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Deus ex Machina

Deus ex Machina
 

„Wahrscheinlich hat es noch keiner bemerkt“, hatte sie zu Light gesagt, während ihr der Wind das schwarze Haar in das von Entschlossenheit und Trauer gezeichnete Gesicht wehte. „Aber ich denke, wenn man diese Prämisse zugrunde legt, wird Kira gefasst.“

Light war dieser Frau, von der er bald darauf wissen sollte, dass es sich um Misora Naomi handelte, mit Skepsis entgegengetreten. Ihr Auftauchen in der Zentrale und die Forderung an der Rezeption, ein Mitglied der Sonderkommission sprechen zu dürfen, waren Light von Anfang an suspekt erschienen. Dennoch hatte er die Vorsicht bewundert, mit der Misora vorgegangen war, obwohl diese Tatsache ihre Vertrauenswürdigkeit eher gehemmt als unterstützt hatte.

„Herzversagen ist nicht der einzige Weg, wie Kira töten kann“, hatte Light die These wiederholt, die er wenige Sekunden zuvor von ihr gehört hatte.

Warum war er diesem Hinweis nicht weiter gefolgt?
 

Light starrte auf den Computerbildschirm und nahm doch nicht wahr, was er sah.

In letzter Zeit schien das Surren der Monitore immer lauter zu werden, das monotone Geräusch brauste in seinen Ohren. Manchmal war die Zentrale erfüllt von den Gesprächen der Mitarbeiter, die Bericht erstatteten, Aufgaben verteilten und über irgendwelche Entdeckungen und Sachverhalte diskutierten. All die Worte, die dem kalten Überwachungsraum Leben schenken sollten, verwandelten sich in Lights Ohren zu einem dröhnenden Rauschen, sodass er nichts mehr hören konnte. Keine Worte mehr, nur noch Schweigen.

In solchen Momenten fühlte sich Light, trotz der Anwesenheit vieler Leute um ihn herum, seltsam unbeteiligt und allein. Vielleicht war es eine Ahnung dessen, was L schon seit Jahren in seiner unpersönlichen Arbeit empfand.

Sobald Lights Gedanken seiner Kontrolle entglitten, begann er sich an vergangene Ereignisse zu erinnern und traf immer wieder auf Dinge, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten. Wenn Kira tatsächlich jede beliebige Todesart verursachen konnte und auch darüber hinaus das Verhalten seiner Opfer vor dem Tod zu steuern in der Lage war, dann standen ihm ungeahnte Möglichkeiten offen. Er hätte morden können, ohne jemals entdeckt zu werden. Doch das wollte Kira nicht. Anstatt seine eigenen Motive zu verwirklichen, jagte er einem übermenschlichen Ideal hinterher.

Der FBI-Agent Raye Penber und seine Verlobte Misora Naomi spukten in Lights Kopf umher, während er über die bisherigen Erkenntnisse nachdachte, die man in der Sonderkommission über Kira erlangt hatte. Noch bevor Light selbst in Ls Team aufgenommen worden war, hatte man ihn schon längst ohne sein Wissen in den Fall involviert, indem man ihn durch Raye Penber beschatten ließ. Angestrengt versuchte sich Light daran zu erinnern, was er mit der Verlobten des FBI-Agenten am Neujahrstag besprochen hatte. Einzelheiten fielen ihm nicht mehr ein, doch er wusste, dass es um Kira gegangen war und dass Misora den Verdacht geäußert hatte, Kira könne nicht nur durch Herzversagen töten. Etliche Monate mussten vergehen, bevor diese Vermutung erneut aufgegriffen wurde. Warum nur hatte Light diesen Hinweis als so unwichtig abgetan? Konnte L Recht haben? War er vielleicht tatsächlich...?

Alles in Light sträubte sich gegen diese Überlegungen.

