Vom Schreiben und Träumen von Fujouri (Eine Sammlung von Kurzgeschichten) ================================================================================ Liebes Tagebuch, mein Leben ist vorbei -------------------------------------- Liebes Tagebuch, es ist das erste Mal, dass ich so etwas wie einen Tagebucheintrag verfasse. Und wahrscheinlich auch mein letztes Mal. Doch ich halte es nicht mehr länger aus, mich nichts und niemandem annehmen zu können. Ich möchte erzählen... Einfach nur erzählen! Erzählen von dem, was mich plagt. Von dem, was mich in ständige Angst versetzt. Was mich zerbrechen lässt... Mein Leben. Mein Leben, das kein Leben ist. Dieses sogenannte Leben begann in einer Fabrik. Das erste, an das ich mich erinnern kann, ist, wie ich mit ganz vielen anderen meinesgleichen auf einem Laufband lag. Man hat mir in meine obere Öffnung irgendein seltsames Pulver geschüttet und mich dann verschlossen, damit es in mir drin bleibt. Ich mochte es nicht. Es roch unangenehm. Es roch nach Tod. Dieser Verschluss, der oben angeschraubt wurde, hatte zugleich einen merkwürdigen metallischen Stiel gehabt, der nach unten verlief. Er sah aus wie eine kalte, eiserne Hand, die sich um meinen kleinen Körper zu legen, ihn zu umfassen und feste zuzudrücken drohte. Ich bekam ein ganz mulmiges Gefühl. Abschließend wurde mir in einer großen Maschine mit einer Art Stempel in gelber Schrift etwas auf den Bauch gedruckt. Es war eine Nummer und noch irgendetwas anderes, doch das konnte ich nicht lesen. Dann wurde ich zusammen mit den anderen, die so aussahen wie ich, in einen riesigen Raum gebracht, der kühl und feucht war - ähnlich wie ein Keller. Wahrscheinlich war es eine Lagerhalle. Es vergingen einige Wochen. Die anderen und ich hatten viel miteinander gesprochen. Das hatte ich immer sehr genossen. Wir alle wussten nicht, was wir waren. Wozu wir dienten. Inwiefern wir den Menschen von Nutzen waren. Doch wir alle hatten die vage Vermutung, dass es sich dabei um nichts Gutes handelte. Wir wussten auch nicht, weshalb wir das annahmen... Doch irgendwie spürten wir es. In diesem staubigen, kalten Raum. Und es gab nur eine einzige Sache, die uns Trost spendete. Sie war simpel und völlig eindeutig, und trotzdem klammerten wir uns mit aller Hoffnung, die uns gegeben war, daran fest: Wir waren nicht alleine. Zumindest noch nicht... Eines Morgens öffnete sich das große Tor der Lagerhalle und wir wurden geblendet vom Licht der Freiheit. Es war wundervoll, den Duft des Morgentaus einzuatmen, von dem ich damals nicht einmal den Begriff kannte. Doch dieses Glücksgefühl verging genauso schnell wieder, wie es gekommen war. Einige Menschen, die eine Uniform trugen, stiegen aus einem großen Feldwagen und kamen auf uns zugelaufen. Sie ergriffen die Kisten, in denen wir uns befanden, und luden uns in ihrem Wagen ab. Nicht alle von uns, aber einige. Die wenigen anderen unserer Freunde blieben im Lager zurück. Doch wir waren uns sicher, dass sie auch bald abgeholt werden würden. Dann fuhr der Wagen los. Wir versuchten verzweifelt, das Gespräch der Männer in Uniform zu belauschen, doch das Geratter der massiven Räder, die über Steine und Schlaglöcher fuhren, war so laut, dass wir kaum etwas verstehen konnten. Es gab nur ein wirklich bedeutungsvolles Wort, das ich aufschnappen konnte. Ich wusste zwar nicht genau, was es bedeutete, doch es klang laut und brachial und grausam und ohrenbetäubend. Es konnte einfach nichts Gutes heißen. „Krieg“. Es dauerte einige Minuten, vielleicht sogar Stunden, bis der Wagen endlich hielt und wir anscheinend angekommen waren. Die Männer stiegen aus, nahmen unsere Kisten und trugen sie in ein kleines Gebäude. Es sah von innen ähnlich wie die Lagerhalle aus, nur mit dem Unterschied, dass sich hier auch andere Gegenstände außer unseresgleichen aufhielten. Wir verweilten dort einige Tage, und die Zeit zog und zog sich. Erfreulich war, dass ich die Chance bekam, andere Gegenstände kennenzulernen und mich mit diesen zu unterhalten. Es war sehr interessant, von Hämmern berichtet zu bekommen, wie sehr sie es verabscheuten, von den Menschen gegen Wände oder Holz geschlagen zu werden und dass es ihnen jedes Mal aufs Neue leid tat, gegen ihren Willen auf hilflose Nägel einzudreschen. Oder die Fernrohre, die einzig und allein zum Erspähen von irgendetwas dienten, doch so genau konnten