Vom Schreiben und Träumen von Fujouri (Eine Sammlung von Kurzgeschichten) ================================================================================ Unsichtbar ---------- Deine wurstigen Finger zittern, als du dir gedankenverloren die Kleidung vom Leib streifst, im Begriff, eines der schrecklichsten Rituale des Alltages hinter dich zu bringen. Zuerst den knielangen, weiten Rock, der deine fleischigen Schenkel wie eine plumpe Aubergine aussehen lässt. Dann den verwaschenen, gestreiften Filzpulli, der deine Figur mit seiner hässlichen Naht und seiner mattgräulichen Farbe unelegant verschleiert. Abschließend entledigst du dich deiner Unterwäsche, hebst deinen rechten Fuß - du zögerst einen Augenblick -, dann steigst du unter die Dusche. Den verkalkten Duschhals in seiner Halterung lassend, drehst du das Wasser auf und wirst von einem kalten Strahl überrascht, der wie ein Platzregen auf dich niederprasselt, und du zuckst unwillkürlich zusammen. Du spürst deine Hände beben, als du nach der Seife greifst, diese fest umklammerst - ja, beinahe so fest, als hinge dein Leben davon ab -, die schreckliche Prozedur dann aber fortführst und den glitschigen Gegenstand über deine bleiche, schwammige Haut reibst - es widert dich an. Als du deinen linken Arm ausstreckst und ungeschickt nach deinem Nivea Hair Care Volumen Shampoo tastest, fällt die babyblaue Tube fast von der Ablage, doch umfasst du sie gerade rechtzeitig und drückst den dickflüssigen Inhalt heraus. Ein furzendes Geräusch ertönt aus der Öffnung, während du den letzten Rest auf deine Handfläche laufen lässt und diese zu deinem straßenköterblonden Haar, das in nassem Zustand an graubraune Betonsteinfarbe erinnert, führst. Angeekelt verteilst du die schmierige Masse auf deinem Kopf. Einzelne Haarsträhnen wickeln sich um deine Finger, sind dünn und glanzlos, strohig und brüchig, und du atmest einmal tief durch, um bei Verstand zu bleiben, denn der Tag hat dich bereits jetzt, am frühen Morgen, an deine Grenzen getrieben, und der Gedanke an das, was er noch mit sich bringen wird, macht deinen Zustand nicht gerade besser. In dem Wissen, dass die Misere noch nicht einmal richtig begonnen hat, tapst du unsicher aus der Dusche heraus. Deine massiven Oberschenkel reiben beim Gehen unaufhörlich aneinander und du willst, dass es vorüber geht. Dieses schreckliche Gefühl. Das alles hier. Widerwillig trittst du dir nun selbst gegenüber, dir, mir, ich, die ich doch eigentlich eine Fremde bin. Eine Fremde, bei der sich seit sechszehn Jahren die Möglichkeit bietet, sie kennenzulernen - doch du willst es gar nicht. Stattdessen starrst du nur in den Spiegel, in deine Augen, die die Meinigen sind, die der Fremden, leer und karg und langweilig braun. Der Duft des Shampoos findet einen Weg in deine Atemgänge, und du findest, dass er gut und abscheulich zugleich riecht. Du hast dich noch nie sonderlich für das, was gerade „in“ ist, interessiert, doch ist dieses Shampoo die bittersüße Ausnahme gewesen. Beinahe alle Mädchen in deiner Klasse benutzen es - du siehst es, wenn du mit ihnen nach dem Schwimmunterricht in die Gemeinschaftsdusche gehst -, und nur aus diesem Grund hast du es dir gekauft. Es hält, was es verspricht (auch wenn das Volumen bei dir nur mäßig zur Geltung kommt) und unbezahlbar ist es auch nicht - und es duftet. Nach Lavendel oder sowas Ähnlichem. Eigentlich solltest du es mögen. Doch das tust du nicht. Es passt nicht zu dir. Nicht zu dir, deinem Aussehen, deiner Kleidung, deiner Art, deinem Du. Und allein es zu benutzen, widerspricht deiner Absicht, dich von der Fremden, (von mir) der du hier und jetzt