霜の花 von Tei (Comme un cristal de glace) ================================================================================ Tag 1 – Freitag: Wie werde ich ihn nur los? ------------------------------------------- Nach einigen Monaten Pause nun einmal wieder ein Werk aus meiner Feder, bzw. Tastatur. Shimo no Hana – Comme un Cristal de Glace ist bereits abgeschlossen und etwa einmal im Monat werde ich ein Kapitel hochladen, damit meine liebe Betaleserin auch mit dem Betan hinterher kommt, da die meisten ca. 12 Seiten in Word lang sind. Ich bin bei Shimo einmal wieder meiner Leidenschaft nachgegegangen soviel Realität wie möglich mit Fiction zu vermischen und hoffe, ihr habt beim Lesen soviel Spaß wie ich es beim Schreiben gehabt habe! *~*~*~*~* Wegen der Frage ob X JAPAN weitermachen wird oder nicht: selbst wenn ich sage, wir machen weiter, wer weiß das schon? Niemand weiß, was als nächstes passieren wird, also blicken wir nicht allzu weit in die Zukunft – wir erklimmen die Treppe vor uns Stufe für Stufe. YOSHIKI – Pressekonferenz vom 03. April 2008 Manchmal fragte sich Yoshiki wirklich, warum er seinen kleinen Bruder in sein Management geholt hatte, denn es gab Augenblicke, da würde er ihn am liebsten gefesselt und geknebelt in der Abstellkammer einsperren und für immer vergessen. Es war ja ganz süß und so, wie er sich um ihn sorgte, aber dieses Beglucken war definitiv zu viel für seinen Geschmack. Schließlich hatte er schon seine Mutter, seine Band, seinen Staff und seine Fans, die ihn betüttelten, da brauchte er nicht auch noch Kouki, der alle toppte. Gut, vielleicht hatte er beim letzten Konzert wieder ein wenig übertrieben… Vielleicht hätte er auf seine Ärzte hören und die Halskrause tragen sollen… Vielleicht hatte er seine Hände überlastet und wurde nun einmal wieder mit abwechselnd stechenden und pulsierenden Schmerzen bestraft, die zum Teil bis in die Schultern ausstrahlten… Vielleicht hätte er nicht in sein Schlagzeug springen sollen… Vielleicht war er hinterher etwas aus der Puste gewesen… Aber das hieß noch lange nicht, dass er ein verkrüppelter Invalide war, den man 24 Stunden am Tag und das sieben Tage die Woche bemuttern musste! „Yoshiki, hörst du mir überhaupt zu?!“ „Wenn ich ja sage, hältst du dann die Klappe und lässt mich in Ruhe?“ Er konnte nicht verhindern, dass er dabei leicht scheinheilig klang, denn Kouki verdrehte angenervt die Augen und murmelte etwas von: „Undankbares Pack!“ "Also noch einmal von vorne!" "Kouki, ich kann lesen! Lass mir die Sachen doch einfach da und ich gehe sie alleine durch. Dein Flieger geht in sechs Stunden oder so. Du hast doch sicherlich noch wichtigeres zu erledigen, als das hier!" "Mach dir keine Sorgen um meinen Terminplan, das ist alles genau abgestimmt und jetzt…" Eigentlich wollte Kouki noch fortfahren, doch als sein großer Bruder sich die Zigarettenpackung vom Nachttisch angelte, einen der Glimmstängel heraus zog, mit einem Zippo anzündete und genüsslich daran zog, verschlug es ihm für einen Moment die Sprache. Keine Sekunde später hatte er sich jedoch schon wieder gefangen und entwendete Yoshiki die Zigarette, die er auch sofort im Aschenbecher ausdrückte. "Sag mal, spinnst du?!" "Das wollte ich dich gerade auch fragen: Weißt du, wie teuer Zigaretten inzwischen sind?!" "Du weißt ganz genau, was der Arzt gesagt hat!" "Und du weißt ganz genau, was ich davon halte!" "Yoshiki!" Einmal tief durchatmen, bis zehn zählen und dann so ruhig und sachlich wie möglich weitermachen: „Du hattest nach dem Konzert eine Asthmaattacke!“ „Vermuten die Ärzte…….“ „Du hast gekeucht, gehustet, keine Luft mehr bekommen, deine Lippen sind blau angelaufen und hast dann das Bewusstsein verloren. Sämtliche Peakflow-Messungen im Krankenhaus waren unter 80 Prozent des Sollwertes und dass du als Kind und Teenager Asthma hattest, verstärkt den Verdacht nur!“ „Aber sämtliche Ergebnisse sind wieder normal seit ich zuhause bin!“ Das letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass das verhasste Asthma, das ihn als Kind so oft ins Krankenhaus gebracht hatte, sich doch nicht ‚ausgewachsen‘ und sich nach Jahrzehnten der Ruhe dazu entschlossen hatte, ihn doch einmal wieder zu ärgern. „Rauchen unterstützt das aber nicht!“ "Kouki… mach einfach mit dem weiter, was du ursprünglich machen wolltest…" Wenn er ehrlich sein sollte, dann hatte er keine wirkliche Lust auf eine große Gesundheitsdiskussion mit seinem Bruder. Hauptsache dieser war so schnell wie möglich weg und er konnte endlich wieder aus dem Bett heraus - denn solange er bei ihm war, konnte er das definitiv vergessen und wenn es etwas gab, das er nicht mochte, so war es, ans Bett gefesselt zu sein… zumindest wenn alle Welt der Meinung war, dass er krank war und Ruhe brauchte - in anderen Situationen war der Punkt definitiv noch einer Überlegung wert! Aber hier und jetzt? Nein, danke! Zum Glück war Kouki in wenigen Stunden bereits im Flieger in Richtung Bali. Im Nachhinein betrachtet konnte er sich wirklich auf die Schulter klopfen, dass er die glorreiche Idee gehabt hatte, seinem Bruder und seiner Schwägerin zum fünften Hochzeitstag eine Art zweite Flitterwochen zu schenken. Er würde für ganze sieben Tage eine paradiesische Ruhe haben und es konnte ja wohl nicht so schwer sein, für eine Woche auf seine kleine Nichte aufzupassen. Okay, er hatte sich noch nie so lange am Stück um sie gekümmert, immer nur für ein oder zwei Stunden, aber so schwer konnte das schließlich nicht sein! Außerdem hatte er wirklich gar keine Ahnung, was Kouki und Chika immer damit hatten, dass Ran angeblich recht launisch sein konnte – bei ihm war sie das nie! „Hattest du nicht sowieso mit der Qualmerei aufgehört?“, ging die Gesundheitstirade in die nächste Runde, wobei Yoshiki mehr als desinteressiert dabei war. „Hab halt wieder angefangen…“ „Es ist ungesund!“ „Ich brauchte was, um meine Nerven zu beruhigen…!“ „Schon mal Baldrian ausprobiert?“ „Schon mal was von Coolness und Würde gehört? Wie sieht das denn bitte aus, wenn Heath zum Beispiel genüsslich an seiner Zigarette zieht und ich daneben stehe und an meinem Baldrianfläschchen nuckle?!“ „Schon mal was von Raucherlunge gehört?“ „Schon mal daran gedacht, aufzuhören mich zu bevormunden und deinen Job zu machen?“ Der leicht angenervte Unterton in Yoshikis Stimme und der irritierte Blick veranlassten Kouki, nicht weiter auf das Thema zu beharren. Das Letzte was er wollte, war, sich jetzt mit Yoshiki noch in die Haare zu kriegen, so verkniff er sich vorerst auch den Kommentar, dass das ‚Bevormunden‘ mehr oder weniger mit zum Job gehörte, und ging zurück zur Tagesordnung und dem eigentlichen Grund, weshalb er überhaupt im Schlafzimmer seines fünf Jahre älteren Bruders stand. „Also gut, zurück zum Plan. Ich fang noch einmal von vorne an: Für heute steht nichts an, nur das Chika und ich dir Ran nach dem Ballet vorbeibringen. Das dürfte gegen 19 Uhr sein. Um dein Essen musst du dir keine Gedanken machen, das wird wie immer zu den üblichen Zeiten hergebracht, allerdings musst du für Ran kochen. Und mit ‚kochen‘ meine ich auch kochen und nicht McDonalds!“ „Schon kapiert!“ „Kochen?! Oh Gott… naja, er hat ja nichts von Instantzeug gesagt und das krieg ich hin… notfalls meinen Koch anrufen… oder Dan, der kennt sich damit auch aus… oder einen meiner PAs… ich find schon eine Lösung!“ „Sämtliche Termine mit deinem Personal Trainer sind für die nächste Woche abgesagt…“ „Was?! Und wie soll ich fit bleiben?“ „Indem du erst mal wieder zu Kräften kommst? … Abgesehen von Übermorgen, weil da Sonntag ist, kommt täglich von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr deine Physiotherapeutin vorbei. Deine Haushälterin kommt wie gewohnt und Dan hat versprochen, sich wenn nötig um sämtliche Einkäufe zu kümmern und wenn es sonst irgendwelche Probleme gibt, kannst du dich bei ihm melden und er kümmert sich darum. Deine PAs stehen jedoch auch auf Abruf bereit, wen du letzten Endes also wählst ist dann deine Entscheidung…“ „Du missbrauchst meinen Lieblingsbodyguard!!“ „Er ist nun mal zuverlässig. Das Interview, das für morgen Nachmittag angesetzt war, wurde verschoben, ebenso die fünf anderen, sowie die beiden Photoshootings.“ „Was?!“ „Du sollst dich ausruhen – sagen die Ärzte! Der Sonntag steht dir und Ran zur freien Verfügung. Am Montag, um 14:45 Uhr hat Ran einen Termin zum Impfen – Adresse und so weiter habe ich dir aufgeschrieben – und von 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr hat sie Ballet – die Adresse habe ich dir auch notiert! Am Dienstag, um 14:00 Uhr hast du deinen Kontrolltermin im Krankenhaus und das Meeting mit Azoff Management ließ sich leider nicht verschieben, aber ich habe arrangiert, dass es hier stattfindet – um 17:00 Uhr. Toshi, Pata, Heath und Sugizo werden auch mit dabei sein und deine Haushälterin kümmert sich darum, dass genug zu trinken und ein paar kleine Snacks im Haus sind. Mittwoch ist nicht allzu viel los, außer Rans Ballet um 16:00 Uhr. Donnerstags ist sie von 14:30 Uhr bis 18:00 Uhr bei einer Freundin und von 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr ist ein Meeting mit S.K.I.N. bei Extasy Records angesetzt, dass sich leider auch nicht verschieben ließ, da sowohl Gackt, als auch Miyavi, die nächsten Wochen wegen eigener Tourplanungen verhindert, beziehungsweise gar nicht im Lande sind. Freitag ist dafür wieder sehr entspannend, da abends, wieder zur gleichen Uhrzeit, nur Rans Ballet ist und am Samstagmorgen holen Chika und ich sie dann ja auch schon wieder ab.“ „Warum hab ich das Gefühl, dass Ran mehr zu tun hat als ich?“ „Weil sie sich im Gegensatz zu dir nicht schonen muss“, entgegnete Kouki, ignorierte Yoshikis eingeworfenes ‚soll‘ und teilte ihm noch mit, dass er alle Termine, wichtigen Adressen und Telefonnummern auf seinen Organizer überspielt hatte. „Und du bist dir sicher, dass dir das mit Ran nicht zu viel ist?“, hakte er lieber noch nach und musterte seinen Bruder, der im Schneidersitz auf dem Bett saß und dessen Nacken von einer Halskrause gestützt wurde, während beide Handgelenke von Schienen ruhig gestellt wurden. „Ich hab dir schon die ganzen letzten Tage gesagt, dass das in Ordnung geht, Kouki…“ „Wenn doch, dann ruf Mama an, damit sie sie dir abnimmt, okay?“ „Mach ich, aber dazu wird es schon nicht kommen!" Nur zu gerne wollte er das glauben, unter anderem auch deswegen, weil sich Ran schon seit Wochen darauf freute, sieben Tage bei ihrem Onkel sein zu dürfen, aber die Unmengen an Schmerztabletten, die sich auf dem Nachttisch stapelten, gepaart mit einem Inhalator - für den Fall, dass Yoshiki erneut keine Luft bekam -, dem Peak Flow Meter, um die Lungenkapazität im Auge zu behalten, und einem Tagebuch, um eben jene Werte darin zu notieren, sorgten nicht gerade dafür, dass er sich besonders wohl dabei fühlte, seine Tochter bei seinem Bruder zu lassen. Schließlich wusste er nur zu gut wie kraftraubend und nervenzehrend sein kleines Energiebündel sein konnte. Überdies würde sich bald einmal wieder hides Tod jähren und Kouki wusste, wie schnell er dann in immer in ein schwarzes Loch fiel. Das alles gab ihm kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. "Jetzt hör schon auf, so zu schauen", äußerte Yoshiki, der die Sorgenfalten auf Koukis Stirn bemerkt hatte, und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. "Du fliegst in ein paar Stunden mit deiner Frau in deine zweiten Flitterwochen, also freu dich mal ein wenig und guck nicht so traurig aus der Wäsche! Vergiss mich und die Arbeit einfach mal und genieß die Zeit, die du mit Chika hast!“ „Du bist die Arbeit, Yoshiki“, entgegnete sein Bruder grinsend und verpasste ihm einen leichten Schlag auf den Kopf. „Au! Wofür war das?“ „Einfach so – mir war danach.“ „Handgreiflichkeiten gegenüber dem Boss… ich sollte dich feuern“, murmelte der Drummer, während sich ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht schlich. „Tu, was du nicht lassen kannst, Kleiner“, äußerte Kouki, der wusste, dass das nicht ernst gemeint war, und packte, sehr zu Yoshikis Erleichterung, seine Sachen zusammen, um wohl endlich zu gehen. „Ich leg dir die Unterlagen auf den Schreibtisch…“ „Mach das.“ Zufrieden sah er seinem Bruder nach, der das Schlafzimmer verließ, und freute sich schon auf die ihm bald bevorstehende Freiheit: kein ‚Yoshiki du musst im Bett bleiben!‘, kein ‚Du sollst dich doch schonen!‘ und der gleichen Standartsätze, mit denen ihm Kouki stets ein Ohr abkaute. Er streckte sich kurz nach oben, um seine Muskeln, die garantiert schon am Einschlafen waren, daran zu erinnern, dass er sie noch brauchen würde, und ließ sich dann mit einem Seufzen nach hinten, in die Kissen fallen… zumindest dachte er das. „FUCK!!!“ „Was ist…?“ Sofort kam Kouki aus dem Büro zurück zu Yoshiki gerannt, den er, die Rückwand des Bettes wütend anfunkelnd, während er sich den Hinterkopf rieb, vorfand. „Was ist passiert?“, wiederholte er diesmal seine Frage vollständig. „Ich hab mir den Kopf angeschlagen, als ich mich in die Kissen habe fallen lassen wollen…“, antwortete der Gefragte und die Schnute, die sein Gesicht zierte, wurde immer größer, als sein Bruder offensichtliche Probleme hatte, nicht laut los zu lachen. "Du bist und bleibst ein alter Tollpatsch, Yoyo!" "Na danke… ich gerate einmal ein wenig aus der Puste und du tust, als würde ich gleich den Löffel abgeben. Zieh ich mir aber ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu, werde ich von dir nur ausgelacht!" "C’est la vie", war Koukis einziger Kommentar darauf, als er Yoshiki grinsend umarmte und sich vorläufig von ihm verabschiedete. Im Türrahmen blieb er jedoch noch einmal stehen und drehte sich zu dem Anderen um, der leise das Bett verfluchte. "Ach und Yoshiki: keine Flüche in Gegenwart von Ran!" Ein lang gezogenes, sichtlich genervt klingendes ‚ja‘ folgte ihm, als er mit einem Kopfschütteln die Villa verließ und zu seinem Auto ging. Kaum war die Haustür ins Schloss gefallen, krabbelte Yoshiki aus dem Bett und tapste barfuß in Richtung Arbeitszimmer, wo er die Sachen durchblätterte, die ihm Kouki da gelassen hatte. Leider waren es wirklich nur die vorhin genannten Termine und Telefonnummern und nicht, so wie er es sich erhofft hatte, vielleicht noch ein paar wichtige Unterlagen, die er durcharbeiten konnte. "Und was soll ich jetzt seiner Meinung nach tun?", fragte er den leeren Raum und hob theatralisch die Hände. Sein kleiner Bruder schien ihn wirklich zu einer Woche Nichtstun verurteilen zu wollen… gut, er hatte Ran, um die er sich kümmern musste - aber das war keine Arbeit - und dann noch das Treffen mit den Leuten von Azoff, aber das bot auch nicht wirklich Beschäftigung, da es nur darum ging, wie die Verhandlungen mit den Chinesen wegen des Vogelnestes verliefen, und dann würden sie noch etliche Hallen in Deutschland, die möglicherweise in Frage kämen, besprechen. Das war doch keine Beschäftigung! Und das Meeting mit S.K.I.N…. das würde auch nur mehr ein Herumdiskutieren bezüglich des Albums und wann sie es denn eigentlich aufnehmen wollten werden und er ahnte bereits, dass es damit enden würde, dass Gackt mit einem ‚das ist schlimmer als im Kindergarten!‘ aus dem Meetingraum stürmen würde, Miyavi ihm mit einem ‚Gaku-nii‘ hinterher rennen und versuchen würde, den starrköpfigen Sänger zu beschwichtigen, während Sugizo ihm mit Greenpeace das andere Ohr, das Kouki noch dagelassen hatte, abkauen würde. Aber es konnte natürlich auch sein, dass er einen Vortrag darüber bekam, wie umweltschädlich es doch war, wenn er ständig mit seinem Privatjet in der Weltgeschichte herumgondelte oder an irgendwelchen kleinen Straßenrennen in Los Angeles teilnahm, um die Pferdestärken seines geliebten Ferraris einmal wieder zu spüren, ganz zu schweigen davon, dass man keinen ganzen Fuhrpark an Spritschluckern brauchte, sondern ein einziges Auto völlig ausreichend war. Aber vielleicht wurde sein Ohr ja demnächst verschont, wenn er dem Gitarristen bei Gelegenheit sein neustes Baby unter die Nase rieb – ein Hybridauto. Seufzend und mit hängenden Schultern schlurfte er ins Wohnzimmer und strich mit der linken, bandagierten Hand, die es irgendwie immer schlimmer erwischte als seine rechte, zärtlich über das schwarze Holz des Konzertflügels, der dort stand. Es juckte ihn in den Fingern zu spielen, aber er wusste selbst, dass es momentan nur dazu führen würde, dass seine Sehnen länger bräuchten, um sich zu erholen, und das wollte er unter allen Umständen vermeiden. Somit blieb es bei der kurzen Streicheleinheit und dem sanften Anschlagen des Kammertones A, der durch das Haus hallte. Vielleicht sollte er seinen Akupunkteur und seinen Masseur anrufen und beide bitten vorbeizukommen oder er sprach mit seinem Arzt einmal übers Tapen, darüber hatte er auch schon viel Positives gehört… Mit diesen Ideen im Kopf verschwand er hinter dem Tresen der Bar, die sich ebenfalls in dem großzügig geschnittenen Raum befand, und aktivierte alle fünf Sony AIBOS, die er hier in Tokyo hatte. Genau genommen waren es eigentlich nur vier, da er Violet immer aus den Staaten mitbrachte. Seine elektronischen Haustiere betrachteten ihn glücklich und schwanzwedelnd, als sie ihn als ihren Besitzer erkannten, doch vier von ihnen - Yoshiki hatte sie Diabolo, Snow White, Bach und Rachmaninow getauft - zogen es dann vor miteinander zu spielen. Lediglich die fünfte im Bunde, Violet, betrachtete ihn weiter, ging auf ihn zu und schien schon an ihm vorbeilaufen zu wollen, als sie dicht neben seinem Bein anhielt, sich umdrehte und erwartungsvoll zu ihm hoch sah. Ein Lächeln schlich sich auf seine Gesichtszüge und ein kurzes Schnalzen mit der Zunge genügte, dass sie ihm zur Couch folgte. Manchmal vergaß er regelrecht, dass Violet nur ein Roboter war. Aber sie war nun einmal sein erster AIBO gewesen und entsprechend hatte sie auch eine Sonderstellung bei ihm. Zudem hatte er immer wieder den Eindruck, als würde sie seine Gefühlsregungen genau erkennen und darauf reagieren, etwas, das die anderen nicht taten. Am Sofa angekommen, hob er Violet hoch und ging rasch zum Fernseher, um diesen einzuschalten und eine von Gackts Gundam DVDs, die dieser ihm geliehen hatte, in den DVD-Player zu tun. Leider schränkten die Handgelenksbandagen seine Feinmotorik etwas ein, sodass es ihm erst nach mehreren Anläufen gelang, die DVD gerade im Laufwerk zu platzieren, ohne dass sie sich später beim Abspielen im Inneren des Gerätes irgendwo verhakte. Ein Blick auf die Uhr, als er sich hinsetzte, verriet ihm, dass Kouki wohl in gut zwei Stunden wieder da sein würde - folglich hatte er genügend Zeit, um sich diese eine DVD anzusehen. Mit Violet auf seinem Schoß verfolgte er den Anime. Kurz darauf gesellte sich auch Snow White zu ihnen, die es sich zu seinen Füßen bequem machte, während Bach unter dem Flügel vor sich hindöste und Rachmaninow mit Diabolo und einem neongelben Knochen spielte. Yoshikis Augen ruhten auf dem Plasmabildschirm, während er sich immer tiefer in die Couch kuschelte und seine Lider irgendwie schwerer und schwerer wurden. Anscheinend zollten die ganzen Schmerzmittel, das Konzert und der Zusammenbruch doch noch immer ihren Tribut, auch wenn er es nur ungerne zugab. Vielleicht sollte er seine Augen nur für einen Moment ausruhen, um dann dem Anime wieder mit voller Konzentration zu folgen... nur für einen klitzekleinen Augenblick………… Das nächste, das der Schlagzeuger und Pianist mitbekam, war, dass ihm jemand einen ziemlich feuchten Kuss auf die Lippen drückte. Er konnte es nicht wirklich zuordnen und weil sein Gehirn auch noch nicht recht wieder da war, war die logische Erklärung wohl die, dass er irgendwie, irgendwo jemanden abgeschleppt hatte und eben jene Person nun versuchte, ihn wach zu bekommen. Wäre ja nicht das erste Mal… Aber warum er gerade jetzt aufwachen sollte, war ihm unbegreiflich: er hatte doch einen so schönen Traum gehabt, in dem er ausnahmsweise einmal nicht von dem Reismonster verfolgt wurde. Nein, stattdessen hatte er sich im Schokoladenland befunden, das sogar noch besser war als das von Willy Wonka! Alles hatte aus dieser süßen Sünde bestanden und er konnte gar nicht mehr aufzählen, was er alles angeknabbert und aufgegessen hatte. Dass jemand, der dicht neben ihm stand, irgendjemand anderen dazu aufforderte, ihn noch einmal zu küssen, registrierte er gar nicht - den Kuss dafür schon und erst recht den Schmerz, als ihn jemand unsanft an den Haaren zog. Mürrisch, bereit, den Attentäter, der ihn jetzt so unsanft weckte, zur Sau zu machen, schlug er die Augen auf und blickte in nur zwei allzu bekannte hellbraune, die ihn leicht vorwurfsvoll ansahen. "Warum schläfst du, wenn ich komme, Onkel Yoshiki?!" Deutlich verschlafen und noch etwas langsam mit seinen Gedanken starrte Genannter zunächst auf die kleine Fünfjährige, die vor der Couch kniete, ihr Kinn auf dem Sitz eben jener abstützte und ihn aus großen Augen ansah. Sein Blick wanderte weiter und blieb kurz auf Chika hängen, die den Fernseher und DVD-Player ausgeschaltet hatte, und landete schlussendlich auf seinem kleinen Bruder, der ihn nur angrinste und den Kopf schüttelte. „Den ganzen Tag machst du ein Theater wie fit und voller Energie du bist und kaum bin ich mal zwei Stunden nicht da, pennst du weg!“ „Wie spät ist es?“, fragte Yoshiki etwas verplant und setzte sich unter Ächzen und Stöhnen auf. Entweder eignete sich das Sofa nicht, um darauf zu schlafen, oder seine Knochen wurden für solche Aktionen langsam wirklich zu alt. "Kurz nach sieben", erhielt er auch prompt die Antwort von seiner Schwägerin. "Rans Sachen sind bereits im Gästezimmer, ihr müsst sie dann nur noch auspacken", teilte ihm sein Bruder mit und hielt ihm eine Hand hin, um ihn hochzuziehen, die er auch dankend annahm. Leider war der Zug an seinem Arm weder für sein Handgelenk noch für seinen Nacken sonderlich angenehm, da in beiden ein kurzer stechender Schmerz aufflammte, aber er ließ sich davon nichts anmerken. "Okay, machen wir", meinte er und blickte kurz zu seiner Nichte, die Violet streichelte, welche wohl von ihm herunter gekrabbelt sein musste, als er geschlafen hatte. "Ich schätze, ihr müsst los?" "Ja, sonst wird es knapp…" Die Abschiedsszene, die nun zwischen Ran und ihren Eltern folgte, erinnerte Yoshiki irgendwie daran, wenn er sich immer von seiner Mutter verabschiedete, wenn er zurück in die Staaten flog. Nach gut zehn Minuten war dann auch er an der Reihe und wurde erst einmal von einer Chika umarmt, der sichtlich die Tränen in den Augen standen, schließlich war es die erste große Trennung von ihrer Tochter. "Ich pass gut auf sie auf, versprochen", flüsterte er ihr ins Ohr und drückte sie an sich, während er ihr beruhigend über den Rücken strich. "Wenn irgendetwas ist, dann ruf an, okay?" "Mache ich", versprach er und löste sich ein wenig von ihr, um sie aufmunternd anzulächeln, "und jetzt strahl wieder, auf dich wartet schließlich ein einwöchiger Urlaub! … obwohl, wenn ich so daran denke… eine Woche mit meinem Bruder allein auf einer Insel, da wäre mir auch zum Heulen zu Mute." "Idiot!", war Koukis einziger Kommentar darauf, als er nun seinerseits Yoshiki in eine enge Umarmung zog, die allerdings eher in eine kleine Gruppenumarmung ausartete, da der Pianist noch immer halb Chika festgehalten hatte, die dank seiner Bemerkung aber wieder lachte, während Kouki seine Tochter auf dem Arm hatte. "Ich habe dir auf den Esstisch noch einen Zettel mit ein paar Regeln für Ran hingelegt", teilte er seinem großen Bruder mit, ehe er sich von ihm löste, die Jüngste im Bunde eigentlich absetzen wollte, sie ihm zuvor aber von dem Drummer abgenommen wurde. Er bezweifelte zwar, dass das in Yoshikis momentaner Verfassung das gesündeste war, aber ausnahmsweise hielt er den Mund und drängte stattdessen zum Aufbruch, damit sie den Flieger nicht verpassen. Weitere zehn Minuter, etliche Ermahnungen für beide, Küsse für Ran und Umarmungen für Yoshiki später standen die beiden, wobei seine Nichte war noch immer auf seinem Arm war, in der Haustür und winkten Chika und Kouki hinterher, die mit dem Auto aus der Einfahrt in Richtung Narita fuhren. Als sie nicht mehr zu sehen waren, ging der Schlagzeuger zurück ins Haus und schloss die Tür, wobei Ran angestrengt durch die Glasverzierungen nach draußen starrte. "Jetzt sind sie weg…" "Bist du traurig darüber?", fragte Yoshiki nach, da es ihn ein wenig überraschte, dass sie den Abschied so gefasst hinnahm. Andererseits hatte er aber auch keine Ahnung, inwieweit sie verstand, was es bedeutete, ihre Eltern für eine Woche nicht sehen zu können. "Ein wenig…", gestand sie ein, kuschelte sich an seine Brust und legte den Kopf auf seiner Schulter ab. Ihre Beine hatte sie fest um seine Taille geschlungen, um einen Teil ihres Gewichtes selbst zu tragen, denn trotz ihrer fünf Jahre wusste sie bereits sehr gut, dass es nie ein gutes Zeichen war, wenn ihr Onkel diese seltsamen Sachen am Hals und an den Händen hatte und es dann besser war vorsichtiger mit ihm umzugehen. "Aber dafür kann ich jetzt ganz lang bei dir bleiben, nicht nur für ein paar Stunden… da ist es okay, dass sie ohne mich weggehen…" Yoshiki nickte leicht und hoffte, dass es dabei blieb und dass die Sehnsucht nach ihren Eltern nicht doch noch Überhand nahm, denn dann wüsste er ehrlich gesagt nicht wirklich, was er tun sollte. Mit einem Seufzen setzte er sie ab, da sie ihm nun doch etwas zu schwer wurde und fragte sie, was sie von Abendessen hielt. Er selbst war nämlich am Verhungern und so ging es nach einem kurzen Nicken seitens Ran in jenen Raum der Villa, den Yoshiki nur sehr selten benutzte. "Was gibt es denn?" "Gute Frage…" Zwar wusste er grob, was es für ihn gab – irgendetwas, das sein Ernährungsberater herausgesucht hatte, weil es perfekt in seinen Ernährungsplan passte, und das bereits von einem Spitzenkoch vorgekocht und am Mittag gemeinsam mit dem Mittagessen vorbei gebracht worden war, sodass er es jetzt nur noch aufwärmen musste - aber er hatte wirklich keine Ahnung, ob sein Kühlschrank irgendetwas hergab, dass einer Fünfjährigen schmeckte und sie auch noch satt machte. "Hast du Ramen da?" "Die Frage ist überflüssig!", antwortete er grinsend und öffnete zielsicher einen der Küchenschränke, in dem sich die Instantramen nur so stapelten. Ein paar routinierte Handgriffe später stand vor Ran, die es sich auf einem der Rattanstühle, die um den kleinen Glastisch in der Küche standen, bequem gemacht hatte, eine Schüssel dampfender Ramen, während Yoshikis eigenes Abendessen in der Mikrowelle seine Runden drehte, aber drei Minuten später stand dann auch das dampfend vor ihm. Er wollte schon Platz nehmen, da fiel ihm auf, dass es noch nichts zu trinken gab. "Bist du mit Wasser einverstanden?" "Mhm", bekam er nur eine gebrummte Antwort, da Ran gerade konzentriert versuchte, die Stäbchen irgendwie so zu halten, dass sie sich nicht ständig überkreuzten. "Du kannst auch eine Gabel haben", bot Yoshiki ihr an, da er ihre mehr oder weniger erfolgreichen Trockenversuche sah, als er zwei gefüllte Wassergläser auf den Tisch stellte. "Ist nicht nötig", tat sie es ab, schlug die Handflächen in der Namastegeste vor sich zusammen und sagte das obligatorische ‚Itadakimasu‘, als sich Yoshiki auch endlich hinsetzte, es ihr gleich tat und sie sich beide hungrig über ihr Essen her machten. Jedoch war dem Pianisten nach den ersten paar Bissen bereits der Appetit wieder vergangen, denn das, was er da essen sollte, war definitiv nicht nach seinem Geschmack. Alles was er damit noch machen würde, war, den Mülleimer zu füttern. Nur er brauchte jetzt definitiv etwas anderes zu essen… "Schmeckt es dir nicht?", fragte Ran, die den leicht angesäuerten Blick Yoshikis bemerkt hatte. "Nein. Dafür, dass es von einem Spitzenkoch zubereitet worden ist, schmeckt es schlimmer, als wenn ich es selbst gekocht hätte…" "Wir können teilen, wenn du willst!" "Ist schon gut, ich habe, glaube ich, bereits eine Alternative", schlug er lächelnd das Angebot aus und begab sich in Richtung Kühlschrank, den er öffnete und darin herumkramte, während Ran sich wieder daran machte, Ramen zu angeln und dabei einen Teil der Soße auf dem Tisch verteilte, doch das machte ihm nichts aus, denn das konnte man schließlich abputzen. Relativ schnell förderte er aus den Tiefen des Kühlschrankes eine große Schüssel zu Tage, die mit Folie abgedeckt war. Jene entfernte er, knüllte sie zusammen und warf sie in den Mülleimer, ehe er sich noch einen Löffel holte und sich anschließend zurück an den Tisch setzte. Als er den Esslöffel in dem Behälter versenkte, zierte ein wohlig zufriedener Ausdruck sein Gesicht, der mit jeder Buddha-Statue hätte konkurrieren können. "Was hast du da?" "Pudding", antwortete Yoshiki zwischen zwei Löffeln, "hat mir Mama vorgestern mitgebracht!" Einen Großteil hatte er zwar schon die beiden Tage zuvor gegessen, aber es war noch genug da, um heute Abend satt zu werden. "Was machen wir heute Abend noch?" Zwei große braune Augen sahen ihn einerseits fragend, andererseits bittend, dass sie nicht gleich ins Bett musste, an. "Nicht mehr viel, fürchte ich… wir packen deine Sachen aus und räumen sie ein, anschließend stecken wir dich noch in die Badewanne, weil Kouki mir das vorhin, während irgendeiner der zehntausend Umarmungen, ins Ohr geflüstert hat und dann geht es für dich ins Bett. Es wird wahrscheinlich eh viel zu spät sein und du brauchst deinen Schlaf!" "… erzählst du mir dann noch eine Geschichte?" „Eine Geschichte…?“ Yoshikis Gehirn fing an zu rattern, als er überlegte, ob ihm irgendwelche kindgerechten Gute-Nacht-Geschichten einfielen. Leider herrschte da gähnende Leere… Wenn er einfach ein Musikvideo nahm und dieses etwas umdichtete…? "Du kennst doch eine, oder?" Ran war mit ihren Ramen fertig, nahm erneut die Hamastegeste ein, murmelte ein ‚Gochisousama‘ und sah dann ihren Onkel abwartend an, der offensichtlich angestrengt nachdachte. "… nicht wirklich…" „Aber irgendeine Geschichte musst du doch kennen!“ Er kannte zwar einige, aber er war sich nicht so sicher, ob er ihr die wirklich erzählen sollte und auf die schnelle selbst eine erfinden… das wäre zumindest eine Überlegung wert! Oder aber, er formulierte einfach das PV von Celebration etwas um, dann hätte er zumindest eine Geschichte mit einer Prinzessin. Nur irgendwie war er mit keiner dieser Lösungsansätze wirklich zufrieden… „… kennst du die Geschichte von Tsuki no Usagi?“ Während er überlegt hatte, hatte er die restlichen Puddingreste zusammen gekratzt und gegessen und schlug nun auch kurz die Handflächen zusammen und brummte mehr ein ‚Gochisousama‘. „Du willst mir einen Anime erzählen?“ Mehr als skeptisch blickte Ran ihren Onkel an, der jedoch scheinbar auf dem Schlauch stand und nicht so recht wusste, auf was sie hinaus wollte – zumindest fand sie, dass er sehr verpeilt drein blickte. „Bishōjo Senshi Sērā Mūn, Tsukino Usagi. Aber den musst du mir nicht erzählen, den Anime kenn ich schon!“ Yoshiki blinzelte mehrmals, ehe der Groschen fiel und sich auf seiner Schläfe ein dicker, imaginärer Schweißtropfen bildete. „Nicht der Anime! Die Geschichte vom Mondhasen, kennst du die nicht?“ Ein Kopfschütteln erlöste ihn zumindest für heute Abend von dem Gute-Nacht-Geschichten-Problem. Für die restlichen musste er sich noch etwas ausdenken oder er fragte einfach einmal Sugizo, der war schließlich Vater, also musste er sicherlich ein paar Ideen haben… Miyavi wäre andererseits auch noch eine Möglichkeit. So versessen wie der Jüngere auf Tykos kleine Tochter war, würde es Yoshiki nicht wundern, wenn er inzwischen selbst den perfekten Papa abgab – ganz im Gegensatz zu ihm selbst. Zudem wurde der Jüngere ja bald selbst Vater… „Ok, dann erzähl ich dir die, aber jetzt lass uns erst einmal deine Sachen auspacken!“ Eine dreiviertel Stunde später war der Pianist davon überzeugt, dass Ran mehr oder weniger ihre ganzen Sachen mitgenommen hatte, da sie es gerade so geschafft hatten, alles irgendwo im Gästezimmer unterzubringen und dieses war bei weitem nicht gerade klein – zumindest für japanische Verhältnisse. Im Moment war er gerade dabei die Küche wieder auf Vordermann zu bringen, während sein kleiner Gast in der Badewanne war, und er hoffte, dass sie das Badezimmer nicht in einen Indoor-Swimmingpool verwandelte. Seine Gedanken wanderten von der möglichen Überflutung jedoch sehr schnell zurück zu einer Melodie, die ihm während des Aus- und Einräumens gekommen war und ihn nicht mehr losließ, sodass er sich zusammenreißen musste, sie nicht laut vor sich herzusummen. Solange Ran noch nicht im Bett war, hatte er aber kaum Zeit, sich in Ruhe hinzusetzen und diese aufzuschreiben. Ein lautes und lang gezogene ‚Onkel Yo‘ machte es aber auch unmöglich gedanklich daran herumzufeilen. Er legte das Geschirrhandtuch, mit dem er eben noch den Tisch trocken gewischt hatte, auf die Ablage und eilte in das Badezimmer des Gästeschlafzimmers. Kurz klopfte er an die Tür an, ehe er diese einen Spalt öffnete und hinein lugte. "Was gibt es, Ran-tan (1)?" "Wäschst du mir die Haare?" Yoshiki nickte und ging zu ihr, wobei er sich zuerst die Manschetten von den Handgelenken entfernte und diese kurz rotierte, damit sie, nachdem sie den ganzen Tag über ruhig gestellt waren, wieder etwas beweglicher wurden. Die neue Bewegungsfreiheit wurde jedoch erst einmal mit einem lauten Knacken der Gelenke selbst und einem unangenehmen Ziehen in den Sehnen belohnt. Für einen Moment verzog er das Gesicht und ging dann neben der Badewanne, die im westlichen Stil war, in die Hocke. Er nahm den Duschkopf, schaltete das Wasser an und testete die Wärme zunächst an seiner eigenen Hand. Als er damit zufrieden war, bat er Ran den Kopf in den Nacken zu legen, was diese auch brav tat, und machte ihre Haare nass, ehe er sie ausgiebig mit Haarshampoo einschäumte und dieses anschließend wieder auswusch. "Sonst noch etwas, das die kleine Prinzessin wünscht?", fragte er mit einem Grinsen, während er ihre Haare auswrang. Ein Kopfschütteln und ein Gähnen waren die einzige Antwort darauf und für ihn nur ein Zeichen, dass es endlich Zeit wurde, Ran ins Bett zu bekommen, da sie dort eigentlich sowieso schon seit etwa einer Stunde sein sollte. "Na komm, raus jetzt!" Mit einem aufmunternden Lächeln stand er auf, hob seine Nichte aus der Wanne und wickelte sie in ein großes flauschiges Handtuch, als sich lautstark das Handy in seiner Hosentasche zu Wort meldete. Ein kurzer Blick aufs Display zeigt ihm, dass er den Anruf nicht einfach wegdrücken konnte, da er aus dem Studio in Los Angeles kam und somit wichtig sein könnte. "Ich komme gleich wieder, trocknest du dich schon einmal ab, ich bringe dann den Föhn mit", entschuldigte er sich und verschwand kurz. Wenig später kam er wieder zurück und fand Ran, bereits im Nachthemd, sitzend auf dem Bett vor. Waren ihre Augen vorhin noch aufgeweckt gewesen, so hatte sie nun doch scheinbare Mühe, sie offen zuhalten. "Waren es Mama und Papa?" "Nein, einer meiner Mitarbeiter in LA", beantwortete er ihre Frage, steckte den Stecker des Föhns in die Steckdose und föhnte Rans schulterlanges, schwarzes Haar. Als es trocken war, krabbelte sie von ganz alleine unter die Bettdecke und kuschelte sich in die zahlreichen Kissen, während ihre kleinen Hände einen großen weißen Plüschtiger festhielten. „Hast du eigentlich schon Zähne geputzt?“ "Ja… erzählst du mir jetzt noch die Geschichte?" "Du kannst doch kaum noch die Augen offen halten…" "Du hast es aber versprochen!" "Okay, okay." Er machte es sich neben ihr auf dem Doppelbett bequem und legte beschützend einen Arm um sie, als sie sich an ihn drückte und sich ihre Lider immer weiter senkten. Yoshiki selbst schloss seine und begann jene Geschichte zu erzählen, die er das erste Mal von seinem Vater gehört hatte, als sie während einer Vollmondnacht gemeinsam am Strand von Tateyama gewesen waren… "Vor sehr, sehr langer Zeit lebten einmal ein Fuchs, ein Affe und ein kleiner Hase friedlich zusammen. Sie waren Freunde und teilten alles. Tagsüber gingen sie gemeinsam in die Berge und jagten und spielten dort und Abends kehrten sie zusammen in ihren Wald zurück, um dort zu schlafen…" Die Geschichte hatte noch gar nicht wirklich angefangen, da vernahm Yoshiki auch schon gleichmäßiges Atmen und als er die Augen wieder öffnete, bestätigte es sich, dass Ran bereits eingeschlafen war. Ein sanftes Lächeln, dass sich sonst nur sehr selten auf seine Züge schlich, breitete sich auf seinen Lippen aus, als er sich vorsichtig von ihr löste, die Decke bis zu ihrem Kinn zog und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte. „Schlaf gut, Kleine…“ Bevor er das Licht löschte und das Zimmer verließ, machte er noch einen kurzen Abstecher ins Bad, um seine Manschetten zu holen und wieder anzulegen. Anschließend ging er in den Master Bedroom um brav, so wie man es ihm angeordnet hatte, dreimal in den Peakflow-Meter zu pusten und den höchsten Wert zu notieren. Eigentlich hatte er keine wirkliche Lust dazu, aber er wusste, dass es nur zu seinem eigenen Wohle war, da es wichtig war herauszufinden, ob das Asthma zurückgekehrt war. Denn wenn dies der Fall war, dann brauchte er so schnell wie möglich einen Ausweg, der es ihm erlaubte das Konzert in einem Monat im selben Maße durchzuziehen, ohne nach den ersten zehn Minuten hechelnd und keuchend auf dem Boden zu sitzen und nach Luft zu schnappen. Zu seinem Missfallen waren die ersten beiden Werte unter der 80 % Grenze, doch der letzte, den er dann auch aufschrieb, war zum Glück darüber - wenn auch nur knapp. „Vielleicht sollte ich doch auf die Ärzte und Kouki hören und vorerst die Finger von den Zigaretten lassen… mit Ran werde ich ja sowieso gezwungener Maßen wieder zum Nichtraucher…“ Nachdem er das nun auch hinter sich gebracht hatte und seine Nichte friedlich schlief, konnte er sich endlich den angenehmen Dingen im Leben zuwenden: dem Komponieren. Yoshiki holte sich genügend Notenpapier, einen Bleistift, ein Glas seines Lieblingsrotweines und machte es sich im Wohnzimmer bequem. Etwas krakelig, da ihn die Schienen an seinen Händen behinderten, legte er einen Vier-Viertel-Takt und B und ES als Vorzeichen fest und begann die ersten Noten niederzuschreiben. Doch anstatt bei der Melodie zu bleiben, die in seinem Kopf spukte, wanderten seine Gedanken immer wieder zu dem Anruf von vorhin ab, der von seinem Aufnahmedirektor in LA gekommen war. Ausgerechnet jetzt, wo alle Studios ausgebucht waren, machte das Pro Tools MIX Plus System Probleme. Er konnte nur hoffen, dass es nichts Ernsthaftes war und seine Techniker das Ganze sehr schnell wieder zum Laufen brachten, denn wenn es darauf hinausliefe, dass er die Komponente austauschen lassen müsste, dann konnte er seine komplette Budgetplanung noch einmal von vorne machen, da man diese nicht gerade für 1,99 als Sonderangebot im Supermarkt bekam. Es juckte Yoshiki in den Fingern, seinen Privatjet startklar machen zu lassen und zurück nach Amerika zu fliegen, aber er hatte im Moment in Japan genügend Verpflichtungen und er wusste, dass er sich auf seine Leute verlassen konnte. Ein lang gezogener Seufzer kam über seine Lippen und er nippte an seinem Wein, während er sich mit der anderen Hand durch die gebleichten Haare fuhr, sodass einige Strähnen abstanden. Sein Blick wanderte kurz durch den offen gehaltenen Raum und blieb an seinen AIBOs hängen, die entweder miteinander spielten oder schliefen. Als er das Weinglas wieder abstellte, wandte er seine Konzentration wieder dem Notenblatt zu und begann die Melodie in seinem Kopf weiter aufzuschreiben. Für ihn war das in etwa so, als würde er bei einem Telefongespräch Notizen mitschreiben, sodass er auch relativ schnell das dritte Blatt beendet hatte, als ihn das Geräusch von nackten Füßen auf Fliesen und Schniefen aus seiner endlich gefundenen Konzentration rissen. "Onkel Yoshiki…" Den ganzen Oberkörper drehend, da die Halskrause die Bewegungsfreiheit seines Kopfes deutlich behinderte, wandte er sich um und erblickte Ran, die irgendwie völlig verloren aussah, ihren großen Plüschtiger an sich presste und in deren Augen sich immer mehr Tränen sammelten. "Was ist…?" "Ich will zu Mama und Papa!" Noch während sie es gesagt hatte, hatte sie das Kuscheltier fallen gelassen, war zu Yoshiki gerannt, hatte sich in seine Arme geworfen und zu weinen angefangen. Etwas überrumpelt zog er sie auf seinen Schoß und hielt sie fest, während in seinem Kopf bereits die grauen Gehirnzellen angefangen hatten zu rattern und nach einer Möglichkeit suchten, die Situation wieder in den Griff zu kriegen. Das, was er gehofft hatte, dass es nicht passieren würde, war eingetreten: Ran wollte zu ihren Eltern, die sie aber erst in einer Woche wieder sehen würde. Es war nur zu gut nachvollziehbar für ihn, dass sie unter der Trennung litt, aber er hatte keine Ahnung, wie er ihr diesen Schmerz nehmen sollte. Zudem fühlte er sich für eben jenen verantwortlich, immerhin hatte er Chika und Kouki die Reise geschenkt, mit dem Wissen, dass Ran damit klar kommen musste, eine Woche ohne sie auszukommen. Immer wieder versuchte er sie mit beruhigenden Worten zu trösten, doch nichts schien zu fruchten. Auch seine Nachfragen, was sie denn wieder geweckt hatte, stießen auf taube Ohren. Alles was er bekam, waren mehr Tränen, Schluchzen und ihr Wimmern, dass sie ihre Eltern wolle. Yoshiki erinnerte sich, dass ihm sein Bruder gesagt hatte, dass er auf den großen Esstisch einen Zettel mit Regeln gelegt hatte. Vielleicht stand da ja auch etwas für solche Situation... Ran festhaltend stand er auf und holte sich seine mögliche Rettung, denn je länger sie weinte, desto mehr begann er zu zweifeln, ob er der Aufgabe wirklich gewachsen war, sich sieben Tage lang um sie zu kümmern. Zu seinem Pech hatte Kouki wirklich nur Regeln für seine Tochter und ein paar Ermahnungen für ihn selbst aufgeschrieben. "Und jetzt? Vielleicht weint sie sich ja irgendwann in den Schlaf - habe ich schließlich auch schon oft genug getan… aber so gut ist das sicherlich auch nicht… Mama wüsste sicherlich Rat… aber dann macht sie sich nur unnötig Sorgen und Kouki wüsste auch sofort Bescheid, dass ich bereits nach ein paar Stunden mit meinem Latein am Ende bin… Sugizo…… das wäre eine andere Möglichkeit… was hat Mama immer getan, wenn ich geweint habe?? ………………. Gesungen, dass ist es! Singen… fuck! Wenn ich ihr etwas vorspiele…? Klavier geht nicht… Gitarre auch nicht… Mist, das geht alles nicht! Aber singen? Könnte ich das, würden Toshi und ich einfach Rollen tauschen, um meinen Nacken zu schonen… weiß der Geier, was den geritten hat, dass er plötzlich Schlagzeug spielen lernen will… was hat Mama nur immer gesungen?... Gott, ist das lange her…!" Die ganze Zeit über war er mit Ran auf dem Arm auf und ab gegangen und hatte ihr beruhigend über den Rücken gestrichen, aber ihre Tränen hatten noch immer nicht aufgehört und die ganze Zeit wimmerte sie ‚Mama‘ und ‚Papa‘. Zu Yoshikis Glück waren ihm zumindest die Melodie und die Lyrics eines Liedes eingefallen, dass ihm seine Mutter immer vorgesungen hatte. Aber er und singen?! Er hatte es einmal ausprobiert und danach beschlossen, das Leuten zu überlassen, die es wirklich konnten, während er sich auf die Instrumente konzentrierte, für die er ein Talent hatte. „Nen nen kororiyo okororiyo…“ Seine Stimme war leise und unsicher, als er sich am ersten Vers versuchte und sich mit Ran wieder auf das Sofa setzte, da sie ihm mit der Zeit einfach zu schwer wurde. „Boya wa yoiko da nenne shina…“ Das Lied war vielleicht nicht gerade das Beste, weil eigentlich von einem kleinen Jungen die Rede war, aber das war im Moment egal, denn es schien seinen Zweck zu erfüllen, da Ran etwas ruhiger zu werden schien. „Boya no omori wa doko e itta Ano yama koete satoe itta Sato no miyage ni nani morota Den den taiko ni sho no fue Sho no fue (2)” Als er zum zweiten Mal das Kinderlied sang, schienen Rans Tränen versiegt zu sein, zumindest spürte er keine Neuen, die sein Oberteil durchnässten. Seine Finger strichen durch die weichen Haare, während sie sich an ihn schmiegte, ihr Gesicht gegen seine durchtrainierte Brust drückte und langsam wieder einschlief. Beim dritten Durchgang war sie sehr zu seiner Erleichterung erneut in Morpheus‘ Armen und er war froh, dass er mit dem Singen wieder aufhören konnte. Ein wenig blieb er noch so mit ihr sitzen, ehe er sie zurück ins Bett brachte und auf dem Weg dorthin noch den Plüschtiger mit einsammelte. Vorsichtig legte er sie auf die Matratze, platzierte das Kuscheltier neben ihr und deckte sie zu. Anschließend ging er um das Doppelbett herum und legte sich auf die freie Seite, um noch ein wenig bei ihr zu bleiben, für den Fall, dass sie erneut aufwachte und von der Sehnsucht nach ihren Eltern übermannt wurde. Schneller als er jedoch dachte, wurde auch er von Müdigkeit übermannt und das letzte woran er dachte, ehe auch er ins Traumland entschwand, war, dass er Ran morgen am besten die ganze Zeit mit etwas beschäftigte, damit sie überhaupt gar keine Zeit hatte, ihre Eltern zu vermissen… *~*~*~*~* Zum Schluss noch zwei Anmerkungen und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Das Suffix –tan ist eigentlich eine falsche Aussprache von –chan, hauptsächlich von kleinen Kindern, die erst sprechen lernen. Wenn ältere Menschen es benutzen, ist es hauptsächlich, um besonders niedlich zu klingen. Ich habe das Suffix jedoch eigentlich nur deswegen benutzt, weil es ein schönes Wortspiel mit Rans Namen ist. (2) Japanisches Wiegenlied, Übersetzung (Englisch) + Audio hier: http://www.masteranylanguage.com/cgi/f/lView.pl?li=AS49&pc=MALJapanese&tc=Audio Tag 2 – Samstag: Alles im Griff ------------------------------- Vielen lieben Dank für eure Kommentare (und auch für die Favoriteneinträge) – ich schreibe zwar nicht, damit am Ende eine schöne hohe Kommentaranzahl dort steht, aber natürlich freu ich mich immer über welche und lese gerne, was ihr über die Sachen, die ich so verzapfe, denkt. In dem Sinne möchte ich euch dann auch nicht länger vom eigentlichen Kapitel abhalten und würde mich am Ende natürlich über eure Meinung freuen! Viel Spaß~ ~*~*~*~*~* And you, you never said good-bye. X JAPAN – Tears Der nächste Tag verlief halbwegs ereignislos – mehr oder weniger. Punkt 06:30 Uhr klingelte Yoshikis Wecker, blieb jedoch ungehört, da sich eben jene zu weckende Person nicht im Master Bedroom, sondern im Gästezimmer bei seiner Nichte befand. So wurde er erst nach acht Uhr wach, als sich etwas auf seine Hüften setzte und einmal wieder unsanft an seinen Haaren zog. Nach dem ersten Schreck, verschlafen zu haben, scheuchte er Ran ins Badezimmer und verschwand dann in seinem eigenen. Während einer erfrischenden Morgendusche, deren harter Wasserstrahl gleichzeitig seine malträtierten Rückenmuskeln massierte, beschloss er, dass er es ihr definitiv austreiben musste, immer an seinen Haaren zu ziehen; und wenn er schon dabei war, dann konnte er ihr auch gleich noch das ‚Onkel‘ abgewöhnen. Kouki würde zwar garantiert herummeckern, aber das war ihm auch egal - schließlich war er ein Meister darin seinen Bruder zu ignorieren - denn mit jedem ‚Onkel‘, das Rans Mund verließ, fühlte er sich zehn Jahre älter und leider benutzte sie das Wort ständig. Kombiniert mit seinem momentanen Gesundheitszustand würde er am Ende der Woche wohl ein gefühltes Alter von 1 000 Jahren haben – 20 oder 30 wäre ihm da schon deutlich lieber! Die Ziffern auf der Digitaluhr in der Küche sprangen gerade auf neun Uhr um, als sich beide Bewohner des Hauses an den Tisch setzten und sich über ein westliches Frühstück mit Kaffee, beziehungsweise Kakao, hermachten. Bei dieser Gelegenheit kam Yoshiki auch gleich einmal auf das Thema Haareziehen zu sprechen und Ran versprach, es in Zukunft sein zu lassen, wenn er sich dafür leichter wecken ließ. Wie genau er das anstellen wollte, wusste der Schlagzeuger zwar noch nicht, aber seinen Haaren zuliebe sagte er einfach einmal zu. Nachdem dieses Thema geklärt worden war, kam er auch gleich zum zweiten Punkt, der sich allerdings als schwieriger zu gestalten schien … "Und wie soll ich dich dann nennen? Du bist doch mein Onkel ...?" "Lass es doch einfach weg und sag nur meinen Namen." "Aber Mama und Papa nennen dich auch immer Onkel …" "Meinetwegen können sie mich sonst wie nennen, solange ich es nicht höre." Vielleicht hätte er nicht so ungeduldig klingen sollen, aber er hatte die Schmerztabletten gestern Abend vergessen und auch diesen Morgen hatte er noch keine genommen, sodass er einmal wieder alles spürte und entsprechend wütend auf sich selbst und seinen Körper war, da selbst so etwas Einfaches wie Nutella auf einen Toast streichen ihm Schmerzen bis in die Schulter hochjagte. Etwas mehr Geduld und ein wenig weniger Vergesslichkeit hätten ihm vermutlich die verletzt dreinblickenden Kinderaugen erspart, die ihn nun starr anblickten. "Du willst nicht, dass ich dich ‚Onkel‘ nenne, weil du nicht mein Onkel sein willst!" Ein klarer deutlicher Vorwurf, der für Yoshiki einer Ohrfeige gleichkam. So saß er einfach nur statuengleich am Tisch, als Ran geräuschvoll aufstand, in ihr Zimmer rannte und dabei mit allen Türen knallte, die sie in ihre kleinen Hände bekam. Das war definitiv nicht so gelaufen, wie es sich der Pianist vorgestellt hatte. Überhaupt, wie kam sie auf so einen Blödsinn? Ihm fehlten gerade wirklich ein paar Zwischenschritte, um Rans Schlussfolgerung zu verstehen. Seufzend stand er auf und ging, anstatt ihr direkt zu folgen, erst einmal zurück in sein Schlafzimmer, um die Schmerztabletten zu nehmen. Nachdem er zahlreiche Pillen in den unterschiedlichsten Formen und Farben mit dem Kaffee, den er mitgenommen hatte, heruntergespült hatte, ging er zum Gästezimmer und fixierte eine geschlagene Minute die geschlossene Tür, eher er leicht anklopfte. „Ran-tan, darf ich reinkommen?“ Als er keine Antwort erhielt, öffnete er sie einen Spalt und spähte hinein. Seinen Ohren, die normalerweise die leisesten Töne wahrnahmen, wurde ein leises Schluchzen zugetragen. Ran sah richtig klein und verloren aus, wie sie auf dem großen, ungemachten Bett lag, ihr Gesicht in ihrem großen Tigerplüschtier vergraben hatte und vor sich hin weinte. Lautlos ging Yoshiki zu ihr, setzte sich auf die Bettkante und legte ihr zögernd eine Hand auf die schmale, bebende Schulter. „Ran?“ Die erhoffte Antwort blieb aus und so begann er leicht über ihren Rücken zu streichen. Er hatte nicht wirklich eine Idee, was er sonst tun sollte … Nur zu gerne wüsste er, wie sie darauf kam, dass er nicht ihr Onkel sein wollte, aber dadurch, dass sie ihn scheinbar ignorierte, wurde er auch nicht klüger. Hatte Kouki das vielleicht mit ‚launisch‘ gemeint? Wenn ja, dann konnte sich sein Bruder während der Pupertätsphase definitiv einen anderen Babysitter suchen, denn das würde dann garantiert nicht besser werden … Überhaupt, warum wurden Frauen nicht einfach mit Bedienungsanleitungen geliefert? Selbst die kleine Mikro-SD Speicherkarte für sein Handy hatte eine, warum also nicht auch das weibliche Geschlecht? Das würde vieles vereinfachen … „Findest du, ich habe zugenommen?“ „Nein, du siehst aus wie immer.“ „Du findest mich nicht mehr attraktiv, habe ich recht?!“ Wie kamen Frauen zu diesem Schluss? „Lass das ‚Onkel‘ doch einfach weg.“ „Du willst nicht, dass ich dich ‚Onkel‘ nenne, weil du nicht mein Onkel sein willst!“ Das musste definitiv genetisch veranlagt sein oder wie sollte eine Fünfjährige sonst das Gleiche zustande bringen, was er sonst hauptsächlich von seinen zahlreichen Exfreundinnen kannte?! „Ran … es tut mir Leid, wenn das vorhin falsch herüber gekommen ist… was ich damit sagen will, ist, dass… naja… also… es tut mir Leid, okay?