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Narben der Liebe

Tintenherz
von

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Bewacht

Roxane war sich durchaus im Klaren darüber, was sie für einen Anblick bieten musste.

Ihr Kleid war von Basta zerfetzt worden und außerdem über und über mit Staubfingers Blut verschmiert, außerdem klatschnass vom Regen, der im Laufe der Nacht eingesetzt hatte, und es war kein Wunder, dass dem Schwarzen Prinzen die Augen aus dem Kopf fielen, als sie im frühen Morgen, als sie sich endlich getraut hatte, Staubfinger kurzzeitig allein zu lassen und sich auf den Weg ins Lager der Spielleute zu machen, vor ihm auftauchte, dreckbespritzt und offenbar mehr tot als lebendig.

So brauchte sie ihn auch nicht allzu lange davon zu überzeugen, sie zu begleiten, und der Prinz folgte ihr zusammen mit Wolkentänzer, einem weiteren Freund Staubfingers, und half ihr dabei, Staubfinger im Lager der Spielleute unterzubringen und ein neues Kleid für sie zu organisieren.

Der Regen hatte Staubfinger ganz und gar nicht gut getan, ebenso wenig wie nahezu durchwachte Nacht im Wald.

Er reagierte nicht, als Roxane ihm half, auf einem Lager in einem der Zelte Platz zu nehmen, und als Roxane besorgt über seine Stirn strich, stellte sie fest, dass das Fieber erneut gestiegen war. Und jetzt hatte sie weder Desinfektionsmittel noch die Kräuter von ihrem Hof, mit denen sie ihn behandeln konnte…

Kein Zweifel, Staubfinger musste zu einem Bader, und das schnell.
 

„Prinz?“

Roxane nahm draußen vor dem Zelt neben ihm Platz.

„Wann werdet ihr weiterziehen?“

Der Prinz lächelte schwach.

„Sobald wie möglich, wenn ihr mit uns reist. Der Schleierkauz wird sich freuen, Staubfinger einmal wiederzusehen… wenn er es sich auch sicher unter anderen Umständen erhofft hat.“

„Wie lange werden wir brauchen?“

„Drei bis vier Tage sicherlich. Der Regen hat die Straßen aufgeweicht und wir werden einen Karren oder vergleichbares für Staubfinger brauchen… ich glaube nicht, dass er sich auf den Beinen halten kann, oder?“

Roxane schüttelte den Kopf.

Sie spürte, wie der Gedanke an Staubfinger ihr Tränen in die Augen steigen ließ.

Immer, wenn sie auch nur blinzelte, sah sie gleich wieder dieses schreckliche Bild vor sich, Staubfinger, wie er schreiend und wimmernd auf dem Waldboden lag, zusammengekauert wie ein Kind, die Hände aufs Gesicht gepresst, das Blut, das zwischen seinen Fingern hervor sickerte…

„He.“

Der Prinz klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter.

„Er kommt schon wieder auf die Beine.“

„Das hoffe ich.“, sagte Roxane leise.

Der Prinz sah sie einen Augenblick lang besorgt an.

„Und wie geht es dir…?“

„Hm?“

Roxane sah zu ihm.

„Es geht mir gut. Denke ich. Glaube ich. Wie auch immer. Ja, es geht mir gut.“

Mit diesen Worten drehte sie sich rasch um und verschwand zurück ins Zelt.

Die sorgenvollen Blicke des Prinzen folgten ihr.
 

„Du willst mir also sagen, dass es vieren meiner besten Leute nicht gelungen ist, einen ohnehin schon verletzten Feuerspucker und eine hilflose Bäuerin zu töten?“

Wenn Blicke hätten töten können, wäre wohl jeder von Capricorns Männern auf der Stelle zu Staub zerfallen.

„Nein, ihr lasst euch auch noch von ihnen derart übel zurichten, dass Basta nun ein paar Tage außer Gefecht gesetzt sein wird, und beide euch entkommen, mit nichts als einer Kerze und einem Marder!“

Capricorn hatte leise begonnen, inzwischen schrie er Cockerell allerdings fast an.

