Oh Shit. von m0nstellar ================================================================================ Kapitel 7: Fragen über Fragen ----------------------------- Chris drückte die Klinge mit so viel unnötiger Kraft in die einzelnen Zwiebelschichten, dass der Saft in dicken Tränen herausfloss. Sie einfach nur zu schneiden war ihm gerade nicht anstrengend genug.   Dylans Kritik an ihm arbeitete wie ein schlecht geöltes Maschinenwerk in seinem Kopf, das unter hochfrequentem Quietschen beharrlich weiterlief. Natürlich war ihm klar gewesen, dass er falsch reagiert hatte, deshalb hatte er sich ja auch bei Stellar entschuldigt. Aber war man wirklich gleich ein schlechter Freund, weil man überfordert gewesen war? »Aua!« Blitzartig zog er den Finger unter dem Messer hervor und nahm ihn in den Mund. »Verdammt!« »Geschnitten?« »Ja, bin abgerutscht.« Sofort ließ sie alles stehen und liegen, nahm seine Hand und sah sich seinen Finger an. »Normalerweise schneide ich mir doch immer in den Finger«, murmelte sie lächelte ihn keck an. »Komm, ich mach dir ein Pflaster drum.« Seine Hand fest im Griff zog sie ihn mit ins Bad. Aus dem Badezimmerschränkchen griff sie sich eine Erste-Hilfe-Tasche und nahm ein Paar Einweghandschuhe und ein Einwegpflaster heraus. »So, jetzt zeig mal her.« Die Wunde war nicht besonders tief. Zudem hatte er sich so schräg eingeschnitten, dass sie nur mit viel Druckeinwirkung auf den Finger zu Bluten begann. »Ein Pflaster ist eigentlich nicht nötig.« Stellar hob mit schiefem Grinsen eine Augenbraue. »Mag schon sein, aber ich klebe dir trotzdem eins drauf. Nur zur Sicherheit.« Nachdem sie sich die Einweghandschuhe übergezogen hatte, brachte sie mit höchster Sorgfalt das Pflaster an. Chris beobachtete sie dabei. Gerade eben hörte sie sich nicht nur so an wie er, sie verarztete ihn auch noch auf dieselbe Weise, wie er es sonst bei ihr tat. Wenn es in ihm nicht so brodeln würde, hätte er vermutlich über diesen Moment geschmunzelt.   »Du, sag mal … kann es sein, dass du sauer auf mich bist?« Die Frage traf ihn unvorbereitet. »Ähm … Wie kommst du darauf?« »Na ja …«, fing sie an und wühlte erneut in der Erste-Hilfe-Tasche herum. »Ich habe gesehen, wie du die Zwiebel malträtiert hast. Außerdem hast du den ganzen Weg hierher bis gerade eben kein einziges Wort mit mir geredet und vorhin im Franco’s warst du auch schon so komisch …« Sie fand, was sie gesucht hatte, und stülpte ihm zu guter Letzt noch den Fingerhandschuh über. »Weißt du, wenn ich irgendetwas falsch gemacht habe, dann sag’s mir einfach, aber strafe mich nicht mit Schweigen. Weil … da macht es einfach keinen Sinn, dass ich hier bin. Dann geh ich besser nach Hause.« Chris seufzte. Manchmal war ihm gar nicht bewusst, wie intensiv er teilweise seinen Gedanken nachhängen konnte und um sich herum alles vergaß. »Nein, ich bin nicht sauer auf dich, ich habe heute nur ein paar Dinge gehört, die mich ziemlich aus der Fassung gebracht haben. Das beschäftigt mich eben.« »Und was war das?« Mit einer schwungvollen Bewegung fasste er sämtliche Verpackungsreste, zerknüllte sie in der Hand und warf sie in den Mülleimer direkt neben dem Waschbecken. Dann verschloss er die Erste-Hilfe-Tasche und räumte sie wieder in den Schrank. »Findest du, ich bin ein schlechter Freund?« Stellar riss die Augenbrauen nach oben. »Was? Wer sagt das denn?« »Dylan. Er meinte, dass ich dir kein guter Freund gewesen bin und ich frage mich, ob da was dran ist. Und ob ich das vielleicht schon öfter nicht gewesen bin.« »Nein, nein! Um Gottes Willen!