“ Vielleicht klappte es ja so? Er war noch nie gut darin gewesen, Beziehungen zu retten, die er zerstört hatte. Man brauchte sich ja nur seine Freundschaft mit Toshi ansehen – hätte der Sänger nicht den ersten Schritt auf ihn zugemacht, so würden sie sich garantiert immer noch ignorieren. Früher hatte er immer hide gehabt, der so etwas für ihn wieder gekittet hatte, aber seit dieser nicht mehr unter den Lebenden weilte, war er dafür selbst verantwortlich – mit eher mäßigem Erfolg, weil er sich oft genug selbst im Wege stand und nicht die richtigen Worte fand. Ein Fakt, den er persönlich als tragikomisch empfand, da er bei seinen Lyrics schließlich nie das Problem hatte, etwas richtig zu formulieren. Anscheinend konnte er nun aber doch einen kleinen Erfolg für sich verbuchen, denn Ran drehte sich, sodass sie ihn, aus noch immer verletzt verheulten Augen, ansehen konnte. Yoshiki hoffte, dass sie seine Entschuldigung akzeptieren würde und sie dann wieder im Reinen waren, denn wenn nicht, dann war er – einmal wieder – mit seinem Latein am Ende. „Was tut dir Leid?“ „Also … wenn du das vorhin … was ich sagte … in den falschen Hals bekommen hast …“ Immer noch der gleiche Blick – also hatte er noch nicht das Richtige gesagt. „Gib doch einfach zu, dass du nicht mein Onkel sein willst. Dann wissen wir wenigstens beide, woran wir sind …“ Ihm gefiel die Gleichgültigkeit, mit der Ran dies sagte, überhaupt nicht! Außerdem stimmte es ja gar nicht! „Nein, so ist es aber nicht! Ich will doch …“ Weiter kam er nicht, da ihm Ran mit ziemlich verheulter, dafür doch sehr lauten Stimme ins Wort fiel: „Und warum hast du dann nie Zeit?! Immer wenn Mama und Papa jemanden brauchen, der auf mich aufpasst, heißt es erst ‚Wie wäre es mit Onkel Yoshiki?‘ nur das dann gleich wieder ein ‚Ach, der ist nicht da!‘ oder ‚Der hat keine Zeit!‘ kommt und wenn du dann mal da bist und Zeit hast, dann ist es nie für lange, sondern immer nur für eine Stunde oder so und dann sind wir auch nur bei dir im Büro, im Studio oder hier. Wir unternehmen nie etwas! Und dann willst du, dass ich dich nicht mehr ‚Onkel‘ nenne …!“ Allmählich begann Yoshiki den ganzen Aufstand zu verstehen und für einen Moment schwankte er zwischen Kopf-gegen-die-Wand-schlagen und einfach nur laut loslachen, ehe er sich gegen beide Varianten entschied und Ran stattdessen einfach zu sich zog, um sie fest zu umarmen. Damit schien sie nicht gerechnet zu haben, da sie verstummte und nach kurzem Widerstand die Arme um ihn schlang. „Du musst mir glauben, Ran-tan, wenn ich dir sage, dass ich liebend gerne dein Onkel bin und ich wünschte, dass ich mehr Zeit mit dir verbringen könnte, als ich es tue. Aber ich habe Verantwortungen und Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss, die leider sehr zeitraubend sind.“ Seine Stirn hatte er gegen ihren Kopf gelehnt und atmete den fruchtigen Geruch von ihrem Haarshampoo ein. „Wir werden, die ganze Woche hier verbringen, stimmt’s?“ Da sie gegen sein Oberteil sprach, wurde ihre Stimme zum Teil verschluckt, aber Yoshiki konnte dennoch heraushören, dass sie, in Anbetracht dieser Aussicht, nicht sonderlich glücklich war. „Egal ob mit oder ohne Bodyguards, wenn ich mit dir rausgehe und uns jemand sieht, könnten wir beide für einen ziemlichen Trubel sorgen, Ran, weißt du …? Für die Klatschpresse wäre es ein gefundenes Fressen und ich möchte dich diesen Aasgeiern beim besten Willen nicht zum Fraß vorwerfen …“ Vor seinem inneren Auge sah Yoshiki die Schlagzeile der Josei Jishin (1) schon: YOSHIKI MIT UNEHELICHER TOCHER GESICHTET. Manchmal konnte man es fast schon als Fluch ansehen, dass sich die Verwandtschaft von ihnen nicht leugnen ließ, da Ran stark nach ihrem Vater kam und dieser sah seinem großen Bruder, trotz fünf Jahren Unterschied, extrem ähnlich. „Schon verstanden …“ Geknickt entwand sich das zierliche Mädchen seiner Umarmung und verbarg ihr Gesicht zwischen den Pranken des Plüschtigers, den ihr Yoshiki zum zweiten Geburtstag geschenkt hatte. „Was hältst du davon …“ Er müsste lügen, wenn er keine Idee hätte, nur durfte er diese aussprechen? Kouki, Chika und vermutlich seine gesamte Security, sowie sein Management würden ihm an den Kragen gehen, wenn sie davon Wind bekämen, aber wenn es Ran aufmunterte und ihm wieder ein paar Pluspunkte bei ihr einbrachte, dann war es das wohl wert. „Was hältst du davon, wenn wir morgen in den Ueno Zoo gehen? Ich habe gelesen, dass sie ein Tigerbaby haben.“ Augenblicklich saß seine Nichte aufrecht da und starrte ihn aus leuchtenden Augen an. „Ja?!“ Doch im nächsten Moment verdunkelte sich ihr Blick auch schon wieder, da ihr etwas Wichtiges eingefallen war: „Und was ist mit diesen Geiern?“ „Ich werde mich einfach etwas verkleiden, dann sollte das schon gehen“, entgegnete Yoshiki und hoffte, dass seine Rechnung aufging. Er würde definitiv nicht Gackts Inkognitoverkleidung nachahmen, denn die war nutzlos. Aber irgendetwas Verkleidungstechnisches würde er in den Weiten seines Kleiderschrankes schon finden! „Wer kommt schon auf die bescheuerte Idee, mit einer blauen Sonnenbrille würde man nicht erkannt werden? Und wie doof muss man bitte sein, das dann auch noch bei Utaban auszuplappern?“ „Sicher?“ Etwas skeptisch blickte Ran ihn an, da das Letzte, was sie wollte, war, ihren Onkel in Schwierigkeiten zu bringen, denn ihre Eltern hatten ihr hunderte Male eingebläut, genau dies nicht zu tun, und wenn in den Zoo gehen genau das bedeutete, dann würde sie schweren Herzens wohl darauf verzichte… „Ganz sicher, versprochen!“, antwortete Yoshiki und grinste sie breit an. „Okay!“ Gedanklich klopfte sich der Drummer auf die Schulter, um sich selbst zu loben, da er die Situation so klasse gelöst hatte. Kouki und Chika brauchten sich definitiv keine Sorgen zu machen, dass er diese Woche nicht gebacken bekam, schließlich hatte er es geschafft, dass eine verletzte Ran ihn wieder anstrahlte. „Wegen des ‚Onkel ‘…“ „Fuck, ich bin doch noch nicht aus dem Schneide r…!“ „Ran …“ „Warum willst du, dass ich es weglasse?“ „Weil ich mich damit wie 100 fühle, besonders, wenn ich den ganzen Tag damit bombardiert werde!“ „Weil … weil ich mich… naja, also, du weißt schon …“, druckste er herum, aber natürlich wusste Ran nicht, was er damit aussagen wollte. Ja, er hasste das Wort ‚alt‘ – es bedeutete, dass er irgendwann wie ein aus der Mode geratenes Kleidungsstück ausrangiert werden und wie eine alte Eisenbahn auf das Abstellgleis kommen würde. Es hieß, dass er nutzlos und nicht mehr gebraucht werden würde … und davor hatte er Angst! „Ich mag das Wort, wenn du es nicht ständig benutzt … aber wenn ich es alle fünf Minuten höre … dann fühl ich mich… … steinalt …“ „Aber Onkel Yoshiki…“ Ran war wieder auf seinen Schoß gekrabbelt und blickte ihn direkt an, als sie fortfuhr und dem Ego des Pianisten einen gewaltigen Dämpfer verpasste: „… du bist alt!“ Ein Seufzer entfuhr ihm und er fragte sich, woher sie nur diese brutale Ehrlichkeit hatte, ehe ihm gleich darauf die Antwort einfiel: Kouki! Sein kleiner Bruder war leider genauso und sein neuester Lieblingssatz nebst ‚Yoshiki du musst im Bett bleiben!‘ , und ‚Du sollst dich doch schonen!‘ , war eindeutig ‚Yoshiki, du bist keine 20 mehr, sondern 43!‘ Als würde er das nicht selbst wissen – 10 Jahre älter als sein eigener Vater und hide. Noch ein Grund mehr, dass man ihn nicht ständig daran erinnern musste. „Ne Yoshiki… können wir es nicht so machen, dass ich das Onkel nur noch ab und an sage, anstatt überhaupt nicht mehr?“, riss ihn Ran aus seinen Gedanken und sah ihn abwartend an. „Ich denke … das ist ein Deal!“ Ehe er sie noch einmal verletzte, ließ er sich eben darauf ein und hoffte, dass sie beide in etwa dieselbe Vorstellung von ‚ab und an‘ hatten. Er hielt seiner Nichte die offene Hand hin, damit sie einschlagen und sie somit ihre Abmachung besiegeln konnten, was diese auch tat. Danach sprang sie auf und rannte zurück in die Küche, um weiter zu frühstücken, während Yoshiki ihr langsam folgte und über ihren rasanten Stimmungswechsel nur den Kopf schüttelte. Kaum dass sie sich wieder Toast, Kaffe und Kakao gewidmet hatten, klingelte es an der Haustür und der morgendliche Störenfried stellte sich als niemand Geringeres als Yoshikis persönliche Physiotherapeutin heraus. So verbrachte er die folgenden zwei Stunden damit, auf irgendwelchen Gymnastikbällen herumzuwippen, Körperspannung auf- und abzubauen oder einfach nur irgendwelche Verrenkungen am Boden, auf einer Gymnastikmatte, zu machen. Er machte die ganzen Sachen, die seiner Meinung nach sicherlich zum Großteil völlig lächerlich aussahen, nur deswegen, weil er wusste und spürte, dass sie ihm gut taten und halfen. Spaß zu haben, war jedoch etwas völlig Anderes! Zu Beginn hatte Ran nur zugeschaut, aber sie empfand das Ganze als äußerst witzig und machte dann einfach mit – mit definitiv mehr Begeisterung als ihr Onkel. Zwischenzeitlich war auch jemand vom Staff vorbeigekommen und hatte das Essen gebracht, wobei Yoshiki hoffte, dass es diesmal genießbarer war. Eigentlich wollte er seine Verärgerung darüber bei dem Boten auch kundtun, doch wenn man gerade mit dem Rücken auf dem Boden lag, während der Po mehrere Zentimeter über der Matte schweben sollte, man die Beine nach oben streckte und sich noch dazu vorstellen sollte, man wolle mit den Füßen die Decke berühren, dann war es schwierig, jemanden ernsthaft anzuschnauzen und von eben jenem ernst genommen zu werden. Folglich schluckte er seine Wut erst einmal hinunter und schwor sich, später einfach den Koch persönlich noch anzurufen. Kurz nachdem das Essen gebracht worden war, kam Yoshikis Haushälterin, Hanako, die seiner Meinung nach die gute Seele des Hauses war. Sie ging bereits auf die 70 zu, sprühte aber nur so vor Lebensfreude und arbeitete seit fast zwei Jahrzehnten für ihn. Wenn er in den Staaten war, dann hielt sie das Haus in Schuss und achtete darauf, dass der Gärtner sich gut um Yoshikis geliebte Rosen kümmerte. War er zu Hause, so machte sie die gerade anfallenden Sachen, und wenn er, so wie jetzt, wieder außer Gefecht war, dann bekam er von ihr meist auch immer die Dosis an Mitleid, die sein Ego brauchte und die Kouki ihm vorenthielt. Den Nachmittag brachte der Pianist dann damit zu, mit Ran zu spielen. Sie hatte auf ‚Mutter, Vater, Kind‘ bestanden, wobei sie natürlich die Mutter war, während den AIBOs die Rolle der Kinder zuteil wurde und Yoshiki den Vater mimen durfte. Zu Beginn hatte er nur widerwillig mitgespielt, doch mit der Zeit fand er seinen Gefallen daran. Trotz allem war er froh, dass niemand das Ganze sah! Die Krönung der Sache war, dass er ständig auf Knien herumrobbte um halbwegs auf Rans Höhe zu sein und Hanako nur meinte, wenn er sich noch Putzlappen dran machen würde, dann könnte man sich glatt das Wischen und Bohnern des Bodens sparen. Irgendwann war seine kleine Nichte dann auf die Idee gekommen, dass er sicherlich ein tolles Pferd abgeben würde und weil er ein paar weitere Pluspunkte sammeln wollte, spielte er eben den restlichen Nachmittag besagtes Huftier, was so aussah, dass er auf allen vieren durch das Haus krabbelte, während Ran auf seinem Rücken saß und er gelegentlich Töne von sich gab, die dem Wiehern eines Pferdes nahe kommen sollten. Wie gesund das nun wieder war, stellte er einfach einmal dahin. Am Abend spürte er aber jeden einzelnen Knochen, machte sich Sorgen, ob seine Kniescheiben überhaupt noch existent waren, und war einfach nur froh, als das kleine Energiebündel im Bett lag und er endlich zum Durchschnaufen kam. Dass er seinen Koch eigentlich noch einen Kopf kürzer hatte machen wollen, hatte er darüber völlig vergessen. "Ich fühle mich, als hätte ich gerade zehn Stunden lang am Stück Art of Life gespielt …" Völlig untypisch für ihn lag er bereits um 22:00 Uhr im Bett und betrachtete die Schatten, die der Vollmond an seine Decke warf. "Wenn das die ganze Woche so weitergeht, dann bin ich hinterher urlaubsreif." Unter Ächzen und Stöhnen, da seine Wirbelsäule es ihm doch nicht ganz verziehen hatte, dass er eine Fünfjährige auf seinem Rücken herumgetragen hatte, drehte er sich auf die Seite, sodass er den Plüschhide, der auf der leeren Betthälfte saß, betrachten konnte. „Dich hätte sie sicherlich nicht so schnell KO bekommen“, meinte er zu dem Kuscheltier, das mehr oder weniger einen Stammplatz auf dem zweiten Kopfkissen hatte und stets über Yoshikis Schlaf wachte. Der Plüschversion des verstorbenen Gitarristen leistete ein Tiger, mit grüner Schleife um den Hals, Gesellschaft, der eindeutig schon bessere Zeiten gesehen hatte, aber trotz seines ramponierten Aussehens einen besonderen Platz im Herzen des blonden Schlagzeugers hatte. Er angelte sich das Kuscheltier, drehte sich seufzend wieder auf den Rücken und setzte es auf seine Brust. „Na, Tora-chan …“ Jener gab jedoch keine Antwort von sich, sondern starrte Yoshiki nur aus dunkelbraunen Knopfaugen an, so wie er es seit bereits 43 Jahren tat. Das Stoffraubtier war ein Geschenk seines Vaters gewesen und entsprechend hing er daran, da es neben Bildern eine der wenigen greifbaren Erinnerungen an ihn war, die er hatte. "Bald ist es ein weiteres Jahr her …", redete er mit Tora-chan und starrte nach oben, während er überlegte, wie er jene Zeit diesmal überstehen sollte. Nicht mehr lange und es würden 11 Jahre sein, seit er einen seiner besten Freunde schlafend gesehen und ihn nicht mehr wach bekommen hatte. Unwillkürlich kamen um diese Zeit auch stets die Gedanken an ein Ereignis von vor mehr als 30 Jahren zurück. Solange er unter Menschen war, tat er, als wäre alles in Ordnung, aber wenn er so wie jetzt alleine war, dann fehlte ihm die Kraft, die Fassade noch länger aufrechtzuerhalten. Hätte das letzte Konzert nicht so sehr an ihm gezehrt, so würde er nun Tag und Nacht spielen, bis er nichts mehr spürte, aber das ging diesmal nicht. Und mit der Verantwortung, die er für seine Nichte trug, konnte er den Schmerz auch nicht im Alkohol ertränken, beziehungsweise die Einrichtung zertrümmern. „Wer auch immer gesagt hat, Zeit heile alle Wunden, dem gehört das Herz herausgerissen …“ "Es ist nur eine Woche, die werde ich schon irgendwie durchhalten, Tora-chan, ne?!" Den Tiger an sich drückend atmete er tief aus und schloss die Augen, in der Hoffnung, wenigstens im Schlaf vergessen zu können. Doch keine Minute später fuhr er vor Schreck fluchend hoch und versuchte so schnell wie möglich aus dem Bett zu kommen, wobei er sich natürlich erst einmal in der Bettdecke verhedderte. Als er frei war, stürmte er zum Kleiderschrank, schaltete auf dem Weg dorthin noch das Licht an und zerrte dann die Schiebetüren auseinander, um die Klamottenberge, die sich darin verbargen, auf den Kopf zu stellen. Dadurch, dass er den ganzen Tag nur mit Ran gespielt hatte, hatte er völlig vergessen nachzusehen, ob er irgendetwas Brauchbares hatte, damit er halbwegs unerkannt auf die Straße konnte. Leider sah es in dieser Richtung in seinem Schrank äußerst mager aus. Vielleicht könnten ihm seine PAs etwas Nützliches auftreiben ... Den Gedanken verwarf er jedoch sofort wieder, als sein Blick an einem Kleiderbeutel von einer Reinigung hängenblieb. Eilig öffnete er den Reißverschluss und seine Augen leuchteten auf, als er den Inhalt zutage förderte: einen verwaschenen Strickpullover mit Ringelmuster, in den Farben rot, blau und grün. Eigentlich war es einer von Toshis Lieblingspullovern, aber da Yoshiki ihm bei ihrem letzten Treffen aus Versehen Rotwein darüber geschüttet hatte, hatte er ihm versprochen, ihn reinigen zu lassen - bisher war er allerdings noch nicht dazu gekommen, ihn seinem Sandkastenfreund wieder zurückzugeben. „Tosh hat sicherlich nichts dagegen, wenn ich mir diesen modischen Fehlgriff für einen Tag ausleihe. Wer würde schon denken, dass ich mich mit so was in die Öffentlichkeit wage … ich cosplaye einfach Tosh und keiner wird mich erkennen!“ Irgendwo ganz hinten fand Yoshiki noch ein quietschbuntes Blümchenhemd aus den 80ern, das seinen Weg noch nicht in die Altkleidersammlung gefunden hatte und das farblich überhaupt nicht zum Pullover passte, also perfekt dazu geeignet war, um unter diesem angezogen zu werden. Eine alte, verwaschene und an den Knien bereits durchgewetzte Jeans hatte er selbst und um sein Gesicht zu verdecken würde er einfach eine Sonnenbrille nehmen, die er schon seit etlichen Jahren nicht mehr getragen hatte. Brauchte er nur noch etwas, um seine blonden Haare zu verstecken … eine schwarze Strickmütze mit passendem Schal dazu stach ihm ins Auge und sein mehr oder weniger Toshi-mal-ganz-léger-Cosplay war fertig. Zufrieden besah sich Yoshiki die bunt durcheinander gewürfelten Klamotten, die er auf einen Sessel gelegt hatte, und war recht zufrieden mit seiner morgigen Verkleidung. So schnell würde ihn damit sicherlich niemand erkennen, die verräterischen Handgelenksschienen würde er am nächsten Tag einfach nicht ummachen und die Halskrause konnte er unter dem Schal verstecken. Nachdem das nun geklärt war, konnte er wieder unter seine warme Decke krabbeln, das Licht ausmachen und erneut versuchen im Schlaf der Realität zu entweichen. Doch es war keine viertel Stunde vergangen, da klopfte es leise an seiner Schlafzimmertür, die sich gleich darauf einen Spalt öffnete. "Onkel Yoshiki…?" "Was ist?", fragte er, ließ rasch die Kuscheltiere unter der Bettdecke verschwinden - das musste schließlich nicht jeder wissen - und machte das Licht an. Augenblicklich kam Ran mit dem Tiger im Arm, angetapst und kroch zu ihm unter die Decke. "In meinem Zimmer sind Monster und Geister …" Große, verängstigte Kinderaugen blickten ihn abwartend an. Zumindest schien sie keine Sehnsucht nach ihren Eltern zu haben, das war zumindest schon einmal etwas. "Ran-tan, das hast du nur geträumt." "Nein, das habe ich nicht! Die sind wirklich da!" "Ran, so etwas wie Monster und Geister gibt es nicht." "Gibt es wohl! Ansonsten wären sie ja nicht in meinem Zimmer!" "Wir haben Vollmond, der Mondschein sorgt für Schatten und das sind deine Geister und Monster. Wenn du das Licht anlässt, dann sind sie weg." "Sind sie nicht!", widersprach seine Nichte und klammerte sich an seinen Arm. Wie sollte er sie nur überzeugen, dass es in ihrem Zimmer völlig harmlos war? "Warte kurz hier, ich komme gleich wieder", bat er sie, stand auf und ging rasch ins Büro, um eben jenen Menschen anzurufen, der ihm im Moment am Hilfreichsten erschien. Nachdem es unendlich lange geläutet hatte, meldete sich schließlich eine äußerst verschlafene Stimme: "Was gibt es?" "Sugizo, ich brauche deine Hilfe!" "Yoshiki?" "Wer sonst? Hast du etwa schon geschlafen?!" "Muss Schlaf nachholen … was gibt es?" "Wie mache ich einer Fünfjährigen klar, dass es keine Monster und Geister gibt?" "Hä?" "Ich passe auf meine Nichte auf und sie sagt, in ihrem Zimmer seien Monster und Geister, und solange ich sie nicht vom Gegenteil überzeugt habe, werde ich sie nicht los! Und du bist schließlich Vater, du musst doch wissen, was man da macht!" "… Geh mit ihr ins Zimmer, vergewisser dich, dass alles in Ordnung ist und dann sollte es das sein. Wenn nicht, ruf Gackt an, der ist der Geisterspezialist …" "Danke, Sugizo!!" Damit hatte er aufgelegt und war zurückgegangen, um Ran zu holen und Sugizos Rat in die Tat umzusetzen. Leider funktionierte das nicht so wie geplant, da für ihn zwar alles vollkommen in Ordnung war, für seine Nichte jedoch nicht. Als er ihr dann mehr oder weniger befahl, in dem Raum zu bleiben, brach sie in Tränen aus und er sah seine mühsam gewonnenen Pluspunkte wieder dahinrinnen. So hob er sie hoch, drückte sie an sich und ging mit ihr auf dem Arm zurück in sein Arbeitszimmer, wo er sein Handy liegen hatte, um den Geisterspezialisten der japanischen Musikbranche anzurufen und zu sich nach Hause zu beordern. Dieser kam sogar relativ schnell, sodass Yoshiki ihm nach noch nicht einmal einer Stunde die Haustür öffnen konnte, wobei eine immer noch mehr als wache Ran sich an seiner rechten Hand festklammerte, was wohl eher eine Vorsichtsmaßnahme war, für den Fall, dass er sie noch einmal alleine in dem Geisterzimmern lassen wollte. "Danke, dass du so schnell kommen konntest", begrüßte der Schlagzeuger den langjährigen Freund, der sich erst einmal brav die Schuhe aus- und bereitgestellte Schlappen anzog. "Kein Problem. Weshalb sollte ich eigentlich so schnell kommen? Ich habe am Telefon nur irgendetwas mit Not-" Der Sänger unterbrach sich selbst, als sein Blick auf dem Mädchen neben Yoshiki gelandet war. Er sah noch einmal zu dem Älteren und dann zurück zu dem Kind, ehe sich ein breites Grinsen auf seine Züge schlich. "Unfall? Wie hast du das so lange geheim halten können? Scheint ja nicht gerade erst gestern passiert zu sein …" "Was?" Yoshiki war noch nie gut darin gewesen, Gackts Gedankensprüngen zu folgen, vor allem nicht, wenn er eigentlich ins Bett wollte. "Die Kleine", half ihm der Größere auf die Sprünge. "Sie ist meine Nichte!" "Klar …!" Anhand von Gackt Stimme war es nur allzu deutlich, dass er ihm nicht wirklich glaubte. "Irgendwann bringe ich……. hatte ich ihm eigentlich nicht irgendwann mal gesagt, dass ich eine Nichte habe? Wahrscheinlich sind das die ersten Anzeichen von Alzheimer … bei seinen vierhundertirgendwas auch kein Wunder!" "Gackt, hast du dir schon einmal meinen Bruder und mich näher angesehen? Dann weißt du, woher die Ähnlichkeit kommt!" "Sie könnte aber trotzdem …", entgegnete der Sänger eine Schnute ziehend, und folgte Yoshiki ins Wohnzimmer wobei er seinen Blick kurz durch eben jenes schweifen ließ. Es sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte: durchstrukturiert, klare Linien und kaum Persönliches - zumindest auf den ersten Blick, denn wenn man die Schränke öffnete, dann stieß man auf eine wahre Fundgrube. "Gackt... Halt die Klappe und hilf mir einfach, okay!", seufzte der Drummer und strich sich durch die Haare. Sein Nervenkostüm war im Moment definitiv nicht das Beste: all die Verletzungen von den Konzerten, dann die auferzwungene Arbeitslosigkeit von Kouki, ein gewisser Tag, der immer näher rückte, Rans Beharren auf die Geister, Monster oder was auch immer, und Gackt, der sich scheinbar gut auf seine Kosten amüsierte. "Wenn du mir sagst, worum es geht", entgegnete der Andere und wandte seine Aufmerksamkeit Ran zu, vor der er in die Hocke ging: "Und du bist also seine Nichte?" "Ja, ich bin Hayashi Ran", kam die zurückhaltende Antwort und er spürte ihren prüfenden Blick auf sich, als er sich selbst vorstellte. "Sie sieht Geister und Monster in ihrem Zimmer. Du bist der Geisterspezialist, die Monster kannst du auch gleich noch erledigen - Problem gelöst!", erklärt Yoshiki und sah den Sänger an, der sich wieder aufgerichtet hatte. "Vielleicht ist das auch nur dein pinkhaariger Hausgeist", scherzte Gackt, doch so, wie dem Pianisten die Gesichtszüge entgleisten, hatte er ihn ernst genommen. "hide… … … …?!" So schnell wie möglich bemühte er sich, wieder die Fassung zu erlangen. Einfach das alte Spiel spielen - hinter einer Fassade verstecken und so tun, als wäre alles in Ordnung. Schwach werden konnte er wieder, wenn er alleine in seinem Schlafzimmer war. "Eigentlich sind es eher Geister, die wie Monster aussehen …", meldete sich Ran zu Wort und blickte zu dem hoch gewachsenen Fremden auf. "Na, dann wollen wir mal sehen, dass wir sie los werden", lächelte Gackt und folgte der Kleinen, die einfach seine Hand genommen hatte und nun ihn und Yoshiki hinter sich zu ihrem Zimmer herzog. "Kannst du wirklich Geister sehen? Yoyo meinte, du kannst das …" Allem Anschein nach taute sie in seiner Gegenwart langsam auf, während ihr Onkel offensichtlich auf Automatismus geschaltet hatte und gedanklich irgendwo anders war. Wahrscheinlich hätte er sich den Kommentar über den verstorbenen Gitarristen besser verkneifen sollen, schließlich kämpfte er selbst auch immer noch mit dem Tod eines gewissen Schlagzeugers. "Ja, kann ich", antwortete er und ging in das Zimmer, zu dem er geführt worden war. Er kannte es selbst nur zu gut, da er mehrmals seinen Rausch darin ausgeschlafen hatte, wenn er und Yoshiki einmal wieder die Nacht durchgemacht hatten. Normalerweise herrschten auch darin klare Linien, doch diese waren unter dem Chaos, das eine Fünfjährige anrichten konnte, mehr oder weniger verschwunden. Es wunderte ihn ein wenig, dass der Ältere dies duldete, da er an sich eigentlich einen ziemlichen Putzfimmel hatte, aber wahrscheinlich wusste er einfach bereits aus Erfahrung, dass das verschwendete Zeit wäre. Suchend sah sich Gackt in dem Zimmer um, konnte aber nichts Übernatürliches entdecken, was er eigentlich fast erwartet hatte. Um Ran trotz allem zu beruhigen, tat er so, als würde es tatsächlich ein paar Geister geben, die er nun in der ‚Geistersprache‘ dazu aufforderte, das kleine Mädchen in Ruhe zu lassen. Jene Sprache war schlicht und einfach Chinesisch, was Ran aber natürlich nicht verstand. Yoshiki hingegen tat es zumindest zum Teil und hörte mit einem Ohr zu, wie der Sänger anscheinend der Einrichtung sein Curryrezept erklärte und dabei wild mit den Händen herumgestikulierte. Leise seufzend hatte sich der Pianist an den Türrahmen gelehnt und war mit seinen Gedanken bei seinen eigenen Geistern, während sich seine Nichte an ihn drückte und in ihr Zimmer schielte, um Gackt zu beobachten. Nachdem dieser anscheinend sämtliche Rezepte, die er im Kopf hatte, aufgesagt hatte, gesellte er sich lächelnd wieder zu ihnen. "Alle monsterartigen Geister sind weg und haben versprochen auch nicht wieder zurückzukommen", erklärte er Ran, die sich daraufhin strahlend bei ihm bedankte. "Dann ab ins Bett jetzt mit dir!", war Yoshikis einziger Kommentar dazu und zu seinem Erstaunen kam sie dem auch gleich nach. Brav krabbelte sie unter die zerwühlte Bettdecke und kuschelte sich an den Plüschtiger. "Erzählst du mir noch eine Geschichte, Onkel Yoyo?", fragte sie, während sie zugedeckt wurde. "Es ist schon recht spät …" "Aber du hast mir vorhin gar keine erzählt!" "Weil du auch sofort weg warst, kaum dass du im Bett lagst." "Aber jetzt bin ich wach!" Geschlagen setzte sich Yoshiki an den Bettrand und blickte kurz zu Gackt, der grinste und eine Handbewegung in Richtung Wohnzimmer machte, wohin er dann auch verschwand. "Soll ich die Geschichte vom Mondhasen weiter erzählen?" "Mhm!" "Also gut, wo waren wir stehengeblieben …? Ah ja, dass der Fuchs, der Affe und der Hase alles gemeinsam taten … eines Tages hörte auch der Herr des Himmels davon und wollte dies mit eigenen Augen sehen. Darum ging er getarnt als alter Wanderer zu ihnen und fragte sie, ob sie ihm nicht etwas zum Essen geben könnten, da er den ganzen Tag gewandert und folglich furchtbar müde war. Der Affe machte sich sofort auf die Suche und kam mit Beeren und Gemüse zurück, während der Fuchs dem alten Wanderer Fisch, Reis und Wasser anbot, die ursprünglich Opfergaben auf einem Friedhof gewesen waren. Nur das kleine Häschen hatte nichts … der Fuchs und der Affe verspotteten es und meinten, es sei nutzlos … " "Das arme Häschen!" "Es war dadurch so entmutigt, dass es den Affen bat Holz zu holen, das der Fuchs anzünden sollte. Beide taten, was von ihnen verlangt worden war, und mit den Worten ‚Iss mich!‘ stürzte sich das Häschen ins Feuer." Als er sah, wie schockiert Ran ihn anblickte, strich er zärtlich über ihre Wange, während er weiter erzählte: "Der Wanderer war von diesem Opfer so gerührt, dass er weinte und sagte: ‚Jeder verdient Ruhm und Anerkennung. Es gibt weder Gewinner noch Verlierer! Aber dieser Hase hat uns einen großen Beweis seiner Liebe gegeben!‘ Anschließend erweckte er das Häschen wieder zum Leben und nahm es mit zum Mond, in den Mondpalast, wo es seitdem wohnt. Und immer, wenn so wie heute Vollmond ist, können die Menschen das kleine Häschen sehen und werden an sein Opfer erinnert, das es bereit war zu bringen …" "Das ist aber eine traurige Geschichte …" "Ich mag sie irgendwie … Sie regt zum Überlegen an … aber vielleicht bist du auch noch einfach zu jung, um sie so zu verstehen, wie sie gemeint ist …" Etwas Nachdenkliches war in seinem Blick zu erkennen, als Yoshiki Ran eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und sie sich die Hände vor dem Mund schlug, als sie herzhaft gähnte. "Erzählt du sie mir dann noch einmal, wenn ich älter bin?" "Mache ich." "Versprochen?" "Versprochen!" "Indianerehrenwort?" "Indianerehrenwort! ... aber langsam solltest du wirklich schlafen!" "Kouki und Chika killen mich, wenn sie rauskriegen, dass Ran immer erst nach Mitternacht im Bett ist!" "Schlaf gut und träum süß", wünschte er ihr und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. "Du auch, On- … Yoyo", erwiderte sie und korrigierte sich im letzten Moment, um dem Wunsch ihres Onkels zu entsprechen. Dieser lächelte nur sanft, aber nicht weil er stolz war, dass sie an ihre Abmachung gedacht hatte, sondern wegen der Art und Weise wie sie seinen Namen abgekürzte. Es war noch gar nicht so lange her, da bereitete ihr sein Name noch Schwierigkeiten, sodass sie immer nur die erste Silbe sagte. Inzwischen konnte sie ihn perfekt aussprechen, aber noch oft genug kürzte sie ihn ab. Und es erschien Yoshiki noch gar nicht mehrere Jahrzehnte her zu sein, dass Kouki ihn aus großen, braunen Kinderaugen angesehen, seine kleine Hände zusammengeschlagen und ‚Yoyo‘ gequietscht hatte. Der Pianist schüttelte leicht den Kopf, um die vergangenen Erinnerungen zu verscheuchen und wollte sich erheben, als Ran ihn festhielt. Irritiert sah er sie an und hoffte inständig, dass es keine weiteren Monster oder Geister oder was auch immer gab. Anstatt etwas zu sagen, setzte sie sich auf und umarmte ihn einfach. Etwas überrumpelt erwiderte er die Geste und drückte sie an sich. "Ich hab‘ dich lieb, Onkel Yoshiki!" "Ich dich auch, Ran-tan … ich dich auch …" Seltsamerweise hatte es ihm einen Stich ins Herz versetzt, dies zu hören, und er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte. Wie oft hatte sein Vater ihm gesagt, dass er ihn liebte und trotz allem war er einfach gegangen? Wie oft hatte hide ihre Freundschaft beteuert und hatte ihn dann, ohne auf Wiedersehen zu sagen, alleine zurückgelassen? Ran wusste zwar nicht, was los war, aber sie hatte Yoshikis unsichere Stimme wahrgenommen, weshalb sie ihre Arme, soweit sie reichten, einfach fester um ihn schlang und sie mehrere Minuten so im Dunklen verharrten, da weder Gackt noch der Drummer vorhin das Licht angeschaltet hatten. "Ran ...", er drückte sie schließlich etwas von sich, sodass er ihr im schwachen Schein des Mondes in die Augen sehen konnte, "… versprich mir, dass du nie gehst, ohne dich zu verabschieden!" Natürlich verstand die Fünfjährige die Metapher nicht, aber sie nickte trotz allem und schwor es. Was immer es auch war, das ihren Onkel zu bedrücken schien, sie wollte, dass er wieder lachte. Nach dem Schwur legte sie sich wieder hin, Yoshiki deckte sie erneut richtig zu, wünschte ihr noch einmal eine gute Nacht und verließ dann das Zimmer. Draußen im Flur lehnte er sich an die Tür, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und atmete hörbar aus. Er musste bis morgen früh dringend seine Fassung wieder erlangen oder die nächste Zeit würde zum Spießrutenlauf werden. Wäre Kouki da, würde er ihn sicherlich zum Psychologen schleifen wollen, aber darum kam er jetzt ja locker herum. Er würde die Zeit schon überstehen – er tat es jedes Jahr … irgendwie … "Alles okay?" Erschrocken fuhr er herum und starrte Gackt an, der sich neben ihn an die Wand lehnte. "Du hast ziemlich lange gebraucht, also dachte ich, ich schau mal kurz", erklärte der Sänger und blickte zu dem Kleineren. "Alles okay, ich habe ihr nur noch eine Geschichte erzählt", erklärte Yoshiki matt und ging langsam ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch fallen ließ. "Sicher?" Dem Jüngeren war nicht entgangen, dass der Andere irgendwie verloren wirkte und er kannte ihn lange genug, um zu wissen, was im jetzigen Zeitraum immer passierte. Als er keine Reaktion erhielt und der Drummer lediglich seine Ellenbogen auf die Knie stütze und sein Gesicht in den Händen verbarg, ging er vor ihm in die Hocke und umfasste vorsichtig die malträtierten Handgelenke, die sich ausnahmsweise nicht in den Schienen befanden, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Er bekam sie in dem Sinne, dass Yoshiki die Finger etwas spreizte und fragend zwischen ihnen hindurch lugte. "Was ich vorhin gesagt habe … das über hide … es tut mir Leid! Das war geschmack- und taktlos ...", entschuldigte sich der Sänger leise und seufzte, als der Pianist seine Finger wieder schloss und weiter in sich zusammensank. "Yoshiki…" Gackt erhob sich und setzte sich neben ihn, wobei er sich selbst durch die dunklen Haare strich. "… Hast du… … hast du Kami noch einmal gesehn … seit er ...?", vernahm er kaum hörbar die leise Frage und verfiel selbst erst einmal in Schweigen. "… jedes Mal, wenn ich kurz davor bin, das Bewusstsein zu verlieren ... dann ist er da … und er passt auf mich auf, bis ich wieder wachwerde … und wieder unter Yous Pantoffel steh …" Ein sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er an seinen besten Freund, Violinisten und Gitarristen dachte, der ihm stets den Rücken freihielt und immer für ihn da war. "Meinst du … hide … … oder … mein Vater … …?“ Zögernd nahm er die Hände weg, lehnte sich zurück und sah Gackt vorsichtig an. Manchmal kam es, dass sie beide über solche Dinge redeten und irgendwie fiel es ihm stets einfacher, sich dem Jüngeren anzuvertrauen, als Toshi oder Kouki. Vielleicht lag es einfach daran, dass der Sänger wusste, wie es war, jemand Nahestehendes zu verlieren und dies nie ganz überwinden zu können. Vielleicht war es aber auch einfach nur, dass er den Sänger in manchen Augenblicken um seine Gabe beneidete. „Ich habe sie noch nie in deiner Nähe gesehen … aber das muss nichts heißen …“ "… ich würde sie zu gerne fragen, warum sie den Scheiß gemacht haben …" "Meinst du denn, es würde etwas bringen? Es hat schließlich seine guten Gründe, warum man die Toten ruhen lassen sollte …" "Ich weiß es nicht … ich weiß ja nicht einmal, wie ich reagieren würde … wahrscheinlich würde ich entweder völlig ausrasten oder einfach nur heulend zusammenbrechen ……" Verschwommen tauchten vor seinem inneren Auge die alten Erinnerungen auf, als er seinen Vater tot vorgefunden und dann getobt hatte, bis ihn seine Familie hatte beruhigen können. Direkt danach kamen die etwas frischeren Erinnerungen daran, als er jenen Anruf in LA erhalten hatte, der seine Welt ein weiteres Mal hatte zusammenbrechen lassen. Zuerst war er wie gelähmt gewesen, aber im Flieger nach Narita hatte die Erkenntnis und mit ihr die Tränen eingesetzt. hide war tot – einfach so! "Glaub mir, es ist besser, dass sie dich alleine lassen und dir so die Möglichkeit geben, dass die Wunden heilen können", äußerte Gackt leise und drückte sanft seine Schulter, "wenn du ständig von Toten umgeben bist, dann weißt du das Leben irgendwann gar nicht mehr zu schätzen … seit ich Kami das erste Mal gesehen habe, halte ich meine Augen nach ihm offen, aber ich sehe ihn nur, wenn ich das Bewusstsein verliere … …wenn du einen toten Menschen, der dir nahe steht, immer und immer wieder siehst, dann schließt du nie ab.“ „Aber du erhältst auch nie eine Antwort auf das ‚Warum?‘ !“ „Glaubst du, du würdest wirklich eine bekommen?“ „Ich … ich weiß es nicht … ich weiß so vieles einfach nicht, Gakun …!“ Verzweifelt starrte Yoshiki den Sänger an, ehe er den Blickkontakt löste, aufstand und zur Terrassentür ging, durch welche er hinaus auf den Mond sah und die Arme um sich selbst schlang. „Du solltest nach Hause gehen, Gackt… es ist schon spät und du hast sicherlich noch genügend Anderes zu tun, als mir zu helfen, mit einer Fünfjährigen klar zukommen …" Schwer seufzend schüttelte der Angesprochene den Kopf und konnte regelrecht sehen, wie sich der Ältere wieder in sein Schneckenhaus verkroch und eine Festung, die Fort Knox erblassen ließ, um sich errichtete. "Du weißt hoffentlich, dass du mit jedem von uns reden kannst … egal wie, wann und wo … das ist besser, als alles mit sich selbst auszumachen …" "Ich will euch keine Sorgen machen …" "Wenn du nur alles in dich hineinfrisst, dann sind erst recht alle besorgt", entgegnete Gackt und trat neben ihn. Es schienen mehrere Minuten zu vergehen, und er dachte schon, Yoshiki wolle vor sich hinschweigen, ehe dieser doch noch leise antwortete: "Jeder hat sein eigenes Leben und ist karriere- und familientechnisch ausgelastet … da will ich niemanden auch noch mit meinen Problemen belasten … jeder von uns lebt in seinem eigenen goldenen Käfig …" "Idiot!", war Gackts einziger Kommentar dazu und er legte kopfschüttelnd einen Arm um die Schultern des Anderen und zog ihn vorsichtig an sich. „Ich denke, ich kann hier für jeden aus deinem engsten Freundeskreis sprechen, wenn ich sage, dass du grad ziemlichen Schwachsinn von dir gibst. Freunde sind füreinander da, egal was ist!“ „Und trotzdem gehen sie einfach, ohne sich zu verabschieden …!!“ „… Du solltest jetzt wirklich gehen, Gakun …“ Einen plumperen Themenwechsel gab es gar nicht, aber der Sänger merkte, dass es Yoshiki ernst damit war, alleine sein zu wollen. So verabschiedete er sich seufzend von dem Älteren mit einer engen Umarmung und fuhr dann wieder zu sich nach Hause. Als er wieder für sich war, stand er weiterhin an der Glasscheibe und starrte hinaus. Das Mondlicht spiegelte sich im türkisfarbenen Wasser des beleuchteten Pools, während sich die Pflanzen, die rundherum wuchsen, in einer leichten Brise sanft bewegten. Beinahe zögernd legten sich seine langgliedrigen Finger auf die kalte Scheibe und schienen nach dem Kirschbaum, der unter anderem in der Nähe des Schwimmbeckens gedeihte, greifen zu wollen. Vergänglichkeit … dafür stand der kräftige Baum, der nur einmal im Jahr für wenige Wochen seine ganze Schönheit zeigte. Ein etwas aufflauender Wind schlug mehrere Zweige einer Rose, die direkt neben der Terrassentür gepflanzt worden war, gegen das Glas. Rosen … die Königin aller Pflanzen, perfekt symmetrisch und das Sinnbild der Liebe … und doch konnten ihre Dornen tiefe Wunden hinterlassen. Seufzend lehnte Yoshiki seine Stirn gegen die gläserne Terrassentür und schloss für einen Augenblick die Augen. So wie die Schönheit des Kirschbaumes kam und wieder ging, so war es mit dem Verlustgefühl und der Trauer, die jährlich Besitz von ihm ergriffen. Aber so wie die Verletzungen, die einem eine Rose zufügen konnte, vernarbte, so war es mit seinen seelischen Wunden – irgendwann hörten sie auf zu bluten, mit der Zeit fingen sie an zu heilen, aber sie würden nie ganz weg sein, da ihre Narben für immer sichtbar sein würden. Langsam löste er sich wieder von der Scheibe und richtete seinen Blick erneut hoch auf den Mond. "Warum?", flüsterte er kaum hörbar und wandte sich dann ab, um zurück in sein Schlafzimmer zu gehen, wobei er sich einmal wieder durch die Haare strich und kurz seine Schläfen massierte. Er löschte noch sämtliche Lichter im Haus und krabbelte dann wieder unter seine Bettdecke, während er hide-Plüsch und Tora-chan zurück auf das freie Kopfkissen setzte. Sich zusammenrollend warf er noch einen Blick auf den Digitalwecker, dessen Ziffern auch bereits zwei Uhr in der Früh anzeigten. "Mit so wenigen Stunden Schlaf wird der morgige Tag Horror …" Entgegen seiner sonstigen Einschlafprobleme, verfiel er diesmal sofort in einen traumlosen Schlaf, in dem er jeglichen belastenden Dingen entfliehen konnte. Selbst wenn er noch wach gewesen wäre, so hätte er nicht gesehen, dass er nicht alleine im Zimmer war. Vorsichtig näherte sich eine halb durchschimmernde Person seiner schlafenden Form und kniete sich vor das Bett. Eine durchsichtige Hand schwebte wenige Millimeter über seinen Haaren und beinahe machte es den Anschein, als würde sie beruhigend durch eben jene streicheln. "… Schlaf … du brauchst die Kraft … Schlaf gut, mein Junge …" *~*~*~*~* Zum Schluss noch eine Anmerkung und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Josei Jishin: japanisches Klatschmagazin, das für seine Halbwahrheiten bekannt ist Tag 3 – Sonntag: Goldener Käfig ------------------------------- @ Terra-gamy: Irgendwie schon, oder? Einerseits wunderschön und gleichzeitig so zerbrechlich und andererseits dieses Unnahbare… @Toshi-Hamlet_Hayashi: Ah~ Yoshikis Plüschtiger^^; ursprünglich war das ja ein Plüschteddy gewesen, aber nachdem ich dann angefangen hatte, seine Biographie zu lesen und darin nicht nur die Rede von dem Plüschtiger ist, sondern es auch noch ein supersüßes Bild zu gibt, wurde der Bär eben kurzerhand zum Tiger! @ nawa: Vielen lieben Dank! Ehrlich gesagt, ist Ran für mich die größte Herausforderung bei der FF, weil ich es eigentlich nicht so mit Kindern hab – umso mehr freut es mich natürlich, dass sie so gut ankommt. *lach* Wenn dir doch mal was auffallen sollte, dann gib mir einfach Bescheid, okay?!^^ @ __GAKUTO: Ich bin froh, dass meine Beschreibung von Ran so gut ankommt, da ich mit Kindern nicht wirklich was am Hut hab und entsprechend war die Kleine eine Herausforderung^^; Ah~ ich bin beim Schreiben von Yoshiki und Ran auch nicht mehr aus dem Schmunzeln herausgekommen – manchmal besteht regelrechte Kariesgefahr weil’s so zuckersüß ist ^.~ @ Kaoru: Wer das größere Klatschweib ist? Ist zwar nur ein geringer Vorsprung, aber ich stimme für Yoshiki^^ Was seine Frauengeschichten anbelangt… keinen Plan *lach* er kann sich ja kaum mit ner Frau an seiner Seite in der Öffentlichkeit zeigen, ohne, dass die Medien am nächsten Tag voll von „Geliebte“- und „Verlobte“-Gerüchte sind. Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! ~*~*~*~*~* Ich weiß nicht, was ich ohne Musik täte. Ich frage mich, ob ich ohne Musik überhaupt in der Lage wäre weiterzuleben. YOSHIKI – NEWS Zero, 19. März 2009 Am nächsten Vormittag kämpfte Yoshiki erst einmal mit dem Kindersitz, den ihm Kouki in die Garage gestellt hatte. Aus unerfindlichen Gründen wollte er einfach nicht in seinem geliebten schwarzen Ferrari halten, weshalb er leise auf Japanisch, Englisch und Französisch vor sich hinfluchte. Nach einer viertel Stunde gab er genervt auf und versuchte sein Glück bei seinem weißen Audi quattro, wo es diesmal auch klappte – wahrscheinlich auch deswegen, weil ihm auf der Seite des Sitzes eine bebilderte Kurzanleitung zur Installation eben jenes aufgefallen war. „Wahrscheinlich ist der Audi eh besser … ist nicht ganz so auffällig …“ Nachdem alles zu seiner Zufriedenheit war, ging er zurück in die Villa, wo bereits Ran auf ihn wartete und sich die Zeit mit Violet vertrieben hatte. „Können wir sie mitnehmen?“ „Ich glaube, es ist besser, wenn wir sie hier lassen“, entgegnete er lächelnd und verschwand in die Küche, um in eine Umhängetasche etwas zu trinken und zu essen einzupacken. In ein Restaurant zu gehen würde nur bedeuten, die Gefahr erkannt zu werden, zu vergrößern und das wollte er unter allen Umständen verhindern – also musste er Selbstversorger spielen. Wann er das das letzte Mal getan hatte, konnte er nicht genau sagen, da er sonst immer in irgendein Lokal ging oder sein Staff sich um solche Belange kümmerte. Aber der wusste schließlich auch nichts von seinen Plänen, da er ansonsten gleich seinen Bodyguards und seinem Management eine Email schicken und sie darüber informieren könnte, was er vorhatte. Zudem konnte er sich gut ausmalen, was wäre, wenn sie Bescheid wüssten: Der komplette Zoo würde abgesperrt werden, sodass Ran und er, mit einer Horde von Securities, und vermutlich dem Zoodirektor und allen, die sich irgendwie für wichtig hielten, im Schlepptau, von Gehege zu Gehege stapften. Kurzum: Es wäre das totale Gegenteil von einem normalen Zoobesuch eines Onkels mit seiner Nichte. „Yoshiki?“ „Hm?“ Er hatte gar nicht gemerkt, dass ihm seine Nichte gefolgt war und ihn nun argwöhnisch dabei beobachtete, wie er eine große Flasche Wasser und mehrere Schokoriegel in die Tasche packte. „Mama würde mich nie aus dem Haus lassen, wenn ich solche Sachen anhätte!“ Ran spielte dabei definitiv auf sein Toshicosplay an, dass seiner Meinung nach mehr als geglückt war. Würden ihn seine Stylisten so sehen, sie würden wahrscheinlich den Schock ihres Lebens bekommen und ihn garantiert nie wieder sich alleine anziehen lassen. „Dann bin ich beruhigt!“ „Warum?“ „Weil sich die Gefahr, erkannt zu werden, dann deutlich verringert hat!“ „Warum? Fällst du so nicht mehr auf?“ „Schon, aber wer würde schon denken, dass Superstar YOSHIKI in so einer Aufmachung vor die Tür geht?“ Breit grinsend wandte er sich ihr zu und bedeutete ihr, ihre Schuhe anzuziehen, da er fertig war und sie endlich los konnten. Ihn selbst juckte es so in den Fingern, wie er es normalerweise nur von vor einem Konzert kannte. Der Reiz des Verbotenen – wie lange war es her, dass er dieses Gefühl ausgekostet hatte? Zu lange! Er hatte gedacht, er wäre aus diesem Alter raus, aber anscheinend bereitete es ihm noch genauso viel Freude wie vor 20 Jahren. Fünf Minuten später war die Tasche im Kofferraum und Ran auf ihrem Kindersitz angeschnallt, sodass die Fahrt zum Ueno Zoo beginnen konnte. Zügig verließ Yoshiki sein Grundstück und ordnete sich in den fließenden Verkehr ein, der ihn in den tokyoter Stadtteil brachte. Doch je näher sie der Innenstadt kamen, desto zähfließender wurde er. „525 PS und ich krieche mit 50 dahin… ich muss wirklich eines meiner Autos mit nach Deutschland nehmen. Die haben wenigstens keine Geschwindigkeitsbegrenzungen! Irgendwo im Container wird schon noch Platz sein …“ Aus Gewohnheit schaltete er das Radio ein, als aus den Boxen jedoch der Refrain von Pink Spider dröhnte, wechselte er direkt zum CD-Spieler. Genauso wie er es vermied sich alte Aufnahmen von X unnötig anzusehen, so machte er einen Bogen um sämtliche Sachen, die mit dem pinhaarigen Gitarristen zu tun hatten – vor allem im Moment. Er war froh, dass er die letzte Nacht überhaupt ein paar Stunden Schlaf abbekommen hatte und glücklicherweise nicht auch noch von Alpträumen geplagt worden war. Ran hatte von seiner aufgewühlten Gefühlswelt offenbar nichts mitbekommen und einmal mehr war er froh, dass ihn das Showbusiness vor allem eines gelehrt hatte: schauspielern! Er war definitiv kein Oscarkandidat, aber für seine Zwecke reichte es aus: die Leute im Glauben zu lassen, dass alles in Ordnung war, um einerseits selbst seine Ruhe zu haben und um ihnen andererseits nicht unnötig Sorgen zu bereiten. Das markante Intro von KISS’ I’ve been made for loving you drang durch den weißen Audi, als er mehrere LKWs überholte und sie sich langsam aber stetig ihrem Ziel näherten. „Macht es dir etwas aus, wenn ich ein wenig aufdrehe?“, fragte er Ran und blickte kurz zu ihr auf den Beifahrersitz, um zu sehen, wie sie verneinend den Kopf schüttelte. Augenblicklich regelte er an einem kleinen Schalter am Lenkrad die Musik nach oben und trommelte mit seinen Fingern auf dem hellbraunen Ledersteuer den Rhythmus, während er leise mitsang. „Wer ist das?“, fragte Ran mitten in den Refrain hinein, was Yoshiki allerdings nicht mitbekam. „I was made for lovin' you baby. You were made for lovin' me.” Erst ein lautstarkes, nach Aufmerksamkeit forderndes ‚Yoyo’, wobei die letzte Silbe deutlich in die Länge gezogen war, ließ ihn reagieren und die Musik etwas herunterregeln. „Was ist?“ „Wer ist das?“ „Meinst du die Band? Das ist KISS.“ „Sind die neu?“ Lachend schüttelte er den Kopf und verneinte: „Nein, die sind schon länger aktiv.“ „So wie du?“ „Länger!“ „Noch länger als du?!“ Bei seiner Nichte klang es irgendwie so, als hätte er die gesamte Branche selbst erfunden – gut, bei Visual Kei konnte man noch darüber reden, aber die gesamte Musikszene? Hielt sie ihn für so alt? Vermutlich ja, wenn man ihre fünf Jahre mit seinen 43 verglich. „Ja, noch länger als ich. Durch meine Eltern, also deine Großeltern, war ich, was Musik anbelangte sehr klassisch geprägt. Erst durch KISS bin ich überhaupt auf die ganze Rockmusik gekommen … Ich weiß noch, als ich zehn oder elf war, nicht lange nach Vaters Tod, ging meine Mutter mit mir auf ein KISS-Konzert … mein allererstes überhaupt …“ Ein nostalgisches Lächeln lag auf seinen fein geschnittenen Zügen, als er daran zurückdachte. „Oma war mit dir auf einem Rockkonzert?! Das kann ich mir nicht vorstellen …“ „Wenn ich jetzt so zurückdenke … ich mir auch nicht – vor allem wehte damals noch ein anderer Wind … ich schätze, sie wollte mich ein wenig von meinem Verlust ablenken und hat es deshalb getan …“ „Vermisst du Opa? Ich würde Papa, glaub’ ich, schrecklich vermissen, wenn er plötzlich sterben würde. Ich vermisse ihn so schon immer, wenn er ständig arbeiten muss.“ „Woran ich ja nicht ganz unschuldig bin …!“ „Jede Sekunde meines Lebens“, antwortete der Pianist leise und starrte mehr als konzentriert auf seinen Vordermann, der einmal wieder stark abbremste, mehrere Meter rollte und er ihm in Schrittgeschwindigkeit folgen musste, nur um dann ganz zu stehen. „Wie war Opa? Papa redet nie über ihn, er sagt, er kann sich nicht erinnern … und Oma schweigt einfach nur …“ Bevor er es überhaupt wagte, zu einer Antwort anzusetzen, atmete er mehrmals tief durch und versuchte seine Gefühle halbwegs unter Kontrolle zu haben. Dadurch, dass er aufgrund seiner Stiftung, von der Presse des Öfteren auf den Selbstmord seines Vaters angesprochen wurde, hatte er gelernt bis zu einem gewissen Grad, auf solche Fragen zu antworten, ohne gleich wieder vom Schmerz und von der Trauer überwältigt zu werden. Jene Frage traf den Pianisten jedoch bei weitem nicht so unvorbereitet, wie so manches Mal die Erkundigungen der Presse. Ran war in einem Alter, in dem sie alles hinterfragte, doch ihr Großvater war ein Thema, um das alle in der Familie einen Bogen machten. Kouki meinte zu ihm einmal, dass er mit ihr nicht über ihren Vater sprechen würde, da er sich nicht an ihn erinnern konnte und nur das wusste, was er erzählt bekommen hatte. Da durch häufiges Wiedererzählen oft Sachen verändert oder auch vergessen wurden, zog er es vor, zu schweigen und das Reden denen zu überlassen, die sich erinnern konnten. Yoshiki selbst sprach ab und an mit seiner Mutter über seinen Vater, aber auch nur selten, weil er ihr keine Sorgen bereiten wollten. Er vermutete, dass ihr eigenes Schweigen ihre Art war, mit dem Tod umzugehen und sie ihn gleichzeitig davor bewahren wollte, alte Narben von neuem aufzureißen. Alles in allem war es eine sehr vertrackte Situation, die ihn auch lange hatte zögern lassen, ehe er seiner verbleibenden Familie von der sich damals noch in Planung befindlichen Stiftung ‚YOSHIKI Kikin‘ (1) erzählt und sie gefragt hatte, ob es in Ordnung wäre, eventuell auch einmal ein Kamerateam mit auf den Friedhof zu nehmen. Yoshiki hatte keine Ahnung, in wie weit Ran seine Auftritte in der Öffentlichkeit bewusst mitbekam, aber er vermutete, dass sie nicht ganz im Dunkeln darüber war und wusste, dass er vor Kameras über seinen verstorbenen Vater gesprochen hatte. Insofern überraschte es ihn nicht, dass sie nun ausgerechnet ihn fragte. „Dein Großvater … dein Vater hat sein Lächeln … einerseits war er streng … aber er hat seine Familie geliebt und alles für sie getan… … Wir waren oft am Strand und haben gefischt, sind geschwommen oder haben Fußball gespielt … in den Ferien sind wir oft bis nach Sonnenuntergang geblieben, haben dann ein Lagerfeuer gemacht und er hat Geschichten erzählt … jedesmal, wenn ich wegen dem Asthma ins Krankenhaus musste, hat er mich besucht, mir neue Bücher, Kuscheltiere und Spielsachen mitgebracht und alles getan, um mich wieder auf andere Gedanken zu bringen …“ „Konnte er auch Klavier spielen? So wie Oma und du?