Oh Shit. von m0nstellar ================================================================================ Kapitel 9: Unter Männern ------------------------ »Warte … warte mal«, keuchte Chris und blieb schließlich stehen. Völlig außer Atem stützte er seine Hände auf den Knien ab und schnappte nach Luft. »Lass uns … kurz ’ne Pause machen.« »Wie, jetzt schon?« Dylan wurde langsamer. »Normalerweise jammerst du erst nach ’ner dreiviertel Stunde, dass du ’ne Pause brauchst.« »Normalerweise rennst du auch nicht wie’n Irrer.« Nach mehrmaligem Schnaufen sah er zu ihm auf. »Nur kurz.« »Na schön.« Dylan wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, ehe er sich auf die nächstgelegene Parkbank setzte. Chris hatte ganz vergessen, was für ein Tempo Dylan beim Joggen zulegen konnte. Schon seit einer viertel Stunde hatte er Schwierigkeiten mit ihm schrittzuhalten. Ihm war es fast so vorgekommen, als wollte er vor ihm davonrennen, ihn geradezu abhängen – oder aber es war die peinliche Stille, die er loswerden wollte. Neben ihrer angestrengten Atmung war das das Einzige, was man von ihnen hören konnte. Keiner sagte mehr als nötig, sie sahen einander nicht einmal an. Und je länger diese Stille anhielt, desto größer wurde auch der Abstand zwischen ihnen. Chris ließ sich neben ihm auf die Parkbank fallen, die Arme auf den Knien liegend, den Kopf hängend und immer noch schnaufend. Immerhin redeten sie wieder miteinander, auch wenn es nicht viel war. Jetzt musste er das Gespräch nur noch am Laufen halten, sobald er wieder Luft bekam. »Ich soll dir übrigens schöne Grüße von Lex ausrichten«, japste er. »Wir haben gestern miteinander telefoniert.« »Oh, danke. Wie geht’s denn der kleinen Prinzessin?« Nenn sie nicht so. »Ganz gut. Sie konzentriert sich endlich auf’s Wesentliche.« »Macht ihren Bruder also stolz, ja?« Dylan grinste schief und klopfte Chris unangenehm auf die Schulter. »Ja.« »Wie alt ist sie jetzt?« »Sechszehn.« »Wahnsinn, so alt schon? Dann hat sie doch bestimmt schon einen Freund, oder?« Normalerweise würde Chris diese Frage erleichtert mit „Nein“ beantworten, doch irgendwie würde er sich gerade wohler fühlen, wenn er „Ja“ sagen könnte. »Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Nachdem sie nichts erwähnt hat, denke ich nicht.« »Echt nicht? Das wundert mich.« »Wieso?« »Na ja, in dem Alter dafür wäre sie ja jetzt, oder nicht?« Daran wollte Chris noch nicht einmal denken. »Sie ist sechszehn.« »Na eben, sag ich ja. Wird doch langsam Zeit dafür, oder? Mich würde es jedenfalls nicht wundern, wenn sie nicht schon einige Herzen gebrochen hat. Hübsch genug dafür wäre sie ja.« »Wie gesagt, von einem Freund weiß ich nichts.« »Hm, schade.« Dylan kicherte dunkel. »Schon Wahnsinn, was aus ihr geworden ist. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie noch ein richtig süßes, kleines Pummelchen …« »Da war sie auch erst sechs Jahre alt. Sowas verwächst sich in der Regel.« »Bei ihr definitiv an den richtigen Stellen.« In Chris keimte eine neue Form von Wut auf, die Lex bereits am Vorabend gesät hatte. Besser, er kam schnell zu dem Thema, das ihn wirklich beschäftigte. »Apropos … Ich wollte dich eigentlich noch etwas –« »Ich weiß schon«, unterbrach er ihn. Überrascht, sah Chris zu ihm auf. »Es geht um Stellar, stimmt’s?« Chris nickte stumm. »Was willst du wissen?« Augenblicklich schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf. Mit welcher sollte er nur anfangen? »Ich … Wie kam’s dazu? Ich versteh’s nicht so ganz.