« Sie griff nach seinen Schultern und wandte ihn zu sich, sah ihn eindringlich an. »Du bist kein schlechter Freund, hörst du? Wir waren alle an dem Tag mit der Situation überfordert. Lass dir doch nicht so einen Schwachsinn einreden!« »Und wie soll ich deine Enttäuschung über mich dann interpretieren?« Stellar verdrehte die Augen. »Mamma mia ... Jeder macht mal Fehler. Das ist menschlich. Ein guter Freund zu sein bedeutet nicht, unfehlbar zu sein. Hast du selbst einmal gesagt.« »Ja schon –« »Außerdem haben wir das vorhin geklärt und damit ist die Sache abgehakt. Und überhaupt ist Dylan sowieso der Letzte, der sein Maul so weit aufreißen sollte und über andere urteilen darf. Das alles ist ja immerhin seine Schuld, wegen ihm hatten wir den Schlamassel ja erst.« Chris musste sich über Stellars Haltung zu Dylan recht wundern. Übernahm man nicht automatisch die Meinung des Partners, wenn man einen hatte? »Vergiss bitte, was er gesagt hat.« »Du sagst das so, als ob es selbstverständlich wäre.« Stellar strich sich ihren Pony aus dem Gesicht. »Weil es das ist! Du nimmst dir seine Worte viel zu sehr zu Herzen.« »Ja, weil …« Er hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. »Irgendetwas in mir sagt mir, dass er Recht hat. Und wenn ich mich auf etwas verlassen kann, dann auf mein Bauchgefühl.« »Dann täuscht sich eben dein Bauchgefühl. Es stimmt einfach nicht, was Dylan sagt. Von uns allen kann ich ja wohl am besten beurteilen, ob du für mich ein guter Freund bist oder nicht.« »Dann erklär mir, warum ich das Gefühl nicht loswerde, dass das stimmt, was er sagt.« »Nur weil du ein schlechtes Gewissen hast, bedeutet das noch lange nicht, dass er automatisch Recht hat.« Sie kam einen Schritt näher auf ihn zu, sah ihn noch eindringlicher an als vorher. »Glaube mir: Wenn es so wäre, dann wäre ich jetzt bestimmt nicht hier, sondern wäre jetzt zu Hause und hätte in den nächsten zwei Wochen jeden Anruf und jede SMS von dir ignoriert.« Chris senkte den Blick und dachte darüber nach. Eigentlich hatte sie Recht. Sie konnte immer noch am besten beurteilen, was für ein Freund er für sie war und die Entscheidung darüber oblag immer noch ihr ganz allein. Und so eisern, wie sie darauf bestand, dass er ein guter Freund für sie sei, begann er ihren Worten Glauben zu schenken. »Okay.« Seine Antwort war wohl ausreichend, denn nun lächelte sie mild und trat wieder einen Schritt zurück. »Versprichst du mir trotzdem etwas?« Er ging lieber auf Nummer sicher. »Was denn?« »Wenn irgendwann mal der Tag kommt, an dem ich dir ein echt beschissener Freund bin, egal in welcher Situation, sag es mir bitte.« Stellar verdrehte die Augen, lächelte aber dabei. »Mach ich, versprochen.«   Gemeinsam gingen sie in der Küche wieder zurück ans Werk und obwohl er im Vergleich zu vorher mit den Zwiebeln geradezu liebevoll umging, war er immer noch nicht ganz bei der Sache. Ihm standen noch zu viele Fragen im Raum, vor allem um eine kreiste sein Verstand wie ein Geier um das Aas: Wann – und vor allem wie – hatten Stellar und Dylan zueinander gefunden? Innerhalb einer Woche von abgrundtiefem Hass schlagartig auf innigste Liebe umzustellen erschien ihm unrealistisch und nicht umsetzbar, für alle beide nicht. Wie zur Hölle hatten sie das also angestellt? Nicht, dass er sich nicht freuen würde, er freute sich – er bemühte sich jedenfalls. Ihm würde es nur deutlich leichter fallen, hätte er eine logisch klingende Erklärung darauf. »… Kann ich dich noch etwas fragen? Etwas Persönlicheres?« »Nur zu.« Tja, wenn er nur wüsste, wie … Er wollte nicht unsensibel klingen oder sie gar dabei verletzen, aber er wollte das letzte Bisschen Zweifel vernichtet wissen und dafür brauchte er eine Antwort darauf. Und plötzlich kam ihm eine Idee. Er legte erneut das Messer beiseite, wandte sich zu ihr und stützte sich dabei an der Küchenarbeitsplatte ab. Die Formulierung der Frage hatte er sich ganz genau überlegt: »Du und Dylan … wie kam das?