[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 19: Blind vor Sicht --------------------------- Blind vor Sicht Die aggressive Hitze, die vor wenigen Minuten noch durch Lights Körper zu wüten schien, hatte sich binnen kurzer Zeit in ebenso unangenehme Kälte verwandelt. Er hielt dem durchdringenden Blick des Meisterdetektivs stand, da Resignation und Zorn nach und nach die einzigen Quellen waren, aus denen sich Lights Sicherheit speiste. Was war geschehen? Warum erkannte er seine eigene Person, seine Gutmütigkeit und Selbstbeherrschung, nicht mehr in dem besitzergreifenden Wesen wieder, das er auf einmal geworden war? Mit fester Stimme richtete Light seine folgenden Worte an seinen Partner. „Es ist vermutlich völlig egal, was ich tue. Wenn du lange genug darüber nachdenkst, wird mein Verhalten immer irgendwie in das Bild passen, das du dir von mir als Kira gemacht hast.“ „Dafür gibt es in der Tat einige Erklärungsmöglichkeiten“, entgegnete L gleichmütig, „aber bei eingehender Betrachtung muss das alles in keiner Weise deiner Kalkulation Rechnung tragen. Wir haben schließlich bereits ermittelt, dass du dir jener Position aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bewusst bist.“ „Wir haben das ermittelt?“, fragte Light bitter. „Meine Mithilfe besteht für dich also in erster Linie darin, mich selbst als Fallstudie zu betrachten.“ „Ich habe nie etwas anderes behauptet.“ Anstatt sich erneut provozieren zu lassen, musterte Light seinen Partner eingehend. L machte mittlerweile den Eindruck, als sei er so gelassen und emotionslos wie immer. Es war noch nie leicht ersichtlich gewesen, ob L mit seinem Auftreten gezielt seine Umgebung zu täuschen versuchte oder ob er gar nicht in der Lage war, sich angemessen auszudrücken. Als Light jedoch seine Irritation und Aufgelöstheit beiseite schob und sich stattdessen ins Gedächtnis rief, wie der Andere auf seinen Übergriff reagiert hatte, gewann er mit der damit einhergehenden Erkenntnis auch ein Stück Zuversicht zurück. Ruhig, fast schon Ls Gelassenheit nachahmend, bemerkte Light: „Wenigstens habe ich mal für kurze Zeit gesehen, dass auch du nur ein Mensch bist.“ „Wenn du das so interpretieren möchtest, dann habe ich dir ebenso als Fallstudie gedient, nicht wahr?“ Light antwortete mit einem Schulterzucken: „Insofern deine Reaktion als Beweis dienen kann.“ „Und um das herauszufinden“, fragte L abschätzig, „greifst du zu solchen Mitteln?“ „Sollte das zutreffen, dann habe ich mir wohl einiges von dir abgeschaut. Zumindest in Hinblick auf die Radikalität deiner Methoden.“ Nachdenklich kaute L auf einem seiner Fingernägel herum. Das Schweigen half beiden Männern, sich wieder vollständig zu akklimatisieren, bis Light schließlich offenbarte: „Was viel eindeutiger ist, betrifft einen ganz anderen Beweis, Ryuzaki. Nämlich, dass ich gleichfalls nur ein Mensch bin.“ „Überraschenderweise“, fügte L trocken hinzu. „Vielleicht haben mich die bisherigen Ereignisse mehr mitgenommen, als ich dachte. Die ganzen Anschuldigungen gegen mich, die Inhaftierung, meine permanente Überwachung und der Umstand, dass ich keine Sekunde allein sein kann“, beendete Light seine erklärende Aufzählung. Während er gesprochen hatte, war L auf ihn zugekommen, um nach der Fessel an dessen Handgelenk zu greifen, wobei er sich verhielt, als sei er noch immer auf der Hut. Dieses Mal hinderte Light ihn nicht daran, die Handschellen zu lösen. Seine Vorsicht missachtend blieb L vor seinem Partner stehen und starrte ihm direkt ins Gesicht. „Dir sollte bewusst sein, Light-kun, indem du mich auf deine psychischen Belastungen hinweist, muss ich davon ausgehen, dass du womöglich doch von einem kalkulierten Handeln deinerseits ablenken willst.