gegenüberstehst, fernzuhalten, sie abzulehnen und nie - niemals nie, um keinen Preis - kennenzulernen. Du hast deine Prinzipien über den Haufen geworfen, doch nimmst du dich ihnen sofort wieder an - was bist du nur für ein abstruses Balg. Abwesend fährst du mit deinen Wulstfingern durch das beinahe farblose Haar, das trotz des ach so tollen Nivea-Shampoos keinen Reiz versprüht. Keine Anmut, keinen Glanz, keine Erotik - da ist absolut nichts. Unsichtbar, hörst du mich sagen, und meine Stimme klingt spöttisch. Unsichtbar. Und noch einmal hallt die Stimme in deinem Kopf. Doch wagst du es nicht, dich von mir abzuwenden. Mit leicht zuckenden Lidern starrst du mir ins Gesicht, in das von Akne und Mitessern überflutete Gesicht mit der ovalen Form, den Grübchen, die sich nur bei einem Lächeln, also praktisch nie zeigen, dem unschönen Doppelkinn, das ich mir wegen dir von Zeit zu Zeit angefressen habe. Schon seit langem ersuchst du die Möglichkeit, deinen Frust mit Schokolade und deftigen Mahlzeiten herunterzuspülen, alles Schlechte in deinem prallen Bauch zu ertränken und es nur noch schlimmer werden zu lassen. Absurd. Doch du kannst es einfach nicht lassen. Unsichtbar. Endlich kehrst du mir, der Fremden, den Rücken zu, doch das nur, um nach dem Handtuch zu greifen, es erst über dein Gesicht, dann über den Rest deines dicklichen Körpers zu streichen, fährst dabei von deinen speckigen Unterarmen bis hin zu deinen Brüsten, von denen man nicht sagen kann, ob ihre Größe aus ihrem pubertären Wachstum oder deiner Fettleibigkeit resultiert. Dabei watest du in deinem Gehirn den Verlauf deines sicherlich miserablen Tages ab, stoßt dabei auf eine ganze Reihe von wunderschönen Lilys und Marys und Susans, die ihre heißgeliebten und allerseits beliebten Julians und Simons und Phillips fragen, ob sie nicht Lust hätten, mit ihnen auf den Abschlussball, der nächstes Wochenende stattfindet, zu gehen. Mit einem selbstbestätigenden Grinsen auf den Lippen würde Julian/ Simon/ Phillip ein „Warum nicht?“ entgegnen, und schon würden sie alle glücklich sein - alle außer dir. Unsichtbar, würden sie dich einzig und allein mit ihren Blicken schimpfen, weil sie nur deine bloße, plumpe, langweilige Hülle, doch eben auch nur das sehen können, genauso wie du auch nichts anderes als das - dieses dicke, tollpatschige Mädchen mit dem starren Blick - sehen kannst. „Unsichtbar...“, verlässt es murmelnd deinen Mund, während du ein letztes Mal die Fremde (mich) anstarrst - ausdruckslos, doch irgendwie auch verängstigt -, und wenn du sie ansiehst, siehst du im Grunde nur dich selbst, dein verkommenes, abstoßendes Selbst, das dir fremder ist als jeder andere, fremder, als jeder Fremde dir fremd zu sein vermag. Du drehst dich um. Wendest dich von dir selbst ab. Stopfst deine Korpulenz in die hässliche, aber unauffällige Kleidung, wagst es nicht, zurückzublicken, und bereitest dich mental darauf vor, dich der Hölle des Alltages zu stellen, wie du es schon verdammte sechzehn Jahre lang getan hast. Unsichtbar, ruft dir die Stimme aus dem Spiegel, die Stimme in deinem Kopf, meine Stimme noch nach, als du die Tür aufschließt und aus dem Badezimmer schreitest; begleitet von presslufthammerstarkem Herzklopfen, schweißtriefenden Händen und pochenden Schläfen. Du bist das Mädchen, das keiner sieht. Das Mädchen, das keiner sehen will. Das Mädchen, das sich selbst nicht sehen kann. Du bist - und so leid es mir auch tut, aber du bist selbst daran schuld - schlicht und ergreifend unsichtbar. --- Und noch so eine ältere Geschichte, die nach Bearbeitung schreit. Liebe Grüße, Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)