«   Stellar versteinerte in ihrer Schneidebewegung. Die Farbe wich ihr aus dem Gesicht, schoss aber sogleich als Errötung in Wangen und Ohren. Kein Atemgeräusch war von ihr zu hören. Interessante Reaktion. »Versteh mich bitte nicht falsch, ich freue mich für euch, aber … wie kam es dazu, dass ihr jetzt ein Paar seid? Ich würde es einfach nur gern verstehen.« Sie räusperte sich und schnitt die Kartoffel weiter in Würfel, wenn auch deutlich langsamer als vorher. »Nun ja … Das ist ein bisschen kompliziert und auch schwer zu erklären.« Sein Atem stockte und er spürte, wie ihm das Blut in den Magen sackte. Das war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Wo war der explosionsartige Wutanfall, der Schimpftornado darüber, was Dylan da einfach so behauptete? Warum blieb all das aus? »... Würdest du es vielleicht trotzdem versuchen?«   »Ich … ich weiß nicht, wie ich das erklären soll.« Ihm schwoll die Kehle an. Dylan hatte also wirklich nicht gelogen oder versucht ihn zu verarschen? Aber warum wich sie ihm dann aus oder kam ihm das nur so vor? »Versuch’s einfach.« Ein schwerer Seufzer entwich ihr. Immerhin atmete sie wieder. »Na gut … Also das war so: Er hat mir am Sonntag noch einmal eine SMS geschrieben und mich zur Wiedergutmachung zum Shoppen eingeladen. Na ja, und dann sind wir eben shoppen gegangen und das war eigentlich ganz okay. Er hat sich mir nicht so aufgedrängt wie sonst und er war allgemein irgendwie … anders zu mir.« Chris runzelte die Stirn. »Was meinst du mit „anders“?« »Keine Ahnung.« Hilflos zuckte sie mit den Schultern. »Er hat mir eben Komplimente gemacht, hat gesagt, dass ich eine hübsche Frau bin, ohne irgendeinen sarkastischen Unterton.« Seine Stirn schlug noch tiefere Falten. Wie oft hatte er sich von Dylan anhören dürfen, dass er Stellar nicht ausstehen könne, dass er ihre Humorlosigkeit kaum ertrage. Dass ihm ihr divenhaftes Gehabe aufrege und er nicht verstehen könne, wie Chris mit so einem schwierigen Menschen befreundet sein könne. Und jetzt machte er ausgerechnet dieser Person Komplimente, stürzte sich mit ihr in eine Beziehung? Von diesen ganzen Neuigkeiten bekam er allmählich Kopfschmerzen. »Das ist aber nicht alles gewesen, oder?« Mit beiden Händen schaufelte sie Kartoffelwürfel auf und warf sie in den Topf. »Nein, natürlich nicht. Wir … haben uns auch unterhalten, wie zwei ganz normale Menschen. Ganz ohne einen Streit anzufangen.« »Okay …« Nachdenklich kratzte er sich über seinen Drei-Tage-Bart. Nach aufgekommener, heißer, inniger Liebe klang das aber nicht. »Und … was habt ihr da so geredet?« Stellar schwieg. Nur das Zähneknirschen verriet ihm, dass ihr das Gespräch allmählich zuwider wurde. »Mich geht das natürlich nichts an«, wandte er schnell ein. »Aber wie gesagt, ich will es einfach nur verstehen. Ich meine, ein paar Komplimente und ein bisschen reden können ja wohl kaum zu einer Beziehung geführt haben.« »Hat es auch nicht.« Sie nahm den bis zur Hälfte mit Kartoffelwürfel gefüllten Topf, knallte ihn auf den Herd und ging anschließend an die Küchenschränke. Dort holte sie zwei Teller heraus. Hatte er sie verärgert? »Ich will dir damit natürlich nicht zu nahetreten, aber es ist für mich einfach nur … schwer zu begreifen, verstehst du?« »Ja, merke ich.