Zero Percent, maybe less von abgemeldet (That's enough, I guess) ================================================================================ Kapitel 2: The Disaster of Dining - oder - Das Überraschungsmenü ---------------------------------------------------------------- Und da saß ich nun. Auf dem Beifahrersitz einer seiner Sportwagen, auf dem Weg zu einem wahrscheinlich sündhaft teuren Restaurant. Doch solange er die Rechnung bezahlen würde, sollte mir das gleich sein. Oder sogar recht. Als wir das Lokal betraten, wurden wir äußerst förmlich begrüßt und zu dem für uns reservierten Tisch geführt, an dem wir - äußerst förmlich - gefragt wurden, ob man uns die Mäntel abnehmen und zur Garderobe bringen dürfe. Gackt lehnte dies vorerst - ungehobelt - ab. Der Grund dafür stellte sich nach wenigen Sekunden heraus: Er stellte sich hinter mich und meinte zuckersüß: „Darf ich dir die Jacke abnehmen, Schatz?“ Ich befürchtete, meine Augen zu verlieren, so weit öffnete ich sie, bevor ich mir meiner peinlichen Lage wirklich bewusst und dementsprechend rot wurde. „Was soll das?!“, zischte ich, so leise wie möglich und so entrüstet wie ich mich selten gehört hatte. Nachdem er meinen Mantel von meinen Schultern genommen hatte, gab er ihn der Bedienung, deren Augen nur hektisch von Gackt zu meinem Mantel sahen. „Jetzt dürfen Sie ihn mitnehmen.“ Seinen eigenen Mantel warf er noch beiläufig hinterher - auf den Arm der Bedienung natürlich. Die machte sich schnell auf und davon. Wir sahen sie für den Rest des Abends nicht wieder. Ein Kollege hatte sie abgelöst. Und das lag bestimmt nicht am Schichtwechsel. Wenn das Lokal nicht wahnsinnig leer gewesen wäre, hätte ich es nach dieser Szene sofort wieder verlassen - wenn ich den Heimweg gewusst hätte. Gackt drückte mich jedoch bereits auf meinen Platz, als ich noch darüber nachdachte, besser jetzt als später von hier zu fliehen, und setzte sich mir gegenüber. Was uns trennte, waren ein gedeckter Tisch und eine einsame, noch nicht brennende Kerze, über deren Docht ich Gackt ins Gesicht blickte. Als die andere Bedienung kam, zündete diese die Kerze an, nachdem sie uns die Speisekarte gereicht hatte. Damit hatte Gackt eines tatsächlich wahr gemacht: Es war ein richtiges Candlelight Dinner. Dieser Gedanke führte unwillkürlich zu einem nächsten: Würde er das, was er außerdem gesagt hatte, ebenfalls wahr machen? Auch das über das „angebliche Kaffeetrinken“ danach, bei ihm in seiner schaurigen „Candlelight Wohnung“? Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken und lenkte meine Gedanken auf das Essen. Die Auswahl war fabelhaft. „Deine Augen glänzen ja richtig vor lauter Vorfreude.“, meinte Gackt auf einmal. Ich sah zu ihm auf, bemerkte, während ich das tat, dass ich mich soeben wieder von ihm hatte beobachten lassen. Vielleicht war es doch schon öfters vorgekommen als zunächst angenommen; ich hatte es nur nie bemerkt. Oder einfach nicht darauf geachtet. Oder beides. Ich setzte mich übertrieben aufrecht hin und sagte übertrieben förmlich - ich wusste nicht, weshalb ich dies tat: „Das Angebot ist nun mal exzellent.“ Mit meiner normalen Stimme fügte ich noch hinzu, was mir selbst eben erst bewusst geworden war, als ich all die Leckereien auf der Speisekarte las: „Und ich habe einen Mordshunger.“ „Das ist gut. Ich hatte ja ursprünglich geplant, dass wir beide das Überraschungsmenü nehmen. Eben das mit den acht Gängen. Aber du darfst dir natürlich auch etwas ganz anderes aussuchen. Du hast freie Wahl.“ „Uwah! Ich kann mich gar nicht entscheiden! Ich könnte das jetzt alles essen!