[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 14: Verantwortung ------------------------- Verantwortung In der Sonderkommission kam man nach einer Besprechung darin überein, dass eine Mittäterschaft Yotsubas im Fall um Kira nicht unwahrscheinlich war. L hatte erklärt, einer seiner engsten Mitarbeiter könne Informationen aus Kontakten der Finanzwelt beschaffen. Die Person, die Light zuvor nur als zweiten L gekannt hatte, hieß demnach Watari und war offensichtlich der wichtigste Vertraute für den Detektiv. Aufgrund der neuen Erkenntnisse lenkte Light nun seine Aufmerksamkeit darauf, Zugang zum internen Netzwerk Yotsubas zu erlangen. Mittlerweile war auch sein Vater aus dem Polizeipräsidium zurückgekehrt, wo er Unterstützung anzufordern gedachte. Sofort nach seiner Ankunft teilte ihm Matsuda voller Übereifer mit, dass man zu dem Schluss gekommen sei, zwischen der japanischen Firma Yotsuba und Kira müsse eine Verbindung bestehen. Allerdings zeugte die Mimik des Inspektors seinerseits von keinen guten Neuigkeiten. „Die Polizei zieht vor Kira den Schwanz ein.“ Alle Anwesenden starrten Herrn Yagami ungläubig an, nur Mogi stand mit unbewegtem Ernst im Gesicht hinter seinem Vorgesetzten. Ohne Frage ergab alles einen Sinn. In der Öffentlichkeit sollte noch immer der Schein gewahrt werden, man würde weiter gegen Kira ermitteln. Doch in Wirklichkeit wurde die polizeiliche Instanz längst von der Regierung unter Druck gesetzt. Die Information, dass ein so großer Konzern wie Yotsuba seine Finger mit im Spiel hatte, verdeutlichte zusätzlich, dass dies alles nicht aus Angst vor der Ermordung korrupter Politiker im Ministerium geschah, sondern schlicht und ergreifend aus Geldgier. Damit war Kira nicht mehr bloß eine Warnung für Verbrecher, sondern eine Waffe gegen jeglichen nationalen Feind geworden. „Mir wurde durch die Blume mitgeteilt“, sagte Herr Yagami mit schwerer Stimme, „dass jeder, der die Zusammenarbeit mit L nicht einstellt, gefeuert wird.“ Bevor es dazu kommen konnte, da war sich der langjährige Polizeichef sicher, würde er persönlich seine Kündigung eingereicht haben. Er konnte seinen Gerechtigkeitssinn nicht verraten und L im Stich lassen. Das verlangte allein schon seine Ehre. Die Anwesenden waren größtenteils derselben Meinung, doch nicht für jeden gestaltete sich eine Entscheidung so einfach. In Folge dessen kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen L und Aizawa, welcher bisher noch nie mit den Methoden des Meisterdetektivs einverstanden gewesen war. Noch dazu trug Aizawa gegenüber seiner Familie die Verantwortung und konnte aus diesem Grund nicht einfach seinen Job aufgeben, um sich kopflos in den Kira-Fall zu stürzen. Erst Wataris unbedachte Äußerung, L habe beim Eintreffen einer solchen Situation finanzielle Vorsorge für alle Mitglieder der Sonderkommission getroffen, erübrigte die Bedenken. Gleichzeitig jedoch wurde Aizawa damit bewusst, dass er nur getestet worden war. Enttäuscht und wütend verließ er die Ermittlungszentrale. Während L teilnahmslos ein paar Kirschen aß, passierte Aizawa zum letzten Mal die Sicherheitsbarrieren. Er würde nicht wiederkommen. Schweigend kehrte Mogi zu seinen Aufgaben zurück und selbst Matsuda versuchte sich daraufhin mit einer Beschäftigung von seiner Betroffenheit abzulenken. Nur Lights Vater blieb noch in Gedanken versunken neben den beiden Jüngeren stehen. L schien von der gesamten Situation nicht berührt zu werden und widmete sich stattdessen einem Becher Eiscreme, wobei er die Tasse Kaffee neben sich unbeachtet kalt werden ließ. „Was ist mit dir?