[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 18: Erbe und Beweis --------------------------- Erbe und Beweis „Alle anwesend?“, fragte Namikawa Reiji und blickte in die Runde. „Dann eröffne ich hiermit die Konferenz.“ Die Ermittler der Sonderkommission standen vor dem zentralen Überwachungsbildschirm und besaßen vollständigen Einblick auf den Konferenzraum der Yotsuba Group, deren Mitglieder sich zu der freitäglichen Sitzung zusammengefunden hatten. Anstatt acht waren es nur noch sieben Männer; einen von ihnen hatte Kira vermutlich zum Schweigen gebracht. Mit Wedys Hilfe war der Raum komplett audiovisuell verkabelt. Laut Matsuda sollte nun in einer Absprache über die geplanten Morde entschieden werden. Der ehemalige Polizist ließ es sich indes nicht nehmen, erstaunt einzuwerfen: „Ohne mich wären wir nie hinter diese Geheimkonferenzen gekommen.“ „Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln“, entgegnete L sarkastisch, woraufhin Matsuda konsterniert schwieg. Gebannt verfolgten die Ermittler, wie die Führungskräfte von Yotsuba über den Bericht sprachen, den ihnen der gefälschte Erald Coil hatte zukommen lassen. Bedauerlicherweise offenbarte sich darin, dass der Detektiv mehr über die Belange der Firma und ihre Verbindung zu Kira herausgefunden zu haben schien, als dass er Informationen zu L liefern konnte. Diese Tatsache verdeutlichte den Abteilungsleitern die Dringlichkeit, ihr Vorgehen subtiler gestalten zu müssen. Die Morde sollten fortan in größeren und unregelmäßigeren Abständen vollzogen werden. Nachdem dieses Problem besprochen worden war, gingen die Männer zum nächsten Tagesordnungspunkt über. „Wen sollen wir töten?“ Völlig ungerührt stellte Ooi Takeshi die Frage in den Raum, was Light und seinem Vater vor dem Bildschirm den Atem stocken ließ. Sofort gingen die restlichen Abteilungsleiter darauf ein und diskutierten über lukrative Vorschläge zur Ermordung ihrer Konkurrenz. „Gut, dann werden die betreffenden Personen einen Unfall erleiden“, verkündete Ooi im Geschäftston und fügte fragend hinzu: „Einverstanden?“ „Keine Einwände“, antworteten die anderen einstimmig. „W...was?“, rief Light schockiert. „Das beschließen sie so einfach?“ Auch seinem Vater stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Alles deutete bis zum letzten Detail darauf hin, dass die Sonderkommission mit jeglichen Annahmen im Verdacht gegen Yotsuba richtig gelegen hatte. Doch erinnerte L sie nun daran, wie aussichtslos eine Verurteilung zum jetzigen Zeitpunkt sein würde. „Leider“, begann der Detektiv und löffelte dabei gelangweilt sein Anmitsu, eine Art Gelee mit süßen Bohnen und Sirup, gekrönt von einer Kirsche, „besteht erst dann kein Zweifel mehr, sobald die eben genannten Personen sterben. Wenn wir die Observation bis zu diesem Punkt fortsetzen und alles Gesagte mit den Tatsachen in Einklang bringen, können wir Kira fassen.“ „Ryuzaki!“, riefen Light und Herr Yagami wie aus einem Mund. „Du kannst Kira nicht stellen, indem du ihn weiter morden lässt.“ L hatte nicht behauptet, dass er etwas Derartiges vorhatte, doch bei der momentanen Beweislage konnte eine Überführung unmöglich durchgesetzt werden. Sie mussten sich etwas einfallen lassen. „Die Menschen, die dieses Mal umgebracht werden sollen“, drang Light weiter auf ihn ein, „sind nicht einmal Verbrecher, sondern völlig unschuldige Menschen. Wir können kein Unwissen vorschützen, um Yotsuba aufzuhalten.