[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 51: Verloren -------------------- Verloren   Künstliches Licht wurde in den ovalen Gläsern der Brille reflektiert, die Watari nun ein wenig nach unten schob, um sich mit den Fingern die Partie zwischen seinen Augen zu massieren. Erschöpft lehnte er sich in dem Drehstuhl zurück und blickte nachdenklich neben sich auf den Tisch, auf ein paar vom Monitorlicht beschienene Seiten linierten Papiers, als das Geräusch einer sich öffnenden Tür ihn aufmerken ließ. Im Eingang zu Wataris persönlichem Überwachungsbereich stand ein junger Mann mit zerzausten schwarzen Haaren, die ihm in das blasse, zu Boden gewandte Gesicht fielen. Seine Kleidung war leger, zwar sauber, aber zerschlissen und eigentlich viel zu groß für seinen dürren Körper. „Was ist los, Ryuzaki?“, wollte Watari wissen. „Kann ich Ihnen helfen?“ Der junge Mann blieb stumm, stand nur weiterhin, dem Anschein nach unentschlossen, im Raum und rührte sich nicht. Irgendwie wirkte er verloren, wie ein Kind, das seine Eltern nicht fand. „Was ist denn?“, fragte Watari erneut, diesmal unverkennbar besorgt. Er versuchte, seine Stimme zuversichtlich klingen zu lassen, während er um Unverfänglichkeit bemüht weitersprach. „Sie sehen müde aus. Nun gut, mir war es gleichfalls nicht vergönnt, in den Genuss von Schlaf zu kommen. Soeben bin ich mit den Aufzeichnungen fertig.“ Während sich Watari die faltigen Hände aneinander rieb, um sie ein wenig zu wärmen, musterte er den Anderen geduldig vom wirren Haarschopf bis hinab zu den nackten Füßen. Die Klimaanlage in diesem Gebäude war eindeutig zu kalt eingestellt, was in erster Linie der technischen Ausstattung zugutekam, keineswegs den hier befindlichen Menschen. Hoffentlich erkältete sich der tatkräftige, selbstvergessene Detektiv nicht, wenn er ständig barfuß durch die Gegend lief. Vielleicht sollte sein Mittelsmann und Helfer ihnen einen guten, heißen Earl Grey zubereiten. Noch immer zeigte der Jüngere keinerlei Regung. Nach einer langen Pause berichtete Watari sanftmütig: „Er hat nach dir gesucht, L.“ Obwohl es so schien, als reagierte der Angesprochene auch auf diese Aussage nicht, meinte Watari dennoch zu erkennen, wie L aufhorchte. In behutsamer Rücksicht fragte der alte Mann: „Du bist dir sicher, dass dieser Junge Kira ist?“ Endlich, ein stummes Nicken. Watari drehte sich auf dem Stuhl herum und ließ einen sorgenschweren Blick über die Monitore schweifen. Er schaute wieder zurück auf seinen Schützling. „Das mit dir und Yagami Light ist kein Teil einer Ermittlungsstrategie, nicht wahr?“ L schüttelte seinen gesenkten Kopf. „Ich verstehe“, meinte Watari daraufhin. Er lächelte gutmütig, einerseits nachsichtig, andererseits auch voller Kummer.   Mit dem Morgengrauen wurden die Schatten der Nacht vom fahlen Zwielicht der Dämmerung vertrieben. Leblos lag Light auf dem Bett und blickte aus erkalteten Augen ins Nichts, ohne zu wissen, wie lange er sich schon nicht mehr bewegt hatte. Sein Körper fühlte sich bleischwer an. Er konnte sich nicht entsinnen, ob er irgendwann eingeschlafen oder ununterbrochen wach geblieben war. Langsam drehte er den Kopf zur Seite und starrte auf die Datumsanzeige des Funkweckers. Fünfter November. Konnte es denn stimmen, dass L erst gestern bei ihm gewesen war, dass sie auch heute wieder zusammen sein würden? Oder entsprach es wirklich bloß einer Wunschvorstellung, dass der Meisterdetektiv noch lebte und Kira ihn nicht schon längst getötet hatte, um dessen Stelle einzunehmen? Ruhelos erhob sich Light. Er trug, wie er nun feststellen musste, noch immer die Kleidung vom Vortag. Wie erbärmlich. Er benahm sich wie ein Volltrottel. Es war ihm zeitweilig, so kam es ihm in missbilligender Weise zu Bewusstsein, sogar angemessen erschienen, hinüberzulaufen und diese vermaledeite Tür einzutreten, hinter der sich L wahrscheinlich verkroch. Mit fahrigen Bewegungen entkleidete er sich, entnahm dem Schrank frische Sachen und ging ins Badezimmer. Seine Handlungen waren automatisiert, abwesend. Er musste sich zusammenreißen. Er musste sich verhalten, wie es von Yagami Light, dem vorbildlichen Sohn und gewissenhaften Studenten, erwartet wurde. „L hasst es, wenn du das tust.