“ „Dann bestellen wir halt alles einmal, und ich nehme das Überraschungsmenü.“, schloss Gackt aus meiner Aussage, legte die Speisekarte beiseite und suchte Blickkontakt mit einem Kellner. „Nein, nein, nein, warte!“, versuchte ich ihn davon abzuhalten, jemanden zu uns zu rufen, um diese bizarre Bestellung aufzunehmen. „Du kannst doch nicht alles, was auf der Karte steht, bestellen.“ „Doch, natürlich. Das wäre schlimm, wenn sie es auf der Speisekarte stehen hätten, man es aber nicht bestellen kann.“ Meine Kinnlade drohte, nicht nur zu sinken, nein, sie drohte, mein Schlüsselbein zu brechen. Das konnte nicht sein Ernst sein... Hoffte ich. Sicherheitshalber versicherte ich ihm, dass mir das Überraschungsmenü vollkommen reichen würde und ich wahnsinnig gespannt war, was uns aufgetischt würde. Ich war mir sicher, dass einige Köstlichkeiten dabei sein würden, ich war nur noch nicht sicher, ob Gackt mir das Essen verderben würde. Ich war mir allerdings ABSOLUT sicher, dass er dies konnte. Mit Leichtigkeit. Bis zur Vorspeise schien alles vollkommen normal zu verlaufen - doch dann geschah das Unfassbare: Gackt verhielt sich wie ein normaler Mensch. Nichts von seinem Cyborgsein war zu bemerken. Abgesehen von der Perfektheit seines Körpers vielleicht. Jedenfalls sprach er mit mir ganz normal. Sogar über normale Dinge: Beruf, Privates. Er formulierte normale Sätze, die mich zur Abwechselung mal NICHT wütend, sprachlos oder rasend machten. Er wirkte ganz normal und das Unglaublichste: NICHT PERFEKT. Er hatte sogar ein Maiskorn aus Versehen über seinen Tellerrand gestoßen. Auf die TISCHDECKE. Die nun einen FLECK hatte. Direkt neben GACKTS Teller. - Warum hatte er noch keine Bedienung gerufen, um sich die Tischdecke wechseln zu lassen oder gleich einen neuen Tisch zu verlangen??? - Ich verstand die Welt nicht mehr. Oder zumindest Gackt. Nicht, dass ich ihn jemals mehr als einen Klecks Marmelade verstanden hätte. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie es wäre, ein Seepferdchen zu sein?“ Ich blinzelte ein paar Male. Ich musste zuvor geträumt haben und jetzt war ich wieder wach. Gackt war wieder normal - für seine Verhältnisse. „Ähm, nein.“, antwortete ich dann, nachdem ich wieder das sichere Gefühl hatte, wach zu sein. Und KEIN Seepferdchen. „Ich auch nicht.“, setzte er dann hinzu. „Aber ich schätze, es wäre ein schönes Leben. Du schwimmst so durch den weiten Ozean und bist völlig frei. Ungezügelt sozusagen. Und ungezähmt. Wild. Wild und frei. Zumindest so lange, bis du zwischen die Zähne eines Hais kommst.“ Ich starrte ihn einfach nur an. „Ich finde jedenfalls, dass Seepferdchen wunderschöne Geschöpfe sind. Ich denke, ich werde einen Song über Seepferdchen schreiben.“ Ich nickte langsam, doch nicht wirklich zustimmend. Wie auch? „Und ich werde dabei an dich denken.“ Mein Kopf stoppte inmitten seiner Nickbewegung. ~Was?!~ „Als ich deine Frisur gesehen habe, musste ich unwillkürlich an Seepferdchen denken. Ich weiß auch nicht warum, aber du erinnerst mich damit an ein Seepferdchen.“ Meine Augenbrauen hoben sich von selbst. „Und ich würde dich am liebsten einfangen.“ Mein linkes Augenlid zuckte. „Dir einfach ein kleines Lasso um deinen zarten Hals werfen.“ Mein rechtes tat es dem anderen gleich. „Doch dann würde ich dir diese schöne Freiheit nehmen, und das will ich nicht.“ Auf gewisse Weise beruhigte mich dieser Satz wieder etwas. Und doch fühlte ich mich noch nicht ganz sicher in meiner Seepferdchenhaut. „Deshalb habe ich beschlossen, dich zu zähmen.“ Ich hatte es geahnt. „Ich werde dich dazu bringen, freiwillig zu mir zu kommen und in meinem Gehege zu leben.