“ „Du fändest...“, fragte L langsam, „es also in Ordnung, sie umbringen zu lassen, wenn es Verbrecher wären?“ „Das habe ich nicht gesagt. Verdreh meine Worte nicht!“ „Schon gut“, räumte L missmutig ein. „Wichtiger als die Zuordnung, wer sich hinter Kira verbirgt, sind natürlich die Menschenleben. Das ist doch selbstverständlich.“ Trotz dieses Zugeständnisses bettete L frustriert den Kopf auf seine angezogenen Knie und starrte grübelnd geradeaus. Light schaute nachdenklich zu seinem Partner hinüber. Gab es denn keine Möglichkeit, die Ermittlungen voranzutreiben und zugleich niemanden dafür zu opfern? Eine szenenartige Erinnerung flackerte durch Lights Gedanken. Die Aufnahmefeier der Universität. Seine erste Begegnung mit diesem merkwürdigen Mann mit der wirren schwarzen Mähne und dem eindringlichem Blick, der in der Prüfung die gleichen Leistungen gebracht hatte wie er selbst. Dem jungen Studenten fielen die ersten Worte ein, die L zu ihm gesprochen hatte. Jene Offenbarung, dass Light es mit dem besten Detektiv der Welt zu tun hatte. In diesem Moment fiel es ihm ein. „Ryuzaki“, sagte Light mit einem ernsten Blick auf den Bildschirm, „ich leihe mir mal dein L aus.“ „Fabelhafte Leistung, Light-kun“, lobte der Detektiv seinen jungen Kollegen. Light hatte es durch ein Telefongespräch mit Namikawa geschafft, die weiteren Morde Yotsubas aufzuschieben, indem er sich als L ausgegeben und den Abteilungsleiter unter Druck gesetzt hatte. „Dein Vorgehen ist fast identisch mit meinem. Ich hätte ganz ähnlich gehandelt, aber du bist einfach schneller darauf gekommen“, gab L ungeniert zu. „Eventuell könntest du, wenn ich sterben sollte, meinen Namen und somit meine Stelle übernehmen.“ „Beschwör nicht solche düsteren Vorzeichen!“, wies Light entschieden ab. „Aber du warst es doch auch, der zuerst auf Yotsuba kam, nicht wahr? Du bist wahrscheinlich wirklich besser als ich.“ Die Gleichgültigkeit, mit der L diese These aufstellte, irritierte Light, da der Detektiv normalerweise genügend Selbstvertrauen in Bezug auf seine eigenen Fähigkeiten an den Tag legte. In Gedanken versunken fügte L hinzu: „Ich nehme an, Yagami Light könnte das tun...“ „Was meinst du?“, unterbrach ihn Light fragend. „Dein Nachfolger werden?“ „Nein, darüber habe ich gerade nicht nachgedacht, aber wenn wir schon dabei sind, würdest du es denn tun?“ Aus dem Augenwinkel schaute L in Lights Richtung. „Wenn ich sterben sollte, würdest du dann mein Nachfolger werden?“ „Was sagst du da, Ryuzaki?!“ Ungläubig schüttelte Light den Kopf und hob den Arm mit der Handschelle, an deren Gewicht er sich längst gewöhnt hatte, sodass er sie mittlerweile oftmals vergaß. „Solange wir aneinander gekettet sind, werden wir doch ohnehin zusammen sterben.“ Noch während Light es aussprach und hierbei seine Aufmerksamkeit auf den ihm zugewandten Rücken des anderen Mannes geheftet hatte, begann er plötzlich zu begreifen. Kraftlos sanken seine Arme hinab, doch nicht Resignation breitete sich in seinem Inneren aus, sondern lediglich Kälte, der er nur mit Analytik zu begegnen wusste. „Ich verstehe...“, setzte Light langsam an. „Es tut mir leid, Ryuzaki, aber ich werde jetzt allen hier sagen, was genau du gerade denkst.