Lost Angel - Die Flügel wachsen wieder von Remy (Fortsetzung von 'Lost Angel') ================================================================================ Verabschieden ------------- Lost Angel – Die Flügel wachsen wieder Kapitel 20 – Verabschieden Jesko's PoV „Ihr wollt was?“ Toki glaubte es nicht und das spiegelte sich nicht nur in ihrem Tonfall, sondern auch in ihrem Blick wieder. Ich wusste so recht auch gar nicht, wieso ich es ihr überhaupt erzählte. Ich kannte doch Jemils Entscheidung noch gar nicht. Dennoch kam es mir so vor, als ob er genauso dachte wie ich. „Wir gehen wieder von hier weg… Hat so recht keinen Zweck für uns…“, murmelte ich und wandte leicht den Blick ab. Da bekam ich aber schon einen unsanften Stoß von Toki gegen die Schulter. „Nur weil die Leute reden… Stimmt’s?“ – Wütend verzog sie das Gesicht. – „Die sind doch alle nur altmodisch!“ Darauf wollte ich gar nichts erwidern. Es wäre zwecklos, wenn ich mir irgendeine Ausrede überlegen würde. Die Wahrheit konnte ich ihr immerhin kaum sagen, dann hätte sie nur Angst vor mir. Das wollte ich nicht. Lieber sollte sie mich als den netten Kerl in Erinnerung behalten - der ich für sie war - und nicht als ein Monster – was wohl oder übel aber auch auf mich zutraf. „Ihr seid so ein süßes Pärchen, du und Jemil… Und der Kleine… Ihr passt alle drei so gut zusammen…“ Sie klang hilflos, als ob sie schon wusste, dass sie mich nicht umstimmen könnte, egal was sie sagen würde. „Es ist besser so“, murmelte ich und war mir doch darüber gar nicht sicher, ob es wirklich so sein könnte. Die Werwölfe in dieser Gegend konnten Vampire auf den Tod nicht ausstehen. Was nur viel zu verständlich war. Wenn sie wollten, könnten sie Jemil wohl auch in der Luft zerreißen und ich müsste dafür auch nur einen Moment nicht aufpassen. Ich senkte den Blick. Was wenn so etwas passierte? Was sollte ich dann noch tun? Ein Leben ohne Jemil konnte ich mir jetzt gar nicht mehr vorstellen. Als ob es das vorher gar nicht gegeben hatte. Dabei war es doch auch einmal da gewesen und legte sich wie ein dunkler Schatten über mein Leben. Ich hatte es einfach nicht immer so schön gehabt. Jemil hatte das geändert. Ein flüchtiges Grinsen huschte über meine Lippen. Wir hatten uns gegenseitig geholfen. Nicht nur mit hatte das gut getan, auch Jemil. Wenn nicht gar ihm um einiges mehr, als mir. Zwei Arme schlangen sich um mich und ein warmer Atem schlug mir in den Nacken. Leicht schmunzelte ich. Eigentlich seltsam, dass sein Atem warm war, wo doch sein Körper sonst immer so kalt war. „Wir haben dich gesucht…“, flüsterte mir Jemil ins Ohr und ich konnte mir gut und gerne vorstellen, wenn er mit ‚wir’ meinte. Ihn und Felix. Ich wandte mich zu ihm um und küsste ihn. Der Kleine stand neben ihm, das spürte ich. Ohne wirklich hinzusehen fuhr ich dem Hybriden durchs Haar, wodurch dieser einen Schritt zurückwich und etwas murmelte. Er konnte es nicht leiden, wenn ich das machte, dagegen genoss er es bei Jemil geradezu. „Deine Entscheidung?“, meinte ich und vernahm schon einen Moment später ein Seufzen von Jemil. Hatte er sich noch immer nicht entschieden oder wollte er es mir nur nicht sagen. Eigentlich kannte ich sie ja schon, zumindest war ich mir sicher, dass er so dachte wie ich. „Gehen wir…“, flüsterte er und drückte sich vorsichtig an mich. Ich spürte Tokis Blick im Nacken und es lief mir auf einmal eiskalt den Rücken herunter. Wir wären ein süßes Pärchen, das waren ihre Worte. Doch plötzlich schien es mir, als ob sie anders darüber denken würde. Ich drehte mich wieder um und löste mich dabei auch etwas wieder von Jemil. Nun lag nur noch mein Arm um seine Schultern. Ein zaghaftes Lächeln hatte sich auf Tokis Lippen gebildet, was sich aber gleich mehr aufhellte, als sie Felix sah. Sie hatte den gleichen Narren an ihm gefressen, wie wir. Heute wäre es aber wohl das letzte Mal, dass sie ihn sehen würde. Jemils Entscheidung war mir klar und es war die gleiche, wie