« Die Teller warf sie fast schon auf den kleinen Zwei-Personen-Esstisch, während sie ihm in harschem Tonfall antwortete: »Wenn du’s unbedingt wissen willst: Wir sind nach dem Shoppen zum See gegangen, haben uns dort ein bisschen abgekühlt und dabei eben über ein paar … persönlichere Dinge geredet. Bis wir dann gar nicht mehr geredet haben und … er mir einfach nur lange in die Augen gesehen hat.« Sie wurde immer ruhiger und leiser. »Er hat mich lange angesehen, hat sich dann über mich gebeugt und … mich geküsst.« Chris durchfuhr ein reißender Schmerz, der von der Brust in den Magen schoss. So schnell wie es da war, war es auch wieder vorbei. Okay, was war das gerade? So hatte sie noch nie über Dylan gesprochen. Nicht ein einziges Mal. In ihrer Stimme lag etwas, das er so von ihr noch nie wahrgenommen hatte. Als hätte sie sich diesen Moment immer schon gewünscht. »Das klingt echt … romantisch.« »Ja. War es auch«, murrte sie mit Nachdruck. Die Härte war in ihrer Miene zurück. »Ist dir das so unangenehm, davon zu erzählen?« »Ja ist es! Weil –« Sie unterbrach sich selbst. Sie hatte wohl selbst gemerkt, dass sie im Begriff war ihn anzuschreien. Zuerst atmete sie einmal tief durch, dann setzte sie deutlich ruhiger neu an: »Ich habe dir vorhin im Franco’s schon gesagt, dass ich nicht möchte, dass es ständig nur um ihn geht, oder so wie jetzt um unsere Beziehung, wenn wir Zeit miteinander verbringen. Wir beide sind auch Freunde und ich möchte, dass das auch so bleibt. Ich habe keine Lust, dass Dylan und ich ab jetzt das einzige Thema sind, worüber wir uns unterhalten können.« Das Wort „Beziehung“ fühlte sich aus ihrem Mund an wie dreihundert Kilogramm, die ungebremst auf seinen Brustkorb schmetterten. Verdammt noch mal, warum freute er sich einfach nicht? »… Wie gesagt, ich wollte dir nicht zu nahetreten, ich wollte es nur verstehen.« Langsam wandte er sich von ihr ab, nahm das Messer in die Hand und widmete sich wieder den Zwiebeln. Seine Kopfschmerzen, die sich während des Gesprächs zum Bleiben entschlossen hatten, wanderten ohne Unterlass von einer Schläfe zur anderen. Nichts von dem, was Stellar erzählt hatte, half ihm dabei zu verstehen, was genau ihm bei den beiden entgangen war. Eigentlich war er noch verwirrter als vorher. Schon allein die Vorstellung, Dylan sei ein Romantiker … Nein, so kannte er ihn einfach nicht. Das war nicht er – zumindest war er bis eben fest davon überzeugt gewesen. Kannte er seinen besten Freund wirklich so schlecht? »Ich hole uns mal ’ne Flasche Wein«, verkündete sie, riss ihn damit aus seinen Gedanken. »Ich glaube, wir können beide ein Glas davon vertragen.« »Ist gut.« Auch Chris glaubte, dass zur Rettung des heutigen Abends Alkohol ganz hilfreich war, wenn es nicht sogar das einzige war, das helfen konnte. »Ich glaube, ich habe in der Mini-Bar im Wohnzimmer noch einen offenen Rotwein stehen.« »Gut, ich sehe mal nach.« Chris wartete mit seinem lauten Seufzer, bis das Schlurfgeräusch aus der Küche verklungen war. Es war nur eine kleine Antwort auf eine ihn quälende Frage, die er gesucht hatte, mehr nicht. Er wollte doch deswegen nicht gleich die Stimmung kaputt machen. Vielleicht war es besser, die Sache hinzunehmen und sich auf das Essen konzentrieren. Am Ende verwürzte er noch alles und der Abend wäre dann komplett für den Arsch.   Die Zwiebelwürfel schabte er vom Brett direkt in die Schüssel mit Hackfleisch und Eiern, würzte das Ganze mit Salz, Pfeffer und Paprika und schnitt mit einer Schere ein frisches Bündel Petersilie hinein. Dann hörte er plötzlich Stellar aus dem Wohnzimmer hell auflachen. »Das ist ja ein geiles Foto! Ist das neu?« »Welches meinst du?« »Na das hier!