“ Der Verkehr wurde wieder flüssiger und Yoshiki war froh, als er endlich wieder das Gaspedal weiter durchdrücken konnte. „Ja … und Schlagzeug … aber das habe ich erst später herausgefunden … er wollte Drummer werden, doch sein eigener Vater hatte es verboten … Musik sei eine brotlose Kunst … das hat er mir später auch oft genug vorgeworfen … also gab er es auf und stieg ins Familiengeschäft ein …“ „Also lebst du seinen Traum“, schlussfolgerte Ran und drehte sich in ihrem Kindersitz, soweit es ging, zu ihm, um ihm ins Gesicht zu sehen, was aber nicht wirklich möglich war, da Yoshiki konzentriert auf die Straße blickte und sie so nur sein Profil sah. „Wahrscheinlich … zum Teil … aber hauptsächlich spiele ich nur deswegen, weil ich mit mir im Reinen bin, wenn ich spiele … egal ob jetzt Schlagzeug oder Klavier …“ „Versteh ich nicht …“ Diese Aussage wunderte ihn nicht wirklich, da er es selbst schließlich kaum begriff – es war einfach etwas, dass er mit der Zeit erkannt hatte. Er wurde schier verrückt, wenn er länger nicht an eines seiner geliebten Instrumente konnte. Sämtliche Emotionen und Gefühle schienen ihn zu überwältigen und Überhand zu nehmen, sodass er oftmals glaubte, sie würden sein Denken und Handeln blockieren. Doch sobald er spielen konnte, war es, als würde sich ein Vorhang in seinem Geiste heben, der es ihm ermöglichte, mit diesen Empfindungen klar zu kommen und sie zu verarbeiten. Wurde er von Traurigkeit und Melancholie übermannt, so setzte er sich an seinen Flügel. Spürte er, wie sich Wut und Aggressivität in ihm aufstauten, so ließ er diese an seinem Schlagzeug aus und schlug bis zur Besinnungslosigkeit darauf ein. Er konnte nicht garantieren, dass er ohne die Musik die Kraft hätte, nach allem, was passiert war, überhaupt noch weiterzuleben. Vielleicht hätte er sich schon längst einen Strick, beziehungsweise ein Handtuch gesucht und es einfach hide gleich getan… oder er hätte sich mit der Waffe, die sich in seinem Haus in Los Angeles befand, einfach die Kugel gegeben… oder vielleicht hätte er sich schlicht und ergreifend die Pulsadern aufgeschnitten oder eine Überdosis an Schlaftabletten genommen… dann wäre er wie sein Vater und hide einfach in einen endlosen, niemals enden wollenden Schlaf verfallen und wäre wie sie, ohne ‚auf Wiedersehen‘ zu sagen, eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Aber solange er seine Musik hatte, solange konnte er leben. „Ehrlich gesagt, ich auch nicht, Ran …“ „Und warum ist Opa tot?“ „Weil er sich das Leben genommen hat …“ „Warum?“ „Die Frage stell ich mir seit 33 Jahren, Ran …“ Dies war eine Tatsache, die ihn immer wieder aufs Neue wütend machte. Sein ganzes Leben lang würde er dieser Antwort hinterherjagen und sie doch nie kriegen. Sowohl sein Vater, wie auch hide hatten sie mit ins Grab genommen. Warum? Was hatte seinen Vater dazu getrieben? Was hatte sich hide dabei gedacht? War es nur ein Unfall gewesen oder doch Suizid, wie es die Medien damals sofort gemeldet hatten, was er sich aber bis heute weigerte zu glauben? „Yoshiki? … Warum nehmen sich Menschen das Leben?“ Anscheinend wurde er nun mit allen Fragen gelöchert, die seine Mutter und Rans Eltern ihr nicht beantwortet hatten, beziehungsweise, die sie bei ihnen nie gestellt hatte, weil sie gespürt hatte, dass sie keine Antwort erhalten würde. „Manche sehen es als Relikt unserer Geschichte an … große Firmenchefs haben sich umgebracht, wenn sie eine Firma ruiniert haben. Anstatt mit der Schande zu leben, begehen sie lieber, wie früher die Samurai, Seppuku - rituellen Selbstmord … andere tun es, weil sie den Druck nicht mehr aushalten und keinen anderen Ausweg sehen … andere wollen einfach nicht mehr leben … aber egal, wie man es auch nimmt, in den meisten Fällen, ist es, meiner Meinung nach, einfach nur ein schlichtes Davonlaufen vor dem eigenen Leben … es ist egoistisch und selbstsüchtig! Man selbst erlöst sich vielleicht von seinen Qualen, erlegt aber den Menschen, die einen lieben, neue auf …“ „Ich könnte so etwas nie!“ Ein Lächeln schlich sich auf Yoshikis Gesicht, als er Rans entschlossenes Gesicht und ihre vor der Brust verschränkten Arme sah, als er kurz zu ihr blickte. Erleichterung breitete sich auch in ihm aus, als der Verkehr wieder deutlich flüssiger wurde und er endlich auf den Shinobazu-dori abbiegen konnte. Hinweisschilder wiesen bereits den Zoo sowie die Parkplätze aus. Obwohl sie früh dran waren, erwies es sich als gar nicht so einfach, eine passende Lücke zu finden, aber schließlich hatte er einen Parkplatz gefunden, der über Mittag sogar im Schatten sein würde. Mehr Glück konnte man doch nicht haben, nachdem der Wetterbericht im Frühstücksfernsehen einen sonnigen, warmen Tag in Tokyo versprochen hatte. Das Erste, was der Drummer tat, nachdem er ausgestiegen war, war sich zu strecken und seine Hände und Unterarme zu dehnen. Aufgrund der fehlenden Schienen hatte er das Fahren stark in den Gelenken gespürt. Diese abgeknickte Haltung war einfach nichts, wenn man von einer Tendovaginitis gequält wurde. „Alles okay?“, fragte Ran sofort und sah ihn besorgt an. „Alles in Butter!“ Wenn Yoshiki nicht aufpasste, dann würde sie bald noch seinem Bruder Konkurrenz machen. Lächelnd wuschelte er ihr durch die Haare, holte die Umhängetasche aus dem Kofferraum, sperrte per Knopfdruck den Wagen zu und überprüfte im Seitenspiegel noch einmal kurz, ob seine Verkleidung passte. Zufrieden mit ihr ging er mit Ran zum Haupteingang, wo er zwei Eintrittskarten kaufte und von der Verkäuferin etwas seltsam angesehen wurde. Er befürchtete schon fast, erkannt worden zu sein, aber wenn sie tatsächlich wusste, wen sie vor sich hatte, so ging sie nicht weiter darauf ein, sondern gab ihm nur sein Wechselgeld, die Tickets, einen Plan vom Gelände und wünschte ihnen beiden einen angenehmen Aufenthalt. Kaum im Zoo angekommen, rannte Ran auch schon vor, während er zunächst einmal den Faltplan aufklappte und diesen kurz studierte. Er machte eine mentale Notiz, dass sie definitiv zu den Pandabären gehen würden, die sich auch gleich in der Nähe des Eingangs befanden. Genauer gesagt waren sie eigentlich fast gegenüber dem Gehege, an dem Ran stand: den japanischen Kranichen. "Die sind ja viel größer als die, die wir immer in der Origamiklasse machen!" Ein Schmunzeln schlich sich auf Yoshikis Gesichtszüge, als er die großen, majestätischen Vögel musterte: lange dürre Beine, einen weiß gefiederten Körper, schwarze Schwanzfedern und einen Kopf in derselben Farbe, der von einer roten Haube gekrönt wurde. Irgendwie erinnerten sie ihn unfreiwillig an Heath - dieser hatte schließlich auch solche Zahnstocherbeine und ständig irgendwelche bunten Federn in seinen schwarzen Haaren! "Kennst du Sadako Sasaki (2)?" Ein Kopfschütteln und die Frage, wer sie denn sei, waren ihre Antwort. Kurz erzählte Yoshiki Ran ihre Geschichte und dass sie es war, die den Papierkranich in ein Symbol des Friedens für alle Kinder auf der Welt verwandelt hatte. "Meine Lehrerin hat auch gesagt, dass man einen Wunsch frei hat, wenn man 1000 Kraniche gefaltet hat … stimmt es wirklich, Yoyo?" "Ich weiß nicht, die alte Legende besagt es zumindest …" "Können wir es ausprobieren?" "Wenn du mir zeigst, wie man einen Kranich faltet - ich habe seit der Grundschule, glaube ich, kein Origami mehr gemacht." "Okay!" Mit der Antwort zufrieden löste sich Ran von den großen, gefiederten Vögeln und steuerte zum nächsten Gehege - den Pandas. Recht nahe bei den Besuchern saß einer eben jener Bären, die Yoshiki schon in seiner Kindheit fasziniert hatten. Gelassen saß der Große Panda da, knabberte an etwas Bambus und schien die Menschenmengen vor sich gar nicht zu bemerken. Mit seiner Nichte an der Hand hatte sich der Schlagzeuger durch mehrere Familien, Pärchen und Grüppchen hindurchgedrängt, damit sie - und er - das Tier gut sehen konnten. Auch wenn dessen Anblick Yoshiki fesselte und er sich gedanklich daran erinnerte, definitiv noch einmal nach China zurückzukehren, nur um das Pandakrankenhaus zu besuchen, so schweifte sein Blick, verdeckt von der großen Sonnenbrille, die er das letzte Mal vor etwa 15 Jahren getragen hatte, doch immer wieder zu den Menschen um ihn herum. Würde ihn jetzt jemand erkennen, dann säßen er und Ran in der Falle und er würde nur darauf hoffen können, dass die Leute nicht völlig ausflippen würden. Doch bis jetzt schien es noch niemandem aufgefallen zu sein, dass zwischen ihnen eine Ikone der japanischen Musikwelt stand. Nach über einer viertel Stunde, in der seine Nichte mehrmals den Wunsch geäußert hatte, den Panda am liebsten mitnehmen zu wollen - etwas, das er völlig verstand - gingen sie weiter zu den nächsten Tieren. Die nächsten zwei Stunden schlenderten beide gemütlich durch die ausgedehnte Anlage, ehe sie zu einem weiteren Highlight kamen: den Tigern. Sie waren neben den Großen Pandas, die Tiere, die Yoshiki am meisten faszinierten und wieder einmal war er seinen zahlreichen Kontakten in Hollywood dankbar, durch die er die Möglichkeit gehabt hatte, die deutschen Magier Siegfried und Roy kennen zu lernen. Womit er beim besten Willen nicht gerechnet hatte, war, von den beiden nach Hause eingeladen zu werden, wo sie mit ihren weißen Tigern und Löwen eine riesige Villa und ein schier endloses Grundstück teilten. Nie würde er vergessen, wie sie ihm erlaubt hatten, ein Tigerjunges im Arm zu halten und ihm gezeigt hatten, wie er es mit der Flasche füttern konnte. „Yoshiki, wo ist denn das Tigerbaby, von dem du mir erzählt hast?“, fragte Ran etwas enttäuscht, als sie in dem Gehege nur zwei erwachsene Tiere erkennen konnte. „Wir mussten dem Muttertier das Jungtier wegnehmen, weil sie nicht genügend Milch produziert“, antwortete stattdessen ein junger Mann, der in der Nähe der beiden gestanden und die Frage gehört hatte. Kritisch musterte Yoshiki ihn kurz und anhand der Uniform, die er trug, vermutete er, dass er einer der Tierpfleger war. „Und wo ist es jetzt?“ „Bei uns Pflegern – wir ziehen das Junge mit der Flasche groß“, antwortete der Wärter und warf seinerseits auch einen kurzen Blick auf Yoshiki, der sich etwas abwandte und an seinen Haaren spielen wollte, um seine Nervosität unter Kontrolle zu halten, was aber natürlich nicht ging, da sie unter der Mütze versteckt waren. So ließ er es bleiben und zerquetsche ein paar Finger der linken Hand mit denen der Rechten. Es machte ihn so schon immer unruhig, wenn alle Augen auf ihn gerichtete waren und unter den gegebenen Umständen machte ihn der musternde Blick erst recht nervös. „Kann ich es sehen?!“ „Ran!“ Der Schlagzeuger konnte die Frage zwar nachvollziehen, aber es war trotzdem nicht angebracht, so vorlaut zu sein. „Ich fürchte leider nicht“, antwortete der Pfleger und ließ sich noch etwas länger von der Fünfjährigen löchern, ehe er sich verabschiedete, um seinen Pflichten wieder nachzukommen. „Manno! Ich hätte das Baby so gerne gesehen“, maulte Ran hinterher etwas herum und zog eine Schnute. „Ein andermal, Ran-tan“, vertröstete Yoshiki sie und wuschelte ihr durch die Haare, „lass uns weitergehen, okay?!“ „Hmh… trägst du mich?“ Große, braune Augen sahen ihn bettelnd an, während sie die Arme nach ihm ausstreckte. „Dich tragen? Bist du dafür nicht ein wenig zu alt?“ Schmunzelnd sah er sie an, hatte im Augenwinkel aber stets die Leute, die an ihnen vorbeigingen. „Bitte!!!!“ Lächelnd schüttelte er den Kopf und ging dann seufzend in die Hocke, sodass sie auf seinen Rücken klettern konnte, der das gestrige Pferdspielen immer noch nicht ganz verziehen hatte, dank der Schmerztabletten aber gut zu ertragen war. „Aber nicht allzu lange – du wirst nämlich auch immer schwerer!“, warnte Yoshiki sie vor, als er sich mit ihr wieder erhob. Er hielt sie an den Beinen fest, während ihre Hände an seinen durchtrainierten Schultern Halt suchten und sich in Toshis Pullover verkrallten. Normalerweise hätte sie die Arme um seinen Hals geschlungen, aber sie wusste, dass er unter dem schwarzen Schal versteckt die Halskrause trug, was für sie schlichtweg bedeutete, dass das ‚Sperrgebiet‘ war. So ging es weiter durch Tokyos ältesten Zoo, wobei der Drummer Ran nach einer halben Stunde wieder absetzte. Als es bereits nach ein Uhr war, suchten sie sich eine Bank im Schatten, die etwas abseits von den ganzen Menschenmassen, die zwischen den Gehegen hindurchströmten oder es sich in einem der zahlreichen Cafés und Restaurants gemütlich gemacht hatten, gelegen war und vernichteten die Schokoriegel, die der Pianist eingepackt hatte und wegen des warmen Wetters schon recht weich waren. Sicherlich nicht gerade das gesündeste Mittagessen, aber es erfüllte seinen Zweck. Zwischen einem Bounty und einem Mars entledigte er sich des schwarzen Cappys, mit dem er sein Gesicht zusätzlich verdeckte, und der schwarzen Wollmütze, die seine gebleichten Haare versteckte. Es war zwar etwas gewagt, aber da sie im Schatten und nicht direkt unter Menschen waren, ging er das Risiko ein, da er immer mehr das Gefühl hatte, dass sein Gehirn gedünstet wurde und sich wie die Schokolade verflüssigte. Sein Toshicosplay war wohl eher für kalte Winter-, als für warme Frühjahrstage geeignet. Yoshiki hatte gerade die beiden Mützen in die Umhängetasche gepackt, als Ran aufsprang, ein paar Schritte wegrannte und sich dann umdrehte, um ihn zu fragen, ob sie weitergehen würden. "In ein paar Minuten, okay", antwortete er, da er sich gerne noch ein paar Minuten Pause gönnen wollte. Seine Nacken- und Lendenwirbel hatten sich wieder überdeutlich Gehör verschafft, nachdem er seine Nichte getragen hatte und er war froh, dass er ein wenig sitzen konnte, wodurch seine Wirbelsäule anders belastet wurde und die Schmerzen wieder erträglicher waren. "Kann ich dann alleine da vor?", fragte Ran und deutete auf ein Gehege in der Nähe, bei dem zahlreiche Menschen standen, sodass Yoshiki nicht sehen konnte, was sich darin befand. "Okay, bleib aber so, dass ich dich im Auge behalten kann!" "Mach ich!" Damit war sie auch schon losgerannt und der Pianist schloss für einen Moment die Augen, ehe er sie wieder öffnete und aus der Tasche einige Schmerztabletten suchte und diese mit einem Schluck Wasser hinunterspülte. Kaum hatte er die Flasche wieder zugeschraubt, klingelte sein Handy. Er machte sich nicht die Mühe, auf das Display zu schauen, sondern ging einfach ran und wurde so von seiner Schwägerin überrascht, die sich erkundigen wollte, wie es mit Ran lief. "Alles in Butter! Du musst dir absolut keine Sorgen machen!" Er würde einen Teufel tun und zugeben, dass er ein paarmal mit seinem Latein schon am Ende gewesen war. "… Wir sind im Ueno Zoo … Ran schaut sich gerade irgendwelche Tiere an … ja, ihr geht es gut! Ich sag ihr, dass ihr angerufen habt, sobald sie wieder da ist, und ruf euch dann zurück, einverstanden? ... Mhm, okay … was? Kouki auch noch? ... Wenn es sein muss …“ „Hey Kleiner, wie läuft‘s?“ „Gut, deine Sorgen waren völlig unbegründet!“ „Und wie geht es dir?“ „Kann mich nicht beklagen …“ „Und die Wahrheit?“ „Mir geht es gut, Kouki.“ „Ist Dan mit euch im Zoo?“ „Dan … eh … ja, aber nur er. Ich wollte nicht mit einem ganzen Hofstaat antanzen“, log Yoshiki. „Gab es irgendwelche Zwischenfälle?“ „Kouki, du hast Urlaub, also frag nicht so einen Scheiß!“ „Ich frag auch eher wegen Ran – gibst du mir mal bitte noch kurz Dan?“ „Warum das denn?“, fragte der Drummer und versuchte seinen Schock zu verbergen. „Gib ihn mir einfach …“ „Er … schaut sich aber gerade den Himmel an, da will er sicherlich nicht gestört werden!“ „Meine Notlügen waren auch schon einmal besser …“ „Yoshiki… bist du ohne Security unterwegs?“ Kouki klang definitiv skeptisch. „Nein, natürlich nicht! … Dan … checkt nur, ob am Himmer nicht irgendwelche Helis mit Paparrazis sind“, versicherte Yoshiki schnell, ehe er das Handy vom Ohr nahm, das Mikrofon mit der Hand zuhielt und zur Luft meinte: „Dan, Kouki wants to speak to you!“ Gleich darauf hielt er das Mobiltelefon wieder an sein Ohr und begrüßte seinen Bruder mit verstellter Stimme auf Japanisch. „Dan? Sind sie in Ordnung? Ihre Stimme klingt irgendwie seltsam …! „Ich bin erkältet“, hustete Yoshiki ins Telefon und hoffte inständig, dass Kouki es ihm abkaufte. „Wir haben 20 Grad und mehr in Tokyo?!“ „Klimaanlagen …“ Erneutes Husten. „Ja, die Dinger können wirklich übel sein … hören sie, Dan …“ Weiter kam Yoshikis kleiner Bruder nicht, da der Ältere in das Mikro pustete und so eine Störung simulierte. „Kouki?“ Pusten. „… kann sie kaum …“ Pusten. „… Empfang …“ Pusten. „… Verbindung …“ Noch einmal Pusten und dann drückte er den kleinen roten Knopf, um das Gespräch zu beenden. „Gerade noch einmal so mit dem Kopf aus der Schlinge gekommen! Kouki würde mich durchs Handy hindurch killen, wenn er wüsste, dass ich mit Ran und ohne Bodyguards im Zoo bin… dabei läuft alles perfekt! Ran-tan hat ihren Spaß, ich sammel weiter Pluspunkte, mir fällt zu Hause nicht die Decke auf den Kopf und erkannt wurde ich bisher auch nicht. Alles in Butter würde ich sagen – völlig unnötig, dass sich deswegen irgendjemand aufregt!“ Zufrieden schob Yoshiki das kleine Klappgerät zurück in die Hosentasche und suchte seine Nichte unter den Menschen, die er auch relativ schnell fand – der pinke Rock, den sie trug, war auch kaum zu übersehen. Bisher war definitiv alles nach Plan gelaufen und weder seine Verletzungen hatten ihn großartig behindert, noch hatte er eine dunkle Gewitterwolke über seinem Kopf schweben. Ja, man konnte wirklich sagen, es war ein gelungener Tag! Da Ran noch immer am selben Gehege und scheinbar alles in Ordnung war, begann er ein wenig die Leute zu beobachten und zu studieren. Etwas, das er sonst in Japan kaum tun konnte, da normalerweise immer er derjenige war, der wie ein Zootier angestarrt wurde. Es amüsierte ihn ein wenig, diverse Pärchen zu sehen, die, wenn es hoch kam, gerade einmal Händchen hielten. Wäre er in Amerika, würden sich ein paar von denen sicherlich die Zungen in den Hals stecken und eine halbe Mandel-OP durchführen. Immer wieder überraschte es ihn aufs Neue, wie unterschiedlich die beiden Länder, in denen er lebte, doch eigentlich waren. Seufzend wanderte sein Blick von den anderen Besuchern zurück zu Ran, doch die war nicht mehr da, wo er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er entdeckte sie, wie sie zu einem anderen Gehege ging, beziehungsweise hüpfte, und dabei an einem unscheinbaren Gebäude, im Schatten von mehreren alten Bäumen, zu dem Besucher keinen Zutritt hatten, vorbeikam. Lächelnd schüttelte er über ihre übersprudelnde Energie den Kopf und hoffte, dass sie sich bis zum Abend soweit ausgepowert hatte, dass es diesmal keine Einschlafprobleme geben würde. Es reichte schließlich schon, wenn er diese hatte! Als Ran aus dem Schatten der Bäume sprang, blendete sie die grelle Mittagssonne, sodass sie einen größeren Stein am Boden nicht sah, stolperte und stürzte. Sie fing sich zwar mit Händen und Knien ab, schürfte sie sich dabei aber auf. Ihr erster Reflex, als der Schmerz sie durchzuckte und die Tränen in ihre Augen trieb, war nach Yoshiki zu schreien, obwohl sie ihm in der Früh eigentlich versprochen hatte, seinen Namen nicht allzu laut zu sagen, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sie beide zu ziehen. „Yoshiki!!!“ Besagter war schon, mit der Tasche in der Hand, aufgesprungen gewesen, als er sie hatte stürzen sehen. Er sprintete zu ihr und ging neben ihr in die Hocke, um sie zu beruhigen, da sie weinte, und sich die Wunden anzusehen. Dabei hatte er die Sonnenbrille auf seinen Kopf geschoben, um die Verletzungen besser begutachten zu können. Dass die Menschen um ihn herum ihn dadurch erst recht erkannten, hatte er noch gar nicht realisiert, denn natürlich hatten sich die umstehenden Leute neugierig umgesehen, als sie den Schrei gehört hatten. Schneller, als Yoshiki es wirklich mitbekam, hatte sich eine kleine Traube um ihn gebildet - Mobiltelefone wurden gezückt, Fotos wurden geschossen, entzückte Rufe waren zu hören. Sein erster Instinkt war Flucht, doch das war einfacher gesagt als getan. Er hatte Ran hochgehoben und stand mit ihr auf, wobei er ihren Kopf gegen seine Brust drückte und schützend noch einen Arm darüber legte. Wenn er fotografiert wurde, dann konnte er nichts daran ändern, aber er wollte definitiv nicht seine Nichte auf zahllosen Schnappschüssen haben! Leicht panisch blickte er sich, auf der Suche nach einem Ausweg, um. Solche Situationen empfand er schon mit Bodyguards als unangenehm und jetzt, so völlig ungeschirmt, hatte er Mühe die Ruhe zu bewahren und dabei musste er auch noch eine Fünfjährige beschützen, der zum einen der Tumult Angst machte und die zum anderen vor Schmerzen wimmerte. Er ging ein paar Schritte rückwärts und die Menschenmenge, die immer größer wurde, folgte ihm. Am Rande bekam er mit, wie ihm diverse Sachen zum Unterschreiben hingehalten wurden. Unter anderen Umständen, die vor allem kontrollierter waren, da sein Sicherheitspersonal dabei war, hätte er sich die Zeit für eine kurze Autogrammstunde genommen, aber mit einer schluchzend und zitternden Ran auf dem Arm würde er das definitiv nicht tun. Mit dem Rücken stand er fast zu dem Häuschen, während sich eine Horde von Leuten um ihn scharte – anscheinend hatte es sehr schnell die Runde gemacht, dass YOSHIKI im Tierpark war. Als er eine Hand an seinem Oberarm spürte, die ihn wegziehen wollte, spannte er sich an und wollte sie schon wegschlagen – soviel also zur japanischen Zurückhaltung – als er aus dem Augenwinkel heraus den Tierpfleger erkannte, den Ran vorhin gelöchert hatte. Da er keinen anderen Ausweg sah, vertrauter er diesem und ließ sich mitziehen. Durch die Tür, neben der er mehr oder weniger gestanden hatte, gelangte er in das kühle und hell erleuchtete Innere des bungalowartigen kleinen Hauses. „Alles okay?“, fragte der junge Mann, nachdem er die Tür geschlossen und zugesperrt hatte. Nichtsdestotrotz drangen von draußen die Rufe nach Yoshiki durch und er war sich ziemlich sicher, dass es ein Ding des Unmöglichen sein würde, den Tiergarten auf normalem Wege wieder zu verlassen. Allmählich entspannte er sich ein wenig und merkte erst jetzt, dass nicht nur Ran aufgrund der vielen Menschen vor Angst bebte - er selbst tat es auch und er spürte regelrecht, wie das Adrenalin durch seinen Körper strömte. „Hmh“, antwortete er leise und setzte sich auf einen der Klappstühle, die um einen Plastiktisch standen. Er bedankte sich und senkte leicht den Kopf, um eine Verbeugung anzudeuten, während er beruhigend über Rans Rücken strich, die zu weinen aufgehört hatte, nur noch leicht zitterte und sich an ihn drückte. "Keine Ursache. Wo ist Ihre Security?" "Ich habe keine dabei …", antwortete Yoshiki abwesend, während er die Kinderhände von seinen Schultern löste und sich die Abschürfungen ansah. Sowohl an den Händen und Knien waren es nur leichte, die geringfügig bluteten, was ihn schon einmal etwas beruhigte. Ein plötzliches Knacken, das ein wenig nach einem Walkie-Talkie klang, ließ ihn zusammenzucken und keine Sekunde später ertönte auch schon eine tiefe Stimme aus der Jackentasche des Pflegers. "Katsuya, was ist bei Ihnen los? Es heißt, dass YOSHIKI von X JAPAN mit einem Kind – angeblich seiner Tochter - hier gesichtet worden sei!" Als genannter Pianist sah, dass der andere schon darauf antworten wollte, schüttelte er nur den Kopf. Es reichte schon, wenn draußen Unmengen an Menschen nach ihm schrien - da brauchte er nicht auch noch irgendwelche leitenden Angestellten, die sich auf seine Kosten rühmen wollten. Alles was ihn im Moment interessierte, war, Ran in Sicherheit zu wissen. „Soviel also zu meinem schönen Plan!“ Der Tierpfleger registrierte zwar die Geste, drückte aber trotz allem den Sprechknopf: "Alles im Griff, Chef. Es war nur ein Cosplayer – ich habe ihn zur Seite genommen und gebeten sich umzuziehen, um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen. Es wäre aber trotzdem gut, wenn die Sicherheit die Menschenmenge auflösen könnte." Erleichterung breitete sich in dem Schlagzeuger aus, als ihm klar wurde, dass ihn sein Retter nicht ‚ausliefern‘ würde. Der Mann auf der anderen Seite des Walkie-Talkies versprach sich darum zu kümmern und verabschiedete sich dann. "Sie haben etwas gut bei mir", äußerte Yoshiki und sichtliche Dankbarkeit breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. "Keine Ursache. Was haben Sie jetzt vor?" "Meine Security anrufen, damit sie mich abholt …" Ihm war jetzt schon klar, dass Dan alles andere als begeistert sein würde. "Lassen Sie mich mit ihr sprechen - ich kann sie zum Personaleingang lotsen. Dort sind keine Besucher und Sie kommen über abgeschirmte Schleichwege von hier genau dorthin." "Vielen Dank!" Er angelte das Handy erneut aus der Tasche, suchte im Telefonbuch rasch nach dem gewünschten Eintrag und drückte dann die Verbindungstaste. „Dan? You’ve got to help me“, fing der Drummer dann auch sofort zu reden an, kaum dass das Freizeichen aufgehört hatte. Natürlich hätte er mit seinem Bodyguard auch auf Japanisch sprechen können, da Dan während seiner Zeit bei der Army in Japan stationiert gewesen war und die Sprache somit gut beherrschte, aber er bevorzugte generell Englisch, um es einerseits selbst zu üben und andererseits konnte er sich sicher sein, dass kaum einer ihn verstand, da seine Landsleute für ihr Englisch schließlich berühmt berüchtigt waren. Engrisch verstanden und sprachen sie hervorragend – etwas, dass man von Englisch nicht unbedingt behaupten konnte. „Yoshiki?“ Irgendetwas an der Art, wie er seinen Namen aussprach, war seltsam. „I’ve got a problem…” “Yeah, you definitely have – I got a call from your brother. He was quite surprised that I had such a good connection whereas you had absolutely none.” “Fuck!” Er hatte nicht daran gedacht, dass Kouki Dan anrufen würde … „You call a spade a spade.“ “I’m dead… he’s gonna kill me…” “Not straight away, I covered up for you.” “Sure… You did… what?!” “No need to ruin his and his wife’s vacation!” “I love you, Dan!” Vielleicht kam er doch noch glimpflich aus der Sache … als sich sein Gesprächspartner jedoch wieder zu Wort meldete, schrumpfte diese Hoffnung und zerplatzte letztendlich wie eine Seifenblase. „So, you calling me now means either you came to your senses or you’re in the shit…” “I guess some people somehow recognized me and now I’m stuck here with Ran and above all she’s hurt. Could you somehow get us out of the zoo?” “What the…” Es folgte eine ganze Schimpftirade, nach der man hinterher erahnen konnte, wo Yoshiki es gelernt hatte, so gut auf Englisch zu fluchen. „Can you bail us out?“ Eigentlich konnte er sich die Frage schenken, schließlich war es das, wofür er Dan bezahlte, aber zu fragen schadete schließlich nie und vielleicht konnte er ihn so auch ein wenig besänftigen. „Just stay the fuck where you are until I come and get’cha!“ “I didn’t intend to go shopping while waiting for ya, y’know?!” Wahrscheinlich war es nicht das klügste, in Anbetracht der Situation, seinem Bodyguard mit blöden Antworten zu kommen, schließlich war es nur nachvollziehbar, dass dieser aufgebracht war, aber der Schlagzeuger mochte es trotz allem nicht, wenn er bevormundet und ihm Befehle erteilt wurde. So verfiel er wie Dan in umgangssprachliches Amerikanisch, wobei seine Sprechgeschwindigkeit bei weitem nicht mit der des Muttersprachlers mithalten konnte. „Don’t even think about acting like a damn spoiled brat, Yoshiki! For God’s sake, stay where you are and if it’s somehow possible don’t attract any more attention as you already have! I’ll be there in about twenty minutes.” “That’s fast…!” “I set off right after Kouki’s call.” “Oh… the zoo keeper wants to talk to you – he knows another entrance than the public once…” Yoshiki gab sein Handy weiter und teilte dem Zoowärter noch mit, dass er durchaus auf Japanisch mit Dan sprechen konnte. Ihm war schließlich nicht entgangen, dass sein Gegenüber ziemlich nervös drein geblickt hatte, als er sich auf Englisch unterhalten hatte. "Alles okay?", wandte er seine Aufmerksamkeit schließlich wieder Ran zu, die sich beruhigt und sich an ihn gekuschelt hatte. Sie nickte gegen seine Brust und richtete sich dann etwas auf, um ihn anzusehen. "Tut mir leid." "Schon okay", tat er es lächelnd ab und umarmte sie. Letztendlich traf sie schließlich keine Schuld. Vielleicht wären sie unerkannt aus der Sache heraus gekommen, wenn er seine Haare versteckt und die Sonnenbrille aufgelassen hätte. "Und nun?" "Einer meiner Bodyguards wird uns abholen und dann geht es zurück in den goldenen Käfig …" So sehr er sein Leben und seinen Ruhm auch genoss, es gab Momente, da verteufelte er die Schattenseiten und er überlegte sich, was für ein Leben er wohl führen würde, wenn er eine Musikhochschule besucht hätte und Klavierlehrer oder irgendein Pianist in irgendeinem Orchester geworden wäre. Seufzend ließ sich das kleine Mädchen wieder gegen seinen Oberkörper sinken und begann langsam zu verstehen, dass Yoshiki ihr zwar Sachen erlaubte, die ihr ihre Eltern vielleicht nicht durchgehen lassen würden, sie dafür aber auf schier alltägliche Dinge, wie zum Beispiel einfach irgendwohin zu gehen, verzichten musste. Die Wartezeit, bis Dan kam, verging relativ schnell, unter anderem auch deswegen, weil sich der Tierpfleger Katsuya daran erinnert hatte, dass Ran unbedingt das Tigerjunge hatte sehen wollen und sich der Aufzuchtsraum, wie es der Zufall wollte, im hinteren Teil des Gebäudes befand, sodass der junge Mann eine Ausnahme machte und das kleine Fellknäuel kurz holte, damit sie es aus nächster Nähe sehen konnte und sogar einmal kurz streicheln durfte. Danach brachte Katsuya die kleine Raubkatze wieder zurück und ging zum Personaleingang, um Dan in Empfang zu nehmen, der bereits dort war. Ohne große Worte holte er die zu schützenden Personen ab und führte sie zu seinem eigenen Auto. Dort verabschiedeten sich Yoshiki und Ran von ihrem Retter, der ihnen wirklich in letzter Sekunde aus der Patsche geholfen hatte. "Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann …", fing der Schlagzeuger an, dem nicht wohl dabei war, bei jemandem so tief in der Schuld zu stehen. "Vielleicht ein Autogramm?", entgegnete der Tierpfleger schelmisch grinsend und hielt Yoshiki einen Zettel und einen Stift hin, die dieser auch sofort nahm und das Blatt Papier nur zu gerne signierte. "Sie haben mich schon bei den Tigern erkannt, richtig?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, die er äußerte, als er das Autogramm zurückgab. "Ihre Gestik hat sie verraten", antwortete er, verbeugte und verabschiedete sich, um erneut seinen Pflichten bei den Tieren nachzukommen. Yoshiki blickte ihm noch kurz nach, setzte sich dann wortlos neben Dan auf den Beifahrersitz und nahm Ran auf den Schoß, da es keinen Kindersitz im Fahrzeug gab. „Can you drive to the parking lot and let me off there? I must get my car”, fragte er den Amerikaner, als dieser losfuhr. “The staff’s picking it up”, war die kurzangebundene Antwort. “… Are you mad?” “Of course not.” Augenblicklich entspannte sich Yoshiki, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass es noch weiter gehen würde. „You just got yourself into trouble, why should I be mad? Hell, yes, I am mad at you! How am I supposed to do my job if you don’t let yourself be protected?! But okay, if you think you can handle a mob of hysteric fans on your own, fine, do it! However… goddamn Yoshiki! Are you fucking crazy?! With a kid?! A fucking kid?! Your goddamn own niece! I thought you were wiser than that. She wouldn’t have had a single chance against a fucking crazy mob!” “Everything was ok… until then…”, verteidigte sich der Pianist. „That was pure luck!“ „ And it's not like anything happened!” “She's hurt!” “Because she fell. For God’s sake, Dan, do you know how often I kissed the earth when I was a kid?!” “Nevertheless it was irresponsible! What would you have done if that zoo keeper hadn't helped you? What the fuck would you have done then?!” Ja, was hätte er dann getan? Yoshiki wusste es nicht, weshalb er kurz schwieg und dann lieber das Thema wechselte. „Will you tell the management?” “I have to.” “It's better if you keep quiet - in the end nothing happened, so there’s no need to alarm anyone!” “God knows how many people were there and I bet almost all of them had a cell phone or a camera with them. If only a few of them are cunning enough you and your niece are on all covers of every fucking single gossip mag by tomorrow! The sooner the management knows about this whole shit, the sooner can they buy up the photos in order to protect your but above all Ran’s privacy!” Dan warf einen kurzen Seitenblick auf Yoshiki, der einen leicht geknickten Eindruck machte, während seine Nichte eher verwirrt drein blickte, da sie kein Wort, aber sehr wohl ihren Tonfall verstand. „I’m sorry, Yoshiki, but it’s better that way.” Sein Arbeitgeber und Freund nickte nur leicht und für die nächsten Minuten herrschte Schweigen im Auto. Lediglich die Fahrgeräusche des Hondas und die Atemgeräusche der Insassen waren zu hören. „I didn’t intend to cause any trouble, Dan. I never wanted to endanger Ran’s safety! All I ever wanted was to spend a normal day with her at the zoo. Just the two of us… not YOSHIKI from X JAPAN and YOSHIKI’s niece…” “Ich weiß”, wechselte Dan ins Japanische, da ihm Rans mehr als irritierter Gesichtsausdruck aufgefallen war, „aber es war trotzdem verantwortungslos und du kannst froh sein, Yoshiki, dass außer ein paar aufgeschürften Händen und Knien nichts passiert ist. Vielleicht wäre wirklich alles glimpflich ausgegangen, aber vielleicht wäre auch das totale Chaos ausgebrochen.“ „Onkel Yoshiki hat nichts getan! Es war meine Schuld, dass er erkannt wurde“, meldete sich Ran kleinlaut zu Wort, brachte mit ihrer Aussage den Amerikaner aber nur zum Schmunzeln. „Es ist lieb von dir, dass du die Schuld auf dich nehmen willst, aber hier geht es letztendlich um den Kopf deines Onkels, weil er sich der Risiken durchaus bewusst war, aber sie lieber ignoriert hat.“ „Du willst ihn köpfen?!“ Die Fünfjährige klang sichtlich entsetzt und umklammerte automatisch Yoshikis Hände, die sie festhielten. „Bildlich, nicht wörtlich – und dann auch nicht ich, sondern das Management. Die werden garantiert Freudensprünge machen.“ Dans letzter Kommentar war hauptsächlich an seinen erwachsenen Beifahrer gerichtet, der erstaunlich schweigsam war. Er hatte mehr damit gerechnet, dass sie sich erst einmal eine Stunde lang anschreien würden, ehe es möglich wäre, vernünftig zu reden. „Du glaubst wirklich, dass jemand die Bilder verkaufen würde?“ „Manchmal bist du wirklich naiv! Wäre ich der Chef von irgendeinem Klatschmagazin, würde ich eine Menge Kies für solche Photos hinblättern, weitaus günstiger wäre es natürlich, die Bilder aus dem Internet zu holen.“ Yoshikis Unterkiefer verschob sich gegen den Oberkiefer, während seine Lippen von links nach rechts zuckten – er überlegte, auch wenn es eigentlich nichts mehr zu überlegen gab. Die einzige Möglichkeit, vor allem Ran zu schützen, war, wenn sein Management alle möglichen auftauchenden Bilder aufkaufen würde, ehe sie in die Hände irgendeiner Zeitschrift gerieten. „Okay … sag Yagehara, dass ich Scheiße gebaut habe … ich hab‘ zwar keine Lust auf seine Standpauke …“ „Ich hätte das auch ohne deine Zustimmung getan, Yoshiki. Mein Job ist es, dich zu beschützen – egal wie und egal was du davon hältst. Letztendlich geht es nur um deine Sicherheit.“ Die restliche Rückfahrt, die sich, aufgrund des mörderischen Verkehrs, deutlich in die Länge zog verlief relativ schweigsam, da besagter Pianist und Schlagzeuger seinen Gedanken nachhing. Kurzfristig wurde das Schweigen gebrochen, als er Dan auf Rans morgigen Arzttermin hinwies. Nach einigem Hin und Her entschieden sie, dass es besser war, den Termin abzusagen, da ein Wartezimmer voller wartender Mütter sich auch als ein Wartezimmer voller Fans herausstellen konnte. Zudem würde er nach den heutigen Ereignissen sowieso Security mitnehmen müssen und mit mindestens zwei bis vier Bodyguards in einer Arztpraxis aufzutauchen war leider alles andere als unauffällig. Yoshikis Nichte schien nicht sonderlich unglücklich über diese Planänderung zu sein, da sie Impfen sowieso nicht mochte. Leider hatte ihr Onkel den Einfall, dass sein eigener Arzt, zu dem er am Dienstag ja sowieso musste, dass übernehmen konnte. Zuhause angekommen klärte er das gleich als Erstes ab, verabschiedete sich dann von Dan, der dem Management von seiner glorreichen Tagesleistung berichten würde, und wählte dann die Handynummer von seinem Bruder, damit Ran mit ihren Eltern telefonieren konnte. Zuvor hatte er sie noch gebeten, nichts von ihrem Alleingang zu erzählen, und er musste sagen, für eine Fünfjährige hatte sie wirklich eine blühende Fantasie, mit der sie ihn zumindest momentan schützte. Wenn Kouki wieder zurück war, würde er es sowieso erfahren, aber was er im Moment nicht wusste, machte ihn auch nicht heiß. "Ran hat definitiv etwas gut bei mir!" Als sie dann später im Bett lag und friedlich schlief, setzte sich Yoshiki auf die Klavierbank. Er war selbst ganz überrascht, dass sie so ohne Probleme schlafen gegangen war, aber andererseits vermutete er, dass der Schreck vom Nachmittag doch stärker an ihr gezehrt hatte, als sie selbst hatte zugeben wollen. Ihm selbst rann ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte, was alles hätte passieren können. Leicht schüttelte er den Kopf, um die Gedanken zu verbannen und sortierte stattdessen seine Finger auf der strahlend weißen und schwarzen Klaviatur des Kawai Shigeru EX Konzertflügels. Alles in ihm drängte danach, mit sanftem Druck die Tasten anzuschlagen und den Raum mit dem sanften Klang des Flügels zu füllen. Seine Sehnen schmerzten, die übermäßige Bewegungsfreiheit, die seine Hände heute gehabt hatten, da er keine Schienen getragen hatte, war ihnen nicht sonderlich gut bekommen. Es wäre ganz einfach … nur ein minimaler Kraftaufwand würde genügen und seine Finger würden die Melodie eines Songs formen, die sie bereits auswendig kannten, während das Chaos in seinem Kopf sich auflösen würde. Einfach spielen, den Schmerz ausblenden und eins mit der Musik werden - es wäre so einfach … Wehmütig starrte er auf die Tasten und zog dann seine Hände zurück. Seufzend stand er auf, senkte die Abdeckung auf die Klaviatur und strich zärtlich über das schwarzlackierte Holz, das auf Hochglanz poliert war. Sein Abbild spiegelte sich darin und seine Finger hinterließen matte Abdrücke auf der Oberfläche. Für heute würde das majestätische Instrument schweigen, genauso wie Yoshiki um Rans Willen das Management agieren lassen würde, während er in seinem goldenen Käfig saß, den er sich selbst erbaut hatte. ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) YOSHIKI 基金 (2) Sadako Sasaki: http://de.wikipedia.org/wiki/Sadako_Sasaki Allgemeine Anmerkung: Es dürfte sicherlich nicht unbemerkt geblieben sein, dass Teile des Kapitels in englischer Sprache verfasst waren. Ich hoffe, dass auch diese Stellen verständlich waren. Warum der plötzliche Wechsel ins Englische? Weil alle deutschen Dialoge sozusagen Japanisch sind und bei einer Gesamtlänge von 104 Seiten zwei oder drei Seiten (auf die ganze FF gesehen) Englisch, meiner Meinung nach, nicht wirklich ins Gewicht fallen. Sollte jemand extreme Probleme damit gehabt haben, sodass das Verständnis der Storyline nicht gewährleistet ist, kann er/sie gerne auf mich zukommen, dann übersetze ich ihm/ihr die Yoshiki/Dan Dialoge. Tag 4 – Montag: Zugeschnürt --------------------------- @ __GAKUTO: Das freut mich zu hören, denn das war eigentlich auch mein Ziel. *grins* Klar musste was passieren, ansonsten schlaft ihr mir noch ein, wenn alles nur Friede-Freude-Eierkuchen ist (außerdem macht es Spaß, seine Charas zu quälen ^.~). @ Toshi-Hamlet_Hayashi: Puh, dann bin ich erleichtert, wenn sich Ran mehr oder weniger ihrem Alter entsprechend verhält. Bzgl. Fans etc.: Ich weiß nicht, ob du weißt, was los war, als Yoshiki zu Promotionzwecken für seine Autobio in mehreren Buchläden war – stets von Security geschützt. Die Zooszene ist eigentlich eine Zusammenfassung der ganzen Buchlädenereignisse, abzüglich aller Sicherheitsmaßnahmen, plus einer 5-Jährigen. @ Terra-gamy: Die Antwort darauf wirst du in diesem Kapitel bekommen, versprochen^^ @ nawa: Ich hoffe, ich war nicht der Grund für die Verwirrtheit ^.~ Ob man’s glauben will oder nicht, Yoshiki hat durchaus Respekt vor seinem Management: Als er in Sichuan war, wollte er danach noch eine Pandabäreauffangstation besuchen. Also hat er brav seinen Manager gefragt, ob das möglich sei, der verneinte jedoch, da man um die 6h gebraucht hätte, um dort hinzukommen und das den Zeitplan gesprengt hätte, und Yoshiki hat das hingenommen und akzeptiert (allerdings nicht, ohne in den Tagen darauf bei so ziemlich jeden Interview „herumzujammern“ wie gerne er die Pandas gesehen hätte ^.~). Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! ~*~*~*~*~* Should I trade the breath of my life for freedom? X JAPAN – I.V. Der nächste Tag begann ruhig und ereignislos mit Frühstücken, anschließender Krankengymnastik und danach war es auch schon wieder Zeit zum Mittagessen. Eigentlich hätten sie im Anschluss daran zum Kinderarzt gemusst, doch nach den gestrigen Ereignissen hatte Yoshiki den Termin abgesagt und mit seinem eigenem Arzt, zu dem er morgen sowieso musste, vereinbart, dass dieser die Impfung übernahm. Sowohl gestern Abend wie auch den ganzen Morgen über hatte er angespannt darauf gewartet, von seinem Management eine Mitteilung zu bekommen. Bis jetzt hatte er jedoch noch nichts von ihm gehört und auch in den Morgennachrichten, die er nebenbei beim Frühstück hatte laufen lassen, war nichts von seinem gestrigen Ausflug in den Zoo zu sehen gewesen. Entweder war Dan einfach nur übervorsichtig gewesen und alles hätte sich auch ohne die Agentur gelöst, oder aber, sie hatte inzwischen ganze Arbeit geleistet und sämtliche Spuren vernichtet. Den gestrigen Abend und die gesamte Nacht über hatte er über die Ereignisse nachgedacht und kaum geschlafen. Am liebsten hätte er eine oder auch ein paar mehr Schlaftabletten genommen, um sich einfach auszuknocken und die Gedanken in seinem Kopf abzuschalten, wenn er sie schon nicht durch Klavier- oder Schlagzeugspielen sortieren konnte, aber mit den ganzen Schmerzmitteln, die er momentan einnahm, war dies keine gute Idee, sodass er es unterließ. Als er auch am Nachmittag noch darüber brütete, fiel ihm wieder ein, dass Ran ja 1000 Kraniche falten wollte. Er hatte zwar kein Origamipapier im Haus, aber für den Anfang würden es wohl auch quadratische Notizzettel tun und davon hatte er genügend. Seine Nichte war sofort Feuer und Flamme und zeigte ihm nur zu gerne wie man jenen symbolträchtigen Vogel faltete, da er selbst schon seit Jahrzehnten keinen mehr gemacht hatte. Nach diversen missglückten Versuchen hatte er allmählich den Dreh heraus, auch wenn er Ran bei weitem nicht das Wasser reichen konnte, da sie äußerst schnell war und nebenbei noch wie ein Wasserfall redete, während er angestrengt und konzentriert jeden einzelnen Schritt, den er machte, haargenau überwachte. Das Falten brachte ihm jedoch die gewünschte Ablenkung und der niemals enden wollende Redefluss neben ihm tat sein übriges dazu. Nachdem er 10 Kraniche geschafft hatte, lockerte er kurz seine Hände und sein Blick fiel dabei auf die flinken Finger der Fünfjährigen, die scheinbar mühelos das Papier in Form brachte. Die Art und Weise ihrer koordinierten Bewegungen ließ Yoshiki innehalten. Sein Blick wanderte von ihren kleinen Händen hin zu seinem Flügel und dann wieder zurück. Konnte es sein, dass… Kouki war mit das Unmusikalischste, was dem Pianisten und Drummer je untergekommen war – gut, er hatte vielleicht auch Klavierunterricht gehabt und bei einer Schulaufführung spielten sie einmal ein Stück vierhändig vor, aber seinem kleinen Bruder fehlte einfach das gewisse Etwas, das einen talentierten Musiker auszeichnete. Chikas Rhythmusgefühl hingegen konnte mühelos mit seinem eigenen mithalten. Wäre es vielleicht möglich, dass Ran nach dem Rest der hayashischen Familie kam? Sie tanzte schließlich Ballett, also konnte ihr Gefühl für den Takt nicht so schlecht sein… Stellte sich also nur noch die Frage, wie es mit Musik selbst aussah… Er würde es definitiv ausprobieren und wenn sie Spaß daran hatte, dann würde er sein Möglichstes tun, um ihr eventuell vorhandenes Talent zu fördern. Von seinem Bruder konnte er in der Hinsicht schließlich nicht allzu viel erwarten, da dieser selbst den verstimmtesten Flügel für gestimmt hielt, wie er schon leidlich am eigenen Körper hatte erfahren müssen. "Was ist, Yoshiki?", fragte Ran, der aufgefallen war, dass er mit dem Falten aufgehört hatte. "Kannst du mir einmal deine Hand geben?" Sie verstand zwar nicht weshalb, aber sie tat es und er nahm vor allem ihre Finger genau unter die Lupe. Zwar waren diese noch klein, aber er müsste sich schon sehr irren, wenn sie später nicht langgliedrig werden würden und das wäre definitiv ein Vorteil, da eine große Fingerspannweite weniger Belastung für die Hände bedeutete, wenn es darum ging, größere Intervalle zu greifen. "Ran, ich würde gerne etwas ausprobieren. Würdest du mitmachen?" Sie wusste nicht, was er vorhatte, aber sie vertraute ihm blind, sodass sie einfach nur enthusiastisch nickte. Es war schließlich ihr Onkel Yoshiki, der sie gestern vor all diesen seltsamen Leuten beschützt hatte und sich sogar köpfen ließ – wenn sie Dan da richtig verstanden hatte - damit sie etwas unternehmen konnten. "Komm!" Er stand auf, ging zum Flügel, schob die Bank näher hin, da die Arme seine Nichte natürlich deutlich kürzer waren als seine eigenen, setzte sich dann und öffnete die Abdeckung. Ran folgte ihm und starrte ihn aus großen Augen an. Das große schwarze Instrument hatte sie schon immer fasziniert, vor allem da Yoshiki ihm so schöne Töne entlocken konnte. Aber bisher war es für sie immer tabu gewesen einmal selbst ran zu dürfen. Ihr Onkel setzte sie zwischen seine Beine und so wie sie es bei ihm schon mehrmals gesehen hatte, streckte sie beide Hände aus, um die Tasten zu berühren, die sich kalt und glatt unter ihrer Haut anfühlten. Sie legte ihre Finger mit zu viel Druck ab und sofort schallte eine Disharmonie durch den Raum, die sie zusammenzucken und sie ihre Hände sofort wieder zurücknehmen ließ. Schmunzelnd beobachtete Yoshiki ihre erste Annäherung an den Flügel, war es doch er gewesen, der auch das Verbot verhängt hatte. Als sie noch kleiner gewesen war und ständig klebrige und dreckige Hände gehabt hatte, hatte er schlichtweg alle Musikinstrumente zum Sperrgebiet erklärt, um das teure Equipment vor Verunreinigungen zu schützen. Ab und an hatte ihn das jedoch auch in die Bredouille gebracht, als Kouki und Chika ihn kurzerhand einmal zum Babysitten degradiert hatten, als er im Studio gewesen war und einen Song aufgenommen hatten – dort gab es schließlich nur teure Ausrüstung, von der er sich ziemlich sicher war, dass sie nicht kleinkindgeeignet und –sicher war! "Probieren wir es erst einmal nur mit einer Hand aus", schlug Yoshiki lächelnd vor und führte ihre Rechte zurück zur Klaviatur, wo er sie direkt so dirigierte, dass der Daumen auf dem C1 zum liegen kam. Ihre restlichen Finger landeten automatisch richtig sortiert auf den nachfolgenden Tasten. Er achtete darauf, dass sie in der richtigen Haltung waren und ging dann zum nächsten Schritt über. "Fangen wir zunächst einmal ganz easy mit einer C-Dur Tonleiter an, okay? Du spielst einfach von hier bis hier und dann wieder zurück." Während er erklärte zeigte er ihr, wo sich das C1 und das C2 befanden. „Dafür reichen aber meine Finger nicht!“, äußerte Ran, die acht Tasten, aber nur fünf Finger als Problem empfand. „Das tun sie“, versicherte ihr Yoshiki schmunzelnd, „bis fünf kannst du zählen, nicht?“ „Schon lange!“ „Gut. Dein Daumen ist von jetzt an die eins. Wenn ich eins sage, schlägst du mit deinem Daumen die Taste an. Übe dabei keinen Druck aus, lass deinen Finger einfach schwer werden…“ Während er erklärte, probierte es seine Nichte aus und der gewünschte Ton ertönte. Allerdings machte sie einen typischen Anfängerfehler und streckte die anderen Finger ab, anstatt sie in der Grundstellung ruhen zu lassen. Dies korrigierte Yoshiki sofort, damit sie sich gar nicht erst irgendwelche falschen Sachen angewöhnte. „Wenn dein Daumen die eins ist, dann ist dein Zeigefinger logischerweise die…“ „Zwei!“, beendete Ran den Satz und schlug den nächsten Ton an. „Richtig! Dann kommt die drei…“ Augenblicklich erklang ein E1. „Jetzt machen wir aber nicht mit vier weiter, sondern wieder mit eins. Dein Daumen greift unter deinem Mittelfinger hindurch zur nächsten Taste – dem F1.