« Dylan zuckte mit den Schultern. »Da kann man nicht wirklich viel verstehen. Das hat sich einfach so ergeben.« »Okay, und wie?« Erneutes Zucken. »Spontan. Wir waren shoppen, haben uns dann hier im Park am See abgekühlt und dann hat’s einfach gefunkt.« Genau dasselbe hatte ihm Stellar auch erzählt. Das letzte Bisschen Hoffnung in seiner Brust trat mit wehenden Fahnen den Rückzug an. Damit war es klar: Er musste es akzeptieren, und zwar jetzt und endgültig. »Woher kommt das auf einmal?« »Hm?« Dylan schien verwirrt. »Du hast doch die ganze Zeit über Stellar geschimpft, ihr habt euch die Augen ausgekratzt und jetzt … Wo kommt bei dir dieser Sinneswandel her?« Zuerst senkte Dylan den Blick, dann grinste er. »Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich sie vorher falsch eingeschätzt habe.« Chris runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?« »So, wie ich es sage. Ich kenne sie ja nur als humorlose, verklemmte Zicke. Aber an dem Tag habe ich Seiten an ihr entdeckt, die kannte ich noch nicht. Ich hätte es zwar nicht gedacht, aber da steckt tatsächlich ein kleines, tollpatschiges, schüchternes Mädchen in dieser Frau.« Was zum Teufel war hier eigentlich los? War Chris wirklich der Einzige, dem das alles viel zu schnell ging? Der nicht Imstande war zu begreifen, was diese zwei Streithähne aus dem Nichts heraus miteinander verband? Natürlich hatte er mit einer derartigen Antwort gerechnet, trotzdem fühlte sie sich an wie ein Stiefel im Gesicht. »Das ist alles?« Dylan lachte. »Ja, stell dir vor.« Chris konnte es immer noch nicht fassen. Das sollte die allumfassende Erklärung sein? »Ich kann’s mir ja auch nicht erklären. Du weißt doch, wie das ist. Wenn’s funkt, dann funkt’s, so ist das nun mal. Oder warst du noch nie verliebt?« Ein Kälteschauer fraß sich durch seinen Magen und trieb ihn wieder auf die Beine. »Wir sollten weiterlaufen.« Auch Dylan stand auf, sah ihn fragend an. »Was stört dich denn daran?« »Es stört mich nicht.« »Oh, bitte.« Verächtlich schnaubend verdrehte er die Augen. »Ich habe dir gestern schon angesehen, dass dir das stinkt.« »Stimmt doch gar nicht! Ich mache mir nur Sorgen.« »Aha. Und worüber?« »Zum Beispiel … « Ihm musste schnell etwas einfallen. »Wenn ihr euch streitet, zum Beispiel. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich da jetzt verhalten soll.« Dylan verschränkte die Arme. »Du tust gerade so, als ob das was Neues wäre. Du hast das doch bisher auch gewusst.« »So meine ich das nicht.« Wie sollte er das nur erklären? »Jetzt, wo ihr zusammen seid, streitet ihr auf einer ganz anderen Basis. Da sind jetzt echte Gefühle im Spiel.« Erwartungsvoll hob er die Augenbrauen. »… und?« »Und? Hast du dir denn noch gar keine Gedanken darüber gemacht, was ist, wenn ihr euch zum Beispiel trennt?« Empörung spiegelte sich in Dylans Miene wider. »Alter. Wir sind noch nicht mal eine Woche zusammen und ich soll mir jetzt schon Gedanken machen, was ist, wenn wir uns trennen? Was stimmt nicht mit dir?!« »Ich will damit nur sagen, dass sich das auch auf unsere Freundschaft auswirken kann. Wenn ihr im Streit auseinander geht, dann trifft mich das genauso, weil ich dann ständig zwischen euch hin und her springen muss.« Dylan presste die Kiefer aufeinander, schüttelte den Kopf. »Weißt du was? Eigentlich hast du recht. Ich mache gleich heute mit ihr Schluss, dann kann so was gar nicht erst passieren.