« Chris ahnte, welches Bild sie meinte und konnte daher ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Noch bevor er zu ihr ins Wohnzimmer kommen konnte, stand sie bereits hinter ihm und hielt es ihm kichernd unter die Nase. Seine Vermutung war richtig. »Ah ja, das ist neu.« Schwungvoll warf er sich das Handtuch über die Schulter und nahm es selbst in die Hand. »Gerade mal drei Tage alt.« »Ist das deine Schwester?«, fragte sie und tippte dabei auf die schielende junge Frau im Bild, die Chris mit zwei Fingern die Mundwinkel auseinanderzog. Grinsend nickte er. »Ja, das ist Lex. Sie ist diese Woche spontan zu Besuch gekommen und wollte unbedingt ein Foto machen.« Stellars amüsiertes Lächeln wurde warmherzig. »Wirklich süßes Bild. Gibt’s es etwas Neues von ihr?« Chris zuckte nichtwissend die Schultern. »Erstaunlicherweise nicht. Sie hat nach wie vor ihre Ausbildung, sie lernt brav und fleißig, hat lange nichts Dummes mehr angestellt ... Gesagt hat sie jedenfalls nichts. Wenn es Probleme geben würde, hätte sie sich mir sofort anvertraut, das weiß ich.« Er bemühte sich, es nicht allzu offen zu zeigen, aber die Sorgen um Lex waren auch trotz der guten Nachrichten immer da. Nur weil es aktuell keine Vorkommnisse gab, bedeutete das nicht, dass sie sich deshalb in Luft auflösten. Wie sollte er sich jemals auch keine Sorgen um sie machen? Als vor zehn Jahren ihr Vater plötzlich gestorben war, hatte es von allen in der Familie die kleine, sechs-jährige Lex am härtesten getroffen. Chris sah sich als großer Bruder daher in der Pflicht, die fehlende Vaterfigur zumindest ansatzweise auszugleichen. Für ihn bedeutete das nicht nur auf sie aufzupassen und sie auf den richtigen Weg zu leiten, sondern auch für sie da zu sein, wenn sie ihn brauchte. »Denkst du, sie hat die Kurve also endlich gekriegt?« Chris ging ins Wohnzimmer und stellte seinen Gedanken nachhängend das Foto wieder an seinen Platz zurück. »Ich hoffe es jedenfalls. Im Moment sieht es zumindest danach aus.« Er hoffte nur, dass das noch eine gute Weile so bleiben würde ... »Darauf stoßen wir an.« Stellar, die eben noch am Türrahmen lehnte, steuerte nun zielstrebig die Minibar an und holte die angefangene Rotweinflasche und zwei Gläser heraus. »Sowas muss doch gefeiert werden, findest du nicht?« Chris wusste genau, was sie damit bezwecken wollte. Er wusste es schon, als sie nach Neuigkeiten von Lex gefragt hatte: Sie wollte von sich und Dylan ablenken, sich auf Lex versteifen, damit er keine weiteren, für sie unangenehmen Fragen mehr stellte. Um die Stimmung mit dem Thema nicht weiter zu strapazieren, ließ er sich darauf ein: »Anstoßen klingt gut.«   Während sie das Kochen fortsetzten, erzählten sie einander von den Erlebnissen der vergangenen Tage. Stellar plauderte über diverse Farb- und Haarschnittdesaster, die sie gerettet hatte, während Chris von seinen teils schockierenden, teils amüsanten Einsatzfahrten berichtete. Sie erzählte aber auch von den Neuigkeiten über Moira. Dass sie einen neuen, wohl auch fest angestellten Pianisten für die Bar bekommen würde und dass sie sie bei der ersten Probe begleitete, um für sie in Erfahrung zu bringen, ob er ein potentieller Partner für Moira wäre. Chris hörte aufmerksam zu und je länger er das tat, desto schwerer drückte ihm die nächste Frage auf seinen Appetit. Er war sich sicher, dass sie ihr wieder unangenehm sein würde und bemühte sich deshalb, ihr keinerlei Bedeutung beizumessen.   Als das eigens kreierte Festmahl schließlich angerichtet war, stocherte Chris im Essen nur herum. Die Bohnen hatte er auf den Tellerrand geschoben, vom Hacksteak fehlte gerade mal eine kleine Ecke und sein Kartoffelpüree sah inzwischen aus wie ein eingerollter, gelber Igel. Sogar den Wein ließ er unberührt, seit sie auf Lex angestoßen hatten. »Warum isst du denn nichts? Schmeckt’s dir nicht?