“ Die Fünfjährige versuchte der Erklärung so gut es ging nachzukommen und meisterte es für ihren ersten Versuch recht gut. "Sortier deine Finger richtig und dann geht es wieder weiter mit zwei – das ist dann ein G1… anschließend die drei – A1, dann Nummer vier – ein B1 (1) und zu guter Letzt der fünfte Finger auf C2…" So spielte Ran ihre erste Tonleiter und Yoshiki zeigte ihr auch gleich den Fingersatz für die entgegengesetzte Richtung, der dem anderen sehr ähnlich war. Der einzige Unterschied war, dass man nun mit dem Mittelfinger über den Daumen greifen musste und nicht mit dem Daumen unter dem Mittelfinger hindurch. Nach ein paar Durchgängen hatte seine Nichte den Dreh heraus und spielte flüssig die Tonleiter hoch und runter, sodass Yoshiki sie nicht mehr nur über eine Oktave, sondern über mehrere spielen ließ. Dadurch veränderte sich der Fingersatz wieder etwas, doch das bereitete ihr nach zwei Durchläufen auch keine Probleme mehr. Lächelnd beobachtete der Pianist wie sie sichtlich ihren Spaß daran hatte und sah sich in seiner Vermutung von vorhin bestätigt: die Finger bereiteten ihr keine Probleme und ein natürliches Rhythmusgefühl hatte sie auch. Als Ran sich erneut die Klaviatur von unten nach oben hoch arbeitete, spielte Yoshiki scheinbar wahllose Akkorde mit dazu. Es war ja nur ein wenig, das würde schon gut gehen! Erstaunt hatte das Mädchen zu ihm gesehen, aber nicht in ihrem Spiel aufgehört und ein Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie zusammen mit ihrem Onkel musizierte. Mehrere Minuten lang klang ihre Melodie durch das Haus, als sie durch das Klingeln an der Tür unterbrochen wurde. "Ich schau kurz, wer da ist", entschuldigte sich Yoshiki und ging zur Haustür, um diese zu öffnen. Begrüßt wurde er von seinem Manager Yagehara Kotaro. Er war ein zierlicher Mann Anfang 50, der etwas kleiner als der Drummer war und sich bereits seit Jahren um diesen kümmerte. "Kommen Sie herein", wurde er von dem Hauseigentümer gebeten, der sich bereits denken konnte, um was es gehen würde, und kam dem auch nach, nachdem er seine Schuhe aus- und bereitgestellte Schlappen angezogen hatte. "Ein neues Talent?", fragte Yagehara, da Ran noch weiter gespielt hatte. "Vielleicht", antwortete Yoshiki knapp angebunden, der gedanklich schon bei dem bevorstehenden Gespräch war. "Spielen wir weiter?" "Später Ran. Könntest du bitte auf dein Zimmer gehen und dich für eine Weile selbst beschäftigen", bat er seine Nichte, die die Idee nicht sonderlich toll fand, aber Yoshiki wollte sie nicht bei dem Gespräch mit dabei haben. "Kann ich nicht hierbleiben? Bitte! Ich spiele auch leise mit Violet und den anderen AIBOs." "Das kannst du auch in deinem Zimmer, Ran. Dies ist eine Angelegenheit für Erwachsene und nicht für Kinder!" "Immer ist es nur für Erwachsene", maulte sie ein wenig herum, da sie das bereits von zuhause kannte, fügte sich dann aber und nahm die Roboterhunde mit in ihr Zimmer. "Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?", wandte sich Yoshiki wieder seinem Gast zu, der sich bereits gesetzt hatte und diverse Papierkraniche als Sitznachbarn hatte, die der Pianist eiligst weg räumte. "Nein danke. Wie geht es Ihnen, Yoshiki?" Beide betrieben noch eine Weile Smalltalk, ehe Yagehara auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu sprechen kam. Aus der Aktentasche, die er dabei und neben sich zu stehen hatte, holte er diverse Fotos heraus, die er Yoshiki reichte, der ihm gegenüber saß. Dieser nahm sie wortlos entgegen und sah sie durch. Die Qualität war nicht sonderlich berauschend, aber sie reichte aus, um die beiden Personen auf dem Bild zu erkennen und die Ähnlichkeit zwischen ihnen zu registrieren. Was ihn selbst erschreckte, war, wie deutlich ihm die Panik im Gesicht abzulesen war – er sah aus wie ein Reh im Scheinwerferlicht. "Möchten Sie die Schlagzeilen wissen, die heute fast erschienen wären?" "Nein, ich kann sie mir schon fast denken. Sind das alle?", fragte er und gab die Bilder zurück. "Zumindest alle, die wir bisher aufkaufen konnten. Im Internet gab es auch etliche, aber deren Entfernung haben wir bereits erwirkt. Die Anwälte versuchen gerade ein allgemeines Veröffentlichungsverbot zu erwirken, aber ob das klappt, steht noch in den Sternen. Wie Sie sich denken können, brodelt die Gerüchteküche und uns laufen die Telefone heiß!" Ein Nicken war Yoshikis einzige Reaktion darauf - zumindest äußerlich, denn innerlich herrschte Chaos in ihm. Wenn Dan nicht darauf bestanden hätte, dann wären er und Ran nun auf allen Covern. Umlagerten Paparazzis eigentlich schon sein Grundstück? Gut, dass es einem Hochsicherheitstrack glich und nur wenige Menschen wussten, wo er überhaupt wohnte und wie man auf seinen Grund und Boden gelangte – er hätte nicht den Nerv, wie Gackt, rund um die Uhr Bodyguards um sich herum zu haben. Dafür schätzte er die Einsamkeit zu sehr. "Wie wird es weitergehen?" "Wir werden so gut es geht Schadensbegrenzung betreiben und das Thema hoffentlich totschweigen können, sodass es in ein paar Tagen vergessen sein wird. Eine Garantie haben wir aber dafür natürlich nicht, weshalb ich auch möchte, dass Sie stets mindestens zwei Bodyguards mit sich haben, sobald Sie das Grundstück verlassen, und erst Recht, wenn Sie Ihre Nichte dabei haben!" Erneut war ein Nicken die einzige Antwort. "Meine Güte, Yoshiki, was haben Sie sich dabei nur gedacht?! Ist es so schwer, der Security Bescheid zu geben, damit sie sich um alles kümmert?" "Ich wollte lediglich einen normalen Tag mit Ran verbringen, ohne einen gesamten Hofstaat hinter mir her zu schleppen!" "Das hätte auch keiner verlangt, aber zwei Bodyguards hätten vielleicht schon ausgereicht, dass das Ganze nicht dermaßen eskaliert! Ganz ohne Schutz sind Sie da draußen Freiwild - wie ein Hirsch zur Jagdsaison!" "Ich hatte alles im Griff!", verteidigte sich Yoshiki, während sich seine Finger in den Armlehnen des Sessels, in dem er saß, verkrallten. "Die Bilder sprechen eine andere Sprache", entgegnete Yagehara ruhig. "Ich hätte nie zugelassen, dass Ran etwas passiert!" "Dann hätten Sie gar nicht erst ohne Security mit ihr in den Zoo gedurft. Sie haben verdammt noch mal grob fahrlässig gehandelt, Yoshiki! Sie waren sich der möglichen Gefahren bewusst und haben sie trotzdem mit in die Höhle des Löwen genommen! Sie haben volles Risiko gespielt - und das mit einer Fünfjährigen an Ihrer Seite!" Yagehara kannte seinen Schützling lange genug, um zu erahnen, was kommen würde, die Körpersprache war eindeutig: der angespannte Kiefer, die schmalen Lippen, die unruhig umher wandernden Augen, die ihn immer wieder fixierten, die verkrampften Hände... „Wenn etwas passiert wäre, wäre es meine Schuld gewesen! Wie damals… wenn Toshi nicht mit mir gemeinsam nach Tokyo gekommen wäre, dann… wenn ich hide nicht gebeten hätte X beizutreten, dann…“ "Nein, dass stimmt nicht!! Ta gueule!" Er war aufgesprungen und blickte mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung auf seinen Manager herab. Alles, was er in letzter Zeit an Gefühlen und Emotionen angestaut und unterdrückt hatte, kochte über und suchte sich einen Weg nach draußen. Dabei verfiel er zum Teil in ein Schema, das er sich angewöhnt hatte, seit er vor ein paar Jahren angefangen hatte Französisch zu lernen. "Yoshiki…" Ruhig war Yagehara aufgestanden und zu ihm gegangen, um ihn zu beschwichtigen, aber kaum, dass er in der Reichweite des Anderen war, schubste dieser ihn mit einer Kraft weg, dass er mehrere Schritte nach hinten taumelte. "Fuck off!! Va te faire foutre!! Casse-toi!!”, schrie er ihn an und hatte die Hände zu Fäusten geballt, die vor Anspannung zitterten. "Hayashi, beruhigen Sie sich, bitte!", versuchte Yagehara es erneut – sachlich, aber bestimmt, doch der andere attackierte ihn weiterhin verbal und schien große Mühe zu haben, es nicht auch körperlich zu tun. Im Kopf des Pianisten hatten sich seine eigenen Schuldgefühle wegen des gestrigen Ereignisses mit den Anschuldigungen von Dan und seinem Manager vermischt. Hinzu kamen die alten Zweifel, dass es seine Schuld - und nur seine - war, dass Toshi X JAPAN und ihn damals verlassen hatte und hide ein Jahr später tot war. Kurzum, seine persönlichen Dämonen verschleierten seine Sicht und löschten vorübergehend jegliche Rationalität aus. Selbstzweifel, Wut und Verzweiflung beherrschten ihn. "Ich will nur ihr Bestes!! Ich mache sie nicht kaputt! Ran ist nicht Toshi und sie ist auch nicht hide!!!" Im nächsten Moment kollidierte seine rechte Faust mit der Wand und die dünne Haut an den Knöcheln gab unter der Wucht des Aufpralls nach, sodass Blut an die Oberfläche trat. Bewegungslos stand er da, hatte den Kopf gesenkt und die Augen fest zusammen gekniffen. Sein Körper zitterte vor Anspannung und Erregung und immer wieder schnappte er keuchend nach Luft, während die austretende rote Körperflüssigkeit Spuren auf dem weißgestrichenen Mauerwerk hinterließ. Yagehara erkannte, dass ein strategischer Rückzug momentan angebrachter und besser war, als weiterhin zu versuchen, mit Yoshiki vernünftig zu reden. Zwar war dieser definitiv ruhiger und kontrollierter als noch vor zwei Jahrzehnten, aber durch das erst kürzlich stattgefundene Konzert war er in Höchstform - sein Körper bestand nur aus Muskeln - und er wollte definitiv nicht die Schlagkraft am eigenen Leibe ausprobieren. Überdies sollte sich der Schlagzeuger ausruhen und Kräfte für das nächste Live tanken und nicht alles in Kleinholz verwandeln und sich dabei eventuell noch weitere Verletzungen zuziehen. "Rufen Sie mich an, wenn sie wieder bei klarem Verstand sind und reden Sie am besten einmal wieder mit ihrem Psychologen", verabschiedete sich der Manager und ging. Kaum dass die Haustür ins Schloss gefallen war, krachte auch noch Yoshikis linke Faust gegen die Wand. Keuchend ließ er sich auf Hände und Knie sinken und versuchte sich wieder zu beruhigen, die Kontrolle zurückzugewinnen. "Ich würde sie nie absichtlich… ich könnte sie nie…!" Durch den geöffneten Mund sog er die Luft ein, hatte aber Schwierigkeiten sie wieder aus seiner Lunge zu lassen. Je mehr er atmete, desto enger wurde das Gefühl in seiner Brust. Hustend versuchte er die nur allzu bekannten Symptome loszuwerden und riss sich den Stifnek vom Hals, da er den Eindruck hatte, die Halskrause würde ihm erst recht die Luft abschnüren. Mehrmals versuchte er tief ein- und vor allem auszuatmen, aber es ging nicht. „Nein! Kein Anfall! Das Zeug war so lange weg, ich brauch es nicht wieder! Kein Asthma! Kein Asthma… fuck, ich krieg kaum Luft…“ Es war unvermeidlich, dass Panik in ihm hochkam. Gab es Hochleistungssportler mit Asthma? Würde sein Körper selbst dem Wunsch der Ärzte nachkommen und ihn vom Drummen abhalten? Er musste spielen! Sie mussten performen, er musste ans Schlagzeug! Es gab eine Welttournee, die abgeschlossen werden musste – um hides Traum zu verwirklichen! Er musste – er musste einfach!! "Onkel Yoshiki? Was ist los?" Natürlich hatte Ran den Ausraster mitbekommen und war, nachdem Stille geherrscht hatte, leise aus ihrem Zimmer geschlichen. Die Art und Weise, wie Yoshiki atmete, machte ihr jedoch Angst. "Ran… … im Schlafzimmer… … neben dem Bett… … ist ein… grüner Inhalator…", brachte er mühsam heraus und hörte im nächsten Moment, wie sie davon rannte. Mit aller Kraft krabbelte er zum Sofa, zog sich daran hoch und setzte sich hin. Er stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und saß leicht nach vorne gebeugt da. Dadurch hatte er das Gefühl, etwas leichter zu Luft zu kommen. Keine Minute später kam seine Nichte mit dem Gewünschten zurück und gab es ihm. Zitternd entfernte er die Schutzkappe von dem Dosieraerosol, schüttelte es kurz, während er, so gut es ging, ausatmete und das Mundstück dann zwischen die Zähne klemmte. Mit den Lippen umschloss er es und drückte beim Einatmen auf den Inhalator, sodass das Medikament in zerstäubter Form in seinen Mund und von dort in seine Luftröhre bis hin zu den Bronchien gelangte. Ausatmen tat er erst nachdem er gedanklich bis zehn gezählt hatte. Danach wiederholte er die Prozedur noch dreimal und legte dann das kleine grüne Gerät neben sich. Erneut beugte er sich nach vorne, stützte seine Ellenbogen auf den Knien ab und versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen, während er hoffte, dass der Anfall bald vorüber sein würde. Ängstlich und besorgt kniete Ran vor ihm auf dem Boden und hielt eine seiner Hände, an denen das Blut inzwischen eintrocknete. "Bist du okay?" "Geht schon", antwortete Yoshiki und war froh, dass ihm das Sprechen schon etwas leichter fiel. Nach einer Viertelstunde bekam er wieder deutlich besser Luft, vorsichtshalber inhalierte er aber trotzdem noch zwei weitere Male. Danach stand er auf und ging leicht schwankend in sein Schlafzimmer, wobei ihm seine Nichte nicht von der Seite wich. Er legte das Dosieraerosol zurück auf den Nachttisch und nahm zwei Cortisontabletten, die er trocken schluckte. Anschließend setzte er sich auf das Bett und zog Ran zu sich. "Tust du mir einen Gefallen, Ran-tan?" "Hmh!" "Geh in dein Zimmer und bleib dort, bis ich dich wieder hole." "Warum? Ich will bei dir bleiben!", widersprach sie und drückte sich an ihn. "Es ist besser so!" "Warum?" "Ran!" Es klang schärfer als beabsichtigt, sodass sie von ihm zurückschreckte. "Mach es einfach… bitte…" irgendwie klang er müde und erschöpft, als er es aussprach und sich gedankenverloren durch die Haare strich. Schließlich nickte sie und verließ langsam den Raum, um in ihr eigenes Zimmer zu gehen, während Yoshiki ihr folgte, noch sah, wie sie die Tür hinter sich schloss, und dann selbst in seinem Arbeitszimmer verschwand. Er lehnte sich gegen den Schreibtisch und schloss für einen Moment die Augen. Nach außen hin mochte er wieder ruhig und gelassen wirken, aber in ihm wüteten noch immer seine Dämonen. In dem Moment, in dem er seine Lider wieder öffnete, fegte er mit einem animalisch klingenden Schrei den Flachbildmonitor von seinem Rechner vom Tisch. Gleich darauf folgten noch diverse andere Gegenstände, die darauf lagen – unter anderem auch die Unterlagen, die Kouki ihm am Freitag dorthin gelegt hatte. Kurz darauf fiel sein Blick auf das Schlagzeug, das er am anderen Ende des Raumes stehen hatte, und taumelte mehr, als dass er ging dorthin. Er riss eine Gitarre, die an der Wand hing, von dieser ab, umklammerte den Hals mit beiden Händen und schlug dann mit dem Körper auf das Drumset ein. Immer wieder entwich seiner Kehle dabei ein Schrei, der mit der Zeit immer verzweifelter klang und irgendwann nur noch ein raues Schluchzen war, während vereinzelte Tränen über seine Wangen rannen. Dies war der Grund, weshalb er Ran in ihrem Zimmer hatte haben wollen. Würde sie diese Seite von ihm sehen, es würde ihr vermutlich Angst einjagen. Was Yoshiki jedoch vergessen hatte, war, dass sie durchaus den Lärm, den er verursachte, mitbekam. Eine Zeit lang hatte sie nämlich an ihrer geschlossenen Tür gestanden und gelauscht, ehe sie sich an etwas erinnerte, dass ihr ihr Vater eingebläut hatte. "Wenn irgendetwas mit Yoshiki ist, sollte es auch nur sein, dass er sich anders als normal benimmt, dann drückst du die eins und anschließend die grüne Taste, okay?! Es wird sich dann eine Person melden, die Bescheid weiß. Du sagst ihr, wer du bist und was los ist und diese Person wird dann kommen und sich um alles Weitere kümmern, verstanden?" Die Fünfjährige ging zum Nachttisch, auf dem ein rosa Mobiltelefon lag, dass ihr ihre Eltern vor einigen Monaten gegeben hatten und das sie für den Notfall immer bei sich trug. Wie angewiesen drückte sie die eins und dann die grüne Taste mit dem Hörer. Nachdem mehrmals das Freizeichen ertönt war, nahm eine männliche Stimme den Anruf entgegen. "Hallo? Hier ist Hayashi Ran, ich bin die Nichte von Hayashi Yoshiki. Mein Papa hat gesagt ich soll hier anrufen, wenn etwas mit meinem Onkel ist… … mhm… er benimmt sich komisch und vorhin hat er so seltsam geatmet… okay… vielen Dank… Tschüss!" Nachdem sie aufgelegt hatte, legte sie das Handy zurück auf den Nachttisch und setzte sich auf das Bett, während sie wartete. Wenig später hörte sie keine Geräusche mehr, die von Yoshiki verursacht wurden, und drückte den Plüschtiger an sich, während Violet und Snowwhite zu ihren Füßen saßen und sie ansahen. "Ob mit Onkel Yoyo alles in Ordnung ist? Ich habe Angst…" Die Minuten verstrichen und es herrschte weiterhin gespenstische Stille. Schließlich stand Ran leise auf, ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt, um hinaus zu luken. Auch jetzt nahm sie keinen Laut war und Yoshiki war nirgendswo zu sehen. Auf Zehenspitzen schlich sie sich hinaus und ging zum Master Bedroom, der jedoch leer und verlassen war. Bis auf die Tür zum Arbeitszimmer waren alle anderen geöffnet, sodass sie zu dieser ging und dort lauschte. Etwas, das sie an Weinen erinnerte, drang an ihre Ohren und nur zu gerne hätte sie nachgesehen, was los war, aber sie wollte ihren Onkel auch nicht erzürnen, da sie schließlich eigentlich in ihrem Zimmer sein sollte, sodass sie letztendlich mit den AIBOs auf den Fersen zur Haustür ging, sich dort auf den Boden kniete und durch das Glas schaute und hoffte, dass der Mann, den sie angerufen hatte, wirklich bald kommen würde. Eine halbe Stunde später, von Yoshiki hatte sie weder etwas gehört noch gesehen, sah sie, wie ein Auto vorfuhr. Augenblicklich sprang sie auf und öffnete die Tür. Gerade stieg ein schon etwas älterer Japaner aus, der ihr ein freundliches Lächeln schenkte, als er sie erblickte und zu ihr kam. "Du musst Ran sein, wir haben telefoniert." Sie nickte und ließ ihn in das Haus. Während er sich die Schuhe auszog, musterte sie ihn kurz: Er war kleiner und stämmiger als ihr Onkel und hatte schwarzes, etwa kinnlanges Haar, das ihm vermutlich ins Gesicht fallen würde, wenn eine große Sonnenbrille, die er bis eben getragen hatte, nicht auf seinem Kopf sitzen und wie ein Stirnreif fungieren würde. "Ich bin Toshi", stellte sich der Fremde schließlich vor und lächelte sie an, wobei sie seine schief stehenden Zähne sehen konnte. "Komm!" Damit hatte sie seine Hand genommen und führte ihn zu dem Raum, in dem ihr Onkel war. Normalerweise war sie oftmals etwas zurückhaltend bei Fremden, aber dieser strahlte eine Wärme aus, sodass sie ihm sofort vertraute. Außerdem musste sie das wohl können, ansonsten hätte ihr Vater ihr nicht gesagt, dass sie ihn anrufen sollte, wenn etwas mit Yoshiki wäre. "Da drinnen ist er", erklärte sie leise und deutete auf die Tür, "Yoyo weiß nicht, dass ich nicht in meinem Zimmer bin. Er sagte nämlich, ich soll da bleiben, bis er mich holt…" "Dann sollte er dich vielleicht jetzt auch nicht sehen…" Ran nickte und ging zu ihrem vorläufigen Kinderzimmer zurück, das mehr oder weniger gegenüber von Yoshikis Arbeitszimmer lag. Bevor sie die Tür schloss drehte sie sich noch einmal kurz um und sah, wie Toshi die andere öffnete, hineinschlüpfte und dann wieder schloss. Für einen Moment erhaschte sie einen Blick auf das Chaos, das im anderen Raum herrschte. Kaum war der Sänger im Zimmer, stoppte er erst einmal und sah sich um. Wirbelsturm Yoshiki, wie sie die Zerstörungswut des Drummers früher immer genannt hatten, hatte ganze Arbeit geleistet. Auf dem Boden lagen die Trümmer der Einrichtung und gedanklich plante Toshi schon seine Route hindurch. Ob Yoshikis AIBOs versteckte Qualitäten als Trümmerhunde hatten? In der hintersten Ecke saß sein bester Freund zusammengekauert da – er war mehr oder weniger eine zitternde und bebende Kugel, die immer wieder ein Schluchzen von sich gab. Nicht so recht wissend, was überhaupt los war, bahnte er sich einen Weg zu Yoshiki und kniete sich vor ihn hin. „Yosh“, sprach er ihn leise an und berührte seine Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, da dieser ihn bisher anscheinend noch nicht bemerkt hatte. Als er keine Reaktion zeigte, setzte sich Toshi so, dass er neben ihm war, legte einen Arm um seine Schulter und zog ihn leicht zu sich. Augenblicklich brach die ‚Yoshiki-Kugel‘ in sich zusammen und lag im nächsten Moment auf seinem Schoß. Erst jetzt bemerkte der Sänger, dass der andere kein Stifneck mehr trug. "Wo hast du die Halskrause, Yoshiki?", fragte er sofort nach, während er beruhigend über den bebenden Rücken strich. „Gott weiß, was vorgefallen ist… hat er wieder E.T. angeschaut? Aber dann würde er nicht das Arbeitszimmer verwüsten… er würde es höchstens fluten – ok, tut er ja gerade… ist es wegen hide? Wegen seines Vaters? Oder gibt es wieder Ärger mit dem Management, was er bisher totgeschwiegen hat? Beziehungsprobleme? Etwas mit seinen Hunden? Nein, die sind vorhin alle munter durch die Gegend gedackelt… hat irgendjemand Scheiße gebaut? Ist irgendwer gestorben? Hab ich eigentlich Taschentücher dabei?“ "… … erwürgt… …" Zumindest schien der Jüngere endlich auf ihn zu reagieren, auch wenn ein Großteil seiner Worte unverständlich war, da sie entweder in Schluchzer untergingen oder aber von seiner Kleidung, gegen die Yoshiki sprach, verschluckt wurde. Hatte Ran nicht gesagt, dass er Atemprobleme gehabt hatte? Vielleicht hatte er ja einen Asthmaanfall erlitten und die Halskrause dabei abgemacht, weil er das Gefühl gehabt hatte, sie würde ihn am Atmen hindern. Aus demselben Grund trug er sie ja auch nie beim Drummen… "Was ist denn passiert?", hakte Toshi nach und drehte ihn ein wenig, sodass er zumindest nicht mehr gegen die Klamotten sprach und er wenigstens eine etwas größere Chance hatte, ihn zu verstehen. "… Ich… … … alles kaputt… …" Die meisten Teile des Satzes gingen in Tränen, Schniefen und Schluckauf unter. „Ich hoffe, du machst das Theater jetzt nicht, weil dein Arbeitszimmer völlig verwüstet ist – daran bist du schließlich selbst schuld!“ Bis zu einem gewissen Grade würde er Yoshiki das sogar zutrauen – nicht um sonst wurde er schließlich als Drama Queen betitelt -, doch dieser schüttelte nur vehement den Kopf, weshalb sich das ‚kaputt‘ wohl nicht auf das Drumset und Co. bezogen hatte. Vorsichtig half Toshi ihm, sich aufzusetzen und strich einige gebleichte Haarsträhnen, die im Gesicht klebten, weg. „Beruhig dich erst einmal.“ In seinen Hosentaschen suchte der Sänger nach Taschentüchern und fand sogar noch ein unbenutztes, mit dem er zunächst einmal die Tränen abtupfte und es dann Yoshiki gab, damit dieser sich schnäuzen konnte und nicht ständig vor sich hinschniefte. "Danke", murmelte der Pianist schließlich leise und starrte auf das Tempo in seinen Händen, das er zusammengeknäuelt hatte. "Dafür sind Freunde da", entgegnete Toshi und zog den Anderen wieder zu sich, was dieser auch willig mit sich machen ließ und sich an ihn kuschelte, nachdem er das Taschentuch in die eigene Hosentasche gestopft hatte. "… ich mache immer alles kaputt…", wiederholte der Drummer seinen Satz von vorhin, diesmal jedoch deutlich. "Was meinst du?" "Dich… … hide… … und selbst Ran…" "Yosh, wir haben oft genug darüber geredet!" "Aber es stimmt doch! Ich habe deine Stimme benutzt, wie es mir gefiel, ohne Rücksicht auf dich zu nehmen – kein Wunder, dass du es irgendwann nicht mehr mit mir ausgehalten hast! Und hide… ich bin immer zu ihm gerannt, wenn etwas war, aber war ich je für ihn da? Als er… wo war ich da? Ich hätte da sein müssen, ich hätte auf ihn aufpassen sollen, nicht seine Freundin, nachdem er soviel getrunken hatte… aber wo war ich? In LA!! Und Ran… ich bringe sie wissentlich in Gefahr und warum will ich ihr überhaupt das Klavierspielen beibringen? Weil ich ihr mein Wissen weitergeben möchte oder weil ich in ihr nur ein weiteres Talent sehe, das ich ausbeuten kann, so wie ich es bei dir und hide getan habe?!“ Erneut begann er sich hineinzusteigern. "Yoshiki, zu einem Streit gehören immer zwei - wir haben beide unseren Anteil daran. Was hide anbelangt… meinst du, er wäre glücklich, dich so am Boden zerstört zu sehen? So hart es klingt, du musst lernen loszulassen." Der andere schüttelte den Kopf und wischte sich mit den aufgeplatzten Fingerknöcheln über die Augen. Woher er die schon wieder hatte, würde den Sänger auch einmal brennend interessieren. "Ich kann nicht… weder hide noch meinen Vater… ich habe Angst, sie zu vergessen…“ "Loslassen heißt nicht vergessen, es heißt nur, sein Leben ohne die Verstorbenen neu zu organisieren und sie weiterhin im Herzen zu tragen, ohne dass sie ständig dein Denken beeinflussen", entgegnete Toshi leise und strich beruhigend über die durchtrainierte Schulter des anderen, der seinen Kopf auf jene des Sängers legte und schwieg. "Was meintest du eigentlich vorhin mit deiner Nichte?", durchbrach er schließlich die Stille, als keiner von ihnen für mehrere Minuten etwas gesagt hatte – etwas, was nicht ungewöhnlich war und was keiner von ihnen als unangenehm empfand. Yoshiki seufzte leicht und hob seinen Kopf an - zum einen, um seinen besten Freund besser ansehen zu können, andererseits aber auch, weil die Haltung nicht sonderlich bequem war, ehe er die Ereignisse kurz zusammenfasste, aber nicht verhindern konnte, dass er sich dabei in Rage redete. Kaum dass er mit der Entdeckung von Rans Talent und Yageharas Besuch geendet hatte, brach Toshi in schallendes Gelächter aus und ließ sich nach hinten fallen, wobei er den Pianisten mit sich zog, da dieser noch immer halb an ihm hing und nun mehr oder weniger auf ihm lag. "Ich wünschte, Dan und Yagehara hätten das so locker genommen… " "Du hast… Du hast mich… gecosplayed?!", brachte der Ältere schließlich unter Kichern und Prusten heraus. Yoshiki ordnete es unter der Kategorie ‚rhetorischen Fragen‘ ein und zog es vor, nicht darauf zu antworten. Stattdessen missbrauchte er den Kleineren als Kopfkissen und Kuscheltier - das brauchte er einfach und wenn er schon einmal da war, dann konnte er auch dafür herhalten... "Um ehrlich zu sein, ich kann schon verstehen, dass dein Management und deine Security auf 180 sind und im Dreieck springen, aber sie meinen es schließlich nicht böse, sondern sind auch nur besorgt", fing Toshi an, nachdem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte, "aber du gehst meiner Meinung nach auch zu hart mit dir selbst ins Gericht. Du kanntest das Risiko und du bist es eingegangen, weil du ihr eine Freude machen und ihr nicht die Schranken, die der Ruhm mit sich bringt, auferlegen wolltest!" "Aber…" "Du liebst die Kleine schließlich abgöttisch - für dich ist sie immerhin fast wie eine eigene Tochter. So wie ich dich kenne, wirst du doch monatelang auf Wolke sieben sein, wenn sie Gefallen am Klavierspielen findet und du sie ausbilden kannst. Du hast ja oft genug davon geredet, dass du deinen eigenen Kindern das Spielen gerne beibringen möchtest…" Darauf wusste Yoshiki nichts mehr zu erwidern, da es einerseits stimmte, was Toshi sagte – er kannte ihn einfach zu gut - und andererseits beschwichtigten seine Worte diese kleine fiese Stimme in seinem Hinterkopf, die stets an seinem Selbstbewusstsein nagte wie eine Maus an einem Stück Käse. So verschränkte er lediglich die Unterarme auf der Brust des Sängers, legte seinen Kopf darauf ab und schloss die Augen. Allerdings waren die eingearbeiteten Metallschienen in den Handgelenksmanschetten, die er trug, nicht sonderlich angenehm für den Sänger, da sie direkt auf seine Brust drückten, und er tat dies auch Kund, was aber nur zu einem ‚ist aber bequem‘ führte. Folglich zog er ihm einfach die Arme weg und schlang seine eigenen um ihn. "Du solltest die Halskrause wieder anlegen, Yosh…" "Die erwürgt mich…" "Mir wäre trotzdem wohler, wenn du sie tragen würdest - nicht dass du dir eines Tages noch den Nacken brichst… Ran meinte vorhin, du hättest Probleme beim Atmen gehabt…?" Mehrere Minuten lang zog Yoshiki es vor, nicht zu antworten, ehe er mehr oder weniger trotzig in Toshis Hemd nuschelte: "Ich will den Scheiß nicht noch einmal!" "Wie schlimm war der Anfall?" "Keine Ahnung……" "Du solltest noch einmal zu einem Arzt…" "Ich muss morgen eh zu Doktor Hiraishi, Tosh…" "Kontrolle?" "Mhm… was machst du eigentlich hier?" "Dein Kopfkissen spielen", antwortete er, auch wenn er wusste, dass das nicht das war, was Yoshiki hören wollte. Entsprechend bekam er auch einen leichten Hieb in die Seite. "Ran hat mich angerufen…" "RAN?!?!" Die Stimme des Pianisten war sicherlich eine Oktave nach oben geklettert und vor Überraschung hatte er sich halb aufgerichtet, wurde von Toshi jedoch gleich wieder nach unten gezogen. Denn ginge es nach diesem, würde Yoshiki im Bett liegen und sich am besten schlafend ausruhen. Allerdings tat er dies nur freiwillig, wenn es ihm wirklich grottenschlecht ging – was wohl noch nicht der Fall war. Zum Glück wusste der Sänger nur zu gut aus eigener Erfahrung, dass der Jüngere gerne einmal beim Kuscheln einschlief und im Moment schien er sowieso wieder äußerst nähebedürftig zu sein. Warum sollte man das also nicht ausnutzen? "Sie hat mich angerufen." Yoshiki sah ihn an, als hätte er die Tonleiter soeben neu erfunden. "Es war etwas, worum mich Kouki gebeten hatte… " "Mein Bruder?!" "Er ist vor ein paar Wochen zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob es möglich wäre, dass ich die Woche, die er nicht da ist, in Tokyo verbringe, damit ich notfalls da bin, wenn mit dir etwas ist. Es ließ sich einrichten, dass ich in der Stadt bin und kaum Termine habe, sodass wir dann ausgemacht haben, dass er meine Handynummer in Rans Handy auf Kurzwahl einprogrammiert, ihr zeigt, wie es funktioniert und mit ihr vereinbart, dass sie mich anruft, wenn etwas mit dir ist." "Jetzt stempelt er schon seine Tochter als Babysitterin ab!" "Er macht sich einfach nur Sorgen um dich." "Er ist eine Glucke!" „Er will dich nicht auch noch verlieren“, konterte Toshi, der Yoshikis kleinen Bruder schließlich auch schon mehr oder weniger sein ganzes Leben lang kannte. Die Geschwister mochten sich charakterlich zwar unterscheiden und jeder von ihnen hatte seine Art mit dem Familiendrama umzugehen, aber in einem Punkt waren sie seiner Meinung nach völlig gleich: Sie wurden beide von Verlustängsten kontrolliert. „Kouki ist trotzdem eine Glucke… und du auch! Und Heath und Pata und Sugizo… Ihr seid alle Glucken!“, murmelte er leicht bockig und rutschte etwas herum, um eine bequemere Liegeposition zu finden. „Das wird man mit dir automatisch“, entgegnete der Sänger und hob leicht den Kopf an, um zu sehen, was Yoshiki trieb. Dieser hatte sich letztendlich halb um ihn geschlungen – mit dem Oberkörper lag er mehr oder weniger auf seinem Bauch, hatte zusätzlich noch einen Arm darüber gelegt, um ihn auch ja am Weggehen zu hindern, während ein Bein über Toshis Oberschenkeln war und ihn auch dort vom Aufstehen abhielt. „Ihr sollt euch aber keine Sorgen machen“, nuschelte der Drummer und schmatzte leicht. Nach dem Chaos, das tagelang in seinem Kopf geherrscht hatte, fühlte er sich nun, nachdem er den ganzen Dampf abgelassen hatte, deutlich entspannter. Und mit Toshi an seiner Seite musste er auch keine Stärke vorspielen, die er im Moment einfach nicht hatte. Er musste keine Fassade aufrecht erhalten, um sich selbst zu schützen – das würde sein Kindergartenfreund tun, so wie es schon immer gewesen war und wohl auch immer sein würde. Gerade war es so leicht und verlockend, sich einfach fallen und von der Müdigkeit einlullen zu lassen. Der Ausbruch gegenüber Yagehara, die Asthmaattacke und die Zerstörung des Arbeitszimmers – das hatte genügt, um die wenigen Kraftreserven, die er hatte, zu leeren. Toshi merkte, wie der Andere sich langsam fallen ließ, verzichtete darauf, etwas zu erwidern und strich einfach nur beruhigend über Yoshikis Rücken. „Danke, Tosh…“, murmelte dieser und schloss die Augen, während der Herzschlag des anderen, den er schwach hören konnte, wie ein Schlaflied auf ihn wirkte. Der Sänger erwiderte die Aussage, indem er kurz seine Schulter drückte. Vor ihrem Streit hätte der Drummer so etwas nicht getan, aber seit sie sich wieder versöhnt hatten, war er extrem vorsichtig geworden – so als hätte er Angst, dass ein falsches Wort dazu führen würde, dass er wieder weg wäre. Oft genug hatte er versucht, ihm diese Furcht zu nehmen, aber nichts, was er sagte, schien dies zu können. Etwas, dass er zum Teil nachvollziehen konnte, da schließlich einige Menschen, die dem Pianisten äußerst nahe gestanden hatten, diesen zurückgelassen hatten. Wenig später vernahm Toshi gleichmäßige, tiefe Atemzüge, die verrieten, dass Yoshiki eingeschlafen war. Bedacht setzte er sich auf und befreite sich von seinem besten Freund, der dies aber kaum mitbekam. Ab und an murrte er etwas, aber das war auch schon seine einzige Reaktion. Als der Sänger frei war, stand er auf und hob den Anderen vorsichtig hoch, wobei er darauf achtete, dass dessen Kopf nicht nach hinten überkippte, sondern gegen seine eigene Schulter lehnte. Dass sein ältester Bruder ihm nach der Geburt seines Neffen gezeigt hatte, wie man einen Säugling richtig hält, da dessen Nackenmuskulatur noch zu schwach war, um den schweren Kopf zu tragen, war definitiv von Vorteil, auch wenn Yoshiki ein äußerst großes und schweres Baby war und der Sänger ein wenig umdisponieren musste. Zumindest war sich Toshi sicher, dass der Nacken seines besten Freundes nicht unnötig belastet wurde. Langsam bahnte er sich seinen Weg durch das Chaos zurück zur Tür, öffnete diese mit dem Ellenbogen, was mit knapp 60 kg auf dem Arm, die nicht herunterfallen durften, nicht ganz einfach war und brachte ihn ins Schlafzimmer, wo er ihn auf dem Bett abgelegte. Ein Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht, als er die beiden Kuscheltiere entdeckte und er schüttelte leicht den Kopf – es gab Dinge, die würden sich nie ändern. "Pass auf ihn auf, hide, ich bin gleich wieder da!", befahl er der Plüschversion des verstorbenen Gitarristen und suchte Ran auf, die in ihrem Zimmer mit Violet spielte. "Ran, du kannst wieder herauskommen." "Wo ist Onkel Yoshiki?" Sofort war sie aufgesprungen und zu ihm gelaufen. "Im Schlafzimmer, er schläft. Sag mal Ran, weißt du zufällig, wo die Halskrause ist, die er immer um den Hals herum trägt?" "Ich glaube im Wohnzimmer…", antwortete sie und war dann auch schon an ihm vorbeigeschlüpft. Toshi ahnte, wo sie sein würde und hoffte nur, dass sie Yoshiki nicht wieder aufwecken würde. Er selbst machte sich erst einmal auf die Suche nach dem Stifnek, der auch dort war, wo Ran gesagt hatte. Seufzend hob er es auf und registrierte die Blutspuren an der Wand. "Daher also die aufgeplatzten Knöchel…" Der Sänger ging zurück ins Schlafzimmer, wo sich die Kleine an ihren Onkel gekuschelt hatte und legte jenem erst einmal wieder die Halskrause an. Anschließend verschwand er kurz im Badezimmer und kam mit einem feuchten Waschlappen zurück, mit dem er das getrocknete Blut von den Händen des Pianisten entfernte. "Was ist eigentlich passiert, Ran?", fragte er leise, um den Schlafenden nicht zu wecken, während er arbeitete. "Ein Mann ist gekommen und Yoyo hat mich in mein Zimmer geschickt, weil es ein Erwachsenengespräch war. Und dann ist er wütend geworden und hat geschrieen, aber ich hab es nicht verstanden… irgendetwas mit ‚Faku‘… es klang nicht wirklich Japanisch…“ Toshi verdrehte leicht die Augen, da er das englische Wort, dass Ran versuchte nachzuahmen, durchaus verstand – zudem kannte er schließlich seine Pappenheimer. „Und dann war es still und ich hab mich rausgeschlichen, um zu sehen was los ist und da hat er am Boden gekniet und so komisch geatmet. Ich sollte ihm das Ding da holen“, sie deutete auf den Inhalator, der auf dem Nachttisch lag, „und dann ging es ihm wieder besser. Aber dann wollte er, dass ich wieder in mein Zimmer gehe und dort bleibe, bis er mich holt und kurz darauf hat er dann einen furchtbaren Lärm und Krach gemacht…“ Toshi lauschte ihrer Ausführung, wobei er das Meiste schon von Yoshiki gehört hatte. Nichtsdestotrotz schüttelte er immer wieder ungläubig den Kopf und war froh, dass sein bester Freund zumindest soweit mitgedacht hatte, dass er nicht vor Rans Augen ausgerastet war - ansonsten hätte er die Fünfjährige wahrscheinlich vollkommen verschreckt. Nachdem die Hände des Schlagzeugers vom Blut befreit waren, brachte der Sänger den Waschlappen zurück ins Badezimmer und entledigte anschließend den anderen von den Handgelenksschienen und zog ihn bis auf die Unterwäsche aus. Von alldem bekam dieser jedoch nichts mit, da er tief und fest schlief. "Was hat Onkel Yoshiki?", fragte Ran, als Toshi ihn zudeckte. "Er ist momentan sehr gestresst…" "Wegen mir?" "Nein, nicht wegen dir. Andere Sachen… ich versuche es dir beim Abendessen zu erklären, okay?!", bot er lächelnd an und dirigierte sie in Richtung Küche, da ein Blick auf die Uhr vorhin ihm verraten hatte, dass es bereits auf sieben Uhr zuging. Ran nickte und setzte sich an den Tisch, während Toshi im Kühlschrank kramte und versuchte, das momentane Chaos in Yoshikis Kopf kindgerecht zu erklären. Als er aus der mageren Ausbeute ein Essen gezaubert hatte, war er auch mit seinen Ausführungen am Ende und das Mädchen wusste zum Beispiel auch über hide Bescheid. „Onkel Yoshiki hat zu mir mal gemeint, ich soll nicht gehen ohne mich zu verabschieden… was hat er damit gemeint, Toshi?“, hakte sie nach, während sie aß. „… was weißt du über deinen Großvater?“ „Ein bisschen was… Yoyo hat mir einiges erzählt…“ „Sowohl Yoshikis Vater, wie auch hide… niemand kennt den wahren Grund für ihren Tod und das macht Yosh sehr zu schaffen. Ich denke, was er damit ausdrücken wollte, war, dass du ihn nicht einfach verlassen sollst, ohne das er das ‚Warum‘ kennt… zuviele Menschen haben ihn schon zurückgelassen…“ „Einschließlich mir!“ „Er wird es kaum zugeben, aber er hat, glaube ich, große Angst davor, alleine gelassen zu werden…“ Einige Zeit lang sah Ran ihn einfach nur schweigend an, während sie ihren Teller leerte und dann nickte. Der Sänger war sich nicht sicher, ob sie es verstanden hatte, aber da sie nicht weiter nachfragte, ging er davon aus. „Ich bleibe heute Nacht bei ihm, dann ist er nicht einsam!“, beschloss das Mädchen und versuchte so erwachsen wie möglich dreinzublicken, was den Sänger schmunzeln ließ. Er selbst hatte ebenfalls vor zu bleiben, hauptsächlich um direkt vor Ort zu sein, wenn noch einmal etwas sein sollte. Kaum dass Ran mit Essen fertig war, sprang sie auf, rannte in ihr Zimmer und machte sich bettfertig, um dann samt Plüschtiger zu ihrem Onkel unter die Bettdecke zu krabbeln. Sie schlüpfte zwischen seinen einen Arm und seinen Körper und streckte sich dann etwas, um ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange zu hauchen. "Gute Nacht, Onkel Yoyo! Ich lass dich nicht alleine, versprochen!" Außer einem leichten Schmatzen im Schlaf zeigte dieser jedoch keine Reaktion darauf, sodass sich seine Nichte an seine nackte Brust kuschelte und in einer beschützenden Geste eine ihre kleinen Hände darauf legte. Toshi hatte das Ganze von der Tür aus schmunzelnd beobachtet und entschied, dass nichts dabei war, wenn er die beiden etwas alleine ließe - wahrscheinlich würde Ran sowieso bald einschlafen und er bezweifelte, dass sie ihren Onkel absichtlich aufwecken würde. Er machte sich unterdessen daran, die Küche wieder auf Vordermann zu bringen und zog dann in einen Kampf gegen die Blutspuren an der weißen Wand. Mit viel Geduld bekam er sie schließlich halbwegs ab, aber ums Streichen würde man wohl nicht herumkommen. Nebenbei hatte er noch kurz seine Frau angerufen, um ihr Bescheid zu geben, dass er die Nacht bei Yoshiki verbringen würde. Als er die Putzutensilien wieder wegräumte, kam er am Anrufbeantworter vorbei und sah, dass dieser eine Nachricht anzeigte. Er ließ sie abspielen, stellte den Eimer zurück in den Schrank und hängte den Lappen über den Griff vom Backofen, damit er trocknen konnte. "Hayashi Yoshiki? Hier spricht Rans Ballettlehrerin. Ran hat heute unentschuldigt beim Unterricht gefehlt und ich wollte mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Rufen Sie mich doch bitte…" Eilig schnappte sich der Sänger einen Zettel und einen Stift und notierte die Nummer, die gesagt wurde. Mit den heutigen Ereignissen hatten wohl beide im Moment im Hause anwesenden Hayashis die Stunde vergessen. Kurz überlegte er, ob er Yoshiki das Ganze morgen regeln lassen sollte, entschied sich dann aber, es gleich selbst zu machen. Die Uhr zeigte kurz nach 22:00 Uhr an, vielleicht erreichte er unter der angegebenen Telefonnummer ja noch jemanden. Toshi versuchte sein Glück und nach mehrmaligem Läuten nahm auch Rans Lehrerin ab. Kurz, ohne zu sehr in die Details zu gehen, erklärte er ihr, weshalb sie nicht beim Unterricht gewesen war und versprach, dass es nicht noch einmal vorkommen würde. Nachdem dies geklärt war, beschloss er ebenfalls ins Bett zu gehen, da er im Gegensatz zu Yoshiki sowieso jemand war, der mehr als drei Stunden Schlaf brauchte. Er löschte alle Lichter im Haus, sperrte die Haustür zu, schaltete die Alarmanlage ein und ging dann wieder in den Master Bedroom, in dem noch die Deckenlampe eingeschaltet war und den Raum hell erleuchtete. Sowohl der Pianist, als auch seine Nichte schliefen tief und fest und hatten sich im Schlaf aneinander gekuschelt. "Einer so verschmuste wie der andere…! Das muss eindeutig in der Familie liegen…" Leise öffnete Toshi den Kleiderschrank seines besten Freundes und holte sich eine von dessen Trainingshosen heraus, die er als Schlafanzughose missbrauchen würde – Yoshiki hätte sicherlich nichts dagegen. Damit verschwand er kurz im Bad, machte sich bettfertig und räumte anschließend, ehe er sich unter die Decke legte, die Kuscheltiere von der zweiten Betthälfte – Ran und Yoshiki teilten sich die andere - und setzte sie ans Fußende. Danach schaltete er das Licht aus, kuschelte sich in das flauschige Kissen und lauschte den tiefen Atemzügen seines besten Freundes. Er konnte nichts Abnormales heraus hören, sodass er beruhigt die Augen schloss und langsamen in einen traumlosen Schlaf abdriftete. Was keiner wusste, war, dass sie nicht zu dritt, sondern eigentlich zu viert in dem Zimmer waren. Neben dem Plüschhide saß eine halb durchschimmernde Personen im Schneidersitz und außer, dass ihre Augen, die starr auf den Schlagzeuger gerichtet waren, immer wieder blinzelten, gab sie keine Regung von sich. Der Raum wurde vom Mond, der inzwischen leicht am Abnehmen war, in ein silbrig-fahles Licht getaucht, in dem die Haare des Unbekannten pink hervorstachen… ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Die international richtige C-Dur Tonleiter lautet C-D-E-F-G-A-B-C. Lediglich im deutschsprachigen Raum heißt das „B“ „H“, was daran liegt, dass jemand vor langer Zeit mal nicht richtig lesen konnte und statt „B“ ein „H“ abgeschrieben hat, was sich nach und nach dann durchgesetzt hat. Da Yoshiki deutsche Komponisten wie Ludwig van Beethoven und J.S. Bach schätzt, dürfte ihm der Ton „H“ zwar ein Begriff sein, aber im alltäglichen Sprachgebrauch wird er, schätze ich, immer bei „B“ bleiben, da sowohl die Amerikaner, wie auch die Japaner zum Ton „H“ „B“ sagen. Allgemeine Anmerkung: Ja, ich hab es schon wieder getan – diesmal allerdings auf Französisch und nicht auf Englisch^^; Hier kurz die Übersetzung der Flüche: Ta gueule! = Halt's Maul! Va te faire foutre! = Fuck you! bzw. zu gut Deutsch "Fick dich!" Casse-toi! = Hau ab! Ansonsten hoffe ich, dass die Musiktheorie nicht zu trocken war (ich hätte darüber und übers Klavierspielen eine seitenlange Abhandlung schreiben können) und ihr es mir verzeiht, dass eine inzwischen 14-jährige Ausbildung an diversen Instrumenten nicht spurlos an einem vorbei geht ^.~ Tag 5 – Dienstag: Familie ------------------------- @ Terra-gamy: Sorry wegen der französischen Flüche!! m(._.)m Das Yoshiki auch nur ein Mensch ist, denke ich mir auch oft genug – klar stellen ihn die Fans und die Medien gerne als Gott hin, aber letztendlich ist er auch nur ein Mensch wie du und ich und weshalb soll ihm dann eine kleine Fünfjährige nicht auch mal was vormachen^^; @ nawa: Garantiert^^ Schutzengel bei dem Schützling zu spielen ist ja schließlich ein Knochenjob! Ob Gackt auch noch eine Rolle bekommt… wenn ich es dir jetzt ja schon verrate, dann ist der ganze Spaß doch weg, oder? ^.~ @ __GAKUTO: Ich glaube, ich verstehe, was du sagen willst und ehrlich gesagt, es war mir beim Schreiben auch extrem wichtig, dass hide nicht à la „Oh mein Gott, ein Geist!“ auftaucht, sondern eben so real ist, wie ein Geist real sein kann (ist das jetzt ein Widerspruch??). Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! ~*~*~*~*~* Zu Beginn haben sie mir immer ihre Eindrücke geschildert… aber später sagten sie nur noch: “Wir überlassen dir das.” So… überließen sie mir zuerst die Songs und nach und nach auch alles andere. Sie sagten: „Wir sind damit einverstanden, solange du damit glücklich bist, Yoshiki.“ Ich fühlte mich sehr traurig… YOSHIKI – A Perfect Exclusive Interview with Yoshiki, 1999 Ausgeruht und vor allem äußerst im Reinen mit sich selbst erwachte Yoshiki am nächsten Morgen, da ihn die Sonnenstrahlen an der Nase kitzelten und ihm die Vögel im Garten ein äußerst lautes Ständchen sangen. Gähnend streckte er sich, hörte alle Knochen knacken und registrierte Ran, ihren Plüschtiger und Toshi in seinem Bett. Bevor er sich jedoch fragte, wie die alle zu ihm kamen, stellte er sich zunächst die Frage, weshalb er nackt war. Ein kurzer Blick unter die warme Decke zeigte ihm zumindest, dass er noch seine schwarzen Retropants trug. Ein leises Lachen neben ihm ließ ihn wieder aufschauen. „Keine Angst, ich weiß, dass du es nicht magst, wenn man dich komplett auszieht.“ „Tosh?!“ „Guten Morgen, Yosh.“ Der Sänger war schon eine Weile wach und hatte beobachtet, wie sein Freund langsam dem Schlaf entglitten war. Besagter rutschte etwas näher zu Toshi und zog Ran mit sich, da sie ziemlich nah am Rande lag. „Morgen“, gähnte er, legte seinen Kopf auf die Brust des anderen und schloss wieder die Augen. „Willst du den ganzen Tag im Bett bleiben?“ „Ja … ich hab keine Lust schon wieder auf so einem doofen Ball herumzuhampeln … und zum Arzt will ich auch nicht … und du bist so schön bequem!“ Yoshiki klang wie ein kleiner trotziger Junge, was Toshi nur zum Schmunzeln brachte. „Was macht ihr eigentlich alle in meinem Bett?“ „Zwei Dumme, ein Gedanke würde ich sagen – wir wollten dich nicht alleine lassen.“ Darauf erwiderte der Drummer nichts, sondern krabbelte lediglich ganz unter das flauschige Federbett des anderen. Als seine nackten Beine gegen Toshis bekleidete stießen, sah er kurz unter die Zudecke und entdeckte eine seiner Trainingshosen an seinem besten Freund. „Warum trägst du meine Hose?“ „Weil ich auf keine Pyjamaparty eingerichtet war.“ „Ich hoffe, du leierst den Bund nicht aus“, entgegnete Yoshiki, zog an jenem und ließ ihn wieder zurückschnalzen, was ihm einen Tritt von Toshi gegen das Schienbein einbrachte. „Was soll das heißen?!“ „Dass du dick geworden bist! Du naschst zu viel!“ „Sagt der Schokoladenjunkie der Nation! Wer hat sich denn neulich während des Fluges von LA nach Narita mit Schokolade überfressen und dann einen Tag lang herum gejammert, wie kotzübel ihm doch sei?“ „Zumindest kann man mich nicht kugeln“, entgegnete der Blonde grinsend und begann auf dem Bauch seines besten Freundes, dessen Umfang sich im Vergleich zu vor 20 Jahren zwar etwas vergrößert hatte, aber bei weitem nicht so stark, wie Yoshiki es gerne hinstellte, um ihn aufzuziehen, den Anfang von Orgasm zu trommeln. „Idiot!“, war Toshis einziger Kommentar darauf, der wusste, dass der andere ihn nur neckte, und schlug die Hände weg. „Leck mich!“ „Dazu müsstest du eine echte Prinzessin sein“, konterte der Sänger und zwickte in Yoshikis flache Brust, „aber da sich daran nichts geändert hat, musst du dir dafür jemand anderen suchen!“ „Trottel!“, lachte er leise und piekte den Sänger in die Seite, sodass dieser ziemlich unmännlich aufquiekte. „Yoshiki!!“ „Auf jeden Fall scheint es ihm wieder besserzugehen …!“ „Ja?“, fragte dieser scheinheilig und setzte den unschuldigsten Blick auf, den er konnte, dessen Wirkung durch das schelmische Grinsen auf seinen Lippen jedoch so ziemlich den Bach hinunterging. Als Ran neben ihm jedoch langsam wachwurde, ließ er Toshi aber sowieso erst einmal Toshi sein. „Guten Morgen!“ Statt zu antworten, gähnte sie nur herzhaft und öffnete verschlafen die Augen. „Yoyo?“ Im nächsten Moment, als sie ihn sah, war sie hellwach und schneller als er antworten konnte, hatte sie sich mit solchem Schwung auf ihn gestürzt, dass er zurück in die Kissen fiel und sie auf ihm lag. „Geht es dir wieder gut?“, wollte sie auch sofort wissen und richtete sich auf, sodass sie auf seinem Bauch saß. „Alles wieder in bester Ordnung!“, antwortete er ihr und schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. Zu seinem Erstaunen war es noch nicht einmal gelogen – natürlich schmerzten seine Hände, sein Nacken und sein Rücken noch immer, aber psychisch gesehen fühlte er sich weitaus ausgeglichener als die letzten Tagen. Es hatte gut getan, die ganzen aufgestauten Gefühle herauszulassen und Toshis Anwesenheit hatte ihr übriges dazu beigetragen. „Blas erst mal, dann sehen wir weiter!“, war der einzige Kommentar des Sängers dazu, der ihm das Peak Flow Messgerät hinhielt, dass er sich geangelt hatte. Der Drummer setzte sich wieder auf, sodass Ran von ihm rutsche, und nahm ihm grinsend das kleine Gerät ab. „Ich soll dir einen blasen, Tosh? Vorhin hörte sich das noch ganz anders an – da war ich dir nicht gut genug!“ „Volltrottel!“ „Was bedeutet das, Yoyo?“ „Was?“ Er spielte mit dem kleinen Gerät in den Händen und hoffte, dass nicht das kommen würde, was er befürchtete. „Einen blasen? Darf ich auch mal?!“ Hätte Yoshiki in dem Moment etwas zu trinken im Mund gehabt, er hätte es in hohem Bogen wieder ausgespuckt und jedem Wasserspeier Konkurrenz gemacht. So sah er jedoch nur geschockt zu Ran und dann hilfesuchend zu Toshi, der ihm aber nur einen Blick schenkte, der soviel bedeutete wie: Die Suppe hast du dir selbst eingebrockt, also löffel sie auch schön brav alleine aus! „Dafür bist du, glaube ich, noch zu jung, Ran!“ „Warum?“ „Das … ist nur etwas für Erwachsene!“ „Manno… warum?!“ „Weil … weil … das eine sehr gefährliche Sportart ist!“ Toshi neben ihm schien große Schwierigkeiten zu haben, nicht laut loszulachen, sodass er ihm den Ellenbogen in die Rippen rammte. „Stimmt doch, Tosh, oder?!“ „Ja … absolut!“ Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. „Frag am besten einfach deine Eltern … wann du das einmal machen darfst!“, wandte sich Yoshiki wieder an seine Nichte und war froh somit aus der Bredoullie zu sein – sollten Kouki und Chika sich damit auseinandersetzen. So gab sich Ran auch geschlagen, während Toshi immer noch Probleme hatte, sein Lachen zu unterdrücken. Kopfschüttelnd griff Yoshiki nach seinem Kopfkissen und drückte es seinem besten Freund für einige Sekunden ins Gesicht. Danach ließ er von ihm ab und kontrollierte dann mit dem Peak Flow Meter die Weite seiner Atemwege. Normalerweise schaffte er es immer über 80 % seines Bestwertes zu kommen – wenn auch manchmal nur knapp – aber heute klappte es einfach nicht. 65 % war der höchste Wert, den das Gerät anzeigte. „Und?“ Toshi hatte sich vom Kissen befreit, wieder aufgesetzt und beugte sich zu seinem Freund. „Alles okay“, log Yoshiki, weil er niemanden sorgen wollte, doch der andere kannte ihn zu gut – seine Lügen enttarnte er irgendwie immer. „Yoshiki!“ „Was?!“ Ächzend stand er auf und scheuchte auch Ran aus dem Bett, damit sie ins Bad ging und sich anzog. Auch wenn er eigentlich keine Lust darauf hatte, sie hatten heute ein straffes Tagesprogramm. „Ich atme, also passt alles!“, sagte er noch in Toshis Richtung, ehe er im angeschlossenen Badezimmer verschwand, während seine Nichte verwirrt zwischen den beiden hin und her blickte, dann aber ebenfalls in ihr Zimmer ging, nachdem der Sänger ihr aufmunternd zugelächelt hatte. Toshi selbst stand auf und folgte dem Blonden, der unter der Dusche stand. „Wie schlecht war das Ergebnis?“ „Hat man vor dir nicht einmal beim Duschen seine Ruhe?“, fragte Yoshiki, als er sich die Haare einschäumte, und klang dabei leicht gereizt. „Du würdest dich nicht so kindisch benehmen, wäre das Ergebnis nicht schlecht.“ „Ich benehm mich nicht kindisch!“ „Das Ergebnis!“ Toshi hatte sich gegen das Waschbecken gelehnt und lauschte dem Rauschen der Dusche, da sich der andere das Haarshampoo auswusch. „… 65 …“, antwortete Yoshiki leise, nachdem er das Wasser wieder abgestellt hatte und nach einem Handtuch angelte, um sich abzutrocknen. „Das ist nicht gut …“ Der Drummer rubbelte kurz durch seine Haare, um sie leicht anzutrocknen – er würde sie sowieso föhnen - und trocknete sich ab. Die ganze Zeit über schwieg er und auch Toshis Mund verließ kein weiteres Wort. Als er fertig war, band er sich das weiße Frottiertuch um die Hüfte und verließ die Dusche. Sein bester Freund stand immer noch an derselben Stelle und so tappste er mit gesenktem Kopf zu ihm und drückte sich an ihn. Augenblicklich schlangen sich die Arme des anderen um ihn, während er einfach die Augen schloss und hörbar ausatmete. Das war etwas, was er so an Toshi schätzte – egal wie sehr er zum Teil seine Launen abbekam, im nächsten Moment konnte er auch schon wieder in seiner Umarmung liegen, so als wäre nie etwas gewesen. Trotz allem befürchtete er, es manchmal zu weit zu treiben – einmal hatte er es schließlich schon geschafft… „Ich will den Scheiß nicht noch einmal…“, hörte Toshi ihn gegen seinen Hals nuscheln. Kurz spielte er mit dem Gedanken, etwas zu erwidern, aber manchmal war es besser, einfach zu schweigen und Yoshiki in seinem eigenen Tempo reden zu lassen – das war oftmals wirkungsvoller, als ihn mit Fragen zu löchern. „Ich hab Angst, Tosh… du weiß wie sehr es mich damals geschwächt hat… wenn es wieder so kommt… was wird dann aus X JAPAN? Was wird aus der Welttournee? …“ „Dann spielen wir eben mehr Stücke, wo du am Flügel sitzt… wir könnten zum Beispiel ein reines X JAPAN meets Classic Konzert geben, da müsstest du überhaupt nicht an die Drums… oder du machst zwischendurch einfach eine Pause und ich spiel! Außerdem sind gut eingestellte Asthmatiker durchaus leistungsfähig – zumindest laut Google…“ „Solange ich nicht singen muss“, entgegnete Yoshiki und konnte nicht verhindern, über Toshis Kommentar zu schmunzeln. Es tat gut, ihn hier zu haben! „Yosh… wir sind eine Rockband und bei allem Respekt, du singst immer noch wie ein Mädchen und ich weiß nicht, ob Pata, Heath und Sugizo bei einer Girlyband à la MORNING MUSUME mitmachen würden,“ zog der Sänger den Drummer auf und dachte grinsend an einen Tag vor etlichen Jahrzehnten zurück, als er ihn das erste Mal hatte singen hören. Der andere überlegte unterdessen, wie er Toshi den Kommentar heimzahlen konnte: Seine Arme von ihm zu nehmen und ihn in die Seite zu boxen war definitiv zu viel Aufwand. Andererseits… er hatte sein Gesicht gerade so schön in die Halsbeuge des Kleineren gekuschelt – ein Biss tat es sicherlich auch! „Au! Wofür war das?!