Holz und Elfenbein von Tatheya ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Hi Angeal-kun, ich hoffe die Story wird für dich so einige Überraschungen bereithalten. Denn ich habe ganz schön viel geändert. :) Toll, dass du es trotzdem lesen willst. Kapitel 2 Federico hastete nach seinem Termin beim Dekan wieder zurück zu seinem Zimmer im Wohnheim. Hektisch warf er einen Blick auf die Uhr, die in der Eingangshalle über den Fahrstühlen angebracht war. Er war schon hoffnungslos zu spät. Die Kompositionsstunde hatte er bereits versäumt und er hoffte Kevin hatten ihn bei Madame Dupal entschuldigt, die schon etwas betagte Dame legte Wert auf solche Dinge. Die Mensa war zu dieser Zeit gnadenlos überfüllt und Federico stand nicht der Sinn danach sich eine halbe Stunde die Beine in den Bauch zu stehen für „Hawaii Schnitzel in Currysoße“. Vielleicht stand noch im Kühlschrank seiner Bude etwas Essbares. Er meinte sich zu erinnern heute Morgen noch Reste des Auflaufs gesehen zu haben, sofern Claude, sein Mitbewohner, nicht ausgerechnet heute Morgen zurückgekommen und sie längst aufgegessen hatte. Der Auflauf war noch da und Federico setzte sich kurzerhand auf die kurze Anrichte der Küche während er in den kalten Überresten herumpickte. Fürs Aufwärmen hatte er keine Zeit und außerdem war er zu hungrig. Unwillkürlich kehrten seine Gedanken wieder zu jenem Mann zurück, den er vor wenigen Minuten im Büro des Dekans getroffen hatte: Alexis Arrowfield, begnadeter Organist und selbstgefälliger, arroganter Brite. Oh ja, der Ruf eilte ihm voraus. Wobei Federico ihm zugestehen musste, dass er sich im Sekretariat als ausgesucht höflich und nett präsentiert hatte. Sicherlich gefiel es Alexis‘ Ego, dass er gleich von allen erkannt wurde und bei seiner Ankunft beim Dekan vorsprechen musste, zeigte es doch welche Bedeutung ihm beigemessen wurde. Eine Attraktion mehr, die das Konservatorium vorzuweißen hatte. Alexis hatte sich bereits einige Lorbeeren verdient, aber Federico wusste, das diese nichts zählten. Hier und jetzt musste Arrowfield seine Leistungen bringen und der Rummel um seine Person würde bald wieder abflauen. So wie es immer war. Zumindest lenkte es für einige Zeit von seiner Person ab. Sonst stand er immer im Mittelpunkt der allgemeinen Bewunderung. Was Federico jedoch aufgefallen war: Alexis hatte ausschließlich Designerkleidung getragen – Claude hätte seine Freude daran gehabt, wäre Alexis ihm begegnet. Ebenso die Frisur, die dem nächstbesten Modemagazin hätte entsprungen sein können. Von der teuer aussehenden Armbanduhr, die unter dem Hemdsärmel des Organisten hervorgeblitzt war, ganz zu schweigen. Federico konnte ein kleines boshaftes Lachen nicht ganz unterdrücken. Also hatte das Konservatorium auch einen verzogenen kleinen Sprössling mehr. Mit denen hatte er bereits Bekanntschaft gemacht, in seinem eigenen Semester gab es auch so eine Vertretung dieser Gattung. Ihre Eltern finanzierten das teure Studium mal eben so aus der Portokasse, spendeten großzügig und ließen sich als Mäzenen feiern. Deshalb waren sie auch so beliebt beim Dekan, sie waren eine nie versiegende Geldquelle. Was Federico unmittelbar zu seinem eigenen Dilemma zurückbrachte. Inzwischen wusste wohl jeder hier, dass er finanzielle Probleme hatte und auf das Stipendium angewiesen war, das von einer Stiftung finanziert wurde. Solche Dinge wurden schnell unter den Studenten weitererzählt. An und für sich hatte er selbst keinerlei Probleme damit Geld von einer Stiftung anzunehmen. Stipendien gab es viele, gerade an Konservatorien und zahlreiche Studenten nahmen sie in Anspruch. Doch leider