“ In den letzten Minuten waren die restlichen Ermittler still geworden, da niemandem die bedrückende Stimmung entgangen war. Mogi redete ohnehin nie viel, aber selbst Matsuda hielt sich angespannt zurück und lauschte Lights Erklärung. „Falls ich Kira bin, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten; entweder bin ich mir darüber im Klaren und spiele euch das alles nur vor oder ich habe sowohl meine Macht als auch mein Bewusstsein von Kira weitergegeben. Sollte der erste Fall zutreffen, Ryuzaki, dann kannst du mir niemals diese Handschellen abnehmen. Du könntest mich niemals freilassen. Doch selbst wenn der zweite Fall zuträfe und ich nicht bewusst Kira wäre, würdest du vermutlich genauso handeln. Du wirst mich trotzdem festhalten, weil du der Meinung bist, dass ich irgendwie einen Weg gefunden haben muss, wie diese Kraft wieder zu mir zurückkehren kann. Das bedeutet, du gehst überhaupt nicht davon aus, dass ich manipuliert wurde. Mehr noch, deines Erachtens habe ich diese Macht abgegeben, um vorsätzlich meine Unschuld zu beweisen und anschließend ein mächtiges Erbe antreten zu können.“ Light war sich seiner Worte so sicher, dass völlige Ruhe ihn zu beherrschen schien, als wäre ein Stillstand eingetreten. Er merkte nicht einmal, dass er mit seinen abschließenden Worten auf eine Weise sprach, wie es normalerweise nur L tat. „Yagami Light wird erneut zu Kira werden, nachdem er die Position von L eingenommen hat. Mit meinen Fähigkeiten könnte... nein, würde ich das tun. Das ist es, was Ryuzaki denkt.“ „Korrekt“, antwortete L scheinbar ungerührt. Innerlich war er jedoch fasziniert davon, wie unglaublich präzise Light seine Gedanken zu lesen vermochte. „Zumindest dürfte dir diese Offenlegung bewiesen haben, dass ich niemandem etwas vorspiele.“ „In der Tat“, bestätigte L, „Kira würde einen solchen Plan nicht erläutern, wenn er ihn bewusst umzusetzen gedenkt.“ „Was für dich wiederum nur heißen kann“, folgerte Light bitter, „dass der zweite Fall zutrifft und ich mein Gedächtnis verloren habe.“ „Ja, eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.“ Sofort griff Light nach Ls Schulter und drehte ihn auf dem Stuhl zu sich herum. Mit beiden Händen hielt er ihn fest, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. „Ryuzaki, denkst du denn wirklich, nachdem wir den jetzigen Kira gefangen haben... ich würde zu Kira werden, zu einem Mörder? Siehst du wirklich so einen Menschen vor dir?“ Mit weit geöffneten Augen erwiderte L den Blick. Er spürte den Druck von Lights Händen auf seinen Schultern. Was er vor sich sah, war ein ehrgeiziger und gutmütiger junger Mann, der L im Denken so sehr glich wie noch nie ein Mensch zuvor. Mit absoluter Sicherheit antwortete der Detektiv: „Ja, das denke ich und genau das sehe ich in dir.“ Light rieb über seinen Wangenknochen, der noch immer von dem Tritt schmerzte, den er von L einkassiert hatte. Bei jenem war allerdings anhand einer leichten Rötung ebenfalls zu erkennen, wo er einen Schlag von Light hatte einstecken müssen. Es lief immer auf dasselbe hinaus, sobald die beiden Männer es nicht mehr schafften, ihre Konflikte verbal zu lösen. Natürlich konnte in Wirklichkeit gar nichts damit gelöst werden, aber Light merkte stets, dass er anders nicht mit den zurückgehaltenen Emotionen, der Wut und Hilflosigkeit, umgehen konnte. L ließ sich davon zwar weniger beeindrucken, dennoch glaubte Light, dass diesem die körperlichen Auseinandersetzungen gleichfalls ganz recht waren. Nun, da die Nacht hereingebrochen war, kehrten all die Gedanken und Erinnerungen zurück, die zuvor von den Ermittlungen verdrängt worden waren. Während