“, wollte Toshi empört wissen und schubste Yoshiki leicht von sich, um die Bissstelle im Spiegel zu begutachten. „Für den Kommentar über meinen Gesang!“, erklärte er nur grinsend und kramte aus einem Regal seinen Föhn. „Wehe das gibt einen Knutschfleck!“ „Kannst ja sagen, dass ich es war – die Presse und Fans werden es sicherlich lieben!“ „Meine größere Sorge ist eher, dass Kaori das spitz kriegt…“ „Und glaubt, du hättest sie betrogen?“ „Eher, dass sie heimlich ein Bild davon macht und die Geschichte lang und breit in ihrem Blog erzählt…“ „Was lässt du sie auch alles ausplaudern! Allerdings… ich finde es süß…“ „Was?!“ Während der Unterhaltung war Toshi zur Dusche gegangen, hatte dem anderen den Rücken zugewandt und sich ausgezogen. Er hatte gerade die Kabine betreten wollen, als er verdutzt innehielt und sich halb zu seinem Freund umdrehte, der mit der Steckdose kämpfe. „Dreh den Stecker um 180°. Du liest Kaoris Blog?!“ „Ist interessanter als deiner und momentan habe ich einfach zu viel Zeit…“, entgegnete Yoshiki schulterzuckend, besiegte endlich die Steckdose und begann seine Haare zu föhnen, während sein bester Freund duschte. Wenig später waren alle fertig und frühstückten gemeinsam in der Küche. Toshi hatte sich zwar bereit erklärt ein typisch japanisches Mahl zuzubereiten – im Gegensatz zu Yoshiki konnte er kochen – aber der Inhalt des Kühlschrankes ließ zu wünschen übrig, sodass es einmal wieder Toast mit Marmelade und Nutella gab. Das gestrige Klavierspielen, sowie die Bekanntschaft seiner Fäuste mit der Mauer hatten allerdings nicht dazu beigetragen, dass sich die Sehnenscheidenentzündung des Pianisten gebessert hatte. Im Gegenteil, im Moment fühlte es sich sogar schlimmer an, als die letzten Tage. Bereits das Zähneputzen hatte eine Herausforderung dargestellt, was Toshi zum Glück aber nicht mitbekommen hatte – den Kampf Yoshiki vs. Butter feat. Nutella erlebte er jedoch hautnah mit. Eine Weile sah es sich der Sänger schweigend an, dann schritt er ein und nahm alles an sich. „Ich kann das sehr gut selber machen!“, maulte der Drummer etwas herum, da er keine Lust hatte, wie ein Krüppel behandelt zu werden. Er wusste, dass Toshi es nur gut meinte, aber es ging ihm einfach ums Prinzip. „Klappe halten und Handgelenksschoner ausziehen“, kommandierte der andere freundlich aber bestimmt, während er rasch aufgestanden war, aus dem Kühlregal zwei Kaltpacks geholt hatte und diese in saubere Geschirrhandtücher einschlug. Als Toshi gerade mit dem Rücken zu ihm stand schnitt Yoshiki eine Grimasse, was Ran zum Kichern brachte, tat aber wie ihm geheißen – im Endeeffekt meinte der andere es nur gut und vermutlich war die Idee mit dem Kühlen gar nicht so schlecht, da es ihn immerhin auch stets durch die Konzerte hindurch rettete. Der Sänger platzierte die kalten Wickel auf den Handgelenken und Unterarmen des anderen, der sie auf den Tisch gelegt hatte. "Das ist ja eiskalt!!“ „Schlauberger – war ja schließlich im Kühlfach.“ Toshi setzte sich wieder und machte Yoshikis Frühstück fertig, während Ran ihres schon mehr oder weniger aufgegessen hatte. Bis die beiden Erwachsenen ihres dann ebenfalls vernichtet hatten – nebenbei hatte der Schwarzhaarige von der vergessenen Ballettstunde berichtet - war es schon wieder Zeit für Krankengymnastik. Derweil kümmerte sich Toshi um den Abwasch und Yoshikis Nichte faltete weiter fleißig Kraniche. Zwischenzeitlich brachte einer vom Staff das Mittag- und Abendessen vorbei, wobei das gestrige noch immer unangerührt im Kühlschrank stand. Kurz darauf erschien auch Hanako, vollbepackt mit Einkaufstüten, und begann sich direkt an die Arbeit zu machen, um die Häppchen für das später stattfindende Meeting vorzubereiten. Nachdem die Physiotherapie beendet war, schlang Yoshiki das Essen in Rekordzeit hinunter, da keine halbe Stunde später Dan gemeinsam mit einem weiteren Bodyguard – Takumi – auftauchte, um ihn und Ran, die in aller Ruhe mit Toshi und Hanako gegessen hatte, abzuholen und zu Dr. Hiraishi in die Privatklinik zu fahren. Eine Zeit lang hatte der Sänger überlegt, die beiden zu begleiten, entschied sich dann aber in der Villa zu bleiben und sich das Chaos in Yoshikis Arbeitszimmer vorzunehmen. Zum Glück hatte er selbst für heute, außer dem Treffen am Abend, keine Termine, sodass es sich gut einrichten ließ. Kurz vor 14:00 Uhr lieferten Dan und Takumi ihre beiden Schützlinge, die alles andere als begeistert dreinblickten, beim Arzt ab, der sich bereits seit etlichen Jahren um den Drummer und Pianisten, aber auch um die gesamte Band kümmerte. Zuerst wurde Rans Impfung nachgeholt und als sie von dem Mediziner hinterher noch einen Lutscher bekam, fand sie ihn eigentlich ganz nett. Dafür saß Yoshiki eine Schnute ziehend neben ihr auf der Behandlungsliege und verschränkte die Arme. "Ich kriege nie eine Belohnung und dabei piesacken Sie mich viel mehr als sie!" Der bereits ergraute Dr. Hiraishi schüttelte nur lächelnd den Kopf, da er seinen Patienten und dessen Liebe für Süßes schließlich lange genug kannte. Ohne auf dessen Beschwerde weiter einzugehen, wandte er sich diesem zu und begann erst einmal die altbekannten Leidensgeschichten durchzugehen. Dabei fielen ihm natürlich auch die aufgeplatzten Knöchel auf und er hakte nach, wie es dazu gekommen war. Etwas zögernd berichtete Yoshiki ihm die gesamte Geschichte, während der Arzt an seinem Schreibtisch saß, aufmerksam zuhörte, gelegentlich Notizen machte und in dem Tagebuch, das sein Langzeitpatienten führte, blätterte. Dadurch erfuhr er auch von den Abschürfungen an Rans Händen und Knien, die ihn aber nicht weiter beunruhigt hatten – schließlich war sie ein Kind und diese fielen öfters hin. "Können Sie das Ganze nicht einfach wieder rückgängig machen, Dok? ich will das Zeug wirklich nicht wieder zurück!", endete der Schlagzeuger mit seinen Ausführungen, während seine Nichte neben ihm saß, die Beine baumeln ließ und einen relativ gelangweilten Eindruck machte, was allerdings darüber hinweg täuschte, dass sie soviel wie möglich zu verstehen versuchte. "Was da ist, ist da, aber ich kann Sie beruhigen, dass das Asthma wohl eine geringere Einschränkung als ihre Hände oder ihr Nacken darstellt. Es gibt viele Hochleistungssportler, die trotz dieser Diagnose dieselbe Leistung wie vollkommen gesunde Athleten erbringen. Wenn Sie bitte Ihr T-Shirt einmal hochschieben könnten, damit ich sie abhören kann…“ Der Arzt war zu ihm gekommen und hörte seine Lunge ab. „Es sind leichte Geräusche zu hören“, teilte er mit, als er sich wieder setzte, „was sich mit den Werten von heute Früh und Mittag deckt, wobei der letzte ja schon wieder besser war.“ Eine Tatsache, die Yoshiki beruhigt hatte, als er in der Hektik vom Mittagessen, das sogar gut geschmeckt hatte, kurz kontrolliert hatte. „Ich bin kein Spezialist auf dem Gebiet, weshalb ich Sie sobald wie möglich auch noch einem Kollegen vorstellen möchte, aber ich vermute bei Ihnen sehr stark ein Anstrengungsasthma – bisher ist ein Anfall nur bei großer körperlicher Belastung ausgelöst worden…“ „Ich habe gestern aber kein vierstündiges Konzert gespielt!“ „Stress belastet den Körper ebenfalls – mehr als man manchmal vermuten möchte. Ich werde Ihre Krankenakte meinem Kollegen zukommen lassen und dieser wird mit Ihnen sicherlich einen Belastungstest machen, um gezielt einen Anfall hervorzurufen. Wenn dies möglich ist und eine endgültige Diagnose steht, können Sie mit ihm an einer Lösung arbeiten, um das Asthma bei Anstrengung im Griff zu haben.“ „Also noch mehr Ärzte…“ Yoshiki klang äußerst begeistert. Über eine weitere halbe Stunde besprach er mit dem Doktor diverse mögliche Behandlungsmöglichkeiten, um rechtzeitig bis zum nächsten Konzert wieder fit zu sein. Schließlich, es war bereits nach 15:00 Uhr, verabschiedeten er und Ran sich und stießen wieder zu Dan und Takumi, die die ganze Zeit im Wartezimmer gesessen hatte und sich die Zeit mit Zeitschriften lesen vertrieben hatten. Der Nachhauseweg erwies sich als nervenzehrend, da es wie so häufig zu Staus kam. Der Pianist nutzte die Zeit, um sich zunächst bei seinem Manager zu melden – nach seinem gestrigen Ausraster war das dringend nötig. Knapp 30 Minuten später hatte er sich mit Yagehara ausgesprochen und wusste zudem seine Termine für die nächste Woche, um entsprechend den notwendigen weiteren Arztbesuch mit einplanen zu können. Da er sowieso schon am Telefonieren war, erledigte er das auch gleich noch. Als alles organisiert war, steckte er das Handy seufzend zurück in die Hosentasche, lehnte den Kopf gegen die Stütze und schloss für einen Moment die Augen. "Alles in Ordnung?", erkundigte sich Ran, die die ganze Zeit über äußerst schweigsam gewesen war. "Alles in Ordnung." "Musst du sterben?" "Wie kommst du darauf?!" Die Verwirrung war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören. "Der Arzt hat so vieles aufgezählt…" "Das war aber nichts, was mich so schnell umbringen wird", entgegnete Yoshiki und lächelte sie aufmunternd an. Ihre Sorge war irgendwie rührend. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er, wie sie in ihrer Jackentasche herumkramte, seine eigentliche Aufmerksamkeit war jedoch auf den Verkehr gerichtet, der wieder flüssig war. So wie es aussah, würde er pünktlich zu der Besprechung zuhause sein. "Hier!" Strahlend hielt ihm Ran einen Lutscher unter die Augen, den der Pianist auch nahm, herumdrehte und sie fragte, woher sie ihn hatte. "Von dem Arzt. Er hat mir noch zwei gegebenen, als wir gegangen sind." "Habe ich gar nicht mitbekommen… danke!" Wenig später kamen sie zuhause an und obwohl es noch nicht ganz 17:00 Uhr war, standen schon diverse Autos in der Einfahrt. Yoshiki und Ran betraten die Villa mit jeweils einem Lutscher im Mund und zogen erst einmal Schuhe und Jacken aus. Hanako kam zu ihnen und teilte dem Hausherrn mit, dass bis auf Heath, Pata und Sugizo bereits alle anwesend waren. Fast automatisch wechselte er in den Geschäftsmannsmodus, gab seine Nichte an seine Haushälterin ab, legte den Lutscher, wieder in sein Papier eingewickelt, auf die Ablage und schritt selbstsicher in den Wohnbereich, wo Toshi, gemeinsam mit den Managern der einzelnen Bandmitglieder, Angehörigen vom Bandmanagement, allen voran Mashimo Yukitaka, und von Azoff Management sowie einem Dolmetscher, war. Früher hatte er vor solchen Meetings immer einen riesen Bammel gehabt, aber als er den Dreh herausbekommen hatte, wie er alle nach seiner Pfeife tanzen lassen konnte, empfand er sie als äußerst angenehm. "Guten Abend, die Herren! Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt zu Ihnen stoße. Ich hoffe, Sie haben es sich in meiner Abwesenheit schon einmal bequem gemacht und das großartige Büffet, das meine Haushälterin eigens zubereitet hat, genossen", begrüßte Yoshiki die Anwesenden auf Japanisch und Englisch, da die beiden Vertreter von Azoff Management nur Letzteres sprachen. Beim Betreten des Raumes hatte er einen kurzen Blick durch eben jenen schweifen lassen und war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden: an der Bar war ein äußerst reichhaltiges Angebot von Häppchen sowie an alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken. Die Sofaecke war etwas verschoben worden, damit der niedrige, typisch japanische Tisch, um den sich zahlreiche Sitzkissen reihten, besser zur Geltung kam. Normalerweise war er in einem anderen Teil des Hauses und wurde nur zu solchen Gelegenheiten in den Wohnbereich gestellt, da Yoshiki ihn sonst als zu Platz einnehmend empfand. Auf eben jenem war auch ein Beamer aufgebaut und ausgerichtet, um jegliche Präsentationen an die freie, weiße Wand zu werfen. Der Schlagzeuger begrüßte gerade die einzelnen Gäste und betrieb Smalltalk, als es an der Tür klingelte. Er kümmerte sich jedoch nicht darum, da er wusste, dass er sich in dieser Hinsicht voll und ganz auf seine Haushälterin verlassen konnte. Sie kümmerte sich im Hintergrund um alles und sorgte dafür, dass das Geschäftstreffen reibungslos ablief. Keine fünf Minuten nach dem Klingeln betraten Sugizo, Heath und Pata den Raum, sodass die Runde vollzählig war und sie schließlich anfangen konnten. Zuvor widmeten sich der langhaarige Gitarrist und der Bassist aber noch dem Büffet, wobei sich Ersterer mit Whisky und Letzterer mit Essen eindeckte. Das Meeting kam schnell in Gange und vor allem die verschiedenen Manager sowie Yoshiki diskutierten über die Chancen im Vogelnest in Beijing zu spielen, sowie mögliche Ausweichmöglichkeiten, sollten sich die Chinesen quer stellen - wonach es momentan noch aussah. Des Weiteren ging man mögliche Hallen in Paris durch und sprach über geeignete Locations in Deutschland. Toshi, Pata, Heath und Sugizo hielten sich dabei dezent im Hintergrund, da sie bei solchen Treffen eher selten mit dabei waren. Solange es eine Bühne gab und ihr Leader damit glücklich war, würden sie so ziemlich überall spielen! Die Männer redeten gerade ziemlich hitzig durcheinander, woran Yoshiki nicht ganz unschuldig war, da er sich nur ungerne von etwas abbringen ließ, das er sich erst einmal in den Kopf gesetzt hatte. Ihre Diskussion wurde aber unterbrochen, als aus der Küche ziemlich deutlich, und vor allem laut, Rans Proteste zu hören waren. Überraschte bis pikierte Blicke wurden sich zugeworfen, während sich der Pianist leicht die Hand vor die Augen hielt und den Kopf schüttelte. Im nächsten Moment hörte man, wie die Küchentür lautstark mit der Wand Bekanntschaft machte und keine zehn Sekunden später rannte die Fünfjährige durch das Zimmer und schmiss sich auf den Schoß ihres Onkels, wo sie die Arme um seine Taille schlang. Dass sie dabei Sugizo, der neben Yoshiki saß, ziemlich anrempelte, interessierte sie momentan nicht die Bohne. "Ich will nicht ohne dich essen!!", erklärte sie bockig und verkrallte ihre Finger in seinem Oberteil. "Es tut mir leid, Yoshiki!", entschuldigte sich Hanako, die hinterher geeilt kam und das Kind hochheben und zurück in die Küche tragen wollte. Ran sah dies jedoch anders und klammerte sich erst recht an ihm fest, während sie wie am Spieß schrie. "Ran!" Zunächst versuchte es der Pianist auf die sanfte Tour, als dies jedoch keinen Erfolg brachte, wurde seine Stimme lauter und vor allem schärfer, sodass seine Nichte zumindest mit dem Geschrei aufhörte, wofür ihm seine Ohren äußerst dankbar waren. "Geh mit Hanako zurück in die Küche und bleib dort!!" "Nein!" "Ran!!!" "Nein!!" Yoshikis Geduldsfaden war wirklich kurz davor zu reißen, da er ihr bockiges Verhalten einerseits nicht nachvollziehen konnte - immerhin hatte er ihr auf der Hinfahrt zu Dr. Hiraishi bereits klargemacht, dass sie bei dem Geschäftstreffen nichts verloren hatte -, andererseits kam es völlig ungelegen - schließlich war er mitten in einem wichtigen Meeting. Zudem war er noch nie jemand gewesen, der viele Widerworte geduldet hatte. Nicht unbedingt sanft löste er sie von sich, stand auf, packte sie an den Händen und zog sie hinter sich her in die Küche, wo er nicht gerade leise die Tür schloss. Für einen Moment hatte er überlegt, sie einfach in ihrem Zimmer einzusperren, aber da sie dann vermutlich nur weiter schreien und Terror machen würde, musste er eine andere Lösung finden. "Verdammt noch einmal, Ran, was soll der Scheiß?!“, herrschte er sie an und nur zu deutlich war seine sonst so leise Stimme im Wohnbereich zu hören. "Ich geh mal schauen", flüsterte Sugizo Heath zu, der neben ihm saß und erhob sich, um nach dem Rechten zu sehen. Yoshiki schien ihm mit der Situation eher etwas überfordert gewesen zu sein, sodass das vielleicht besser war. Leise schlüpfte er in die Küche und erblickte den langjährigen Freund, der sich vor dem Mädchen aufgebaut hatte. Er hatte damit gerechnet, dass die Kleine weinen würde, so wie ihr Onkel ausrastete, aber das Gegenteil war der Fall. Mit verschränkten Armen und trotzig vorgeschobene Unterlippe stand sie vor ihm und hielt seinem Blick stand. "Der Dickschädel liegt definitiv in der Familie!" „Yoshiki!“, der Gitarrist und Violinist legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte diese leicht, „Komm mal wieder runter!“ „Sugizo?“ Jener ging vor Ran in die Hocke und musterte sie kurz, da er bisher noch nicht allzu viel von ihr gesehen hatte. Nicht nur charakterlich, sondern auch äußerlich kamen sie definitiv aus ein und demselben Hause. "Du musst Ran sein, ich bin Sugizo!", stellte er sich vor und reichte ihr die Hand, die sie auch nach kurzem Zögern nahm und nickte. "Weshalb möchtest du deinen Onkel nicht alleine lassen?", hakte der Jüngere nach und registrierte, wie ihr Blick von ihm kurz zu Yoshiki ging und dann wieder auf ihm lag. "Yoyo war vorhin laut und gestern war er das auch, als dieser Mann da war, der jetzt auch da ist. Und dann hat er keine Luft mehr bekommen und später war er dann wieder laut und hat geweint. Und Toshi sagte, er hätte Angst davor alleine zu sein!" Das Gesprächsthema starrte sie aus großen Augen an und klappte mehrmals den Mund auf und zu, so als wolle er etwas sagen wollen, aber kein Ton verließ seinen Mund. Sugizo verstand zwar nicht ganz den Inhalt von Rans Erklärung, da er über die gestrigen Ereignisse nicht im Bilde war, aber für ihn stand zumindest fest, dass ihr Verhalten nicht böse gemeint war. Yoshiki hatte vorhin beim Meeting durchaus die Stimme erhoben und wenn seine Nichte eine Verkettung darin sah, dass er einen Asthmaanfall bekam, wenn er lauter wurde, so hatte sie sich lediglich um ihn Sorgen gemacht und ihn beschützen wollen. "Sie zu bestrafen wäre der falsche Ansatz", äußerte der Gitarrist, der dem Älteren die Situation erklärt hatte. Dieser verkniff sich einen Kommentar darüber, dass es wirklich nervte, wenn ihn alle so bemutterten und ging nun an Sugizos Stelle in die Hocke. "Tut mir leid wegen vorhin", entschuldigte er sich geknickt und umarmte sie vorsichtig, da er befürchtete, sämtliche Pluspunkte, die er in den letzten Tagen gesammelt hatte, innerhalb weniger Minuten wieder kaputt gemacht zu haben. Zu seiner Überraschung schüttelte seine Nichte jedoch nur den Kopf und erwiderte die Geste. "Ich schlage vor, wir nehmen sie mit rein", meinte der Violinist, nachdem sich Yoshiki wieder aufgerichtet hatte. "Was?!" Dieser wartete nur auf Widerworte von seiner Nichte, aber erstaunlicherweise kamen keine. "Das ist ein Geschäftstreffen da draußen, Sugizo, du hast gesehen, wie die anderen geguckt haben!" "Ehrlich, Yoshiki, du rennst in einem Brautkleid auf die Bühne und fürchtest die Reaktion dieser Anzugträger da draußen?!" "Es geht um die Seriösität dieses Meetings – und um meine obendrein!" "Wenn sie leise ist, dann ist es doch so, als wäre sie gar nicht da. Versprichst du, dich ruhig zu verhalten?", wandte sich Sugizo an Ran, die nickte und schwor, sich unsichtbar zu machen. "Aber... Du hast doch vorhin ihre Blicke gesehen, Sugizo!" "Yoshiki, du drehst Werbespots splitterfasernackt und lässt dich dann von ein paar hochnäsigen Schlipsträgern einschüchtern?!" "Das ist etwas völlig… … also gut, meinetwegen", gab sich der Schlagzeuger geschlagen und fuhr sich durch die Haare. "Gute Entscheidung! Dann schlage ich vor, du gehst zurück zu deinem Meeting, ich wärme noch einmal Rans Essen in der Mikro auf - das ist sicherlich schon kalt - und komme dann mit ihr nach", schlug der Gitarrist vor. Yoshiki nickte zustimmend und ging dann zurück zu dem Treffen, während Hanako, die vor der Tür gewartet hatte, wieder in der Küche verschwand, um noch ein paar weitere Häppchen zu machen, da Heath zwischenzeitlich einen Großteil des Büffets vernichtet hatte. Dafür, dass der Bassist stets aussah, als würde er gleich vom Fleisch fallen, hatte er einen äußerst gesunden Appetit. "Deine Haushälterin ist wirklich ein Engel", flüsterte er ihm zu, ehe der Schlagzeuger dafür sorgte, dass die Gespräche wieder in Gang kamen. Gleich darauf kamen Sugizo und Ran zurück, wobei Ersterer einen Teller Curry und einen Löffel trug, während Letztere schnurstracks zu ihrem Onkel lief und es sich zwischen seinen Beinen gemütlich machte. Der Gitarrist holte ihr noch ein Glas Wasser und setzte sich dann wieder neben Yoshiki, der die Blicke der anderen geflissentlich ignorierte. Nach 22:00 Uhr wurde das Geschäftstreffen beendet und bis auf die Bandmitglieder gingen alle nachhause. Hanako machte sich ans Ab- und Aufräumen und bekam tatkräftige Unterstützung von Toshi, Pata, Heath und Sugizo, sodass innerhalb kürzester Zeit wieder Ordnung herrschte. Yoshiki hatte derweil Ran ins Bett gebracht, die irgendwann eingeschlafen war. Als er sich wieder zu den anderen gesellte, war sein Wohnbereich bereits wieder im alten Zustand und seiner Haushälterin verabschiedete sich gerade. Er brachte sie noch zur Haustür, bedankte sich für ihre Arbeit und nahm auf dem Rückweg den angefangenen Lutscher von vorhin mit, den er wieder auspackte und sich in den Mund steckte. Seine Freunde hatten es sich bei einem Glas Wein in der Sofaecke bequem gemacht und sich ziemlich ausgebreitet, sodass für ihn kaum noch Platz war. Kurzerhand legte er sich einfach quer über Toshi und Pata. "Wo hast du den her?", fragte Letzterer neugierig und schnippte gegen den Stil des Lutschers. "Von Dr. Hiraishi." "Seit wann verteilt der Dok Lollis?!", wollte Heath überrascht wissen. "Seit ich mit Ran bei ihm zum Impfen war. Sie hat etliche bekommen und mit mir geteilt…" "Sag deinem Bruder, dass sie mit uns auf Welttournee geht, wenn das bedeutet, dass wir alle Lutscher bekommen!" "Das verklickerst aber du ihm!", lachte Yoshiki. "Apropos Ran… danke Sugizo, du warst echt eine große Hilfe!" "Keine Ursache", tat dieser es ab und nippte an seinem Wein. "Warum seid ihr drei eigentlich zu spät gekommen?" "Das ist wohl meine Schuld", erklärte Sugizo, "ich hatte angeboten zu fahren, bin aber zuhause zu spät los gekommen, weil ich mit Luna noch ein Hühnchen zu rupfen hatte!" "Was war los?", fragte der Drummer interessiert. Vielleicht konnte es sich ja noch ein paar Sachen für Ran abschauen. "Was los war?! Hiroshi war los!" Der sonst so ruhige Gitarrist klang sichtlich angepisst. "Ich?! Was habe ich mit deiner Tochter zu schaffen?!", meldete sich sofort Heath entsetzt zu Wort. "Nicht du! Irgend so ein daher gelaufener, kleiner 15-jähriger Macho, den Luna ja ach so toll findet und den ich hochkannt vor die Tür geworfen habe!" Yoshiki, Pata und Heath hatten große Probleme aufgrund des überfürsorglichen Vaters nicht laut los zu lachen. Toshi war der Einzige, der sich noch halbwegs beherrschte. "Sie kommt doch langsam in die Pubertät, da ist es nur natürlich, dass sie sich für solche Sachen interessiert." "Du bezeichnest uns gerade als ‚Sachen‘, Tosh!", warf Yoshiki prustend ein, wurde jedoch ignoriert. "Sie wird gerade einmal 12, Toshi! Dafür ist sie noch viel zu jung. Ich habe ihr gesagt, wenn sie 20 ist, können wir noch einmal darüber reden!" "WAS?!?!", entfuhr es allen anderen gleichzeitig. "Das ist noch zu jung, ich wusste es! Ich hätte gleich 30 sagen sollen!", äußerte Sugizo und fuhr sich durch die Haare. Damit war es um Yoshiki geschehen: lauthals lachend trommelte er mit den Füßen auf Toshis Oberschenkel, verlor dabei das Gleichgewicht und rutschte von der Couch. Er jammerte ein wenig über seinen schmerzenden Hintern, konnte aber beim besten Willen nicht aufhören zu lachen. „Was ist?“ „Die ganzen Schmerztabletten sind wohl zu viel für ihn“, erklärte Toshi Sugizo schmunzelnd und schüttelte über seinen besten Freund nur den Kopf. Der lag noch immer am Boden und schnappte lachend nach Luft, während er wegen des Kommentares nach dem Sänger kickte. Als er sich etwas beruhigt hatte, zog er sich am Couchtisch, den er vorhin nur um wenige Millimeter verfehlt hatte, nach oben. „Sugizo, ich hab zwar keine Ahnung von Kindern, aber meinst du nicht, dass du etwas übertreibst?“, fragte Yoshiki halbwegs ernst, wurde von seinen bebenden Schultern aber verraten. „Warte mal, bis Ran in das Alter kommt, dann reden wir noch einmal“, entgegnete der Angesprochene nur und leerte sein Weinglas. „Apropos Kinder“, meldete sich Heath zu Wort, „Yoshiki, ich muss dir noch was Wichtiges sagen!“ „NEIN!!!“, schrien alle anderen erschrocken auf, was den Drummer aber erst recht neugierig macht. „Du willst nicht wieder aufhören, oder?!“ Nachdem der Bassist Anfang des Jahres plötzlich jeglichen Kontakte zu ihnen abgebrochen hatte und einige Wochen lang niemand wusste, was mit ihm war und wo er überhaupt steckte, war das Yoshikis größte Sorge, da ihm die jüngsten Ereignisse fast wie ein Déjà-vu vorgekommen waren. Toshi war es gewesen, der ihren Bassisten schließlich gefunden und dafür gesorgt hatte, dass er mit ihrem Leader sprach, auch wenn Heath große Sorge gehabt hatte, dass dieser ihn köpfen würde, da seine Handlungen schließlich zur Verschiebung des Koreakonzertes geführt hatten. Als er dann bei Yoshiki im Studio aufgetaucht war, war dieser viel zu froh gewesen, dass der Jüngere wieder da war, als dass er ihm sofort an den Kragen ging. Zahlreiche, lange Gespräche waren gefolgt – zuerst mit dem Drummer alleine, dann mit der gesamten Band – in denen vieles geklärt worden war. „Nein, das ist Schnee von gestern. Ich habe meinen Platz wieder gefunden!“ „Was dann?“ „Das willst du nicht wissen, Yoshiki“, äußerte Pata nur, der, wie alle anderen bereits wusste, welches Attentat ihr Bassist vorhatte. „Ich bin Papa geworden!“, erklärte Heath strahlend, während dem Pianisten die Kinnlade nach unten klappte und sich alle anderen die Hand vor die Stirn schlugen. „Du bist was?! Aber wie? Du…? Etwa die Kamerafrau von neulich mit diesem riesen Vorbau??“ „Nee, von der hab ich mich schon vor ein paar Wochen wieder getrennt!“, antwortete der Bassist grinsend. „Du hast nen Groupie geschwängert?!?!“, war dementsprechend Yoshikis Schlussfolgerung, „Herrgott noch mal, hättest du das nicht vorhin sagen können, als die ganzen Manager noch da waren?! Wenn das an die Presse kommt… das darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen, ansonsten sind wir alle geliefert!“ Der Drummer war bereits dabei einen Krisenplan auszuarbeiten und bekam so nicht mit, wie alle anderen verzweifelt den Kopf schüttelten, während Heath vor sich hingrinste. „Willst du mal ein Bild von meinen Kleinen sehen?“ „Deine Kleinen? Heißt das, es sind Zwillinge?!“ Verneinend schüttelte der Bassist den Kopf, entgegnete, es wären Sechslinge und reichte Yoshiki sein Handy. „Sechslinge?! Wie hast du das…?“ Weiter kam er nicht, da er auf das Bild, das den Bildschirm zierte, starrte. Im Raum herrschte Totenstille, als der Drummer langsam zu verstehen begann. Fast in Zeitlupe legte er das Mobiltelefon weg und schneller als man glaubte, war er aufgesprungen und wollte sich über den Tisch hinweg direkt auf Heath stürzen, um diesem an die Gurgel zu gehen. „Du elendiger Hund! Das sind verdammte Hasenbabys!!“ Toshi bekam ihn noch an einer Gürtelschlaufe zu fassen und zog ihn zurück, sodass ein wie ein Rohrspatz schimpfender Yoshiki auf seinem Schoß landete und darum kämpfte, von ihm frei zu kommen, um den Bassisten, der lachend an Sugizo hing, in die Finger zu bekommen. "Toshi, lass mich los!", zeterte der Jüngere, wurde aber weiterhin festgehalten. "Nein, du sollst dich schonen und jetzt komm mal wieder runter – er hat den Scherz bei uns allen abgezogen.“ „Und warum warnt mich dann keiner vor?!“ „Weil wir eigentlich dachten, dass ihm sein Leben lieb wäre“, antwortete Pata kopfschüttelnd an Toshis Stelle. „Aber anscheinend ist er ganz schön masochistisch veranlagt“, fügte Sugizo noch hinzu. „Sorry, Yoshiki, aber dein Blick war das echt wert“, entgegnete Heath prustend und nahm sein Handy wieder an sich. Der Pianist überlegte, ob er ihm nicht doch noch irgendwie eine Abreibung verpassen konnte, entschied sich dann aber, die ganze Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Er würde schon noch seine Chance bekommen, es dem Bassisten heimzuzahlen - wäre schließlich nicht das erste Mal, da Scherze innerhalb der Band Gang und Gebe waren. Zudem hielt Toshi ihn mit einem solchen Klammergriff fest, dass er sowieso nicht wegkommen würde. "Tosh, kannst du mal loslassen? Du brichst mir gleich die Rippen!“ „Wenn du Heath am Leben lässt…“ „Ja, versprochen!“ Sobald er frei war, rutsche er von Toshis Schoß herunter und in die schmale Lücke zwischen jenem und Pata. „Macht euch mal nicht so breit! Aber sag mal Heath, hattest du nicht immer nur männliche Kaninchen??“ Vor etwa einem Jahr hatte sich ihr Bassist zwei kleine Rammler aus der Tierhandlung geholt. Der eine hatte langes, zotteliges Fell und war die meiste Zeit am Schlafen, sodass er ihn nach einigem Hin und Her einfach Pata genannt hatte. Das zweite Kaninchen war mehrfarbig und stellte ständig irgendwelchen Unsinn an, sodass es den Namen hide erhielt. Weil er somit schon einen Teil der Band in Kaninchenform zuhause hatte, entschied er sich, sie zu vervollständigen. Ein schwarzer Rammler mit ein paar weißen Flecken am Kopf wurde Heath getauft, ein Blonder, der ständig wie Klopfer in Disneys Bambi mit den Hinterläufen trommelte und sich liebend gerne mit den anderen raufte, bekam den Namen Yoshiki und ein komplett schwarzer Rammler, der ständig mit dem Yoshiki-Kaninchen zusammenklebte, wurde kurzerhand Toshi genannt. Heaths neuster Zuwachs war ein rothaariges Tier mit schwarzen Ohren, welches den Namen Sugizo erhalten hatte. Die anderen wussten natürlich von ihren langohrigen Pendants und hatten mehr als einmal die Augen darüber verdreht. „Eigentlich schon und laut Tierhandlung sollten die auch alle kastriert sein, aber irgendwie ist Yoshiki wohl ein Weibchen und ich habe momentan ganz stark Toshi als Vater in Verdacht. Wenn er nämlich nicht kastriert ist, erklärt das, warum er ständig an ihm, beziehungsweise ihr klebt!“ „Was?!“ Der Drummer und der Sänger sahen sich entsetzt an, während Pata und Sugizo stark dagegen ankämpften loszulachen. „Warum krieg ich immer die Frauenrollen?!“, schmollte Yoshiki und verschränkte die Arme, „ich hoffe, du hast wenigstens vor, dich um unsere Babys zu kümmern, Tosh, wenn du schon zu blöd für Verhütung bist!“ Angesichts dieser Unterhaltung verschluckte sich Pata an dem Wein, den er gerade im Mund hatte, während sich Sugizo und Heath beim besten Willen nicht mehr halten konnten. Lediglich Toshi blickte eher verstört drein und fragte sich, ob sein Freund vielleicht nicht doch schon ein wenig zu viel Alkohol intus hatte. "Yoshiki… das sind Hasen mit unseren Namen... das sind nicht wir!", erklärte er ganz langsam. "Na und?!" Ob dieser trotzigen Antwort konnte er nur den Kopf schütteln, beließ es dann aber dabei und seufzte lediglich, als sich sein bester Freund wieder quer über ihn und Pata legte. „Alte Schmusekatze!“ „Bin nicht alt“, widersprach der Drummer sofort und boxte leicht in Toshis Bauch, der ihm dafür nur einmal kräftig durch die Haare wuschelte, sodass sie in alle Richtungen abstanden. „Ne Toshi, woher hast du eigentlich den Knutschfleck am Hals? Heiße Nacht gehabt?!“, fragte Sugizo augenzwinkernd, da ihm der schillernde Bluterguss am Hals ihres Sängers aufgefallen war. Dieser errötete leicht, fuhr kurz über die Bissstelle und knurrte Yoshikis Namen, was diesen jedoch kalt ließ. "Yoshiki?!" Heaths Augenbrauen waren wie seine Stimme nach oben geklettert. Der Angesprochene seufzte nur theatralisch und drehte den Kopf, so gut es mit der Halskrause ging, in Richtung des Bassisten. "Eigentlich wollten wir es ja nicht an die große Glocke hängen, aber wie Sugizo es so schön formuliert hat: Ja, wir hatten eine äußerst ‚heiße Nacht‘! Unser kleiner Sänger hier kann mit seinem Mund noch weitaus bessere Sachen machen, als nur die richtigen Töne zu treffen", erklärte er und strich mit dem Zeigefinger lasziv über Toshis Hals, wo er kleine Muster malte. Dieser saß nur stumm da und wechselte seine Gesichtsfarbe von kalkweiß zu tomatenrot. Ob nun aus Scham oder aus Wut, weil Yoshiki seine kleine Rache an Heath auf seine Kosten austrug, wusste keiner. "Aber Toshi ist verheiratet!", entgegnete der schwarzhaarige Bassist leicht geschockt. Allerdings weniger ob der Tatsache, dass der Pianist Sex mit einem Mann hatte – wer in einem Interview offen zugab, dass er Frauenklamotten lieber mochte, weil man da viel mehr Möglichkeiten und Auswahl hatte, dem war wohl auch das zuzutrauen – sondern mehr, weil für ihn selbst Verheiratete ein Tabu waren. "Und?" "Wir haben…", fand der Sänger schließlich seine Sprache wieder, wurde jedoch von Yoshikis Zeigefinger auf seinen Lippen sofort wieder zum Schweigen gebracht. "Aber das muss dir doch nicht peinlich sein, Honey-Bunny! Ich werde Kaori unser kleines, süßes Geheimnis schon nicht verraten", äußerte der Pianist im besten Schlafzimmerton, setzte sich auf und vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge seines besten Freundes, der wortlos mehrmals den Mund auf- und zuklappte. Leicht knabberte er an der empfindlichen Haut am Hals des Sängers, während dieser mehr oder weniger vergeblich versuchte, den anderen von sich zu drücken. Heath fielen bei dem Anblick fast die Augen aus dem Kopf, während Sugizo nur den Kopf schüttelte und Pata irgendwie der einzige war, den das Ganze völlig kalt ließ. Da niemand Yoshikis Gesicht sah, blieb auch sein breites Grinsen unentdeckt. Es kostete ihn einiges an Beherrschung, nicht zu lachen, aber da er spürte wie verkrampft sein Sandkastenfreund war, entschied er dem Spiel ein Ende zu setzen. Erst als Heath ihren Leader losprusten hörte, realisierte er, dass der Schlagzeuger sie die ganze Zeit an der Nase herum geführt hatte. "Ihr habt gar nicht…?!" "Das versuche ich doch die ganze Zeit zu sagen! Er hat mich heute Früh aus Rache gebissen, weil ich über seine Gesangskünste hergezogen bin“, antwortete Toshi und verpasste Yoshiki eine Kopfnuss, der aber nur weiter vor sich hinkicherte. "Spätestens nach dem ‚Honey-Bunny‘ war das glasklar", äußerte Pata den Kopf schüttelnd. „Sorry, Tosh!“ „Ich hasse dich, du alter Spinner!“ „Hab dich auch lieb, ‚Honey-Bunny‘!“, entgegnete der Pianist schmelmisch grinsend und machte es sich wieder bequem. Obwohl es bereits nach Mitternacht war, alberten die fünf weiter herum, einfach weil sie selten Zeit dafür hatten und es gut tat, so gelöst zu sein. Yoshiki hatte scheinbar seinen Spaß daran gefunden diverse Kosenamen für Toshi zu erfinden, doch dieser war weder von Honey-Bunny, noch von Honigschnäuzchen oder Erdbeertörtchen wirklich angetan. Erneut hegte er die starke Vermutung, dass dem Jüngeren entweder der Alkohol zu Kopf gestiegen war oder aber die Schmerzen - er hatte seine abendliche Ration an Schmerztabletten noch nicht genommen - sein rationales Denkvermögen vernebelten. Durfte man überhaupt Schmerztabletten mit Alkohol nehmen? Vielleicht erklärte das die Aufgekratztheit seines besten Freundes… Doch irgendwann, die anderen scherzten noch herum, wurde der Schlagzeuger wieder ernst und brachte etwas zur Sprache, was ihn bereits beim Geschäftstreffen auf dem Herzen gelegen hatte, da es ihm wie ein schlechtes Déjà-vu vorgekommen war. "Was haltet ihr eigentlich von den Ergebnissen des Meetings? Ihr habt euch ja ziemlich im Hintergrund gehalten…" "Klingt gut", antwortete Toshi schulterzuckend und die anderen nickten zustimmend. "‚Klingt gut‘? Das ist alles? Kommt schon, ich habe keine Lust, dass das wieder so endet wie das letzte Mal und alle sagen: ‚Mach nur, Yoshiki - solange es dich glücklich macht, ist das in Ordnung für uns!‘" Er klang skeptisch und sah seine Bandkollegen eindringlich an. "Was sollen wir schon groß sagen? Die Typen tanzen nach deiner Pfeife und nicht nach unserer", entgegnete Pata ruhig wie immer, der, wie die anderen, während der Besprechung kaum ein Wort verloren hatte. "Dann sagt mir im Vorfeld, was ihr wollt, damit ich eure Interessen mit durchsetzen kann und nicht nur meine! Wir sind schließlich immer noch eine Band und nicht ‚YOSHIKI plus Anhang‘. Ich stell mich ja auch nicht vor euch hin und sage: ‚L’état, c’est moi‘(1)!“ "Könntest du bitte in einer Sprache sprechen, die wir alle verstehen", bat Toshi, dem stets der Kopf schwirrte, wenn sein bester Freund zwischen zig verschiedenen Sprachen hin und her sprang. "Das Einzige, das ich auf Französisch kann, ist: ‚Voulez-vous coucher avec moi, ce soir‘(2)… was heißt das eigentlich, Yoshiki?", meldete sich Heath zu Wort und wandte sich an den Französischexperten unter ihnen. Für einen Moment wollte der Pianist schon die wörtliche Übersetzung geben, entschied sich dann aber, dass der Bassist für den Scherz mit den Kaninchen durchaus noch eine kleine Abreibung verdient hatte. "Es ist neben ‚je t’aime‘ eine andere Möglichkeit ‚ich liebe dich‘ auf Französisch zu sagen. Du kannst es ja bei dem Konzert in Paris zu den Fans sagen - sie werden sich sicherlich darüber freuen!" "Cool, werde ich machen. Danke!" Seufzend stand Yoshiki auf und ging zur Terrassentür, durch welche er kurz nach draußen sah, sich dann aber wieder den anderen zuwandte. "Um noch einmal zum Thema zurückzukommen: Ich will einfach nicht, dass es wieder so endet wie das letzte Mal! Ich will nicht, dass ich letztendlich alle Entscheidung treffe und ihr einfach nur zu allem Ja und Amen sagt, auch wenn es euch eigentlich gegen den Strich geht! Ich will nicht, dass alle irgendetwas in sich hineinfressen, anstatt es einfach gerade heraus zu sagen und am Ende daran zu Grunde gehen! Wir sind eine Band und als solche sollten wir auch handeln… und wenn euch etwas, was ich tue, nicht passt, dann sagt es mir geradewegs ins Gesicht, anstatt es hinunter zu schlucken - ich spare schließlich auch nicht an Kritik! Und ich hoffe, dass ihr wisst, dass ich für euch da bin und ein offenes Ohr habe – als Leader, aber in erster Linie als euer Freund… egal ob ich jetzt hier oder in den Staaten bin!" Etwas unsicher blickte er in die Runde, da er ihnen hier schließlich gerade sein Herz ausschüttete, und fuhr dann fort: "Ich möchte einfach, dass X JAPAN diesmal ein schönes und vor allem würdiges Ende erhält - dass wir uns eines Tages gemeinsam an einen Tisch setzen und zusammen sagen können: ‚Es war eine geile Zeit, aber kein Kapitel ist unendlich. Es ist Zeit, die letzte Seite zu schreiben und ein neues anzufangen!‘“ Toshi und Heath waren beide fast zeitgleich aufgestanden und zu dem Pianisten gegangen, der etwas verloren dort gestanden und die Arme um sich geschlungen hatte. Wortlos umarmten und hielten sie ihn fest, da beide gespürt hatten, auch wenn keine Namen gefallen waren, dass ein Teil der Worte vor allem ihnen gegolten hatte. "Ich schätze, jetzt ist Gruppenknuddeln angesagt", äußerte Sugizo und zog Pata hinter sich her, der noch nie ein großer Freund solche Aktion gewesen war. "Diesmal wird es nicht so enden, wie letztes Mal", versprach Heath leise und drückte den Drummer. Dieser stand inmitten der vier und konnte nicht verhindern, dass ihm eine Träne über die Wange rann, als er nickte. Womit hatte er seine Chaoten nur verdient? Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen und er hoffte stark, dass das, was er als nächstes tat, Ran nicht aufwecken würde… "WE ARE…!!!!!!", brüllte er so laut er konnte und auch wenn den anderen die Ohren klingelten, so antworteten sie mit der einzige Antwort, die er hatte hören wollen: "… X!!!!!!!“ ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Der Staat bin ich – bekanntes Zitat von Ludwig XIV (2) Die höfliche Art jemanden zu fragen ob er/sie diesen Abend Sex mit einem haben möchte – bekannt durch Lady Marmalade (Moulin Rouge) Tag 6 – Mittwoch: Schwarzer Tag ------------------------------- @ Terra-gamy: Also an Yoshikis Stelle würde ich das machen!^^ Ist aber auch irgendwie gemein… als Kind kriegt man beim Arzt immer irgendwelche Belohnungen, aber sobald man ein Teeny oder älter ist, geht man leer aus. Bzgl. der Hasen: Ich muss gestehen, dass das zum Teil eine leichte Parodie war. Egal ob jetzt im deutsch- oder englischsprachigen Internet, es gibt soviele Slash-FFs da draußen, die zum Teil wirklich erschreckende Ausmaße wie Männerschwangerschaften annehmen, dass ich das Ganze einfach ein wenig auf die Schippe nehmen musste ^.~ @__GAKUTO: Ich glaub echt, dass das der längste Kommi ist, den ich je von dir gelesen hab *sich geehrt fühlt* (Danke!!) Du bist ehrlich gesagt nicht die Einzige, die sich beim Lesen totgelacht hat – ich habs beim Schreiben auch getan^^; Vielleicht weil soviele einen Hund haben und der Hund der beste Freund des Menschen ist? Du fandest die Schlussszene gut? Die Wahrheit ist, ich bin bis heute nicht ganz glücklich mit ihr und dabei habe ich sie schon 10 000 Mal umgeändert… bin wahrscheinlich mal wieder zu perfektionistisch^^; Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! ~*~*~*~*~* Manchmal hasse ich alles… ich verabscheue das Leben… und mich selbst… YOSHIKI – Yoshiki Mobile Eintrag vom 20. November 2008/Myspace Eintrag vom 21. November 2008 Die letzte Nacht war lang gewesen und umso mehr verwunderte es Toshi, dass er bereits um 07:00 Uhr aufwachte und völlig ausgeschlafen war. Während Sugizo, Pata und Heath nachhause gefahren waren, hatte er eine weitere Nacht bei Yoshiki verbracht. Als sich alle verabschiedeten, hatte dieser leise gefragt, ob er nicht noch über Nacht bleiben könne. Der Pianist war noch im Land der Träume und er hatte auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Auch wenn er gestern einen äußerst gesunden Eindruck gemacht hatte, so wusste er, dass das darüber hinwegtäuschte, dass ihm das letzte Konzert noch immer in den Knochen steckte. Von ihnen allen brauchte der Blonde immer am längsten, um seine Akkus wieder voll aufzuladen und auch wenn er es nicht zugeben wollte, die Woche mit Ran bedeutete Stress. Leise stand der Sänger auf, holte sich frische Klamotten aus Yoshikis Kleiderschrank und verschwand im Bad. Eine halbe Stunde später kam er angezogen wieder zurück und verließ leise das Schlafzimmer, um in der Küche das Frühstück vorzubereiten. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, kam ihm Ran, bereits fertig angezogen, entgegen. Er vermutete, dass sie sie hatte wecken wollen. "Yosh schläft noch, lass uns erst einmal Frühstück machen!" Routiniert bereitete Toshi das Essen zu und wurde dabei tatkräftig von der Fünfjährigen unterstützt, die sich dann auch sofort darüber her machte, während er entschied, den anderen wecken zu gehen. Dieser schlief noch immer, wälzte sich aber unruhig hin und her. Der Sänger setzt sich auf die Bettkante und berührte leicht den nackten Oberarm. "Yoshiki, aufwachen!" Als er nicht reagierte, schüttelte er ihn ein wenig an der Schulter, was Wirkung zeigte. Murrend öffnete der Schlagzeuger die Augen und ächzte, als er sich in Richtung des Störenfrieds umdrehte. "Toshi?" "Gott, ich fühl mich, als wäre eine Horde Elefanten über mich drüber getrampelt… ich hätte die Schmerztabletten gestern - oder war es heute? - doch noch nehmen sollen…" "Guten Morgen, Dornröschen!" "Wie spät ist es?", fragte er verschlafen und versuchte sich aufzusetzen, was ihm aber nur einen stechenden Schmerz im Rücken einbrachte, sodass er sich wieder in die Kissen fallen ließ. "Kurz vor acht", antwortete Toshi und beobachtete ihn besorgt, sagte aber nichts weiter darüber, "Frühstück ist bereits fertig." "Okay, ich komme gleich." Der Sänger nickte, stand auf, ging zur Tür und sah so nicht, wie der andere an den Bettrand robbte, sich von dort vorsichtig auf den Boden gleiten ließ und sich dann am Bett hochzog. Wenn sein Rücken so schmerzte, wie er es momentan tat, dann war es oftmals einfacher, so auf die Beine zu kommen, als zu versuchen direkt aus dem Bett aufzustehen. Erst als er stand, merkte er, wie wackelig sich seine Knie anfühlten und stehen alleine jagte solche Schmerzen durch sein Rückenmark und in die Extremitäten, dass er glaubte, weiße Blitze vor seinen Augen zu sehen. Ins Badezimmer zu kommen würde definitiv interessant werden. Sein erstes Etappenziel war zunächst einmal die gegenüberliegende Wand, an der er sich dann vor zur Badezimmertür tasten konnte. Doch bereits nach zwei Schritten knickten ihm die Beine weg und er stürzte zu Boden. "Fuck!", fluchte er leise vor sich hin und schüttelte die Hände aus, mit denen er sich abgefangen hatte, die aber auch nicht unbedingt in der Verfassung waren, sein ganzes Körpergewicht aufzufangen. Zum Glück war Toshi nicht mehr da oder er würde sich nur unnötig Sorgen machen - schließlich war es nicht das erste Mal, dass er alleine mit so einer Situation fertig wurde. Frustrierend war es trotzdem! Weil seine Beine noch nicht so recht mitmachen wollten, legte er die letzten Meter zur Tür auf allen Vieren zurück und zog sich dann an der Klinke wieder nach oben. Funktionierte doch alles wunderbar - kein Grund seinen besten Freund zu rufen und seinem Stolz einen unnötigen Dämpfer zu verpassen! Im Bad angekommen, hielt er sich am Waschbecken fest und warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Blass und Augenringe bis zu den Kniekehlen - es gab wirklich keinen besseren Start in den Morgen! Eigentlich hatte er duschen wollen, aber da er seinen Füßen nicht so recht traute, entschied er sich für den Jacuzzi. Das warme Wasser und die Blasen würden die schmerzhaften Verspannungen - zumindest hoffte er, dass es das und kein eingeklemmter Nerv war - lösen und die Schmerzen erträglicher machen. Kurz darauf lag er mit geschlossenen Augen in der Wanne, ließ sich von Chopin berieseln, auch wenn beschallen wahrscheinlich der bessere Ausdruck war, da er die Anlage aufgedreht hatte und spürte, wie die Schmerzen ein wenig nachließen. Später, sobald er ein wenig Essen und dazu noch die doppelte Ration an Tabletten im Magen hatte, würde der Tag würde hoffentlich halbwegs erträglich werden. Eine halbe Stunde später fühlte er sich etwas besser und wollte eigentlich das Bad beenden, doch er stand vor dem Problem, wie er herauskommen sollte. Klar, normalerweise war das nichts, worüber man sich den Kopf zerbrechen musste – einfach aufstehen und über den Wannenrand steigen -, aber im Moment… in seiner Villa in Los Angeles wäre das ganze kein Problem, da der Jacuzzi dort einen schönen breiten Rand hatte, auf den man sich notfalls setzen, herum drehen und sich dann wie beim Bett nach unten rutschen lassen konnte. Leider saß er jedoch in seiner Whirlwanne in Tokyo, bei der das nicht so ohne weiteres ging. So würde er sich doch auf seine Beine verlassen müssen, was sich natürlich als Fehler erwies. Erneut versagten sie ihren Dienst, er stürzte zurück ins Wasser, schickte eine kleine Flutwelle über den Badewannenrand und bei dem Versuch sich abzufangen, verriss er sich auch noch den sowieso schon lädierten Rücken. Die Schmerzen vorhin waren nichts gegen die jetzigen, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Nun war es wohl an der Zeit nach Toshi zu rufen. „TOOOOOOOOOOOOOOSH!!!!!!!!!!!!!!!!“ Yoshiki konnte nur hoffen, dass sein Sandkastenfreund ihn trotz der lauten klassischen Musik hörte. Als nach ein paar Minuten aber immer noch kein besorgter Sänger durch die Tür gerannt kam, schwand die Hoffnung auf schnelle Rettung. Er schrie zwar noch einmal, aber erneut geschah nichts. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass ihn irgendwer irgendwann einmal – möglichst schnell – vermisste und ihm half. „Scheiß Körper, scheiß Rücken, scheiß Bandscheiben“, fluchte er vor sich hin und schlug mit den Handflächen auf die Wasseroberfläche, dass es nur so spritze und der Badewannenvorleger, der vorhin schon durchnässt worden war, sich weiter mit Wasser vollsog. „Blöde, laute Musik, dummer, tauber Tosh, scheiß Schmerzen, verfluchter Stolz!“ Als ihm die Flüche auf Japanisch ausgingen, machte er zunächst auf Englisch und dann auf Französisch weiter. Bei letzterer Sprache hatte er jedoch das Problem, dass er nicht wusste, was Bandscheiben nun eigentlich bedeuteten. Von seiner Unwissenheit frustriert verfiel er wieder in seine Muttersprache. Nach gefühlten drei Stunden öffnete sich schließlich die Badezimmertür und Toshi steckte den Kopf herein. "Willst du hier drinnen Wurzeln schlagen?" "Na endlich!" "Was machst du in der Badewanne?" "Darauf warten, dass du mich findest!" Yoshiki hatte erst eine bissige Antwort auf der Zunge gelegen, aber da er wirklich nur noch heraus wollte - das Wasser war nur noch lauwarm und seine Haut bereits total schrumpelig - hatte er sie hinunter geschluckt. Der Sänger kam erst einmal in den Raum hinein und schaltete die Anlage aus. "Okay, ich hab dich gefunden, du kannst rauskommen", äußerte er und hielt ihm ein großes Handtuch hin. Als der andere nicht reagierte, fiel ihm wieder das schmerzverzerrte Gesicht von vorhin ein. "Yosh?" "… könntest du… … mir vielleicht… helfen?", fragte er leise und so, wie er den Blick abwendete, auf seiner Unterlippe herum kaute und seine Finger knetete, war es deutlich zu sehen, dass es ihm nicht ganz leicht fiel, darum zu bitten. "Rücken?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, als Toshi das Handtuch beiseite legte, an die Wanne trat und dann erst einmal den Vorleger in die Dusche verfrachtete, da er bei jedem Schritt nur so vor Feuchtigkeit schmatzte. „Ja… hätte gestern wohl nicht so verdreht auf dir und Pata liegen sollen… und vorhin, bei dem Versuch aus dem Jacuzzi zu kommen, hab ich ihn mir auch noch verrissen…“ Vorsichtig hob Toshi ihn heraus und stellte ihn auf seine Beine, hielt ihn aber weiter fest, da er aus der Vergangenheit nur zu gut wusste, dass die Schmerzen häufig dafür sorgten, dass seinem besten Freund die Füße wegknickten. „Soll ich die Krankengymnastik absagen?“ „Lass mal… vielleicht hilft es ja was…“ Yoshiki lehnte sich gegen ihn und zuckte zusammen, als der Kleinere mit dem Handtuch anfing seinen Rücken trocken zu rubbeln. Jedes Mal wenn Toshi stärkeren Druck auf die Muskulatur ausübte, erzitterte sie unter seinen Händen, sodass er schließlich stoppte und versuchte, den anderen so gut es ging anzusehen, da dieser den Kopf auf seiner Schulter abgelegt hatte. „Tu ich dir weh?