waren an die regelmäßigen Zahlungen auch Bedingungen geknüpft. Man erwartete von ihm, dass er den Geldgebern Gefälligkeiten erwies. Einmal hier ein Konzert während eines Firmenjubiläums, einmal da ein Vorspiel während eines Empfangs. Die Mitglieder der High Society brüsteten sich gerne damit einen jungen Musiker finanziell unter die Arme zu greifen. Diese außerordentlichen Auftritt und Konzerte brachten seinen ohnehin schon engen Terminkalender regelrecht zum Platzen. Wann sollte er so noch Zeit zum Üben finden? Zu allem Übel verlangte jetzt nun auch noch der Dekan, dass er in der nächsten Zeit keine der Anfragen zu Konzerten abwies. Anscheinend hatte sich irgendjemand schon über ihn beschwert. Leider gab es für Federico nun einmal keine andere Möglichkeit als ein Stipendium in Anspruch zu nehmen. Als er drei Jahre alt gewesen war, starben seine Eltern bei einem Verkehrsunfall. Das spärliche Erbe hatte nicht lange ausgereicht und war schnell von den Verwandten in Anspruch genommen worden, bei denen er gelebt hatte. Schon früh hatte man seine musikalische Begabung erkannt und entsprechend gefördert. Doch Eliteschulen und Universitäten, ganz zu schweigen von Lehrgängen und Meisterklassen, alles kostete Geld. Er war der Beste hier am Konservatorium, aber dementsprechend hoch waren auch die Erwartungen. Federico seufzte und ließ seinen Frust an zwei Makkaroni aus, die sich nicht auf die Gabel aufspießen lassen wollten. An manchen Tagen, da fühlte er sich dem Druck und den Anforderungen nicht im Geringsten gewachsen. Heute war so ein Tag. Warum machte er sich diesen ganzen Stress überhaupt? Er könnte aussteigen! Doch im Innersten wusste er genau, das er dies nie tun könnte. Er liebte das Klavier über alles und jeder Tag an dem er nicht spielen konnte, war für ihn ein vergeudeter Tag. So schnell es ging, wollte er sein Konzertdiplom ablegen, das Konservatorium verlassen und dann eigene Wege bestreiten. Endlich selbst bestimmen können, welche Stücke er einüben konnte und nicht abhängig sein von Dozenten oder Geldgebern! Es wurde Zeit, er musste sich beeilen. Schnell beendete er seine Mahlzeit und suchte seine Noten zusammen, die auf jeder noch so kleinen freien Fläche seines Zimmers lagen. Da er kein eigenes Instrument besaß, musste er die Flügel in den Übungsräumen des Konservatoriums in Anspruch nehmen. Natürlich gab es für ihn Ausnahmeregelungen, so konnte er bis spät in die Nacht hinein üben, wenn ihm danach war. Doch für die Stunden am Nachmittag galten für jeden die gleichen Regeln, man hatte sich in einen Plan einzutragen und erschien man zu spät, konnte sich jemand anderes den Flügel unter den Nagel gerissen haben. So wie es ihm auch heute passierte! Als er die Tür zu einem der Übungsräume öffnete, hörte er schon Klaviermusik. „Klara, was soll das! Ich bin jetzt dran. Kannst du nicht lesen? Schau doch auf den Plan“, wetterte Federico als er die Pianistin erkannt hatte. Er warf seine Noten auf den nächstbesten Tisch. Klara war ein Jahr jünger als er und nur hier, weil ihre Eltern es unbedingt wollten. Sie musste sich vieles durch hartes Üben erarbeiten und war nicht mit einem herausragenden Talent gesegnet. Daher quälte sie sich regelrecht durch den Unterricht und die häufigen öffentlichen Aufführungen, die hier Tradition waren. Insgeheim träumte sie davon, das Konservatorium zu verlassen, doch zu diesem drastischen Schritt hatte sie sich noch nicht durchringen können. Sie drehte sich auf dem Hocker um, der vor dem Flügel stand und erwiderte ungehalten: „Es ist fünf Minuten nach eins. Du bist zu spät.