Der Angesprochene wünschte sich seinerseits nichts weiter, als wie der besagte Marder in einem Loch verschwinden zu können.

„Der Marder beißt.“, warf Flachnase vorsichtig ein, was ihm einen weiteren lodernden Blick von Capricorn eintrug.

Capricorn atmete tief durch.

„Nun gut. Basta führt einen Privatkrieg gegen diesen Feuerspucker, sei’s drum, aber die Frau hat uns öffentlich bloßgestellt, und das ist ihr Todesurteil. Findet sie, egal, wo sie sich verkriecht, habt ihr verstanden? Tötet sie, alle beide, und ebenso jeden, der das zu verhindern sucht!“

„Sie stehen unter dem Schutz des Schwarzen Prinzen.“, erwiderte Cockerell vorsichtig, doch er verstummte schlagartig, als Capricorns Blick ihn traf.
 

Als Roxane das Zelt betrat, war Staubfinger bei Bewusstsein.

Er blinzelte, als er ihre Schritte hörte, es gelang ihm jedoch nicht, die Augen vollständig zu öffnen.

„Ich… hab‘ dich draußen mit dem Prinzen reden hören.“, murmelte er, als sie sich neben ihn setzte.

„So?“

Roxane legte ihm prüfend eine Hand auf die Stirn.

Staubfinger stöhnte leise, stieß sie jedoch nicht weg.

Nein, das Fieber war nicht gesunken…

„Es… geht dir nicht gut… oder…?“

„Besser als dir jedenfalls.“

Ungeachtet seines verhaltenen Protestes beugte sie sich vor und küsste ihn auf den Mund.

„Du hörst keine Weißen Frauen mehr?“

„Manchmal.“

Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer, aber solange er mit ihr redete, kam er wenigstens nicht auf die Idee, den Weißen Frauen zu antworten.

„Wenn ich… allein bin…“

„Dann lass‘ ich dich nicht mehr allein.“

Sie griff nach seiner Hand und fuhr prüfend mit dem Daumen über die Fingerknöchel.

„Immerhin hast du dir an Bastas Kiefer nicht die Hand gebrochen…“

Staubfingers Mundwinkel zuckten, doch er bemühte sich, sein Gesicht nicht zu sehr zu bewegen.

„Glaubst du… er ist tot…?“

„Nein.“, sagte Roxane leise.

Sie hielt inne und drückte seine Hand leicht.

„Er war nicht allein da, und Cockerell und der Rest werden ihm zu Hilfe geeilt sein.“

„Schade.“, murmelte Staubfinger.

„Du hast gehört, wohin wir dich bringen werden, oder…?“

„Hmh.“

Unter halb geschlossenen Augenlidern sah er zu ihr auf.

„Du… siehst hübsch aus… weißt du das? Minas Kleid steht dir gut…“

Nun musste sie doch lachen, leise und während ihr Staubfingers halbherziger Versuch, sie aufzumuntern, erneut Tränen in die Augen steigen ließ.

Sie spürte kaum, wie sie über ihr Gesicht liefen, bis Staubfinger ihr behutsam über die Wange strich.

„Hey…“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, als er sie mit für jemanden in seinem Zustand erstaunlicher Kraft neben sich zog.

„Nicht weinen.“, wisperte er, „Ich bin ja hier…“

„Ich weiß.“

Ihre Stimme klang seltsam erstickt, als sie die Wange gegen sein Hemd drückte.

„Lass mich nicht allein, hörst du, Staubfinger?“

Er lächelte schwach.

„Werd‘ ich nicht.“, murmelte er, „Und wenn doch… dann find‘ ich einen Weg zurück. Versprochen.“

Behutsam wanderten seine Finger durch ihr Haar.

Roxane griff nach seiner Hand und drückte sie.

Staubfinger lächelte schwach, sagte jedoch nichts.

Schon bald wurden seine Atemzüge ruhiger und gleichmäßiger; er war eingeschlafen.

Es hatte wieder zu regnen begonnen, sie konnte die Tropfen vereinzelt auf das Zeltdach fallen hören und die Stimmen der Spielleute draußen im Lager.