“ Der Drummer nickte, fügte aber hinzu, dass der Druck gleichzeitig angenehm war und er deswegen nichts gesagt hatte. Zögernd machte der Sänger weiter, hielt aber kurz inne, wenn der andere vor Schmerz leicht keuchte. Er beeilte sich mit dem Abtrocknen, da er merkte, wie sich Yoshiki immer verkrampfter an ihm festhielt, je länger es dauerte. Als er fertig war, packte er ihn in den flauschigen Bademantel und trug ihn der Einfachheit halber im Prinzessinnenstil zurück ins Schlafzimmer, wo er ihn auf dem Bett absetzte. Anschließend stopfte er ihm die zweite Zudecke und sämtliche Kissen in den Rücken, damit er halbwegs aufrecht saß, da die Haare bei der Badeaktion auch nicht ganz trocken geblieben waren - ebenso wie die Klamotten, die Toshi trug, aber darum würde er sich später kümmern. "Bleib liegen, ich hole schnell dein Frühstück und dann föhne ich deine Haare!" Damit war der Sänger auch schon weg und ein seufzender Pianist blieb zurück. Toshi war im Gluckenmodus und genau das hatte er eigentlich nicht gewollt. Andererseits tat es gut zu wissen, dass der andere für ihn da war und alles in die Hand nahm, sodass er sich um nichts kümmern musste. Er würde es zwar nie zugeben oder zeigen, aber mit den momentanen Schmerzen war er froh, dass heute außer Rans Ballett nichts auf dem Plan stand. Gleich darauf kam der Sänger auch schon mit der Fünfjährigen im Schlepptau zurück und stellte ein reichhaltig gedecktes Tablett auf seinen Oberschenkeln ab. "Nach deinem gestrigen Kampf habe ich vorhin schon alles fertig gemacht", erklärte Toshi und spielte damit auf den Toast an, der bereits fertig bestrichen war. "Alles okay?", wollte Ran wissen, die neben ihm auf dem Bett kniete und ihm einen Blick zuwarf, der ihn nur zu stark an Koukis ‚es wäre besser, du wärst im Krankenhaus‘ Blick erinnerte. Das waren ja tolle Zukunftsaussichten für ihn! "Mehr oder weniger…" Der restliche Vormittag verging mehr oder weniger schnell. Toshi hatte dafür gesorgt, dass am Nachmittag sowohl Yoshikis Akupunkteur, als auch sein Masseur vorbeikamen, ehe er sich schweren Herzens verabschiedet hatte, da er zu einem Promotionstermin im Apple Store in Ginza musste, der sich nicht absagen ließ. Nur ungern ließ er seinen Sandkastenfreund in einer solchen Situation alleine, aber er versprach, so schnell wie möglich wieder zu kommen. Die Krankengymnastik, von der Yoshiki erhofft hatte, dass sie Linderung bringen würde, wurde zur reinsten Tortur, sodass sie sie frühzeitig abbrachen. Hanako, die zwischenzeitlich gekommen war, kümmerte sich um Ran, sodass der Pianist die unverhofft freie Zeit ungestört in der Sauerstoffkapsel verbringen konnte. Er betete inständig, dass dies, sowie die Akupunktur und die Massage dazu beitrugen, dass er bis morgen wieder hergestellt war. Kurzfristig hatte er auch schon mit dem Gedanken gespielt seine Mutter anzurufen und sie zu bitten, sich um die Kleine zu kümmern. Aber da er ihr keine unnötigen Sorgen bereiten wollte und sich Ran als äußerst kooperativ zeigte, verwarf er die Überlegungen wieder. Nach den bisherigen Tagen musste er seinem Bruder zustimmen, dass das Mädchen einem durchaus graue Haare bescheren konnte, aber er hatte auch gelernt, dass sie, wenn sie merkte, dass es ihm nicht gut ging, ein Engel auf Erden war und alles tun wollte, damit es ihm wieder besser ging. Seine größte Sorge war daher eher nur, dass sie wie ihr Vater wurde. Am frühen Nachmittag war erst sein Masseur und später dann noch sein Akupunkteur da. Ran war in die Akupunktursitzung geplatzt, um ihm freudig mitzuteilen, dass Hanako gezählt hatte und die Hälfte der Kraniche bereits gefaltet waren. Als sie ihn mit all den Nadeln am Körper auf der Liege hatte liegen sehen, hatte sie erst einmal ziemlich verstört drein geblickt. Sein Akupunkteur erklärte ihr, was es damit auf sich hatte und setzte ihr, um ihr zu zeigen, dass es wirklich nicht weh tat, wovon sie der Überzeugung war, eine der langen, feinen Akupunkturnadeln. Yoshikis Nichte musste feststellen, dass der andere wirklich recht hatte: es kribbelte zwar ein wenig und die Einstichstelle schien wärmer zu werden, aber im Gegensatz zu Impfungen spürte sie keinen einzigen Schmerz. Zufrieden damit, dass dieser kleine Mann, mit dem seltsamen Akzent - er kam aus China - ihrem Onkel nicht weh tat, rannte sie zurück zu Hanako und den AIBOs, um weitere Kraniche zu falten. Die Haushälterin hatte ihr beim letzten Einkauf extra Origamipapier mitgebracht. Ran verließ den Raum jedoch nicht, ohne Yoshiki zu sagen, dass er mit den Nadeln wie ein kahlköpfiger Igel aussah. Doch zum Origami kam das Mädchen nicht sofort, da ihre Eltern anriefen. Der Blonde hatte es nur am Rande mitbekommen und Ran verschwieg seinen Zustand, da sie sich, anhand dessen, was ihr Toshi unter anderem erzählt hatte, inzwischen zusammen gereimt hatte, dass ihr Onkel ihrem Vater keine unnötigen Sorgen bereiten wollte und er hatte schließlich erst gestern versichert, dass er nicht sterben würde. Stattdessen erzählte sie ausführlich von dem Meeting, bei dem sie hatte dabei sein dürfen, und dass sie auf Yoshikis Flügel gespielt hatte. Nachdem alle Behandlungen vorbei waren, legte sich der Pianist freiwillig zurück in sein Bett, da ihn die ganzen Schmerztabletten, die er heute nur so in rauen Mengen geschluckt hatte, doch recht apathisch machten und für einen leichten Schwindel sorgten. Beim Mittagessen hatte Hanako bereits angeboten, Ran statt seiner, gemeinsam mit den Bodyguards, zum Ballett zu begleiten. Seine Nichte hatte dem nicht widersprochen, sodass er das Angebot letztendlich nur zu gerne angenommen hatte. Gegen 15:00 Uhr waren sie abgeholt worden, mit dem Resulat, dass er nun, mit den AIBOs als seine einzige Gesellschaft, alleine zuhause war. Das Handy lag auf dem Nachttisch und er entschied sich, im Studio in Los Angeles anzurufen, um zu hören, was das Pro Tools MIX Plus System machte. Wie sich herausgestellt hatte, war es nur ein kleiner Fehler gewesen, der rasch hatte behoben werden können, sodass nun alles wieder reibungslos ablief. Auch sonst gab es keinerlei Probleme und in seiner Abwesenheit lief alles wie am Schnürchen - etwas, das ihn ein wenig wurmte, da er sich überflüssig vorkam. Nachdem dieser Anruf relativ schnell beendet war und ein Blick auf die Uhr ihm verriet, dass es in Frankreich eine halbwegs zivile Zeit war, entschied er, seinen Freund Pierre-Emmanuel Taittinger anzurufen. Er hatte schon länger nicht mehr mit ihm gesprochen und außerdem konnte er so ein wenig sein Französisch aufpolieren. Zudem würde er ihm sicherlich sagen können, wie die Franzosen zu Bandscheiben sagten. Nach mehrmaligem Klingeln wurde auch abgenommen und eine vertraute Stimme, die das typischen ‚Allô‘ sagte, meldete sich. „Bonjour, c’est Yoshiki. Je te dérange pas?“, begrüßte er ihn und fragte anstandshalber nach, ob er stören würde. Zu Beginn war es etwas schwer in die romanische Sprache hineinzukommen, da er sie schon seit mehreren Wochen nicht mehr wirklich aktiv angewandt hatte, aber relativ schnell hatte er den Dreh wieder heraus und am Ende des Telefonats wusste er auch, was Bandscheiben auf Französisch bedeuteten. "Toll, ich hätte es nur vom Englischen ableiten müssen… idiotisch!" Von den Schmerztabletten und der enormen Konzentration, die er gebraucht hatte, um mit seinem Freund zu telefonieren, geschlaucht, kuschelte er sich in die Kissen, schloss die Augen und grübelte darüber nach, was Pierre-Emmanuel mit der Überraschung gemeint hatte. Erst zwei Wochen später würde er herausfinden, dass er ein Chevalier de l’Ordre des Coteaux de Champagne werden sollte. Darüber nachdenkend schlief er ein und bekam so nicht mit, wie Toshi wiederkam und sich mit dem Ersatzschlüssel, den er hatte, Einlass verschaffte. Über seiner Schulter hing eine grüne Sporttasche und unter den Arm hatte er sich eine Tupperschüssel geklemmt, die er erst einmal im Kühlschrank zwischenlagerte und sich aus eben jenem eine Flasche Wasser mitnahm - Yoshikis Lieblingsmarke: Evian. Die Tasche stellte er auf dem Küchentisch ab und machte sich dann auf die Suche nach den anderen. Er erinnerte sich vage daran, dass Ran heute Abend Ballett hatte - konnte also gut sein, dass sein bester Freund, wenn er sich gut genug fühlte, im Moment gar nicht zuhause war. Er war gerade im Wohnbereich angekommen, als ein Schrei ihn zusammenzucken ließ: "Nein!!!!!!" "Okay, Yosh ist auf jeden Fall da!" Toshi folgte seinen Ohren und erreichte das Schlafzimmer, dessen Tür offen stand. Mit dem Rücken zu eben jener lag der Schlagzeuger auf der Seite zusammengerollt unter der Zudecke und wenn sich der Sänger nicht ganz irrte, so bebten seine Schultern. "Er liegt im Bett…?! Entweder geht es ihm wirklich grauenhaft oder er wird auf seine alten Tage noch vernünftig…" Leise ging er zu dem großen Bett, krabbelte über die freie Hälfte und legte sich dann halb über Yoshikis Oberkörper, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Hey, was ist los?“, fragte er ehrlich besorgt, als er die Tränenspuren sah. „Tosh?!“ Die Überraschung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und rasch wischte er sich schniefend mit den Fingern über die Augen und Wangen. „Alles okay!“ „Du heulst und ich hab dich schreien hören…“ Als er spürte, wie sich der andere unter ihm auf den Rücken drehte, rutschte er von ihm und legte sich neben ihn. „Hab nur nen Scheiß geträumt…“ „Muss ziemlich real gewesen sein“, entgegnete der Sänger und strich über Yoshikis Oberarm. „Albtraum, nichts weiter“, versuchte es der andere herunterzuspielen, während er vor seinem inneren Auge immer noch die Bilder seines Traumes sah. „Worum ging es? Wieder dein Reismonster?“ „Du im Negligé!“ So recht kaufte Toshi ihm das nicht ab, was sein Blick auch nur zu deutlich zeigte, aber er sagte nichts weiter dazu, sondern schwieg, in der Hoffnung, dass der Drummer, der sich einmal wieder an ihn gekuschelt hatte, von selbst erzählte, was ihn in seinen Träumen geängstigt hatte. "… wir haben ein Konzert gegeben… nach der Wiedervereinigung… wir standen alle sechs auf der Bühne… hide war so lebendig… er hat herumgealbert wie immer… wie in alten Zeiten…", erzählte Yoshiki stockend. "Und wir trugen alle Negligés? Ehrlich gesagt, ich glaube, dass Pata das am wenigsten und dir am besten stehen würde…", versuchte Toshi ihn ein wenig zum Lächeln zu bringen, was aber nicht wirklich funktionierte. "… im Publikum war meine Familie", fuhr der andere fort, "… Papa… er hat so stolz ausgesehen… er hat so gestrahlt… und… und… im nächsten Moment waren alle tot! Ihr saht aus, als würdet ihr schlafen… ich habe versucht euch zu wecken, ich habe euch geschüttelt und angeschrien, aber ihr habt nicht reagiert! Und… und dann seid ihr vor meinen Augen zu Staub zerfallen… und ich war wieder alleine…" Der Sänger spürte, wie vereinzelte Tränen das Hemd und die darunter liegende Haut benetzten. Beruhigend strich er über den Rücken und durch die Haare seines Freundes, in der Hoffnung ihm so ein wenig Nähe und Trost Spenden. Wirklich mehr konnte er nicht tun, denn die Verlustängste konnte er ihm nicht nehmen. "… von allen, die mich verlassen haben… bist du der Einzige, der wiedergekommen ist…" "Kunststück, ich bin ja auch nicht tot!" "Warum?" "Hm?" "Warum bist du wiedergekommen?" "Darüber haben wir doch schon so oft gesprochen, Yosh…" "Warum?" "… soll ich dir einmal eine Geschichte erzählen?", fragte Toshi schließlich nach einigem Zögern. "Hmh…" "Es war einmal ein Mann, der vor Jahren glaubte, dass er das Richtige täte, wenn er sein Leben noch einmal von vorne anfangen würde. Er trennte sich von seiner Band und vermied jeden Kontakt, weil er befürchtete, wenn er ihrem Leader noch einmal unter die Augen treten würde, würde er seine Meinung wieder ändern. Als jene Band sich auflöste, fühlte er sich hintergangen, obwohl er schon seit Monaten kein Teil mehr von ihr gewesen war… aber auch wenn er es war, der sich zuerst losgesagt hatte, so war die Band stets sein Leben gewesen. Es kam zum Streit mit dem Leader und lange Zeit gab es keinen Kontakt mehr. Immer wieder hat dieser Mann überlegt, ob er ihn nicht doch einmal anrufen sollte, schließlich waren sie früher einmal beste Freunde gewesen, aber er fürchtete, dass der andere nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, weshalb er schwieg. Er hat jedoch die Schritte des anderen über die Medien verfolgt und er war so furchtbar stolz auf ihn, als er vor dem Kaiser auftrat. Ihm sind Tränen über die Wangen geronnen, als sein Freund das erste Mal seit der Trennung Endless Rain vor großem Publikum spielte und die Leute ohne Aufforderung die Lyrics sangen. Und jener Mann saß wie ein Honigkuchenpferd grinsend vor dem Fernseher, als sein ehemaliger Leader die Expo eröffnete und dieses riesige Orchester mit dem Kinderchor dirigierte… Aber er sah auch, dass die Ereignisse ihre Spuren bei ihm hinterlassen hatten – er erschien ihm fast menschenscheu, sein Lächeln war gefaked und wenn seine Augen einmal nicht hinter einer Sonnenbrille versteckte waren, so waren sie leer und verloren… Nach fast 10 Jahren sah er sich das erste Mal alte Aufnahmen der Band an und er spürte, dass ihm in all der Zeit, obwohl er stets geglaubt hatte, glücklich zu sein, eines immer gefehlt hatte… sein bester Freund… also nahm er eines Abends allen Mut zusammen und wählte seine Nummer…“ „Ich kenne eine ähnliche Geschichte“, sagte Yoshiki schließlich leise seufzend und schloss die Augen. „Erzählst du sie mir?“ "Vor vielen Jahren gab es einmal einen Mann, der seinen besten Freund gehen ließ. Kurz darauf kam es zum Streit zwischen ihnen und er hätte ihn am liebsten grün und blau geprügelt. Am Ende tat er es nicht, weil er ihm nicht absichtlich weh tun konnte… … er erinnerte sich an ein Zitat, das er irgendwann einmal gelesen hatte: ‚Zu lieben heißt auch loslassen zu können.‘ Dieser Mann hat den Lebenswandel seines Freundes nie so recht verstanden und auch wenn er schon bald keine wirklich bösen Gefühle mehr gegen ihn hegte, so wagte er es nicht, ihn noch einmal auf den Streit anzusprechen… Er fürchtete dessen Ablehnung und verkroch sich stattdessen in den Staaten. Erst bei der Beerdigung eines gemeinsamen Freundes trafen sich die beiden nach langer Zeit wieder. Der Mann war völlig durch den Wind und er hätte alles dafür gegeben, ihn an seiner Seite zu haben, als er den Starken mimen musste, während er von allen der Schwächste war, aber sein Stolz verbot es ihm… … … so trennten sich ihre Wege wieder und jener Mann floh zurück in die USA. Ich verkroch mich in meiner Villa, wurde depressiv und versuchte mich umzubringen, obwohl ich noch Tage zuvor die Fans gebeten hatte, genau das nicht zu tun.“ Unbewusst war Yoshiki von der dritten Person in die erste verfallen. „Ich verweigerte jegliches Essen, ich saß mit einer Rasierklinge über der Hauptschlagader da… … aber ich brachte es nicht fertig, tief genug zu schneiden. Ich hatte mir die Mündung einer Waffe an die Schläfe gehalten… … aber ich war zu feige den Abzug zu drücken.“ Erst jetzt bemerkte er den Wechsel und ging rasch wieder zur dritten Person über: „Allmählich verstrich die Zeit und irgendwie schaffte jener Mann es wieder halbwegs die Kurve zu kratzen. Er vergrub sich in die Arbeit, weil er so den Schmerz betäuben und die Todesfantasien, die er hatte, sich aber nicht traute sie umzusetzen, wenigstens in der Musik ausleben konnte. Schließlich wagte er sich zurück auf die Bühne, weil dies die wenigen Momente waren, in denen er sich noch lebendig fühlte…. …. die Jahre zogen ins Land und über seine Kontakte in Japan hielt er sich über seinen besten Freund auf dem Laufenden, aber er wagte es nicht, ihn anzurufen. Jedes Jahr, um seinen Geburtstag herum, schickte er ihm eine Karte, genauso wie er, an seinem Geburtstag stets eine Karte seines Freundes erhielt. Eines Tages, als er in seinem Büro war, erhielt er von genau jenem einen Anruf… wie einst Dornröschen durch den Kuss ihres Prinzen, so schien er dadurch aus einem jahrelangen Schlaf zu erwachen…" „Ach Yosh…“ Seufzend wuschelte Toshi durch die gebleichten Haare und drückte ihn an sich. „Ich bin froh, dass du zu feige warst, es zu tun…!“ Der Schlagzeuger selbst schwieg dazu, da er generell über jenen Lebensabschnitt nicht redete, weil er nicht sonderlich stolz darauf war. Stattdessen genoss er lieber die Streicheleinheiten und die Wärme seines besten Freundes und musste aufpassen, dass er nicht wieder einfach einschlief. Pata hatte vor Jahren einmal gemeint, dass er schlimmer als seine Katzen, Kotaro und Kotetsu, war, wenn sie gemeinsam ihre Schmuseeinheiten einforderten. "Was macht eigentlich dein Rücken?" "Besser… zumindest strahlt es nicht mehr bis in die Beine aus… aber die ganzen Schmerztabletten machen mich schwindlig und schläfrig…" "Dann solltest du schlafen - sobald du wieder grünes Licht hast, tust du es eh nicht mehr." "Ich habe vorhin schon geschlafen… wie lief eigentlich dein Termin?" "Gut, Kaori war auch da… Sie hat mir ein paar meiner Sachen mitgebracht, für den Fall, dass ich längerfristig bei dir einziehe.“ „Tut mir Leid, dass ich dich so in Beschlag nehme!“ „Lass mal gut sein. Sie hat mir für dich auch was mitgegeben – steht im Kühlschrank!“ Hätte er keine Rückenprobleme, so wäre Yoshiki blitzschnell aufgesprungen und in die Küche gerannt, so krabbelte er jedoch mühsam aus dem Bett und tapste im Zeitlupentempo, sich immer an der Wand abstützend, in Richtung Kühlschrank. Toshi blieb im Bett liegen, vermutete aber, als er ein entzücktes Quietschen hörte, dass der andere die Schüssel gefunden hatte. Kurz darauf war er mit eben jener und zwei Löffeln wieder da und setzte sich neben den Sänger. "Ich liebe deine Frau!", erklärte der Pianist und machte sich strahlend über die riesige Portion an Pudding her. Toshi schüttelte nur belustigt den Kopf und naschte ab und an mit, überließ aber den Großteil dem anderen, der darüber herfiel, als hätte er seit Tagen nichts Richtiges mehr gegessen. Okay, wenn er sich die Sachen, die irgendwelche Assistenten täglich vorbei brachten, so ansah, dann war das auch kein Wunder. Er würde davon zumindest nicht satt werden! "Warum hast du mich damals eigentlich gehen lassen?" Die Frage kam unvermittelt, sodass Yoshiki in seiner momentanen Bewegung erst einmal innehielt und dann den Löffel in die Tupperschüssel rutschen ließ. Anstatt zu antworten drehte er sich vorsichtig zum Nachttisch, öffnete die oberste Schublade und holte ein zusammengefaltetes Blatt heraus, das er Toshi reichte. "Ich habe es in deinen Augen gesehen… du hattest deine Entscheidung getroffen und nichts, was ich hätte sagen können, hätte einen Unterschied gemacht…" Gedanklich bei den Ereignissen von vor so vielen Jahren faltete der Sänger neugierig das Papier auseinander und fand ein Gedicht vor, dass auf Englisch geschrieben war. "Mein Psychologe in LA hat es mir vor Jahren einmal gegeben…", erklärte der Pianist und machte sich wieder über den Pudding her, während der andere begann die Zeilen zu lesen. Immer wieder waren welche markiert und er vermutete, dass dies Yoshikis Werk war. „Letting Go To ‘let go’ does not mean to stop caring; it Means I can’t do it for someone else. To ‘let go’ is not to cut myself off; it’s the Realization I can’t control another. To ‘let go’ is not enable, but to allow Learning from natural consequences. To ‘let go’ is to admit powerlessness, which Means the outcome is not in my hands. To ‘let go’ is not to try to change or blame Another, it’s to make the most of myself. To ‘let go’ is not to care for, but to care about. To ‘let go’ is not to fix, but to be supportive. To ‘let go’ is not to judge, but to allow another To be a human being. To ‘let go’ is not to be in the middle, arranging All the outcomes, but to allow others to affect Their own destinies. To ‘let go’ is not to be protective, it’s to permit Another to face reality. To ‘let go’ is not to deny, but to accept. To ‘let go’ is not to nag, scold, or argue, but Instead to search out my own shortcomings And correct them. To ‘let go’ is not to adjust everything to my Desires, but to take each day as it comes and Cherish myself in it. To ‘let go’ is not to regret the past, but to Grow and live for the future. To ‘let go’ is to fear less and love more (1)”, las Toshi die Worte leise vor, musste immer wieder mit seiner Stimme kämpfen, die ihm zu versagen drohte, da ihm unwillkürlich die Tränen kamen und blickte ab und an kurz zu Yoshiki, der im Schneidersitz neben ihm saß und die Schüssel zwischen seinen Beinen hatte. „Ich hab keine Ahnung, wie oft ich es in den Jahren unserer Trennung gelesen habe…“, äußerte der Größere leise und lehnte sich an ihn. Der Sänger wollte gerade etwas erwidern und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als Ran vom Ballett zurückkam und direkt ins Schlafzimmer gerannt kam. "Ich bin wieder da!" Damit sprang sie auf das Bett und umarmte erst ihren Onkel und dann dessen Freund, der irgendein Blatt Papier zusammenfaltete und an Yoshiki zurückgab, der es wegpackte. Lächelnd hörten die beiden zu, wie sie ohne Punkt und Komma vom Ballettunterricht erzählte und schließlich mit der Frage endete, was es denn zum Abendessen gäbe. Irgendwann in ihren Erzählungen war herausgekommen, dass Hanako und die Bodyguards bereits nach Hause gegangen waren, sodass es nur noch zwei Personen gab, die als Köche übrig blieben. "Wenn ich koche, dann gibt es entweder Instantnudeln oder Lieferservice und wenn Toshi kocht, dann wird es wohl etwas Anspruchsvolleres geben…" "Ich koche", beschloss der Sänger und war auch schon aufgestanden, um in die Küche zu gehen und dort nachzusehen, was überhaupt alles vorrätig war. Ran folgte mit Yoshiki, wenn auch deutlich langsamer. Er nahm gleich noch die Tupperschüssel mit, die inzwischen leer war. "Was hältst du von Spaghetti à la Toshi, Ran?" "Was ist das?", antwortete sie mit einer Gegenfrage und setzte sich auf einen der Rattanstühle. "Eine Abwandlung von Spaghetti Bolognese - allerdings ohne Spaghetti, ohne Tomatensoße und ohne Hackfleisch." "Okay", stimmte das Mädchen dem Essensvorschlag zu, auch wenn sie sich nicht wirklich etwas darunter vorstellen konnte. "Seit wann bist du eigentlich weiblich, Toshi?", wollte Yoshiki grinsend wissen, der sich zu seiner Nichte gesetzt hatte, nachdem er die Schüssel in die Spüle getan hatte. "Hä?" "‘Spaghetti à la Toshi‘ – das ‚la‘ macht das nachfolgende Nomen weiblich, also dich. Richtig wäre ‚Spaghetti au Toshi‘… wenn man einfach einmal streng genommen nach der französischen Grammatik geht!" "Sprachnazi", war die einzige Antwort des Sängers darauf, der sich um das Abendessen kümmerte, das eher die japanische Variante des italienischen Nationalgerichtes wurde. "Soll ich dein Essen auch aufwärmen?" "Lass mal, der Pudding genügt mir…" "Warum gibst du überhaupt Geld dafür aus, wenn du am Ende eh alles wegschmeißt?" "Für schlechte Zeiten, wenn mich niemand bekocht!" "Darf ich noch etwas Klavier spielen, Yoyo??", meldete sich Ran wieder zu Wort und sah ihren Onkel aus großen Augen bittend an. "Ja, lass uns noch etwas üben, bis Chefkoch Toshi fertig ist", stimmte er ihr zu und setzte sich mit ihr an den Flügel. Erneut ging er mit ihr, wie schon vor ein paar Tagen, die C-Dur-Tonleiter durch und war erstaunt, wie gut sie sich noch daran erinnerte. Da dies so gut mit der rechten Hand schon klappte, zeigte er ihr, wie es mit der linken Hand funktionierte. Die Fingerbewegungen waren praktisch dieselben, nur anders herum, sodass sie auch das schnell heraus hatte. Schwieriger wurde es dann schon, als beide Hände gemeinsam spielen sollten, ihre Finger aber unterschiedliche Bewegungen machen mussten. Als es nach mehreren Versuchen immer noch nicht so klappte wie es sollte, schlug sie frustriert mit den Handflächen auf die Klaviatur, sodass zahlreiche Dissonanzen durch das Haus schallten. "Das klappt nicht!" "Das klappt schon, aber es braucht einfach etwas Zeit, bis dein Gehirn gelernt hat, dass deine beiden Hände unterschiedliche Sachen machen." "Hast du das auch lernen müssen?" "Ja, hab ich", antwortete Yoshiki lächelnd und strich ihr durch die Haare, "probier es noch ein paarmal - ganz langsam - und wenn du es einmal geschafft hast, dann spielen wir noch ein wenig so, wie das letzte Mal." Mit dieser Belohnung in Aussicht machte sich Ran mit neuem Eifer an die Sache und schaffte es schließlich auch einmal beidhändig, eine Tonleiter hoch und runter zu spielen. Ihr Tempo lag zwar nur bei geschätzten 30 bpm, aber schließlich hat jeder einmal klein angefangen. "Damit hast du dir deine Belohnung verdient! Du spielst mit der linken Hand die C-Dur-Tonleiter und ich improvisieren wieder ein wenig, okay?!" Die Fünfjährige nickte begeistert und begann zu spielen, während Yoshiki scheinbar wahllose Tasten anschlug. Seine Sehnen schmerzten dabei, aber dies ignorierte er, da es einfach gut tat, die kühle Klaviatur unter seinen Fingerspitzen zu spüren. Viel zu schnell mussten sie ihr gemeinsames Spiel jedoch unterbrechen, da Toshi das Essen fertig hatte. Während Ran schon am Tisch Platz genommen und zu essen angefangen hatte, saß der Pianist noch am Flügel und überlegte, ob er ihr folgen oder sich aber über das Verbot hinwegsetzen sollte. Am Ende entschied er sich für Letzteres und begann jenen Song zu spielen, den er seit dem Tag im Kopf hatte, als Kouki und Chika Ran bei ihm abgesetzt hatten. Die wenigen freien Momente, die er gehabt hatte, hatte er genutzt um ihn fertig aufzuschreiben, aber das Notenblatt brauchte er nicht, da er einfach nur die Augen schließen musste und seine Finger automatisch die richtigen Tasten fanden. Die Melodie, die durch das Haus getragen wurde, hatte etwas Melancholisches und Schweres, aber gleichzeitig auch etwas Unbeschwertes und Verspieltes an sich. Moll und Dur wechselten sich fließend ab und schwere Grundtöne in der linken Hand wurden von hellen, klaren Trillern und Vorschlägen in der Rechten aufgelockert. Während er spielte, wünschte er sich nur, er hätte zuvor die Schienen ausgezogen, da sie die Bewegungsfreiheit der Handgelenke stark einschränkten und das Spielen dadurch schwieriger gestalteten. Als der Schlussakkord verklungen war, schüttelte er erst einmal die Hände aus und stand dann auf, um Toshi und Ran noch etwas Gesellschaft beim Essen zu leisten. Er setzte sich auf den freien Stuhl neben seinen besten Freund und rechnete bereits mit einer Standpauke, weil er den Rat der Ärzte nicht einhielt. Doch nichts dergleichen kam - stattdessen fragte ihn Toshi nur, für welches Projekt der Song gedacht war. "Ich bin mir noch nicht sicher…", antwortete Yoshiki und stibitzte sich mit den Fingern ein paar Nudeln vom Teller des anderen. Nach dem Essen brachte er seine Nichte ins Bett und erzählte ihr die obligatorische Gute-Nacht-Geschichte; dazu dichtete er einfach das Musikvideo von ‚Celebration‘ ein wenig um, da ihm auf die Schnelle nichts anderes eingefallen war. Keine zwei Stunden später machten sich auch die beiden Freunde fürs Bett fertig - hauptsächlich weil der Schlagzeuger aufgrund der ganzen Schmerztabletten kaum die Augen offen halten konnte und Toshi sowieso jemand war, der lieber zu ‚normalen‘ Zeiten schlafen ging. Doch wie so häufig war Yoshikis Müdigkeit verflogen, sobald er im Bett lag und das Licht gelöscht war. Auch wenn es weh tat, so wälzte er sich unruhig hin und her, in der Hoffnung irgendwann doch noch einmal eine Position zu finden, in der er vielleicht einschlafen konnte. "Yosh, könntest du bittet damit aufhören?! Da kann man nicht schlafen…", meldete sich der Sänger irgendwann leicht grummelig zu Wort. "‘Tschuldigung", murmelte der Pianist, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. "Ein verkauftes Album, zwei verkaufte Alben, drei verkaufte Alben, vier verkaufte Alben, fünf verkaufte Alben, sechs verkaufte Alben…" "Yoshiki, kannst du bitte aufhören zu denken!" "Soll ich auch noch aufhören zu atmen?" "Komm einfach her, du Schlaflosigkeit in Person", entgegnete Toshi seufzend und zog leicht am Arm des anderen, der der Aufforderung auch sofort nachkam. "Weißt du, was das Gute daran ist, dass du zugenommen hast?", fragte Yoshiki und piekte in den Bauch seines besten Freundes, der nur den Kopf schüttelte. "Du bist noch bequemer als früher… ich glaube, ich hätte gestern nur auf dir liegen dürfen… Pata ist so knochig, da ist es kein Wunder, dass mein Rücken darunter litt!" "Wie geht es dem eigentlich?" "Pata?" "Deinem Rücken…!" "Ich merke, dass ich einen habe, aber es ist nichts im Vergleich zu heute Früh…", antwortete der Schlagzeuger und nestelte etwas an der Halskrause herum, die ihn störte, die er aber nicht abnehmen sollte, beziehungsweise durfte. Als es zumindest wieder halbwegs angenehm war, legte er seinen Kopf erneut auf die Brust seines besten Freundes. "Warum hast du eigentlich nichts gesagt, als ich heute Abend gespielt habe?" Von Toshi kam zuerst nur ein Seufzen und ein leises Ächzen, ehe er einen Vers aus dem Gedicht zitierte, dass ihm Yoshiki heute Nachmittag gezeigt hatte: "To ‘let go’ is not to judge, but to allow another to be a human being… am Montag ist es doch nur so weit gekommen, weil du dich an das gehalten hast, was alle gesagt haben, obwohl es dich innerlich verrückt gemacht hat. Ich dachte mir, solange du es nicht übertreibst, lasse ich dich einfach spielen…" Ob dieser Antwort schlich sich ein Lächeln die Züge des Drummers. Der andere kannte ihn schlichtweg zu gut! Wahrscheinlich war es einfach so, wenn man fast sein gesamtes Leben miteinander verbracht hatte. "Danke, Tosh!" Dieser brummte nur etwas darauf und Yoshiki vermutete, dass er der einzige Grund war, weshalb der andere noch nicht ganz eingeschlafen war. "Du solltest morgen zurück zu Kaori gehen... "Sie versteht es, dass - ", kam sofort der erwartete Einspruch, der aber bereits im Keim erstickt wurde. "Ich möchte es, Toshi. Du bist so schon ständig auf Promotour unterwegs und hast kaum Zeit für sie und wenn wir weiter touren, dann nehm ich dich auch noch in Beschlag… du solltest die wenig freie Zeit mit deiner Frau und nicht mit mir verbringen – außerdem lässt sie dich wenigstens schlafen und hält dich nicht die ganze Nacht über wach!" "Es ist kein Problem -" "Ich komm alleine klar, Tosh. Es hat mir geholfen, dass du die letzten Tage da warst, aber jetzt sollte der Ehemann wieder vor dem besten Freunde kommen." Manchmal war er eifersüchtig auf Kaori, - das konnte er nicht leugnen - weil sie jetzt die Nummer eins war und nicht mehr er, so wie früher, aber im Grunde seines Herzens schätzte er sie, da sie für Toshi da gewesen war, als er es nicht mehr gekonnt hatte. „Idiot, ihr bedeutet mir beide gleich viel!“, entgegnete der Sänger und drückte Yoshiki an sich, der aufseufzte. „Binde dir eine pinke Schleife um den Hals, wenn du zurück gehst und sag ihr, das ist mein Dankeschön für den leckeren Pudding.“ „Mach ich, unter der Voraussetzung, dass ich mir sicher sein kann, dass, wenn ich morgen gehe, mich Ran keine fünf Stunden später wieder anruft…“, gab sich der Kleinere geschlagen und schloss die Augen, in der Hoffnung, diese Nacht vielleicht doch noch ein paar Stunden Schlaf abzubekommen. „Schlaf gut… … Erdbeertörtchen!“ „Trottel!“ Selbst mit geschlossenen Lidern fand Toshis Hand Yoshikis Hinterkopf, um ihm einen Klaps zu verpassen. Irgendwie musste er ihm diese Spitznamen wieder austreiben… „Gute Nacht, Tosh!“ „Gute Nacht, Yosh!... sollen wir hide auch noch eine gute Nacht wünschen?“ „Gute Nacht, hide!“, sagten beide gleichzeitig, nachdem der Drummer leicht genickt hatte. „Gute Nacht, Papa“, fügte er dann noch leise hinzu, schloss anschließend die Augen und lauschte dem Herzschlag seines besten Freunden, der bereits am Weggedämmern war, und der ihn irgendwann einlullte, sodass er schließlich auch in einen traumlosen Schlaf fiel. ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch eine Anmerkung und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Letting Go – Autor unbekannt Ich bin durch Zufall über das Gedicht gestolpert, als ich mit diesem Kapitel angefangen hatte und irgendwie passte es einfach gut rein… zuerst hatte ich geplant, ein paar Stellen fett hervorzuheben (Yoshikis markierte Stellen), ließ es dann aber bleiben, da ich mir dachte, dass es interessant wäre, dies eurer Fantasie zu überlassen. Meine Frage an euch ist also: Was glaubt ihr, welche Stellen würde er markieren?? In diesem Sinne wünsche ich euch ein schönes und erholsames 1. Adventswochenende! Tag 7 – Donnerstag: Back To Business ------------------------------------ @ Terra-gamy: Dank! Ich hab getan, was ich konnte, damit das Kapitel trotz allem lesenswert ist und den anderen an Länge nichts nachsteht^^; @ JaeKang: Danke! Ich hab mein Möglichstes getan, um euch trotz 10 Seiten plus nicht zum Einschlafen zu bringen ^.~ @ Kaoru: *nick* Ich denke die anderen dürften alle mehr oder weniger gleich schräg im Negligée aussehen (obwohl… Heath… mhm…). Aber ja, Toshi und Pata definitiv! Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! Als kleines Weihnachtsgeschenk, mischen heute die Chaoten von S.K.I.N. und ein Überraschungsgast das Kapitel ein wenig auf. ~*~*~*~*~* Ich bin bereits X JAPANs Leader, also will ich nicht dieselbe Position bei S.K.I.N. Alle Bandmitglieder wollen die Führungsrollte übernehmen, aber ich versuche, nur das vierte Mitglied zu sein. YOSHIKI – Bangkok Post, 15. Oktober 2008 Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, Yoshikis Physiotherapeutin war noch nicht da, verabschiedete sich Toshi, da es dem Schlagzeuger deutlich besser ging als gestern. Er hatte gerade seine Sachen im Kofferraum verstaut, als sein bester Freund ihn bat, kurz zu warten, und im Haus verschwand. "Wenn irgendetwas mit ihm ist, dann ruf mich an, Ran, okay?!", bat er die Fünfjährige und hob sie hoch. Sie versprach es nickend hoch und heilig und strahlte ihn an, als gleich darauf auch das Gesprächsthema schon wieder zurückkam - mit einer pinken Geschenkschleife in der Hand. "Das ist nicht dein Ernst!", äußerte Toshi leicht entsetzt und setzte das Mädchen wieder ab. "Ich muss Kaoris Geschenk doch verpacken!", entgegnete Yoshiki schelmisch grinsend und band die Ponypartie des anderen mit der Schleife zusammen. "Ich sehe garantiert wie eines dieser aufgetakelten Schoßhündchen von diesen Möchtegerncelebrities aus...", seufzte der Sänger, woraufhin der Jüngere nur meinte, dass er ihn so glatt zum nächsten Treffen mit Paris Hilton mitnehmen und er sich dann derweil wunderbar mit Tinkerbell und Co. amüsieren könnte. "Vergiss es!" "Solange du die Schleife für Kaori dran lässt!", willigte der andere ein und zog ihn in eine enge Umarmung. "Pass auf dich auf und übertreib es nicht…" "Mach ich… und danke, dass du da warst", nuschelte er in die Halsbeuge des Älteren und drückte ihn an sich. "Jederzeit wieder…", erwiderte er und hob ihn kurz leicht hoch. Die beiden trennten sich wieder und Toshi wuschelte noch einmal durch die blonden Haare, ehe er in sein Auto stieg und davon fuhr. Yoshiki und Ran winkten ihm hinterher und gingen dann zurück in die Villa. Kurz darauf war es Zeit für die Krankengymnastik, die heute auch wieder deutlich besser ging. Während der Pianist die Übungen machte, faltete seine Nichte weiter Kraniche und es würde ihn nicht wundern, wenn sie bis zur Rückkehr ihrer Eltern tatsächlich die 1000 schaffen würde. Später beim Mittagessen warf der Pianist einen kurzen Blick auf sein Handy und sah, dass er eine E-Mail von Toshis Frau erhalten hatte, die sich für das Geschenk, das sie auch gleich ausgepackt hatte, bedankte. ‚Will ich wissen, wie weit du es ausgepackt?‘, schrieb er grinsend zurück und hatte kurz darauf eine Antwort in seinem Postfach, die zwar von Kaoris Mobiltelefon kam, aber dem Schreibstil nach definitiv von Toshi stammte. ‚Nein, willst du nicht! Es gibt Dinge, die gehen dich nichts an…‘ Kopfschüttelnd beließ er es dabei, beschloss aber, seinen besten Freund bei nächster Gelegenheit noch einmal darauf anzusprechen. Nicht, dass er es unbedingt wissen musste, aber es machte Spaß, ihn aufzuziehen und in Verlegenheit zu bringen. Nach dem Mittagessen kamen Dan und Takumi, um Ran abzuholen und zu ihrer Freundin zu fahren, wo sie den Nachmittag über verbringen würde, während Yoshiki im Hauptgebäude von Extasy Records bei einem Meeting mit S.K.I.N. wäre. Er selbst wurde wenig später von zwei weiteren Bodyguards eingesammelt. Kaum das er in den Van gestiegen war, wurde er auch schon von seinem Manager begrüßt – jemanden mit dem er nicht gerechnet hatte. Hatte er etwas angestellt? Nicht das er sich entsinnen konnte… außer dem Zoobesuch natürlich. Gab es deswegen noch Konsequenzen? Oder würde ihn Yagehara etwa tatsächlich zum Psychologen schleppen, weil er am Montag so ausgerastet war? Er hoffte es nicht… Kouki hatte schließlich gesagt, dass sich das Meeting nicht verschieben ließe und außerdem hatte er sich bei seinem Manager auch lang und breit entschuldigt. Zudem war es ja nicht so, dass er ihn geschlagen hatte – letztendlich war nur die Wand zu Schaden gekommen und an der war auch nichts mehr zu sehen, weil Toshi sie geputzt und dann einfach überstrichen hatte. Gut, dass der Sänger in solchen Sachen praktisch veranlagt war, so hatte er sich die Maler sparen können. Aber was konnte Yagehara dann nur wollen? Etwa Arbeit? Gab es bereits Neuigkeiten wegen der Hallen? Oder war irgendetwas passiert? Waren am Ende ROCKST★R (1) oder Sanrio (2) als Sponsoren ausgestiegen? Er hoffte es nicht, denn ansonsten konnten sie die Welttournee an den Nagel hängen, da die Kosten einfach nicht zu tragen wären, da es hierbei um Unsummen ging. Aufgrund der momentanen Weltwirtschaftskrise wäre es natürlich nachvollziehbar, schließlich musste auch Gackt erst ein Konzert in Korea absagen, weil sich ein Sponsor wegen der Rezession zurückgezogen hatte, aber er hoffte inständig, dass das nicht der Fall war. „Vielleicht ist er auch nur da, weil er mich so lieb hat und sehen wollte, wie es mir geht… klar, träum weiter, Yoshiki! Oder er brauchte eine Mitfahrgelegenheit… oder Sugizo hat ihn auch schon wegen Umweltschutz vollgeschwatzt und wir machen jetzt alle Fahrgemeinschaften…“ "Was verschafft mir Ihre Ehre?", entgegnete Yoshiki und schnallte sich an. "Es geht um die Zoogeschichte…", fing er an und legte dann erst einmal eine Kunstpause ein, in der sein Schützling mit seinen Haaren herum spielte. "Ich denke, wir sind auf der sicheren Seite, wenn ich sage, dass die ganze Sache ausgestanden zu sein scheint." "Ja?!" Das nannte er doch einmal gute Nachrichten. "Wir können natürlich kaum beeinflussen, was jede einzelne Privatperson, die eventuell ein Foto geschossen hat, damit im Privaten macht, aber zumindest was die Medien anbelangt, können wir uns entspannt zurücklehnen. Sie und Ihre Nichte werden uns so schnell nicht von diversen Covern entgegen lächeln." "Das ist beruhigend zu hören", äußerte der Schlagzeuger und rückte seine Sonnenbrille zurecht. Rans Privatsphäre war gesichert, das war alles was zählte. "Ich möchte, dass Sie wissen, dass die ganze Angelegenheit nicht ganz günstig war - es wäre also schön, wenn Sie von dergleichen Aktion in Zukunft etwas Abstand nehmen könnten." "Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe…" "Das ist noch milde ausgedrückt…" "Es tut mir Leid, auch die Sache vom Montag… es wird nicht wieder vorkommen!" Manchmal war das Leben schon seltsam - er, der in der Schule gegen so ziemlich alles rebelliert hatte, wogegen man nur rebellieren konnte, beugte sich nun brav dem Willen des Managements. Wahrscheinlich war das der Preis für den Lebensstil, den er führte und wenn er ehrlich sein sollte, er bereute es noch nicht einmal wirklich, denn die meiste Zeit spürte er es nicht. Wenn man sich tagelang im Studio einsperrte, um an Songs zu arbeiten, dann war es egal, ob man zwei oder mehr Bodyguards brauchte, wenn man einen Schritt nach draußen machen wollte oder dass jeder Ausflug bis ins kleinste Detail geplant und abgesegnet werden musste. Solange er Musik machen und ein Lächeln auf die Gesichter der Fans zaubern konnte, war er glücklich. "Vergessen wir es und blicken in die Zukunft", wiegelte Yagehara es lächelnd ab und drückte kurz, in einer freundschaftlichen Geste, die Schulter des anderen. Er kannte den Musiker lange genug, hatte zugesehen, wie aus dem jungen, hitzköpfigen Drummer, der in so viele Schlägereien verwickelt gewesen war, ein reservierter Geschäftsmann wurde, den man so schnell nicht über den Tisch zog, um zu wissen, dass tief in ihm drinnen immer noch der Rebell war. Manch einer würde wohl versuchen, ihn zu brechen, aber er war klug genug, um zu wissen, dass dies sprichwörtlich ein Kampf auf Leben und Tod werden würde. Es war gut, dass Yoshiki über die Zeit gelernt hatte, gewisse Dinge dem Management zu überlassen und das zu tun, was ihm angeraten wurde, andererseits beruhigte es Yagehara, dass in dem Jüngeren noch immer das Feuer von früher brannte - es unterschied ihn von den vielen Eintagsfliegen, die es auf dem Markt gab, die nur willenlose Schoßhündchen von ihren Managern waren. "Danke… wie sieht eigentlich der Plan für nächste Woche aus?" "Ich werde ihn Ihnen am Samstag, spätestens am Sonntag zukommen lassen, da ein paar Dinge noch bestätigt werden müssen. Aber alles in allem wird es eine sehr arbeitsreiche Woche für Sie werden. Fühlen Sie sich dem gewachsen?" "Ich bin noch nicht wieder auf 100 %, aber noch eine Woche zuhause oder im Krankenhaus würde ich nicht aushalten. Mich juckt es in den Fingern, wieder los zulegen!" "Übertreiben Sie es nicht - das Wichtigste ist, dass wir das mit ihrem Asthma unter Kontrolle bekommen und ihr Rücken und ihre Hände zur Ruhe kommen." Kurz darauf kamen sie am Ebisu Prime Square Tower an und fuhren aus der Tiefgarage in den 11. Stock hoch, wo sich die Räumlichkeiten von Extasy Records und der Japan Music Agency, Yoshikis Management, befanden. Kaum hatte er den Empfangsbereich betreten, hielt er kurz inne und atmete tief durch - es tat gut wieder hier zu sein. So sehr er die Zeit mit seiner Nichte auch genoss, dass hier hatte ihm gefehlt. Während Yagehara direkt in sein eigenes Büro verschwand und sich die Bodyguards scheinbar in Luft aufgelöst hatten – wie sie das taten, hatte er in all den Jahren noch nicht herausgefunden und auch Dan schwieg beharrlich darüber - führte ihn sein erster Weg zu seiner Chefsekretärin, die er bat, ihm alles Wichtige, das in der Zeit seiner Abwesenheit passiert war, auf einen USB-Stick zu laden und ihm zukommen zu lassen. Sie versprach, es sofort zu erledigen und ihn ihm dann gemeinsam mit dem bestellten Kaffee zu bringen. Er wollte schon in Richtung Konferenzraum gehen, in dem bereits Gackt, Sugizo und Miyavi waren, wie ihm mitgeteilt worden war, als sie ihn mit einem ‚Chef?!‘ zurückhielt und unter dem Tresen einen Teller mit Schokoladenstückchen hervorzauberte. Seine Gesichtszüge erhellten sich und nur zu gerne bediente er sich. "Sie kennen mich einfach zu gut, Naomi!" Er schenkte ihr ein Lächeln, mit dem ihm auch die Fans, egal ob männlich oder weiblich, scharenweise zu Füßen lagen und obwohl sie schon seit einigen Jahren für ihn arbeitete, errötete sie trotz allem, senkte verlegen den Kopf und machte sich dann an ihre Arbeit, während Yoshiki in das Meeting ging. Kaum war er eingetreten und hatte eine Begrüßung über die Lippen gebracht, hatte er auch schon Miyavi am Hals hängen, der ihn durchknuddelte, als hätten sie sich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen - ein paar Wochen kamen dem Ganzen da schon näher. "Miyavi, ich kriege keine Luft mehr", versuchte sich Yoshiki aus der Bärenumarmung zu befreien. "Hast du einen Asthmaanfall?" Sofort ließ der Jüngste von ihnen ihn los und drückte ihn auf den nächsten Sessel. "Setz dich hin und versuche ruhig und gleichmäßig zu atmen! Wo hast du deinen Inhalator?" Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte er sich auch schon den Aktenkoffer des Ältesten vorgenommen, den er dabei hatte, und wühlte darin nach dem lebensrettenden Gerät. "Miyavi, mir geht es wunderbar! Woher weißt du eigentlich schon wieder von der Asthmageschichte?" "Du hast keinen…?" Mit einem Blick aus Verwirrtheit und Erleichterung blickte der Solokünstler von seinem Platz auf dem Boden hoch. "Deine Begrüßung wird nur etwas zu stürmisch gewesen sein", äußerte Sugizo kopfschüttelnd. "Oh… ‘Tschuldigung!" Damit schloss er den Aktenkoffer wieder und gab ihn an Yoshiki zurück, der sich erhob und zu seinem Stammplatz am Kopfende des Konferenztisches ging, wo er sich niederließ. "Ich schlage vor, wir beginnen mit dem Meeting, da wir nicht viel Zeit übrig haben." Die drei anderen hatten auch gerade Platz genommen, als es an der Tür klopfte und gleich darauf Naomi mit dem Kaffee und dem USB-Stick herein kam. Der Drummer nahm es nur mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis und blickte erst dann verwundert zu ihr, als er neben der Kaffeetasse einen Teller mit einem Schokotörtchen erblickte. "Eine kleine Aufmerksamkeit der Belegschaft, dass Sie wieder da sind", erklärte die Chefsekretärin mit einem Lächeln und einer Verbeugung. "Vielen Dank, sagen Sie das auch den anderen", bat Yoshiki sie und im nächsten Moment war sie dann auch schon wieder leiser verschwunden, während er sich mit einem Grinsen über den kleinen Kuchen hermachte. Wenn sein Ernährungsberater wüsste, wie er sich in den letzten Tagen ernährt hatte… aber er musste es schließlich nicht wissen! Wie hieß es so schön? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß! "Du hast dir deine Leute gut erzogen", bemerkte Gackt mit einem Schmunzeln und nippte an seinem eigenen Kaffee, den er vorhin schon bekommen hatte. "Alles eine Frage der Zeit...“ Sie begannen über die Zukunft ihrer gemeinsamen Band zu sprechen, die sich wie immer als sehr schwierig gestaltete, da sie alle mit anderen Projekten bereits mehr als beschäftigt waren. Zudem brauchten sie noch immer einen festen Bassisten, hatten bisher aber noch keinen gefunden, auf den sich alle einigen konnten. Als Miyavi ihnen einen Song vorstellte, den er geschrieben hatte, brachen die üblichen Diskussionen aus, da natürlich jeder immer irgendetwas auszusetzen hatte. Erstaunlicherweise endete es diesmal nicht damit, dass das Treffen vorzeitig abgebrochen wurde, weil Gackt wutentbrannt hinausstürmte. Zu wirklichen Ergebnissen kamen sie jedoch auch nicht, da der Jüngste im Bunde irgendwann vorschlug, dass sie doch einmal wieder etwas gemeinsam unternehmen könnten, da sie sich schon so lange nicht mehr gesehen hatten. "Wie wäre es mit einem DVD-Abend? Da müssen wir uns zumindest keine Sorgen machen, dass irgendwer von uns erkannt wird…", schlug Sugizo vor, während Yoshiki nur mit halbem Ohr zuhörte. Er verspürte bereits seit geraumer Zeit ein unangenehmes Pochen in beiden Schläfen - eines, das er nur zu gut kannte und hoffte, dass es nicht das ankündigte, was es so oft tat. "Au ja! Wie wäre es mit Schweinchen Babe? Ich hab den Film schon ewig nicht mehr gesehen!", stimmte Miyavi begeistert zu. "Das ist ein Kinderfilm", warf Gackt mit verdrehenden Augen ein. "Ich halte das im Moment für keine so gute Idee…", gab Sugizo zu bedenken. "Warum nicht? Es ist kein Horrorfilm, also machen sich Gaku-nii und Yoshiki auch nicht vor Angst in die Hosen." "Weil… Schweinchen Babe ist doch ein Waisenschwein und… naja und du weißt doch, was demnächst ist und was das bedeutet", antwortete der Gitarrist, ruderte dabei etwas hilflos mit den Armen herum und versuchte unauffällige Kopfbewegungen in Richtung des Drummers zu machen. "Stimmt, daran hatte ich gar nicht gedacht, Yoshiki könnte sich mit Babe identifizieren…" Ob dieser Antwort zuckten Gackts Mundwinkel verräterisch und es kostete ihn alle Beherrschung, keinen Kommentar über Ringelschwänze loszulassen. "Wie wäre es mit Findet Nemo? … Ach ne, Mist, blöde Idee! Was haltet ihr von…" "Stadt der Engel!", vollendete der Sänger den Satz. "Den willst du ständig sehen und jedes Mal heulst du am Ende", beklagte sich Sugizo und schlug stattdessen Basic Instinct vor. Er würde zwar viel lieber einen der Star Trek Filme sehen, aber da zogen seine Kollegen nicht wirklich mit, weshalb er dies gar nicht erst vorschlug. "Und du willst dich doch nur an den Sexszenen mit Sharon Stone aufgeilen!" "Also dann können wir uns auch gleich einen richtigen Porno rein ziehen", ging Miyavi zwischen die beiden Streithähne. Yoshiki unterdessen starrte aus dem Fenster und versuchte den Kopfschmerz so gut es ging zu ignorieren. Er mochte ihn nie sonderlich, aber in Situationen wie diesen, wo er ihm gnadenlos ausgeliefert war, hasste er ihn wie die Pest. Hatte er in seinem Büro noch Schmerztabletten? Sicher war er sich nicht, aber dabei hatte er definitiv keine. Doch vorausgesetzt, er hatte noch welche hier, waren die dann auch mit den anderen kompatibel? Mit seinem momentanen Medikamenten-Cocktail musste er wirklich aufpassen, was er noch zusätzlich nahm. Ein verstohlener Blick auf die Wanduhr zeigte ihm, dass es bereits 17:00 Uhr war. Das Meeting, das einmal wieder zu nichts geführt hatte, würde also gleich beendet sein. Dann konnte er in seinem Büro nach Tabletten suchen und anschließend nachhause fahren, wo er sich hinlegen konnte. Kein Grund bei den anderen durchblicken zu lassen, dass sich sein Kopf gerade anfühlte, als würde Toshi darauf Schlagzeug üben. Sie würden sich nur Sorgen machen und wenn Yagehara mitbekam, wie sehr ihn ein einzelnes Meeting schlauchte, dann würde er die nächste Woche auch noch mit ‚sich schonen‘ verbringen dürfen und darauf hatte er definitiv keine Lust. Einfach die Zähne zusammen beißen und schauspielern, so wie er es immer tat. „Oh Fuck! Ich komme zu spät zum Geburtsvorbereitungskurs!" Anscheinend hatte auch Miyavi die Uhr gesehen, packte so schnell wie möglich seine Sachen zusammen, verabschiedete sich von allen und rannte dann aus dem Konferenzraum, um seinen Verpflichtungen als Ehemann und baldiger Vater nachzukommen. "Ich mach mich auch besser auf den Weg – Luna redet endlich wieder mit mir und wir wollten heute Abend noch etwas Vater-Tochter-mäßiges machen", äußerte Sugizo und fuhr nach Hause, um es sich mit seiner Tochter nicht gleich wieder zu verscherzen, wo sie ihm die Sache mit Hiroshi gerade erst verziehen hatte. Gackt folgte ihm kurz darauf, drehte sich an der Tür jedoch erschrocken noch einmal um, als er einen dumpfen Schlag hörte. Der Pianist war nach den ganzen Verabschiedung aufgestanden und zum Fenster gegangen, wo er nun ohnmächtig lag. "Yoshiki?!" Sofort war der Sänger zu ihm zurückgeeilt, neben ihm niedergekniet und hatte die Vitalfunktionen, die völlig normal waren, überprüft und ihn dann hochgehoben, um ihn zu der kleinen Sitzecke zu tragen, wo er ihn auf dem Sofa ablegte, ihm vorsichtshalber die Sonnenbrille abnahm und die Beine des Schlagzeugers hoch lagerte. "Komm schon, wach wieder auf oder soll ich dir etwa die Bluthunde in den weißen Kitteln auf den Hals hetzen!" Mehrmals klopfte Gackt gegen die Wange des anderen, in der Hoffnung, ihn so wieder wach zu bekommen, was im Moment aber keine Früchte trug. Er war so sehr auf den langjährigen Freund konzentriert, dass er gar nicht mitbekam, dass er nicht alleine war. Erst eine Stimme, die leicht panisch klang, riss ihn aus seiner Konzentration. „Shit, Yo, was machst du für einen Scheiß?! Da lässt man dich einmal für fünf Minuten aus den Augen, weil dieser JFK endlich mal nicht an Marilyn klebt und was machst du? Du gibst halb den Löffel ab und ruinierst nebenbei noch einen tollen Flirt mit ner scharfen Braut! Gott, du kannst froh sein, dass ich nichts anfassen kann, ansonsten hättest du schon längst einen Eimer Eiswürfel im Gesicht. Scheiße, wenn das dein Alter raus kriegt, dann bin ich tot! Nee, eigentlich toter als tot… fuck, fuck, fuck!" Die Überraschung stand Gackt deutlich ins Gesicht geschrieben, als er den Geist erblickte, der verzweifelt seine Runden im Raum drehte, dabei wild mit den Händen gestikulierte und immer wieder besorgt zu dem Pianisten blickte. Erst als sich ihre Blicke trafen hielt er kurz inne, schüttelte den Kopf und lief weiterhin im Kreis. Als sich ihre Blicke erneut begegneten, stoppte er, fokussierte die andere lebendige Person im Zimmer und ging dann zu ihr. Vor ihren Augen wedelte er mit der Hand herum und als die Pupillen ihr folgten, weiteten sich seine eigenen. "hide?" Die quietschpinken Haare ließen für Gackt nur diesen einen Schluss zu, auch wenn er den verstorbenen Gitarristen von X JAPAN nie persönlich kennen gelernt hatte. "Wuahhhhh!!!!!" Ein Schmunzeln schlich sich auf die Gesichtszüge des Sängers, als der Geist erschrocken einen Satz nach hinten machte und ihn wie das achte Weltwunder anstarrte. Irgendwie passierte ihm das ständig… "Warum siehst du mich? Du bist nicht tot! Oder bist du am Ende ein Geist der einen Menschen besetzt hält?!" "Ich bin ein Mensch - ich kann lediglich Geister sehen", antwortete Gackt und widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. "Lass mich mal kurz überlegen… dein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, du bist hier bei Yo und du siehst mich… bist du etwa der Freak, von dem alle reden? Wie hieß er noch einmal? … irgendetwas mit G…" "Gackt? Ja, der bin ich." "Ja, das ist es!" In dem Moment kam Yoshiki, der noch immer auf der Couch lag, langsam wieder zu sich und öffnete schwerfällige die Lider. "Was?" Er wollte sich schon aufsetzen, als hides Hand über seine Augen strich, sie sich automatisch wieder schlossen und er in einen traumlosen Schlaf verfiel. "Wie…?" "Das?", fragte der Geist und blickte kurz auf seine Hand, "das ist ein alter Trick… ich meine, wir wissen doch beide, wie er reagieren würde, wenn er mit bekäme, dass du mit mir redest. Besser, er verschläft das Ganze… Schlaf hat noch niemandem geschadet – meinte meine Mutter auch immer - und ihm erst recht nicht, so wie es ihm gestern ging …" Mit aufeinander gepressten Lippen und etwas traurigem in seinem Blick sah er auf den Schlafenden hinab. "Er wollte neulich wissen, ob ich dich oder seinen Vater schon einmal bei ihm gesehen hätte…", äußerte der Sänger und dachte an das Gespräch mit dem Pianisten von vor ein paar Tagen zurück, wo er so verloren ausgesehen hatte. "Wir halten uns so gut es geht im Hintergrund… manchmal scheint es fast so, als würde er es spüren, wenn wir bei ihm sind, sodass wir meistens Abstand wahren", erklärte hide leise und setzte sich neben Gackt auf den Boden vor dem Sofa. "Yoshiki wüsste gerne das ‚Warum?