[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 22: Selbst bewusst sein ------------------------------- Selbst bewusst sein   Ein unangenehmer Druck lag auf Lights Ohren, möglicherweise verursacht vom vertraut gewordenen Geräusch der arbeitenden Prozessoren, die mit ihrem gleichbleibenden Ton dem Gehör vorgaukelten, es könne in dem stets wiederkehrenden Rhythmus lebloser Technik eine bekannte Melodie erahnen. Wahrscheinlich scheiterte Lights Kopf unbewusst daran, sich ebendieser Melodie genau zu erinnern. Anders konnte er sich die Anspannung und den Zwang in seinem Inneren nicht erklären. Er hasste es, warten zu müssen. Obwohl Mogi und Misa tatsächlich beunruhigend lang fortblieben, konnte das allein doch keine Erklärung für seine wachsende Nervosität sein. Was geschah mit ihm? War es die Entdeckung über die erschreckend gute Nachvollziehbarkeit in der Vorgehensweise des alten Kira, die Light aufgefallen war? Diese Tatsache hätte ihm doch längst bewusst sein müssen, als er noch seine eigenen Ermittlungen anstellte, damals, vor einer schier ewig zurückliegenden Zeit, in der er noch ein ganz normaler Schüler gewesen war. Er glaubte sich selbst nicht mehr vertrauen zu können. Als wäre er sich zunehmend fremd geworden. „Ryuzaki“, setzte Light schließlich an, nachdem er einem kurzen Wortwechsel zwischen L und Matsuda zugehört hatte, die über das Ausbleiben von Mogi und Misa sprachen. Jetzt schaute L seinen Partner über den Rand der Kaffeetasse an, die er bereits seit einer Viertelstunde in der Hand hielt, ohne auch nur einen einzigen Schluck getrunken zu haben. „Wenn wir Misa bei Yotsuba einschleusen“, meinte Light ernst, „dann sollten wir in Zukunft alles daran setzen, ihre Verbindung zum zweiten Kira zu leugnen.“ „Das tun wir doch“, entgegnete L verdutzt, „indem wir erzählen, sie wäre freigelassen worden.“ „Ich meine damit generell ihre Gefangennahme“, versuchte Light zu erklären. „Es ist gefährlich für sie, wenn wir sagen, dass sie von L gefangen genommen wurde.“ „Aber Misa hat doch schon mit dieser Taktik begonnen...“ Light war sich im Klaren darüber, dass sein Einwand nicht fruchten konnte. Erstens waren ihnen im Moment die Hände gebunden, da sie nicht in die aktuelle Situation eingreifen konnten, und zweitens war Light nicht imstande, eine Alternative zu bieten. Er wusste nicht, warum er plötzlich eine Planänderung verlangte. Wahrscheinlich lag es an seiner Nervosität oder der Unsicherheit. Oder auch an den Zweifeln, die ihn überkamen, seitdem er eines erkannt hatte: Sein Mitwirken bei diesem berechnenden Plan ließ Light nicht nur L ähnlicher werden, sondern auch Kira. „Mach dir keine Sorgen, Light“, mischte sich nun Herr Yagami ein, der hinter seinen Sohn getreten war. „Ich werde an die Öffentlichkeit gehen und die Umstände meiner Entlassung schildern, außerdem die Tatsache, dass Yotsuba sich für eigene Zwecke Kira zunutze macht. Damit werden vielleicht die Morde an Straftätern nicht aufhören, aber zumindest die Unfallmorde zugunsten des Konzerns.“ „Die meisten Leute werden einfach denken, dass du Unsinn redest, Vater“, entgegnete Light unverblümt. „Und vor allen Dingen würde dich Kira umbringen!“ Trotz der Sorge, die in Lights Reaktion mitschwang, war Herr Yagami überrascht, wie direkt sein Sohn ihm antwortete. Entweder hatten die Erfahrungen und Erlebnisse seit dem Kira-Fall die Zurückhaltung Lights verringert, die er seinen Eltern eigentlich in geziemender Weise entgegenbringen sollte, oder der Inspektor hatte seinerseits so viel Zeit mit seinen Ermittlungen verbracht, dass ihm nicht aufgefallen war, wie sein eigener Sohn erwachsen wurde. „Ich weiß...“, lenkte Herr Yagami ein, setzte dann jedoch lauter hinzu: „Aber was auch immer die Leute denken, wenigstens die Yotsuba-Morde würden damit aufhören. Wie viele Menschenleben ich mit meinem eigenen retten könnte...