“ Und... sie war in ihn verschossen, Federico müsste blind sein, wenn er dies nicht bemerken würde. Die anderen Studenten schlossen bereits Wetten ab, wann er mit ihr ausgehen würde, wie ihm sein Mitbewohner Claude unlängst berichtet hatte. Federico mochte das Mädchen und schätzte sie sehr, aber mehr war es für ihn nicht. „Schon wieder die Mazurka. Wie lange willst du sie noch üben?“, entfuhr es ihm als er die Notenblätter sah, die sie vor sich liegen hatte. Sie hatte ihm schon vor zwei Monaten ihr Leid geklagt, dass sie dieses Stück verfluchte und überhaupt Chopin bis aufs Blut hassen würde. Sie zuckte missmutig mit den Schultern: „Ich habe immer noch an der einen Stelle Probleme. Es ist nun einmal nicht jeder so ein Wunderkind wie du.“ , fügte sie noch gequält hinzu, weil sie genau wie er wusste, dass sie inzwischen ein höheres Niveau hätte erreicht haben sollen. „Spiel es. Ich sehe es mir an.“ Er stellte sich neben sie und hörte aufmerksam zu. Vielleicht gab sie dann den Flügel frei und er konnte endlich üben. Was würde er für ein eigenes Instrument geben! Aber wie sollte er sich so eine Anschaffung leisten und vor allem, wo sollte er so einen Flügel unterbringen? In seinem kleinen Zimmer im Wohnheim war dafür gewiss kein Platz. „Du warst heute wieder beim Dekan.“, bemerkte Klara noch bevor sie das Zimmer verließ. Sie hatten sich auf einen Kompromiss geeinigt, dass sie nach einer halben Stunden ging und ihn üben ließ. Jetzt stand sie dicht neben ihm, so dass er unwillkürlich ihr Parfum einatmete. Irgendetwas mit Vanille, es erinnerte ihn an Pudding. „Unglaublich, wie schnell das die Runde macht.“ „Reiz ihn nicht zu sehr.“, riet sie ihm, denn sie kannte Federico und seine Abneigung gegen die Konzerte und ganz besonders gegen Dekan Halyen. Sie klopfte ihm auf die Schulter und sah ihm ins Gesicht. Sie wartete noch einen Moment. Offenbar schien sie etwas von ihm zu erwarten. Doch Federico drehte sich nur weg. „Ja, ja. Ich passe schon auf.“ Er würde es schon wieder irgendwie hinbiegen und Haylen besänftigen. Aber auf keinen Fall wollte er in den nächsten Wochen schon wieder einen Auftritt haben. Am Abend lag er auf seinem Bett und starrte an die Decke des Zimmers. Sein Vormieter hatte hier wohl einmal eine ziemlich heiße Party gefeiert, denn Brandflecken zierten die Decke und ließen sich auch durch Farbe nicht vollständig übertünchen. Federico hätte zu gerne gewusst, wie man Brandflecken an eine Decke bekam und was dies wohl für eine Party gewesen sein musste. Gerne wäre er auch einmal wieder ausgegangen und hätte das Leben auf dem Campus hinter sich gelassen, aber im Grund war Federico am liebsten alleine. Die meisten anderen Studenten hätten ihm gerne Gesellschaft geleistet, doch sie waren nur an seinem Namen und dem Rummel interessiert, der ihn stets umgab. Zwar stand er häufig im Rampenlicht, aber im Grund war er genauso einsam wie eh und je. Langsam wischte er sich die Träne ab, die über seine Wange rann. Federico wünschte sich einfach jemanden, der ihn verstand, ihn zärtlich in den Arm nahm und ihm ebenso zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Okay, er wusste, dass es unheimlich kitschig klang. Aber war es falsch, sich so einen geliebten Menschen zu wünschen? Aber stattdessen lag er verlassen in seinem Zimmer und übte Selbstmitleid. Jetzt fing er schon an zu flennen! Wie schon so viele Male an unzähligen Abenden, wenn ihn die Erinnerung an seine Kindheit einholte: Der ekelhafte Geruch des Desinfektionsmittels im Krankenhaus, der ihm noch heute in der Nase brannte, wenn er nur an jenen Abend vor sechzehn Jahren zurückdachte. Der Abend, an dem er sich an die Hand der Krankenschwester geklammert hatte und die Leichen seiner Mutter und seines Vater angestarrt hatte. Der kleine Junge hatte es nicht für möglich gehalten, dass sie wirklich tot waren, so wie die Ärzte es ihm gesagt hatten. Erst als er in das blasse und friedliche Gesicht seiner Mutter gesehen hatte, war es ihm klar geworden: Jetzt gab es niemand mehr, der sich um ihn kümmerte. „Fedri, bist du da?