auch die meinige. Müssten wir deswegen also schon einmal nicht mehr diskutieren. Am Liebsten würde ich ja gar nicht mehr darüber reden. Einfach gehen. Ich wollte diese Werwölfe finden und wenn es sein müsste, würde ich sie anflehen, dass wir bei ihnen bleiben können. Ewiges Weglaufen würde Jemil ohnehin nicht gut tun. Irgendwann brauchte er seine Ruhe und seinen Frieden. Beinahe hätten wir es hier geschafft, aber die meisten Dinge im Leben brauchten wohl zwei Versuche. Es wäre zu schön gewesen, wenn es gleich geklappt hätte. Vorsichtig glitt ich über den Hals des Vampirs, der sich auf Anhieb entspannte. Nur langsam hob ich den Kopf und lächelte Toki zu, die zaghaft nickte. „Ich wünsch euch dann mal viel Glück…“ Leise seufzte sie und wandte sich schließlich einem anderen Kunden zu. Ich hatte das Nötigste schon bekommen und auch schon bezahlt. Jetzt waren wir ausgerüstet. „Danke…“, murmelte ich. Einen Augenblick darauf spürte ich wie Jemil meine Hand nahm und Felix seine Finger in den Stoff meiner Hose krallte. So fühlte ich mich so richtig wie ein großer Beschützer. Das fühlte sich gut an, fast schon zu gut. Wir entfernten uns einige Meter von den Ständen, wo sich jetzt langsam ein reger Andrang entwickelte. Ich würde das hier sicher vermissen… und Toki. Irgendwie war sie ja süß, aber nicht mehr. Langsam wanderte mein Blick zu Jemil, der sich von mir gelöst hatte und jetzt einen Finger an die Unterlippe gelegt hatte. Er sah mich nicht an, sondern hatte sein Hauptaugenmerk auf einigen Mädchen. Eine ganze Scharr junger Dinger, kaum älter als 15. Sie kicherten und tuschelten immer wieder. Flüchtig warfen sie immer wieder einen Blick zu uns herüber. Ob sie über uns redeten? Ich griff wieder nach Jemils Hand und zog ihn hinter mir her. Ab nach Hause! Felix kam mit etwas Mühe hinter mir her, ich nahm aber auch nicht unbedingt Rücksicht auf den Kleinen. Sie hatten Jemil angestarrt, über ihn geredet, wegen ihm gekichert. Ich war mir so sicher. Abrupt blieb ich stehen und genauso schnell hatte sich der Vampir von meinem Griff befreit. Irritiert blickte er mich an, als schon ein keuchender Felix neben uns zum Stehen kam. „Was ist denn los?“, wollte der Kleine wissen, auch er sah ganz schön verwirrt aus. Ich hatte wirklich auf einmal das seltsame Gefühl gehabt, als ob diese Mädchen wirklich Jemil anstarrten… Nein, sogar als ob sie etwas wüssten. Es war plötzlich wie ein Blitz durch mich gejagt und so recht hatte ich nicht einmal gewusst, was ich tat. Einfach weg wollte ich. „Jesko… Was ist denn los?“ Vorsichtig fuhr Jemil mir über die Wange. Abrupt kribbelte meine Haut seltsam und mir stieg ein seltsamer Geruch in die Nase. Er machte mich gerade zu wahnsinnig, mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ob mein Leibgericht vor mir stehen würde. Was passierte hier gerade? Drehte ich durch? „Jesko?“ Die ängstlich klingende Stimme des Vampirs holte mich wieder in die Realität zurück. Leicht schüttelte ich den Kopf, als ob das helfen würde, dass alles wieder ins Lot kam. Jemils Finger waren auf meinen Hals gesunken und Besorgnis lag in seinem Blick. Ich wusste nicht, was auf einmal mit mir los war. Dieser Geruch. Immer noch lag er in der Luft, aber ich reagierte gerade nicht mehr darauf. Abrupt verkrampfte mein Magen und ich sank zusammen. Was ging denn ab? „Was ist denn?“ Jemil war vor mir in die Hocke gegangen und blickte mich verängstigt an. Ich mühte mich ein Lächeln ab und meinte: „Ist schon okay…“ Es war wirklich alles okay. Auf einmal ging es mir wieder gut. Dieses seltsame Gefühl war plötzlich wieder völlig verflogen. Und trotzdem war irgendetwas noch anders. Ich spürte das Monster in mir. Es wollte raus und… und… Jemil zerreißen. Gelegentlich kam es vor, dass Werwölfe durchdrehten, weil sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatten oder weil der Wolf in ihnen einfach zu stark wurde. Passierte das gerade mit mir auch? Es sollte nicht so sein! Ich wollte Jemil nicht aus Versehen wehtun – oder ihn sogar töten. Nicht ihm. „Jesko?