“ „Gilt das für dich nicht genauso?“, konterte Light sofort. „Du kannst mich mit menschlichem Verhalten täuschen. Aber damit kannst du nicht die Tatsache verschleiern, dass du dich gegen mich gleich von Anfang an zur Wehr hättest setzen können.“ „Selbstverständlich“, entgegnete L und verzog dabei sein Gesicht zu einem Lächeln, das merkwürdig, aber doch typisch für ihn war. „Und was sagt dir das über mein Motiv?“ „Dass du mich ausnutzt“, gab Light ohne Zögern zur Antwort und fügte dann nachdenklich hinzu: „Unabhängig von allen weiteren Beweggründen, die dahinter stehen, zeigt es mir, wie wenig dich die Mittel interessieren, wenn du ein Ziel erreichen willst. Ich bin noch immer dein Hauptverdächtiger. Du hast mir schon einmal gestanden, dass du jede Situation nutzt, die sich dir bietet, weil du sehen willst, was sich daraus ergibt.“ Ls Lächeln wurde breiter, während er gebannt lauschte und anschließend fragte: „Welche Schlussfolgerung soll ich in diesem Fall also ziehen können? Was erfahre ich?“ „Gar nichts“, sagte Light entschieden und schüttelte dabei entschuldigend den Kopf. „Zugegeben, es ist mir peinlich, dass ich dir keinen tieferen Sinn für meine Aktion nennen kann, weil ich ehrlich gesagt nur aus Trotz gehandelt habe. Ich würde dir gern eine zufriedenstellendere Antwort geben, aber Fakt ist, dass ich einfach nur wütend war. Es hatte nichts zu bedeuten. Zumindest nichts, worüber sich eine Diskussion während der Ermittlungen lohnen würde.“ Light erschrak ein wenig darüber, wie leicht es ihm fiel, glaubhaft zu lügen. „Deine Worte wirken entwaffnend“, stellte L fest. „Das passt zu deinem Charakter. Aber normalerweise offenbart man sich nur vorbehaltlos, wenn man jemanden dazu bewegen will, einen Angriff einzustellen, oder um ihn, womöglich sogar fälschlicherweise, in Sicherheit zu wiegen.“ „Übertreibst du nicht ein bisschen?“ Light verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte, stand allerdings der Situation mittlerweile ausgeglichen gegenüber. „Nicht jeder um dich herum ist dein Feind und versucht dich hinters Licht zu führen. Dir ist doch klar, dass du dich auch auf Andere verlassen können musst.“ „Light-kun...“ L legte den Kopf schief und einen Finger an die Lippen. „Du verwechselst Vertrauen mit Blindheit.“ „Und du bist durch deine Vorsicht schon fast blind für alles andere geworden, vielleicht sogar für dich selbst.“ Anstatt darauf einzugehen, zuckte L nur gleichgültig mit den Schultern. Er hatte bemerkt, dass Light seit seiner selbstgewählten Bloßstellung kurz zuvor das Thema beenden wollte. Es würde deshalb nichts Erhellendes mehr aus dem jungen Mann herauszubekommen sein. Das kam L sogar entgegen, weil er nicht gewillt war, noch weiter darüber zu diskutieren. In einvernehmlichem Schweigen zogen sich beide um, machten sich für die Nacht bereit und blickten einander kein einziges Mal in die Augen, bis das Licht gelöscht wurde. Aber die niemals schlafende Stadt Tokyo erhellte den Raum mit dem unnatürlichen Licht des ruhelosen Lebens draußen. Light schaute vom Bett aus auf die graugelben Schatten in der Dunkelheit, während er seine Gedanken zu ordnen versuchte und darüber nachsann, wie viel und gleichzeitig wenig Menschen einander mitteilen konnten. Es gibt Dinge, über die man besser nicht spricht, die man stumm versiegelt. Nicht aus Angst. Nicht, weil der Mut zum Sprechen fehlte. Manches Wort versteht man erst, wenn man es von den eigenen Lippen gehört hat. Solange es im Inneren verschlossen