Seit seiner Kindheit besaß er allein schon wegen der Erziehung seines Vaters einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, hatte er nicht selten gedacht, dass einige Menschen durch nichts in ihrer Lebensführung ihre Existenz rechtfertigten. Die Welt wäre zweifelsfrei ohne manche dieser Menschen ein Stück gerechter. Sollte Light wirklich die Fähigkeit besitzen, Menschen so einfach zu töten, würde er Verbrecher hinrichten?

Nein, er glaubte nicht daran, dass er die Welt verändern konnte, indem er Selbstjustiz übte; darüber hatte er oft genug mit L diskutiert.

Es war sogar denkbar, dass Light nur deshalb so viel über all das nachdachte, weil er immer und immer wieder damit konfrontiert wurde. Möglicherweise musste er sich eingestehen, dass er mit der Zeit den Wunsch des Meisterdetektivs auf sich selbst übertragen hatte. Der Wunsch, Kira zu sein. Um für L eine Bedeutung zu haben.

Sollte Light seinem Partner von Penber und Misora erzählen?

„Light-kun.“

„Hm?“ Aus seinen Gedanken gerissen löste er den Blick vom Computermonitor und wandte sich L zu, der ihn besorgt musterte.

„Alles in Ordnung? Du wirkst so nachdenklich.“

„Nein, ich habe nur zu lange auf den Bildschirm geschaut“, beruhigte Light ihn mit einem Lächeln und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf seine Arbeit, nicht zuletzt aus dem Grund, weil er damit von seinen düsteren Überlegungen ablenken konnte. „Ich habe es geschafft, mich in das System der Yotsuba Group einzuhacken, fand dort aber keinerlei Hinweise auf Kira. Es wäre wohl zu einfach gewesen, wenn ich gleich auf Anhieb etwas gefunden hätte.“

„Zu einfach?“ Gespielt erstaunt beugte sich L nah zu ihm hinüber, um auf die Daten eine bessere Sicht zu erlangen, womit er sie für Light fast völlig mit seinem schwarzen Haarschopf versperrte. „Deine Fähigkeiten sind wirklich beeindruckend, Light-kun. Dann dürfte das Polizeisystem für dich ja auch kein Problem darstellen, oder?“

L hatte Recht. Mit Hilfe des Computers von Herrn Yagami hatte sich der Sohn des ehemaligen Inspektors tatsächlich in das System der Polizei eingehackt, aber nur wegen der Informationen, die er für seine eigenständige Ermittlung gegen Kira benötigte, und nicht deshalb, weil er selbst Kira war. Light war klar, warum L diese nebensächliche Bemerkung fallen ließ. Eigentlich hatte der Detektiv ein Recht darauf, all das zu erfahren, was Light in letzter Zeit durch den Kopf ging. Allerdings würde sich die ganze Situation dadurch nur unnötig verkomplizieren. Für einen Moment fragte er sich, wie er von seinem Partner Vertrauen verlangen konnte, wenn er selbst so viele Dinge ungesagt ließ.

„Ryuzaki!“, drang plötzlich eine Stimme aus einem der Lautsprecher.

„Watari, was ist los?“, fragte L, während sich Herr Yagami und Mogi, die ebenfalls anwesend waren, rasch zu ihnen gesellten. Matsuda war nicht zugegen, da er Misa bei ihren Dreharbeiten begleitete.

„Der Privatdetektiv Erald Coil wurde beauftragt, Ls wahre Identität zu offenbaren. Der Auftraggeber hat sich zwar um Anonymität bemüht, wir haben aber herausgefunden, dass es sich um einen Abteilungsleiter der Yotsuba Group handelt.“

„Also doch Yotsuba...“, ließ Herr Yagami ernst verlauten.
 

Es dauerte nicht lang, bis L sich einen Plan zurechtgelegt und Aiber und Wedy zu einer Besprechung in die Zentrale beordert hatte. Die erste Befürchtung Herrn Yagamis, dass sie sich nun auch noch vor Erald Coil in Acht nehmen müssten, der neben L einer der drei berühmtesten Detektive der Welt war, wurde schnell zerschlagen. Erald Coil war nur ein Pseudonym unter vielen, das sich L zugelegt hatte, um über diejenigen informiert zu werden, die L auf die Schliche kommen wollten, indem sie sich an jenen erfundenen Detektiv wandten. In diesem Fall handelte es sich also nicht um eine Bedrohung, sondern um ein wirksames Mittel zur Überführung Yotsubas.