Light in ihren Privaträumen vor der Fensterfront stand, dachte er an die vergangenen Geschehnisse. Was war eine Freundschaft schon wert, wenn mit jedem Schritt, der die Distanz zwischen zwei Menschen verringern sollte, nur weitere Barrieren erschaffen wurden? Im Grunde genommen war das doch alles sinnlos. Eine Hand streifte über Lights Arm und griff mit kalten Fingern nach seinem Handgelenk. Bevor L, der von hinten an ihn herangetreten war, die Fesseln lösen konnte, entzog der Andere sich ihm. Noch immer schaute Light hinaus in die Dunkelheit, doch spürte er jetzt auch den Blick des Meisterdetektivs auf sich lasten. „War das, was ich heute sagte, etwa eine Überraschung für dich?“, fragte L mit monotoner Stimme. Light wandte sich ihm weder zu noch gab er ihm eine Antwort. „Die Handschellen sind der beste Beweis für meinen Verdacht gegen dich. Darüber habe ich dich nie belogen, Light-kun. Schon von Anfang an nicht. Warum regst du dich also jedes Mal so sehr darüber auf?“ Seufzend senkte Light den Kopf. Er verstand selbst nicht, warum er hin- und hergerissen war zwischen dem Widerwillen gegen diese Anschuldigung und dem Wissen über die damit einhergehende Folge, womit er erst durch jenen Verdacht für L von Bedeutung geworden war. Beiden Männern war nicht bewusst, dass sie sich sogar in Bezug auf diesen Zwiespalt ähnelten. „Was verlangst du eigentlich von mir?“, fragte L leise. „Es geht nicht darum, dass du mich für Kira hältst“, erwiderte Light und fuhr sich dabei nervös durch das braune Haar. „Ich will einfach nur...“ Dass du mir vertraust, beendete er den Satz gedanklich, schreckte jedoch wie so oft davor zurück, seine Worte auszusprechen. L wartete noch eine Weile, in welcher er sich gleichgültig am Kopf kratzte und dann die Hände in die Hosentaschen schob. Schließlich meinte er in kühlem Tonfall: „Ich kann dir sagen, warum es dich so fertigmacht.“ Irritiert wandte Light sich ihm zu und begegnete den schwarzen, leeren Augen seines Partners, der sogleich ungerührt fortfuhr. „Du hast Angst, Light-kun. Und du zweifelst, weil du im Grunde weißt, dass ich Recht habe.“ Verächtlich stieß Light die Luft zwischen seinen Zähnen aus und schüttelte abwehrend den Kopf. „Glaubst du wirklich, dass ich wieder zu Kira werden könnte, als wäre nie etwas gewesen?“ „Angst und Stolz sind eine gefährliche Mischung, darum wehrst du dich so sehr“, entgegnete L achselzuckend. „Ich weiß es, ich bin nicht Kira!“, setzte Light aufgebracht dagegen, obwohl er wusste, wie grundlos eine solche Behauptung war. Er schaffte es nicht, seine nächsten Worte zurückzuhalten. „Und selbst wenn es so wäre, es würde sich nichts ändern, verdammt!“ „Nichts ändern?“ In Ls Stimme lagen auf einmal Wut und Unverständnis, als würde er seinen eigenen Ohren nicht trauen. „Du meinst allen Ernstes, es würde sich nichts ändern, wenn du Kira wärst? Mach dich nicht lächerlich.“ Trotz seines Zorns hatte Light die Kontrolle über sein Handeln noch nicht verloren und versuchte deshalb, die Situation vor einer Eskalation zu bewahren, bevor es wieder zu einem Gewaltausbruch kommen konnte. Es musste einen Weg geben, um an L heranzukommen. Beschwichtigend legte Light beide Hände auf die Schultern seines Ermittlungspartners, wie er es schon ein paar Stunden zuvor getan hatte. Diesmal fasste er allerdings fester zu, als er es eigentlich wollte, und sagte mit Nachdruck: „Versteh doch, selbst wenn ich Kira wäre, würde ich wohl ähnlich über dich denken. Auch wenn ich Kira wäre, wärst du schon längst auf welche Weise auch immer wichtig für mich geworden. Ich könnte dich nicht einfach übergehen, als ginge es nur um Sieg oder Niederlage. Ob Freund oder Feind, ganz gleich, du spielst eine zu entscheidende Rolle in meinem Leben. Warum glaubst du mir das nicht?