“ Mein Kopf senkte sich ungläubig. „Und an meiner Seite in Freiheit zu leben.“ Meine Augenbrauen stiegen noch höher. „Was sagst du dazu?“ Ich fühlte mich gerade eher wie ein Kaninchen als wie ein Seepferdchen. Genauer gesagt ein Kaninchen in der Tierhandlung, dem gut zugesprochen wurde, damit es, ohne viel zu zappeln, in sein neues Heim transportiert werden konnte, in dem es von mindestens drei Kindern gefoltert, nahezu zu Tode geknuddelt und als Reittier für Puppen missbraucht werden würde. „Ich würde dich auch regelmäßig ausreiten.“ Ich bemerkte, dass ich aufgehört hatte zu atmen, und sog schnellstmöglichst so viel Luft ein wie ich nur konnte. Ich fürchtete, es würden meine letzten Atemzüge in Freiheit sein. „Na? Was sagst du dazu?“, fragte Gackt, als hätte er mir gerade von seiner neuen Songidee erzählt. Und auf gewisse Weise hatte er das auch. „Ich habe mir sehr viele Gedanken deswegen gemacht und entschieden, dass das die fairste Art und Weise ist, dich in Besitz zu nehmen.“ Ein entrüstetes Keuchen verließ meine Kehle. „Schließlich will ich dich ja zu nichts zwingen, nicht in deiner Freiheit einschränken oder dich gar von der Welt abschotten, um dich für mich alleine zu haben. Das heißt, das will ich schon, aber ich habe Tetsu gefragt und der meinte, das sollte ich besser nicht tun, weil du dich dann zu sehr sträuben würdest.“ „Tetsu hat WAS?!“, entfuhr es mir. Das konnte jetzt wirklich nicht sein Ernst sein! Er hatte doch nicht ernsthaft mit Tetsu über diese „Seepferdchensache“ gesprochen! Oder?! „Ich habe ihn gefragt, was ich machen soll, weil du auf meine Annäherungsversuche in letzter Zeit so abweisend reagierst.“ „In letzter Zeit??? Ich reagiere schon immer so!“, wandte ich empört ein. „Das sah in Moon Child aber anders aus...“ „Was meinst du?“, wollte ich irritiert wissen. „Da hast du mich liebevoll auf den Kopf geküsst.“, erklärte er. Ich war kurz davor, meine Beherrschung zu verlieren. „Das war meine Rolle, du Idiot!“ „Bedeutet das, du hast gar nichts dabei gefühlt?“ Sein Blick ähnelte wieder diesem Kind. Dieses Mal schien man ihm sogar auch noch den Teddybären aus den Händen und den Kopf eben dieses abgerissen zu haben. „Ich drehe noch durch...“, dachte ich laut und lehnte mich erschöpft in meinem Stuhl zurück, nur um mich dann sofort wieder nach vorne zu lehnen, nachdem mein Blick auf mein Weinglas gefallen war. Ich leerte es in einem Zug. „Seepferdchen brauchen viel Feuchtigkeit, ne?“, bemerkte Gackt äußerst verständnisvoll lächelnd. „Ich bestelle uns noch mehr Wein.“ Er hob eine Hand zum Zeichen, dass er eine Bestellung aufgeben wollte. Sofort war der Kellner zur Stelle. „Eine Flasche von dem Wein, bitte.“ Das würde mein Untergang sein, das wusste ich. Der Kellner war innerhalb kürzester Zeit mit der Flasche Wein zurück und schenkte mir und Gackt nach. Und sobald mein Glas auch nur annähernd leer war - was sehr schnell geschah - stand auch schon der Kellner wieder neben mir und schenkte nach, und nach, und nach... Ich wusste nicht mehr, wie viele Gänge es gewesen waren, die ich verschlungen hatte. Ich wusste nicht mehr, wie viele Gläser Wein es gewesen waren, die ich getrunken hatte. Ich wusste nicht einmal, wie viele Finger ich hätte sehen sollen, als ich meine Hände vor meine Augen gehoben hatte. Wie viele Finger hatten Seepferdchen? Ich wusste nur eins: Gackts Satz „Willst du noch auf einen Kaffee mit zu mir kommen?“ löste Alarmglocken bei mir aus. Doch ich hatte vergessen, wovor mich dieser Alarm warnen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)