„Es ist höchste Diskretion bei allen Aktivitäten geboten“, verdeutlichte L den Anwesenden mit Nachdruck, während er ihnen ihre Aufgaben erklärte. „Suchen Sie nach Beweisen, aber achten Sie darauf, nicht entdeckt zu werden. Überstürztes und eigenmächtiges Handeln ist kontraproduktiv. Deshalb ist es wichtig, dass zunächst Aiber und Wedy mit der Recherche beginnen...“

„Ryuzaki“, drang erneut die Stimme Wataris aus dem Lautsprecher, dieses Mal jedoch eher zögerlich. „Matsuda-san hat über seinen Gürtel ein Notrufsignal geschickt.“

„...Woher?“, fragte L, dem bereits Übles schwante.

„Offenbar aus dem Hauptgebäude der Yotsuba Group.“

„W...was?!“, rief Herr Yagami aufgebracht. „Dort könnte er doch entdeckt werden!“

„Das wurde er wohl schon“, bemerkte Light sofort, „sonst hätte er keinen Notruf gesendet.“

Genervt griff sich L an den Kopf und meinte:

„Vergessen Sie bitte alles, was ich gesagt habe. Wir brauchen eine neue Taktik.“
 

Matsuda schien auf eigene Faust bei Yotsuba eingedrungen zu sein, um an Informationen heranzukommen. Dabei war er, seinem Charakter entsprechend, alles andere als diskret vorgegangen und wurde von der Geschäftsleitung entdeckt. Sobald die Gelegenheit günstig war, würde Kira mit Sicherheit kurzen Prozess mit ihm machen. Um Matsuda zu retten, gab es nur eine Möglichkeit: sein Tod musste als Täuschung inszeniert werden. Dafür sollte er weiter die Rolle des Managers spielen, indem Misa im Firmengebäude auftauchte und sich als Model für Werbekampagnen der Yotsuba Group vorschlug. Durch ihr schauspielerisches Talent schaffte sie es, die Mitglieder der Geschäftsleitung zu einem Privatempfang mit anderen Models der Agentur in die Ermittlungszentrale einzuladen.

Während die Gesellschaft auf der vorgetäuschten Party immer ausgelassener wurde, konnte sich Matsuda unbemerkt ins Bad schleichen, um sich mit L in Verbindung zu setzen, welcher ihm nun knapp den Plan darlegte.

„Hören Sie gut zu! Auf der Westseite, wo keine Leute passieren, befindet sich der Balkon des Apartments. Sie müssen vor den Augen der Anwesenden sterben, wenn man uns die Geschichte von ihrem Tod abkaufen soll. Yagami-san und Mogi-san haben in der Wohnung unter Ihnen Stellung bezogen und werden Sie abfangen.“

„Ich soll mich da runterstürzen?“, fragte Matsuda ungläubig.

„Lassen Sie sich etwas einfallen, damit es wie ein Unfall wirkt.“

„Das ist doch Irrsinn!“

Doch L legte bereits auf und wandte sich im Hinausgehen an Light.

„Zum Glück bin ich immer auf alle Eventualitäten vorbereitet. Für solche Fälle ließ ich eine spezielle Matratze anfertigen, die wesentlich größer und stabiler ist als normale Modelle und sich außerdem bei Krafteinwirkung nicht verbiegt, weil sie innen mit einer Stahlplatte verstärkt ist, wozu ich auch eine Vorrichtung anfertigen ließ, mit der man die Stahlplattenmatratze an Balkonen befestigen kann, weil dein Vater und Mogi vermutlich die Hebelwirkung eines herabstürzenden Körpers von der Schwere eines ausgewachsenen Mannes nicht werden halten können, natürlich nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Matsuda überhaupt vom oberen auf den unteren Balkon die Stahlmatratze treffen sollte, ohne dabei abzurutschen oder sich irgendetwas zu brechen, während Aiber bereits vor dem Gebäude positioniert ist, um einen toten Matsuda zu mimen. Und wir werden je nachdem Aibers oder Matsudas Leiche mit einem meiner Krankenwagen abholen.“

Light schwieg einen Moment und meinte dann:

„Das klingt, als hättest du nicht nur ein Arsenal an Matratzen.“

Die beiden Männer fuhren mit dem Aufzug die vielen Stockwerke hinab in die Tiefgarage.