“ „Das ist nicht dein Ernst.“ Abrupt machte sich L von ihm los. Was Light sagte, ergab keinen Sinn. Konnte er nicht begreifen, dass es um viel mehr ging? Dass sich das ganze Problem unmöglich lösen ließ? Da L nicht verstand, was sein Freund damit bezweckte, da er sich auf frustrierende Weise ja selbst nicht verstand, nahm seine Wut beständig zu. Mehrfach stieß er Light mit der flachen Hand vor die Brust, während er verärgert entgegensetzte: „Wie soll ich dir denn glauben, wie soll ich dir vertrauen? Schließlich könntest du mir das alles vorspielen, um mein Vertrauen zu gewinnen, mich unvorsichtig zu machen, mir vielleicht meinen Namen zu entlocken. Du kannst mir nicht erzählen, dass du dir über diese Möglichkeiten nicht im Klaren bist. Entweder vergisst du völlig, logisch zu denken, oder es ist wiederum nur Taktik.“ „Logisch denken?“ Light entkam ein freudloses Lachen. Eigentlich war ihm ohnehin bewusst, dass L nicht mit sich reden lassen würde. Doch genauso, wie die Wut des Meisterdetektivs dessen sonstige teilnahmslose Haltung verdrängt hatte, so steigerte sich in Light das Gefühl der Machtlosigkeit und ließ damit jede Art von kalter Analytik in den Hintergrund treten. Er hatte sich nicht zur Wehr gesetzt und war von L, der nun dicht vor ihm stand, zurückgedrängt worden. „Hörst du dir überhaupt mal selbst zu, Ryuzaki? Ich habe versucht, mir einzureden, du könntest einfach nicht anders, aber langsam kotzt mich dein distanziertes Verhalten echt an! Funktioniert bei dir alles nur mit Logik, niemals anders?“ In Lights wütende Stimme hatte sich ein milder Unterton gemischt, der jedoch hinter der kaum zurückgehaltenen Eindringlichkeit seiner Worte fast verschwand. Als Light kurzentschlossen eine Hand auf Ls Brustkorb legte und dessen unkontrollierten Herzschlag unter seinen Fingerspitzen spüren konnte, wagte er schließlich zu sagen: „Vertrau mir doch einfach. Das ist alles, was ich will.“ „Finde dich damit ab, dass das nicht möglich ist“, erwiderte L gleichgültig. „Ich mag dich, das stimmt“, sprach er die nächste Tatsache aus, als wäre es nur eine kühle Betrachtung, die keinerlei Emotionen benötigte. Während er seine Ausführungen fortsetzte, wurde er wieder zunehmend lauter und ungehaltener. „Aber diese Aussage muss dir vorerst reichen. Denn das ist nichts, was die Ermittlungen zu sehr behindert.“ „Was die Ermittlungen behindert?! Mehr gibt es für dich wohl nicht?“, setzte Light aufgebracht dagegen. „Ist das alles, was du in menschlichen Gefühlen und Vertrauen sehen kannst? Ein Hindernis für die Ermittlungen, eine Unzulänglichkeit des Menschen, nur eine bedeutungslose und erbärmliche Schwäche?!“ L wollte diese ganzen Unsinnigkeiten nicht hören und stieß den Jüngeren wiederum von sich. „Du hast es erfasst, Light. In meiner Position kann ich mir keine Schwächen erlauben, dafür steht zu viel auf dem Spiel. Es darf keine Rolle spielen, was ich für dich empfinde. Solange wir Kira nicht zweifelsfrei gefangen haben, gibt es keine Gewissheit für mich, dass ich dir vertrauen kann. Wie willst du mir auch einen Beweis für so etwas Schwammiges wie deine Zuneigung zu mir liefern? Sag mir das! Wie willst du mir das beweisen, wenn du...