“, fragte Light seinen Vater vorsichtig, da er dessen Abwesenheit bemerkt hatte. Herr Yagami schaute auf und begegnete dem klaren Blick seines Sohnes. Er konnte diesem Jungen nichts vormachen. „Ich bin mir sicher, dass ich das Richtige tue“, begann der ältere Mann langsam und erschöpft, „aber in letzter Zeit häufen sich die Diskussionen, die ich deswegen mit deiner Mutter führe. Wer weiß, wie sie dieses Mal reagieren wird, wenn ich ihr beichten muss, dass ich meine Kündigung einreichen werde.“ „Aber ihr muss doch klar sein, wie wichtig das hier ist. Außerdem hat Mutter oft genug gesagt, dass sie dich gerade wegen deines Pflichtbewusstseins geheiratet hat.“ „Ja, natürlich...“ Seufzend starrte Herr Yagami auf Ls Rücken. Der Detektiv schien den beiden keinerlei Beachtung zu schenken und kippte stattdessen die Schüssel mit den restlichen Kirschen über sein Eis. „Sachiko hat immer hinter mir gestanden und mich unterstützt, wo sie konnte, ohne meine Entscheidungen in Frage zu stellen. Aber vergiss nicht, Light, auch sie ist eine Mutter, die sich um ihre Kinder sorgt... Das musst du nicht verstehen, es spielt für dich sowieso keine Rolle.“ „Denkst du das wirklich?“ Ernst blickte Light seinem Vater ins Gesicht und versuchte das unbehagliche Gefühl zu ignorieren, das ihn beschlich. „Denkst du nicht, dass mir klar sein dürfte, wie Mutter dir Vorwürfe macht, weil sie glaubt, du würdest die Familie vernachlässigen?“ Anstatt seinem Sohn aufrichtig entgegenzukommen, versteinerte sich die Miene Herrn Yagamis. Er warf erneut einen flüchtigen Blick zu L, bevor er knapp sagte: „Das hat dich nicht zu interessieren, Light.“ „Vater“, sprach dieser leise und ruhig, „ich bin kein Kind mehr.“ „Für deine Mutter schon!“, entgegnete Herr Yagami sofort. „Außerdem bin ich ebenso der Meinung, dass Intelligenz keine Erfahrungen ersetzen kann.“ Light öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, doch sein Vater kam ihm zuvor, indem er weitersprach. „Nicht genug, dass Sachiko mir vorhält, ich wäre kaum zu Hause und würde mich überhaupt nicht um Sayu kümmern. Viel schlimmer ist die Tatsache, dass wir sie im Glauben gelassen haben, ich hätte dich verstoßen und du wärst meinetwegen ausgezogen. Aber es ist wenigstens besser, sie schlecht von ihrem Mann denken zu lassen, als dass sie an ihrem eigenen Sohn zweifeln müsste.“ „Willst du denn...?“ Light brach ab und haderte mit sich selbst, ob er es tatsächlich wagen sollte, das Wort gegen seinen Vater zu erheben. Nach einigen Sekunden überwand er sich jedoch. „Geht es dir bloß darum, diese Last auf deine Schultern zu nehmen? Ist das dein Hauptgedanke? Wir leben doch nicht mehr im alten Japan, Vater, wo die Ehre des Mannes sein ganzer Stolz ist und er sich lieber selbst aufgibt und opfert, um dem Weg des Kriegers zu entsprechen.“ „Light!“ Es kam selten vor, dass die Stimme des Polizeichefs so schneidend klang wie in jenem Moment. Betreten senkte Light den Kopf und schaute zur Erde, obwohl der Drang, sich auszusprechen, stärker war als das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend. Schließlich fuhr er angespannt fort. „Ich dachte, du wolltest Mutter nur keinen Anlass zur Sorge geben, damit sie nicht denkt, dass neben dir nun auch noch ich... dass wir beide in Lebensgefahr schweben. Dann sollte sie doch besser annehmen, es handelte sich bloß um einen harmlosen Streit zwischen uns.“ Anhaltende Stille erfüllte nach dieser Aussage den Raum, ein paar Minuten des Schweigens, die L völlig unbeteiligt dazu nutzte, den kalten Kaffee über die Kirschen und das Vanilleeis zu schütten. Unwillkürlich wurde der Inspektor durch den Disput mit seinem Sohn an die erste Zeit in der Kriminalbehörde der Polizei erinnert, als er mit seinem damaligen Kollegen einen Entführer vernommen hatte. Es ging um ein kleines Mädchen, dessen Aufenthaltsort sie herauszufinden versuchten. Der Delinquent hatte sich partout geweigert das Versteck preiszugeben. Herr Yagami konnte sich noch gut entsinnen, welche Sorgen er und sein Kollege sich um das Mädchen gemacht hatten, weil ihr Leben von dieser