“ „Vater! Was ist mit Mutter? Und mit Sayu?“ „Yagami-san...“ Der Angesprochene blickte zu L hinüber, welcher nachdenklich auf seinem Stuhl hockte und die Tasse Kaffee nach wie vor weder aus der Hand gestellt noch aus ihr getrunken hatte. „Könnten Sie bitte einen Monat warten?“ Light hörte schweigend zu, welchen Vorschlag L dem ehemaligen Inspektor unterbreitete, damit dieser nicht sofort mit seiner Geschichte im Fernsehen auftrat. Denn immerhin war es ihnen gelungen, die Morde einen Monat aufzuschieben. Das gewährte ihnen bis dahin die Möglichkeit, eine Lösung zu finden, ohne dass jemand zu solch radikalen und im Grunde nutzlosen Methoden greifen musste. Herr Yagami war noch nicht vollständig überzeugt und wandte sich deshalb ratsuchend an seinen Sohn. „Was meinst du, Light?“ Nach einem kurzen Zögern bekannte sich der junge Ermittler zu Ls Seite und sagte: „Es tut mir leid, Vater, aber ich muss Ryuzaki beipflichten. Wenn wir Kira nicht fassen, werden die Verbrechermorde nicht aufhören. Könnten wir alle sieben Mitglieder von Yotsuba hochgehen lassen, dann wäre es immerhin möglich, aber das funktioniert nicht auf die von dir vorgeschlagene Weise. Würdest du mit ihren Namen an die Öffentlichkeit gehen, gäbe es allenfalls Chaos. Außerdem setzt du damit das Leben derjenigen Konzernmitglieder aufs Spiel, die nur an den Konferenzen teilnehmen, weil sie Angst haben, von Kira getötet zu werden.“ Überrumpelt von Lights Argumentation fand Herr Yagami keine passenden Widerworte. Gleichsam war er erstaunt, beinahe bestürzt über den Abstand, der zwischen seiner eigenen Kompetenz und der seines Sohnes lag. Sie einigten sich darauf, Misa nicht weiterhin einer erhöhten Gefahr auszusetzen, dafür sollte Herr Yagami innerhalb eines Monats keine Preisgabe an die Öffentlichkeit starten. Als auf diese Weise die beiden Teams wieder zueinandergefunden hatten, kündigte sich auf den Bildschirmen die Rückkehr von Misa und Mogi an. Das blonde Mädchen schien voller Elan zu sein, sich nun im weiteren Verlauf, da sie als Werbestar bei Yotsuba angenommen worden war, näher mit den einzelnen Mitgliedern bekannt zu machen. Allerdings erklärte ihr Light sogleich, man sei von diesem gefährlichen Unterfangen abgekommen. „Wenn du das bestimmst, Light, mache ich es so“, meinte Misa einverstanden, nachdem sie ihre anfängliche Irritation überwunden hatte und sich anschließend verabschiedete, um früh zu Bett zu gehen. Erstaunt vernahm L, wie bereitwillig sich das Mädchen zum Stillhalten überreden ließ. Dieser Umstand erschien ihm durchaus suspekt, er sagte jedoch nichts dazu. „Wollen wir nicht zusammen schlafen, Light?“ Misa schaute noch einmal um den Rahmen der Tür und lächelte ihren selbst auserkorenen Geliebten verschmitzt an. „Du weißt, dass das nicht geht, Misa...“, wies Light sie schlicht, aber höflich ab. „Schon klar“, hörte man das Mädchen noch sagen, wobei sie schon aus dem Blickfeld entschwunden war, „das geht erst, wenn wir Kira haben. Du musst nicht rot werden, Light.“ „Du musst doch nicht rot werden, Light-kun“, wiederholte L die Aussage beiläufig, während er endlich die Kaffeetasse zum Trinken ansetzte. „Ich werde gar nicht rot.“ „Warum antwortest du denn so ernst, Light-kun...“ Der Jüngere machte eine wegwerfende Handbewegung, um anzudeuten, dass er sich von dem Scherz nicht ärgern ließ. Zuerst schien L es damit auf sich beruhen zu lassen, doch dann erkundigte er sich genauer: „Misa-san bleibt weiterhin hartnäckig. Offenbar gibt Light-kun ihr bis zu einem gewissen Grade nach. Was mag der Grund dafür sein?“ „Vielleicht Höflichkeit?“ Etwas, wovon du keinen Gebrauch machst, sagte Lights Blick. Er schaute zu den anderen Anwesenden hinüber und senkte die Stimme. „Ich will Misa nicht unnötig wehtun, zumal ich ihr bereits meinen Standpunkt mitgeteilt habe und sie also nur durch mein Verhalten enttäuschen kann. Schließlich mache ich ihr, bloß weil ich ihr ein Stück weit entgegenkomme, nicht gleich Hoffnungen.