd, Kadash.“ Sarah verneigte sich höflich ein wenig vor dem Hohen Rat, auch zu höflich, ihr Erstaunen zu zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Vampir, der noch vor zwei Wochen ihren Tod gefordert hatte, sie nun mit diesem Titel ansprach: „Gute Jagd dem Hohen Rat.“ Zwei Tage später war der Inquisitor in Mexiko-City. *********************************** Was Lady Sarah dort, außer Geschichte und Geografie, erfährt, bringt sie auf eine Spur, die ihre eigene ungeklärte Vergangenheit berühren könnte. Aber das ist schon eine andere Geschichte - wer will kann sie nächsten Samstag hier lesen. Denn der Weg des Inquisitors hat gerade erst begonnen. bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)