Befragung abhing. Die beiden Polizisten waren völlig allein gewesen. Herr Yagami hatte in dem abgedunkelten Raum hinter dem Venezianischen Spiegel beobachtet, wie seinem Kollegen der Geduldsfaden riss und er handgreiflich wurde. Zuerst blieben die Übergriffe subtil, bis sie sich zu offensichtlicher Gewaltanwendung wandelten. Doch Herr Yagami, der zu dieser Zeit noch keinen hohen Rang bekleidete, war nicht eingeschritten und hatte stattdessen einfach abgewartet, erfüllt von Reue und der Hoffnung auf das Überleben des jungen Mädchens. Wenigstens war er nicht enttäuscht worden. Sie schafften es, ihren Verbleib in Erfahrung zu bringen und die Kleine zu retten. Es war das einzige Mal, dass Herr Yagami für die Richtigkeit seines Handelns das Gesetz beugte. Er hätte nicht selbst die Hand erhoben, dessen war er sich sicher. Doch er hatte es zugelassen und gab sich dafür noch heute die Schuld. Aus diesem Grund hatte er damals weder blind noch stumm bleiben können. In aller Deutlichkeit erinnerte er sich an den Blick seines Kollegen, als er ihm offen gestand, trotz des Erfolges wäre dessen Handeln falsch gewesen und somit könne kein Polizist darüber Stillschweigen bewahren. Als man von ihm eine Aussage verlangte, hatte Herr Yagami nicht gelogen. Gerechtigkeit war keine Auslegungssache, die man sich nach eigenem Ermessen zurechtbiegen durfte, sondern ein absoluter Wert. Was letztendlich richtig war, wusste er jedoch bis heute nicht. „Du vergisst schon wieder etwas, Junge.“ Die Augen des Älteren waren nun ungewohnt durchdringend. „Auch wenn ich dir Vertrauen schenke, kann ich nicht dafür bürgen, die Wahrheit zu kennen. Deine Mutter mag davon ausgehen, dass ich dich wegen Misa verstoßen habe und es mir deshalb an Mitgefühl mangelt, obwohl man als Eltern immer hinter seinen Kindern stehen sollte, egal in wen sie sich verlieben. Aber das ist nicht der Grund, weshalb wir um ihretwillen nichts erzählen dürfen.“ Herr Yagami stellte sich seinem Sohn direkt gegenüber und legte eine Hand schwer auf dessen rechte Schulter. „Vergiss nicht, Light, was man dir vorwirft, auch wenn du es für Unsinn hältst. Was ist wohl schlimmer? Etwa die Idee, du wärst mit einem Mädchen durchgebrannt, du würdest dich gegen dein Elternhaus auflehnen, du hättest dich womöglich waghalsig in Ermittlungsarbeit gestürzt? Das alles liefert überhaupt keinen Grund. Eine wirkliche Last ist nur die Vorstellung, du könntest vielleicht der gefürchtetste Mörder der Welt sein.“ Eine eiskalte Welle des Schreckens wütete für einen Moment durch Lights Körper, während das Braun seiner Augen erstarrte. Mit einem Seufzen drehte sich Herr Yagami um. Er konnte kein weiteres Wort hierzu verlieren, ohne sich selbst Vorwürfe zu machen. Darum verließ er schweigend und mit schweren Schritten den Raum. Nachdenklich sah Light seinem Vater hinterher. „Light-kun hat nicht gezögert, als es um die weitere Mitarbeit im Kira-Fall ging.“ Der junge Student löste den Blick von seiner Schüssel Sunomono. Geraume Zeit hatte er in dem Salat aus Garnelen und Gurken nur lustlos mit den Essstäbchen herumgestochert. L war währenddessen damit beschäftigt, das Gebäck auf seinem Teller mit einer Gabel in so viele kleine Stücke zu zerteilen, dass man nicht mehr erkennen konnte, was es einst gewesen war. Light tippte auf Anpan oder Imagawayaki, aber sicher war er sich nicht. „Ich danke dir dafür“, fügte L seinen Worten hinzu, ohne seinen Partner dabei anzusehen. „Das musst du nicht.“ Light schüttelte seufzend den Kopf. „Erstens bin ich kein Polizist, weshalb sich für mich in der jetzige Situation auch nichts ändert. Und zweitens bin ich durch die Handschellen und den Verdacht ohnehin an dich gebunden. Ich hatte kaum eine andere Wahl und das weißt du.“ „Ich habe auch nicht gesagt, dass ich wegen Light-kuns Entscheidung dankbar bin.