„Man kann das durchaus als solches bezeichnen“, antwortete L und starrte dabei auf die Etagenanzeige des Fahrstuhls. „Ich besitze tatsächlich ein Arsenal an Geräten, Verkleidungen und speziell umgebauten Einsatzfahrzeugen.“ Als sie die Tiefgarage erreicht hatten, verstand Light, wovon sein Partner sprach. Hier im Untergrund befand sich eine Reihe an unterschiedlichen Transportern in der Aufmachung von Feuerwehr, Polizei oder Notfallambulanzen. Darunter entdeckte Light zu seinem Erstaunen auch einige fahrbare Imbissbuden.

L stieg in den Laderaum eines Krankenwagens ein und warf Light den Helm und die Schutzbekleidung eines japanischen Sanitäters entgegen. Dann schloss er hinter ihnen die Autotür, bevor er die Handschellen löste.

„Dieser Idiot!“, zischte L mürrisch, während er sich sein Oberteil über den Kopf zog. „Wir können nur hoffen, dass Matsuda nicht zu blöd ist, um die Matratze unter sich zu treffen. Bei seinem Glück würde er dann vermutlich noch Aiber erschlagen.“

Light biss sich auf die Unterlippe. Er konnte der Wut seines Freundes kaum etwas entgegensetzen, um Matsuda in Schutz zu nehmen. Ganz im Gegenteil, dachte und fühlte Light im Moment doch sehr ähnlich.

„Nicht genug, dass er sich selbst unnötig in Gefahr bringt“, wetterte L ungehalten weiter und kämpfte dabei mit dem Gürtel der Sanitätskleidung, „die kompletten Ermittlungen geraten damit ins Wanken.“ Light hielt es vorerst für besser, zu schweigen, und knöpfte sich kommentarlos das Hemd zu.

Endlich nahmen die beiden Männer Platz, wobei sich L in seiner üblichen Haltung hinter das Lenkrad setzte. Zunächst wunderte sich Light, wie der Andere auf diese Weise fahren wollte, doch im nächsten Augenblick rollte der Wagen bereits vom Parkplatz zur Ausfahrt. L bemerkte den fragenden Gesichtsausdruck seines Partners und erklärte:

„Ich sagte ja, ich besitze ein paar spezielle Einsatzfahrzeuge. Sie alle weisen eine durch Informationsterminals gespeiste Steuerung auf. Das Auto fährt praktisch von allein.“

„Aha...“ Ein Grinsen huschte über Lights Lippen. „Kann es auch sprechen?“

„Nein“, entgegnete L nüchtern, „dafür sind die Verhaltensmuster nicht komplex genug.“

Der Wagen legte nur eine kurze Strecke zurück und blieb einige Blocks von der Ermittlungszentrale entfernt stehen. Kaum war der Motor verstummt, da klingelte bereits Ls Mobiltelefon. Mit fahrigen Handgriffen holte der Detektiv das Gerät hervor und hielt es sich zwischen Daumen und Zeigefinger ans Ohr.

„Verstanden“, sprach er nach wenigen Sekunden in den Hörer, legte auf und wandte sich an Light. „Das war Wedy. Alles verlief nach Plan, Matsuda ist in Sicherheit und Aiber wartet auf seinen Leichenwagen. Fünf Minuten, dann machen wir uns auf den Weg.“

Erleichtert atmete Light aus und lehnte sich zurück. Draußen waren nur wenige Menschen unterwegs. Ein paar Nachtfalter flatterten um die Straßenlaternen. Es war ein ruhiger Abend.