“ Und wieder holte sie ihn ein, diese Stimme, die ihm schonungslos seine eigenen Gedanken offenbarte. Ryuk saß im Schneidersitz, den Kopf in die Handflächen gestützt, auf dem Wannenrand und beobachtete ihn. „Er will nicht, dass du dich verstellst.“ Da war L aber auch der Einzige. Light ignorierte die Worte, seine braunen Augen waren leer, seine Mimik ausdruckslos. Doch genauso wenig, wie er das Denken abschalten konnte, war er in der Lage, den Gott des Todes abzuschütteln. Vollständig angezogen, sauber und ordentlich wie stets, stand Light vorm Spiegel und legte bedächtig seine Armbanduhr an. Wenigstens die Fassade war somit wieder perfekt. Vor der Zimmertür, die hinaus in den Flur führte, blieb er noch einen Moment stehen. Er entspannte seine Glieder, öffnete und schloss seine Hände und atmete tief durch. Heute würde die Sonderkommission von dem Neubeginn der Ermordungen erfahren und L würde alles daran setzen, um den Täter zu überführen. Aufgrund seiner natürlichen Skepsis und logischen Schlussfolgerungen sollte sein Verdacht erwartungsgemäß erneut auf Misa fallen. Wenn alles nach Plan verlief, begriff Rem mit Sicherheit, dass sie heute vor eine Wahl gestellt wurde. Und dass ihre Entscheidung jemanden mitten ins Herz traf. Bevor er sein Zimmer verließ, warf Light einen letzten Blick zurück in die Leere des Raumes und die Außenwelt hinter dem Glas. Gegen die Fensterscheiben schlug leichter Nieselregen.   Als er den Hauptüberwachungsraum betrat, hockte L in gewohnter Manier auf einem Stuhl zwischen den Polizisten und war damit beschäftigt, umständlich am Verschluss einer Kekspackung zu zupfen. Light überkamen gleichzeitig Gefühle von Erleichterung, Zuneigung und unbändigem Hass. Wo war L gewesen? Warum hatte er ihn allein gelassen? Wie konnte er jetzt so seelenruhig hier herumsitzen? Noch einmal würde das nicht passieren. Noch einmal würde L nicht so einfach verschwinden können. Light würde ihn an sich reißen und festhalten, damit er nicht mehr davonlaufen konnte. Er würde L besiegen und ihm zeigen, wer in diesem Spiel die Regeln bestimmte. Er würde ihn vereinnahmen und nie wieder gehen lassen. L gehörte ihm, ihm ganz allein! Von seiner geballten Faust ausgehend spürte Light ein Stechen in den angespannten Sehnen und der Handinnenfläche, in die er seine Fingernägel bohrte. Er musste sich beruhigen, einen kühlen Kopf bewahren, seinen sich überschlagenden Gedanken Einhalt gebieten. Kurz senkte er seine Lider, biss die Zähne aufeinander und gemahnte sein schmerzhaft pochendes Herz zu mehr Selbstbeherrschung. „Du willst ihn nicht hergeben?“ Ryuks Frage klang ironisch. „Glaubst du etwa, wenn du diesen Buchstaben dein Eigen nennst, dass du ihn dadurch am Leben erhalten kannst? Sobald Kira in einer Doppelrolle den Platz von L einnimmt, wirst du ihn noch mehr auslöschen, als wenn du ihn nur getötet hättest. Falls kaum jemand davon erfährt, dass L stirbt, dann ist es, als hätte er nie existiert. Begreifst du wirklich, was das heißt, Light? Verstehst du überhaupt, was es bedeutet, L zu besiegen? Indem du gewinnst, verlierst du ihn.