“ L spießte ein Stück des weichen Gebäcks mit der Gabel auf und schob es sich in den Mund. „Ich danke dir für deine Entschlossenheit, weil du nicht gezögert hast. Oder hättest du anders gehandelt, wenn es die Handschellen nicht gäbe?“ „Nein“, antwortete Light sofort. Über Ls Lippen huschte ein Lächeln. „Ich weiß nicht, ob du meine Hilfe wirklich benötigst, Ryuzaki. Das ändert jedoch nichts an meinem Willen. Im Moment habe ich keine anderen Verpflichtungen, trotzdem kann ich Aizawa-san verstehen. Keine Ahnung, wie ich in seiner Lage entschieden hätte. Genauso betrachte ich die Zweifel meines Vaters zwiespältig, da ich mir nicht im Klaren darüber bin, was wichtiger ist, die Rolle als Vater oder als Polizist?“ „Manche Menschen sehen es als ihre Pflicht an, zu handeln, wenn es in ihrer Macht steht. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit der eigenen Position zu tun.“ „Du meinst damit den Stellenwert in einer Familie im Verhältnis zu den persönlichen Fähigkeiten, oder? Matsuda hat niemanden, um den er sich kümmern muss, allerdings halten sich seine Möglichkeiten, uns zu helfen, eher in Grenzen.“ Mit einem Nicken ergänzte L: „Die eigene Wahl hängt letztlich nicht davon ab, ob man das Zeug dazu hat, die Welt zu verbessern, sondern welche Prioritäten man für sich festlegt.“ „Genau diese Tatsache verunsichert mich.“ Light legte die Stäbchen beiseite und stützte das Kinn auf seine Hand, wobei er aus dem Fenster starrte. „Egal, wofür man sich entscheiden mag, aber irgendjemand wird dabei immer vernachlässigt. Das Wohl der Menschheit wird gegen das Wohl der Einzelpersonen gerechnet und zum Schluss muss man sogar selbst hinter den eigenen Prioritäten zurückstehen.“ „Das ist der Grund“, meinte L leise und legte genau wie Light sein Besteck zur Seite, „warum man manchmal bereits im Voraus keine Beziehungen zulässt.“ „Um niemanden zu verletzen“, fragte Light tonlos, ohne eine Antwort zu erwarten, „außer sich selbst? Weil Verantwortung wichtiger ist als die eigene Person und man nur in Einsamkeit unabhängig ist? Oder auch gerade deshalb... um selbst nicht verletzt zu werden?“ Light richtete die Augen auf seinen Partner, doch L erwiderte den Blick nicht und schaute stattdessen hinab auf das zerteilte Gebäck, als wäre ihm die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, unangenehm. Um die Stille zu durchbrechen, sprach Light deshalb bedacht weiter. „Mir ist klar, dass man nicht pauschalisieren kann, was richtig ist. Doch ich bin mir sicher, dass es nicht ausschließlich vom Alter abhängt. Nur weil ich jünger bin, bedeutet das nicht, ich verstünde die Verantwortung der Eltern ihren Kindern gegenüber nicht. Prioritäten können sich ändern, aber grundlegende Charaktereigenschaften werden doch nicht vom Alter bestimmt, selbst wenn sie sich unterschiedlich stark in ihrer Ausprägung zeigen.“ L war aufgestanden. Erst jetzt wurde Light bewusst, wie sehr ihm die Auseinandersetzung missfiel, die der Detektiv zwischen ihm und seinem Vater mitbekommen hatte. Die Zurechtweisung Herrn Yagamis musste Light vor dem Anderen so dargestellt haben, als sei er noch ein Kind. L ließ sich jedoch nichts dergleichen anmerken, als er mit schlurfenden Schritten am Tisch vorbeiging und neben Light stehen blieb. „Jeder Mensch ist anders“, meinte L ruhig, „unabhängig vom Alter. Damit hast du Recht, Light-kun. Jede Generation besitzt andere Erlebnisse, auf die sie sich berufen kann, genauso kann der Jüngere seine eigenen Erfahrungen als Vorteil gegenüber dem Älteren nutzen und umgekehrt. Das Empfinden ist immer anders. Jeder Mensch kann nur aus der ihm eigenen Situation reflektieren.