« »So war das jetzt auch nicht gemeint.« »Ach, was du nicht sagst. Macht es dir eigentlich Spaß, dir irgendwelche Worst-Case-Szenarien auszuspinnen, bevor überhaupt was passiert ist?« Chris wusste nichts darauf zu erwidern. Was meinte er damit? Dylan atmete tief durch und seine Gesichtszüge milderten sich. Dann ballte er seine Hand zur Faust und boxte sie sachte gegen seinen Brustkorb. »Mann, entspann dich mal. Das ist für uns alle Neuland, nicht nur für dich. Wir haben genauso Schiss, wie du.« Wie jetzt? »… du und Schiss?« »Tz.« Er grinste ihn schief an, steckte die Hände in die Hosentaschen. »Klar, Mann. Stellar hat schon ein nasses Höschen gehabt, bevor es überhaupt ausgesprochen war. Warum denkst du, haben wir das bisher geheim gehalten, hm?« Es war Ironie, aber Dylans Worte beruhigten ihn tatsächlich. »Verstehe.« »Die Beziehung hat doch gerade erst angefangen. Lass es uns doch zumindest mal versuchen und schauen, was passiert. Wenn’s schief geht, kannst du immer noch sagen: „Ich hab’s euch ja gesagt“, aber bis dahin wollen wir das erst mal ausprobieren.« Er gab es ungern zu, aber Dylan hatte recht. Sie waren nicht mal eine Woche zusammen und ihm gingen schon die Nerven durch, obwohl er nicht einmal Teil der Beziehung war. Er musste sich entspannen, dringend. »Laufen wir weiter?« Dylans zuckte lediglich mit Kopf zur Seite, dann liefen sie gemeinsam nebeneinander her.   Chris’ Herz hämmerte fleißig gegen seinen Brustkorb und pumpte das Blut dorthin, wo es gebraucht wurde. Von Meter zu Meter wurde seine Atmung flacher, sein Herzschlag schneller. Nach kurzer Zeit schlug sein Herz so kraftvoll, dass er seinen Puls direkt hören und passend zu seinem Schlagrhythmus laufen konnte. Langsam begann sich die Hitze in seinem Körper zu stauen, der Schweiß tropfte ihm aus jeder Pore. Es fühlte sich verdammt gut an. So auf sich selbst konzentriert hatten seine Gedanken keine Zeit, sich zu formen. Sie zerfielen, ehe sie sich zu etwas Klarem bilden konnten und wurden mit dem Schweiß aus dem Körper geschwemmt. Zarte Windböen zogen vorbei, sorgten hin und wieder für ein wenig Abkühlung. Sie trugen den Geruch von frisch gemähtem Gras mit sich und den einzigartigen Duft der Nadelbäume, die ihren Weg säumten. Ebenso wie das Lachen der Kinder, die sich am weiter entfernten Spielplatz austobten, zusammen mit dem Gebrüll der Hobbysportler, wenn sie wieder einen siegreichen Spielzug durchgeführt hatten. Endlich. Endlich war er befreit von all dem Unsinn, der sich seit gestern wie ein Parasit in seinen Kopf festgesetzt hatte. Er war wieder in der Lage, sich und seine Umgebung wahrzunehmen, sich auf das hier und jetzt zu besinnen. Als sie schließlich nach einer halben Stunde am See angekommen waren und ihn einmal umrundet hatten, endete ihre Joggingstrecke. Völlig nass geschwitzt und außer Atem lagen sie im Gras, röchelten um die Wette und sahen in den wolkenlosen Himmel. Keiner von beiden sagte etwas, das mussten sie auch nicht. Die Stille zwischen ihnen war nicht länger unangenehm, sie war genießbar. Chris fühlte sich jetzt viel besser. Sich mit Dylan zum Joggen zu verabreden war vermutlich die klügste Entscheidung gewesen, die er gestern hätte treffen können. Leider war dieses Gefühl nur von kurzer Dauer. Je mehr er sich vom Laufen erholte, desto zahlreicher prasselten die Gedanken und Fragen auf ihn nieder und erkämpften sich seine Aufmerksamkeit zurück. Als hätten sie nur darauf gewartet. Chris hatte keine Lust mehr darauf. Er wollte sie ein für alle Mal loswerden – und er wollte Antworten. »Sag mal, wieso eigentlich Shoppen? Ich dachte, du hasst shoppen.