Schuld & Sühne von 35M3R0D ================================================================================ Kapitel 51: Kapitel 51 - Intermezzo III --------------------------------------- Die Engel waren nach vorn getreten. In dem riesigen Festsaal und zwischen den leeren Bankreihen wirkte ihre Zahl von fünf verschwindend gering. Es war offensichtlich, dass sie keine Chance gegen die Reihen der Wachen gehabt hätten, die sich in militärischer Strenge den Wänden entlang aufgestellt hatten und sich nun nicht mehr rührten. „Exzellenz…“ Der Redensführer der Gruppe hatte seinen Mantel abgelegt und stellte sich direkt vor die Balustrade. Er war ein junger Mann, gerade erst der Jugend entstiegen, mit gewelltem, blondem Haar und heller Haut. Eigentlich das Bild eines Engels, trotzdem sprach sein Auftreten von einer gewissen Erfahrung, während sein Blick zum Höllenfürsten empor wanderte[1]. „Exzellenz, ich danke für die Gelegenheit dieser Audienz. Ich bin ein Vertreter der Anima Mundi, der momentanen Führungspartei im Himmel. Es liegt uns am Herzen, die Beziehung zur Hölle auf neutralem Grund zu halten und nicht unnötig zu reizen, weswegen wir gern die offizielle Rückführung der Seele Yue Katos auf formaler Ebene beantragen würden.“ Luzifer antwortete nicht, stattdessen begann sich eine abwartende Stille über die Anwesenden zu legen. Der Blick des Redners haftete immer noch am Teufel und versuchte ihn wohl auf diese Weise zu einer Antwort zu nötigen. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war das penetrante Räuspern, welches plötzlich die Szene durchbrach. Von der Seite her trat der Verrückte Hutmacher an die Gruppe heran, näherte sich mit elegantem Schritt und setzte sich dann leger auf die erste Bankreihe. Sie lächelte erst einem Moment freundlich und meinte dann mit leichten Tonfall: „So, meine Herren, das war jetzt aber genug der Diplomatie. Unser Fürst war nicht sehr angetan von diesem unangebrachten Auftreten. Wenn Ihre Partei dieses …“ sie fuchtelte umschreibend mit der Hand, „…Seelenproblem für einmal auf rein formale Weise lösen möchte, hätten Sie einen Antrag stellen sollen.“ Einer der Engel gab ein abschätziges Geräusch von sich und murmelte: „Das hätte tausend Jahre gedauert …“ „Nun, ganz so schlimm ist unser administratives System nicht“, entgegnete sie sehr deutlich, während sich ihr Haupt mit warnender Langsamkeit dem Sprecher zuwandte. Doch der blonde Redensführer unterbrach die geladene Stimmung mit einem leichten Auflachen. „Nein, gewiss nicht. Das wollten wir nicht unterstellen…“ er hob beschwichtigend die Hände und wandte sich nun eindeutig an den Hutmacher. „Was mein Genosse damit sagen wollte, war viel mehr, dass wir eine schnelle Lösung des Problems, sprich einen schnellen Transfer der betreffenden Seele wünschen. Yue Kato hat für uns Symbolwert, er ist ein Held des letzten Heiligen Krieges. Seine Gegenwart im Himmel würde viele Engel sehr beruhigen.“ Nun war es am Hutmacher zu lachen. Sie hob ihre schmalen Finger an den rotgeschminkten Mund und warf dann einen kurzen Seitenblick zu Luzifer. „Das ist wirklich amüsant. Denn diese Seele ist nicht nur unfähig und dumm, sondern auch noch feige. Es ist mir wahrhaft ein Rätsel wie sie zu solchen Ehren gelangen konnte. Ich schätze diesen Plan sie als Galionsfigur zu benutzen folglich als reine Zeitverschwendung ein…“ Belial macht eine ausladende Geste, doch die Miene ihres Gegenübers blieb unverändert. „Das spielt keine Rolle. Selbst wenn Yue Kato nicht in der Lage wäre, wieder eine ähnliche Position einzunehmen wie während des Krieges, sorgen die darin geleisteten Verdienste dennoch dafür, dass ihm ein Platz im Himmel zusteht.“ Und nach einer kurzen Pause fügte der Engel hinzu: „Wie ich bereits sagte, gehört diese Seele nicht in die Hölle.