bleibt, besitzt es keine Gegenwart, keine Wirklichkeit. Erwachsene schweigen oft über Dinge, die zwischen ihnen stehen, weil sie sich ihrer bewusst sind. Das ist keine Ignoranz. Worte können manchmal nichts ändern, sie können nur verletzen und schmerzen und täuschen. Dagegen legt sich das Schweigen wie ein zwar trauriger, aber doch beruhigender Schleier über die Wahrheit. Das ist der Grund für jedes stumme und falsche Lächeln. Light wusste, dass Reden sinnlos war, solange die Gespräche mit L ein Schlagabtausch blieben. Doch die Fragen in seinem Kopf verstummten nicht. Leise richtete er sich auf und sah zu L hinüber, der reglos und mit dem Gesicht zur Decke gewandt neben ihm lag. „Wie viele Lügen würdest du zulassen?“, hörte Light sich flüstern, als L auf ihn aufmerksam geworden war. „Wie viel würdest du zulassen, Ryuzaki? Wie sehr würdest du dich selbst missachten? Wie weit würdest du gehen?“ Deutlich waren Ls schwarze Pupillen in dem blassen Gesicht zu erkennen. Light registrierte seine eigene sich hebende Hand in der Dunkelheit, wollte sie zurückhalten, wollte verhindern, dass sie das Haar des Detektivs berührte oder dessen ausdrucksloses Mienenspiel nachzeichnete. Light entglitt die Kontrolle über seinen Körper, im Schutz des schwachen Lichtes. Was tust du da? Im Schutz des schwachen Lichtes spürte er, dass er sich hinabbeugte. Es ist doch sowieso nicht von Belang. Dass er sich zu seinem Partner hinabbeugte, um ihm jede Flucht zu nehmen. Hör auf damit! Jede Flucht zu nehmen und ein Stück Menschlichkeit zu finden. Warum? Um ein Stück Menschlichkeit auf Ls Lippen zu finden. „Wie viel wärst du bereit zu verlieren, um zu gewinnen?“ Abrupt und mit rasendem Herzschlag schreckte Light aus leichtem Schlaf hoch und kam langsam wieder zu sich. Er beruhigte seinen Atem, während er mit schweißnassen Händen über seine Stirn fuhr. Leise richtete er sich auf und sah zu L hinüber, der reglos und mit dem Gesicht zur Decke gewandt neben ihm lag. „Ich schätze, sie merken selbst, wie ernst es langsam wird.“ Aiber setzte ein amüsiertes Lächeln auf und schob nonchalant eine Hand in die Tasche seiner Bügelfaltenhose. „Sonst hätten mich die Herren von Yotsuba nicht so eilig ins Boot geholt. Sie denken vermutlich, indem sie mich involvieren, würde ich mich ebenso belasten. Dabei hegen sie keinerlei Verdacht gegen mich. Ihre einzige Sorge, wenn überhaupt, gilt im Moment nur der Authentizität von Yoshida Productions. Es wird ein Leichtes sein, sie mit unserer kleinen Inszenierung in die Irre zu führen.“ „Ich bin froh, das von Ihnen zu hören“, gab L zurück, während er sich auf einen Teller voller Sata Andagi konzentrierte. In jeder Hand ein Essstäbchen beschäftigte er sich damit, die Pfannkuchenbällchen umständlich in ihre Einzelteile zu zerlegen. „Mir ist wichtig, noch einmal zu betonen“, mischte sich Herr Yagami ein, „dass ich mit dem jetzigen Vorgehen nicht einverstanden bin. Zwar habe ich noch keine Alternative für die Ermittlung gefunden, aber es scheint mir nicht richtig zu sein, dass wir trotz unseres derzeitigen Wissensstands in Kauf nehmen, dass Kira weiter mordet, auch wenn es sich dabei um Verbrecher und nicht um Unschuldige handelt. Falls wir jetzt eingreifen, könnten wir das vielleicht verhindern! Ist das nicht eigentlich unsere Pflicht?“ „Es steht außer Frage, dass ich Sie für dieses Pflichtbewusstsein achte, Yagami-san.“ L spießte einen Pfannkuchen mit dem Essstäbchen auf und starrte ihn an. „Aber im Gegensatz zu Ihnen kann ich nicht meine logischen Fähigkeiten hintergehen und mir vormachen, dass ein sofortiger Zugriff die beste Lösung wäre. Auf diesem Weg würden wir es nicht schaffen, Kira festzunehmen. Weitere Menschen müssten sterben, wahrscheinlich sogar viel mehr, als wenn wir jetzt ein paar Opfer zulassen.