“ Weiter kam L nicht, denn in diesem Moment verlor Light die Geduld. Er packte L am Kragen, zog ihn zu sich und küsste ihn, noch bevor er sich über sein eigenes Tun richtig im Klaren war. Für einen kurzen Augenblick schmeckte Light etwas Süßes auf den unerwartet weichen Lippen seines Partners. Doch nachdem L seine Überraschung überwunden hatte, drückte er Light von sich. „Was tust du da?“, fragte er misstrauisch. Da Light keine Antwort darauf hatte, stieß er L kurzerhand gegen die Wand in dessen Rücken und meinte bitter: „Es ist doch sowieso nicht von Belang.“ Ohne darüber nachzudenken, hob er Ls Kinn an und zwang ihm einen erneuten Kuss auf. Dieses Mal fuhr Light mit seiner Zunge über dessen Unterlippe, doch der Andere ließ den Mund resolut geschlossen. Währenddessen ignorierte Light die Hände, die sich gegen seine Schultern drückten. „Du kannst ni...“ Light nutzte die Gelegenheit, in der L seine Lippen zum Protest geöffnet hatte, und drang mit der Zunge in dessen Mund ein. Es war kein sanfter Kuss. Er schmeckte eher nach Verzweiflung. Da sich für L noch kein logisches Konzept für die Gesamtsituation ergab, ließ er sich vorerst darauf ein, wenn auch zurückhaltend. Seine vormals abwehrenden Hände gruben sich in den gerippten Stoff des Oberteils. Er drängte Lights Zunge zurück, nahm dessen Geschmack wahr und erwiderte die sanfteren Küsse zwischen ihren kurzen Atemzügen. Es war im Moment der beste, vielleicht der einzige Weg, um mit dem rätselhaften Zorn umzugehen. Etwas zuzulassen, um zu sehen, was sich daraus entwickelte, das war eine der Devisen zur Erlangung von Erkenntnis. Fieberhaft überlegte L, welche Ambitionen sich hinter diesem merkwürdigen Verhalten versteckten. Glaubte Light ernsthaft, mit diesen Mitteln könnte er L von jener erwähnten Zuneigung überzeugen? Sollte das zutreffen, dann verbarg sich dahinter eine äußerst naive Hoffnung, die nicht zu der bisherigen Vorgehensweise Kiras passte. Doch vielleicht war genau dieses unpassende Verhalten die Antwort. Wollte Light durch sein Handeln Verwirrung in L stiften, um ihn von seiner wahren Identität abzulenken? Oder glaubte er, ihn auf diese ungewöhnliche Weise für sich zu gewinnen? Wieder berührten sich ihre Zungen, bevor Light fordernd, aber nicht schmerzhaft in Ls Unterlippe biss und die Hand in dem schwarzen Haar vergrub. Möglicherweise hatte Light aus der offensichtlich geringen Sozialkompetenz seines Partners auf dessen sexuelle Unerfahrenheit geschlossen und versuchte ihn mit dieser Tatsache zu verunsichern. Emotional war der Meisterdetektiv jedoch resistent gegen triebhaftes Verhalten, welches bisher nur äußerst bedingt seine Aufmerksamkeit erregt hatte, obwohl er keineswegs völlig unerfahren war, wie Light womöglich vermutete. Vielleicht bot sich hiermit für ihn eine Möglichkeit, die momentane Situation zu nutzen und seinen Verdächtigen mit dessen eigenen Waffen gegen sich selbst auszuspielen. Doch diese Idee verflüchtigte sich, als Light unerwartet sein Knie zwischen Ls Beine schob. Der Druck gegen seinen Schritt ließ L für einen Moment scharf Luft holen, sodass er den Kuss unterbrechen musste. Eine Sekunde lang glaubte er, ein verschmitztes Lächeln auf Lights Gesicht zu sehen, bevor dieser sein Ohrläppchen zwischen die Zähne nahm und sanft daran knabberte. Irritiert registrierte L, dass