“ „Was nicht bedeutet, dass nur die jeweilige Lage für den Charakter verantwortlich ist“, fügte Light hinzu, „und genau deshalb bin ich der Meinung, dass man das Handeln des Menschen nicht pauschalisieren kann, indem man nur von der Situation ausgeht, in der er sich befindet. Es heißt zwar, in den Dingen, die wir selbst nicht erfahren können, müssen wir der Erfahrung anderer folgen. Aber der Mensch lässt sich nicht belehren. Die Fehler der Väter sind für die Kinder verloren. Jeder muss seine eigenen Fehler begehen, um aus ihnen zu lernen. Der Rest sind nur tote Gewohnheiten.“ Der Detektiv nickte zustimmend. „Die eigene Situation ist also nicht die alleinige Ursache für das Pflichtbewusstsein, beispielsweise den eigenen Kindern gegenüber“, machte L noch einmal mit Bestimmtheit deutlich und legte dabei die Hand auf die Schulter des Jüngeren. Light stellte fest, dass sie genauso schwer wog wie die seines Vaters. „Es gibt Menschen, die besitzen eine Blockade, sobald andere unterdrückt, vernachlässigt oder ungerecht behandelt werden, eine Art Verantwortungsgefühl, durch das sie sich sogar unwohl fühlen, wenn sie gar nicht für das Unglück zuständig sein können. Im Grunde genommen besitzt jeder Mensch die Fähigkeit, so zu fühlen.“ Ls Aussage wirkte, als würde ihr etwas fehlen, als müsste noch etwas hinzugefügt werden. Doch nachdem er die Hand wieder von Lights Schulter gelöst hatte, verlor keiner von beiden noch ein weiteres Wort dazu. Ein leichter Regen schlug am nächsten Morgen sanft gegen die Fensterscheiben. L lag am Rande des Bettes und starrte hinaus auf die tief hängenden Wolken, die kein Sonnenlicht durchließen und einen dunklen, grauen Tag ankündigten. Kaum hörbar nahm er hinter sich Lights schlaftrunkenen Atem wahr. L drehte sich vorsichtig um. Auf der Seite liegend betrachtete er das ihm zugewandte Gesicht, die geschlossenen Lider und das darüber fallende, hellbraune Haar. Konnte ein Dämon so friedlich die Maske der Unschuld tragen? Oder erlag der weltbeste Detektiv zum ersten Mal in seinem Leben tatsächlich einem Irrtum, den er sich selbst nur nicht eingestand? Eines jedoch war L mittlerweile klar geworden. Zwei Monate hatten gereicht, um ihm nicht nur die Angst zu rauben, die ihm beständig im Nacken gesessen hatte, sondern auch die stete misanthropische Abneigung. Er hatte sich, ohne es recht zu bemerken, längst an die Nähe dieses jungen, intelligenten Mannes gewöhnt. Nein, es war keine Gewöhnung. Du wirst nicht allein sein, Ryuzaki. Vorher war er immer allein gewesen, seine Verantwortung hatte ihm keine Schwächen erlaubt. Ich bleibe an deiner Seite. Nun jedoch verspürte er eine unbekannte Sehnsucht, gegen die er machtlos war. Das ist ein Versprechen. Hoffnung war nur ein unkalkulierbares, sinnloses Hirngespinst, wodurch die nachträgliche Enttäuschung sogar zusätzlich verstärkt wurde, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllten. Diese rationale Anschauung bedeutete dummerweise nicht, dass L ein solches Gefühl der Hoffnung gänzlich unbekannt war. Was ihn jetzt am meisten verwirrte, war die Tatsache, dass er selbst nicht mehr wusste, worin seine Hoffnung eigentlich bestand. Sollte er falsch liegen, konnte er nie wieder seiner Intuition und Berechnung vertrauen. Noch dazu hätte er dann die ganze Zeit ein Bild verfolgt, das es nicht gab. Wenn seine Vermutungen und Vorstellungen zu Kira nicht stimmen sollten, wäre L nicht nur enttäuscht von sich selbst, sondern in erster Linie enttäuscht von Light. Auf der anderen Seite, wenn er Recht behielt, würde er mit seinem Gewinn auch gleichzeitig den einzigen Menschen verlieren, den er je als Freund bezeichnet hatte. Der Morgen schritt voran. Langsam erwachte Light aus seinem Schlaf. Als er die Augen öffnete, hatte L ihm bereits wieder den Rücken zugewandt. Light war einen Moment irritiert. Er hatte kurz zuvor im halbwachen Zustand noch geglaubt, den Druck einer Hand zu spüren, die ihn im Schlaf festhielt. Aber das war vermutlich nur Einbildung gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)