‘…" "Ich weiß, er hat es uns so oft gefragt, aber würde es einen Unterschied machen, wenn er eine Antwort hätte? Im Endeffekt würde sich nichts ändern, dazu kenne ich ihn lange genug… das ‚Warum?‘ würde lediglich zu einem ‚Wie?‘ werden. Wie hätte er es verhindern können?" Seufzend stand hide und ging ein paar Schritte. "… keiner von uns ist stolz auf das, was wir ihm angetan haben… aber wenigstens hat er Toshi und die Band wieder – das gibt ihm eine Stabilität, die er lange nicht hatte…“ Damit verschwand der Geist, auch wenn sich Gackt sicher war, dass er nicht weit weg war und er war wieder alleine mit dem Schlagzeuger im Konferenzraum. Vorsichtig berührte er jenen an der Schulter, rüttelte an dieser leicht und sprach den Älteren mit dem Namen an. Verschlafen öffnete dieser schließlich die Augen und sah sich verwirrt um. "Was ist…?" "Hey…", lächelte der Sänger ihn sanft an und half ihm, sich aufzusetzen, "du bist ohnmächtig geworden, als ich gehen wollte." "Mir war schwarz vor Augen geworden…", sagte Yoshiki mehr zu sich selbst und strich sich durch die Haare. Die Kopfschmerzen, die ihn vorhin noch so geplagt hatten, waren bis auf ein leichtes Pochen wieder verschwunden, worüber er sehr froh war, auch wenn es ihn ein wenig verwunderte. "Du solltest nachhause und dich ausruhen, wenn du nächste Woche wieder durchstarten willst", äußerte Gackt und musterte ihn leicht besorgt. Im Moment konnte er sich dafür in den Hintern treten, dass er hide nicht gefragt hatte, was er damit gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass es dem Pianisten gestern nicht gut gegangen war. "Wie lange war ich…?" Der Jüngere blickte kurz auf die Uhr und antwortete dann, dass es etwa zwanzig Minuten gewesen waren - eigentlich war es deutlich kürzer gewesen, aber er rechnete die Zeit, die er geschlafen hatte, einfach mit hinzu. Schließlich konnte er ihm nicht einfach sagen, dass er bereits nach ein paar Minuten wieder bei Bewusstsein gewesen war und hide ihn dann schlafen geschickt hatte. Überhaupt war sich der Sänger nicht ganz sicher, ob er dem anderen gegenüber etwas von der Begegnung mit dem verstorbenen Gitarristen erzählen sollte. Vielleicht würde es ihm einen gewissen Frieden bringen, zu wissen, dass sowohl sein Vater, als auch hide stets über ihn wachten, andererseits konnte es ihn natürlich auch nur tiefer in seine Depressionen stürzen. Nicht dass der andere ihm gegenüber je ein Wort darüber verloren hatte, aber Gackt war es nach Kamis Tod schließlich ähnlich ergangen und entsprechend erkannte er auch die Anzeichen bei dem älteren Freund. Yoshiki setzte seine Sonnenbrille wieder auf, stand auf und ging leicht schwankend zum Konferenztisch, um seine Sachen zusammen zupacken. Er hatte das Gefühl wie Captain Jack Sparrow in Fluch der Karibik zu gehen, wenn dieser Festland unter den Füßen hatte. Zum Glück legte er sich nach ein paar Schritten. "Hat irgendwer mitbekommen, dass ich…?" "Nein." "… danke…", sagte der Blonde, schloss die Tasche und ging in Richtung Tür, wobei Gackt folgte, da er keinen Grund hatte, länger zu bleiben, wenn der andere sich auf den Nachhauseweg machte. Seine linke Hand lag bereits auf der Klinke, als er inne hielt und sich zu dem Größeren umdrehte. "War hide da, als ich ohnmächtig war?" Bei jedem anderen hätte er diese Frage nicht gestellt, aber bei dem Sänger konnte er das, ohne gleich die Einweisung in die nächste geschlossene Anstalt in den Händen zu halten. "Was?!" Er klang ein wenig zu geschockt. "Mir war so…", erklärte Yoshiki leise, schüttelte dann jedoch den Kopf, so als würde er selbst den Gedanken als lächerlich verwerfen und öffnete die Tür. Im Eingangsbereich wartete bereits seine Sicherheit auf ihn, sodass er sich von Gackt verabschiedete und mit ihnen ging. Der Sänger starrte ihm verwirrt hinterher und erst als sich die Türen des Aufzuges schlossen, kam wieder Bewegung in ihn, sodass er den anderen rief und ebenfalls in die Tiefgarage fuhr, wo er sein eigenes Auto geparkt hatte. Mit den Gedanken noch immer bei Yoshikis Frage fuhr er los in Richtung Tanzstudio, wo er mit seinen Tänzern eine neue Choreografie einüben wollte. Aus eigener Erfahrung wusste er, dass man, wenn man das Bewusstsein verloren hatte, unterbewusst immer noch sehr viel mit bekam. hide hatte gesagt, dass der andere sensibel auf ihn und seinen Vater reagieren würde und sie deshalb stets einen gewissen Abstand wahrten. Aber wie empfänglich war er tatsächlich für Geister? Hatte er etwas von der Unterhaltung mitbekommen? Die Frage, wie ehrlich er dem anderen gegenüber sein sollte, ließ ihn einfach nicht los. Vielleicht sollte er You oder seinen Urgroßvater um Rat fragen – am besten vielleicht beide, schließlich war der eine am Leben und der andere war tot und sein Problem betraf ja genau diese Konstellation. Yoshiki unterdessen saß angeschnallt auf der mittleren Sitzreihe des Vans, der von einem seiner Bodyguards gelenkt wurde, und hatte den Kopf gegen die kühle Scheibe gelehnt, während er die Arme um sich geschlungen hatte. Sowohl nach dem Tod seines Vaters, als auch nach hides, war er oft wegen einer scheinbaren Nichtigkeit in Depressionen verfallen. Heutzutage hatte er es ganz gut im Griff, aber manchmal überkam es ihn immer noch. Besonders anfällig dafür war er in Zeiten wie diesen, wo sich der Todestag jährte und im Moment half es auch nicht wirklich, dass ihn der Gedanke nicht losließ, dass hide im Konferenzraum anwesend gewesen war. Er konnte es nicht erklären, aber ab und an betrat er ein Zimmer und hatte das Gefühl, dass der verstorbene Gitarrist oder sein Vater bei ihm waren und direkt neben ihm standen. Rein rational betrachtet war das natürlich nicht möglich und oft genug hatte er es selbst als Schwachsinn abgetan, aber nichtsdestotrotz traf es ihn jedes Mal mit einer Welle der Traurigkeit. In solchen Momenten kam er sich wie ein kleines Bäumchen vor, das sich keinen anderen Platz zum Wachsen ausgesucht hatte, als direkt am Meer. Die Brandung unterspült seine Wurzeln, versuchte ihm den Halt zu nehmen, doch er klammerte sich mit aller Kraft fest. Sturmfluten brachen seine wenigen Triebe ab und versuchten ihn mit zu reißen, aber irgendwie hielt er ihnen stand und richtete sich immer wieder von neuem auf. Ausdruckslos starrte der Pianist aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Lichter in der Dämmerung und blinzelte immer wieder schnell mit den Lidern, um die aufkommenden Tränen zu vertreiben. Seufzend sackte er mehr und mehr in sich zusammen und biss auf seiner Unterlippe herum. Hatte Gackt vorhin vielleicht doch hide gesehen? Er war einen Tick zu überrascht gewesen, als er ihn danach gefragt hatte… wusste der Sänger am Ende vielleicht sogar die Antworten auf seine Fragen, aber vor allem diese eine Antwort auf diese eine Frage, und spielte einfach den Unwissenden? War er am Ende wie alle anderen, die ihm rieten, die Toten ruhen zu lassen? Log Gackt ihn an, so wie Kouki und ihm 10 Jahre lang von ihrer Familie weisgemacht worden war, dass ihr Vater einem simplen Herzstillstand erlegen war? Ein rauer Schluchzer erstickte in seinem Mund, als er sich erneut auf die Lippe biss, bis er den metallenen Geschmack von Blut auf seiner Zunge schmeckte und seinen Kopf, trotz der noch dumpf vorhandenen Kopfschmerzen, leicht gegen die Scheibe schlug. "Alles in Ordnung, Yoshiki?", fragte der Bodyguard, der auf dem Beifahrersitz saß und sich nun zu ihm umdrehte. "Alles bestens", entgegnete er und war froh, dass seine Stimme nicht brach und die Dunkelheit im Auto die einzelnen Tränen nicht preisgab, die sich langsam ihren Weg unter der Sonnenbrille hindurch über seine Wangen bahnten. "Warum?" Wenig später kamen sie bei Yoshiki an und während der Pianist ins Haus ging, fuhr der Van wieder weg. Ran war noch nicht wieder da, dafür war es Hanako, die in der Küche stand und das Abendessen für die Kleine kochte - etwas wofür er sehr dankbar war. Er hatte seine Haushälterin nie darum gebeten, sie hatte es einfach als Selbstverständlichkeit angesehen, dies zu tun. Kurz begrüßte er sie und verschwand dann direkt in sein Arbeitszimmer. Toshi hatte es mit etwas Unterstützung von Hanako, ohne dass er es mitbekommen hatte, wieder aufgeräumt. In einer Ecke waren alle Sachen, die er völlig zerstört hatte und in der anderen waren jene, die mit etwas Reparatur gerettet werden konnten. Sein Drumset befand sich in Letzterer. Er setzte sich vor jenes und besah sich zum ersten Mal den Schaden, den er angerichtet hatte. Auch wenn die Gitarre Schrott war, so hatte das Schlagzeug ihr ganz gut standgehalten. Eine Bass-Drum, mehrere Tom-Toms und die Snare Drum mussten neu bespannt und vorsichtshalber alle Trommeln neu gestimmt werden, aber ansonsten musste nichts ersetzt werden. Er stand wieder auf, ging zu einem Schrank, holte die Sachen, die er brauchte, und machte sich dann an die Arbeit, die kaputten Felle auszutauschen. Warum er es gerade jetzt tat? Wahrscheinlich weil es ihn ablenkte und er nicht an hide oder seinen Vater dachte. Irgendwann vernahmen seine Ohren die Haustür und er vermutete, dass seine Nichte wieder zuhause war. Kurz darauf kam sie dann auch schon zu ihm, um ihn einerseits stürmisch zu begrüßen und ihm andererseits zu sagen, dass das Abendessen fertig war. Mit ihr auf dem Arm ging er zum Esstisch, der bereits fertig gedeckt war und auf dem das dampfende Essen stand. Sie verabschiedeten noch Hanako und setzten sich dann an den Tisch. Während Ran ohne Punkt und Komma vom Nachmittag bei ihrer Freundin erzählte - die Eltern hatten sie zum Eisessen eingeladen und anschließend waren sie noch auf dem Spielplatz gewesen - war Yoshiki kaum bei der Sache. Auch wenn er sich zur Konzentration zwang, so schweiften seine Gedanken immer wieder ab. So bemerkte er nicht einmal, wie die Fünfjährige ihn fragte, ob sie noch ein wenig Klavier spielen könnten. Erst als sie seine Hand berührte, erhielt sie seine Aufmerksamkeit, aber bei der Berührung war er zusammengezuckt, als hätte er in eine Steckdose gelangt. "Alles okay?" "Alles okay", wiederholte er ihre Worte und zog sie auf seinen Schoß. Automatisch schlang sie die Arme in einer Art Umarmung um ihn und stellte erneut ihre Frage, woraufhin er antwortete, dass sie schon einmal mit der Tonleiter anfangen könne, während er sich noch rasch um die Küche kümmerte. Nachdem alles im Geschirrspüler verstaut und der Mülleimer auch nicht leer ausgegangen war - er hatte sein Essen kaum angerührt - setzte er sich zu ihr auf die Klavierbank und sah ihr beim Spielen zu. Einhändig machte ihr die C-Dur-Tonleiter kein Problem mehr und auch beidhändig wurde sie immer flüssiger. Alles in allem war er zufrieden mit ihren Fortschritten und beschloss mit dem Notenlesen anzufangen. Er nahm sich ein leeres Notenblatt, auf welchem er die Tonleiter notierte und die verschiedenen Notennamen darüber schrieb. Anschließend ließ er sie die Noten mit der rechten Hand spielen, aber anstatt auf ihre Finger oder die Klaviatur zu sehen, sollte sie auf das Blatt blicken. Dies ließ er sie mehrmals machen, dann knickte er das Papier so, dass das, was er geschrieben hatte nicht mehr zu sehen war und drückte Ran den Bleistift in die Hand, damit sie nun die einzelnen Noten aufmalte. Er war etwas überrascht, als sie es auf Anhieb richtig machte und entschied, sie weiter zu testen. Aus einem der vielen Regale, in denen sich die Notensätze nur so stapelten, holte er ein altes, kleines Buch heraus, suchte die entsprechende Seite und stellte es dann auf den eingearbeiteten Notenständer. "Probieren wir das Ganze einmal an der Nationalhymne", lächelte er sie an und war froh, dass sie ihn ablenkte, "die Notenwerte sind erst einmal egal, spiel einfach die Noten, die du siehst." Sie nickte, sortierte die Finger ihrer rechten Hand auf der Klaviatur und starrte angestrengt auf die vergilbte Seite. Etwas zögerlich schlug ihr Zeigefinger ein D1 an - der Ton, der auch notiert war. Kurz blickte sie ihn an, konzentrierte sich dann aber, als keine Widerworte kamen, wieder auf das Buch vor sich. Ihr Fingersatz war noch nicht ganz korrekt aber Yoshiki war zufrieden, wenn auch etwas erstaunt, dass sie fehlerlos jede einzelne Note wiedererkannte. Bei Takt vier war er jedoch gespannt, wie gut sie schon Schlüsse ziehen und kombinieren konnte, da dieser mit einem D2 begann und er ihr bisher nicht gezeigt hatte, wie dieser Ton geschrieben aussah. Länger als bei den anderen Tönen, verharrte Ran auf dem Letzten vom dritten Takt. Schließlich löste sich in Finger jedoch von dem A1 und sprang zu der weißen Taste, die Rechts vom C2 lag und schlug sie an. Anerkennend hob Yoshiki die Augenbraue an - es war richtig gewesen. Ran spielte die restlichen Noten fehlerfrei durch und bei den anderen Malen, als der unbekannte Ton wieder auftauchte, erkannte sie ihn wieder und fand die entsprechende Taste deutlich schneller. Am Schlussstrich angekommen nahm sie die Hand von der Klaviatur und sah ihren Onkel abwartend an. "War das richtig?" "Alles richtig, selbst die kleine Gemeinheit, die mit drinnen war", antwortete er ihr grinsend. "Das war der Ton, oder?", fragte sie und deutete auf dem Notenblatt auf die entsprechende Note. "Ja, ein D2. Wie bist du darauf gekommen, dass es der Ton ist", wollte er wissen und schlug die entsprechende Taste an. „Die Tonleiter wiederholt sich beim Spielen immer wieder, also dachte ich, dass es nur logisch ist, wenn es beim Schreiben auch so ist. Darum bin ich dann auf die Taste gekommen…“ Yoshiki übte noch eine Weile mit ihr und freute sich, dass sie alles, was er ihr zeigte, wie ein Schwamm aufsog. Als er dann schließlich meinte, dass es für sie Zeit wäre ins Bett zu gehen, spielte sie die Melodie von Kimi ga yo perfekt in einem langsamen, fließenden Rhythmus, da er auch gleich noch die ersten Notenwerte angesprochen hatte – viertel , halbe, achtel und punktierte Noten. Ran hätte zwar noch lieber weiter gespielt, aber letztendlich beugte sie sich seinem Willen und tapste ins Bad um sich die Zähne zu putzen und sich bettfertig zumachen. Wenig später lag sie dann mit dem Plüschtiger im Arm im Bett und verlangte nach der obligatorischen Gute-Nacht-Geschichte, die Yoshiki wie jedes Mal vor ein Problem stellte. Nachdem sie vorhin aber noch musiziert hatten, kam ihm die Idee, ihr die Geschichte von Haydens Paukenschlag zu erzählen. Immerhin war sie kindertauglich und obendrein auch noch witzig. Beim Erzählen kicherte sie immer wieder und auch bei ihm schlich sich ein Grinsen aufs Gesicht. Als seine Nichte jedoch nach einer weiteren Story verlangte, blockte er ab, da schließlich nur von einer die Rede war – ganz zu schweigen davon, dass er nicht unendlich viele im Petto hatte, entsprechend musste er sparsam mit ihnen umgehen. „Schlaf gut und träum süß, Ran-tan!“ Der Pianist hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, strich ihr sanft über die Wange und verließ das Zimmer, wobei er noch das Licht löschte. Nun, da er wieder alleine war, kamen auch die Gedanken von vorhin wieder zurück. Um sie möglichst schnell wieder zu verbannen, machte er sich erneut daran, sein Schlagzeug zu reparieren. Als er jedoch alle Felle ausgetauscht, jede einzelne Trommel gestimmt und alles ordentlich aufgebaut hatte, gab es nichts mehr, um sich abzulenken. Unruhig wanderte er in dem ebenerdigen Haus umher, ehe er sich aus dem Schlafzimmer schließlich die Zigaretten holte, die dort schon seit einer kleinen Ewigkeit unangerührt neben einem Zippo lagen. Auf dem Weg nach draußen zur Terrasse fummelte er einen Glimmstängel aus der Packung, steckte ihn sich in den Mund und zündete ihn an, als er an der frischen Luft war. Er wusste, dass es gerade mit der Aussicht auf Asthma nicht das gesündeste war, was er hier tat, und er eigentlich erst vor wenigen Jahren den harten Kampf gegen die Sucht gewonnen hatte, aber nichtsdestotrotz atmete er den Rauch tief ein. Vielleicht würde dieser ja dafür sorgen, dass sein Kopf einfach nur leer war… Doch stattdessen verursachte er lediglich einen starken Hustenanfall und das Pochen in seinen Schläfen, welches in den letzten Stunden nur minimal gewesen war, wurde auch wieder stärker. "Fuck!" Er schmiss die Zigarette auf dem Boden, trat sie aus und hustete die nächsten Minuten erst einmal weiter. Nach einiger Zeit wurde es wieder besser und er legte sich in den Liegestuhl, auf den er sich gesetzt hatte. Schwer schluckend starrte er in den Nachthimmel und erinnerte sich an die Momente, als er mit seinem Vater am Strand gelegen und sie in die Sterne gesehen hatten oder aber er und hide auf einem Dach gesessen, eine gequalmt und herumalbert hatten. Und nun saß er hier alleine… Der Schmerz, den er schon auf der Rückfahrt gespürt und dann wieder verdrängt hatte, gewann erneut die Überhand und trieb Tränen in seine Augen, die dann über seine Wangen rannen und schließlich in der Polsterung der Halskrause versickerten. Seine Hände wischten sie weg, aber es kamen immer wieder neue nach - so wie damals als er nach Tokyo zu hides Beerdigung zurückflog, noch immer der Überzeugung, dass das alles nur ein makaberer Scherz war und er denjenigen, der dafür zuständig war, eigenhändig umbringen würde. Doch dann waren die NHK News gekommen, die voll vom Tod des Gitarristen waren und ab dem Zeitpunkt hatte er nur noch geweint – es war als hätte jemand einen Staudamm geöffnet… ein Staudamm, dessen Schleusen erneut gebrochen worden waren. Yoshiki hatte keine Ahnung, wie lange er dort lag und die Tränen laufen ließ – er wischte sie weg, doch stets folgten ihnen weitere. Irgendwann fröstelte es ihn jedoch, sodass er zurück in die Villa ging, alle Türen, die nach außen führten, verschloss, die Alarmanlage einschaltete, sämtliche Lichter löschte und dann eigentlich in sein Schlafzimmer gehen wollte, letztendlich aber vor Rans Zimmertür stehen blieb und nach einigem hin und her eben jene öffnete. Leise ging er zum Bett und davor in die Hocke. Minutenlang beobachtete er ihre schlafende Gestalt und unweigerlich musste er an das letzte Mal, als er hide gesehen hatte, denken. Er hatte auch so ausgesehen, nur mit dem Unterschied, dass sich sein Brustkorb nicht mehr gehoben und gesenkt hatte. Zitternd streichelte seine Hand über die Wange seiner Nichte, die sich warm auf seiner Haut anfühlte – hides war kalt gewesen. "Ich verspreche dir, dass ich auf dich aufpassen und dich beschützen werde, als wärst du mein eigen Fleisch und Blut… Niemand wird dir jemals weh tun", flüsterte er leise mit brüchige Stimme und fuhr die kindliche Gesichtszüge seiner Nichte nach, die Koukis und seinen eigenen so sehr ähnelten, "… und wenn du eines Tages stirbst, dann wird es lange, lange nach mir und eines natürlichen Todes sein…" Noch immer rannen Tränen über sein Gesicht und als er sie auf die Stirn küsste tropften dabei ein paar auf Rans. Der Pianist erhob sich anschließend wieder und verließ geräuschlos den Raum, um nun tatsächlich in sein Schlafzimmer zu gehen. Was er nicht wusste, war, dass seine Nichte nicht sonderlich tief geschlafen hatte und durch die Feuchtigkeit auf ihrer Haut wieder wach geworden war. Aus halb geöffneten Augen hatte sie noch gesehen, wie ihr Onkel die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte. Sie setzte sich auf und wischte sich mit einer Hand die fremden Tränen aus dem Gesicht. "Onkel Yoshiki?" Den Plüschtiger zurücklassend stand sie auf, schlich zum Master Bedroom und öffnete ohne anzuklopfen leise die Tür. Kaum dass Yoshiki in seinem Schlafzimmer gewesen war, hatte er sich im Dunkeln bis auf die schwarzen Retropants ausgezogen und war sofort, ohne erst noch ins Bad zu gehen, ins Bett gegangen. Lediglich die Handgelenksbandagen hatte er noch abgelegt und die abendliche Dosis an Schmerztabletten geschluckt. Danach hatte er sich so klein wie möglich unter der Decke zusammengerollt und die Arme um sich geschlungen, während Trauer und Schmerz weiterhin die Überhand hatten. Es würde eine von so vielen Nächten werden, in denen er sich in den Schlaf weinte. Was Yoshiki nicht mitbekam, war, wie ein kleines fünfjähriges Mädchen auf Zehenspitzen zum Bett ging und für einige Sekunden seine bebenden Schultern anstarrte. Vorsichtig setzte sie sich auf die Matratze der leeren Betthälfte und krabbelte dann zu ihm. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, drehte sich jedoch erschrocken um, als er die Bewegungen spürte. "Ran?!" Sie hier zu haben war eigentlich das letzte, was er wollte, da sie ihn so nicht sehen sollte. Statt zu antworten wischte sie ihm nur mit den aufgeschürften Händen, die bereits am abheilen waren, vorsichtig die Tränen von den Wangen und kuschelte sich anschließend dicht an ihn, wobei sie einen Arm beschützend über seinen Oberkörper legte. „Er wird es kaum zugeben, aber er hat, glaube ich, große Angst davor, alleine gelassen zu werden…“, erinnerte sie sich an Toshis Worte, als Yoshiki am Montag so seltsam gewesen war. „Ich lasse dich nie alleine, Onkel Yoyo, versprochen“, flüsterte sie und legte ihren Kopf auf seine Brust, während er sie ziemlich perplex ansah und neue Tränen nachkamen, diesmal aber nicht vor Trauer und Schmerz. "Danke, Ran", sagte er leise und zog sie ganz auf sich, sodass sie auf ihm lag und er ganz leicht ihren Herzschlag und deutlich ihren warmen Atem spüren konnte. Das letzte Mal, dass sie das getan hatte, war, als sie zwei Monate alt gewesen war und er sie das erste Mal in echt und nicht nur auf Bildern, die ihm Kouki geschickt hatte, gesehen hatte. Seine durchtrainierten Arme schlangen sich um sie und drückten sie an sich, während sie bereits wieder am Einschlafen war. Ihre Nähe hatte etwas Beruhigendes auf ihn - auch wenn er nie zugeben würde, dass er sich bei seiner kleinen Nichte ausgeheult hatte - sodass er ebenfalls bald wegdämmerte… ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch zwei Anmerkung und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Rockstar Energy Drink (2) Hello Kitty In diesem Sinne wünsche ich euch Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!!! Tag 8 – Freitag: Der Letzte Tag ------------------------------- @ Terra-gamy: Ja, genau richtig: D2 ist eine Oktave höher als D1! @ JaeKang: *lach* Die hide-Szene zu schreiben hat auch unheimlich viel Spaß gemacht! Hmh… Synonyme für super: spitze, hervorragend ^.~ @ nawa: Danke, für alles was du in dem Kommmi geschrieben hast – vor allem das „respektvoll“; das bedeutet mir viel! Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass auch dieses Kapitel seinen Anklang findet! Leider kommt nach diesem nur noch ein einziges… Wahnsinn, wie schnell die Zeit verflogen ist. ~*~*~*~*~* I will try to live with love, with dreams and forever with tears X JAPAN – Tears Der nächste Morgen verlief ähnlich wie die anderen auch, wobei die meiste Zeit einmal wieder mit Krankengymnastik drauf ging. Yoshiki teilte der Therapeutin mit, dass sie am nächsten Tag nicht zu kommen brauchte, da ihm kurzfristig etwas dazwischen gekommen war. Während des Frühstücks hatte er nämlich eine Idee gehabt, wie er Rans letzten Tag mit ihm eine kleine Sahnehaube aufsetzen konnte und das beinhaltete, dass er am Samstag keine Zeit für ein Rendez-vous mit Gymnastikbällen hatte. Seine Nichte hatte bis dato kein Wort über die gestrige Nacht verloren, wofür er ihr äußerst dankbar war. Verglichen mit gestern Abend fühlte er sich jetzt wieder emotional stabiler, sodass er auch keinen Grund sah, noch ewig viel darüber zu reden. Dass er ab und an dermaßen von seinen Gefühlen überwältigt wurde, war inzwischen ein Teil von ihm geworden, mit dem er irgendwie gelernt hatte zu leben. Während der Physiotherapie hatte Ran weiter Kraniche gefaltet und als sie nach dem Mittagessen ein wenig auf Yoshikis Flügel herum spielte, saß er am Boden, zählte die Papiervögel und packte immer 100 in eine Plastiktüte. Obwohl er sich eigentlich auf die korrekte Anzahl der Kraniche konzentrieren sollte, lag seine eigentliche Aufmerksamkeit bei dem Mädchen, das da auf der Klavierbank saß, wahllose Tasten anschlug und ausprobierte. Natürlich hätte er sie wieder Tonleitern spielen lassen können, aber auf die Dauer wurde das auch eintönig und er wollte schließlich nicht, dass sie den Spaß daran verlor. Entsprechend ließ er sie improvisieren, lauschte der Melodie, die sie sich nach und nach zusammen bastelte und klopfte sich gedanklich für seinen Einfall auf die Schulter, da sie so nicht nur beschäftigt war, sondern auch das Instrument besser kennen lernte und wenn er eines wusste, dann, dass man sich etwas besser einprägte, wenn man es selbst in Erfahrung brachte. Ab und an warf er einen kurzen Blick zu ihr hinüber, um ihre Fingerstellung zu begutachten und sie notfalls zu korrigieren, ansonsten ließ er sie jedoch selbst herausfinden, wie sie dem Flügel entsprechende Stimmungen entlocken konnte. So war es nicht verwunderlich, dass er sich immer wieder verzählte und von Neuem anfangen durfte. Schließlich war er sich jedoch sicher, inmitten von 897 Kranichen zu sitzen, die fein säuberlich in Tüten waren, auf die er die jeweilige Anzahl mit Edding geschrieben hatte. "Wie viele fehlen noch?", fragte Ran, als er ihr die Anzahl mitteilte. "103…“ "Hilfst du mir? Zusammen schaffen wir die sicherlich noch!" "Gleich, ich muss erst noch einen Anruf erledigen..." Damit erhob sich der Schlagzeuger und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, wo er sich in seinem Chefsessel niederließ und das Mobiltelefon nahm, das auf dem Tisch lag. Über Kurzwahl wählte er eine seiner PAs an. Ohne sich zu melden trug er sofort sein Anliegen vor: "Risa, lassen sie für heute Abend um 19:00 Uhr den Hubschrauber für einen Rundflug über Tokyo Abflug bereit machen… Nein, ich fliege nicht selbst. Sagen Sie einem der Piloten Bescheid und der zuständigen Security ebenfalls!... Ja, gut… und kümmern Sie sich bitte darum, dass sämtliche Sachen meiner Nichte aus dem Gästezimmern meiner Villa zurück in das Apartment meines Bruders geschafft werden, ebenso die Tüten mit den Papierkranichen, die im Wohnbereich stehen. Und wenn sie schon dabei sind, dann stellen Sie sicher, dass die Medikamente und so, die auf dem Nachttisch in meinem Schlafzimmer liegen, zusammen mit ein paar meiner Sachen ebenfalls dorthin kommen… okay, ja… nein, erst nach 15:00 Uhr… gut, vielen Dank, Risa!" Fast fühlte er sich ein wenig schuldig, dass er ihr so viel Arbeit auf einmal aufhalste, nachdem er sie seit dem Konzert eigentlich nicht mehr gebraucht hatte, aber andererseits, er bezahlte sie schließlich dafür und es war nicht so, dass sie seine einzige persönliche Assistentin war. Sie war lediglich diejenige, die im Moment am längsten für ihn arbeitete und die entsprechend sein besonderes Vertrauen genoss. Entsprechend bekam sie erst einmal immer alles ab und musste es dann auf die anderen PAs umdelegieren. Als er aufstand und wieder zurück zu Ran ging, um ihr bei den Kranichen zu helfen, war er der festen Überzeugung, dass seine kleine Überraschung am Abend gut gelingen würde. Eine Weile saßen sie stumm nebeneinander und falteten die Vögel, ehe Yoshiki meinte, dass es Zeit war, dass sie sich fürs Ballett fertig machte, da sie bald abgeholt werden würden. Es dauerte auch nicht lange und er hörte wie die Haustür geöffnet wurde. "Boss?!", vernahm er Dans vertraute Stimme. "Coming!", rief der Drummer auf Englisch und ging mit Rans Tasche voraus, während sie ihm folgte. An der Tür des Gästezimmers blieb sie jedoch stehen und starrte hinein. Heute war ihr letzter Tag und auch wenn sie sich darauf freute, bald ihre Eltern wieder zu sehen, so würde sie gerne noch mehr Zeit hier verbringen. "Ran-tan, kommst du?", fragte Yoshiki und blieb stehen, als er merkte, dass sie nicht mehr direkt bei ihm war. "Wirst du mich vermissen, wenn ich wieder bei Mama und Papa bin, Yoyo?" "Wie kommst du darauf?", wollte er etwas überrumpelt wissen und ging zu ihr zurück. "Wirst du mich vermissen?" "Natürlich werde ich das, Ran!", antwortete er, nachdem er in die Hocke gegangen war, ihr die Hände auf die Schultern gelegt und ihren Blick eingefangen hatte - seine Antwort war dabei noch nicht einmal gelogen. Zwar freute er sich darauf, wieder spontaner sein zu können, aber es würde spürbar ruhiger im Hause sein, wenn sie zurück bei ihren Eltern war - ein Grund mehr, sich nächste Woche in die Arbeit zu stürzen. "Darf ich wieder kommen?", hakte sie leise nach und drückte sich an ihn. "Jederzeit!" Dass es davon abhing, ob er Zeit hatte, verschwieg er, da er es selbst auch ein wenig verdrängte, und umarmte sie stattdessen einfach. "Und bringst du mir weiterhin das Klavierspielen bei?" "Wenn du das möchtest…" Ein Nicken gegen seine Schulter, wo sie ihren Kopf abgelegt hatte, war die einzige Antwort, die er erhielt, und sie genügte, um ein Strahlen auf seine Gesichtszüge zu zaubern, das einem Honigkuchenpferd gleichkam. "Gut, dann haben wir einen Deal. Und jetzt lass uns gehen, ansonsten kommst du noch zu spät zum Ballett." Die Tasche in der einen Hand, hob er Ran mit der anderen hoch, die automatisch die Beine um seine Hüften schlang, und trug sie bis zur Haustür, wo er sie absetzte, damit sie beide ihre Schuhe anziehen konnten. Erst jetzt bemerkte er den traurigen Ausdruck in ihren Augen. "Hey!", sagt er leise, drückte sie an sich und wuschelte ihr durch die Haare, "deine Eltern sind doch in nicht einmal 24 Stunden wieder da – wenn du da auch noch schaust, als würde die Welt gleich untergehen, dann sind sie sicherlich traurig, weil sie denken, du hättest sie gar nicht vermisst!" "Ich habe sie vermisst! … nur irgendwann nicht mehr so doll… weil du da warst, um mich zu beschützen...!“ Gegen Ende hin war ihre Stimme leiser geworden und sie hatte ihr Gesicht gegen seine Oberschenkel gedrückt, um den sie ihre Arme geschlungen hatte. "Ran-tan, ich werde immer auf dich aufpassen, egal wo ich bin", versprach er und hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel, "und jetzt lächel wieder, ich habe später nämlich noch eine Überraschung für dich und die macht garantiert mehr Spaß, wenn du keine Stimmung wie sieben Tage Regenwetter verbreitest!" Bei dem Wort ‚Überraschung‘ blickte sie augenblicklich erwartungsvoll zu ihm hoch und wollte wissen, was für eine er hatte. Doch da blieb er stur, da es schließlich keine mehr wäre, wenn er sie ihr jetzt schon verraten würde. "Das wirst du noch früh genug herausfinden!" Kurz darauf saßen beide in dem Van und Yoshiki war froh, dass seine Nichte wieder gut gelaunt war und fröhlich vor sich hinplapperte. An der Ballettschule angekommen ging sie alleine in die Umkleide, um sich umzuziehen, während er sich mit seinen Sicherheitsleuten etwas abseits hielt und sein Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille und einer Cappi verbarg. Es war ihm ganz recht, wenn er hier nur als Rans Onkel und nicht als YOSHIKI, Bandleader von X JAPAN, durchging. Er hatte sich auf eine Bank gesetzt und ging ein paar E-Mails durch, die er erhalten hatte. Eine war von Risa, die ihm mitteilte, dass der Hubschrauber wie gewünscht zum Abflug bereit sein würde. Die nächste war von seinem Bruder, der ihm schrieb, dass sie wohl gegen 05:00 Uhr früh am Samstag in ihrem Apartment seien und am Vormittag dann zu ihm kämen, um ihre Tochter abzuholen. Nachricht Nummer drei war von Toshi, der wissen wollte, wie es ihm ginge, während Miyavi, von dem E-Mail Nummer vier stammte, lediglich wissen wollte, wann er denn Zeit für den DVD-Abend hätte und welchen Porno er gerne sehen würde - im Anschluss daran folgte noch eine lange Liste mit Titeln, wobei hinter jedem noch zusätzlich ♀x♀, ♀x♂ oder ♂x♂ vermerkt war und er stark vermutete, dass sich das auf das Geschlecht der Hauptdarsteller bezog. Gedanklich stellte er sich die Frage, seit wann der andere so bewandert in diesem Genre war, entschied sich dann aber, dass es für seine geistige Gesundheit wohl besser war, das Ganze in derselben Kategorie abzuhaken, wie die Frage, ob Gackt nun wirklich acht Stunden am Stück konnte oder ob sich Patas Intimbehaarung von ihrer unterschied, da er schließlich im Gegensatz zu ihnen auch Haare auf der Brust hatte - eben jene letzte Frage hatte Toshi einmal vor gut 20 Jahren bei einer Aftershowparty, bei der er zu tief ins Glas geschaut hatte, in den Raum gestellt. "DVD-Abend… Pornos… what the fuck?!" Dumpf erinnerte er sich, dass die anderen während des Meetings darüber diskutiert hatten, aber er konnte sich nicht entsinnen, dass das schon fest war, geschweige denn, dass er sich mit der Filmauswahl einverstanden erklärt hatte. Kopfschüttelnd antwortete er und wollte wissen, ob es dem Jüngeren sonst noch gut ginge. Nachdem er diese E-Mail abgeschickt hatte, bekam Toshi noch ein ‚Mir geht es gut, Mama!‘ und danach konzentrierte er sich auf den Ballettunterricht. Zwar hatte er davon keine wirkliche Ahnung, aber so wie es aussah, hatte er mit seiner Theorie wirklich Recht gehabt und in Sachen Rhythmusgefühl kam die Kleine nach ihrer Mutter und zum Glück nicht nach ihrem Vater. Das Mobiltelefon in seiner Hand zog vibrierend seine Aufmerksamkeit auf sich, als eine weitere Nachricht von Miyavi ankam: Dieser klagte ihm sein Leid, dass er mit seiner Frau unterwegs war, um Kinderwagen und Babyschale zu kaufen, sie seit einer geschlagenen Stunde von einem Verkäufer, der eher verkaufsverhindernd war, über die Vor- und Nachteile der einzelnen Modelle aufgeklärt wurden und er viel lieber die Gänge mit den Wägen unsicher machen würde. Die E-Mail endete mit der Frage, was er denn gerade mache. Einmal wieder konnte er nur den Kopf über den Solokünstler schütteln und antwortete, dass er gerade beim Ballett war. ‚Du machst Ballett??!! So mit Strumpfhose und Tütü?? Wusste ich gar nicht, steht dir aber sicherlich!‘ ‚Ich schaue nur zu!‘, schrieb Yoshiki zurück und verdrehte die Augen. ‚Würde dir aber sicherlich stehen…!!!!‘ ‚STFU‘, war das Einzige, was der Schlagzeuger daraufhin zurück schrieb und war froh, dass Miyavi so bewandert in englischen Abkürzungen war - nur diese vier Buchstaben zu tippen ging schließlich viel schneller als ‚Shut the fuck up‘. Keine Minute später blinkte eine weitere Nachricht von dem anderen auf dem Display seines Handys auf und als er sie öffnete, streckte ihm lediglich ein Emoticon die Zunge entgegen. Darauf erwiderte der Pianist nichts mehr, steckte das kleine Gerät weg und schaute erneut bei der Ballettstunde zu. Immer wieder bemerkte er die verstohlenen Blicke der Mütter - es waren keine Väter anwesend - auf sich. Vermutlich hätte sich schon die ein oder andere getraut, ihn anzusprechen, wenn er nicht von zwei ‚Schränken‘ flankiert wäre. Punkt 18:00 Uhr war die Stunde schließlich zu Ende und anstatt direkt in die Umkleidekabine zu gehen, kam Ran zu ihm gerannt. Mit offenen Armen empfing er sie und hob sie hoch, während sie wissen wollte, wie sie war. "Ich habe keine Ahnung von Ballett, Ran-tan, aber für mich sah es toll aus!" Auf diese Antwort kicherte seine Nichte und wandte sich dann aus der Umarmung, da sie schließlich die Überraschung nicht vergessen hatte und wissen wollte, was es damit auf sich hatte. Doch kaum das Yoshiki sie abgesetzt hatte, registrierte er, wie ihre Lehrerin sich ihnen langsam näherte. Seine Security hatte sie ebenfalls bemerkt und stand angespannt in seiner Nähe, auch wenn er selbst nicht glaubte, dass eine große Gefahr von dieser kleinen, zierlichen Frau ausging. "Yoshiki?", sprach sie ihn zögernd an und wusste nicht so recht wohin mit ihren Händen. Die Nervosität war ihr erst recht anzusehen, als Dan und Takumi direkt neben ihr standen. Mit ihren schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen erinnerten sie den Drummer stets ein wenig an Will Smith in Men in Black. "Ja?" Mit einer leichten Kopfbewegung gab er den beiden zu verstehen, dass sie der armen Frau nicht ganz so sehr auf die Pelle rücken sollten und drückte Rans Hand, die in seiner lag. "Ich… also die Kinder… wir… ich wollte fragen, ob Sie vielleicht einem Gruppenfoto zustimmen würden", brachte die Lehrerin stotternd heraus und blickte ihn unsicher an, wobei sie seine Augen hinter der dunklen Sonnenbrille nicht sehen konnte. "Gerne", antwortete er und schenkte ihr ein Lächeln, woraufhin sie rot werdend den Kopf senkte. Immer noch mit Ran an der Hand folgte er ihr schließlich zurück zu den anderen Kindern, blieb jedoch kurz stehen, als sie an den Müttern vorbeikamen. "Möchten Sie auch mit auf das Foto? Es ist schließlich ein Gruppenbild…", bot er an und erhielt zuerst große Augen, dann zögerliches, immer enthusiastischer werdendes, synchrones Nicken, während sie ansonsten aber stumm wie Fische waren. In seiner langen Zeit im Showbiz hatte er die Menschen in vier Gruppen unterteilt: diejenigen, die quietschten und schrien, dass ihm nur so die Ohren klingelten und er Ohropacks als die beste Erfindung aller Zeiten empfand, dann die, die kaum ein Wort vor lauter Stottern heraus brachten, und schließlich die, denen es die Sprache verschlug, sobald er vor ihnen stand und wo er fürchten musste, dass sie sofort in Ohnmacht fielen, wenn auch nur ein ‚Hi‘ seine Lippen verließe. Die letzte Gruppe, die er am angenehmsten empfand, die leider aber auch am seltensten war, war die, die von Anfang an völlig normal mit ihm redete und umging. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich alle auf einen Platz geeinigt hatten, aber schließlich stand Yoshiki in der Mitte, während sich alle anderen um ihn herum drapiert hatten. Seine Cappi und Sonnenbrille hatte er Dan gegeben, während Takumi mit einer Kamera ein Bild schoss. Nachdem das erledigt war, verbarg er sein Gesicht erneut und drängte seine Nichte zur Eile, da die Überraschung nicht ewig warten würde. Gut, eigentlich würde sie das schon tun, aber das wusste Ran schließlich nicht. In Rekordzeit hatte sie sich umgezogen und war wieder in Jeans und T-Shirt bei ihm, sodass sie gehen konnten. "Wenn Sie das Foto haben, dann geben Sie es doch Rans Mutter, damit sie es an mich weiterleitet, dann signiere ich es Ihnen noch!", verabschiedete er sich von der Ballettlehrerin, die ihn zuerst geschockt ansah, dann jedoch nickte, versprach dies zu tun und sich mehrmals tief verbeugend für die Belästigung entschuldigte. "Ne, Yoyo, warum benehmen sich die Menschen so komisch, sobald du auftauchst?", wollte die Fünfjährige wissen, nachdem sie losgefahren waren und sich in den Abendverkehr eingeordnet hatten. "Ich schätze, sie sind eingeschüchtert…" "Warum? Du kannst doch keiner Fliege etwas zu leide tun…" Auf dem Fahrer- und Beifahrersitz brachen die beiden Bodyguards gleichzeitig in Gehuste aus – Dan und Takumi kannten dafür genügend Gegenbeispiele -, das jedoch ignoriert wurde. "Wahrscheinlich hat es etwas mit Respekt zu tun... Sie wissen, wer ich bin, was ich erreicht habe und welchen Status ich in der Gesellschaft habe… " "Also mich würde es nerven, wenn sich mir gegenüber alle so seltsam benehmen würden…!" "Man lernt mit allem zu leben, Ran", antwortete er mit einem leichten Lächeln und starrte aus dem Fenster. In ihren Augen war er immer nur ihr Onkel, den sie so selten sah, der ihr aber vieles erlaubte und ihr meistens etwas mitbrachte, wenn sie sich einmal wieder sahen und ihr auch zu speziellen Anlässen stets etwas zukommen ließ, sodass ihre Eltern immer befürchteten, dass er sie verzog. Bisher hatte er nie den Eindruck gehabt, dass sie in ihm den Rockstar YOSHIKI sah und er fragte sich, wann sie dies bewusst tun würde. Diese eine Woche bei ihm hatte wahrscheinlich den Grundstein dafür gelegt: stets bewacht, nie in der Lage einen Schritt zu tun, ohne Gefahr zu laufen, dass andere davon Wind bekamen. Er konnte nur hoffen, dass sie weiterhin denselben Menschen in ihm erkennen würde, wenn sie eines Tages das volle Ausmaß dessen, wer er war, begreifen würde. Für Tokyos Verkehr relativ schnell erreichten sie den Heliport, wo die Überraschung auf sie wartete - eine pechschwarze Bell 430, die mit fortschreitender Dämmerung immer mehr mit dem Hintergrund verschmolz. Rans große Augen sorgten für ein Schmunzeln bei Yoshiki. "Schon einmal die Stadt bei Nacht aus der Luft gesehen?", fragte er grinsend, als er sie abschnallte. Zwei seiner PAs, wobei eine von ihnen seine Chefassistentin war, öffneten die Türen, sodass sie aussteigen konnten, während es seiner Nichte die Sprache verschlagen hatte. Er ging zu ihr, hob sie hoch und näherte sich dann dem eleganten Helikopter mit der spitzen Schnauze und dem Fahrwerk statt der Kufen. "Alles wurde wie gewünscht erledigt", wurde er von Risa in Kenntnis gesetzt, die sich anschließend mit der anderen Assistentinnen zurückzog. "Das ist ein Hubschrauber…", fand Ran, die noch nie einen Heli in Echt gesehen hatte, schließlich ihre Sprache wieder und staunte Bauklötze. "Ja, ist es. Und damit werden wir fliegen, wenn du möchtest." Ein heftiges Nicken war die einzige Antwort, die er erhielt, doch diese genügte und so hob er das Mädchen in die Kabine. Er folgte ihr und nach ihm kamen noch die beiden Bodyguards. Yoshiki stellte sicher, dass Ran angeschnallt war und das Headset richtig saß, sodass es einerseits den Turbinenlärm dämpfte, sie aber gleichzeitig alle geführten Unterhaltungen mitbekam und durch das Mikrofon selbst sprechen konnte. Als er dann auch so weit war, gab er dem Piloten das OK und dieser startete die Turbinen, die den großen Hauptrotor langsam zum Drehen brachten. Als dieser hochgelaufen war, hoben sie sanft ab und gewannen schnell an Höhe, sodass die Autos auf den Straßen wie kleine Spielzeugautos aussahen. Mit einer scheinbaren Leichtigkeit flog der Hubschrauber über die beleuchtete Weltmetropole und brachte sie zu Sehenswürdigkeiten wie der Rainbow Bridge oder dem Tokyo Tower. Zum Glück hatten sie eine klare Nacht und somit eine hervorragende Sicht. "Der sieht von hier oben ganz klein aus!", empfand Yoshikis Nichte und drückte sich die Nase an der Scheibe platt. "Wenn du einmal älter bist, dann nehme ich dich mit nach Paris und zeige dir den Eiffelturm - der ist meiner Meinung nach schöner als der Tokyo Tower…" "Ist Paris auch hier?" "Nein, das ist in Frankreich, auf der anderen Seite der Welt", erklärte der Pianist lachend und strich ihr durch die schwarzen Haare. Der Flug, der über zwei Stunde dauerte, führte sie auch weg von Tokyo nach Yokohama bis hin zu Miura, wo sie anschließend zur Bōsō Halbinsel abschwenkten. Bevor sie wieder nordwärts flogen, machten sie noch einen kurzen Abstecher nach Tateyama. "Dort unten ist deine Großmutter", machte Yoshiki Ran auf ein Haus unter ihnen aufmerksam, in dem noch sowohl Innen- wie auch Außenbeleuchtung brannte. "Können wir sie kurz besuchen?" "Ich fürchte, es gibt nicht genügend Platz, um zu landen…" Ihm kam jedoch eine Idee, sodass er grinsend das Handy zückte und den Piloten bat, den Außenscheinwerfer einzuschalten, während er auswendig die Festnetznummer seines Elternhauses eintippte. Es dauerte nicht lange und die vertraute Stimme seiner Mutter meldete sich, die ihn bat, etwas lauter zu sprechen, da ganz in der Nähe ein Helikopter war - sie vermutete, dass es ein Rettungshubschrauber war. "Das sind Ran und ich", erklärte er lachend. Als er nicht direkt eine Antwort erhielt, dafür das Mädchen neben ihm aber wie wild gegen die Scheibe winkte, vermutete er, dass sie in den kleinen Garten hinausgegangen war, was sich bestätigte, als er über die Schulter seiner Nichte spähte und im Lichtkegel ihre winkende Gestalt ausmachte. Ran quietschte kurz erschrocken auf, fand es dann aber toll, als der Hubschrauber plötzlich anfing, vor und zurück zu rollen - er winkte zurück. "Ich mache einen kleinen Rundflug mit ihr", erklärte Yoshiki seiner Mutter, als er sie wieder am Apparat hatte. "… ihr gefällt es… Nein, keine Probleme!... Ja, mir geht es gut… okay… würde ich auch ohne Ramen und Pudding als Lockmittel machen… ich melde mich dann in den nächsten Tagen… okay… ich dich auch! Baibai“, telefonierte er noch kurz mit ihr und versprach, sich demnächst einmal wieder bei ihr blicken zu lassen, ehe er auflegte und sie den Rückflug nach Tokyo, entlang der erleuchteten Küste der Chiba Präfektur, antraten. Schließlich landeten sie wieder am Heliport und stiegen zurück in das Auto, welches sie jedoch nicht zurück zur Villa brachte, sondern den Weg zum Apartment von Rans Eltern einschlug. Diese saß auf ihrem Kindersitz und kämpfte gegen die aufkommende Müdigkeit an, wobei sie am Ende doch einschlief und erst wieder wach wurde, als ihr Onkel sie abschnallte und auf den Arm nahm. "Das ist aber nicht bei dir!", stellte sie aus halb geöffneten Augen fest und war schlagartig wieder munter. "Ich dachte, wir überraschen deine Eltern und veranstalten eine kleine Pyjamaparty", erklärte der Schlagzeuger, betrat die Lobby des Hochhauses, gab an einer verschlossenen Glastür einen Zahlencode ein, damit sich diese öffnete und er zu den Aufzügen kam. "Mit Matratzenlager und DVDs?", wollte Ran wissen und schlang Arme und Beine um ihn, legte ihren Kopf auf seine Schulter und kuschelte sich an ihn. "Wenn du willst…", entgegnete er und trat aus dem Lift, als sie im richtigen Stockwerk angekommen waren. Zumindest bedeutete ein Filmabend mit ihr keine Pornos und wahrscheinlich würde sie eh relativ schnell wieder einschlafen. "Ja!!", bestand sie darauf, wurde von Yoshiki zurück auf ihre eigenen Füße gestellt und warte, dass er aus dem Geldbeutel die richtige Keycard herausgefischt hatte und die Tür öffnete. Sie ging vor ihm hinein, kickte die Schuhe von den Füßen und drehte sich dann zu ihm um. "Ne, meine ganzen Sachen sind aber noch bei dir!" "Schau mal in dein Zimmer", forderte er sie auf, während er seine Cowboystiefel und ihre Turnschuhe ordentlich hinstellte. Sofort kam sie dem nach und nur wenige Sekunden später war sie wieder bei ihm und wollte wissen, wie das möglich war. "Mein Staff", war Yoshikis einfache Erklärung darauf, als er in die Küche ging und nachsah, ob es überhaupt irgendetwas Essbares gab, da er selbst am Verhungern war und er vermutete, dass es seiner Nichte nicht besser ging. Der Blick in den Kühlschrank machte ihn einmal wieder stolz auf seine Assistenten, da er mit den verschiedensten Sorten von kleinen Törtchen gefüllt war - von Schokolade, über Sahne bis hin zu Obst war alles vertreten. Zwar nicht das Gesündeste, aber es schmeckte und machte satt. Während Ran in ihrem Zimmer die ganzen Kraniche aus den Tüten ausleerte und sich daran machte, die verbleibenden zu falten, brühte ihr Onkel Tee auf – nachdem er erst einmal die ganze Küche auf der Suche nach Teebeuteln auf den Kopf gestellt hatte. Er kannte sich schließlich kaum in seiner eigenen aus, wie sollte er da erst wissen, wo alles bei seiner Schwägerin war. Nachdem dieses Problem jedoch erfolgreich gelöst worden war, baute er im Wohnzimmer aus allen Matratzen, die er finden konnte, ein gemütliches Lager, das von Decken und Unmengen an Kissen vervollständigt wurde. Nachdem dann auch zwei große Platten mit einer Vielzahl von Törtchen, sowie das Heißgetränk seinen Weg dorthin gefunden hatte, schluckte er noch schnell seine Schmerztabletten, die er in einer Tasche, die seine Assistenten im Eingangsbereich abgestellt hatten, gefunden hatte und rief dann seine Nichte, die auch postwendend kam - mit viel Origamipapier und um die 30 weitere Papiervögel in der Hand. "Welchen Film willst du anschauen?" Sie legte die Sachen auf dem frisch errichteten Lager ab, ging zu der großen DVD- und Videosammlung ihrer Eltern und betrachtete diese eingehend. Schließlich zog sie eine schmale, weiße DVD-Hülle im Hologrammstil heraus und gab sie ihm. Etwas überrascht nahm er sie ihr ab und fragte vorsichtshalber noch einmal nach, ob sie auch wirklich diese anschauen wollte. Als sie nur nickte und es sich auf den Matratzen bequem machte, legte er die Symphonic Concert DVD ein, die sie ihm gereicht hatte. Etwas verwundert war er ja schon von ihrer Auswahl… Kaum saß er neben ihr, bat sie ihn auch schon zu zählen, wie viele Kraniche noch fehlten. Rasch zählte er die Neuen durch und zog sie von den noch fehlenden ab. „72 brauchen wir noch", teilte er ihr das Ergebnis mit, als gerade Say Anything kam und nahm sich ebenfalls eines der bunten, quadratischen Blätter, um einen der Vögel zu machen. "Wo bist du da?", fragte Ran zwischen zwei Bissen von einem Törtchen und deutete auf den Flachbildfernseher, der zwar den Dirigenten, das Orchester und das Publikum, aber nicht ihren Onkel zeigte - dessen Platz am Flügel war vakant. "Hinter der Bühne - ich spiele nicht bei allen Sachen", erklärte er und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als nach Amethyst die Lichter im Saal ausgingen und die Zuschauer anfingen seinen Namen zu rufen. Wenn er daran zurück dachte, dann spürte er noch immer das Glücksgefühl, das ihn damals durchströmt hatte, als er nach dem Ende von X JAPAN und seinem kurzen Intermezzo beim Kaiser das erste Mal wieder eine Bühne vor großem Publikum betreten hatte. Es hatte ihn daran erinnert, dass er es nicht nur im Hintergrund aushielt - er musste nach vorne, auf die sprichwörtlichen Bretter, die die Welt bedeuteten. Egal wie sehr ihn die Sachen, die er tat, ausfüllten, nichts machte ihn so glücklich, wie dort oben zu stehen und ein Lächeln auf die Gesichter derjenigen zu zaubern, die ihn stets unterstützten. Als das sanfte Intro von The Last Song erklang bewegten sich seine Finger automatisch auf einer unsichtbaren Klaviatur, die nur er sah und unweigerlich kamen die Bilder zurück, als er in Los Angeles gewesen war und den allerletzten Song für X JAPAN geschrieben hatte. Er war damals so voller Hass auf Toshi gewesen, dass es pure Absicht gewesen war, dass der Sänger nur so wenige Zeilen bekommen und er für sich selbst so viel Sprechgesang geschrieben hatte. Damals hatte er es gewissermaßen als Rache angesehen, nachdem er schon darauf verzichtet hatte, den Streit mit seinem ehemals besten Freund öffentlich in den Musikmagazin und der Klatschpresse auszutragen - einen Lügner wie den anderen, der ihren Fans, denen sie es verdankten, dass sie dort waren, wo sie waren, brauchte er nicht. Dass er sich damit selbst belog, hatte er erst erkannt, als sie sich auf dem Laufsteg gegenübergestanden hatten, sich in die Arme gefallen waren und sich an den jeweils anderen geklammert hatten, als würde es um ihr Leben gehen - was es in gewisser Weise auch getan hatte. Noch heute vermutete er, dass ein Wort von ihm an jenem Abend ausgereicht hätte, dass es die fast 10 Jahre lange Funkstille zwischen ihnen nicht gegeben hätte, doch sein Stolz hatte ihm schon das ein oder andere Mal im Weg gestanden. So hatte er ihn gehen lassen und ein Jahrzehnt lang war The Last Song auch tatsächlich das allerletzte Lied von X JAPAN gewesen. Erst als sich Ran an ihn schmiegte, wurde er aus den Gedanken an die Vergangenheit gerissen und so machte er sich wieder ans Origami, damit möglichst bald die magische Zahl erreicht wurde. Die Zeit verstrich und bei Seize the Light war kein einziger Krümel mehr von den kleinen Kuchen übrig. Erneut