“ Ungerührt überhörte Light seine eigenen Bedenken, durchquerte in selbstbewusster Haltung den Raum und wünschte seinem Vater sowie den anderen Polizisten einen guten Morgen, bevor er sich leise und gefasst mit seiner Begrüßung an den Meisterdetektiv wandte. „Ryuzaki.“ „Light-kun.“ Ohne hochzuschauen gab L gleichermaßen knapp eine Antwort, während er mit spitzen Fingern einen mit Schokoladencreme gefüllten Keks in Pandaform zu erhaschen versuchte. Light hätte sich am liebsten für die lächerlich übertriebene Empfindung geohrfeigt, die Ls tonlose Stimme in ihm auslöste. Jedoch durchschnitt Aizawa mit seinen folgenden Worte den scheinbaren Frieden. „Ah, die Aktualisierung der globalen ICPO-Verbrecherkartei ist... das kann doch nicht...“ „Was...?“ Schockiert beugte sich Chefinspektor Yagami nach vorn, um Einblick auf den Computerbildschirm erlangen zu können. „Etwa schon wieder Morde an Straftätern?“ Ein Grinsen huschte über Lights Mundwinkel. Misa hatte ihre Aufgabe offenbar zu seiner Zufriedenheit erfüllt. Am vorigen Abend waren lauter Verbrecher getötet worden, die erst nach Higuchis Tod in den Nachrichten auftauchten. Während L in sich gekehrt zu überlegen schien, äußerte Light die Vermutung, mit dieser Neuigkeit sei es wohl bestätigt, dass ein weiteres Death Note in der Menschenwelt existieren müsste. „Es fing in dem Moment wieder an, als Amane Misa auf freien Fuß gesetzt wurde“, stellte L fest. „Oder seit Higuchi tot ist“, relativierte Light sofort, obgleich ihm die korrekte Schlussfolgerung des Meisterdetektivs direkt in die Hände spielte. „Misa hat mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Da sie schon einmal unter Verdacht stand, würde sie doch, selbst wenn sie die Fähigkeiten des zweiten Kiras hätte, nicht so bescheuert sein, sie gerade jetzt zu benutzen.“ Und eben weil es so offensichtlich war, würde selbst Rem begreifen, dass Misa wieder in Gefahr schwebte. Light bemerkte, wie sich das skelettartige Geschöpf straffte. Offenbar sorgte sie sich bereits. Dann lief auch der Rest wie geplant. Es war kaum notwendig, in die Unterhaltung zwischen den Polizisten einzugreifen und sie in die gewünschte Richtung zu lenken. Im Gegensatz zu L ergriffen diese ausnahmslos Partei für Misa, bestätigt durch die gefälschte Regel jener dreizehn Tage. Die kumulative Wirksamkeit von Kiras Handlungen war von nun an nicht mehr aufzuhalten, selbst wenn er es gewollt hätte. Ls Tod stand quasi schon fest. Sein Tod war unabwendbar. Unvermeidlich. Euphorie und Grauen durchströmten Light. Er hätte lauthals darüber lachen können, dass L bereits jetzt verloren hatte. Dass er L bereits jetzt verloren hatte. „Können wir überhaupt jemanden festnehmen, der einfach nur Namen in ein Heft geschrieben hat?“, gab Light in gespielter Skepsis zu bedenken. „Einen Beweis gäbe es in der Tat nicht“, antwortete L ruhig, „jedenfalls nicht allein durch die Festnahme einer Person, die ein Notizbuch des Todes besitzt und verwendet hat, es sei denn, man probiert das Heft selbst aus. Aber das ist mir auch ziemlich egal. Ich will nur den Fall lösen. Den Rest überlasse ich der Justiz.“ „Hey, es wird doch wohl nicht nötig sein, das Heft auszuprobieren?!“ Obwohl er unterschwellig häufig die derzeitigen Gesellschaftsveränderungen befürwortete, fiel Matsuda nun empört in die Debatte ein. „Kira hat sich doch auf jeden Fall strafbar gemacht! Er hat Namen um Namen in das Heft eingetragen und gewusst, dass es funktioniert. Wenn die Existenz des Notizbuchs nicht publik gemacht werden darf, muss sein Benutzer einfach exekutiert werden.“ „Das ist nicht gerade die feine Art“, meinte Aizawa, „aber die da oben werden sich vermutlich etwas in der Richtung einfallen lassen.