“ „Du meinst, du kannst dich wenigstens ein bisschen auf ihre Forderungen einlassen, weil dir dadurch ja kein Zacken aus der Krone bricht“, entgegnete L teilnahmslos. Bevor Light etwas erwidern konnte, fuhr der Andere bereits fort: „Warum ist dir ihre Meinung denn so wichtig? Wenn sie für dich nicht in Frage kommt, kann es dir doch egal sein, was sie über dich denkt. Vermutlich würde sie dich trotzdem lieben.“ „Bist du etwa immer noch beleidigt, dass ich Misa nicht für unsere Zwecke benutzen wollte? Mittlerweile hast du doch deinen Willen bekommen.“ „Eben nicht. Meinen Plan konntest du schließlich im Pakt mit deinem Vater wieder vereiteln.“ L verzog den Mund, sodass Light unwillkürlich schmunzeln musste. „Was ist es nur“, fragte der Meisterdetektiv plötzlich eindringlich und starrte seinen Ermittlungspartner unverwandt an, „was L und Amane Misa verbindet, wodurch Yagami Light sie in einem Punkt auf ähnliche Weise behandelt, ohne es selbst erklären zu können?“ Jegliche Farbe wich aus Lights Gesicht. Er wusste genau, was mit dieser Aussage gemeint war. Warum hatte er zu oft in letzter Zeit jemanden unter seine Gewalt gezwungen? War es Aggressivität oder kalte Berechnung oder bloß Menschlichkeit, die er unbewusst unterdrückte? Es kam ihm vor, als würde das Chaos in seinen Gedanken seinen Schädel bald zum Platzen bringen. „Ist dir aufgefallen“, fragte L weiter, „dass sich Misa-san vorhin merkwürdig verhalten hat?“ Übersättigt von Fragen, auf die offenbar keine Antworten erwartet wurden, verfiel Light in verschlossenes Schweigen. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen. L wirkte unbekümmert und desinteressiert, während sein junger Partner die Fülle der auf ihn eindringenden Emotionen zuließ und ihretwegen in eine fast ebenso gleichgültige Haltung abglitt. Nach einer langen Pause sagte Light monoton: „Sie ist unschuldig.“ L sah zu ihm hinüber, doch erwiderte sein Freund den Blick nicht, sondern schaute abwesend auf die leere Arbeitsfläche vor sich. „Auf ihre eigene Art“, meinte Light nachdenklich, „hat sich Misa ihre unschuldige Denkweise bewahrt. Der Grund, warum sie Kira unterstützt... weil sie noch immer an eine bessere Welt glaubt.“ „Es wird sie nicht geben“, entgegnete L ohne Zögern. „Es wird keine bessere Welt geben.“ „Meinst du denn, Ryuzaki, dass die Menschen, die an Kira glauben, größtenteils blind und bösartig sind?“, fragte Light und schaute dem Detektiv nun in die Augen. „Muss man erst all die Diskussionen über Moral, Wert und Würde des Menschen kennen, um sich ein Urteil darüber erlauben zu dürfen, was richtig ist? Wer glaubt denn wirklich an Kira, wer ist auf seiner Seite? Was sind das für Leute? Doch nicht diejenigen, die in der Öffentlichkeit wegschauen, wenn jemandem etwas passiert. Oder diejenigen, die bloß auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, oder etwa doch?“ Ernst neigte Light den Kopf und starrte in das künstliche Licht der flackernden Monitore, während er fortfuhr. „Schuld daran ist doch unsere Gesellschaft, die so viele Leute glauben lässt, die Lösung bestünde darin, die Ursache des Unglücks zu eliminieren. Dabei existiert diese Ursache gar nicht. Die Welt kann nicht auf irgendeine bestimmte Art und Weise sein, damit alles gut wird. Es geht um etwas ganz anderes. Um mehr sogar, um das Vermitteln von Hoffnung, wie es die Religionen versuchen, der Glaube an Gott, an Gerechtigkeit, an das Jenseits, damit den Menschen die Zuversicht gegeben werden kann, dass am Ende alles gut wird, dass eben doch jeder bekommt, was er verdient.