“ „Das ist doch völlig kalkuliertes Denken!“, entgegnete Herr Yagami aufgebracht. „Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“ „Aus diesem Grund arbeiten wir ja auch in unterschiedlichen Teams.“ Vorsichtig schob L mit dem zweiten Essstäbchen den Teigball vom ersten herunter, ohne dabei ein weiteres Loch hineinzubohren. „Sie müssen sich nicht mit etwas belasten, das in meiner Verantwortlichkeit liegt.“ Der Detektiv nahm die beiden Stäbchen unerwartet geschickt in die rechte Hand und beförderte mit schnellen Bewegungen die zerlegten Stücke der Sata Andagi in seinen Mund. Herr Yagami warf einen Blick zu seinem Sohn, der schon geraume Zeit reglos neben L auf einem Stuhl gesessen hatte, eine Tasse Kaffee festhaltend und mit einem Ausdruck im Gesicht, der nichts über seine Gedanken verriet. Seufzend wandte sich der ehemalige Polizeichef ab. Auch wenn sich Light einer weiteren Diskussion fernhielt, verstand er die Zweifel seines Vaters sehr gut. Niemand konnte leugnen, unter welchen Gesichtspunkten die Sonderkommission häufig arbeitete: indem Menschenleben verrechnet wurden, als wären es nur bedeutungslose Zahlen. Aber Light war zugleich bewusst, dass sie eingeschränkt vom engen Rahmen ihrer Moralvorstellungen nicht vorankommen konnten, sobald sie sich in einer Situation wie der jetzigen befanden. Nur L war in der Lage, auf diese fast kaltblütige Weise zu agieren. Darum konnte im Moment auch nur L ein Gegner für Kira sein. Light beobachtete den Detektiv dabei, wie er seinen leeren Teller beiseite schob und stattdessen den Verschluss zweier großer, bunt gefüllter Bonbongläser abschraubte, die vor ein paar Minuten noch nicht dort gestanden hatten und von denen Light nicht wusste, woher sie stammten. Mit Hilfe der Essstäbchen holte L einen roten Bonbon aus dem einen Glas und warf ihn in das andere. Im Gegenzug wanderte ein grüner Bonbon von dort zurück in das erste Glas. Konnte wirklich nur L ein Gegner für Kira sein? Light merkte, dass er diese Frage aufgrund ihrer Unsinnigkeit stets unterdrückte. Es war lächerlich, sich darüber Gedanken zu machen, schließlich hatte er als jüngstes Teammitglied bereits bewiesen, wie wichtig seine Mitarbeit war. Allerdings erinnerte sich Light zugleich daran, warum er vor seiner Inhaftierung überhaupt erst mit eigenen Ermittlungen begonnen hatte, denn die Motive dafür wiesen so viele Facetten auf wie sein Standpunkt zu der jetzigen Partnerschaft. Kiras Widerpart trug nun einmal den Namen L und nicht Light. Mittlerweile füllte sich das linke Glas zunehmend mit gelben und grünen Bonbons, wohingegen im rechten Glas die Anzahl an roten und orangefarbenen Süßigkeiten stieg. Einige Male schloss L die Gläser wieder und schüttelte sie, um die unteren Bonbons mit den Stäbchen besser zu erreichen. Light hob den Blick und ließ ihn kurz durch den Raum schweifen, um festzustellen, dass niemand der noch Anwesenden die Aufmerksamkeit auf die beiden jungen Männer richtete, bevor er zu dem Detektiv leise sagte: „Du versuchst es mir leicht zu machen, nicht wahr?“ L schaute nicht zu ihm auf, während er weiterhin die Bonbons nach Farben sortierte und mit tonloser Stimme wissen wollte: „Was meinst du, Light-kun?“ „Das weißt du ganz genau, Ryuzaki. Deine Erpressung. Du zwingst mich, in deinem Team mitzuarbeiten, weil ich Misa gegenüber eine Verantwortung trage. Ich habe zwar gestern gesagt, das wäre hinterhältig von dir, aber ich muss zugeben, dass es kaum einen anderen Weg gibt. Allein hätte ich mich nie für diesen Plan entschieden.