« Dylan lachte leise und legte sich zum Schutz vor der Sonne einen Arm über die Augen. »So habe ich das nie gesagt. Ich hasse es, ohne Ziel shoppen zu gehen. Das musste ich schon als Kind mit meiner Mutter machen und das ist einfach nur die Hölle. Stellar hat aber einen neuen BH gebraucht und wenn ich ihren alten schon kaputt mache, dann bezahle ich wenigstens den neuen.« Ein sanftes Lächeln breitete sich aus. »Hat sogar ein bisschen Spaß gemacht.« Für Chris war es schwer sich vorzustellen, wie die beiden vor dem mit Büstenhaltern behängten Regal standen und gemeinsam darüber diskutierten, welcher ihr neuer werden sollte. »Hast du sie eigentlich schon mal in ’nem Kleid gesehen?«, fragte er und hob den Arm an, um zu ihm herüber zu schielen. »Äh, nein.« Und plötzlich verwandelte sich sein sanftes Lächeln in ein verschmitztes Grinsen. »Ich schon. Mit und ohne.« Chris’ Herzschlag setzte aus. Wie, ohne? Das Grinsen wurde breiter. »Die Umkleide war nicht ganz zu und ich habe mir mal einen kleinen Blick erlaubt.« Erst jetzt merkte er, dass er die Luft angehalten hatte. Gott sei Dank war es nicht das, was ihm gerade durch den Kopf geschossen war. Moment mal. »Stellar hat ein Kleid angezogen?« »Ja, habe ich ihr rausgesucht.« »Du?« Und wieder hatte er das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. »Ich dachte, sie mag keine Kleider.« »Es hat auch ’ne ganze Weile gedauert, bis sie es anprobiert hat, aber zum Schluss hat es ihr so gut gefallen, dass sie es gekauft hat. Oder ich, besser gesagt.« Dylan richtete sich auf die Ellenbogen auf. »Du hättest sie echt mal darin sehen müssen! Sie sah so gut darin aus. Richtig attraktiv, sexy … wie eine richtige Frau eben.« Ob das wohl einer der Momente gewesen war, wo Dylan ihr Komplimente gemacht hatte? Vielleicht sogar genau diese? Richtig attraktiv, sexy … wie eine richtige Frau eben. Irgendwie gefiel ihm das nicht. Weder die Komplimente, noch was er mit seiner besten Freundin anstellte. Stellar brauchte kein Kleid, um gut auszusehen. Das tat sie auch in ihrer Latzhose und die gehörte zu ihr, wie ihr Muttermal rechts unter der Lippe. So wie sie war, war sie in seinen Augen vollkommen in Ordnung. Irgendwie stimmte ihn diese Beziehung und das, was damit einherging, trübsinnig und ein innerlicher Druck machte sich breit. »Muss ich bei ihr eigentlich irgendwas beachten?« Beachten? »Inwiefern?« »Na, gibt es zum Beispiel irgendwas, was ich überhaupt nicht tun darf oder worauf ich besonders achten muss?« Damit war die innere Ruhe endgültig verpufft. Jetzt sollte er ihm auch noch Beziehungstipps geben? »Ich denke, du machst schon mal einen guten Anfang, wenn du dich nicht mehr so benimmst, wie vor eurer Beziehung.« Dylan verzog den Mund. »Sehr witzig, das ist mir auch klar.« Na immerhin. Schulterzuckend sog er sich irgendetwas aus den Fingern. »Du solltest sie nicht noch weiter provozieren, wenn sie anfängt, auf Italienisch zu fluchen. Dann ist sie nämlich richtig sauer und da kann es schon passieren, dass du ohne Vorwarnung fünf Finger im Gesicht hast.« Dylan runzelte die Stirn, seine Mundwinkel zogen sich dennoch amüsiert nach oben. »Die hatte ich schon mehrmals im Gesicht, ohne dass sie vorher auf Italienisch geflucht hat. Sonst noch etwas?