“ Der Gesichtausdruck des Hutmachers wandelte sich von einem leicht jovialen Lächeln zu einem abschätzig verzerrten Grinsen. „Ist das so? Dann werden die Herrn mir doch gewiss die Frage gestatten, warum er überhaupt hier gelandet ist. Denn in die Vorhöllen und folglich zur Verurteilung werden nur Seelen eingewiesen, die weder Himmel noch Erde will.“ Der Redensführer seufzte tief und fuhr sich mit einer Geste durch die Haare, welche eine gewisse Ertapptheit andeuten sollte. „Ich gestehe, uns ist da ein kleiner Formfehler unterlaufen…“, er schaute kurz über seine Schulter zu seinen Gefährten bevor er fortfuhr, „Yue Kato ist bekanntlicherweise kein unbeschriebenes Blatt. Ein Kind entsprungen aus einer unehelichen Affäre, dann die Drogen und das asoziale Verhalten, er wäre in der Tat ein Kandidat für die ewige Verdammnis gewesen…. Allerdings wurden ihm bei dieser Beurteilung seine postmortalen Taten nicht angerechnet. Er hat Selbstlosigkeit, Mitgefühl und Mut bewiesen als er mit dem Messias in den Kampf zog. All das muss ihm ebenfalls zugute gehalten werden und wiegt die Sünden seines sterblichen Lebens auf. Folglich darf man nicht…“ Während der Redner noch ausführend gestikulierte, wanderte die Augenbraue des Verrückten Hutmachers nach oben. Schliesslich unterbrach sie ihn barsch: „Blödsinn! Noch nie wurden einer Seele die Taten nach dem Tod angerechnet. Schliesslich ist das sterbliche Leben eine Prüfung, aufgrund wessen der Eintritt in die Ewigkeit gestaltet wird. Wo wäre der Sinn der Sterblichkeit, wenn es anders wäre?!“ Belial hatte sich erhoben und war mit ein paar wenigen Schritten an ihr Gegenüber heran getreten. Mit leiser aber umso gefährlicherer Stimme zischte sie: „Was ihr betreibt ist Haarspalterei, denn es war und wird niemals anders sein. Wenn ihr dieses ganze Theater also nur aufführt, weil euch die Führungsfiguren ausgegangen sind, dann sagt es, aber versucht nicht himmlische Nächstenliebe vorzutäuschen, wenn euch diese Heuchelei sowieso schon lange niemand mehr abnimmt.“ Der blonde Engel schluckte offensichtlich und machte einen Sicherheitsschritt rückwärts, während seine Gefährten jeweils einen nach vorn machten und zu ihm aufschlossen. Die Gruppe stand nur gedrängter zusammen, genauso wie auch ihre Situation war. Der Hutmacher verzog ob dieser Reaktion seinen Mund. Engel… Wieder hob der junge Redensführer beschwichtigend die Hände. Über andere Gesten als diese schien er wohl nicht zu verfügen. „Das mag sein, trotzdem verdient diese Seele die ewige Verdammnis in der Hölle nicht. Es wäre undankbar in Anbetracht ihrer Taten.“ „Undankbar?“ Belial fiel es wirklich schwer den Spott aus ihrer Stimme fernzuhalten. Obwohl ein Teil von ihr auch ein gewisses Amüsement darüber empfand, dass dieser Engel tatsächlich die Höhe besassen mit so etwas wie Dankbarkeit zu argumentieren. „Ja“, er nickte. Belial musterte den jungen Mann noch mal eingehend. Dieser wich ihrem stechenden Blick peinlich berührt aus, sich wohl bewusst, dass seine Unsicherheit ihn verriet. Er glaubte nicht wirklich an das, was er sagte. Er glaubte nicht, dass der Himmel es diesem Haustierchen schuldete der Hölle zu entfliehen, sondern er tat lediglich seine Pflicht, weil es der Etikette entsprach. Der Himmel sollte schliesslich Gutes tun und arme, unschuldige Seelen retten. Belial konnte ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken und schüttelte zugleich den Kopf. Also wirklich… dabei war der Himmel auch nur eine Hölle, die man weiss gestrichen hatte. „Yue Kato hat etwas Besseres verdient als das hier!