Staubfinger murmelte etwas leises, unverständliches, wachte jedoch nicht auf, als Gwin auf die Liege kletterte und sich auf der Brust seines Herrn zusammenrollte.

Roxane seufzte leise und drückte Staubfingers Hand etwas fester.

Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie daran zurückdachte, wie sie bei den Spielleuten gelebt hatte.

Sie war als Kind zu ihnen gekommen, nachdem ihre Eltern mitsamt dem Rest ihres Dorfes von Capricorns Männern getötet worden waren, und vom ersten Tag an hatte sie nichts als Ärger mit einem gewissen rothaarigen Jungen gehabt. Für ihn war sie anfangs nur ein Eindringling in die Welt der Spielleute gewesen, jemand, der nicht zu ihnen gehörte und immer ein Außenseiter bleiben würde…
 

„Was kannst du?“

„Was?“

Sie drehte sich zu dem Jungen um, der sich hinter ihr aufgebaut hatte.

Er war fast einen Kopf kleiner als sie und gut zwei Jahre jünger, vielleicht acht oder neun Jahre alt, doch unter einem zerzausten rotblonden Haarschopf funkelte er sie an, als habe sie ihn tödlich beleidigt.

„Was-du-kannst.“, wiederholte er in schulmeisterlichem Tonfall, „Singen, tanzen, jonglieren? Wenn du zu uns gehören willst, musst du uns auch helfen, Geld zu verdienen. Also, was kannst du?“

„Ich… ich weiß nicht. Und überhaupt, was geht dich das an? Du stehst doch auch nicht mit den Erwachsenen auf dem Marktplatz!“

„Ich könnte aber, wenn ich wollte.“

„Ach, wirklich? Was kannst du denn dann tolles?“

„Ich werde ein Feuerspucker.“

Ungewollt musste das Mädchen lachen. „Was? Du?“

„Ich.“, bekräftigte ihr Gegenüber, „Ich werde ein Feuerspucker. Der beste.“

Langsam gelang es ihr, ihren Gegenüber einzuordnen. „He, bist du nicht der, der sich gestern beinahe in Brand gesteckt hat bei dem Versuch, das Lagerfeuer zu löschen, indem er es anzischt?“

„Ich hab‘ es nicht angezischt!“ Er stemmte die Hände in die Hüften und bemühte sich, den Rest seiner angeknacksten Würde aufrechtzuerhalten. „Ich kann mit dem Feuer sprechen. Die Feuerelfen haben es mir beigebracht.“

„So?“ Misstrauisch musterte Roxane den Jungen vor sich. „Ich dachte, Feuerelfen richten einen übel zu, wenn man in die Nähe ihrer Nester kommt.“

„Mich nicht!“

„Und warum das?“

„Weil… weil ich das so will.“

„Ah.“

Richtig, der arme Junge hatte neulich wegen ebenjenen Hirngespinstes zwei Wochen im Krankenzelt verbracht.

„Warum schleppst du dieses Rattenvieh mit dir herum?“, ging sie ihrerseits zum Gegenangriff über.

Die Augen des Jungen wurden schmal wie Schlitze.

„Das ist ein Marder!“

„Es sieht aber aus wie eine Ratte.“

„Weil er noch klein ist!“

„Es ist eine Ratte.“

„Ein Marder! Da, er hat zwei Hörner.“

„Marder haben keine Hörner.“

„Dieser schon! Er ist keine Ratte, er heißt Gwin.“

„Ratten können auch Gwin heißen.“

„Er ist aber ein Marder!“
 

Und in der Art war das Gespräch dann weitergegangen, bis sie von einem der erwachsenen Spielleute zum Spüldienst verdonnert worden war und sich ihr neuer Bekannter mitsamt seinem Marder davongemacht hatte.

Roxane warf dem jungen Mann auf der Liege neben sich einen zärtlichen Blick zu.