„Ryuzaki... du hast mal gemeint, Matsuda wäre ein schwer berechenbarer Faktor.“ L nickte nur und kaute dabei nervös an seinem Fingernagel herum. Nach einer Pause sprach Light vorsichtig weiter. „Du beschreibst oft den Menschen als eine organisch funktionierende Maschine. Zwar verstehe ich das alles, aber du weißt schon, dass du es dir damit ziemlich einfach machst, oder? Du kannst Menschen nicht so reduzieren.“

„Kann ich nicht?“

Etwas an Ls Reaktion, seiner Stimme oder seinem Blick, ließ Light nachsichtig lächeln. Unwillkürlich meinte er:

„Solche Antworten machen dich mir immer sympathisch.“ Verwundert durchdrang L ihn daraufhin mit seinen schwarzen Augen, sodass sich jener räusperte. Anstatt weiter darauf einzugehen, kam Light zu seinem eigentlichen Thema zurück. „Matsuda wollte uns helfen. Zugegeben, was er getan hat, war äußert unüberlegt. Aber er gehört schließlich zum Team der Ermittler und wollte deshalb sicher auch als solcher wahrgenommen werden. Das war keine rationale, sondern eine emotionale Entscheidung von ihm.“

„Weil er sich nicht unter Kontrolle hat“, warf L zynisch ein und fuchtelte mit einer Hand in der Luft herum. Dann allerdings ließ er den Arm schlaff fallen. „Light-kun... mir ist das doch klar. Die wenigsten können durch Vernunft alle ihre Handlungen kontrollieren.“

„Oder ihre Gefühle“, fügte Light leise hinzu.

„Manchmal denke ich“, gab L mit gesenktem Kopf zu, „ein kontrollierter Automatismus wäre vorzuziehen. Man legt einfach einen Schalter um, es macht klick und danach fühlt und tut man nichts mehr, was man nicht möchte. So etwas kann man sich antrainieren.“

Ein unbestimmter Schmerz durchbrach für eine Sekunde Lights Blick. Er konnte den Ausdruck im Gesicht seines Partners nicht erkennen, da dieser sich mittlerweile dem Fenster zugewandt hatte, als gäbe es draußen Interessanteres zu sehen als verlassene Parks und leere Straßen. Etwas bitter meinte Light:

„Wenn jeder so einen Bewusstseinsschalter hätte, dann würde es auf der Erde von Zombies nur so wimmeln.“

„Vielleicht tut es das ja jetzt schon.“

Light griff nach dem Oberarm seines Freundes, um ihn zu sich herumzudrehen und ihm endlich ins Gesicht schauen zu können.

„Ist das so erstrebenswert, Ryuzaki? Ist es wirklich besser, sich immer unter Kontrolle zu halten, damit nie jemand etwas über einen erfährt?“

Einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern. Ls Miene war völlig ausdruckslos, als er schließlich sagte:

„Die fünf Minuten sind um. Fahren wir los.“
 

Die Aufregung dieses Abends hatte das gesamte Team unter Hochspannung gesetzt. Doch als die Gefahr vorerst überwunden war, verfiel zumindest Matsuda nach mehrfachen Entschuldigungen wieder einer euphorischen Stimmung. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte, aber dass er mit seiner halsbrecherischen Aktion sogar einen entscheidenden Vorteil gegen Yotsuba erwirkt hatte, schien nahezu unglaublich. Obwohl das Glück in diesem Fall mit menschlicher Einfalt Hand in Hand gegangen war, hätte man Ls Meinung zufolge auf diese Art der Herangehensweise verzichten können. Wenn Aizawa noch bei ihnen gewesen wäre, hätte er Matsuda vermutlich die Leviten gelesen.

Nachdem die abschließende Besprechung vorüber war, gingen L und Light in ihr gemeinsames Zimmer. Beide spürten, dass der jeweils andere mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Deshalb wechselten sie kein einziges Wort, bevor sie das Licht löschten, um zu Bett zu gehen.