“ „Sollte Kira vor Interpol die Morde durch das Buch zugeben, wird er wohl einem internationalen Gerichtshof ausgeliefert und nach Völkerstrafrecht verurteilt“, vermutete L desinteressiert. „Wahrscheinlich erhält er dafür die Todesstrafe oder eine lebenslängliche Haftstrafe. Sollte er seine Taten nicht zugeben, werden sie ihn seinen eigenen Namen in das Buch schreiben lassen. Das meinen Sie doch, nicht wahr?“ Teilnahmslos stellte der Detektiv ein paar der Pandakekse Rücken an Rücken gegeneinander. Die dunklen Augen starr auf seine Süßigkeiten gesenkt, mit denen er soeben die aufgeschlagenen Seiten des Death Notes vollkrümelte, beendete L die Diskussion in ungewohnt schneidendem Tonfall. „Darüber sollte man sich den Kopf zerbrechen, wenn wir Kira gefasst haben. Nicht jetzt.“ „Merkwürdig“, kommentierte Ryuk ehrlich überrascht. „Plötzlich klingt L so handzahm. Dabei wollte er dich anfangs persönlich zum Schafott geleiten. Vielleicht würde er dich echt verschonen. Warum probierst du es nicht aus, Light? Sag ihm, dass du Kira bist. So, wie du es schon einmal getan hast, aber ohne einen neuerlichen Rückzieher zu machen. Wie er wohl reagiert? Das wäre bestimmt lustig. Was würdest du dann zu deiner Rechtfertigung vorbringen, wenn du aufgibst?“ In Ryuks Stimme mischte sich das Vibrieren eines unterdrückten Lachens, das kurz darauf aus ihm herausbrach. „Es war nicht meine Hand! Der Wahnsinn hat es getan, so glaubt mir doch!“ Er lachte und lachte, über alle Maßen amüsiert von dieser Vorstellung. „Sie werden dich umbringen, Light. Du musst L töten. Entweder du oder er.“   „Und, wie kommst du voran?“ „Alles wie immer.“ „Bei dir heißt das, du arbeitest fleißig und bringst in der Uni die besten Leistungen.“ Light glaubte sogar, nur aus der Stimme seiner Mutter ihr Lächeln herauszuhören, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Sie war stolz auf ihn, weil er sie nie enttäuschte. „Das freut mich, Light. Auf meinen Sohn kann ich mich immer verlassen.“ „Das sagst du noch? Trotz der Sache mit Vater und Misa?“ „Ach, Junge...“ Seine Mutter seufzte. „Ich muss gestehen, ich war ja auch nicht ganz begeistert, weil ich mir einfach eine andere Frau an deiner Seite vorgestellt habe. Aber heutzutage ist das eben so, dass die jungen Leute sich ihre Partner selbstständig aussuchen. Dein Vater sollte nicht so engstirnig sein. Ich hoffe doch, ihr klärt das bald.“ Ziellos sprang Lights Blick von einer Vertiefung der Chesterfieldcouch zur nächsten, während er die Hand gedankenversunken über das rotbraune Leder gleiten ließ. Sein Vater hatte ihn vorhin gebeten, sich zu Hause zu melden. Pflichtbewusst wie stets war Light dieser Aufforderung nachgekommen. Mit gespielter Zuversicht in der Stimme antwortete er: „Womöglich dauert es gar nicht mehr lange, bis die ganze Sache aus der Welt geschafft ist.“ Statisches Knacken und Rauschen beeinträchtigte kurzfristig die telefonische Verbindung, als würde am anderen Ende der Leitung eine Hand auf den Hörer gelegt werden. „Sayu, turn hier nicht so luftig gekleidet herum.“ „Sayu ist da?“, fragte Light erstaunt. „Müsste sie jetzt nicht in der Schule sein?“ „Sie hat sich eine Erkältung zugezogen, das unvorsichtige Ding.“ Im Hintergrund war eine helle Mädchenstimme zu hören, kurz darauf sprach Lights kleine Schwester in den Telefonhörer. „Brüderchen, bist du das?“ Sie klang ein wenig heiser und hustete, allerdings eher aufgrund kindlicher Aufregung. „Du kommst gar nicht mehr nach Hause, Light. Ich vermisse dich total.“ „Weil du niemanden mehr hast, der dir bei deinen Hausaufgaben hilft?“, bemerkte Light schmunzelnd. „Was muss ich von Mutter hören, kaum passe ich mal nicht auf dich auf, wirst du krank?“ „Ist nicht schlimm, wirklich! Morgen ist Wochenende und nächste Woche bin ich bestimmt wieder fit. Dabei wollte ich aber eigentlich mit meinen Freundinnen nach Shibuya.