er angespannt war. Während er mit seinen Überlegungen beschäftigt gewesen war, hatte er die Reaktionen seines eigenen Körpers völlig außer Acht gelassen. Sein Herz schlug noch immer unkontrolliert, doch anstatt sich langsam zu beruhigen, verursachte das drückende Gefühl in seinem Brustkorb, dass sich seine Atmung beschleunigte. Er spürte eine Zunge an seinem Ohr und kurz darauf am Hals, weshalb er zurückweichen wollte, aber die Wand in seinem Rücken, gegen die Light ihn mit seinem eigenen Körper presste, verhinderte jegliches Entkommen. „Hör auf“, verlangte L, noch bevor er die Worte zurückhalten konnte. Er war froh, dass man ihm in keiner Weise die Panik anhörte, die sich seiner zu bemächtigen begann und die er sich nicht erklären konnte. Light jedoch ging nicht auf die Forderung ein, sondern fuhr mit seinen Fingern durch die schwarzen Haarspitzen, über Ls Hals, Schlüsselbein und Schultern, bis er mit den Handflächen über dessen Brustkorb strich, nur durch den Stoff des weißen Oberteils von der nackten Haut getrennt. Ein kalter Schauer lief durch Ls Körper, welcher sich verstärkte, als die fremden Finger flüchtig seine Brustwarzen streiften. Im Kontrast dazu breitete sich zunehmend eine Hitze in ihm aus, je fordernder Light seinen Oberschenkel zwischen seinen Beinen bewegte. Das entsprach weder Ls Erfahrungen noch seinen Berechnungen. Wäre es nicht Light gewesen, nicht dieser clevere junge Mann, der vom ersten Moment an sein Interesse geweckt hatte, mit dem er mental auf einer Wellenlänge war, sodass L oft wie am heutigen Tag glaubte, er könnte seine Gedanken lesen; wäre es nicht Light gewesen, den er in den letzten Wochen und Monaten gefährlich nah an sich herangelassen hatte, ein Partner, für den der Detektiv über seine Funktion hinaus eine Bedeutung hatte, sein erster und einziger Freund, der unbarmherzig genug war, ihn festzuhalten, niederzuringen und permanent mit sich selbst zu konfrontieren, und der ihn dennoch akzeptierte; wäre es nicht Light, seine Hände, seine Lippen, sein Atem, dann hätte sich L sicherlich besser im Griff, dann würde er jetzt nicht derart ungünstig reagieren, sein Herz und Verstand würden ihn nicht verraten. Als L seine Gefühle zu analysieren versuchte, wurde ihm bewusst, dass seine Gedanken konfuse Richtungen einschlugen, die er nicht mehr zu steuern in der Lage war. Er konnte kaum klar denken. „Hör auf damit!“ Mit aller Kraft stieß er Light von sich, die dunkel umschatteten Augen in Verwirrung geweitet, jeder einzelne Muskel noch immer verkrampft. Warum? Was war hier los? Hatte er das wirklich aus Kalkül zugelassen? Auch Lights Körper bebte. Seine Atmung ging schwer, während er seinen Partner mit einem Blick festhielt, der tiefsten Ernst und eine Mischung aus Erkenntnis und Entsetzen in sich barg. Er biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Das Schweigen zwischen ihnen wurde nahezu unerträglich. Endlich schlich sich ein kaum sichtbares, bitteres Lächeln auf Lights Gesicht. „Würde Kira das tun?“, sagte er mit schwacher Stimme. „Das ist es doch, was du eben gedacht hast, nicht wahr?“ „Ja“, log L sofort. Der Detektiv konnte nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen, dass er in Wirklichkeit einen Moment zuvor absolut nichts mehr gedacht, sondern nur noch gefühlt hatte. Doch eines war ihm klar: etwas Schlimmeres hätte nicht passieren können. 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