« Sollte dir eigentlich zu denken geben und nicht dich bespaßen. Chris seufzte innerlich. Wie um alles in der Welt sollte er jetzt alles über Stellar aufzählen? »Solltest du sie das nicht am besten selbst fragen?« »Eigentlich schon, aber ich will nicht wieder direkt ins Fettnäpfchen treten, verstehst du?« Ja, leider. »Habt ihr darüber nicht gesprochen?« »Nicht wirklich. Wir haben eher über belangloseres Zeug geredet, aber darüber nicht.« »Verstehe.« Chris’ Innerstes sträubte sich trotzdem, wehrte sich mit aller Macht. Es war Stellars Aufgabe, von sich zu erzählen, nicht seine. Er wusste doch nicht einmal, ob er das, was er erzählen könnte, überhaupt erzählen durfte. »Komm schon, hab dich nicht so. Hilf mir ein bisschen. Ich will’s richtig machen und dafür könnte ich ein paar Tipps wirklich gut gebrauchen.« Genau da machte es bei ihm „Klick“. Was war er eigentlich für ein Egoist? Dylan gab sich hier sichtlich Mühe, die Beziehung ernst zu nehmen und alles dafür zu tun, damit sie funktionierte, und was tat er? Er dachte nur an sich. Daran, was sich für ihn selbst dadurch änderte, wie sehr ihm die Beziehung missfiel und was aus seiner Freundschaft zu ihnen werden würde, sollten sie sich früher oder später einmal trennen. Nicht ein einziges Mal hatte er an sie gedacht oder daran, ihnen dabei zu helfen, eine intakte Beziehung zu führen. Eigentlich hatte Dylan Recht gehabt. Er war wirklich ein schlechter Freund. Es wurde wirklich Zeit, dass er sich änderte. Jetzt wäre ein perfekter Zeitpunkt dafür. »Würde es dir helfen, wenn ich dir einfach ein paar Dinge über sie erzähle?« »Na klar, nur raus damit.« Es war ein riesiger Knoten, den er hinter den Kehlkopf in den Magen zwang. »Gut, also … Vielleicht das Interessanteste für dich zuerst: Am liebsten hört sie Jazzmusik. Manchmal sogar Monate lang ein und dasselbe Lied, bis zum Erbrechen.« Dylan wirkte sichtlich überrascht. »Jazz in Dauerschleife also … Und welche Richtung davon?« »Schwierig zu sagen. Ihr gefällt ziemlich viel, also kann man das nicht wirklich einschränken. Aber soweit ich weiß, ist sie ein großer Fan von Eartha Kitt.« »Das ist doch schon mal ein Anfang. Hat sie noch andere Hobbies?« Chris dachte nach. »Na ja … Sie liest ’ne Menge Bücher und tanzt gerne, aber eher Gesellschaftstänze … Oh, und sie ist eine echt furchtbare Köchin. Sie behauptet zwar, dass sie es kann, aber glaube mir: Wenn sie alleine kocht, kannst du das Essen direkt in den Müll schmeißen. Außerdem schafft sie es mindestens einmal, sich dabei in den Finger zu schneiden.« Dylan lachte dreckig. »Echt so schlimm, ja?« »Glaube mir, es ist wirklich so.« »Wenn’s eh scheiße schmeckt, warum kochst du dann überhaupt mit ihr?« Endlich kam auch Chris ein Lächeln über die Lippen. »Weil es trotzdem Spaß macht, mit ihr in der Küche zu stehen und dabei ein Glas Wein zu trinken.« Sein Tonfall wurde neckisch. »Ja, ja. Gib’s zu: Eigentlich freust du dich nur, dass du bei ihr ständig den Paramedic raushängen lassen kannst.« Ein kleines Bisschen? »Nein, nicht wirklich. Sie ist einfach eine tolle Gesellschaft, mit der man viel Lachen und Spaß haben kann und nachdem wir dasselbe Hobby haben, können wir das auch zusammen machen. Solange ich auch ein Auge auf das Essen habe, schmeckt’s am Ende auch.« »Schon klar.« Dylans rechter Mundwinkel zuckte ein Stück weiter nach oben. »Was?« »Nichts. Ich finde es nur witzig, dass unsere Kratzfurie einfach nicht kochen kann.« Chris schmunzelte. »Tja, hat eben nicht jeder die Begabung dazu.