Lange Zeit lagen sie daraufhin nebeneinander in der nächtlichen Finsternis. Dieses Mal allerdings wollte Light nicht die Stille über all seine ungewissen Fragen siegen lassen. Ihm war überdies klar, dass L noch nicht schlief.

„Ryuzaki... was meintest du vorhin eigentlich? Du weißt schon, die Sache mit dem kontrollierten Automatismus.“

L seufzte und drehte sich um. Im Liegen schaute er zu Light empor, der sich mit einem Arm aufgestützt hatte, um im Halbdunkel den Blick seines Ermittlungspartners zu erhaschen. Nur der schwache Schein des Mondes erhellte ein wenig ihre Gesichtszüge.

„Damit meinte ich Matsuda“, erklärte L gleichmütig, „weil er seine schwachsinnigen Anwandlungen nicht unter Kontrolle bringen kann. Ich war nur wütend.“

Ganz langsam schüttelte Light den Kopf.

„Nein, das ist es nicht“, entgegnete er nachdenklich. „Du hast etwas anderes gemeint.“

L gab einen abwehrenden Laut von sich und drehte sich wieder zum Fenster. Dann jedoch hörte Light ihn sagen:

„Den Menschen geht es heutzutage gut, nicht wahr, Light-kun? Sie können sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen und haben in unserer zivilisierten Gesellschaft kaum mehr Angst vor dem täglichen Tod, sondern eher vor dem Leben. Anstatt Hunger und Schmerz fühlen sie mittlerweile nur noch ein emotionales Chaos oder eine verzweifelte Leere.“

„Oder beides“, ergänzte Light tonlos.

„Wenn man sich innerlich so fühlt“, folgerte L knapp, „wenn man sich gegen inakzeptable Schwächen nicht wehren kann, dann wünscht man sich eine Möglichkeit, mit der man das alles einfach abschaltet.“

„Tust du das, Ryuzaki? Fühlst du dich so? Darf man denn niemals Schwäche zeigen?“

„Schlaf jetzt.“

Die Endgültigkeit in Ls Stimme schien den Anderen entschieden daran hindern zu wollen, weiter darauf einzugehen. Doch Light hatte diesmal nicht vor, so schnell aufzugeben.

„Ich verstehe nicht, warum du mir manchmal keine Antwort gibst. Glaubst du etwa, ich könnte jedes Wort gegen dich verwenden?“

„Ich lüge schon oft genug. Ich will dir nicht etwas sagen müssen, von dem wir beide wissen, dass es nicht stimmt.“

„Soll das etwa heißen, du möchtest mich vor deinen Lügen bewahren, weil nur die Stummen die Wahrheit sagen können? Willst du das wirklich behaupten?“ Verärgert stieß Light die Luft zwischen seinen Zähnen aus und starrte auf Ls Rücken in der Dunkelheit. „Das glaube ich nicht. Du sagst also, du möchtest mir nichts Falsches erzählen, ja? Aber ich denke nicht, dass du bloß Angst davor hast, mir etwas Richtiges zu offenbaren. Die Tatsache, dass ich nicht zu viel über dich erfahren darf, ist vermutlich gar nicht das Problem.“ Allmählich beruhigte sich Light, während er überlegte. „Ein kontrollierter Automatismus... Ryuzaki, das bedeutet doch auch eine automatisierte Kontrolle, oder? Man kann sich so etwas antrainieren, das hast du selbst zugegeben. Und ich dachte immer, du gibst mir keine Antwort, weil du es einfach nicht willst. Doch langsam glaube ich, dass du nicht antwortest, weil du es überhaupt nicht kannst. Weil du die Wahrheit selbst nicht kennst.“

Wie so oft schwieg L. Eine Weile betrachtete Light das Mondlicht auf den reglosen Schultern seines vermeintlichen Freundes. Dann ließ er sich zurück in die Kissen sinken und schloss resignierend die Augen. Hatte L ihm überhaupt zugehört? Warum hatte Light eigentlich damit angefangen? Jetzt bereute er seine Worte.