“ Der Redensführer schien sich nun eindeutig etwas in die Enge gedrängt zu fühlen, denn er machte einen vehementen Schritt auf den Hutmacher zu, welcher sich davon aber nicht beeindrucken liess, sondern lediglich wieder die Augenbraue hob. „Ach wirklich? Und der Himmel soll also sein, was Yue Kato verdient hat?“ Ihre Worte hingen zweideutig über der Gruppe und liessen den Blonden die Hände zu Fäusten ballen. Es war offensichtlich, dass er etwas erwidern wollte, trotzdem schien er nicht imstande dazu, eingeschüchtert von der bedrohlichen Ausstrahlung der Satanin. „Der Himmel…“ fuhr Belial stattdessen fort, „…. ist eine Farce. Er war es schon als dieses Wesen, das sich unser Gott schimpfte, noch existierte, doch nun da auch es nicht mehr ist, entflieht euch das Recht über uns zu richten. Der Himmel ist nicht besser als die Hölle, der Himmel…“ Luzifer hob die Hand, was den Hutmacher augenblicklich verstummen liess. Er erhob sich voll unheilschwangerer Langsamkeit und trat dann an die Brüstung. Seine Hände legten sich auf das Geländer, während sein Blick über die Reihen der Anwesenden glitt. „Die Beziehungen zwischen Himmel und Hölle tun heute nichts zur Sache…“ Der Hutmacher schien sich unter dieser Bemerkung auf die Zunge beissen zu wollen, doch der Höllenfürst fuhr an die Engel gerichtet fort: „Ihr wollt diese Seele also um jeden Preis haben? Seid ihr auch bereit für sie zu kämpfen?“ Eine Moment lang hallten die Worte in dem grossen Saal nach, bis schliesslich wieder der blonde Engel einen Schritt nach vorne tat und mit entschlossener Miene zu Luzifer hoch sah. „Ja, das sind wir.“ Luzifer betrachtete ihn kurz, bevor sich schliesslich ein bedrohliches Lächeln auf seine Lippen schlich, das seine Eckzähne entblösste. „Dann seid ihr also bereit, den Tod und das Leid vieler in Kauf zu nehmen, um so eine einzelne Seele vor dem zu bewahren, was ihr Undankbarkeit nennt? Ist ein Mensch wirklich einen weiteren Krieg zwischen Himmel und Hölle wert?“ Der Redensführer der Engel schluckte und wandte betreten seinen Blick zu Boden. Er schien erneut um Worte zu ringen, doch fand sich nur umgeben von genauso ratlosen Gefährten. Während seine Gedanken sich noch um eine adäquate Antworte drehten, trat hinter dem Teufel unauffällig eine Frau aus dem Schatten. Sie trug ein langes, rotes, asiatisches Kleid und reichte dem Höllenfürsten eine Akte in die Hand, welche dieser mit einem kaum merklichen Kopfnicken entgegennahm. Belials Blick folgte dem Neuankömmling mit einer Mischung aus Überraschung und Misstrauen. Es war ungewöhnlich die Schlange hier zu sehen, sie war sonst fast nie ausserhalb ihrer üblichen Zuständigkeitsbereiche anzutreffen. Natürlich hatte sich ihre Beförderung schon herumgesprochen, doch dass Luzifer sie hierher berufen würde, war unerwartet. Auch durch die Reihen der Engel ging ein Raunen. „Die Nächtliche“, sie flüsterten untereinander und warfen der Frau misstrauische Blicke zu, „hier ist sie also.“ Lilith kommentierte den Aufruhr bloss mit einem kurzen Aufschauen, fuhr dann aber unbeirrt damit fort dem Höllenfürsten etwas über das eingereichte Schriftstück zu erläutern. Ihre Worte waren nicht zu verstehen, doch schliesslich öffnete Luzifer die Akte und legte sie vor sich auf die Ablage. Seine Augen glitten abwesend darüber und wieder breitete sich im Saal eine angespannte Stille aus. Die Engel warteten, aber nichts geschah. Erst als am anderen Ende das Geräusch einer sich öffnenden und wieder schliessenden Tür erklang, wagten sie es ihre Blicke vom gefallenen Morgenstern abzuwenden. Eine weitere Person war eingetreten, eine Wache. Doch anstatt sich in die Reihen ihrer Kameraden einzugliedern, schien auch sie ein Anliegen höherer Priorität zu haben und eilte nach vorne. Hektisch begann sie auf den Verrückten Hutmacher einzureden, welcher erst noch einen erbosten Blick zu