« Stellar hatte wirklich kein Talent dafür. Jeder, der schon einmal von ihrem Selbstgekochten oder Selbstgebackenen probiert hatte, konnte es danach selbst feststellen. Trotzdem hörte sie nie damit auf. Ob es ihre Sturheit war oder ihr Ehrgeiz – er wusste es nicht, aber es beeindruckte ihn. Genau wie all die anderen Eigenarten, die er Dylan gerade anvertraut hatte. Es waren Eigenarten, die sie in seinen Augen als Person ausmachten, ihren Charakter beschrieben. Ihm fielen sogar noch mehr ein, doch er wollte nicht allzu viel ausplaudern. So ausgelassen die Stimmung gerade war – Sorgen machte sich Chris nach wie vor. Dass sie sich auf einmal Kleider kaufte, beunruhigte ihn. Dass Dylan sie dazu überredet hatte, noch viel mehr. Am meisten beunruhigte ihn aber Dylan selbst. Bisher hatte er nie verlauten lassen, dass in seinem Leben Beziehungen eine Rollen spielten. Ungebundenheit und Freiheit waren ihm viel wichtiger, allen voran der Spaß dabei. Ich will mein Leben so leben, dass ich nichts bereue. Das hatte er ihm einmal gesagt. Die Frage war nur: wie weit würde er dafür gehen? Chris setzte sich auf, rupfte mit zwei Fingern einige Grashalme aus der Erde und dachte darüber nach, ob und wie er ihn darauf ansprechen sollte. Es war immerhin ein sensibles Thema. Schließlich fasste er sich ein Herz und überwand sich: »Du meinst das wirklich ernst mit ihr, oder?« Dylan setzte sich ebenfalls auf, sah ihn verwundert an. »Na klar, merkt man das nicht?« »Doch, aber … Ich wollte nur noch mal sicher gehen. Stellar ist meine beste Freundin und ich will nicht, dass sie verletzt wird.« »Dann haben wir ja dasselbe Ziel.« »Gut. Dann versprich mir, dass du ihr nicht wehtust.« Verdutzt zog Dylan die Augenbrauen zusammen und den Kopf zurück. »Wie soll ich das denn machen? So einfach lässt sich das nicht verhindern. Irgendwann werden wir uns auch mal streiten und irgendwann werden wir uns so heftig streiten, dass sie anfängt zu heulen. Das weiß ich jetzt schon, da gebe ich dir Brief und Siegel drauf. Wir waren vorher schon so und so schnell ändert sich das bestimmt nicht.« »Das ist mir auch klar, davon rede ich ja auch gar nicht. Aber sollte ich mitbekommen, dass du ihr absichtlich wehtust, dann haben wir beide ein echtes Problem.« Beide fixierten die Augen des anderen, sagten kein Wort. Der Augenblick war wie eingefroren. Erst, als Dylan schief zu grinsen begann, war er vorbei. »Verstehe. Wir haben uns also für eine Seite entschieden, wenn’s drauf ankommt, hm?« Chris Miene erhärtete sich. Auf seinen provokanten Kommentar wollte er nicht eingehen. Stattdessen streckte er ihm entschlossen die Hand entgegen. »Versprich es mir.« Dylan schnaubte auf, schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf, trotzdem ergriff er seine Hand. »Versprochen.« »Ich meine das wirklich ernst«, sagte er mit Nachdruck und packte fester zu. Er wollte sich ganz sicher sein, dass er das verstanden hatte. Dylans Grinsen verfestigte sich, doch die Belustigung dahinter war verschwunden. »Ich auch.« Unter langanhaltendem Blickkontakt lösten sie langsam den Handschlag, dann wandten sie sich gleichzeitig voneinander ab. »Gut, nachdem das ja jetzt geklärt ist: Was fangen wir mit dem restlichen Vormittag an? Gehen wir zum Ice-Dealer?« »Du willst jetzt ein Eis?« »Was? Nein! Ich brauche jetzt dringend ’nen Kaffee. Oder ein Eiskaffee, ich weiß noch nicht.« Typisch Dylan. Er machte sich nie lange Gedanken über etwas. Weder vorher, noch nachher. Ein Charakterzug, den Chris meist verfluchte, in diesem Moment aber war er dankbar dafür. »Okay, gut. Meinetwegen.