Doch plötzlich sprach L nur einen einzigen Satz, kaum vernehmlich, sodass Light es fast nicht hörte.

„Reicht es denn nicht, dir zu sagen, dass du mein Freund bist?“

Die Frage verhallte in der Schwärze des Raumes. Und Light wurde klar, dass er darauf keine Antwort hatte. Er wusste es wirklich nicht. Darum sagte er nichts dazu und tat, als würde er bereits schlafen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Die Aussagen zum kontrollierten Automatismus sind inspiriert von Paul Broks.
2. Das Einsatzfahrzeug ist an der fahrbaren Crêpesbude aus „L Change the World“ orientiert. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Juih
2010-09-27T18:25:16+00:00 27.09.2010 20:25
Huhu,

zuerst mal tut es mir Leid, dass der Kommentar erst so spät kommt x___x
Ich hab einfach keine Zeit zu finden in Ruhe zu lesen. Hatte den letzten Monat so viel um die Ohren mit der Schule. Aber nun kommt es ^^ ich hoffe, es tut der Sache keinen Abstrich!

Nun geht es aber ziemlich schnell voran. Ich bekomme langsam das Gefühl, dass es wohl eher KiraxL wird - wenn du verstehst was ich meine. ^^
Was ich zum einen etwas schade finde, weil ich gerne einmal die Unsicherheit Lights über solche Ereignisse lesen würde, die Kira ja kaum noch haben wird oder sie zumindest nicht nach außen trägt. xD
Und es würde Light nicht gerade im besseren Licht dastehen lassen XD und ich fände es irgendwie knuffiger, wenn der KiraLight es später auch weitermachen würde, weil er ehrliches Verlangen nach L hat ^^ wenn er aber da schon wieder Kira wäre bevor ernsthaft was passiert, dann würde es für mich so aussehen als würde er das jetzt nur zu seinem Vorteil ausnutzen.
Aber ich kann nicht in die Zukunft sehen - Gott sein dank nicht.
Vielleicht hast du ja doch alles anders geplant ^^

Das es in L so aussieht denke ich auch oft. Ich frage mich immer, ob es auch mehr gibt als den Detektiv. Vor allem wegen seinem Namen. Ich meine, der sagt doch schon alles, oder? Namen geben dir eine Persönlichkeit aber L trägt seinen Detektivnamen und Decknamen auch als richtigen - was natürlich sehr schlau ist, weil wohl so ziemlich niemand auf die Idee kommen würde, dass er eigtl L´s richtigen Namen schon kennt. Aber vieles was L tut ist schlau udn bei genauso vielen geht dann eben jene Persönlichkeit drauf. Und da spiegelt sich L´s ganzes Leben in seinem Namen.
Und das ist irgendwie so verdammt schade, da kann ich Light´s Gefühl auf L´s Antwort nur allzu gut verstehen.

Ich bin wirklich gespannt wie es nun weiter geht!
Lass mich nicht solange warten wie ich dich XD *lach*

LG Juih

Von:  angeljaehyo
2010-08-28T15:54:17+00:00 28.08.2010 17:54
Ich habe das ungute Gefühl, dass Raito es schafft, L wenigstens teilweise zu helfen, seine Gefühle etwas aufgeschlossener betrachten zu können - und genau dann wird er wieder zu Kira. Das wäre ziemlich tragisch für L.
Die Vorstellung, einfach seine Emotionen abschalten zu können, finde ich ganz furchtbar gruselig. Es gibt ja viele Bücher und Filme, die das Thema aufgreifen, zum Beispiel "Equilibrium" oder "Schöne Neue Welt". Jedoch ist es verständlich, dass L dies will. Oder zumindest möglich, man kennst Ls Vergangenheit nicht genau und seinen wahren Charakter noch weniger. Aber er wirkt immer so, als ob er das versucht. Gerade seine Gefühle zu suchen ist das interessante an ihm.
Gutes Kapitel, wie immer. Man merkt wieder, dass es langsam auf das Ende zugeht, deshalb meine Befürchtung am Anfang.



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