“ Eine ermahnende Bemerkung ihrer Mutter folgte, die Light wegen der fernmündlichen Überbrückung nicht ganz verstehen konnte. „Ja, schon gut. Light, du wohnst doch jetzt mit Misamisa zusammen, nicht? Wie ist das so in wilder Ehe? Hey!“ Ihr Mutter nahm ihr das Telefon wieder aus der Hand. „Also wirklich, du weißt nicht einmal, wovon du da redest, Kind. Außerdem... bist du barfuß? Zieh dir wenigstens Socken an! Kein Wunder, dass du krank wirst.“ In Lights Gedächtnis tauchte ein Bild auf, nackte Füße unter dem zerschlissenen Saum einer Jeanshose, feingliedrige Finger und ein blasses Gesicht unter rabenschwarzem Haar. Aus unerfindlichen Gründen setzte sein Herzschlag für eine Sekunde aus. Sayu nörgelte etwas Unverständliches, schien jedoch neben ihrer Mutter zu verweilen, die nun bekümmert fortfuhr: „Es stimmt, Light, wir bekommen dich überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Weihnachten wirst du sicher mit Misa-san verbringen. Irgendwann erhalte ich von dir nur noch die übliche Neujahrskarte.“ „Unsinn, Mutter.“ Light lachte leise und herzlich, wenngleich ihn das Gespräch auf undefinierbare Weise traurig stimmte. Mit jedem weiteren Wort verstärkte sich der Schmerz in seiner Kehle. „Tja, du wirst eben auch erwachsen“, sinnierte seine Mutter melancholisch. „Er war doch schon seit der Mittelschule erwachsen.“ Sayu hatte den Telefonhörer erneut an sich gebracht. „Ich bin stolz auf dich, Brüderchen. Streng dich an. Du packst das!“ „Und du gehst jetzt erst einmal ins Bett“, schimpfte ihre Mutter besorgt. „Ich muss leider Schluss machen, sonst bringe ich deine Schwester gar nicht mehr dazu, sich auszuruhen.“ „In Ordnung. Ich verstehe das“, erwiderte Light mit milder Rücksicht. „Sayu, willst du dich noch von deinem Bruder verabschieden? Pass bitte auf dich auf, Light.“ Bevor er antworten konnte, erklang zum Schluss noch einmal die klare Stimme seiner kleinen Schwester. „Ich hab dich lieb, Brüderchen. Wir sehen uns später. Bis dann!“ Light hielt den Telefonhörer noch eine Weile locker in der Hand. „Ich euch auch“, sagte er dann tonlos, obwohl auf der anderen Seite der Leitung längst aufgelegt worden war. Solche Menschen wie Sayu, Sachiko oder Soichiro, die einen derart arglosen und unverfälschten Charakter besaßen, waren diejenigen, die Kira beschützen wollte. Doch schon sehr früh hatte Light mit kalter Gewissheit eine unabänderliche Tatsache erkannt. Wenn er einen Fehler machte und sein Vorhaben zu scheitern drohte, dann konnte es sein, dass Kira sogar seine eigene Familie, die ihm nahestehenden Personen töten musste. Unabhängig davon, wie sehr er sie liebte.   Zurück im Hauptüberwachungsraum fiel Lights Blick sofort auf den leeren Stuhl vor der Front aus Computermonitoren, auf welchem L vorhin noch gesessen hatte, bevor sein junger Ermittlungspartner den Raum zum Telefonieren verließ. Einige der Pandakekse lagen vereinzelt auf dem Tisch und dem geöffneten Notizbuch des Todes, wie gefallene Soldaten auf einem Schlachtfeld. „Wo ist Ryuzaki?“ „Er hat irgendetwas geredet“, entgegnete Matsuda, ohne seine angestrengte Aufmerksamkeit von den Unterlagen in seinen Händen zu lösen, „er wolle frische Luft schnappen oder so.“ Lights Miene verfinsterte sich. Bedachten Schrittes drehte er sich um und wandte sich zum Gehen. Langsam war es mehr als offensichtlich, dass der Detektiv ihm aus dem Weg ging. L suchte also Luft zum Atmen. Um nicht zu ersticken. Hoffentlich würde Light ihn diesmal dort finden, wo er ihn vermutete. Während er den Raum verließ, hörte er hinter sich ein leises Wispern: „Auf den Namen der Toten schreitend kenne auch ich den Vogel des Totenreiches nicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)