Ja, ein vorlautes Mundwerk hatte er schon immer gehabt, und schon damals war Gwin sein ständiger Begleiter gewesen…

Zwischen ihnen hatte es immer wieder kleinere Scharmützel gegeben; kaum, dass er das Feuer einigermaßen beherrscht hatte, hatte er es dazu benutzt, ihr das Kleid oder die Haare anzusengen, und anschließend hatte sie ihn zum Dank in den Fluss geschubst oder ihm Brennnesseln unters Hemd gesteckt. Regelmäßig waren sie natürlich beide erwischt und in verschiedene Zelte verbannt worden, damit sie kein Unheil mehr stiften konnten, aber ihre Balgereien waren nie so weit gegangen, als dass sie dem anderen wirklichen Schaden hatten zufügen wollen.

Schlagartig weniger geworden waren ihre Streitereien erst, als sie zusammen mit den Erwachsenen zum ersten Mal auf dem Marktplatz gestanden hatte. Damals war sie sechzehn gewesen.
 

Staubfinger wartete schon auf sie, am Rand des kleinen Dorfes.

Das tat er öfters; meistens zusammen mit dem dunkelhäutigen Jungen, der ihm auf Schritt und Tritt folgte; doch diesmal war er allein.

„He, Roxane!“

Sie ignorierte ihn und ging weiter – die Sonne ging bereits unter, und sie wollte vor Einbruch der Dunkelheit zurück im Lager sein.

„Roxane, warte!“

Mit wenigen Schritten hatte er zu ihr aufgeholt und hielt ihren Arm fest.

Sie blieb stehen.

„Was ist denn?“

Staubfinger fuhr sich nervös mit einer Hand durchs Haar; er trug es seit neuestem länger, vermutlich, weil ihm eines der Mädchen im Lager gesagt hatte, dass es verwegener aussah.

Mädchen – noch so ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen.

Erst letzte Woche hatte sie ihn mit Alisa erwischt, einer der Seiltänzerinnen, und die Woche davor, das wusste sie ganz genau, hatte er sich mit einer anderen herumgetrieben, bis ihr Vater ihm eine Tracht Prügel verabreicht hatte.

„Ich war heute auf dem Marktplatz.“

„Ah, und jetzt willst du mich wegen meiner Stimme aufziehen?“

Gwin, der wie üblich auf Staubfingers Schulter hockte, keckerte leise.

Unwillkürlich verzog Roxane leicht das Gesicht.

„Nein, nein… ich meine, was ich dir sagen wollte, das war wirklich gut… ich meine, ich weiß nicht, ob du das gemerkt hast, aber die Leute waren ganz… ganz fasziniert von dir, weißt du?“

Roxane verdrehte die Augen.

„Auf den Trick fall‘ ich nicht herein, ich war furchtbar, und das weiß ich selbst, also such dir eines der anderen Mädchen aus dem Lager dafür.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte gehen.

„Ich fand’s gut.“, sagte er leise.

Verdutzt blieb sie stehen.

„Was?“

Sie drehte sich wieder zu ihm um.

„Ich fand’s echt gut.“, wiederholte er vorsichtig, „Wirklich.“

„Oh.“

Verwirrt sah sie ihn an.

„Ach so.“

Ach so?!

Der meistbegehrteste Junge im Lager machte ihr ein Kompliment, und alles, was ihr dazu einfiel war „Ach so“?!

„Ich… dachte, ich sag‘ dir das einfach mal.“, sagte er vorsichtig.

„Das ist nett von dir.“, erwiderte sie ebenso vorsichtig.

Eine Weile herrschte Schweigen, wortlos gingen sie nebeneinander her durch den Wald, zum Lager.

Als sie schließlich bei den ersten Zelten angekommen waren, wandte Staubfinger sich noch einmal ihr zu.

„Ich fänd’s gut, wenn du ab jetzt öfter singen würdest. Auf dem Marktplatz, meine ich.“, fügte er rasch hinzu.

Sie lächelte leicht. „Mal sehen.“

„Okay.“

„Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Staubfinger.“

Mit diesen Worten küsste sie ihn, einem plötzlichen Impuls folgend, auf die Wange, und verschwand ins Zelt.

Staubfinger blieb vollkommen verwirrt stehen und starrte ihr nach.



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