“, flüsterte da jemand meinen Namen. Mein Blick schweifte zu Felix, dessen Gesichtsausdruck ich einfach nicht deuten konnte. Angst und gleichzeitig Besorgnis spiegelten sich darin. Aber da war noch etwas, etwas Tieferes. Man könnte fast meinen, dass er wusste, was gerade in mir vorging. „Gehen wir…?“ Vorsichtig griff ich nach Jemils Hand, doch der zog diese zurück und trat einige Schritte von mir weg. Hatte er jetzt Angst vor mir? Das war doch noch nie so. Er wusste, dass ich ihm nie etwas tun könnte. Kurz sah er mich prüfend an, schüttelte dann aber langsam den Kopf, als ob er sich selbst etwas ausreden wollte, und kam dann wieder auf mich zu. Zaghaft angelte er sich meine Hände und drückte sie vorsichtig. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, das auch mich glücklich machte. Er sollte nie vor mir Angst haben, immerhin wollte ich ihn doch beschützen. Eigentlich dachte ich, dass wir nach Hause gehen würden, als Jemil mich an die Hand genommen hatte. Doch stattdessen brachte er mich und Felix zu dem Hotel, wo Talinda und Devin untergebracht waren. „Was willst du denn jetzt hier…?“, grummelte ich. Mit Devin kam ich einfach nicht gut aus, er war mir schlicht und einfach unsympathisch. Aber manchmal behandelte er mich auch, als ob ich minderwertiger wäre als er. Das konnte ich nicht ausstehen. Nur langsam folgte ich dem jungen Vampir die Stufen nach oben, nachdem ich ihm gesagt hatte, welches Zimmer, das der beiden Vampire war. Vielleicht hätte ich es ihm einfach nicht sagen sollen, dann wäre er sicher heim… Oder er hätte die junge Frau an der Rezeption gefragt. Jemil hätte einen Weg gefunden. Leise seufzte ich, während der Ältere an der Tür klopfte. Stumm stand ich neben ihm und wartete mit ihm. Felix hatte meine Hand genommen und drückte sie leicht. Er mochte Devin sehr und sah überhaupt nichts Negatives an ihm. Für ihn war er einfach nur ein netter Onkel, den er etwas nerven konnte. Jemil klopfte erneut, doch es kam noch immer keine Reaktion vom inneren des Zimmers. „Vielleicht sind sie ja gar nicht mehr hier…“, murmelte ich. Wo sollte aber ein Vampir um diese Uhrzeit hin? Gerade einer, den die Sonne noch verbrennen konnte? „Glaub’ ich nicht“, erwiderte Jemil schließlich, als er sich wieder zu mir umgewandt hatte. Noch im selben Moment wurde die Zimmertür geöffnet und sich ein etwas verschlafen aussehender Devin gegen den Rahmen lehnte. „Was wollt ihr beiden denn hier…?“, grummelte er. Hatten wir irgendwie gestört? „Ist Talinda auch da?“, fragte da mein kleiner Blutsauger aber auch schon. Devin hob leicht eine Augenbraue und meinte: „Wo sollte sie denn um die Uhrzeit sonst sein? Selbstmordgedanken hatte sie bis jetzt ja noch nicht… soweit ich es weiß.“ Nur wenige Minuten später saßen wir im abgedunkelten Hotelzimmer der beiden Vampire. Talinda brauchte auch nur einen Moment länger, um zu wissen, was los war. „Es ist einfach besser für euch…“, meinte sie und umarmte ihren Bruder, doch ihr Blick – wenn man das so nennen konnte – lag auf mir. „Jesko…“ – Interessiert sah ich sie an. – „Wehe, ihm passiert was!“ Ihre weißen Augen zogen sich zu dünnen Schlitzen zusammen und ich musste unweigerlich nicken, auch wenn ich es ihr gar nicht so sicher versprechen konnte. Aber dieser Blick erlaubte keine Widerrede und ich wollte es auch gar nicht erst auf die Probe stellen. Langsam löste sich die Vampirin von Jemil und kam auf mich zu. Ihre Schritte waren meiner Meinung nach viel zu sicher für eine Blinde, lag wahrscheinlich nur daran, dass sie ein Vampir war. Ihre Arme schlangen sich um meine Schultern. Fast wie bei Jemil, doch ich spürte, dass es sich anders anfühlen sollte. „Sei du auch vorsichtig“, flüsterte sie mir leise ins Ohr, so dass es kaum die anderen Drei hören konnten. Ich schloss die Augen und nickte einmal. Würde schon schief gehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)