machte sich Yoshiki ans Zählen der Papiervögel, während seine Nichte nur zu deutlich gegen die Müdigkeit ankämpfte, aber nicht nachgeben wollte, da sie das Konzert weiter anschauen wollte. Bisher hatte sie sich noch nie ein komplettes ansehen dürfen, immer nur kurze Ausschnitte… "Also wenn ich mich nicht verzählt habe, dann fehlt uns noch genau ein Kranich, um die 1000 zu haben." "Den darfst du machen!", entschied Ran, sodass mit den letzten Tönen des Liedes schließlich auch der allerletzte Vogel fertig war. "Jetzt können wir uns etwas wünschen!" "Du - ich habe schließlich kaum etwas dazu beigetragen", widersprach der Pianist und drückte sie an sich. "Aber du hast mitgeholfen, also darfst du dir auch etwas wünschen!" Ob dieser Sturheit, obwohl sie offensichtliche Probleme hatte, die Augen offen zuhalten, konnte er nur den Kopf schütteln und gab ihr nach. Er schloss die Augen, wünschte sich etwas und öffnete sie dann wieder. "Jetzt du." "Ich wünsche mir…" Den Rest des Satzes sprach sie nicht laut aus, da der Wunsch sonst schließlich nicht in Erfüllung ging. Doch entgegen dem, was sich wohl so viele Kinder an ihrer Stelle gewünscht hätten, bat sie die Götter um etwas, dass sie erst vor wenigen Tagen von Toshi erfahren hatte und es ihr erleichterte, so manches an ihrem Onkel zu verstehen. "Und was hast du dir gewünscht?", wollte Yoshiki neugierig wissen und legte sich hin, während seine Nichte erneut seine Nähe suchte. "Das darf man doch nicht verraten!", schallt sie ihn gespielt ernst, was ihn nur zum Schmunzeln brachte und anstatt weiter darauf einzugehen, drückte er sie einfach sanft an sich. Rans Verschmustheit war etwas, das er sehr an ihr mochte. Schließlich kam das letzte Lied auf der DVD – Endless Rain. Es hatte etwas magisches, wie die Melodie der Ballade den Raum füllte und die Discokugel über der Bühne die Konzerthalle in unendlich viele kleine Lichtpunkte tauchte. Noch immer konnte er sich an die Gänsehaut erinnern, die er bekommen hatte, als das Publikum - ohne Aufforderung - die Lyrics mitgesungen hatte und wie sich sein Herz dabei schmerzlich zusammengezogen hatte. So hatte er sich ursprünglich das Last Live vorgestellt, doch hide hatte ihn daran erinnert, für wessen Stimme er all die Lieder geschrieben hatte - und im Endeffekt war er froh, dass er damals auf den Älteren gehört hatte. Hätte er es nicht getan, hätte ihn wohl nicht nur sein Stolz davon abgehalten, mit Toshi zu reden, sondern auch seine Wut und sein Zorn, doch diese hatte er gemeinsam mit der Band an jenem Abend im Tokyo Dome begraben. ‚Let me forget all of the hate, all of the sadness’ "Weinst du da?", holte Ran ihn zurück in die Gegenwart und deutete auf den Bildschirm, wo er immer wieder mit der Stirn fast die Tastatur berührte. "Mehr oder weniger…" Nur zu gut konnte er sich noch daran erinnern, wie er damals gegen die aufkommenden Gefühle und Emotionen angekämpft hatte. "Warum?" "Weil es einfach überwältigend war… all die Menschen, die da gesungen haben, ohne dass sie dazu aufgefordert worden waren… das war einfach unglaublich!" Gerade zeigte der Fernseher, wie er am Ende des Liedes die Brille abnahm und sich über die Augen wischte - er war noch nie sonderlich gut darin gewesen, seine Gefühlswelt nach außen hin zu verbergen. In dieser Hinsicht war es wahrscheinlich äußerst einfach, ihn zu lesen und zu wissen, woran man bei ihm war. Manchmal sah er es als Fluch an, dass er so sensibel war und sein Herz auf der Zunge trug, aber letztendlich war er froh darüber - schließlich war sein Sandkastenfreund das beste Beispiel dafür, was passierte, wenn man Sachen zu lange in sich hineinfraß. "Darf ich auch einmal mit auf ein Konzert?" Mehrmals gähnend ließ seine Nichte von ihm ab, als die DVD zu Ende war und er aufstand, um sie zurück in ihre Hülle zu tun und die Heimkinoanlage auszuschalten. "Da musst du deine Eltern fragen, das kann ich nicht einfach entscheiden…", antwortete er ihr und tapste im Dunkeln zurück zu den Matratzen, wo er sich neben sie legte. Augenblicklich kuschelte sich Ran an ihn und vorsichtig zog er erst sie auf seinen Oberkörper und dann eine Decke über sie beide. Seine Arme schlangen sich um ihren zierlichen Körper und strichen sanft über ihren Rücken, während sie bereits halb am wegdämmern war. "Aber wenn sie einverstanden sind, dann gibt es bei den Konzerten im Mai im Dome jederzeit einen freien Platz für dich", vollendete Yoshiki seinen Satz von vorhin und drückte sie leicht. "Mhm… hab dich lieb, Yoyo", nuschelte sie schlaftrunken in sein Oberteil und ehe er wirklich etwas darauf antworten konnte, vernahm er auch schon ihre gleichmäßigen Atemzüge, die verrieten, dass sie den Kampf gegen den Schlaf endgültig verloren hatte, was ihn auch nicht weiter überraschte, da es garantiert schon Mitternacht, wenn nicht sogar später sein musste. Seufzend genoss der Pianist die Nähe und wartete darauf, dass auch er in Morpheus Arme entglitt. Gedanklich ließ er die letzte Woche Revue passieren, die definitiv nicht so gelaufen war, wie er es eigentlich geplant hatte. Aber wirklich überraschen tat es ihn nicht, da selten etwas genau so klappte, wie er es sich vorstellte. Er war froh, dass Rans anfängliche Sehnsucht nach ihren Eltern relativ schnell abgeklungen war, da er sonst nicht gewusst hätte, was er hätte tun sollen. Seine Mutter um Rat fragen? Vielleicht hätte sie ihm weiterhelfen können… dann natürlich die ganze Onkelgeschichte - bis dato war ihm nie wirklich bewusst gewesen, dass sie so an ihm interessiert war. Für gewöhnlich sah er sie ein paarmal im Jahr, abhängig davon, wie oft er selbst in Japan war und wieviel Zeit er hatte. All die Fragen, die sie ihm gestellt hatte, hatten gezeigt, dass sie nicht mehr länger das Kleinkind war, vor dem er das teure Equipment in Sicherheit bringen musste, sondern ein kleines Mädchen, das die Welt entdeckte und ein feines Gespür für Menschen hatte. Auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie er es anstellen würde, irgendwie musste in seinen Terminplan mehr Zeit für seine Nichte passen. Einerseits, weil er ihr weiterhin das Klavierspiel beibringen wollte - sie war definitiv begabt und das wollte er fördern. Natürlich könnte das auch seine Mutter machen, schließlich hatte er es auch von ihr gelernt, aber das war etwas, das er selbst tun wollte, da man nur sehr selten die Möglichkeit hatte, ein künstlerisches Talent von klein auf zu formen. Und andererseits hatte er selbst bemerkt, dass es ihm gut tat, wenn er Ran in seiner Nähe hatte. Die Gedanken an hide und seinen Vater, sowie die düsteren Fantasien, von denen kaum jemand etwas wusste, da er sie normalerweise in der Musik auslebte und entsprechend nicht weiter darüber reden musste, traten in den Hintergrund. Wer weiß, wie er die Woche des Nichtstuns überstanden hätte, wenn er keinen kleinen Wirbelwind um sich gehabt hätte. Wahrscheinlich wäre mehr als nur ein Teil des Arbeitszimmers zu Bruch gegangen… Es gab Dinge, bei denen er sich wünschte, dass seine Nichte sie nicht mitbekommen hätte: die Eskalation im Zoo, seinen Kontrollverlust und den Asthmaanfall am Montag, den Ausraster ihr gegenüber, als sie ihn eigentlich nur hatte beschützen wollen - es hatte ihn einiges an Beherrschung gekostet, sie nicht zu ohrfeigen und im Nachhinein war er froh darüber -, dass sie ihn am Mittwoch so hilflos und am Donnerstag so aufgelöst gesehen hatte. Seiner Meinung nach waren das alles Sachen, die nicht für die Augen einer Fünfjährigen bestimmt waren. Andererseits war sie erstaunlich gut mit alldem umgegangen - noch immer verblüfft es ihn, dass sie nicht in Tränen ausgebrochen war, als er sie derart angeschrien hatte. Selbst seine Angestellten suchten das Weite, wenn er auf 360 war und sie hatte ihm einfach trotzig standgehalten. Ob Kouki das damit gemeint hatte, als er sagte, dass sie schwierig sein konnte? Yoshiki rechnete ihr diesen Mut und diese Dickköpfigkeit zwar an, aber er befürchtete auch, dass sie sie früher oder später in Schwierigkeiten bringen würde – er kannte es schließlich von sich selbst nur zu Genüge. Wie oft war seine Mutter in die Schule beordert worden, weil er den Lehrern nicht den nötigen Respekt gezeigt und stur auf seiner Meinung beharrt hatte? "Ich hoffe nur, Kouki und Chika gehen damit so cool um wie Mama…" Grinsend dachte er daran zurück, wie sie beide bei einem seiner Lehrer gewesen waren, der ihn rauchend auf dem Schulgelände erwischt hatte, was natürlich strengstens verboten gewesen war. Dieser hatte seine Mutter aufgefordert, sie möge ihn diesbezüglich doch zurechtweisen und bestrafen. Doch das einzige was sie getan hatte - und nie würde Yoshiki den belämmerten Blick des Lehrers dabei vergessen -, war, dass sie sich zu ihm gewandt und ihn, nicht im geringsten wütend klingend, gefragt hatte, wie oft sie ihm schon gesagt hatte, dass er nicht rauchen sollte. Nach einer kurzen Pause hatte sie noch ein ‚zumindest in der Schule‘ hinterher gesetzt, wobei dem Lehrer der Unterkiefer nach unten geklappt war. Auf dem Nachhauseweg hatte sie noch gemeint, dass er ziemlich blöd war, sich erwischen zu lassen, wenn er sich schon darüber hinwegsetzte. Zum Glück hatte seine Mutter ihm schon sehr früh freie Hand gelassen, sodass der Vorfall - wie so viele andere - kaum Konsequenzen hatte. Andere hätten sicherlich Hausarrest und Unmengen von Strafaufgaben bekommen, er musste lediglich für zwei Wochen Hanonübungen (1) machen und durfte sonst nichts anderes am Klavier spielen - seiner Meinung nach war das sowieso eine viel schlimmere Strafe gewesen, als wenn er zum Beispiel das gesamte Haus hätte putzen müssen, da er Hanon noch nie wirklich hatte ausstehen können. Erneut wanderten seine Gedanken zu dem Kind zurück, das friedlich schlafend auf seiner Brust lag. Nur noch wenige Stunden, dann würde sie wieder bei ihren Eltern sein - irgendwie ein befremdlicher Gedanke, da er sich schnell daran gewöhnt hatte, sie um sich zu haben und ihm in den ersten Tagen sicherlich etwas fehlen würde. Aber er wusste auch, dass es besser war, wenn sie zurück bei seinem Bruder und seiner Schwägerin war, denn bei ihnen hatte sie Freiheiten, die er ihr nicht bieten konnte. Sie hatte so glücklich ausgesehen, als sie ihm erzählt hatte, wie viel Spaß sie mit ihrer Freundin auf dem Spielplatz und beim Eisessen gehabt hatte. Das alles waren Dinge, die er ihr in dieser Form nicht bieten konnte - zumindest nicht in Japan. Bei ihm zu sein bedeutete, in seinem goldenen Käfig zu leben und das war nichts für eine Fünfjährige. Einfach irgendwo draußen mit anderen Kindern zu spielen, müsste immer erst von seiner Sicherheit abgesegnet werden und er konnte es sich beinahe bildlich vorstellen, wie seine Bodyguards einen Spielplatz nach dem anderen in die Kategorie ‚nicht sicher‘ einstuften, weil einmal ein Holzsplitter an einer Bank und das nächste Mal ein zwei Millimeter zu weit herausstehender Nagel ein zu hohes Sicherheitsrisiko darstellten. Stellte sich die Frage, was er am Wochenende tun sollte, nachdem er keinen Wirbelwind mehr um sich hatte, der ihn auf Trab hielt. Vielleicht würde er nach Tateyama fahren, schließlich hatte ihn seine Mutter eingeladen, einmal wieder vorbeizuschauen, wenn er Zeit hatte und ihm versprochen, all seine Lieblingsgerichte zu kochen. Gut, er würde auch ohne den Anreiz kommen, aber Nein sagte er natürlich auch nicht dazu. Zudem vermisste er das Meer… Was er auf jeden Fall machen würde, war, noch einmal mit Gackt zu sprechen. Ihn ließ das Gefühl nicht los, dass der Jüngere ihm etwas verheimlichte und dass hide im Konferenzraum gewesen war, als er ohnmächtig gewesen war. Er wusste selbst, dass es verrückt war, aber manchmal erschien es ihm fast so, als würde er einen Raum betreten und der Gitarrist oder sein Vater wären bei ihm. Samstag oder Sonntag würde er von Yagehara auch den Plan für die kommende Woche bekommen, sodass er sich darauf vorbereiten konnte. Garantiert würden die Interviews und Shootings, die eigentlich für diese Woche geplant gewesen waren, nachgeholt werden und neue waren inzwischen sicherlich auch dazu gekommen. Dann würden zahllose Meetings wegen der Welttournee und seiner Stiftung anstehen, gleichzeitig musste er noch in die Klinik für den Belastungstest und eigentlich musste die Band für die bevorstehenden Konzerte am 2. und 3. Mai im Tokyo Dome auch noch proben. Ganz zu schweigen davon, dass die Arbeiten am Album weitergehen mussten und die Promotion für die anstehende Veröffentlichung seiner Autobiografie geplant werden musste. Er würde bis zum Kopf in Arbeit stecken, aber darüber war er froh, auch wenn er noch nicht ganz wieder auf der Höhe war. Zumindest würde es ihn ein wenig von dem bevorstehenden 11. Todestag von hide ablenken. Kurzum, er würde das tun, was er vor langer Zeit einmal in einen Song geschrieben und was Toshi ihm erst neulich gesagt hatte: Er würde versuchen sein Leben zu leben, auch wenn er für immer von zwei Narben gebrandmarkt sein würde. Letztendlich würde ihn jedes Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte oder ihn umwarf, stärker machen - so war es schon immer gewesen… ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch eine Anmerkung und ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) Charles-Louis Hanon: franz. Pianist und Komponist. Er hat Fingerübungen entwickelt, an denen sich die Geister spalten, da sie von vielen als „zu mechanisch“ angesehen werden. Einem MS-Blogeintrag von Yoshiki nach zu urteilen, spielt er die Übungen, kann sich aber weitaus interessanteres, wie z. B. Bach, vorstellen^^; Tag 9 – Samstag: Denn Das Leben Geht weiter… -------------------------------------------- @ Terra-gamy: Koukis Reaktion? Dein Wusch ist mir Befehl *nach unten deut* ^.~ @ JaeKang: Hmh~ ich seh mal, was sich machen, okay? ^.~ Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber und ich hoffe, dass ihr das letzte Kapitel genießen werdet! ~*~*~*~*~* Es ist mir egal, wann ich sterben werde… YOSHIKI – YOSHIKI/佳樹 Koukis und Chikas Flug hatte Verspätung gehabt, sodass sie erst gegen 07:00 Uhr in ihrem Apartment ankamen und nicht wie geplant um 05:00 Uhr. Sichtlich überrascht waren sie, als sie den Wohnbereich betraten, der definitiv anders aussah, als sie ihn in Erinnerung hatten. Die Sofagarnitur und der Couchtisch waren beiseite gerückt und von etlichen Matratzen ersetzt worden. In einem Berg aus Kissen und Decken lag Yoshiki mit Ran und beide schliefen tief und fest, wobei Ersterer den Mund leicht geöffnet hatte und immer wieder leicht im Schlaf schmatzte, während seine Nichte am Daumen lutschte. "Was haben die hier veranstaltet?", fragte Kouki seine Frau leise, die nur mit den Schultern zuckte und einfach einmal anfing, das Geschirr in die Küche zu räumen. Er machte sich unterdessen daran, eine Antwort zu bekommen, was darin bestand, dass er seinen großen Bruder weckte. "Yoshiki, wach auf!" Leicht schüttelte er an der Schulter des Blonden, doch dieser murrte nur und drehte sich weg. "Aufstehen, alte Schlafmütze", wurde er etwas energischer. "Ta gueule" (1), bekam Kouki verschlafen zu hören und schüttelte nur den Kopf, als Yoshikis linke Hand tastend nach einem Kissen suchte und sich dieses auf die Ohren drückte, als er eines gefunden hatte. "Wenn du schon Französisch mit mir redest, dann kannst du gar nicht mehr so tief schlafen", entgegnete er ungerührt und klaute ihm das Kissen. Unterdessen war Chika zurückgekommen und machte sich daran, ihre Tochter zu wecken. Diese war zum Glück kein solcher Morgenmuffel und öffnete verschlafen die Augen, als sie sie leicht an der Schulter gerüttelt hatte. Kaum hatte sie den Schlaf weggeblinzelt und sie erkannt, als sie ihr auch schon vor Freude quietschend um den Hals gefallen. Das alles ließ Yoshiki unbeeindruckt - er wollte einfach weiter schlafen und zurück in den schönen Traum, den er gehabt hatte: Sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzung in Amerika waren abgeschafft worden, sodass er endlich offiziell die Pferdestärken seiner Autos ausfahren konnte und die kleinen illegalen Autorennen bei Nacht passé waren. Er litt zwar unter Insomnie und brauchte auch generell nicht allzu viel Schlaf, aber wenn er schon einmal schlief und auch noch so einen tollen Traum hatte, dann konnte er auf einen nervigen Bruder, der ihn mit aller Gewalt wecken wollte, verzichten. "Casse-toi!" (2), murrte er, als Kouki, der keine Ahnung hatte, was er da zu hören bekam, auch weiterhin nicht von ihm abließ und nur am Rande registrierte, dass Ran bereits wach war. "Ich kipp dir gleich einen Eimer Eiswürfel über", drohte der Jüngere der beiden. "Laisse-moi tranquille et fiche le camp" (3), war Yoshikis schläfrige Antwort darauf und zog sich die Decke, die bisher auf seinen Hüften geruht hatte, über den Kopf. "Je länger deine Sätze auf Französisch werden, desto weniger kauf ich dir ab, dass du noch schläfst", entgegnete Kouki und nahm ihm wie vorhin das Kissen, nun auch die Decke weg. Murrend drehte sich der Schlagzeuger auf den Bauch, vergrub sein Gesicht in den vorhandenen Kopfkissen und nuschelt ein ‚Je suis en train de dormir et de rêver…‘(4) "Yoshiki!!" Langsam aber sicher verlor der Jüngere die Geduld und zerrte am Arm des Schlagzeuger. Dieser packte jedoch nur kräftig das Handgelenk und zog ihn mit einem Ruck zu sich auf die Matratze. Schneller als er reagieren konnte, hatte sich Yoshiki dann auch schon umgedreht, sich halb auf ihn gelegt und ihn als Kopfkissen und Kuscheltier missbraucht, sodass er mehr oder weniger bewegungsunfähig war. "Yosh!", schmollte Kouki und zog den verkürzten Namen seines Bruders in die Länge, doch dieser dachte gar nicht daran, auch nur im Entferntesten darauf zu reagieren. Erst Rans Kichern veranlasste ihn ernsthaft, die Augen zu öffnen und sich in ihre Richtung zu drehen. Mehrmals blinzelte er verschlafen und gähnte herzhaft. "Ran?" Diese sprang vom Schoß ihrer Mutter auf und sprang auf das Matratzenlager. "Guten Morgen, Yoyo!", wünschte sie ihm mit einem Kuss und wiederholte das Gleiche bei ihrem Vater, der sie erst einmal kräftig durchknuddelte, da er bisher noch gar nicht dazu gekommen war, sie richtig zu begrüßen. Quietschend drückte sie sich an ihn und freute sich, ihre Eltern wieder zu haben. "Was ist denn aus Onkel Yoshiki geworden?", wollte Kouki wissen und blickte zwischen seiner Tochter und seinem Bruder hin und her. "Ich habe ihm versprochen, ihn nicht mehr so oft ‚Onkel‘ zu nennen, weil er sich sonst so alt fühlt", war Rans ehrliche Antwort und sorgte damit für ein äußerst breites Grinsen bei ihrem Vater. "Das dreckige Grinsen kannst du gleich wieder wegpacken!", war Yoshikis mürrischer Kommentar dazu und boxte ihn in die Seite. "Du fühlst dich alt?! Ich werde dich bei Gelegenheit daran erinnern, wenn du einmal wieder der Meinung bist, dass du immer noch 21 wärst!" "Idiot!" Chika schüttelte über die beiden nur den Kopf, schließlich war sie es von ihnen gewöhnt und erhob sich. "Möchtest du noch mit uns frühstücken, Yoshiki?" "Im Kühlschrank ist, glaub ich, nicht allzu viel da…" "Da unser Flug Verspätung hatte, haben wir gleich noch ein Kleinigkeit eingekauft", erklärte sie und verschwand in der Küche, um sich um das Essen zu kümmern, das sehr westlich ausfiel. "Ihr seid gerade erst gekommen?", wandte sich der Schlagzeuger an seinen Bruder und setzte sich auf, wobei er erneut gähnte und sich dann ein wenig die Haare ordnete, die in alle Richtungen abstanden. "Ja… sag mal, was habt ihr beide hier eigentlich veranstaltet?", wollte Kouki wissen und richtete sich ebenfalls auf, während Ran von ihm kletterte und sich zwischen sie beide setzte. "Kraniche gefaltet, DVD geschaut und Unmengen an Törtchen verdrückt…" "… und uns etwas gewünscht, weil wir 1000 Kraniche gemacht haben", fügte die Fünfjährige noch hinzu. "Kommt ihr?! Das Essen ist fertig!", rief Chika sie. "Ich komme gleich nach, ich verschwinde noch schnell im Bad", entschuldigte sich Yoshiki. Wenig später saßen sie zu viert am Frühstückstisch und erzählten sich gegenseitig von ihrer vergangenen Woche. Der Pianist verschwieg jedoch diverse Details und zu seiner Überraschung verlor auch seine Nichte kein Wort darüber. Nach dem Essen und nachdem er Dan angerufen und gebeten hatte, ihn in einer Stunde abzuholen, bat er seinen kleinen Bruder jedoch um ein Gespräch unter vier Augen - sehr zum Missfallen von Ran. Sie zogen sich in Koukis Arbeitszimmer zurück und setzten sich auf das Sofa, das dort stand. "Was gibt es?" "Ein paar Sachen, die ich vorhin ausgelassen habe…", antwortete er leise und spielte mit seinen Haaren. Natürlich könnte er seinem Bruder nichts davon sagen, aber es bestand die Möglichkeit, dass Yagehara ihm etwas erzählte und außerdem war er sein engster Vertrauter, sodass er keine Geheimnisse vor ihm haben wollte. "Ich höre…" Kouki klang skeptisch. "Als ich mit Ran am Sonntag im Zoo war und ihr angerufen habt… da gab es doch Verbindungsprobleme… in Wahrheit war das ich… Du hast nie mit Dan im Zoo telefoniert, weil Dan nie dabei war… als du ihn direkt auf seinem Handy angerufen hast, da hat er gelogen, um dich und Chika nicht zu beunruhigen… ich bin mit Ran, aber ohne jegliche Security in den Ueno Zoo gegangen… " "Du bist was?!?!" "Ich hatte mich verkleidet und eine Zeit lang lief auch alles wie am Schnürchen, aber dann ist sie hingefallen und hat nach mir geschrien… weil es ziemlich warm geworden war, hatte ich einen Teil der Verkleidung ausgezogen… die Leute haben mich erkannt und das totale Chaos ist ausgebrochen… wir hatten Glück, dass uns ein Tierpfleger herausgeholt hat und Dan uns dann am Personaleingang abholen konnte…" Vorsichtig sah er zu seinem Bruder, der ihn ernst ansah und auf seiner Unterlippe herumkaute. Er stand auf und ging im Raum auf und ab, ehe er schließlich vor ihm stehen blieb. "Hast du noch alle Tassen im Schrank?!" Die meisten hätten Yoshiki diese Frage ins Gesicht geschrieen, Koukis Stimme war jedoch so ruhig wie immer, lediglich eine gewisse Schärfe hatte sich eingeschlichen. Dem Pianisten wäre es lieber gewesen, er hätte ihn angeschrien, aber so war er, nicht sein Bruder - dieser wurde selten laut. "Ich hätte nie zugelassen, dass ihr etwas passiert, Kouki!" "Du bist ohne Security los!" Er hatte sich wieder zu ihm gesetzt und sah ihn eindringlich an. "Wenn du mich einen Kopf kürzer machen willst, kannst du dir das sparen, das haben Dan und Yagehara schon getan… und das Management hat auch dafür gesorgt, dass nichts davon in den Medien erschienen ist…" Als der andere nichts erwiderte, setzte er noch eine Entschuldigung samt Verbeugung hinterher. "Bist du sauer?", fragte Yoshiki, als er sich wieder aufgerichtet hatte und noch immer keine Reaktion kam - außer sich-seufzend-durch-die-Haare-fahren zählte. "… entsetzt und schockiert trifft es wohl eher… ich nehme an, Ran hat nichts davon gesagt, weil du sie gebeten hast, kein Wort darüber zu verlieren?" "Ich wollte euch nicht beunruhigen… tut mir leid!" "Was passiert ist, ist passiert… was habt ihr beide sonst noch so ausgelassen?" "Wie? Du willst nicht noch weiter…?" "Klar würde ich dir am liebsten den Hals umdrehen, aber es ist vorbei, das Management hat sich darum gekümmert und ich weiß, dass diese Schnapsidee nicht böse gemeint war… solange du also nicht noch einmal so etwas Idiotisches mit meiner Tochter machst, sehe ich die Sache als erledigt an." "Du hast mein Wort darauf!" "Also, was war sonst noch?" "Yagehara meint, ich solle einmal wieder zum Psychologen…", antwortete Yoshiki und berichtete, seine Finger knetend, von seinem Ausraster gegenüber seinem Manager. "Ich hatte mich schon gewundert, was du mit deinen Fingerknöcheln angestellt hast…" Die Stirn runzelnd blickte der Schlagzeuger zu seinem Bruder und wartete darauf, dass dieser fortfuhr. "Was schaust du so? Wir wissen beide, dass es nichts bringt, dich mit Gewalt zum Seelenklempner zu schleppen… lass es dir durch den Kopf gehen und wenn du glaubst, es würde etwas bringen, dann sag mir Bescheid und ich kümmere mich darum… okay?" Etwas, dass sich Kouki in der Zusammenarbeit mit ihm von seiner Mutter abgeschaut hatte, war der Appell an seinen gesunden Menschenverstand. Meist war man so erfolgreicher, als wenn man ihm stur Vorschriften machte und Befehle gab, da man ihn mit Letzteren scheinbar regelrecht zum Regelbruch provozierte. "Okay…" "Was hast du sonst noch ausgelassen?" Leise folgten die Ausführungen vom Asthmaanfall, der Verwüstung des Arbeitszimmers, dass Ran Toshi gerufen und in welchem Zustand dieser ihn gefunden hatte. Alles in Kouki schrie nach einem ‚Scheiß drauf, dass es Wochenende ist, wir gehen postwendend zu deinem Psychologen‘, aber er sagte nichts dergleichen. "Wie geht es dir jetzt?" "Ich hab gute Tage, ich hab schlechte Tage…", antwortete Yoshiki schulterzuckend und lehnte sich gegen die Polsterung, während sein Bruder nur nickte, da es die Standardantwort war. Es gab Phasen, da war alles in Ordnung, aber es gab auch solche, in denen nicht nur eine Gewitterwolke über seinem Kopf schwebte, sondern er in seinem allzu vertrauten, schwarzen Loch war. "Sonst noch was?" "Patas Oberschenkel eignen sich nicht dazu, um darauf zu liegen - mein Rücken war am Mittwoch so ziemlich im Eimer und wenn Toshi nicht noch da gewesen wäre, dann würde ich heute wahrscheinlich noch im Jaccuzi festsitzen… und Donnerstag war neben Mittwoch worst day ever." "Deine Chaoten beim S.K.I.N. Meeting oder immer noch der Rücken?" Kouki wusste aus Erzählungen seines Bruders nur zu gut wie solche ‚Geschäftstreffen‘ für gewöhnlich abliefen. "Ersteres - Migräneauslöser pur, sage ich dir! Und als wäre das noch nicht genug, bin ich dann auch noch zusammengeklappt…", berichtete der Pianist von den Ereignissen. Die Augen seines Bruders weiteten sich dabei leicht, aber er ließ ihn ausreden. Als er schließlich geendet hatte, umarmte er ihn einfach, da alles, was ihm im Moment auf der Zunge lag, nur zu einer sinnlosen Diskussionen führen würde und darauf hatte er selbst im Moment keine Lust, da er es vielmehr schätzte und froh darüber war, dass sich der Ältere ihm anvertraut hatte, wo er auch einfach darüber hätte schweigen können. "Und du willst nach alldem wirklich am Montag wieder durchstarten?" Es war nur eine rhetorische Frage, denn die Antwort kannte er schließlich schon. "Noch eine Woche Nichtstun halte ich beim besten Willen nicht aus…", entgegnete Yoshiki und schlang die Arme um den Größeren. "Du machst dich noch kaputt…" "Wir wissen beide, wie es eines Tages enden wird, Kouki…" "Und ich werde trotzdem nicht aufgeben, diesen Tag so weit wie möglich in die Ferne zu rücken", äußerte er und stupste die Nase seines Bruders an, was diesen zum Lächeln brachte. "Danke, Großer!" Der Jüngere wollte gerade etwas darauf erwidern, als es klingelte. "Ich schätze, es ist Zeit für dich, zu gehen." Die beiden erhoben sich und gingen zur Wohnungstür, die Chika bereits geöffnet und Dan in Empfang genommen hatte. "Musst du wirklich schon gehen?", fragte Ran, die bei ihrer Mutter war und nicht sonderlich glücklich drein schaute. "Es ist Zeit", entgegnete Yoshiki und zog sich die Stiefel an. Er hatte den zweiten in der Hand, als sie zu ihm rannte und sich an ihn klammerte. Weil er gerade nur auf einem Fuß stand, brachte sie ihn etwas aus dem Gleichgewicht, sodass er ein paar Schritte nach hinten taumelte. "Ran…" "Ich will nicht, dass du gehst!" Ihre kleinen Hände hatten sich in seiner Jeans verkrallte, doch mit etwas Mühe konnte er sie soweit lösen, dass er genügend Platz hatte, um den anderen Schuh anzuziehen und dann vor ihr in die Hocke zu gehen. "Ich habe die Woche mit dir wirklich sehr genossen, Ran-tan, aber alles geht einmal zu Ende - so ist das Leben…" Anstatt zu antworten warf sich das Mädchen in seine Arme und er spürte, wie etwas Feuchtes den dünnen Stoff seines Oberteils durchnässte. "Darf ich wieder kommen?" "Natürlich, das habe ich dir doch versprochen", erwiderte er lächelnd, löste sie ein wenig von sich und wischte die Tränen von ihren Wangen, "außerdem siehst du mich vielleicht sowieso schon schneller als dir lieb ist - irgendwo zwischen meinen ganzen Terminen nächste Woche werde ich soviel Zeit wie möglich mit dir einplanen. Wir müssen schließlich Klavier üben und vielleicht habe ich dann auch die ein oder andere Überraschung für dich…" "Was für eine?!", wollte sie sofort wissen und augenblicklich hellte sich ihr Gesicht auf. "Wenn ich es dir jetzt verrate, dann ist es doch keine mehr", entgegnete Yoshiki grinsend und wuschelte ihr durch die Haare. "Und du kommst wirklich?", hakte Ran noch einmal nach, die mit ihren fünf Jahren bereits wusste, dass ihr Onkel nicht unbedingt der Beste darin war, Verabredungen einzuhalten. "Großes Indianerehrenwort!", versprach er und drückte sie noch einmal, ehe er aufstand, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Chika bedankte sich bei ihm für den Urlaub und dafür, das er auf ihre Tochter aufgepasst hatte, während Kouki ihn nur bat, auf sich aufzupassen und wissen wollte, was er nun tun würde, worauf er nur antwortete, dass er nachdenken wolle. Schließlich ging er zu Dan, der die ganze Zeit über stumm an der Tür auf ihn gewartet und sich seine Tasche, die seine Assistenten für ihn zurecht gemacht hatten, über die Schulter geworfen hatte. Anstatt seinem Bodyguard jedoch zu folgen, der zum Aufzug ging, um diesen zu rufen, hielt er noch einmal Inne und drehte sich erneut um. "Ne, Ran, vergiss nicht, was ich dir über Verabschiedungen gesagt habe!" "Mach ich, du darfst es aber auch nicht!" Lächelnd nickte er, setzte die Sonnenbrille auf - die Mütze hatte er gestern Abend bereits in die Tasche gepackt -, winkte seiner Familie zu und folgte Dan dann in den Lift, der sie ins Erdgeschoss brachte. Es wurde Zeit, dass aus Yoshiki wieder YOSHIKI wurde. "Where’d you like to go?", fragte der Bodyguard, als sie im Auto saßen und er den Motor gestartet hatte. "Just home", war die einfache Antwort des Schlagzeugers, der sein Mobiltelefon hervorzog und einen Eintrag aus seinem Adressbuch heraus suchte. "Okey-dokey!" Yoshiki nickte nur, drückte die Wähltaste und legte das Handy dann ans Ohr. Relativ schnell meldete sich die Stimme, die er hatte hören wollen. "Hey, Heath, ich bin es, Yoshiki." "Was verschafft mir die Ehre?" "Wegen der Kaninchen…" "Bist du noch immer sauer, weil ich dich reingelegt habe?" "Nein, ich wollte wissen, was du mit ihnen machst?" "Ich werde sie abgeben müssen… 12 Kaninchen sind einfach zu viel!" "Kann ich dir vielleicht zwei abkaufen?" "Seit wann stehst du auf lebendigen Haustiere?", wollte der Bassist wissen und spielte auf die Roboterhunde an. "Nicht für mich, für Ran – Tiere schulen doch das Verantwortungsbewusstsein, die Selbstständigkeit und so einen Kram…" "Ich gebe dir die beiden so - komm mit Ran einfach einmal vorbei, dann kann sie sich zwei aussuchen und ich gehe mit den beiden dann noch zum Tierarzt und stell sicher, dass du demnächst nicht noch Großmutter wirst!" "Haha…!" "Sonst noch was?" "Nee, eigentlich nicht. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei dir noch einmal wegen Proben und Aufnahmen, okay?!" "Geht klar und pass auf dich auf… Toshi hat mir erzählt, was am Mittwoch los war! Und von Pata soll ich dir dasselbe ausrichten." "Altes Klatschweib", murmelte Yoshiki und verdreht die Augen, „was macht Pata bei dir?“ „Wir basteln an nem Song…“ „Krieg ich ihn irgendwann zu hören?“ „Vielleicht… wenn er fertig ist!“ „Für eines eurer Projekte oder X JAPAN?“ „Seit wann gibst du den Stift ab?“, fragte Heath gespielt entsetzt. „Wenn es was Gutes ist, könnte ich mit mir reden lassen.“ "Abwarten und Tee trinken… wir hören dann von einander, oder?!" "Ja, ich meld mich und grüß Pata… und Heath, danke!" "Keine Ursache und mach ich", erwiderte der andere und legte auf, sodass auch der Pianist sein Handy wieder wegsteckte. Damit wäre die eine Überraschung für Ran geklärt, jetzt musste er nur noch ein ordentliches Klavier für sie auftreiben, damit sie zuhause richtig üben konnte. Am besten setzte er sich einmal mit Kawai in Verbindung – zu denen hatte er schließlich einen guten Kontakt -, aber das würde erst am Montag machbar sein. Als Yoshiki zuhause und Dan wieder gefahren war, macht er sich erst einmal frisch und zog sich neue Klamotten an, ehe er die Autoschlüssel für seinen Ferrari holte, noch einen Apfel mitnahm und dann mit dem Sportwagen losfuhr. Zügig, wenn der Verkehr es zuließ auch einmal schneller als die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit, fuhr er in Richtung 409, auf die er dann drauffuhr und mit ihr die Bucht von Tokyo hinüber zur Bōsō-Halbinsel überquerte. Die ersten knappen 10 Kilometer legte er in einem Tunnel, 60 Meter unter der Wasseroberfläche zurück, welcher auf einer künstlich angelegten Insel zu einer Brücke wurde, und die letzten Kilometer über das Meer überbrückte. Seiner Meinung nach war die Tōkyō-wan-Aqua-Line eine deutliche Erleichterung, wenn es darum ging in die Chibapräfektur zukommen, da man nicht wie früher außen herum an der Küste entlang fahren musste, was stets viel Zeit in Anspruch genommen hatte, sondern die Strecke auf gut 15 km verkürzte. So dauerte es nur etwa zwei Stunden, um in seine Geburtsstadt zukommen und nicht das Eineinhalb- bis Zweifache. Nachdem er wieder auf dem Festland war, orientierte er sich südwärts und brauchte eigentlich gar nicht die Straßenschilder, da er die Strecke im Schlaf kannte. Mit gemütlichen 100 km/h zuckelte er über die Autobahn, während es ihn in den Fingern juckte, hoch zu schalten, das Gaspedal durchzudrücken und auf 200-300 zu beschleunigen. Stattdessen machte er sich über den Apfel her und lauschte dem Radio, wobei der Nachrichtensprecher hauptsächlich ein Lieblingsthema hatte: die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise und der steigende Yen-Kurs. Letztendlich konnte Yoshiki nur hoffen, dass die Sponsoren das Ganze gut überstanden und auch weiterhin die Welttournee finanzieren würden… Am Nachmittag kam er in Tateyama an, doch anstatt sofort zu seiner Mutter zu fahren, machte er erst einen Zwischenstopp am Strand, den er seit seiner Kindheit kannte. Er parkte den Wagen und ging dann zum Meer hinunter. Einige Menschen waren dort und sie musterten ihn auch kurz, wandten sich dann aber wieder ihren eigenen Dingen zu. Etwas, dass er sehr zu schätzen wusste und dass es ihm erlaubte, auch ohne Bodyguards hierher zu kommen. Natürlich wurde er ab und an angesprochen und um ein Autogramm oder ein Foto gebeten, aber die meiste Zeit über behandelten sie ihn wie einen der ihren und ließen ihn in Ruhe. Mit einem Seufzen auf den Lippen wagte er sich bis in die Brandungszone vor. Das Wasser war, wenn es hoch kam, einen halben Meter von seinen Füßen entfernt und er genoss die sanfte Brise, die durch seine Haare strich. Es war egal, ob es hier oder in Malibu war, sobald er am Meer war, fühlte er sich frei und spürte, wie sich ein innerer Frieden in ihm ausbreitete, der sonst nicht da war. Hier konnte er den beiden verstorbenen Menschen, die ihm so viel bedeuteten näher sein als sonst wo - in diesem Ozean hatte sein Vater ihm das Schwimmen beigebracht und war mit ihm Angeln gegangen und dies war auch das gleiche Weltmeer, in dem hides Asche ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Yoshiki setzte sich in den Sand, zog seine Stiefel und Socken aus und stopfte Letztere in Erstere. Anschließend krempelte er seine Jeans hoch und stand dann wieder auf, um die wenigen Schritte bis zum Wasser zurückzulegen. Knöcheltief ging er in den kühlen Pazifik und ließ seine Füße von den Wellen sanft umspielen. Ruhig atmend schloss er die Augen hinter der dunklen Sonnenbrille und genoss das Gefühl des eins sein, das ihn durchströmte. Einmal wieder hatte er den Eindruck, dass er nicht alleine war und der Wind, der durch seine blonden Haare strich und sie zärtlich liebkoste, fühlte sich fast so an wie die Hand seines Vaters, als dieser sie früher gestreichelt hatte. Gleichzeitig rief es Erinnerungen von vor über 10 Jahren hervor, wenn seine Gefühle einmal wieder mit ihm durchgegangen waren und hide ihn getröstet und mit dem Daumen die Tränen weggewischt hatte. Der Gedanke daran ließ seine Augen feucht werden, doch er hielt das, was die Poeten auch das ‚Blut der Seele‘ nannten, zurück… ‘Will you wipe my tears if you are the rain Will you dry my face if you are the wind That's swaying roses, spreading the red Into the sky that'll veil and close my eyes I still see your smile’ (5) Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte er in einer ähnlichen Situation, auf der anderen Seite des Pazifiks, angefangen die Lyrics zu einem Song namens Rosa zu schreiben. Es war an seinem Geburtstag gewesen, an dem er sich einen Tag Auszeit gegönnt hatte, nachdem in den Wochen und Monaten zuvor alles aus dem Ruder gelaufen war und er das Gefühl gehabt hatte, dass alles vor seinen Augen im Sand verliefe. Irgendwann war dann einfach alles zu viel gewesen - er hatte sich von seinem Staff und seinem Management weggeschlichen, hatte absichtlich sein Handy liegen gelassen und die Nacht auf einer Parkbank in Beverly Hills verbracht, weil er nicht gewusst hatte, wo er hingehen sollte und sich wie ein entwurzelter Baum gefühlt hatte, der sich nicht mehr sicher war, wo er hingehörte. Einer seiner Assistenten hatte ihn dann in den frühen Morgenstunden gefunden gehabt und zurück gebracht, wo er anschließend einfach wie ein Roboter seinen Aufgaben nachgekommen war. Erst dieser eine Tag am Meer, den er sich genommen hatte, obwohl sich die Arbeit im Studio nur so gestapelt hatte, hatte ihm die Energie zurückgegeben, die er brauchte, um wieder aufzustehen und seinen Weg weiter zu gehen. Auch damals hatte es sich angefühlt, als würde er nicht alleine auf einem der Felsen sitzen und in die Ferne starren. Irgendwann, als seine Füße bereits anfingen taub vor Kälte zu werden, ging er zurück zu seinen Sachen, setzte sich erneut hin, zog die Knie an, schlagen die Arme um sie und legte sein Kinn auf ihnen ab. Die Menschen, die vorher noch da gewesen waren, waren weg, sodass er nun alleine war. Yoshiki genoss die Ruhe, die nur von dem gleichmäßigen Meeresrauschen und von den vereinzelten Schreien der Möwen unterbrochen wurde. Mit den Füßen grub er eine kleine Mulde in den warmen Sand und bedeckte sie anschließend mit dem beiseitegeschobenen. Erneut schloss er die Augen und ließ seine Gedanken schweifen, sodass er nicht mitbekam, dass er nach einer gewissen Zeit nicht mehr alleine war. Jemand war neben ihn getreten, tippte ihm an die Schulter und ließ sich dann neben ihm nieder. Erschrocken fuhr er zusammen und starrte dann mehr als verwundert in das Gesicht seines Nachbarn. Die Welt war wirklich klein, wenn er hier in Tateyama schon Gackt über den Weg lief. "Hey!" "Was machst du hier?" "Ich wollte mit dir reden, aber bei deinem Handy ging nur die Mobilbox ran, weshalb ich deinen Bruder angerufen habe und der meinte, ich solle hier mal nach dir suchen…", erklärte der Sänger und fixierte einen bestimmten Punkt, nicht unweit von ihnen entfernt im Meer, während Yoshiki sein Handy aus der Tasche fischte und feststellte, dass der Akku leer war. "Muss ja äußerst wichtig sein, wenn du deswegen extra von Tokyo hierher fährst", äußerte der Schlagzeuger und ließ sich nach hinten auf den weichen Untergrund fallen. Unter seinem Kopf verschränkte er die Arme, um nicht den ganzen Sand in den Haaren zu haben. "Es ist schön hier…", meinte Gackt und blieb sitzen. "Ich komme gerne hierher, um die Ruhe zu genießen…" Eine Zeit lang hingen beide Musiker ihren Gedanken nach und schwiegen, ehe Gackt sich wieder zu Wort meldete: "Ich habe dich am Donnerstag angelogen…" Interessiert setzte sich Yoshiki wieder auf und blickte ihn abwartend an – sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht. "Du warst ein paar Minuten ohnmächtig, danach bist du wieder zu dir gekommen… ich wusste bis dato nicht, dass Geister das können, aber ich habe mich etwas umgehört und ziemlich viele scheinen diese Fähigkeit zu besitzen… hide hat dich schlafen geschickt, nachdem du wieder wach geworden warst, damit wir weiterhin reden konnten, ohne dass du das mitbekommst…" Der Sänger blickte stur geradeaus auf einen Punkt im Meer, den nur er sah. "hide…?!" Unwillkürlich ballte der Pianist die Hände und hinter den getönten Gläsern weiteten sich seine Augen. Also hatte ihn sein Unterbewusstsein nicht getrogen! "Ich habe lange mit mir gerungen, ob es nicht besser wäre, dich im Dunkeln zu lassen… aber nach dem, was mir hide gesagt hatte, und ich dann noch lange mit You und meinem toten Urgroßvater gesprochen hatte…" "Was hat hide gesagt?", unterbrach Yoshiki ihn und registrierte nur am Rande, dass er zitterte. Zuviel stürzte gerade auf ihn ein. "Dass du sie wahrnimmst, wenn sie direkt bei dir sind." "Manchmal… manchmal, da betrete ich einen Raum und habe das Gefühl, sie wären da… ich kann es nicht erklären, es ist einfach so ein Gefühl! Und je länger es anhält, desto mehr kommen all diese Emotion zurück…" Sich auf die Unterlippe beißend fixierte er seine Füße, die er wieder ausgebuddelt hatte. "Deshalb halten sie eigentlich immer einen gewissen Abstand zu dir ein, um dir nicht noch mehr weh zu tun… aus dem Grund habe ich sie auch noch nie gesehen, wenn ich mit dir zusammen war…" "Sie?... das heißt, mein Vater ist wirklich auch…?" "Du hast zwei Schutzengel", bestätigte Gackt nickend, "anders wäre der Job mit dir ja sowieso nicht zu schaffen", fügte er noch scherzend hinzu, in der Hoffnung, den anderen somit ein wenig zum Lächeln zu bringen, da er ihn immer wieder hatte leise neben sich schniefen hören und er sich nur vage vorstellen konnte, was im Moment in seinem Freund vorgehen mochte. Als er nicht wie gewünscht reagierte, legte er einen Arm um ihn, zog ihn sanft an sich und strich über den Oberarm des anderen. "Hast du nach dem ‚Warum?‘ gefragt?", wollte Yoshiki schließlich wissen und löste sich von ihm, um sich wieder aufrecht hinzusetzen und erneut die Arme um seine Knie zu schlingen. "Manche Fragen bleiben besser unbeantwortet…" "Warum?!", brauste der Ältere auf, "du hast selbst gesagt, dass sie immer irgendwo um mich herum sind! Du hast hide im Konferenzraum gesehen, also kannst du ihn auch noch einmal sehen und ihn fragen und mir die Antwort sagen!" Gackts unkooperative Haltung war für ihn unverständlich, da er einer Antwort auf seine Frage, die ihn schon so viele Jahrzehnte lang quälte, so nahe wie noch nie war. "Letztendlich würde es dir nichts bringen, Yoshiki…" "Doch! Ich wäre endlich diese Last los und würde nicht länger ein Phantom jagen!", fiel er dem Jüngeren ins Wort, wobei seine Stimme am Ende brach, und er wischte sich die Tränen, die aufgekommen waren, von seinen Wangen. Ob sie nun aus Wut, Frustration oder Schmerz flossen, konnte er nicht sagen. "Wärst du nicht - auf eine Antwort würde eine neue Frage folgen und so würde es immer weitergehen… es wäre eine Teufelskreis!" "Das…", fing er erneut an zu widersprechen, kam aber nicht weiter, da Gackt ihn einfach erneut zu sich gezogen und an sich gedrückt hatte, in der Hoffnung, ihn so davon abzuhalten, sich weiter hinein zu steigern. Zunächst wehrte er sich dagegen und schlug mit den eingearbeiteten Metallschienen der Handgelenksmanschetten gegen die durchtrainierte Brust des anderen, doch schlussendlich gab er nach und sackte einfache in der Umarmung des anderen zusammen. "Wenn du heulen willst, dann heul, und wenn du schreien willst, dann schrei, aber akzeptiere, dass du manche Dinge nie wissen und für immer im Unklaren bleiben wirst. Dein Vater und hide lieben dich und werden immer bei dir sein und über dich wachen - das ist mehr, als die meisten in derselben Situation wissen", sagte der Sänger und hielt den zitternden Pianisten fest. Als die bitteren Tränen den Stoff seines langärmligen Shirts durchnässten, strich er beruhigend über den bebenden Rücken und hoffte, dass die Nähe, die er ihm geben konnte, ein wenig half. Es würde immer darauf hinauslaufen, dass der Schlagzeuger diese Bürde alleine tragen müsse. Gackt und die wenigen anderen, die Yoshiki so nahe an sich gelassen hatte, würden ihm dabei immer nur eine Stütze sein können, wenn er es denn zuließ. Nur zu gut wusste er selbst aus eigener Erfahrung, dass es anfangs schwer war, dies zu akzeptieren, letztendlich aber die Situation ertragbarer machte und dabei half, dass die Narben verblassten, wenn sie auch nie ganz weggehen und sich immer wieder einmal melden würden… "Sorry wegen vorhin", murmelte der Pianist schließlich leise, löste sich von ihm und wischte erneut die Tränen weg. "Schon okay", entgegnete Gackt und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während der andere schniefte und sich die Nase rieb. "Wenn du… wenn du sie… oder einen von ihnen noch einmal sehen solltest… kannst du… kannst du dann fragen, ob sie stolz auf mich sind?", fragte er mit brüchiger Stimme und blinzelte hinter der dunklen Sonnenbrille mehrmals mit den Lidern und schluckte ein paar Mal schwer. Der Sänger nickte und blickte erneut zu jenem imaginären Punkt auf dem Wasser, den er vorhin schon angestarrt hatte. "Ich würde sagen, sie sind es…" Er musste die Augen des Älteren nicht sehen, die Verwirrung war auch so deutlich genug auf dem Rest seines Gesichtes sichtbar. "Sie sind die ganze Zeit hier gewesen… und auf deine Frage hin haben sie nur genickt…", erklärte Gackt und drückte die Schulter des anderen, auf der noch immer seine Hand gelegen hatte, während sich dieser einmal wieder über die Wangen wischte und mit den langgliedrigen Fingern kurz unter die Sonnenbrille fuhr. "Du solltest ans Meer", fügte er mit einem Lächeln noch hinzu, was bei Yoshiki aber nur auf Unverständnis stieß. "Ich bin am Meer!" "Ganz hin - dort sind sie…" Augenblicklich erhob sich der Pianist, klopfte sich kurz den Sand von der Hose und machte einen Schritt vorwärts, ehe er innehielt und sich umdrehte. "Wo?", wollte er wissen, da er sie schließlich nicht sehen konnte. "Geh einfach", antwortete Gackt aufmunternd lächelnd und machte eine entsprechende Bewegung mit der Hand. Zögernd setzte Yoshiki seinen Weg fort, bis er erneut bis zu den Knöchel in der Brandung stand und das kühle Wasser seine Füße umspülte, während die Dämmerung einsetzte. Der Wind hatte leicht zugenommen, aber irgendwie fühlte er sich gar nicht frisch an. Wie vorhin erinnerte es ihn mehr an die zärtlichen Berührungen von seinem Vater und seinem besten Freund und fast automatisch schloss er die Augen. "Der Wind…" Als die Erkenntnis langsam durchsickerte, sank er auf die Knie und ignoriert die Tatsache, dass sich seine Jeans dabei voll Salzwasser sog. Er wollte sowieso noch zu seiner Mutter fahren und dort hatte er immer ein paar Sachen deponiert, sodass er nicht ewig in den nassen Klamotten wäre. Es war definitiv von Vorteil, wenn man sein ganzes Hab und Gut auf dem Globus verteilt hatte, auch wenn es nicht das Geschickteste war, die amerikanische Krankenkassenkarte in Japan zu haben, während die japanische in der Villa in Los Angeles lag. Der Wind… er hatte ihn schon so oft gespürt, wenn er am Meer oder am Grab von hide oder seinem Vater gewesen war und Gackt hatte selbst gesagt, dass sie hier waren - zudem hatte er vorhin den Eindruck gehabt, nicht alleine zu sein. Der Wind war in Wirklichkeit kein Wind… als er ihn an seiner Wange wahrnahm, über die eine einzelne Träne rann, strich er mit der Hand darüber und ihm war, als würde er ganz leise, mit dem sanften Rauschen des Meeres jene Worte hören, die er vor über 15 Jahren geschrieben, erst vor kurzem geringfügig abgeändert hatte und an die er sich noch heute klammerte... ‚If you could have told me everything You would have found what love is If you could have told me what was on your mind I would have shown you the way Now I'm older than you I've never thought beyond that time I've never imagined the pictures of that life For now I will try to live for you and for me I will try to live with love, with dreams, and forever with tears’ (6) ~*~*~*~*~* Zum Schluss noch einige Anmerkungungen bzw. Übersetzungen von Yoshikis schlaftrunkenem Französisch. Ansonsten würde ich mich natürlich über Kommentare und Kritik (sofern sinnvoll angebracht) jederzeit freuen! (1) ta gueule = halts Maul (2) casse-toi = verpiss dich (3) laisse-moi tranquille et fiche le camp = lass mich in Ruhe und hau ab (4) je suis en train de dormir et de rêver = ich bin grad dabei zu schlafen und zu träumen (5) Rosa – Violet UK (6) Tears – X JAPAN __________________________________________ NACHWORT Ehrlich gesagt: Wow, ich kann nicht glauben, wie schnell die Zeit vergeht! Es kommt mir wie gestern vor, dass ich in einer verregneten Januarwoche krankgeschrieben zuhause saß und aus Zeitvertreib anfing, etwas aufzuschreiben, dass mir schon seit geraumer Zeit im Kopf herumgespukt hatte. Witzigerweise war es eine Juniwoche, in der ich, erneut krankgeschrieben, die Story beendet habe. Von allen FFs, die ich bisher geschrieben habe, ist mir Shimo am leichtesten gefallen und auch am meisten ans Herz gewachsen. Jemand sagte einmal, dass ein Autor seine Figuren inn- und auswendig kennen muss - er muss wissen, was sie denken und fühlen und er muss auch wissen, was sie als nächstes tun werden. Bei niemanden ist mir das bisher einfacher gefallen, als bei Yoshiki… vielleicht weil ich alle Krankheiten, die er hat, bzw. die ich ihm angehängt habe (was Realität & was Fiktion ist, dürft ihr selbst herausfinden) von mir selbst oder aber von Personen aus meinem nächsten Umfeld her kenne. In keiner anderen meiner FFs steckt wahrscheinlich auch soviel Recherche wie in Shimo. Wenn ich an all die Stunden zurückdenke, die mit Suchen und Übersetzen zugebracht habe, so ist mir ein Satz noch immer im Gedächtnis: ‚Because life goes on!‘ Ich hatte das Glück, dass Yoshiki Anfang letzten Jahres für seine Stiftung an die Öffentlichkeit trat und erstmals wirklich über den Selbstmord seines Vater sprach (später dann auch noch die Veröffentlichung seiner Autobiographie) und dabei sehr offen war, was Shimo entsprechend beeinflusst hat (ihr werdet vielleicht auch bemerkt haben, dass u.a. zahlreiche Ereignisse aus diesem Zeitraum, wie z.B. die Aufregung um Heath oder die Tatsache, dass Yoshiki ein Chevalier wurde, mit eingeflossen sind). Seit ich vor Jahren auf diesen Künstler aufmerksam wurde, habe ich großen Respekt vor dem, was er geschaffen hat. Durch die Recherchen wurde er nur noch größer (wahrscheinlich habe ich die arme Kaoru irgendwann zu Tode genervt mit ‚Du, wusstest du schon, dass…!‘ und ‚Du, ich hab da neulich so nen Artikel entdeckt…!‘ und ich rechne es ihr hoch an, dass sie mir nie ein entnervtes ‚Halt endlich die Klappe!‘ entgegen geschrien hat) und diese 4 simplen Worte haben sich mir eingebrannt. Hätte jemand anders sie gesagt, ich hätte ihm wohl ins Gesicht gelacht und ihn gefragt, ob er überhaupt weiß, wovon er spricht. Sie Yoshiki jedoch zu glauben ist einfach und sie sind das, was ich aus dieser FF mitnehme. Das Leben mag nicht immer einfach sein, manchmal schmeißt das Schicksal einem Steine in den Weg, die unüberwindbar erscheinen, es letztendlich aber nicht sind. Die Welt dreht sich weiter, auch wenn wir manchmal das Gefühl haben, sie würde still stehen. Das Leben geht weiter… immer… irgendwie! Was ich mit all dem philosophisch sentimentalen Geschwafel sagen will, ist, dass ich euch dankbar dafür bin, dass ihr dieses Monsterwerk gelesen habt – denn nichts anderes ist es - und es nun schwer ist, die letzte Seite umzublättern und das Buch zu schließen, weil das letzte Kapitel geschrieben ist. Vielen Dank euch allen, v.a. aber an meine Betaleserin Kaoru, die sich durch 104 Wordseiten in diversen Sprachen ‚gequält‘ hat. DANKE! -Tei Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)