«, fragte sie mit vollem Mund. Resignierend senkte er die Gabel. »Doch, mir fehlt nur ein wenig der Appetit.« »Hast dich wohl satt gekocht und heimlich genascht, was?«, scherzte sie und trank einen Schluck aus ihrem Weinglas. Chris konnte nicht länger an sich halten. »Wann genau wolltest du mir eigentlich sagen, dass ihr zusammen seid? Oder hast du das nie vorgehabt?« Wie ertappt blickte sie ihn an und hörte zu kauen auf, senkte den Blick und strich sich ihren Pony aus dem Gesicht. Die Zeit, bis sie den Brocken Fleisch heruntergeschluckt hatte, kam ihm vor wie eine Ewigkeit. »Ich wusste nicht, wie ich das machen sollte, und wann.« Schon wieder durchfuhr ihn dieser harte Schmerz, als barste etwas in ihm und splitterte in die Nachbarorgane. Was ist das immer? »Vorhin im Franco’s wäre doch ein guter Moment gewesen.« Stellar legte die Gabel beiseite. »Um ehrlich zu sein habe mich einfach nicht getraut, weil … Dylan ist doch dein bester Freund und ich hatte irgendwie Angst, dass sich was an unserer Freundschaft verändert. An deiner und meiner, und eben auch an deiner mit Dylan. Ich wollte einfach keine Freundschaft gefährden.« »Natürlich verändert sich das. Es wäre doch unlogisch, wenn sich nichts verändern würde, aber damit gefährdest du doch keine Freundschaft. Eigentlich ist es sogar wichtig, dass ich davon weiß. Immerhin muss ich ja wissen, wie ich mit euch umgehen soll.« Schweigen war ihre einzige Antwort, den beschämten Blick fest auf ihre Hände im Schoß gerichtet. Seufzend legte auch Chris die Gabel weg. »Hör zu. Ihr beide seid jetzt ein Paar. Das ist doch schön … Das toppt alles, was ich wollte. Aber es enttäuscht mich, dass du es mir nicht erzählt hast oder erzählen wolltest, wie auch immer. Ich meine, du erzählst mir alles über Moira. Warum dann nicht auch von dir und Dylan? Und ohne es böse zu meinen: Das interessiert mich bei Weitem mehr als Moira und ihre verzweifelten Versuche, krampfhaft einen Freund zu finden.« »Ich wusste eben nicht, wie ich das anstellen sollte und da habe ich mir eben gedacht, ich behalte es erst einmal für mich. Bis ich mir sicher bin, wie ich es dir sagen soll.« »Du hättest es mir also irgendwann gesagt?« Endlich sah sie ihn wieder an, sogar mit einem kleinen, entschuldigenden Lächeln. »Natürlich hätte ich es dir gesagt. Du bist mir nur zuvorgekommen.« »Wohl eher Dylan.« Als Dylans Name fiel, wurde Stellars Miene augenblicklich hart. »Ich rede mit ihm. So sollte das jedenfalls nicht ablaufen und ich bin mir ganz sicher, Dylan wollte das eigentlich auch nicht.« Ihn durchfuhr immer noch ein unangenehmes Schaudern, wenn sie so über Dylan sprach. Daran würde er sich jetzt wohl gewöhnen müssen. »Lass ihn aber noch ganz, okay?« »Keine Sorge. Aber eine Standpauke wird er sich trotzdem anhören dürfen. Warum nimmst du ihn jetzt auf einmal in Schutz? Vorhin hat er noch an dir als Freund gezweifelt.« »Schon, aber eben weil ich ihn kenne, weiß ich, dass seine Zunge in manchen Situationen schneller ist als sein Hirn. Das war schon immer sein Problem.« »Na und? Es schadet ihm schon nicht, wenn ich ihm mal als seine Freundin die Ohren langziehe.« »Wenn du das regelmäßig machst, bleibt er dir aber nicht lange.« »Hey. Er hat sich das selbst ausgesucht, also muss er auch damit klarkommen. Ich werde jedenfalls nicht vor ihm das brave Frauchen mimen, nur weil ich jetzt seine Freundin bin. Da hat er sich die Falsche ausgesucht.« Chris und Stellar sahen einander an, sagten kein weiteres Wort mehr. Sie schmunzelten nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)