“ L beobachtete aufmerksam das Mienenspiel des jungen Mannes, welcher nach einem tiefen Seufzen mit fast resignierender Stimme weitersprach. „Heutzutage gibt es so etwas kaum mehr, nicht wahr, Ryuzaki? Diese Hoffnung auf den nächsten Tag, fernab aller Klischees, die uns durch die Medien eingeflößt werden und uns weismachen wollen, worin das Glück unserer Gesellschaft besteht. Eine gute Ausbildung, ein guter Beruf, einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten, Ansehen, Geld, Besitztümer und dazwischen eine angemessene Portion Mitgefühl. Zu Weihnachten wird stets die Nächstenliebe gepredigt, aber was ist mit dem Rest des Jahres? Ist das nicht eigentlich Heuchelei, erst dann das Bedürfnis zum Helfen zu empfinden, obwohl die Menschen das ganze Jahr über Hilfe brauchen? Das ist nur Balsam für die Seele des reich und sorgenfrei geborenen Konsumenten im Industriestaat. Es geht heutzutage nicht mehr um das tägliche Überleben, sondern darum, ein Teil dieser Gesamtheit zu sein. Kann man wirklich an das Gute im Menschen glauben, daran, dass jeder den Frieden erreichen möchte?“ Light schaute hinab auf seine locker geballte Faust. Er erinnerte sich in diesem Augenblick daran, wie ihm einst jemand gesagt hatte, wenn er seine Hand fest schließen würde, besäße er rein gar nichts zwischen seinen Fingern. Aber mit ausgebreiteten Armen und weit geöffneten Handflächen könnte er die ganze Welt in Händen halten. „Ganz unabhängig von der Logik brauchen wir vielleicht etwas, das uns Halt gibt“, meinte er mit neuer Sicherheit in der Stimme. „Wenn wir sehen, dass Gesetze oft machtlos sind und dass das Leben am Ende einfach unfair bleibt, dann kann es eine große Rolle spielen, wenn...“ „Wenn plötzlich jemand wie Kira auftaucht und einem den Glauben zurückgibt“, ergänzte L ohne Sarkasmus. „Jemand, der einem sagt...“ „Es ist nicht egal, was man tut“, setzte Light den Gedanken fort. „Es gibt noch immer Gerechtigkeit.“ „Kira hat sich nicht selbst erschaffen.“ Diesen Schluss hatte Light schon einmal gezogen, doch waren ihm zu der Zeit nicht die Wichtigkeit und Konsequenz dieser Tatsachen bewusst gewesen. „Die Menschen haben ihn sich erschaffen, weil sie an etwas glauben wollen, das ihnen die Hoffnung zurückbringt. Darum muss man ihnen zeigen, dass dies trotz der guten Motive nicht der richtige Weg ist. Man muss ersetzen, was Kira in den Augen seiner Befürworter darstellt. Denn jeder braucht irgendein Licht, um in seiner eigenen Welt nicht zugrunde zu gehen.“ Kurz zuckte Ls gefesselte Hand in die Richtung seines Partners, als wollte er nach ihm greifen. Doch fügte der Meisterdetektiv dessen Worten lediglich hinzu: „Alle Menschen suchen nach derselben Sache, Light-kun.“ „Nach dem Glück, nicht wahr?“ „Was auch immer das sein mag“, bestätigte L, „nur etwas, wonach man strebt und das einen erfüllt. Ein blauer Vogel, dem wir nachjagen und der sich immer wieder als nicht echt herausstellt. Viele wissen nicht, was es sein könnte, wonach sie suchen...“ „Und manche fragen sich ihr Leben lang, warum sie nicht glücklich sind.“   Die Nacht hatte sich über die Großstadt gelegt und sie stiller werden lassen, selbst wenn sie niemals vollends schweigen konnte. Ähnlich wortkarg verhielt sich L den Rest des Abends. Es schien derweil, als würde er jeden Moment den Mund öffnen, um etwas zu sagen. Doch stattdessen schwebten tausend unausgesprochene Worte im Raum. Jetzt, da sich L zusammen mit Light in ihrem gemeinsamen Zimmer befand, erreichte dieser Eindruck seinen Höhepunkt. Light erkannte die Notwendigkeit, abwarten zu müssen, obwohl es ihm schwerfiel, den Älteren nicht zum Reden zwingen zu wollen. Eine Weile stand L unbeweglich mitten im Zimmer, bis er sich langsam regte und zu Light hinüberging, der seinerseits auf dem Bett Platz genommen hatte. „Man muss es ersetzen“, sagte L leise, als spräche er zu sich selbst. Halb im Schneidersitz ließ er sich neben seinem Partner nieder. „Man muss ersetzen, was Kira für die Menschen darstellt, hast du gemeint, Light-kun. Weil die Menschen etwas brauchen, an das sie glauben können.