“ Nachdenklich starrte Light in das Schwarz seiner Kaffeetasse und die darin reflektierten Neonröhren, die in der Flüssigkeit wie verzerrte Irrlichter wirkten. „Du behandelst mich wie meinen Vater. Er wird von dir in ein anderes Team abgeschoben und auf mich übst du Druck aus, sodass ich gar nicht anders kann, als deinem Plan zu folgen. Doch in beiden Fällen verschaffst du uns damit eine Entschuldigung.“ „Soll das ein Vorwurf sein?“ „Nein“, antwortete Light sofort und legte dabei umsichtig eine Hand an Ls Arm, da der Detektiv ihn nach wie vor nicht ansehen wollte. Nun endlich wandte dieser sich dem Jüngeren zu. Light wollte verhindern, dass er durch zu langes Überlegen wieder nur inkonsequent schwieg, und fuhr deshalb gleich mit Nachdruck fort: „Ganz im Gegenteil. Du gibst uns mit deinem dem Anschein nach egoistischen Vorgehen schließlich die Möglichkeit, nicht willentlich gegen unsere Moral verstoßen zu müssen. Immer, wenn ich genug Zeit habe, mir deine Handlungsweisen durch den Kopf gehen zu lassen, Ryuzaki, dann merke ich schnell, dass du ständig die Schuld auf dich nimmst. Sobald mir das auffällt, kommt es mir dumm vor, dir Vorhaltungen gemacht zu haben, und ich wünschte, du würdest deine eigene Person nicht so nachlässig benutzen, ohne auf dich Acht zu geben.“ „Pass auf, dass du mich nicht idealisierst“, warnte L kühl. „Ich glaube, du solltest besser aufpassen, dich nicht selbst so unvorsichtig ins Feld zu führen. Sonst kommt man noch auf die Idee, deine Grenzen auszutesten.“ „Ist das eine Drohung?“ Seinen Griff lösend schüttelte Light den Kopf und meinte: „Du weißt, dass ich dir das als Freund sage.“ Einen langen Moment starrte L in die Augen des Anderen und schien ihn zwingen zu wollen, den Blick zu senken. Doch Light wartete ruhig ab, bis L schließlich eines der Bonbongläser zu sich heranzog, mit den Stäbchen einen gelben Bonbon hervorholte und ihn vor den Jüngeren auf den Tisch legte. Während dieser Prozedur sprach L in gelassenem Tonfall: „Ein echter Spieler spielt nicht in erster Linie für den Gewinn, sondern für das Spiel. Ein Schachbrett beispielsweise ist wie ein Schlachtfeld. Der Spieler weiß, welche Figuren er beschützen und welche er opfern muss. Der unbedeutende Bauer versteht nichts vom Ziel des Krieges. Er denkt sogar, der König habe die Kontrolle über den Kampf. Aber ist es wirklich der König, der lenkt und entscheidet?“ Light betrachtete den Bonbon, der ihm von L offenbar geschenkt worden war. Er umfasste weiterhin reglos seine Kaffeetasse, während er nicht auf die gestellte rhetorische Frage einging, sondern lediglich zuhörte. „Der König ist nur der Beweis dafür, wer gewinnt und wer verliert. Obwohl seine Handlungen derart eingeschränkt sind, hat er doch eine essenzielle Aufgabe im Spiel: er dient als Köder. Auf ihn richten sich alle Angriffe. Weil mit dem König alles steigt und fällt, ist er die Darstellung des Spielers auf dem Schlachtfeld, welcher sich quasi selbst ohne Rücksicht benutzt. Wird der König gestürzt, bedeutet das nur eine Niederlage unter vielen. Es werden neue Spiele kommen und neue Spieler. Der einzelne Sieg hat darunter keine Bedeutung. Solange es Menschen gibt, werden immer Kriege geführt.“ Nach langem Schweigen hob Light abwesend seine Tasse an die Lippen. Doch der Kaffee war längst kalt geworden. Aus diesem Grund nahm der junge Ermittler die gelbe Süßigkeit vom Tisch und schob sie sich in den Mund, um den bitteren Geschmack zu überdecken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)