Luzifer und seiner rothaarigen Begleitung warf, dann aber plötzlich alarmiert aufschaute und vollkommen unvermittelt mit energischem Stechschritt begann die Tür anzupeilen[2]. Während die stummen Blicke der Engel noch verwirrt zwischen dem abziehenden Hutmacher und dem Paar am Kopfende des Saales hin und her wanderten, hatte Luzifer sich aufgerichtet. „Engel…“ er steckte sie Hand aus und die Gruppe zuckte erschrocken zusammen. An den Wänden standen auch die Wachen plötzlich wieder stramm. Er blickte mit strenger Miene auf sie herab. „… ihr riskiert zuviel für zuwenig. Eure Wahl basiert nicht auf Güte, sondern auf Stolz.“ Durch die Reihen der Engel ging ein kollektives Schlucken, trotzdem hatte der Redensführer schon wieder den Mund geöffnet um etwas zu erwidern. Luzifer liess ihn allerdings nicht zu Wort kommen, indem er selbst fortfuhr: “Eine einzelne Seele sollte dem Himmel keinen Krieg wert sein. Da ihr aber dennoch gewillt seid, einen loszutreten, soll es für einmal die Hölle sein, die Vernunft beweist und den Wert jener Seele nicht überschätzt.“ Damit setzte er sich wieder und Engel tauschten fragende Blicke untereinander aus. Hiess das jetzt….? „Wartet draussen. Die Seele wird kommen.“ ~~~ Lilith legte ihre Hand auf die Schulter des Teufels. „Du willst ihn also tatsächlich gehen lassen?“ Er warf ihr einen knappen Seitenblick zu. „Wer behauptet denn so etwas…“ Das Lächeln, welches seine schmalen Lippen umspielte, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Der Morgenstern plante also wieder etwas. Die Hand des Teufels legte sich auf ihre, umfasste sie und zog sie dann nach vorne. „Nimm die Akte.“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, tat dann aber wie ihr geheissen wurde. Während sich ihre langen Finger darum schlossen, bemerkte sie wie nebensächlich: „Wird es nicht wie Schwäche erscheinen, wenn er mit ihnen geht?“ Luzifer beobachtete jede ihrer Bewegungen, trotzdem blieb sein Tonfall neutral. „Wird es nicht, wenn er die richtige Entscheidung trifft.“ „Entscheidung?“ Mit einem skeptischen Blick hielt sie die Akte vor ihrer Brust. Luzifer ging an ihr vorbei und mit einem einzigen Wink war die gesamte Inneneinrichtung des Festsaals verschwunden. Dann wandte er sich ihr wieder zu und tippte im Vorbeigehen die Akte auf der Höhe des Herzens der Schlangefrau an. „Freier Wille.“ Sie verzog das Gesicht und schaute dem sich entfernenden Höllenfürsten nach. Dann glitt ihr Blick doch noch mal zur Akte in ihren Händen und plötzlich weiteten sich ihre Augen. „Was? Du willst…? Aber was, wenn…..wenn er es nicht erkennt?“ In Liliths Stimme schwang Panik mit und sie beeilte sich hinter dem Teufel her zu kommen. Luzifer antwortete nicht, sondern warf der rothaarigen Frau bloss einen Blick zu, den man wohl in vielerlei Weise hätte deuten können. TBC [1] Ursprünglich hatte ich vorgehabt, Raziel als den Redensführer der Engelspartei auftreten zu lassen. Dann stand ich allerdings wieder mal vor dem Problem, dass ich mich nicht erinnern konnte, ob Raziel und Kato sich persönlich kennen (und ich war schlichtweg zu faul es nachzulesen;P), weswegen ich diesen blonden Engel dann anonymer gestaltet habe. Zudem haben die Charakterzüge auch nicht wirklich zu Raziel gepasst. [2] Hierbei handelt es sich um die Szene, die wir in Kapitel 50 „von der anderen Perspektive aus“ schon gesehen haben. Die Wache eilt hinaus um Beli zu holen, nachdem das Bunny bei Kato angefangen hat Geheimnisse auszuplaudern. Beli verlässt hier also den Gerichtssaal um zum Bunny und Kato in der Einzelzelle zu gehen. Somit sehen wir hier für einmal einen nicht ganz chronologischen Ablauf, sondern eine leichte zeitliche Überschneidung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)