« »Cool.« Mit einem Satz war Dylan wieder auf den Beinen und diesmal reichte er Chris seine Hand. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich weiß, was ich tue.« »Das hoffe ich«, erwiderte er und ließ sich von ihm aufhelfen. »Übrigens, deine Schuhe sind offen«, bemerkte er und deutete mit dem Finger auf seine Füße. Dylan stöhnte gelangweilt auf. »Ja, ich weiß schon. Mir sind die Socken ausgegangen und wenn ich keine anhabe, rutschen die Schuhbänder immer wieder raus.« »Soll ich dir –« »Ey, vergiss es!« Sofort schnellte seine Hand nach oben und er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Spinnst du, ich bin ein erwachsener Mann!« »Schon gut, war nur gut gemeint.« »Bis zum Ice-Dealer schaff ich das schon. Ist ja nicht weit.« Geradezu halbherzig stopfte er das erste Paar Schnürsenkel in den Turnschuh. »Bist du sicher? Nicht, dass du noch auf die Fresse fliegst.« »Ach was. Selbst wenn, wär’s auch nicht das erste Mal.« »Wie du willst.« Chris wollte sich nicht weiter aufdrängen. Bis zum Ice-Dealer waren es zehn Minuten Fußweg. Gejoggt schafften sie es in der Hälfte der Zeit. Weit war es also wirklich nicht. »Lauf schon mal voraus, ich komme gleich nach«, sagte Dylan und zog mit den kleinen Fingern die Schnürung enger. Chris tat ihm den Gefallen ohne große Widerworte. Er war erleichtert, dass die Sache keinen Keil zwischen sie getrieben hatte. Das war seine größte Sorge gewesen. Dylan hätte ihm nämlich sein Verhalten auch noch länger übelnehmen können, doch stattdessen half er ihm dabei, es zu verstehen. Jedenfalls ein bisschen. Er hatte zumindest von ihm mehr über die Beziehung erfahren als von Stellar. Auch das Gespräch im Ganzen betrachtet war eigentlich gar nicht so übel gelaufen. Es hätte deutlich schlimmer sein können. Und es hatte ihm die Augen geöffnet. Er war viel zu egoistisch an die Sache rangegangen. Er hätte viel verständnisvoller regieren, viel aufgeschlossener sein müssen, auch wenn es ihn nach wie vor störte. Das änderte jedoch nichts daran, dass es seine Freunde waren. Plötzlich riss ihn einen dumpfer Knall aus den Gedanken, als hätte etwas Hartes auf einen Topfdeckel eingeschlagen. Erschrocken drehte er sich um. Was er sah, würde er so schnell nicht wieder vergessen: Da lag er nun, sein einen Meter neunzig großer, bester Freund. Direkt unter dem Metallmülleimer und mit der Hand am Hinterkopf. Sein von Schmerz verzerrtes Gesicht war ihm Antwort genug. Chris konnte nicht anders als diesen Anblick zu belächeln. Er machte eine Kehrtwende und kam zu ihm, kniete sich zu ihm herunter. »Wie hast du das denn hingekriegt?« »Frag nicht so blöd!«, ächzte er. »Bin auf die Schuhbänder getreten, gestolpert und habe mir den Schädel angehauen.« Nun war es Chris, der dreckig auflachte. »Ich will ja nichts sagen aber: Ich hab’s dir ja gesagt.« »Danke, Mom.« Sein Tonfall klang weit weniger beleidigend als frustriert. Chris ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, im Gegenteil. Das machte die Situation für ihn nur noch lustiger. »Weißt du, ich glaube, wenn ihr euch so gut kennt, wie ich euch kenne, dann stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht, dass das mit euch funktioniert.« »Ach, findest du? Und woran machst du das fest?« Chris nickte belustigt. »Ihr seid euch ähnlicher, als ihr denkt.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)