“ Kurz wandte sich L dem Anderen zu und fing mit seinen schwarzen Augen dessen Blick ein, scheinbar, um lediglich sicherzugehen, dass dieser ihm zuhörte, bevor er den Kopf wieder senkte. Dann hob er träge eine Hand und legte sie an Lights Oberarm, als sollte auch diese Geste Aufmerksamkeit erwirken. Überrascht betrachtete Light das nach vorn gerichtete Profil seines Freundes. „Ich weiß“, sprach L weiter, ohne die Hand von Lights Arm zu lösen, „du magst es nicht, wenn ich zu analytisch an alles herangehe. Doch so ist es nur dem Anschein nach. Ich lege es weder darauf an, weltfremd und abweisend aufgefasst zu werden, noch darauf, es anderen ständig recht zu machen. Das bedeutet nicht, dass ich kaltherzig bin.“ „Nein, das bist du nicht.“ Light nickte lächelnd. „Du bist kindisch, leicht reizbar, ehrgeizig und manchmal auf extreme Weise zu demotivieren. Außerdem besitzt du ein hohes Maß an Empathie. Man muss bei dir nur genauer hinschauen, um all das zu erkennen.“ „Ich möchte dir etwas erklären, Light-kun... zu deiner Aussage über die heutigen oder damaligen Verhältnisse in unserer Gesellschaft. Hierbei laufe ich Gefahr, mich wie so oft umständlicher Formulierungen zu bedienen, was ich gleich von Anfang an unterlassen würde, wenn ein anderer außer dir mein Gesprächspartner wäre.“ Seine nackten Zehen fingen an sich unruhig zu bewegen. Stumm gab Light ihm zu verstehen, dass er ungehindert fortfahren sollte. „Wer weiß schon, ob es damals anders war als heute. Sicherlich sind die Veränderungen größer und gefährlicher, aber hat denn auch die Menschheit sich verändert? Wie sehr haben wir im Griff, was wir erschufen? Oder hat nicht vielmehr die Welt uns in ihrer Gewalt? Die Natur des Menschen hat sich geändert, weil das menschliche Handeln die Natur verändert. Jeder Eingriff in die Welt veranlasst wiederum durch ihr Reagieren eine Anpassung zwischen Subjekt und Objekt. Keine Kalkulation kann vollständig den Fortschritt der Realität umfassen. Sobald wir schaffend auftreten und Änderungen herbeiführen, dürfen wir uns nicht einbilden, von den Auswirkungen verschont zu bleiben. Obwohl der Mensch die Macht hat, als Ursache aufzutreten, entgleitet ihm schnell die Kontrolle über die kumulative Wirksamkeit seines eigenen Verhaltens. Oftmals begnügt er sich damit, Augen und Ohren zu verschließen. Dabei bemerkt er nicht, dass er seine Hände nicht in Unschuld waschen kann, sondern allenfalls in Unwissenheit. Einen Ausweg hieraus gibt es nur, wenn man die Schuldfrage umformuliert. Dann trägt nicht derjenige die Verantwortung, der den Schaden verursacht hat, sondern derjenige, der zum Handeln befähigt ist. Verstehst du, was ich damit sagen will, Light-kun?“ L schaute dem jungen Mann ins Gesicht. Dieser wirkte sehr ernst, hatte mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem bitteren Zug um die Mundwinkel zugehört und geschwiegen. In seiner Mimik sah L jene erwartete Erkenntnis. Deshalb redete er weiter, ohne einer Antwort zu harren. „Kira ist eine arme, kranke Seele. Ein Mensch, der sich all dieser Dinge bewusst ist und eine radikale, einfache und doch komplizierte Lösung gefunden zu haben meint. Er fühlt sich verantwortlich und glaubt, dass er im Recht ist, darum wird er nicht aufhören und immer weitermachen. Von sich aus wird er sein Handeln niemals als Unrecht begreifen. Sollte er gewinnen, wird er irgendwann sich selbst verlieren. Wenn die Morde andauern, Light-kun... dann trägt nicht Kira die Schuld daran, sondern L. Weil er es zugelassen hat.“ Nach einer kurzen Pause wiederholte L leise: „Weil ich es zugelassen hätte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)