sie mir das auch nicht erklären. Und dann waren da noch die Gewehre. Die Gewehre, die alles veränderten. Es war ein regnerischer Tag - die Tropfen schlugen brachial auf dem Dach über uns auf und durch das Fenster konnte ich so manche himmelzerreißende Blitze erkennen -, als eine der Schusswaffen mich in die grausame Wahrheit einweihte, die mir bestimmt war. Das Gewehr, mit dem ich sprach, war alt und abgenutzt - es musste schon fürchterlich viel gesehen und erlebt haben. Ich konnte dem, was es sagte, Glauben schenken - doch ich wünschte, es wäre anders. Es berichtete mir von dem ersten Einsatz, den es hinter sich gebracht hatte. Einer der uniformierten Menschen hatte es aus der Lagerhalle entwendet und war in einen Geländewagen gestiegen. Die Fahrt hatte nicht einmal eine Stunde betragen, doch die Zeit war nur sehr langsam herumgegangen. Als der Wagen endlich gehalten hatte, waren der Mann und dessen Freunde, die auch alle Gewehre bei sich getragen hatten, ausgestiegen. Sie hatten angeblich alle gezittert und ein verbissenes Gesicht gemacht... Als hätten sie Todesangst. Und dann waren sie auch schon gefallen - die ersten Schüsse. Das Gewehr hatte damals, ebenso wie ich, nicht gewusst, für welchen Zweck es geschaffen worden war. Doch bei seinem ersten Einsatz hatte es die erschreckende Realität eingeholt. Der Uniformierte hatte es nach vorne gerichtet und den Finger auf eine Art Hebel, der unterhalb angebracht worden war, gelegt. Er hatte gezielt. Durch das Gestrüpp hindurch auf irgendetwas, das dahinter verborgen gelegen hatte. Und dann hatte er den Hebel betätigt, und eine plötzliche, unerträgliche Hitze hatte sich im Lauf des Gewehres breitgemacht, als auf einmal eine Kugel herausgeschossen gekommen war und das Angezielte getroffen hatte. Es war ein Mensch gewesen, durch dessen Brust die Kugel gefeuert worden war. Ein Mensch in Uniform. In einer anderen Uniform als der, der geschossen hatte. Er hatte stark geblutet... ein leises Röcheln von sich gegeben... und dann war er gestorben. Das Gewehr verstummte. Auf solch harte Weise zu erfahren, für was es erschaffen war, musste ein wirklicher Schock sein. Doch dann, nachdem es sich gesammelt hatte, sah es mich an, zögerte, und dann fragte es mich, ob ich denn wüsste, was meine Aufgabe wäre. Als ich verneinte, schwieg es erneut. Und eine schreckliche Vorahnung traf mich wie einen Schlag. Wieder begann es zu erzählen. Es sagte, es hätte bei einem seiner Einsätze beobachtet, wie ein Gegenstand meinesgleichen von einem Menschen benutzt worden war. Er hatte den metallischen Hebel, der mir schon immer sehr bedrohlich vorkam, umgelegt und meinen Freund in ein bereits zerstörtes Gebäude, in dem sich anders Uniformierte versteckt hatten, geworfen. Der Mann war in Deckung gegangen und einige Sekunden waren vergangen... Bis es einen lauten Knall gegeben hatte - eine Explosion. Mein Freund war gestorben. Und mit ihm die Menschen, auf die er geworfen worden war. Nun liege ich hier, zusammen mit meinen Kameraden sowie neugewonnenen Freunden, in dieser undichten, hölzernen Hütte... und denke nach. Denke nach über mich und mein Schicksal, das meinen Tod, das den Tod anderer bestimmt, und verzweifle. Ich habe die Menschen noch nie verstehen können. Immerzu reden sie von belanglosen Dingen, reden und reden, doch das, was aus ihren Mündern dringt, ergibt wenig Sinn. Aber jetzt hat sich mein Bild von ihnen noch einmal immens verändert. Menschen... sind grausam. Menschen töten Menschen... Ihresgleichen, nur weil sie eine andere Uniform tragen. Erschaffen sogar Gegenstände, die ihnen dieses grausame Schlachtwerk erleichtern - ich verstehe es einfach nicht. Was ist das nur für eine Welt, auf der so schreckliche Dinge geschehen? Doch mir bleibt keine andere Wahl, als mich meinem Schicksal zu fügen. Ich: Geboren, um zu sterben. Und: Geboren, um zu töten. Mein erster und wahrscheinlich letzter Eintrag in dich, liebes Tagebuch. Ich weiß nicht, wann es so weit ist. Wann sie kommen, um mich zu holen. Wenn dieser Tag kommt, werde ich dich hier liegen lassen, in der Hoffnung, dass die Wahrheit weitervermittelt wird. Die Wahrheit aus meiner Perspektive. Die Wahrheit des Schicksals. Des Schicksals einer Handgranate. --- Ziemlich alte Geschichte, die nach Überarbeitung schreit...^^' Liebe Grüße, Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)