“ Jemand schmiss lautstark einen Schlüsselbund ins Eck und Federico hörte wie die Tür wieder ins Schloss fiel. Dies war Claude, sein Mitbewohner. Je zwei Zimmer hier im Wohnheim teilten sich eine kleine Küche und waren durch sie verbunden. „Natürlich, du bist hier!“, Claude stieß die Tür auf und knipste erst einmal das Licht an, denn Federico hatte es vorgezogen im Halbdunkel zu liegen. „Wieder einmal schwer damit beschäftigt dich selbst zu bemitleiden?“ Federico antwortete nicht. Er kannte Claude Debière schon seit den ersten Tagen, die er hier in Genf verbracht hatte. Claude war sein bester Freund und auch der einzige, der diese Bezeichnung wahrhaftig verdiente. Natürlich hätte Federico mit ihm durch die Clubs und Bars ziehen können. Claude hätte ihn nur zu gerne mitgenommen. Das Problem das sich hierbei nur ergab: Claude war schwul und seit Federico ihn einmal in eine Bar begleitet hatte... Nun, er hatte es als eine sehr denkwürdige Erfahrung empfunden, um es einmal vorsichtig zu umschreiben. Es kam schließlich nicht oft vor, dass ihm wildfremde Männer an den Hintern fassten. „Anscheinend hat dich unser liebster Dekan nicht mit Samthandschuhen angefasst.“, stellte Claude fest als er sich zu Federico aufs Bett setzte. Er zog den Reißverschluss seines Rucksacks auf und drückte Federico eine Flasche Bier in die Hand. Er hatte sie wohl auf dem Rückweg zum Konservatorium gekauft. „Es ist immer das Gleiche.“ Federico schüttelte den Kopf. Nein, er wollte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Er hatte sich heute schon genug den Kopf darüber zerbrochen. Er setzte sich auf und kramte in seinem Nachttisch nach einem Flaschenöffner. „Und sonst?“ Claude war einige Tage bei seinen Eltern gewesen und hatte die Vorlesungen geschwänzt. Er war ein lebensfroher junger Mann, der stets gute Laune hatte, nett war und bei allen sehr beliebt. Er studierte Violine und Federico war froh, dass er ihn als Mitbewohner hatte. Wenn ihn einer seine Sorgen vergessen ließ, und sei es nur weil er herumalberte, dann Claude. Federico reichte ihm den Flaschenöffner und sie schwiegen für einen Moment als sie den ersten Schluck Bier genossen. „Arrowfield ist endlich aufgetaucht.“ Dies war noch die einzige spektakuläre Neuigkeit, die er mit Claude teilen konnte. „Endlich! Madame Dupal hat sich ja schon nicht mehr eingekriegt.“ Auch Claude hatte die schwärmerischen Aussagen der alten Dozentin einfach nur als störend empfunden. „Hast du ihn schon gesehen? Trägt er die Nase so hoch wie alle sagen?“ „Nein, eigentlich nicht. Ich habe ihn im Sekretariat gesehen. Er war richtig nett. Ich glaube, es ist ihm selbst etwas peinlich. Wahrscheinlich will er auch einfach nur seine Ruhe haben.“ „Mhm...“ Als er dann gegen Mitternacht sich schlafen legte, Claude wieder in seinem eigenen Zimmer war, kehrte die Melancholie zurück. Claudes Anwesenheit war wie eine warme, tröstende Decke gewesen, die ihm jetzt wieder entrissen worden war. Er dachte wieder an seine Eltern. Wie gern würde er wissen, was sie zu seinem Leben sagen würden? Wären sie stolz auf ihn und würden ihn unterstützen, in allen Belangen? Fast noch mehr als die Einsamkeit, quälten ihn diese Fragen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)